Av 10 080 Av 10.080 Die Sanders Ein Familienschicksal aus Preußen Notzeit und Aufstieg Leopold Klotz Verlag . Leipzig Eine der reizvollſten und zugleich ſchöpferiſchſten Epochen der deutſchen Geiſtesgeſchichte wird in dieſem Buche lebendig. Wir begegnen u. a., um nur einige zu nennen: Heinrich von Kleiſt, Jean Paul, Lafontaine, Achim von Arnim, Clemens Brentano, den Brü⸗ dern Schlegel, Fichte, Chamiſſo, de la Motte⸗Fouqué, Jacharias Werner, Adam Müller. Und Goethe iſt nach mancherlei Begegnungen als Pate eines der Sanderſchen Kinder ſogar zum „Gevatter“ geworden! Wir erhalten einen lebendigen Ein⸗ druck vom literariſchen und politiſchen Leben im Deutſchland der Klaſſiker und Romantiker, der Napoleoniſchen Knechtſchaft und der Freiheitskriege. Aus vielen Einzelzügen, aus per⸗ ſönlichen Aufzeichnungen, Briefen und Begegnungen wird eine ganze Zeit lebendig. Die Sanders Die Sanders Ein Familienſchickſal aus Preußens Notzeit und Aufſtieg von Elſe Lüders Preußiſche Staatsbibliothek Berlin Leopold Klotz Verlag Leipzig Av 10080 Typ 235 D940.1111 Alle Rechte vorbehalten 1940. Verlags⸗Nummer 383 P Deutsche . 243 Chriſtiane, Martin und Peter Gennrich den Nachfahren des Ehepaares Sander in der fünften Generation widmet dies Buch die Sanderſche Urenkelin Elſe Lüders Inhalt Seite Jugendzeiten (1759-1794) . . . . . . . . 9 Glückliche Jahre (1795-1798) . . . . . . 18 Die Anfänge der Verlagstätigkeit (1799-1800) 37 Der Sanderſche „Salon“ (1800 bis etwa 1805) 44 Beziehungen zu Goethe (1796-1804) . . . . 70 Innere und äußere Kämpfe (1803-1805) . . 106 Das Schickſalsjahr 1806 . . . . . . . . . 125 Nach dem Zuſammenbruch (1807-1809) . . . 141 Geiſtige Vorarbeit für den Kampf um die Frei⸗ heit (1800-1811) . . . . . . . . . . 168 Die Zeit der Freiheitskriege (1812-1815) . . 186 Stille nach dem Sturm (1815-1825) . . . . 195 Witwenzeit (1826-1828) . . . . . . . . 209 Anhang Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . 223 Literatur⸗Nachweis. . . . . . . . . . . 242 Perſonen⸗Verzeichnis . . . . . . . . . . 248 Erſter Abſchnitt Jugendzeiten 1759—1794 Der Dichter Friedrich von Matthiſſon ſchrieb bei einem Beſuch der Leipziger Buchhändlermeſſe am 15. Mai 1800 in ſein Tagebuch: „ .. . Ich war bei Rochlitz, der über Goethe vielerlei ſchwärmte und tief von ſeiner Göttlichkeit durchdrungen war. Eine ge⸗ wiſſe Madame Sander aus Berlin hat auf Goethe einen ſolchen Eindruck gemacht, daß er ihr beinahe alle ſeine Zeit widmete und auf ſeine Weiſe mit ihr ſchöntat.“¹ Matthiſſon, deſſen Tagebücher im Gegen⸗ ſatz zu ſeiner Lyrik eine recht ſcharfe, ja manchmal bos⸗ hafte Schreibweiſe zeigen, übertreibt zwar etwas; denn Goethe hat ſeinen Aufenthalt in Leipzig, der vom 28. April bis zum 16. Mai 1800 dauerte, doch auch zu anderen Dingen als zum „Schöntun“ benutzt: er hat die Gemäldeſammlungen beſehen, ſich über das Bank⸗ und Finanzweſen, die Steinkohlenförderung, den Handel mit Woll⸗ und Baumwollwaren unter⸗ richtet, ferner Studien bei einem Optiker gemacht, kurz ſein Wiſſen auf jede Weiſe zu bereichern geſucht. Erſt vom 7. Mai an wird in den Tagebüchern mehr⸗ mals ein geſelliges Zuſammenſein mit dem Ehepaar Sander vermerkt². Aber während von der eifrigen Goethe⸗Forſchung allen Berliner Beziehungen Goe⸗ thes ſorgfältig nachgegangen wurde, iſt „Madame Sander“ doch nur einem ganz engen Kreiſe der gründlichſten Goethe⸗Kenner bekannt geworden, und 9 auch da leider nur in entſtellter Weiſe. Sophie San⸗ der hat nämlich das Unglück gehabt, daß ſie in einem einſt vielgeleſenen Werke eines Literarhiſtorikers ganz einſeitig geſehen wird und in ſehr ungünſtigem Licht erſcheint. Dieſer Darſtellung liegt ein einziges gehäſſiges Urteil zugrunde, während die zahlreichen verehrungsvollen Außerungen in Briefen an Sophie und über Sophie und vor allem die bewunderns⸗ werte Tatkraft dieſer Frau in ſchwerſten Rotzeiten unberückſichtigt geblieben ſind. So gilt es, an ihr ein Unrecht wiedergutzumachen, das Bild Sophie Sanders nach zeitgenöſſiſchen Quellen und Fami⸗ lienüberlieferungen möglichſt gerecht wiederherzuſtel⸗ len und von der häßlichen Übermalung zu befreien, die es bisher erfahren. Daß es in dieſem Bilde neben dem Licht auch Schatten gibt, iſt ſelbſtverſtänd⸗ lich; das enge Beieinander von Licht und Schatten aber iſt ja oft genug ein Merkmal der ſtarken, eigenartigen Derſönlichkeiten. Ihr Mann Johann Da⸗ niel Sander hat eine gerechtere Beurteilung erfahren. Doch während Zeitgenoſſen ihn in geiſtiger Hinſicht den „Heroen“ jener Zeit zurechneten, iſt er unſerem Blick längſt entſchwunden. Trotzdem iſt es reizvoll und aufſchlußreich zugleich, im Rückblick aus einer von Grund aus gewandelten Zeit zu ſehen, wie in jenen Tagen ein Vertreter des gebildeten Bürger⸗ tums ſein Leben und ſeine Weltanſchauung in Be⸗ ruf und Familie geſtaltete. Dem Namen Sophies begegnet man in zeitgenöſſi⸗ ſchen Briefen das erſtemal im Hochſommer 1791. In Frankreich breitete ſich eins der ſchauerlichſten Dra⸗ men der Geſchichte, die Franzöſiſche Revolution, im⸗ 10 mer mehr aus. Damals herrſchten in ihrem Verlauf, abgeſehen von mancherlei Unruhen und Ungerechtig⸗ keiten, doch noch einige wertvolle, in die Zukunft wei⸗ ſende Gedanken, die ſich erſt ganz allmählich im Leben der Völker Bahn brechen konnten. Die bis dahin Be⸗ vorzugten, der Adel und die Geiſtlichkeit, hatten teils freiwillig, teils gezwungen auf manche ihnen bis da⸗ hin gewährten Vorrechte verzichtet. Die Idealiſten der Revolution hofften im Jahre 1791 noch, an Stelle der abſoluten Monarchie eine ſoziale und an die Verfaſ⸗ ſung gebundene Monarchie errichten zu können. Aber was kümmerten ſich zwei luſtige, übermütige „De⸗ moiſellen“ in der Sommerfriſche um die hohe Politik in einem fremden Lande! Die eine von ihnen, De⸗ moiſelle Loos, eine junge Schriftſtellerin aus Berlin, berichtet am 23. Auguſt 1791 aus Bad Dyrmont⁴ an ihren Kollegen vom Fach, Johann Daniel Sander in Berlin, über eine nette Badebekanntſchaft: „Iy, San⸗ derchen! Das iſt ein kluges Mädchen! Klug! Nicht allein witzig ... Es iſt die Tochter des Kommiſſions⸗ rates Diederichs in Hannover ... Ich und das Mäd⸗ chen ſpielen eine Komödie, an der ganz Dyrmont An⸗ teil nimmt. Wir foppen einen dummen Baron, der auf den gewöhnlichen Einfall gekommen iſt, ſich für klug, aber für ſo übertrieben klug zu halten, daß er uns alle mit ſeiner Klugheit pieſackt. „Machen Sie ihn doch zum Narren! So hält er wohl das Maul', ſagte mir ein junger Doktor, der den Winter nach Berlin kommen wird.“ — Und nun beginnen die beiden jun⸗ gen Mädchen ein Spiel mit dem armen Baron, das an den Übermut der luſtigen Weiber von Windſor mit Falſtaff erinnert. Demoiſelle Loos ſtellt ſich gleich⸗ 11 gültig; aber „die Diederichs ... atmet nur Liebe für ihn und Eiferſucht gegen mich“. Dann aber erſcheint auch Demoiſelle Diederichs plötzlich wieder kalt und eiſig gegen den Baron, als zürne ſie ihm, weil er ſich nur um ſie und nicht um ihre Freundin kümmere. Ob der Baron von ſeiner eingebildeten „Klugheit“ durch dieſe Kur geheilt worden iſt, wird in dem Briefe nicht mehr geſagt. Aber es fällt hier ein Streiflicht auf einen Zug in Sophies Weſen, durch den ſie ſich ſelbſt manchen Schaden zugefügt hat: die Luſt zur Reckerei, die der Geneckte nicht immer richtig verſteht. Da⸗ durch ſind ihr ſpäter manche Haſſer und Neider ent⸗ ſtanden. Der Empfänger des Briefes, Johann Daniel San⸗ der, war damals hochgeſchätzter Mitarbeiter und lite⸗ rariſcher Berater der angeſehenen Voſſiſchen Buch⸗ handlung in Berlin⁵. Er war am 8. Februar 1759 als Sohn des „Mſtr. Johann Georg Sander, Bürger und Tabakſpinner“ in Magdeburg geboren. Der Knabe mußte ohne Geſchwiſter aufwachſen; denn ein Stief⸗ bruder aus des Vaters erſter Ehe und zwei Brüder aus der zweiten Ehe waren ſchon vor oder bald nach der Geburt Johann Daniels geſtorben, ſo daß er kei⸗ nerlei Erinnerung an ſie bewahren konnte. Die Fa⸗ milie und Verwandtſchaft gehörte dem kleinbürger⸗ lichen, unbemittelten Handwerkerſtande an. Bei dem Knaben zeigte ſich ſchon früh eine ſo auffallende Be⸗ gabung, daß er von ſeinem zehnten Jahre an eine Freiſtelle in der Domſchule zu Magdeburg erhielt. Dieſe ſtand unter Leitung des hervorragenden Päd⸗ agogen Gottfried Benedikt Funk, dem Sander und mit ihm viele andere Schüler der Anſtalt zeitlebens eine 12 tiefe Dankbarkeit bewahrten. Als Johann Daniel 14 Jahre alt war, verlor er den Vater;, die Mutter ſtarb 1794 und konnte dem einzigen Sohn 400 Taler hinterlaſſen. In ihrem am 13. April 1790 errichteten Teſtament wird dieſer Sohn als „theologus“ bezeich⸗ net; denn der von Funk ausgehende chriſtliche Geiſt der Schule hatte auch den jungen Sander veranlaßt, auf der Univerſität Halle zunächſt Theologie zu ſtudieren, obwohl ſeine größere Neigung bei den alten Sprachen und der Geſchichtswiſſenſchaft lag. Nach dem Beſtehen der erforderlichen Prüfungen wurde er 1780 als Leh⸗ rer an die Realſchule für Knaben, das ſpätere Fried⸗ rich⸗Wilhelm⸗Real⸗Gymnaſium in Berlin berufen. Sander war damals zwar erſt 21 Jahre alt, hatte aber den Unterricht meiſt in den oberen Klaſſen zu er⸗ teilen, und manche ſeiner nur wenige Jahre jüngeren Schüler behielten die Art, wie er ſie in die Schätze des Altertums einführte, auf Lebenszeit in dankbarer Erinnerung. Obgleich er ſich alſo als Lehrer durchaus bewährte, gab Sander die ſichere Stellung bereits nach fünf Jahren auf und wurde „privatiſierender Ge⸗ lehrter“. Die Gründe für dieſen Berufswechſel konn⸗ ten niemals völlig aufgeklärt werden; wahrſcheinlich war der Drang zum Schaffen auf literariſchem und muſikaliſchem Gebiet zu groß, als daß ihn der Lehr⸗ beruf dauernd befriedigt hätte. Es gehört vielleicht zur Tragik in Sanders Leben, daß ihm die Natur glei⸗ cherweiſe die Reigung zu wiſſenſchaftlicher Forſchung, zur Dichtung und zur Muſik mitgegeben hatte, daß er aber auf keinem dieſer verſchiedenen Gebiete den wich⸗ tigſten Schritt, den, der über das Dilettantentum zur Meiſterſchaft und zum Künſtlertum hinführt, tun 13 konnte. Zu anerkannter Meiſterſchaft gelangte er nur als vortrefflicher Stiliſt und Überſetzer. Als jüngerer Mann hatte Sander außer kleineren Erzählungen und einzelnen Gedichten in verſchiede⸗ nen der damals üblichen Almanache bereits eine Kan⸗ tate „Das Leiden Jeſu“ als Text zu einer Paſſions⸗ muſik von Rolle (Halle, 1777), ſowie ein Feſtſpiel „Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürſt“ (1782) veröffentlicht. Eine größere Leiſtung des jungen Dri⸗ vatgelehrten beſtand dann in der Überſetzung und Red⸗ aktion der Werke Friedrichs des Großen. Von San⸗ der ſtammt die erſte Überſetzung der Gedichte ſowie der Briefe an Voltaire; die zweite Auflage der Werke, die 15 Bände umfaſſen, hat er — mit Ausnahme von vier Bänden - durchgeſehen und zum Teil auch umge⸗ arbeitets. Sanders muſikaliſche Begabung befähigte ihn, die urſprünglich franzöſiſchen Texte zu den Gluckſchen Opern „Orpheus und Eurydike“ (1786) und „Iphi⸗ genie auf Tauris“ (1790) in ſchönem Übereinklang mit der Gluckſchen Muſik ins Deutſche zu übertragen. Später folgte auch eine Übertragung der „Iphigenie auf Aulis“ und die Bearbeitung dieſer Oper zu einem Klavierauszug. Nach der Aufgabe der Stellung an der Realſchule war Sander während der Jahre 1785 bis 1780 als Schriftleiter der im Verlag von Haude E Spener er⸗ ſcheinenden „Berliner Zeitung“ tätig und bewährte an dieſer Stelle nicht nur ſein eigenes ſchriftſtelle⸗ riſches Talent, ſondern auch die Gabe, den Werken anderer die letzte ſtiliſtiſche Feile zu geben. Aber ein neuer Berufswechſel ſtand bevor. „Durch eine Ver⸗ 14 kettung von Umſtänden“, ſo ſchreibt Sander ſpäter (11. Juni 1796) an Böttiger, ohne jedoch dieſe Um⸗ ſtände genauer darzulegen, „kam ich in nähere Ver⸗ bindung mit dem verſtorbenen Herrn Voß, dem jün⸗ geren, und wurde ſein literariſcher Hausfreund, den er bei den meiſten Unternehmungen zu Rate zog.“ In dieſer geachteten und auch wirtſchaftlich geſicherten Stellung konnte der inzwiſchen 32 Jahre alt gewor⸗ dene junge Gelehrte allmählich daran denken, einen eigenen Hausſtand zu gründen. Der zarte Wink ſeiner Kollegin Loos fiel auf guten Boden. Es vergingen zwar noch einige Jahre des Kennenlernens und des Werbens um das gefeierte Mädchen; aber am 14. Sep⸗ tember 1794 wurde die Trauung in Bad Dyrmont vollzogen. Die Braut, Sophia Friderica Henriette Diederichs, war am 26. Oktober 1768 in Dyrmont als „eheliche Tochter des Brunnen⸗Kommiſſarius Diederichs“ ge⸗ boren und am 1. November in der Parochie Olsdorf evangeliſch getauft. Dank der Stellung des Vaters konnte Sophies Jugend unter beſonders günſtigen Umſtänden verlaufen. Den Winter verlebte die Fami⸗ lie in Hannover, die ſchöneren Monate in Bad Dyr⸗ mont, das unter der Leitung von Diederichs eine ſei⸗ ner glänzendſten Epochen erfuhr. „Die Gegend von Pyrmont iſt eine der anmutigſten und ſchönſten in den niederen Teilen von Deutſchland. Das Tal, in deſſen Schoße dieſer erſte und vornehmſte deutſche Geſund⸗ brunnen quillt, iſt lachend, fruchtbar, belebt und nicht enge; ſein Charakter iſt ruhige frohe Anmut“, ſo ſchil⸗ dert ein begeiſterter Verehrer des Bades die Gegend im Jahre 1784. Weiter rühmt er das dort herrſchende 15 angenehme geſellſchaftliche Leben, das nicht durch Ka⸗ ſtengeiſt oder hochmütige Abſchließung des Adels ge⸗ ſtört wurde, wie es in anderen deutſchen Orten da⸗ mals überwiegend der Fall war¹. Zu dieſer feinen, geiſtig hochſtehenden Geſelligkeit trugen auch die Töch⸗ ter des Brunnendirektors bei, empfingen aber auch ihrerſeits dadurch manche Anregungen und den geſell⸗ ſchaftlichen Schliff, der Sophie ſpäter bei der Aus⸗ geſtaltung ihres „Salons“ in Berlin ſehr zuſtatten kam. Die jüngſte der Töchter, Sophie, war von mit⸗ telgroßer, ſchlanker Geſtalt. Ihr Ausſehen wird nicht gerade als ſchön, aber als außerordentlich anmutig geſchildert; vor allem fielen die ſtrahlenden blauen Augen auf, die einen eigenartigen Gegenſatz zu dem dunklen Haar bildeten. Sie hatte viele Verehrer, aber ſie ſtieß die Verehrer auch immer wieder durch ihr etwas ſchnippiſches Weſen, ihre Luſt zum Necken und ihre den damaligen Frauendurchſchnitt weit über⸗ ragende Klugheit ab. So hatte ſie die Mitte der zwanziger Jahre überſchritten, ohne daß eine Ver⸗ lobung zuſtande gekommen war, und in der damali⸗ gen Zeit, wo man die jungen Mädchen möglichſt früh⸗ zeitig „unter die Haube“ zu bringen ſuchte, fing Mitte der zwanziger Jahre bereits die „Torſchlußpanik“ an, wie eine Schriftſtellerin ein Jahrhundert ſpäter dieſen Seelenzuſtand der unverheirateten Frauen nanntes. Es iſt möglich, daß auch bei Sophie dieſe Gedanken mitgeſpielt haben, als ſie dem ſehr großen, ſchon da⸗ mals zum Starkſein neigenden, neun Jahre älteren Manne die Hand reichte. Jedoch war er auch einer der wenigen Männer ihres bisherigen Bekannten⸗ kreiſes, der ihr geiſtig überlegen war, zu dem ſie alſo 15 aufſchauen konnte. Da ſie ſich für alles Schöne in Kunſt und Literatur begeiſterte, war es für ſie ein herrlicher Gedanke, durch ihres künftigen Mannes Stellung den Eingang in die geiſtigen und künſtle⸗ riſchen Kreiſe der preußiſchen Hauptſtadt zu finden. Freilich, der ſtärker Liebende in dieſem Ehebunde, da⸗ her ſpäter auch der ſtärker Leidende, iſt wohl - wie ſich aus allen vorliegenden zuverläſſigen Quellen er⸗ gibt — von Anfang an Johann Daniel Sander ge⸗ weſen. 2 Die Sanders 17 Zweiter Abſchnitt Glückliche Jahre 1795-1798 Das junge Paar bezog eine Wohnung im erſten Stockwerk eines alten Patrizierhauſes Breite Str. 23. In derſelben Straße befanden ſich auch die Geſchäfts⸗ räume der Firma Voß. Das noch heute erhaltene Ermeler⸗Haus in der Breiten Straße, eine der ſtim⸗ mungsvollſten Sehenswürdigkeiten, vermittelt einen Eindruck von der damaligen Wohnkultur. Der beliebteſte Spaziergang der eleganten Berliner Welt war die von Friedrich dem Großen angelegte Straße „Unter den Linden“. Sie prangte damals noch im Schmuck mehrerer Reihen ſchöner großer Lin⸗ den. An beiden Seiten ſtanden außer den Paläſten der Hohenzollernſchen Prinzen Privathäuſer, von denen aber auch viele den Charakter kleiner Schlöſſer trugen oder in einheitlichem Wohnhausſtil, ähnlich wie die meiſten Straßen von Potsdam, durch Fried⸗ rich den Großen erbaut waren³. Durch dieſe ſchöne Straße führte der große ſtarke Sander oft voll Stolz ſeine zierliche, anmutige Sophie ſpazieren; nach allen Seiten tauſchte man Grüße mit den immer zahlreicher werdenden Bekannten, denn das Sanderſche Ehepaar fand raſch Eingang in die Berliner Geſellſchaft und übte ſelbſt von Anfang an eine frohe Gaſtlichkeit, ſo daß man es ſich bald zur Ehre rechnete, im Sander⸗ ſchen Haus verkehren zu dürfen. Das Glück wurde noch erhöht, als am 12. Juni 1795 eine kleine Wil⸗ 18 helmine geboren wurde. Der glückliche Vater ſprach und ſchrieb von ſeinem „Minchen“ ſtets mit der größ⸗ ten Zärtlichkeit. In dieſes ſchöne, geiſtig hochſtehende Familienleben geben die Briefe Sanders aus der Zeit von 1796 bis etwa zum Jahre 1803 einen herzerquickenden Einblick. Der Empfänger der Briefe iſt der Archäologe und Schulmann Karl Auguſt Böttiger. Er war am 6. Juli 1760 in Reichenbach im Vogtland geboren, ſtand alſo etwa im gleichen Alter wie Sander. Durch Herders Befürwortung hatte er im Herbſt 1791 die Stelle des Leiters des Gymnaſiums in Weimar erhalten und war zugleich von der kirchlichen Behörde zum „Oberkonſiſtorialrat mit Sitz und Stimme in Schulſachen“ ernannt worden1o. Aber dieſe beiden Hauptberufe traten faſt in den Hintergrund gegenüber ſeiner ſtarken ſchriftſtelleriſchen Beſchäftigung. Sein wiſſenſchaftliches Hauptgebiet, auf dem er auch als Autorität galt, war Archäologie; aber er ſchrieb über alles und jedes! Zur Zeit, als der Sanderſche Brief⸗ wechſel begann, war Böttiger eifriger Mitarbeiter, und zwar hauptſächlich Rezenſent über Bücher, an der von Schütz in Jena redigierten „Allgemeinen Li⸗ teratur⸗Jeitung“; ferner arbeitete er für das von Ber⸗ tuch gegründete „Journal des Luxus und der Moden“. Später übernahm er auch als Nachfolger Wielands die Schriftleitung des „Neuen Teutſchen Merkur“ und eines von dem eifrigen Bertuch gegründeten Un⸗ terhaltungsblattes „London und Paris“. Selbſt Her⸗ der, der ihm ſehr wohlwollte, ſah dieſe allzu ſtarke literariſche Tätigkeit „mit ernſtem Kopfſchütteln“; denn man hätte ihm doch nicht dafür die Schulleitung 10 2* übergeben¹¹! Infolge dieſer vielſeitigen Tätigkeit war das Urteil ſeiner Zeitgenoſſen über ihn ſehr geteilt. Er war bei vielen und nicht immer den Beſten be⸗ liebt, weil er es mit keinem verderben wollte und aus angeborener Gutmütigkeit oft wahllos auch das min⸗ der Gute lobte. Er war gefürchtet, ja gehaßt, weil ſeine Beziehungen zu den verſchiedenſten Journalen es ihm ermöglichten, die Entwicklung junger aufſtreben⸗ der Talente, die ſeinen Beifall nicht fanden, durch Tadel oder auch ſchon durch ſein Schweigen unheil⸗ voll zu beeinfluſſen. So pflegten auch manche bedeu⸗ tenden Männer, z. B. der politiſche Schriftſteller, ſpä⸗ tere Staatsmann Friedrich von Gentz, den Verkehr und den Briefwechſel mit Böttiger, auch wenn ſie innerlich keine ſehr hohe Meinung von ihm hatten, ja im vertrauten Kreiſe gelegentlich ſogar verächtlich von ihm ſprachen¹². Daß Böttiger auch den Umgang mit den großen Geiſtern in Weimar und Jena ſehr zu pflegen wußte, verſteht ſich bei ſeiner Charakter⸗ anlage von ſelbſt. Durch ſeine ausgedehnte literariſche Tätigkeit kam Böttiger im Laufe der Jahre zu einem ſo umfangreichen Briefwechſel mit vielen bedeutenden Geiſtern des In⸗ und Auslandes, wie ein ſolcher ſelbſt in der damaligen Zeit, als das Briefſchreiben ſehr ge⸗ pflegt wurde und auf großer Höhe ſtand, ſelten war. Der Briefwechſel zwiſchen Böttiger und Sander war zunächſt dadurch entſtanden, daß Sander als Be⸗ rater und Vertreter der Voſſiſchen Verlagsbuchhand⸗ lung ſich ſchon öfter mit Böttiger in Verbindung ge⸗ ſetzt hatte, um deſſen Wohlwollen für Verlagswerke der Firma Voß zu erbitten oder auch um durch Bötti⸗ ger Verbindungen zur Gewinnung neuer Mitarbeiter 20 anzuknüpfen. Namentlich bemühte ſich Sander eifrig um Mitarbeiter für das im Voſſiſchen Verlag erſchei⸗ nende „Magazin von merkwürdigen Reiſebeſchreibun⸗ gen“. Als Herausgeber zeichnete zwar der berühmte Naturforſcher und Weltreiſende Johann Reinhold Forſter, aber die Hauptarbeit lag bei Sander, der die ſtiliſtiſch oft recht mangelhaften Reiſebeſchreibun⸗ gen zu überarbeiten hatte oder fremdſprachliche Schil⸗ derungen überſetzte. Die Arbeit an dem von ihm ſelbſt angeregten Magazin, das er gelegentlich ſeine „Duppe' nannte, lag Sander ganz beſonders am Herzen. Am 11. Juni 1796 ſchreibt Sander jedoch zum erſtenmal nicht als anonymer Vertreter der Firma Voß, ſondern perſönlich, weil er Böttiger um eine Gefälligkeit für ſeinen Freund Auguſt Lafontaine bitten will. Lafontaine, der Theologie ſtudiert hatte, war zunächſt Drediger und hatte als Feldgeiſtlicher im Jahre 1792 an dem durch Goethes Schilderung berühmt gewordenen Feldzug in der Champagne teil⸗ genommen. Er gab ſein theologiſches Amt jedoch ſpä⸗ ter auf und lebte ſeit 1800 als viel ſchreibender und auch viel geleſener Romanſchriftſteller in Halle. San⸗ der war durch gemeinſame Freunde in Verbindung mit Lafontaine gekommen und hatte ihn bewogen, ſeine Werke in den Verlag der Firma Voß zu geben. Für dieſe war das ein großer Gewinn, denn Lafon⸗ taine war der Modeſchriftſteller ſeiner Zeit. Für San⸗ der aber erwuchs daraus eine große Arbeitsbelaſtung; denn Lafontaine ſchrieb ungeheuer viel und ſchnell, aber mit ſchauerlicher Handſchrift und ohne ſich um Zeichenſetzung oder Stil zu kümmern. Sander gab im Einverſtändnis mit dem ihm dafür ſehr dankbaren 21 Verfaſſer den Romanen die letzte Feile, ja manchmal eine förmliche Überarbeitung, und hat damit — un⸗ genannt und unbekannt! — zu dem großen Erfolg der Lafontaineſchen Romane beigetragen¹³. Doch der ſelbſtloſe Sander leiſtete dieſen Dienſt gern; der zunächſt nur berufsmäßige Briefwechſel erhielt eine immer wärmere perſönliche Färbung, und ein acht⸗ tägiger Aufenthalt Lafontaines in Berlin als Gaſt des Sanderſchen Hauſes führte zu einer warmen Freundſchaft. Über Lafontaine als Schriftſteller und Menſchen ſchreibt Sander an Böttiger: „Er gilt in meinen Augen ſo viel wie in den Augen aller, die eine höchſt bewegliche Phantaſie und eine ſehr leb⸗ hafte Darſtellungsgabe, mit dem zarteſten ſittlichen Gefühl verbunden, an einem Schriftſteller zu ſchätzen wiſſen; aber in den acht glücklichen Tagen, da er bei mir gewohnt hat, habe ich den Schriftſteller über dem Menſchen vergeſſen und achte dieſen von nun an weit höher als jenen.“ Lafontaine hatte die Abſicht, eine Reiſe nach Weimar zu unternehmen, und Sander bit⸗ tet Böttiger, ſeinem Freunde behilflich zu ſein, etwas in den Strahlenglanz der großen Geiſter von Weimar zu kommen. Böttiger muß dieſen erſten perſönlich gehaltenen Brief Sanders in freundlichſter Weiſe beantwortet haben; denn ähnlich, wie es zwiſchen Sander und Lafontaine der Fall geweſen, geſtaltete ſich auch der Briefwechſel Sander-Böttiger immer herzlicher und führte 1797 zu einem Beſuch Böttigers in Berlin als Gaſt des Sanderſchen Hauſes, dem im Jahre 1800 ein Aufenthalt des Ehepaares Sander bei dem Ehe⸗ paar Böttiger in Weimar folgte. Wer in dieſer 22 Freundſchaft oder auch nur in dieſem Briefwechſel der ſtärker Gebende, wer der ſtärker Nehmende ge⸗ weſen, läßt ſich ſchwer ſagen, da die Antworten Bötti⸗ gers auf die Sanderſchen Briefe leider nicht erhalten geblieben ſind. Mehrfach ſcheint Böttiger nur ſein Tagebuch als eine Art Rundbrief für ſeine Freunde geſchickt zu haben. Aber da Sander ein ausgeſproche⸗ nes Talent zur Freundſchaft hatte, ja ſich für ſeine Freunde oft geradezu aufopferte, ſo darf man wohl annehmen, daß er in dieſem Verhältnis der mehr Gebende als Empfangende geweſen iſt. Böttiger war ein ſo eifriger Berichterſtatter aus Berlin höchſt willkommen! Er brauchte ſeine zahlreichen Korre⸗ ſpondenten, weil ſie ihm — bewußt oder unbewußt — wertvollen Stoff für ſeine ſtarke ſchriftſtelleriſche Tä⸗ tigkeit an den verſchiedenartigſten Zeitſchriften und Zeitungen lieferten. Sander bemühte ſich, den Freund ſtets mit neuſten Nachrichten aus dem geiſtigen Leben Berlins, den Neuerſcheinungen auf dem Büchermarkt, den Vorgängen im Theater uſw. zu verſorgen. Da⸗ neben aber nehmen auch, je perſönlicher und wärmer der Ton der Briefe wird, die Mitteilungen aus San⸗ ders Familienleben einen breiten Raum ein. Aus allen Briefen leuchtet das tiefe Glück hervor, das Sander in jenen Jahren durch ſeine Liebe zu Sophie und zu ſeinen Kindern erblühte. Beſonders freudig klingt die Schilderung, als ſich zu dem Minchen ein Brüderchen geſellte. Einen Tag nach der Geburt, am 1. März 1797, ſchreibt Sander: „ .. Am 28. Februar, abends um 8 Uhr, ſaß ich mit dem lieben Weibe bei unſerm Abendeſſen. . .. Ich hatte ſchon ſeit mehreren Wochen mit ihr geſcherzt: . . . Der Junge müßte, wenn 23 ich ihn recht liebhaben ſolle, noch im Februar zur Welt kommen, weil das mein Geburtstagsmonat ſei und weil es ſonſt zweifelhaft bliebe, ob das kleine Weſen ſein Daſein dem Mai verdanke. Jetzt ſagte ſie lächelnd: ſie habe alſo nur noch vier Stunden Zeit, um meinen Wunſch zu erfüllen, und wollte ihr Beſtes tun ... Nach 10 Uhr ſtellten ſich, doch ſehr ſtark un⸗ terbrochen, die eigentlichen Wehen ein; und um 11 Uhr war ein geſunder, nicht ungeſtalteter Knabe geboren. Die kleine Mutter, die nach Lafontaines Bemerkung ſehr gern lacht, hat auch noch eine Viertelſtunde vor ihrer Entbindung lachen müſſen. Gerade kommt ein Savoyarde mit ſeiner Laterna magica und ſeiner Or⸗ gelei durch die Breite Straße. Die Hebamme ſagt ſehr komiſch: „Nun haben wir Muſik dazu', und die Ge⸗ bärerin fängt recht herzlich an zu lachen. Freilich, ganz ſo leicht kam die lachende junge Mut⸗ ter doch nicht davon! Alle die lieben Freundinnen und Rachbarinnen waren gleich in den erſten Tagen gar zu fleißig zu Beſuch gekommen, ſo daß ſich hohes Fie⸗ ber einſtellte. Der Hausarzt, der berühmte alte Heim, ordnete an, daß an die Eingangstür zum Zimmer Sophies ein Schild gehängt wurde, auf dem mit gro⸗ ßen Buchſtaben geſchrieben ſtand: „Hier werden noch einige Tage alle Beſuche verbeten!“ Das half, und nach einigen angſtvollen Tagen kann der glückliche Vater am 7. März melden, die Gefahr ſei überwun⸗ den. Und nun beginnen die Gedanken an die Taufe, wobei es Sander allerdings weniger um den chriſt⸗ lichen Sinn der Taufe als um die damit verbundenen Außerlichkeiten zu tun iſt. Der Briefwechſel mit Böt⸗ tiger iſt im Laufe eines halben Jahres bereits ſo 24 warm und herzlich geworden, daß Böttiger gebeten wird, die Patenſchaft bei dem Kinde zu über⸗ nehmen. Sander mutet ihm zwar nicht zu, jetzt in der ſchlechten Jahreszeit die mühſelige Reiſe von Weimar nach Berlin zu unternehmen, aber im näch⸗ ſten Sommer müſſe er ganz beſtimmt nach Berlin kommen und die Zuſage geben, daß „ . .. von wem Sie auch eingeladen ſeien oder es noch werden mö⸗ gen, Sie dennoch bei keinem anderen als bei Ihren Gevattern logieren wollen“ (7. März 1797). Ende März findet die Taufe des kleinen Karl Auguſt Friedrich Wilhelm ſtatt. In ſeinem Namen verbinden ſich — in damaliger Zeit freilich ganz un⸗ beabſichtigt — der Geiſt von Weimar und der Geiſt von Potsdam! Der Rufname wird Auguſt. Am 31. März 1797 gibt Sander dem „Gevatter“ Bötti⸗ ger, dem er ſich durch dieſes Verhältnis immer inni⸗ ger verbunden fühlt, eine Schilderung der Feſtlichkeit, an der außer den glücklichen Eltern noch achtzehn Gäſte teilnahmen. Was man damals, als der Zuſammen⸗ bruch und die Verarmung Dreußens noch in weiter Ferne lag, unter einer einfachen Gaſtlichkeit verſtand, geht aus Sanders Beſchreibung hervor: „Die Mahl⸗ zeit beſtand aus nicht mehr als ſechs Schüſſeln (doch einige, die Vorkoſt und die Braten doppelt); der Nachtiſch aus zwei Kuchen, acht Deſſerttellern und zwei Körben mit Apfelſinen. Meine Frau war auch mit meiner Anordnung zufrieden, da die Mahlzeit anſtändig war, ohne verſchwenderiſch zu ſein. Getrun⸗ ken wurde zuerſt Medoc und ein guter Franzwein, dann Lafitte und ein guter Rheinwein, dann zum Deſſert zwei Flaſchen Hochheimer, Jahrgang 83 und co, 25 eine Flaſche Tünelle und ein Oberungar. Ich bin nicht reich, aber dennoch iſt immer ein guter Wein in meinem Keller: und den hebe ich ſorgfältig zu feſt⸗ lichen Gelegenheiten auf, wie z. B. Kindtaufe, Be⸗ ſuch eines geliebten Freundes. Höchſtwahrſcheinlich wird nun von allem, was ich da zuletzt genannt habe, nicht eher wieder etwas bei mir getrunken werden als im Auguſt, wenn unſer Herzensfreund Böttiger und hoffentlich auch Lafontaine hier iſt. Dann bitten wir ein⸗ oder zweimal größere Geſellſchaften zuſam⸗ men und geben her, was in unſerem Keller iſt, auch Burgunder nicht zu vergeſſen.“ Doch Sander ſtellt dem Freunde nicht nur mate⸗ rielle Genüſſe in Ausſicht, ſondern in verſchiedenen Briefen, die den bevorſtehenden Beſuch betreffen, wird ihm auch in geiſtiger Hinſicht mancherlei Gu⸗ tes verſprochen. Zunächſt ſichert ihm Sander als Lo⸗ giergaſt die größte perſönliche Freiheit zu und ſchreibt weiter: „Große Geſellſchaften verſprechen wir Ihnen höchſtens zweimal, dagegen aber, ſo oft Sie bei uns eſſen, einen runden Tiſch mit acht bis neun guten und zum Teil auch klugen Menſchen. Es verſteht ſich, daß ich bei den meiſten Berliner Sehenswürdigkei⸗ ten Ihr Cicerone bin. Und daß ich mit den hieſigen Gelehrten und Künſtlern in einiger Verbindung ſtehe, habe ich Ihnen ſchon ſonſt geſchrieben“ (1. März 1797). „Mein Logis iſt in der Breiten Straße, die auf den Schloßplatz führt, und folglich beinahe im Mittelpunkt der Stadt ... Bis zum Schauſpielhauſe iſt es bei mäßigem Schritt nur eine Viertelſtunde und bis zum Tiergarten nur etwa 25 Minuten (8. Juli 1797). 26 Im Sommer 1797 kam es dann zur perſönlichen Bekanntſchaft zwiſchen Sander und Böttiger, und zwar in Weimar, wohin Sander gereiſt war. Danach erſt folgte Böttigers Beſuch in Berlin. Daß die Gaſtgeber, der „brave Sander und ſeine liebenswürdige Frau“, alles getan haben, um ihrem Gaſt den Aufenthalt nicht nur angenehm, ſondern auch für ſeine literari⸗ ſchen Zwecke ertragreich zu geſtalten, geht aus Böt⸗ tigers „Tagebuch einer Reiſe nach Berlin“ hervor¹⁴, Sander verſchaffte ihm neue Verbindungen zu allen Kreiſen, die für Böttiger irgendwie bedeutungsvoll werden konnten, darunter auch zu theologiſchen Krei⸗ ſen, denen Sander ſelbſt trotz ſeines einſtigen Theo⸗ logieſtudiums fernſtand. Aber den Hauptanſchluß an die gelehrten und literariſchen Kreiſe fand Bötti⸗ ger in der „Mittwochs⸗Geſellſchaft“, von der ihm Sander bereits in einem Briefe vom 26. November 1705 allerlei erzählt, ja man kann faſt ſagen: vor⸗ geſchwärmt hatte. Zu dieſer Geſellſchaft gehörten Ka⸗ tholiken, Lutheraner, Reformierte, Juden, Adlige und Bürgerliche. Bezeichnend für die damalige Zeit iſt, daß der jüdiſche Arzt und Philoſoph Markus Herz die Seele der Geſellſchaft war. Nachdem Sander einige der etwa fünfzig Mitglieder aufgezählt hat, darunter neben Goethes Freund Zelter und dem berühmten Bildhauer Schadow den Gymnaſiallehrer Bartholdy und andere, ſchildert er den Geiſt der Geſellſchaft: „Aber Sie werden ja die Geſellſchaft ſelbſt kennen⸗ lernen, die natürlich durch Humanität einige Auf⸗ merkſamkeit verdient. Wie Sie geſehen haben, ge⸗ nügt es den Mitgliedern, Menſchen zu ſein; und es iſt ihnen gleichgültig, ob dieſe Menſchen Juden, ob 27 ſie Chriſten ſind. Außer denen, die ich Ihnen ſchon ge⸗ nannt habe, . . . auch eine oder mehrere Frauen „von', ein Oberkonſiſtorialrat, ein Drediger, Schulleute, Ge⸗ ſchäftsleute, Künſtler, Kaufleute pp., die aber alle ihren Stand zu Hauſe laſſen und ſich Mittwoch von 5 bis 10 oder¹1 Uhr mit Literatur und verwandten Gegenſtänden beſchäftigen. Für die erwieſene Gaſtfreundſchaft dankt Böttiger ſpäter, indem er Sophie zu ihrem nächſten Geburts⸗ tag die Büſten von Wieland, Herder und Goethe ſchenkt. Das gibt Sander Anlaß zu folgender Schil⸗ derung (31. Oktober 1797): „Hätte ich Sie doch am 25. Oktober zu uns herzaubern können. Das war ein⸗ mal ein luſtiger Abend auf einen köſtlichen Tag! Meine Frau iſt mit Geſchenken überhäuft worden; und glücklicherweiſe kam auch gerade Ihr Geſchenk, die Büſten der Heiligen Drei Könige von Weimar, an eben dem Tage! Vier Ungenannte hatten ſich durch eine Karte am Abend eine Taſſe Tee ausgebeten; es fanden ſich aber noch ſechs andere Gäſte ein, und es wurde in dem Zirkel von zwölf Derſonen äußerſt fröh⸗ lich. Wenn Sie wieder zu uns kommen, ſoll Ihnen die beſchenkte Frau erzählen, was für Herrlichkeiten ſie bekommen hat. Oder vorläufig kann es Mademoiſelle Jagemann tun. Sie wird Sie doch beſuchen und einen Brief von Ihnen mitbringen? Einen ähnlichen Einblick in die ungezwungene harm⸗ los fröhliche Art der Gaſtlichkeit des Hauſes Sander gibt ein Brief vom 23. Dezember 1797: „Meine Frau iſt eben auf dem Weihnachtsmarkt (in der Breiten Straße), wo es ſeit dem 12. Dezember viel Hin⸗ und Hertreibens iſt. Morgen um 12 Uhr hat das 28 Weſen ein Ende. Wir haben morgen Geſellſchaft, die das Drängen und Fluten der Menſchenmenge ſehen will. Es iſt hell auf der ganzen Straße, denn die Bu⸗ den an beiden Seiten ſind ſtark erleuchtet: jede mit ſechs, acht und mehr Lichtern, die obendrein faſt alle vor Spiegeln ſtehen. Wenn man ſich in die deutſche Tagebuch⸗ und Brief⸗ literatur der Zeit um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verſenkt, ſo iſt man erſtaunt, wie wenig darin von der Politik die Rede iſt. Daß ſich durch die Franzöſiſche Revolution und ſpäter durch Rapoleon große Umwälzungen für ganz Europa an⸗ bahnten und ſich dadurch auch Wolken ſchwerſten Un⸗ heils für Preußen zuſammenballten, ahnten kaum die beruflich zur Politik Verpflichteten, d. h. die Fürſten und ihre Beamten, geſchweige denn das für Dicht⸗ kunſt und Theater begeiſterte Bürgertum. Über die politiſche Ohnmacht des in zahlreiche große und kleine Fürſtentümer zerſpaltenen Deutſchland tröſtete man ſich mit den Darſtellungen geſchichtlicher Größe auf der Bühne — ein kümmerlicher Troſt für die man⸗ gelnde geſchichtliche Größe im Leben des deutſchen Volkes der damaligen Zeit. Auch in den Sanderſchen Briefen ſpielt die Politik eine ſehr nebenſächliche Rolle;, nur in der Zeit des Thronüberganges von Friedrich Wilhelm II. auf Friedrich Wilhelm III. neh⸗ men die Briefe einen mehr politiſchen Charakter an. Das Verhältnis zu „Kronprinzens“, dem ſpäteren Friedrich Wilhelm III. und ſeiner Gemahlin Luiſe, mutet faſt wie ein freundſchaftlich nachbarliches Idyll an. Wenn das junge Daar nicht in Paretz oder auf der Dfaueninſel bei Potsdam lebte, wohnte es in 29 Berlin in dem „Kronprinzlichen Dalais“, das dem Schloß, und damit auch der Breiten Straße, am näch⸗ ſten gelegen iſt. Sander war mit dem Hofmarſchall Valentin von Maſſow befreundet und erhielt da⸗ durch, auch für ſeinen Freund Böttiger, zuverläſſige Nachrichten über Vorgänge im kronprinzlichen, ſpäter königlichen Hauſe. Das Band zwiſchen Sophie San⸗ der und der kronprinzlichen Familie ging über die beiderſeitigen Kinderſtuben; denn Sophie war mit Madame Fleſche, der Witwe eines höheren preußi⸗ ſchen Beamten befreundet, die die erſten Jugend⸗ jahre des ſpäteren Friedrich Wilhelm IV. und ſeiner nachfolgenden Geſchwiſter zu betreuen hatte. Der äl⸗ teſte kleine Drinz ſtand ungefähr im gleichen Alter wie das kleine Minchen Sander, und drei Wochen nach der Geburt des kleinen Auguſt Sander erblickte am 22. März 1797 auch im kronprinzlichen Palais ein Knabe das Licht der Welt, dem es im hohen Alter vergönnt war, als Kaiſer Wilhelm I. dem deutſchen Volke eine ſeiner beſten und glücklichſten Zeitepochen zu ſichern. Was war menſchlich natürlicher, als daß die glückſtrahlende junge Mutter in der Breiten Straße mit wärmſtem Anteil an die andere glückliche Mutter auf dem Fürſtenthron dachte! Mehrfach verſuchten Böttiger und auch Sander, Sophie zur Mitarbeit an Bertuchs „Journal des Lu⸗ rus und der Moden“ zu gewinnen. Aber Sophie ging ſo ſtark in der Gaſtlichkeit ihres Hauſes und in ihrer Kinderſtube auf, daß ſie keine Zeit zur Schriftſtelle⸗ rei fand. Durch ihre und Madame Fleſches Vermitt⸗ lung gelang es jedoch, daß die liebenswürdige Kron⸗ prinzeſſin Luiſe und ihre Schweſter geduldig ſtill⸗ 30 hielten, wenn ein von Bertuch beauftragter Zeichner die neuſten von ihnen getragenen Schöpfungen der Berliner Mode für das Journal kopierte. Am 16. November 1797 tritt für PDreußen durch den Tod Friedrich Wilhelms II. eine Wende ein. Sander verfaßt den Nekrolog für die Voſſiſche Zeitung. Selbſtverſtändlich ſagt er dem verſtorbenen Monarchen nichts Übles nach; aber er vermeidet auch die ſonſt in Nekrologen über Fürſten üblichen Lobhudeleien und ſchreibt in diplomatiſcher Weiſe, daß der verſtorbene König immer das Beſte des Volkes gewollt habe und daß die „Geſchichte der Menſchen überhaupt und des Dreußiſchen Staates insbeſondere“ nicht verfeh⸗ len werde, ihm „die verdiente Gerechtigkeit“ wider⸗ fahren zu laſſen. Sander wundert ſich allerdings ſelbſt darüber, daß der Zenſor dieſe doppelſinnige Stelle von der „verdienten Gerechtigkeit“ paſſieren ließ. In den Briefen an ſeinen Freund Böttiger drückt ſich San⸗ der dagegen ſehr eindeutig über den verſtorbenen Kö⸗ nig und ſein ſittenloſes Leben aus. „Die Wahrheit zu ſagen“, ſo ſchreibt er am 18. November 1797, „hat der Tod des Königs in Berlin gar keine Senſation gemacht. Wenn ich mich dagegen des 16. Auguſt 1786 erinnere! des Schreckens in allen Geſichtern, der Tränen in ſo manchen Augen!“ In der Tat war der Tod Friedrich Wilhelms II. gerade von den Beſten in Dreußen als Befreiung be⸗ grüßt worden. Die alten Militärs, die noch das Heer Friedrichs des Großen gekannt hatten, verfolgten mit Sorge das Nachlaſſen der militäriſchen Ausbildung und Zucht; die ſittlich hochſtehenden Kreiſe litten dar⸗ Todestag Friedrichs des Großen. 31 unter, daß ſich am preußiſchen Hof eine böſe Mä⸗ treſfenwirtſchaft entwickelt hatte. Alle blickten voll Hoffnung auf den neuen König, deſſen ernſtes Weſen, deſſen Eifer für das Heer, deſſen vorbildliches Fa⸗ milienleben im ſtärkſten Gegenſatz zum Weſen und Deben ſeines Vaters ſtanden. Trotzdem wurde dem verſtorbenen Fürſten natürlich eine würdige Lei⸗ chenfeier bereitet, von der Sander an Böttiger auf Grund der Schilderung Sophies berichtet: „Der An⸗ blick in der Domkirche bei dem Leichenbegängnis ſei in der Tat ſehr erhaben und die ganze Zeremonie ſei erſchütternd geweſen. Der letzte Chor der Kantate ... mit den ſchnellen Kanonenſchüſſen dazwiſchen, habe eine gewaltige Wirkung getan, ſo daß alle Zuhörer mit Seele ein Schauder ergriffen hätte“ (16. Dezem⸗ ber 1797). Aber nicht nur in Dreußen knüpfte man ſtarke Hoff⸗ nungen an den Thronwechſel, ſondern auch am Wei⸗ marer Fürſtenhofe verfolgte eine kluge, geiſtig hoch⸗ ſtehende Frau mit innerſter Anteilnahme die Vor⸗ gänge am preußiſchen Hof: die Herzoginwitwe Ama⸗ lie, die Richte Friedrichs des Großen. Zu dem Kreis kluger Männer und Frauen, die ſie an ihrem berühm⸗ ten „runden Tiſch“ im Wittums⸗Palais zu geiſtig an⸗ regender Geſelligkeit um ſich verſammelte, gehörte auch Karl Auguſt Böttiger. Ihm war es ein freudi⸗ ges Anliegen, der verehrten Fürſtin ſtets die neuſten Rachrichten vom preußiſchen Hof zu bringen. Er konnte es dank der Briefe ſeines Freundes Sander! Etwa zwei Monate hindurch, von Mitte November 1797 bis Januar 1798, hat der gute Sander trotz ſeiner ſonſtigen ſtarken Arbeitsbelaſtung mehrmals in 32 der Woche ausführliche Briefe über die Vorgänge nach dem Thronwechſel nach Weimar geſchrieben. „Kunſtwerke“ wurden dieſe Briefe am Weimarer Hofe genannt. Böttiger ließ ſie fein ſäuberlich ab⸗ ſchreiben; ſie wurden am „runden Tiſch“ vorgeleſen und gingen außerdem von Hand zu Hand. Auch man⸗ cherlei Dokumente über das Zeitgeſchehen, wie Zei⸗ tungsausſchnitte oder Abſchriften wichtiger neuer Ge⸗ ſetze und Erlaſſe des Königs, wurden beigefügt. Dieſe Sanderſchen Briefe ſind auch ſpäter noch vielfach als Quelle für geſchichtliche Studien über den Regie⸗ rungsanfang Friedrich Wilhelms III. benutzt worden. Sander iſt ein begeiſterter Verehrer des Königs. Er rühmt nicht nur die Einfachheit und große Spar⸗ ſamkeit des Fürſten —- im Hinblick auf die Steuerzah⸗ ler ein wohltuender Gegenſatz zur Verſchwendung Friedrich Wilhelms II. —, ſondern auch ſeine Klugheit in der Wahl ſeiner Miniſter und im Erlaß neuer Geſetze. Er betont das offenſichtliche Beſtreben des Königs und ſeiner Ratgeber, das Land gerecht und in chriſtlichem Sinne zu verwalten. Wie eine be⸗ glückende Lichtgeſtalt erſcheint in all dieſen Briefen die ſchöne junge Königin Luiſe. Ihr freundliches, ſchlichtes Weſen, das ſich namentlich auch beim Emp⸗ fang verſchiedener gewichtiger Deputationen zeigt, die dem jungen Königspaar ihre Huldigung oder auch be⸗ ſtimmte Wünſche vortragen wollten, wird eingehend beſchrieben. Der Gipfel der Begeiſterung aber wird erreicht, als Sander durch Vermittlung ſeines Freun⸗ des, des Hofmarſchalls von Maſſow, eine Audienz bei der Königin gewährt wird. Er durfte ihr den in ſeinem Verlag erſchienenen neuſten Roman von La⸗ 3 Die Sanders 33 fontaine überreichen. Dabei trug er ihr auch ein An⸗ liegen um eine geldliche Beihilfe für ſeinen Freund Lafontaine vor, die in Form einer Unterſtützung für Studienzwecke gegeben werden ſollte. Die Königin zeigte ſich in dieſer Unterredung als warme Ver⸗ ehrerin Lafontaines, hatte alle ſeine Romane geleſen und verſprach, ſich bei dem König für die erbetene Beihilfe einzuſetzen, die ſpäter auch bewilligt worden iſt. Sander ſchließt ſeinen Bericht mit den Worten: „Sehen Sie, ſo kann man mit unſerer Königin ſpre⸗ chen wie mit einer Freundin! Sie ſpricht gut, zuſam⸗ menhängend, leicht und iſt in meinen Augen das Ideal von Güte und Grazie“ (19. Dezember 1797). Der große Herder in Weimar, mit dem Sander durch Böttiger perſönlich bekannt geworden war, inter⸗ eſſierte ſich natürlich beſonders für die Vorgänge auf kirchlichem Gebiet, und ſo berichtet Sander aus⸗ führlich, wie unter Friedrich Wilhelm III. die Rechte der evangeliſchen Kirche, die unter Friedrich Wil⸗ helm II. durch das ſogenannte Wöllnerſche Edikt ſehr geſchmälert worden waren, durch Erlaſſe des Königs vom 23. November 1797 und 12. Januar 1798, denen die Entlaſſung des Miniſters Wöllner folgte, wie⸗ derhergeſtellt wurden (29. Dezember 1797; 27. Ja⸗ nuar 1708). Auch Mutmaßungen über den Verlauf des Kon⸗ greſſes zu Raſtatt (1797-1790), der die Verhält⸗ niſſe zwiſchen Frankreich, Öſterreich und den übrigen deutſchen Ländern regeln ſollte, aber ergebnislos ver⸗ lief, ſpielen in den Briefen eine große Rolle. Zwiſchen der Außen⸗ und Innenpolitik und den kirchlichen Fragen ſteht dann plötzlich wieder ein Idpll 34 aus der königlichen Kinderſtube: „Meine Frau iſt mehr als einmal in der Kinderſtube geweſen und ſagte mir: Der kleine Drinz hat, damit er hart wer⸗ den ſoll, noch immer keine Strümpfe, iſt nur, die fei⸗ nere Wäſche abgerechnet, gekleidet wie jedes andere Kind, bekommt abends weiter nichts zu eſſen als einen Teller Buchweizengrütze und dgl. Seine Gouver⸗ nante beſucht mit ihm gute Freundinnen, und er ſpielt mit allen Kindern, die er gerade antrifft. Auch meine kleine Minna hat ſchon einige Male mit ihm auf ſeinem Zimmer geſpielt, und ſie erzählt jetzt: „Der Drinz hat zu mir geſagt: Komm, kleines Mäd⸗ chen, wir wollen ſpielen. Und da haben wir getanzt. Madame Fleſche hat geſagt: Gib Minna einen Kuß.'" — Sander entſchuldigt ſich dann zwar, daß er mitten in die politiſchen Briefe dieſe kleine Erzählung ein⸗ ſchiebt. Aber „Sie ſind ja ſelbſt Vater, Sie wiſſen, wie wichtig dem alles iſt, was ſein Kind angeht“ (4. Dezember 1797). Den Abſchluß dieſer vielleicht glücklichſten, jeden⸗ falls ſorgenfreiſten Jahre im Leben Sanders und ſeiner Sophie bildet ein abermaliger Berufswechſel. Nach ſeiner Tätigkeit als Gymnaſiallehrer, dann als geſchätzter Mitarbeiter bei Haude E Spener und im Voſſiſchen Verlag wird er am 19. Dezember 1798 durch Kauf der ſeit 1761 beſtehenden Weverſchen Ver⸗ lags⸗ und Sortiments⸗Buchhandlung zum ſelbſtän⸗ digen Unternehmer5. Die Trennung von der Voſſiſchen Buchhandlung war „auf eine völlig freundſchaftliche Art und ohne den mindeſten Unwillen auf einer der beiden Sei⸗ ten“ erfolgt (4. Dezember 1798). Sander entging 35 3* dadurch den mancherlei Umſtellungen, zum Teil auch Unannehmlichkeiten, die ſich nach dem Tode des jün⸗ geren Voß infolge von Erbſchaftsſtreitigkeiten zwiſchen der Witwe und ihren Schwägerinnen für die Voſſiſche Buchhandlung ergaben. 36 Dritter Abſchnitt Die Anfänge der Verlagstätigkeit 1700—1800 Sander begann ſeine neue Laufbahn mit großen Hoffnungen und großem Idealismus. Die Hoffnun⸗ gen waren berechtigt, weil nach dem Regierungs⸗ antritt Friedrich Wilhelms III. alle Kreiſe förmlich wiederauflebten. Das geſellſchaftliche Leben nahm neuen Aufſchwung, und durch den allgemeinen Op⸗ timismus angeregt, hob ſich auch das wirtſchaftliche Leben; beides zuſammen wirkte befruchtend auf den Buchhandel, der ja ſtets ein feiner Gradmeſſer für den Stand der Kultur und der Wirtſchaft iſt. Der ſtarke Idealismus war ein Hauptzug in Sanders Weſen. „Es wird mit meinem Unternehmen gewiß gut gehen“, ſchreibt er am 22. Dezember 1798 an Böt⸗ tiger, „wenn Sie mir helfen und Lafontaine leben bleibt. Nach meinem Wunſche ſoll in meinem Verlag nichts, als was in ſeiner Art gut iſt, herauskommen; alſo will ich es den Rezenſenten nicht ſchwer machen, meine Verlagsbücher zu loben. Aber dennoch ſind mir Empfehlungen nötig, beſonders bei der Allgemeinen Literatur⸗Zeitung. Da rechne ich denn auf Sie . .. Die heutigen Zeitgenoſſen berührt die große Wert⸗ ſchätzung Lafontaines durch einen ſo gründlich und vielſeitig gebildeten Mann wie Sander etwas merk⸗ würdig. Der Romanſchriftſteller Lafontaine iſt ver⸗ geſſen, wird kaum noch in Literaturgeſchichten er⸗ wähnt, wiewohl man ihn zu den Begründern der Fa⸗ 37 milienromane mit ſozialem Einſchlag rechnen kann, die ſpäter in der deutſchen Literatur durch Schrift⸗ ſteller wie Friedrich Spielhagen, Paul Heyſe, Theo⸗ dor Fontane und andere ihre künſtleriſche Vollendung gefunden haben. Lafontaines Romane in Bauſch und Bogen gering zu ſchätzen oder lächerlich zu machen, wie es vielfach geſchah, iſt ungerecht. Wenn man von der zu ſeiner Zeit üblichen Weitſchweifigkeit und Sen⸗ timentalität abſieht, ſind manche ſeiner Romane und Erzählungen auch heute noch lesbar und behalten als Sittenſchilderungen der damaligen Zeit ihren Wert. Wie Lafontaine von den Beſten ſeiner Zeit beurteilt wurde, geht daraus hervor, daß ſeine Romane auch am „Runden Tiſch“ der Herzogin Amalie zu allge⸗ meinem Entzücken vorgeleſen wurden und daß Her⸗ der und Wieland einige Romane aus Lafontaines Frühzeit, z. B. den Roman „Klara du Hleſſis“ und „Leben und Taten des Freiherrn von Flaming“, be⸗ deutend höher einſchätzten als Goethes „Wilhelm Meiſter¹6. Allerdings ſanken die ſpäteren Werke La⸗ fontaines durch ſein ſchnelles und flüchtiges Arbei⸗ ten herab; er hat im ganzen über 120 Romane ver⸗ faßt. Zu damaliger Zeit aber waren die Hoffnungen, die Sander auf ſeinen Freund Lafontaine ſetzte, be⸗ rechtigt. Durch Böttigers Vermittlung gelang es Sander, auch den damals gleich erfolgreichen Jean Paul (Pſeudonym für Johann Paul Friedrich Rich⸗ ter) für ſeinen Verlag zu gewinnen; ebenſo war durch Böttiger die Verbindung Sanders mit Garlieb Mer⸗ kel und Auguſt von Kotzebue zuſtande gekommen, zwei Verbindungen, die ſich allerdings ſpäter als ſehr un⸗ heilvoll für Sander erwieſen. Sander entwickelt im 38 erſten Jahr ſeiner Verlagstätigkeit einen freudigen Unternehmungsgeiſt, hat aber auch eine ſtarke Ar⸗ beitslaſt. „Wenn ich nicht eine ſo eiſerne Geſund⸗ heit hätte, ſo müßte ich in der Tat von allen Arbei⸗ ten kaputt werden“ (1. März 1799). Aber ein Jahr ſpäter kann er Böttiger berichten, daß ſein Verlag auf der Leipziger Meſſe „mit einem ganzen Füllhorn von ſchönen und guten Artikeln“ vertreten ſein wird (11. März 1800). Unter dieſen Artikeln nehmen die Werke des 1798 verſtorbenen Ramler, dem man den Ehrennamen „der preußiſche Horaz“ gegeben, ſowie Gedichte und Oden von Klopſtock einen Ehrenplatz ein; aber den größten buchhändleriſchen Erfolg bringt der neue Roman von Lafontaine „Theodor“ und die neue Auflage ſeines Romans „Hermann Lange“. Während Sander im beruflichen Leben gute Er⸗ folge beſchieden ſind, ſteigen im Familienleben aller⸗ lei Wolken auf. Sophie erlebt ihre dritte Schwanger⸗ ſchaft, die nicht ſo glatt verläuft wie bei den erſten beiden Kindern, ſondern ihr viele Beſchwerden bringt, die den liebevollen Gatten mit Kummer und Sorge erfüllen. Aber am 2. Februar 1790 kann er dem Freunde melden: „Mit meiner lieben Sophie geht es gut. In der folgenden Woche ſoll der kleine Heide, vielleicht an meinem Geburtstag, weil es denn nun doch einmal geſchehen muß, getauft werden.“ Spä⸗ ter heißt es: „Mein jüngſter Knabe heißt Karl Wil⸗ helm Heinrich Ferdinand und iſt ein tüchtiger Junge, der ebenſo werden wird wie Ihr von allen Weibern und Mädchen als ein ſchönes Kind gelobgeigter Pate Auguſt“ (30. März 1790). Doch nur kurze Zeit konnten ſich die Eltern an der 39 Entwicklung ihres jüngſten Kindes freuen. Am 29. Oktober desſelben Jahres entſchuldigt ſich Sander bei ſeinem Freunde Böttiger wegen einer längeren Pauſe im Briefſchreiben: „Bis vor zehn oder zwölf Tagen hat mich der Druck eines neuen Buches von Lafontaine beſchäftigt; und dann — dann nahm mir häusliches Leiden alle Heiterkeit. Meine beiden älte⸗ ren Kinder bekamen die Maſern. Wir rechneten dar⸗ auf, daß nun auch das jüngſte, Wilhelm, ſie bekom⸗ men würde. Aber ſie blieben zurück. Am Sonnabend, gerade am Geburtstag meiner Frau, ſtarb das ſchöne freundliche Kind. Noch am Morgen, um 8 Uhr, ſaßen wir, die Mutter und ich, vertraulich beieinander und ahnten keine Gefahr. Schon vor 12 Uhr war das Kind tot. Die Blumen, die ich der Mutter am 26. geſchenkt hatte, bekam es am 27. mit in den Sarg. Ich kann mich noch immer nicht faſſen, ob ich gleich ſchon mehr als einmal eine Träne geweint habe. Es war ein ſo ſchönes Kind und ſo freundlich, wie ich nie eins ge⸗ ſehen hatte. Die beiden älteren haben die Maſern überſtanden; aber noch immer ſind ſie nicht außer Gefahr. Der nach dieſer böſen Krankheit gewöhnliche Huſten droht in einen Keuchhuſten überzugehen. Der Himmel behüte uns, daß wir nicht auch eins von die⸗ ſen Kindern verlieren! Ich würde noch untröſtlicher ſein als die Mutter.“ Aber es vergehen noch Wochen, ehe die Sorge um das Leben der beiden älteren Kinder gebannt iſt, und an ihren Krankenbetten entwickelt ſich ein für die Eltern höchſt qualvoller Arzteſtreit. Sander, dem für ſeine Kinder nichts zu teuer war, begnügt ſich nicht mit der Behandlung durch den Hausarzt Dr. Heim, 40 ſondern zieht einen jüngeren Arzt, Dr. Erhard, zu, der nach einer neuen, aus England ſtammenden Methode behandelte und auch manche aufſehenerregenden Er⸗ folge erzielt hatte¹7. Aber den Kindern bekommt dieſe Methode keineswegs, ſondern der Zuſtand verſchlim⸗ mert ſich, namentlich bei Minchen. Als beide Arzte, Heim und Erhard, in der Krankenſtube zuſammen⸗ treffen, ſagt der alte Heim ſehr energiſch: „Das Kind iſt nicht ſo krank, wie es ausſieht. Weg mit der Arz⸗ nei! Es ſoll Zitronenſäure und Hafergrütze bekom⸗ men.“ Die Arzte und die Eltern einigen ſich dann, daß Heim die Behandlung des Knaben, Erhard die des Mädchens weiter übernimmt. Der Knabe wird unter der naturgemäßen Behandlungsweiſe bald ge⸗ ſund, das Mädchen kommt durch zu ſtarke Doſen einer Opium⸗Medizin in einen furchtbaren Zuſtand, aus dem es dann wieder der alte Heim mit kühlenden Sachen und einer Weintrauben⸗ und Ananasdiät ret⸗ ten muß. Erſt Anfang Dezember iſt die Lebensgefahr auch für das Mädchen gebannt. Sander atmet auf;, aber: „Ich habe nun auf mein ganzes Leben genug an dem Brownſchen Syſtem, und auch meine Kinder will ich, ſobald ſie es verſtehen können, davor bewahren“ (9. Dezember 1799). In der ſchweren Prüfungszeit, die durch Tod und Krankheit über das Haus Sander hereingebrochen war, blieb Sophie, weil ſie die beſſeren Nerven hatte, äußerlich ruhiger als der Mann. Aber ſie wich Tag und Racht kaum von den Betten der Kinder, bis die Gefahr überſtanden. Es war gut für ſie geweſen, daß ſie ſich im Sommer eine Erholungsreiſe nach ihrem geliebten Dprmont hatte gönnen können. Von Anfang 41 Juli bis Anfang September 1700 war ſie von Berlin abweſend, und der zärtliche Gatte litt ſehr unter der Trennung. Aber Sophie benutzte die Reiſe nicht nur zum Ausruhen nach der ſchweren Schwangerſchaft und der Geburt des kleinen Wilhelm, ſondern diente auch mit großem Eifer den buchhändleriſchen Plänen San⸗ ders. Schon am 11. Juni 1790 ſchreibt Sander: „Meine Frau ſoll nach Dyrmont reiſen und wird von da mit ihrem Vater nach Göttingen gehen. Vielleicht macht ſie eine Bekanntſchaft mit Eichhorn, einem Schüler von dem verſtorbenen Bruder meiner Frau, Diederichs, zuletzt Drofeſſor in Königsberg ... Ich muß mir notwendig noch einige Bekanntſchaften mit tüchtigen Schriftſtellern verſchaffen; denn da ich nun einmal Buchhändler bin, ſo will ich keiner der unbe⸗ deutenden bleiben.“ Aber auch ſonſt hatte Sophie auf dieſer Reiſe einige für ihren Mann wertvolle Verbindungen anknüpfen können. Sie hatte in Braunſchweig bei dem pädagogi⸗ ſchen Schriftſteller Campe logiert, in Halberſtadt bei Gleim gefrühſtückt, in Magdeburg hatte ihr der Freund ihres Mannes Niemeyer alles vorgeſtellt, was von bedeutenden Menſchen dort war. In Pyrmont ſelbſt war ſie der Mittelpunkt eines geſelligen, geiſtig hoch⸗ ſtehenden Kreiſes geweſen. Beglückt kann Sander am 17. September 1700 ſchreiben: „Zuerſt muß ich Ihnen ja wohl ſagen, daß meine Frau vollkommen wiederher⸗ geſtellt iſt, ſo vollkommen, daß ſie gar etwas Embon⸗ point oder doch ein kleines Unterkinn mitgebracht hat. Die Wirkung des Dyrmonter Brunnens und Bades an ihr iſt auffallend, und alle unſere Bekannten kön⸗ nen ſich nicht genug darüber wundern. Nun hat ſie 42 denn auch ihre ganze Heiterkeit, ihren gutmütigen Mutwillen wieder und neckt alles, was ihr nur nahe kommt. Sie haben das frohſinnige Weib, als Sie in Berlin waren, gar nicht ſo recht kennengelernt; denn auch damals kränkelte ſie, und überdies waren Sie ihr eine Art Reſpektsperſon. Aber kommen Sie nur wie⸗ der, dann bleiben auch Sie nicht verſchont." Daß die frohſinnige und dabei ungemein kluge Frau ein ſtarker Magnet für den Sanderſchen Salon war und dadurch mittelbar auch dem Verlagsgeſchäft hel⸗ fen konnte, iſt bei der damaligen Art des geſellſchaft⸗ lichen Lebens in Berlin nicht zu verwundern. 43 Vierter Abſchnitt Der Sanderſche „Salon' 1800 bis etwa 1805 Menn von den Berliner „Salons“ zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Rede iſt, deren geiſtreiche und anmutige Geſelligkeit berühmt war, ſo wird dabei faſt immer nur an die Kreiſe um Henriette Herz und Rahe! Varnhagen gedacht. Man weiß zwar, daß auch noch andere ſolche Mittelpunkte des geiſti⸗ gen Lebens beſtanden, wie etwa das Haus des mit E. M. Arndt nahe befreundeten Buchhändlers Rei⸗ mer; aber die meiſten Namen der Gaſtgeber ſind ver⸗ geſſen. So iſt es auch dem Salon ergangen, deſſen Seele Sophie Sander bildete. Ihre beiden „Kon⸗ kurrentinnen“ auf dem Gebiet der Geſelligkeit haben ſich eines größeren Nachruhmes erfreuen können. Hen⸗ riette Herz iſt durch ihre berühmten Freunde, nament⸗ lich Wilhelm von Humboldt und Schleiermacher, be⸗ kannt geworden und hat durch ihre Lebenserinnerun⸗ gen für den eigenen Nachruhm geſorgt¹s. Rahel Varnhagen fand in ihrem ſie anbetenden Gatten den Schriftſteller, der ſowohl in ſeinen Denkwürdigkeiten wie namentlich durch die Herausgabe ihrer Briefe ihr Andenken lebendig erhalten hat¹9. Sophie hat weder für den eigenen Nachruhm geſorgt noch Freunde ge⸗ funden, die es für ſie getan hätten, obgleich der „San⸗ derſche Salon“ in ſeiner Bedeutung für das geiſtige Leben Berlins in der Zeit etwa zwiſchen 1800 und 1806 den beiden anderen Häuſern mindeſtens eben⸗ 44 bürtig, wenn nicht überlegen war. Sander hat dar⸗ unter gelitten, daß ſeine geliebte Sophie durch Frauen wie Henriette Herz und Rahel Varnhagen, ferner durch Goethes jüdiſche Bekannte aus Karlsbad, die ſchönen Schweſtern Sara und Marianne Meyer, in den Schatten geſtellt wurde. Er klagt gelegentlich dar⸗ über, daß ſelbſt Wilhelm von Humboldt die Berliner Geſelligkeit nur nach dieſen Kreiſen beurteile, in denen er bei ſeinem Aufenthalt in Berlin überwiegend ver⸗ kehrt habe (14. Januar 1797). Für die Ausgeſtaltung ſeines Salons brannte ſtets ein von Eitelkeit viel⸗ leicht nicht ganz freier Ehrgeiz in Sanders Seele. In der erſten hoffnungsfreudigen Zeit nach der Übernahme der Verlagsbuchhandlung ſchreibt er an Böttiger: „Sobald ich ein nicht ſehr fern geſtecktes Ziel erreicht habe, ſoll mein Haus ein Sammel⸗ platz der beſten Köpfe in Berlin ſein und allen literariſchen Fremden eine gaſtfreie Aufnahme ge⸗ währen“ (17. September 1799). Dieſes Wunſchbild konnte mit Sophies Hilfe als tüchtiger Hausfrau ver⸗ wirklicht werden. Der Geiſt des Sanderſchen Hauſes war ähnlich dem Geiſt der Mittwochs⸗Geſellſchaft. Man ſchwärmte für „Humanität“ in der doppelten Bedeutung dieſes Wortes: als reine Menſchlichkeit und zugleich als vertiefte Bildung im humaniſtiſchen Sinne, und huldigte entſprechend der Auffaſſung jener Zeit dem Gedanken der „Toleranz“. Getreu dieſen Gedanken begegneten ſich im Sanderſchen Hauſe Chriſten und Juden, Freidenker und konfeſſionell Ge⸗ bundene, Politiker aller Richtungen, vor allem auch die damals beſonders hart zuſammenprallenden lite⸗ rariſchen Richtungen der „Alten“ und der „Jungen“. 45 Die Geſelligkeit des Sanderſchen Hauſes ſpielte ſich entweder in den Stunden am Mittagstiſch ab —- das Sanderſche Haus war berühmt wegen des guten Eſſens und Trinkens —, noch häufiger aber in den Teeſtunden am Rachmittag oder Abend. Die Seele dieſer Teeſtunden war Sophie; denn der durch ſeine Verlagsgeſchäfte ſtark in Anſpruch genommene Ehe⸗ mann konnte ſich oft erſt in den ſpäten Abendſtunden von ſeinem „Comptoir“ trennen. Den Eindruck, den das Ehepaar Sander und namentlich die Derſönlich⸗ keit Sophies in dieſer Zeit machte, hat der Schrift⸗ ſteller Friedrich Laun, der ſie auf der Oſtermeſſe 1802 in Leipzig kennenlernte, anſchaulich wieder⸗ gegeben 20: „Der beſte Gewinn daraus (d. h. der Oſtermeſſe) war eine ziemliche Anzahl intereſſanter Bekanntſchaf⸗ ten. Zu dieſen gehörte das Ehepaar Sander, und vor⸗ züglich die weibliche Hälfte desſelben, eine nicht hohe, aber wohlgeformte Figur. Noch mit dem Reize der Jugend geſchmückt, ſprach aus ihren zarten Geſichts⸗ zügen und beſonders dem geiſtvollen Auge eine un⸗ gemeine Anmut. Von dem richtigſten Takte für alles Schickliche durchdrungen, hielt ſie außerordentlich Haus mit der Rede, was Frauen gewiß zu jeder Zeit wohl anſteht. Dabei war aber ihre Rede in der Regel ſo klug und bedeutend, daß man der großen Tugend des weiblichen Schweigens an ihr zuweilen hätte feind werden können. Die Ironie, welche ihren fein geſchnit⸗ tenen Mund umſpielte, war eine ihr auch in Worten zu Gebote ſtehende ſcharfe Waffe. Zuweilen leuchtete aus ihren Blicken eine recht wohltuende Freundlich⸗ keit. Wer aber von den vielen Männern, denen eine 46 ſo liebliche Erſcheinung nicht gleichgültig war, ihr dar⸗ tat, daß dieſe Freundlichkeit ihn zu falſchen Hoffnun⸗ gen verleite, der fühlte ſich gewiß recht bald von dem Ausdruck eines zwar eiskalten, aber doch keineswegs unartigen Stolzes hinreichend geſtraft und auf den rechten Weg zurückgewieſen .. Den größten Ruhm verdiente unter anderm die ungemeine Einfachheit des Anzugs von Madame Sander ... Er, der Buch⸗ händler Sander, an Jahren ſeiner Gattin weit vor⸗ aus, war von einer wahrhaft koloſſalen Natur, übri⸗ gens ein wackerer, recht lebendiger Mann mit geſun⸗ dem Verſtande, dem aber für die neuen Anſichten in Wiſſenſchaft und Kunſt alle Teilnahme abging. Im Herbſt des Jahres 1802 kam Laun auf An⸗ regung Sanders nach Berlin, um wertvolle Verbin⸗ dungen für ſeinen ſchriftſtelleriſchen Beruf anzuknüp⸗ fen. Er berichtet darüber: „Abgeſehen von dem hohen vielfachen Intereſſe, welches die ſchöne preußiſche Re⸗ ſidenz darbietet, war ſchon das Sanderſche Haus allein ein ſehr anziehender Erholungspunkt. Wie in allen dortigen angeſehenen Häuſern war der einmal darin Eingeführte jeden Tag zur gewöhnlichen Tee⸗ zeit willkommen. An Aufwand koſtenden Glanz und Luxus kein Gedanke. Deſto angenehmer und heimi⸗ ſcher fühlte ſich aber auch jeder in dem raumvollen, netten, heiteren Zimmer am Teetiſche, wo die rei⸗ zende Hausfrau das Amt des Einſchenkens und Dar⸗ bietens mit freundlicher Zierlichkeit verwaltete.“ Von der großen Zahl der Gäſte des Sanderſchen Hauſes, die in Sanders Briefen an Böttiger oder auch ſonſt in zeitgenöſſiſchen Briefen und Tagebüchern erwähnt werden, ſeien hier nur einige angeführt, um 47 die Vielſeitigkeit des Kreiſes zu ſchildern. Die Bezie⸗ hungen zum Hofe und dadurch mittelbar zu dem dauernd hoch verehrten Königspaar wurden gepflegt durch den Umgang mit dem Hofmarſchall Valentin von Maſſow und mit Friedrich Delbrück, einem Schul⸗ freunde Sanders, der im Sommer 1800 zum Erzie⸗ her der beiden kleinen Drinzen, des ſpäteren Königs Friedrich Wilhelm IV. und Kaiſers Wilhelm I., nach Berlin berufen war². Delbrück durfte in vollem Ein⸗ verſtändnis mit den königlichen Eltern ſeinen Zög⸗ ling in das Sanderſche Haus mitnehmen, und der kleine Kronprinz ſpielte wieder ſehr vergnügt mit Minchen und dem kleinen Auguſt Sander. Bezie⸗ hungen zum Beamtentum waren durch den Verkehr mit dem Staats⸗ und Finanzminiſter Schroetter und Sanders Schulfreund, dem Finanz⸗, Kriegs⸗ und Domänenrat Klewitz, gegeben. — Die verſchiedenſten Zweige der Wiſſenſchaft von der Nationalökonomie bis zur Theologie waren vertreten durch Männer wie Fichte, Wilhelm von Humboldt, den Schweizer Hi⸗ ſtoriker Johannes von Müller, den jungen Volkswirt Adam Heinrich Müller, die Theologen Zöllner und Ancillon und den Pädagogen Spalding. Gäſte des Hauſes Sander waren bei ihren Beſuchen in Berlin auch ſtets der berühmte Drofeſſor der Medizin und Anatomie Loder aus Jena und der Profeſſor der Theologie Niemeyer aus Halle. Die Muſik war durch den Leiter der Berliner Singakademie Zelter ver⸗ treten. Dem Berufe des Hausherrn und der Neigung ¹Ob Sander tatſächlich beim Prinzen Louis Ferdinand verkehrt hat, wie Theodor Fontane in ſeinem Roman „Schach von Wuthenow“ angibt, ließ ſich bisher nicht feſtſtellen. 48 der Hausfrau entſprechend war das Sanderſche Haus aber vor allem ein Sammelplatz der Dichter und Schriftſteller aller Richtungen, von den damals noch jugendlichen Kampfhähnen, dem Brüderpaar Auguſt Wilhelm und Friedrich Schlegel, bis zu ihren ſchärf⸗ ſten Widerſachern Garlieb Merkel und Auguſt von Kotzebue. Später verkehrte im Sanderſchen Hauſe auch eine Gruppe jüngerer Dichter und Schriftſteller, die ſich um Varnhagen von Enſe und Chamiſſo ſcharten. Hein⸗ rich von Kleiſt wurde 1800 durch ſeinen Freund Adam Müller in das Sanderſche Haus eingeführt. — Auch Ausländer, die zu längerem oder kürzerem Aufenthalt in Berlin eintrafen, wurden gaſtlich aufgenommen. Unter ihnen verdient Guſtav von Brinkmann, der ſchwediſche Diplomat, hervorgehoben zu werden. Er genoß in vielen Kreiſen, auch bei Schiller und Goethe, hohes Anſehen und verdiente wohl das Lob, das Fried⸗ rich Gentz ihm ſpendet: „Mit einem zuverläſſigen Charakter, mit Feinheit im Beobachten und Feſtigkeit im Handeln, mit einer ſeltenen Diberalität des Urteils und der Geſinnungen verbindet er eine Menge ver⸗ ſchiedener Talente, einen außerordentlichen Vorrat an Kenntniſſen aller Art und eine Beleſenheit, die ihn in jeder wiſſenſchaftlichen Sphäre einheimiſch macht. 22 Viele der genannten Männer ſind durch ihr Schaf⸗ fen bis auf den heutigen Tag bekannt geblieben; ihr Wirken und auch ihr perſönliches Leben brauchen an dieſer Stelle nicht geſchildert zu werden. Nur auf diejenigen Gäſte des Hauſes Sander mögen einige Streiflichter fallen, die im Leben Sophies früher oder ſpäter eine gewiſſe Rolle geſpielt haben. Bei der 4 Die Sanders 49 Verſchiedenartigkeit der Gäſte die Geſelligkeit har⸗ moniſch zu geſtalten, dazu gehörte viel Klugheit und Herzenstakt der Hausfrau, namentlich dann, wenn ge⸗ legentlich nicht nur die Gegenſätze der „Alten“ und der „Jungen“ aufeinander platzten, ſondern auch noch Eiferſüchteleien der verſchiedenen Verehrer Sophies die Lage erſchwerten. Sophie wappnete ſich daher oft mit einem äußerlich ſehr kühlen Verhalten, ſo daß Jean Paul ſie einmal mit einer „ſchönen, ſternenhellen Winternacht“ verglich²³. Einem Gaſt gegenüber aber konnte ſich ihr Frohſinn, ihre Herzensgüte, ihr Hu⸗ mor ungehindert entfalten, weil jede Mißdeutung ausgeſchloſſen war: das war der Romanſchriftſteller Auguſt Lafontaine. Ihn behandelte Sophie ſtets mit beſonderer Auszeichnung, und zwar nicht nur weil er jahrelang ihres Mannes erfolgreichſter Autor war, ſondern auch weil er ſelbſt ihr mit warmherziger Ver⸗ ehrung entgegenkam. Sehr humoriſtiſch ſchildert Laun den Gegenſatz zwiſchen dem Menſchen Lafontaine und ſeinen Romangeſtalten: „Es kann vielleicht keinen Autor geben, deſſen Werke in ſo ſchreiendem Kon⸗ traſte mit ſeiner Perſon und ganzen Art und Weiſe ſtehen, als es bei Lafontaine der Fall war. Wer hätte in dem mit einer Fülle der Geſundheit begabten, wie das Wohlbehagen ſelbſt ausſehenden dicken freund⸗ lichen alten Manne die Maſſe von weißen, blaßblauen Frauenkleidern, roſenfarbigen Buſenſchleiern, weſpen⸗ ſchlanken Taillen, großen blauen ſchmachtenden Augen und goldenen Locken geſucht, die er alljährlich auf ſo⸗ viele Bogen Papier aus den Armeln ſchüttelte?9 4 Das Verhältnis Sophies zu einem anderen Gaſt des Hauſes, zu Jean Paul, der auch ein erfolg⸗ 50 reicher Autor zu werden verſprach, war zunächſt kühler. Der von dem Kreis ſeiner weiblichen Leſer ſehr ver⸗ wöhnte Dichter war zunächſt enttäuſcht von Sophie; aber der Weg zwiſchen den beiden Herzen wurde dann durch die Kinder geebnet. „Unſere Kinder ſcheinen ihm mehr zu gefallen als die Mutter, die wenig von ſeinen Schriften geleſen hat und der er darüber zu⸗ weilen eine Neckerei ſagt“ (21. Juli 1800). Jean Paul intereſſierte ſich beſonders für den damals drei⸗ jährigen Auguſt, der ein ſehr eigenartiges Kind war. Was gab es Schöneres für die glückliche junge Mut⸗ ter, als über ihre Kinder zu ſprechen und dem päd⸗ agogiſchen Dichter „Anekdoten“ ihres Auguſt zu er⸗ zählen. Eine dieſer Anekdoten, die Sander ſeinem Freunde Böttiger berichtet, ſei hier mitgeteilt, weil ſie ein kleines Streiflicht auf Sophie als Mutter wirft: „Die Mutter, deren Augapfel er iſt, gibt ihm doch wohl einmal, wenn er es zu arg treibt, ein paar Klapſe oder die Rute. Geſtern tritt er vor die Mutter hin, berührt einen Moment ganz leiſe ihren Arm und ſagt dazu: Tut das weh? —-Nein, mein lieber Sohn. - Ich habe dich auch lieb, Mutter, darum ſchlage ich dich nicht ſo, wie du mich geſtern geſchlagen haſt. — Nun ſehe ich ſchon voraus, die Mutter wird es nicht mehr über das Herz bringen, dem Jungen auch nur einen einzigen Schlag zu geben“ (24. Auguſt 1801). Als das vierte Kind, ein Mädchen, am 1. November 1801 geboren wird, iſt die Freundſchaft bereits ſo herzlich, daß Jean Paul die Patenſchaft übernimmt und am 16. Dezember 1801 aus Meiningen an So⸗ phie ſchreibt: „Liebe Frau Gevatterin — aber dieſer altväteriſche Titel iſt eine zu tiefe Nachthaube für 4* 51 Ihr jugendliches Geſicht ... Wie froh werde ich die mir noch geſtaltloſe Pate an meine Lippen drücken, wenn ich vorher bei der Mutter angefangen. 25 Eine eigenartige Erſcheinung in dem Sanderſchen Salon bildete der Dichter und Dramatiker Zacha⸗ rias Wernerss. Als Werner im Jahre 1802 mit Sander in einen zunächſt nur brieflichen Verkehr trat, hatte der damals 34 jährige Dichter bereits ſehr ſtür⸗ miſche Jahre hinter ſich, die durch große Sinnlichkeit und große Verſchwendungsſucht gekennzeichnet ſind. Zwei Eheſcheidungen lagen bereits hinter ihm. Die dritte Ehe mit einer Dolin einfacher Herkunft hielt er ſelbſt für glücklich, da er die Frau ſehr liebte; aber auch dieſe Ehe wurde im Jahre 1805 auf Verlangen der Frau geſchieden. Im Jahre 1796 hatte er durch eine Beamtenſtellung in dem 1795 unter preußiſche Herrſchaft gekommenen Warſchau nach vielem Hin und Her eine gewiſſe Seßhaftigkeit erlangt, fühlte ſich aber in dieſer Stellung höchſt unglücklich. Er hatte ein Trauerſpiel „Die Söhne des Tales“ geſchrieben, in dem das Schickſal der Tempelritter behandelt wird. Aus der trocknen Beamtentätigkeit ſehnte ſich der Dichter fort, um ſich ganz dem dichteriſchen Schaffen widmen zu können. Ein jüngerer aus Berlin ſtammen⸗ der Freund und Bewunderer des Dichters, Eduard Hitzig, der eine Zeitlang gleichfalls als preußiſcher Beamter in Warſchau beſchäftigt war, vermittelte die Bekanntſchaft zwiſchen Werner und Sander, und Sander hat ſich dann Jahre hindurch als eifriger Freund, Gönner und Förderer Werners bewährt. Er nahm 1803 und 1804 „Die Söhne des Tales“ in ſeinen Verlag, was bei der Unbekanntheit des Dich⸗ 52 ters und den mancherlei Sonderbarkeiten des Werkes ein großes geſchäftliches Wagnis war. Wie bei allen ſeinen Verlagswerken wandte er der Ausſtattung und der ſtiliſtiſchen Feile an dem Werk die größte Auf⸗ merkſamkeit zu. Dem dramatiſchen Gedicht liegt der hiſtoriſche Vorgang der Auflöſung des Ordens der Tempelritter durch Dhilipp den Schönen von Frank⸗ reich im Jahre 1312 zugrunde. Der erſte Teil „Die Templer auf Cypern“ ſpielt kurz vor der Abreiſe der Templer nach Frankreich, wo ihnen der Prozeß ge⸗ macht werden ſoll; der zweite Teil „Die Kreuzesbrü⸗ der“ ſpielt ſieben Jahre ſpäter und behandelt den mit vielen Intrigen geführten und mit dem Märtyrertode des letzten Großmeiſters Jakob von Molnay enden⸗ den Drozeß. In beiden Teilen finden ſich Stellen von großer Schönheit, aber beide enthalten auch Län⸗ gen, die ſie für eine Aufführung auf der Bühne un⸗ geeignet machen. Auch befremdet die merkwürdige Miſchung von katholiſchem Glaubensgut mit frei⸗ maureriſchen Gedankengängen und Gebräuchen. Die Szenen im erſten Teil beiſpielsweiſe, die die Ein⸗ weihung zweier junger Ordensritter in der Form alter Myſterien ſchildern, ſind von einer geradezu grauſigen Phantaſtik. Sie ſollen aber, nach Werners Angaben, die bei den Templern damals üblichen und ſpäter von den Freimaurern übernommenen Riten bei der Auf⸗ nahme neuer Mitglieder mit größter hiſtoriſcher Treue ſchildern. In Sanders Verlag erſchien von Januar 1804 bis Ende Juni 1805 eine geiſtig ſehr hochſtehende Zeit⸗ ſchrift „Eumonia“, die von dem früheren Mitglied des Kapuzinerordens Feßler herausgegeben war. 53 Feßler war aber ſchon bei ſeiner Ordination (1770 dem Katholizismus innerlich entfremdet und trat 1701 zum Droteſtantismus über. Er hatte ſich auch den Freimaurern angeſchloſſen, war aber 1802 aus dem Logenweſen ausgetreten, nachdem er zuſammen mit Fichte vergeblich verſucht hatte, dort die Beſeitigung der Grade und aller Geheimniskrämerei zu errei⸗ chen²¹. Feßler war und blieb jedoch einer der gründ⸗ lichſten Kenner der Freimaurerei, und es war für Werner ſehr wertvoll, durch Sander die Verbindung zu Feßler zu bekommen, der bei der Beurteilung der freimaureriſchen Vorgänge in beiden Teilen der „Söhne des Tales“ Hilfe leiſtete. Feßler brachte auch in der „Eumonia“ (Januar, März, April 1804) ſehr günſtige lange Aufſätze über dieſes dramatiſche Erſt⸗ lingswerk Werners. Sander förderte aber nicht nur das dichteriſche Schaffen Zacharias Werners, ſondern ſetzte ſich auch für die Verbeſſerung ſeines perſönlichen Schickſals ein. Werner fühlte ſich in Warſchau „ans kalte Dienſt⸗ joch geſchmiedet ... täglich die Kunſt bejammernd, die er der Pflicht opfern muß“¹. Sein Sehnen und Streben ging dahin, nach Berlin zu kommen, und zwar in eine Beamtenſtellung, die ihm eine geſicherte Lebensſtellung gab, aber möglichſt viel Zeit zu dichte⸗ riſchem Schaffen ließ. Sander erwirkte durch ſeine Verbindungen mit dem Miniſter Schroetter und ſei⸗ nem Jugendfreund Klewitz, daß Werner zunächſt einen immer wieder verlängerten Urlaub bekam, um Zeit für ſein Werk zu gewinnen, und ſchließlich gelang Aus einem Brief Werners an Sophie Sander aus War⸗ ſchau, geſchrieben am 4. Juli 1804. 54 es auch, ihm eine ſeinen Wünſchen entſprechende Stel⸗ lung im Kammerſekretariat des Miniſters Schroetter zu verſchaffen. Kurz vor der Abreiſe von Warſchau ſchreibt Werner am 13. Oktober 1805 noch einen Dan⸗ kesbrief an Sander, der mit den Worten ſchließt: „Ich wiederhole es noch einmal, Sie edler trefflicher Mann ſind, ohne mich zu kennen, der Schöpfer mei⸗ nes Glücks. Gott ſegne Sie in Ihrer Familie dafür und ſchenke mir das Glück, Ihnen den vollen tiefen Dank, die innigſte Hochachtung bezeigen zu können, mit der ich zeitlebens beharre Ihr ganz gehorſamſter Freund und Diener Werner. Zacharias Werner mußte es vor allem darauf an⸗ kommen, mit dem Berliner Theater, alſo mit Iff⸗ land, in Verbindung zu kommen. Ferner ſehnte er ſich nach der Bekanntſchaft mit Fichte und Johan⸗ nes von Müller. „Wie ſehr beneide ich Ihnen die Freundſchaft Fichtes und des herrlichen Johannes Müller“, ſchreibt er am 2. Februar 1805 an Sander. Johannes von Müller kam Werner mit dem größ⸗ ten Wohlwollen entgegen. Nach der Lektüre der „Söhne des Tales“ glaubte er in Werner einen „Schiller den Zweiten“ begrüßen zu können²s. Mül⸗ ler, ein geborener Schweizer, Verfaſſer einer viel⸗ gerühmten Geſchichte der Schweiz, hatte nach man⸗ chem Hin und Her 1804 in Berlin eine Stellung als Hiſtoriograph des königlichen Hauſes erhalten und befaßte ſich namentlich mit Studien über Friedrich den Großen²³. Johannes von Müller gehörte zu den ſtark umſtrittenen Perſönlichkeiten ſeiner Zeit. Viele der beſten Geiſter haben ihn um ſeiner Werke willen hochgeſchätzt, z. B. Goethe und Schleiermacher, ſowie 58 die Profeſſoren Sartorius in Göttingen und Wolf in Halle30. Andere ſtießen ſich an ſeinem nicht ſehr an⸗ genehmen Außeren und an einer gewiſſen charakter⸗ lichen Schwäche in ſittlichen Dingen, ganz zu ſchwei⸗ gen von dem Groll der preußiſchen Patrioten nach 1806, als Müller in Napoleoniſche Dienſte tratst Angeſichts der gegenſeitigen Wertſchätzung geſtalteten ſich die Beziehungen zwiſchen Werner und Müller ſehr freundſchaftlich. Wie hoch ſich Werner das Ziel für ſeine Kunſt geſteckt hatte, ein wie ſtarkes Selbſt⸗ bewußtſein er aber auch beſaß, geht aus einem Brief an Iffland aus Warſchau vom 15. Juni 1805 her⸗ vor. Er will durch ſeine Dramen „die deutſche tragiſche Bühne führen und auf einen Standpunkt erheben ..., von wo ſie ihrer Schweſter, der Religion, die Hand bieten konnte. Das ſchien der große unſterbliche Schil⸗ ler gefühlt zu haben, als er ſich wie ein göttlicher Heros zum Korpphäen der tragiſchen Bühne konſti⸗ tuierte ... Aber — und das iſt die große Frage! — ſollen wir bei dem Dunkte, wohin er gekommen, ſtehen⸗ bleiben oder fortſchreiten? Eine intereſſante Bereicherung für den Sander⸗ ſchen Salon, aber auch eine Bereicherung für Sophies perſönliches Leben bedeutete die Rückkehr des jungen Adam Heinrich Müller in ſeine Vaterſtadt Ber⸗ lin, nachdem er von 1798 bis 1801 an der Univerſi⸗ tät Göttingen als Studierender der Diplomatik im⸗ matrikuliert geweſen. Er hatte ſich dort namentlich geſchichtlichen und volkswirtſchaftlichen Studien ge⸗ widmet³². Adam Müller war Sophies elf Jahre jüngerer Vetter. Nach ſeiner ihm bereits in zarteſter Jugend entriſſenen Mutter Anna Sophia Henriette 56 geborene Pahl hatte Sophie Sander zwei ihrer Tauf⸗ namen erhalten. Als der zweiundzwanzigjährige hoch⸗ begabte junge Mann nach Berlin zurückkam, wurde er von zwei Seiten in das geſellſchaftliche Leben Ber⸗ lins eingeführt: Der fünfzehn Jahre ältere Friedrich Gentz, der trotz der eigenen großen Klugheit dem jün⸗ geren Freund eine wahrhaft rührende verehrungsvolle Freundſchaft entgegenbrachte, hat zum Sanderſchen Hauſe anſcheinend keine Beziehungen gehabt; aber in dieſes fand Adam Müller naturgemäß durch ſeine Verwandtſchaft mit Sophie Eingang. Und bald ſiegte das Sanderſche Haus über die ihm durch Gentz geöff⸗ neten Kreiſe; der Magnet, der ihn dort hinzog, war ſeine Kuſine Sophie. „Unſtreitig gehörte die ganze Kraft der Haltung von Madame Sander dazu, daß ſeine leidenſchaftliche Verehrung dieſer liebenswürdi⸗ gen, auch ihn beſonders ſchätzenden Frau, nicht in ein zu mißbilligendes Verhältnis ausartete. Denn eine ziemlich lange Zeit waren offenbar ihre Augen die einzigen Sonnen ſeines Lebens.“³3 Gentz, der damals abwechſelnd in Wien, in England und in Dresden war, leidet darunter, daß Müller den vorher eifrig gepflegten Briefwechſel mit ihm völlig vernachläſſigt. In einem Brief an den gemeinſamen Freund Brink⸗ mann vom 9. April 1803 beklagt ſich Gentz, daß Mül⸗ ler ſich ſeit zwei Monaten trotz zehn flehender Briefe in Stillſchweigen gehüllt habe, und wenige Tage ſpä⸗ ter ſtellt er den jüngeren Freund ſelbſt brieflich zur Rede: „Selbſt die heftige Leidenſchaft, in der Sie ſich, wie ich von anderen höre, noch immer befinden, entſchuldigt Sie nicht; auch ich habe unter dieſem blühenden Himmelsſtriche oft gelebt und weiß, was 57 man den Leidenſchaften aufopfert, aber auch, was man ihnen nie aufopfern muß. 34 Adam Müllers Schweigen iſt aber nicht allein aus der Leidenſchaft für Sophie zu erklären, ſondern auch aus der Beſeſſenheit für ſein Erſtlingswerk, an dem er damals arbeitete. Zu Beginn des Jahres 1804 erſchien dieſes Werk, das er „Die Lehre vom Gegenſatz“ nannte. Mit der klugen hochgeſinnten Freundin hatte er auch über dieſes Werk, das in ihm wuchs, ſprechen können, beſſer als mit männlichen Freunden, in deren Urteil ſich häufig genug etwas Reidgefühl des Wett⸗ bewerbs einſchleicht. Auch Gentz ſtand ſpäter dieſem Werke ſehr kritiſch gegenüber. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts ging durch das geiſtige Leben Deutſchlands eine ungeheure Woge der Aktivität. Den Anhängern der Franzöſiſchen Revolu⸗ tion war es zwar nicht gelungen, die „Weltrevolu⸗ tion“ nach Alt⸗Dreußen hin weiterzutreiben. Zu feſt gefügt ſtand noch der Staat Friedrichs des Großen, und auch die ſittlich hochſtehende Art der Regierung des jungen Königs Friedrich Wilhelm III. bewahrte das Land vor revolutionären Erſchütterungen. „Sacre dieu! II nous perd la révolution“, ſo hatte ein franzöſi⸗ ſcher Republikaner es ausgedrückt, als er von einigen beſonders guten Anordnungen nach dem Regierungs⸗ antritt hörte . Aber geiſtige Strömungen kennen keine Landesgrenzen, und ſo ſind auch Einflüſſe der Franzöſiſchen Revolution auf das deutſche Geiſtes⸗ leben unverkennbar, ſei es auch nur in der leidenſchaft⸗ lichen Parteinahme für oder gegen die Revolution. Die jungen deutſchen „Dichter und Denker“ hatten Sander an Böttiger, 27. Januar 1798. 58 damals auch alle etwas von einer Fauſtnatur in ſich, die keine Grenzen kennt, ſondern alles, alles zu um⸗ faſſen und zu verſtehen ſucht. So wollte Jacharias Werner Religion und dramatiſche Kunſt wieder in enge Beziehung ſetzen, ſo wie einſt im alten Griechen⸗ land Kultus und Theater miteinander verknüpft wa⸗ ren. So hatte Fichte ſich zum Ziel geſetzt, Politik und Philoſophie in ſeinem Wirken zu vereinigen. Der junge Adam Müller griff in ſeinem Erſtlingswerk noch viel weiter: es ſollte Religion, Geſchichte, Dhilo⸗ ſophie und alle Schönheit der Erde in Kunſt und Na⸗ tur umfaſſen! „Die Lehre vom Gegenſatz“ macht einen fragmen⸗ tariſchen und nicht völlig ausgereiften Eindruck. Das geht ſchon aus der äußeren Form hervor, indem die Vorrede einen unverhältnismäßigen Umfang dem Geſamtwerk gegenüber einnimmt.s5 Aber in dieſem Erſtlingswerk liegen ſchon im Keim alle Gedanken, die Müller in ſeinen ſpäteren Werken gründlicher ausgeführt hat, vor allem ein eindeutiges Bekenntnis gegen die Franzöſiſche Revolution, ferner eine viel⸗ leicht erſt in der Jetztzeit voll verſtandene Kritik des Individualismus, wonach ſich „jeder ein⸗ zelne kalt und ungeſellig aus den bürgerlichen wie aus den ſittlichen Beziehungen zum Ganzen losriß“. Zwei bedeutende Männer ſind, wie Adam Müller in der Vorrede bekennt, die Wegweiſer zu ſeinem Werk ge⸗ weſen: der engliſche Hiſtoriker Edmund Burke mit ſeinen gegen die Franzöſiſche Revolution gerichteten „Betrachtungen über die Franzöſiſche Revolution“ und Goethe, deſſen „heiterem ernſten Geiſte“ Müller huldigte. In dieſen beiden Männern und ihren Wer⸗ 59 ken kommt der Gegenſatz zum Ausdruck, zu dem Mül⸗ ler die Syntheſe finden wollte: Staatswiſſenſchaft und Dichtkunſt, Politik und künſtleriſche Lebensauf⸗ faſſung. Die Verehrung für Goethe brachte Adam Müller in dem Sanderſchen Salon an die Seite der Früh⸗ romantiker Tieck und der Brüder Schlegel, und da⸗ durch in ſcharfen Gegenſatz zu den Goethe⸗Gegnern Garlieb Merkel und Auguſt von Kotzebue. In die Abneigung gegen Merkel miſchte ſich auch noch etwas Eiferſucht, da auch Merkel ſich erlaubte, Madame Sander den Hof zu machen, bis Sophie ſich energiſch die etwas zudringlich werdenden Huldigungen Mer⸗ kels verbat. In der Ilias hat Homer neben den leuchtenden Helden Achilles die traurige Geſtalt des Schmähers und Zänkers Therſites geſtellt. Der Name Therſites iſt faſt zum Gattungsnamen für ſolche Naturen ge⸗ worden, die nicht imſtande ſind, die Größe anderer anzuerkennen, ſei es daß ſie verehrungsvoll zu den Größeren aufblicken oder zum mindeſten in manch⸗ mal wehmütiger Entſagung die Unterſchiede der Größe anerkennen. Nein, Therſites kann weder das eine noch das andere, ſondern ſucht „das Strahlende zu ſchwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen“. Als eine ſolche Therſites⸗Natur iſt Garlieb Mer⸗ kel durch ſeinen gehäſſigen Kampf gegen Goethe in die Literaturgeſchichte eingegangenss. Merkel, ein ge⸗ borener Livländer, hatte ein Werk „Die Letten, vor⸗ züglich in Livland, am Ende des philoſophiſchen Jahr⸗ hunderts“ geſchrieben. Da eine Drucklegung und Ver⸗ öffentlichung des Werkes im damaligen Rußland un⸗ 60 möglich geweſen wäre, ſo ſiedelte er 1796 nach Deutſchland, und zwar zunächſt nach Weimar über. Merkel wurde von Wieland und Herder ſehr freund⸗ lich, von Goethe und Schiller dagegen ſehr kühl auf⸗ genommens?. Man ſchob es auf Merkels gekränkte Eitelkeit, daß er als Journaliſt ſpäter Wieland und Herder anerkannte und lobte, gegen Schiller und na⸗ mentlich auch gegen Goethe ſehr kritiſch vorging. Viel⸗ leicht tut man ihm aber mit dieſer Einſchätzung ſeines Kampfes Unrecht. In politiſch und geiſtig bewegten Zeiten wandeln ſich die Anſichten der Generationen ſehr ſchnell. So war z. B. auch Sander ein großer Verehrer der älteren Klaſſiker Wieland, Herder, Leſſing, während ihm Goethe und Schiller fremder blieben. Sander war aber durchaus keine Therſites⸗ Natur, ſondern erkannte die Größe Goethes und Schillers an, auch wenn ſeine Liebe mehr bei Wie⸗ land und Herder war. Merkel hingegen ſetzte ſein mangelndes Verſtehen in gehäſſige Kampfesweiſe um. Im Jahre 1790 kam Merkel zunächſt nur vorüber⸗ gehend nach Berlin und, von Böttiger empfohlen, in das Sanderſche Haus. Als er ſich dann im Jahre 1800 zu längerem Aufenthalt in Berlin niederließ, iſt er faſt täglich Gaſt im Sanderſchen Hauſe. Er kommt dem Ehemann Sander innerlich näher, weil beide die gleiche Verehrung für die „alte Richtung“, dagegen tiefe Abneigung gegen die „neue Richtung der Brüder Schlegel empfinden. Im Sanderſchen Sa⸗ lon verkehren die Anhänger beider Richtungen. San⸗ der, eine durchaus verſöhnliche Natur, verſuchte ſo⸗ gar, einen Ausgleich zwiſchen den ſtreitenden Par⸗ teien herbeizuführen, indem er ſie am runden Tiſch 61 in ſeinem Hauſe zuſammenbrachte. Es kam aber ſtatt deſſen mehrmals zu unliebſamen Szenen. Inzwiſchen war auch die literariſche Fehde zwiſchen den „Alten“ und den „Jungen“ immer heftiger geworden. Zu⸗ nächſt hofft Sander auch hier auf eine Abſchwächung. Am 11. März 1800 ſchreibt er an Böttiger: „Sie ſa⸗ gen in Ihrem Briefe: es würde den meiſten meiner Artikel“ übel ergehen, wenn die Herren Schlegel eine Antiliteratur⸗Jeitung zu Markte ließen. Nun es möchte darum ſein. Doch glaube ich es kaum. Meine Frau wird dem Friedrich Schlegel einmal den Kopf waſchen, und ſie wird das ſo lachend tun, daß es ihm ſelbſt gefallen muß.“ — Aber Sander hat die Tiefe des Gegenſatzes unter⸗ und den Einfluß Sophies überſchätzt. Die Brüder Schlegel hatten ſich 1798 in der Zeitſchrift „Athenäum“ ihr Sprach⸗ rohr gegründet, in dem ſie Goethe und ihren Freun⸗ deskreis erhoben und ihre Gegner herunterriſſen. Sie machten in ihrem Kampf ſelbſt vor dem ehr⸗ würdigen Wieland nicht halt und ſuchten Sanders Freund, den guten braven Lafontaine, lächerlich zu machen. Das ließ nun auch Freund Merkel nicht ruhen! Am 26. Auguſt 1800 berichtet Sander von Merkels Dlan, eine wöchentlich erſcheinende kritiſche Literatur⸗Zeitſchrift zu gründen. „Er ſcheint nun ein⸗ mal entſchloſſen, mit den Herren Bernhardi, Schle⸗ gel und Kompanie anzubinden, und in ſeinem erſten Blatt werden Ausfälle gegen das Archiv der Zeit, die Bambocciaden, das Athenäum und die Lucinde vorkommen." 38 Gemeint ſind die von Sander verlegten Werke. Anm. d. Verf. 62 Da Sander in ſeiner Abneigung gegen die Roman⸗ tiker völlig eines Sinnes mit Merkel war, ſo ließ er ſich leicht dazu bewegen, das Blatt in Kommiſſions⸗ verlag zu nehmen. Das Blatt erſchien vom Septem⸗ ber 1800 ab unter dem Titel „Briefe an ein Frauen⸗ zimmer über die wichtigſten Drodukte der ſchönen Li⸗ teratur“. Aber aus dieſem Kommiſſionsverlag er⸗ wachſen Sander Unannehmlichkeiten über Unannehm⸗ lichkeiten. Merkel greift nicht nur die Schriftſteller an, denen auch Sander kritiſch gegenüberſteht, ſondern „er fällt auch Menſchen an, die ich liebe. Sie werden, glaube ich, den Kopf ſchütteln über das dritte Stück ſeines Blattes ... Und doch hat er auf mein und meiner Frau Zureden noch manches gemildert' (15. September 1800). In dieſer Rummer war ein Werk von Jean Paul heruntergeriſſen, und Jean Dauls berechtigter Unwille über dieſe Kritik über⸗ trug ſich zeitweilig auch auf Sanders. Ebenſo mied Fichte das Sanderſche Haus, denn „die verdammten Briefe“ hinderten ihn an einem Beſuch (13. Dezem⸗ ber 1800). Ähnliche Erlebniſſe machte Sander auch mit anderen Derſonen ſeines Kreiſes, namentlich als die Tonart der Briefe immer gehäſſiger wurde und Merkel nicht nur die Schlegelſche Schule, ſondern auch Werke von Schiller und Goethe angriff. Am Schluß des erſten Jahrgangs ſah ſich Sander gezwungen, dem 12. Briefe folgende Erklärung beizufügen: „Der Unterzeichnete glaubt es ſich ſchuldig zu ſein, den in dieſen Briefen geradezu oder doch nebenher getadel⸗ ten Schriftſtellern, die er faſt alle perſönlich kennt und von denen er einige herzlich liebt, beſtimmt zu erklären, daß er nicht Verleger dieſer Briefe iſt, ſon⸗ 63 dern ſie nur ohne Eigennutz als Kommiſſionär in ſeiner Handlung debitieren läßt, was er dem Herrn Herausgeber um ſo weniger abſchlagen konnte, als er mit demſelben ſchon ſeit einigen Jahren in freund⸗ ſchaftlichen Verhältniſſen ſteht, ohne darum deſſen Meinungen und Urteil zu den ſeinigen zu machen. — Bei dieſer Gelegenheit darf er zugleich ſagen, daß die Frau, an welche ein Gerücht die gegenwärtigen Briefe ſchreiben läßt, der irrigen Vermutung mit vollem Rechte widerſprechen kann. J. D. Sander. Böttiger, der nach wie vor mit Merkel befreundet war, ſuchte Sander von dieſer Erklärung zurückzuhal⸗ ten; aber Sander erwiderte ihm, daß er ſie vor allem auch ſeiner Frau ſchuldig wäre, die man für das „Frauenzimmer“ hielt, an die Merkel die Briefe rich⸗ tete und die ſchon „von der Madame Herz ſchiefe Geſichter bekam und die vielleicht von der Clique, ohne dieſe Erklärung, inſultiert worden wäre. Übri⸗ gens hat Merkel die Erklärung vor dem Abdruck ge⸗ ſehen und genehmigt“ (2. Dezember 1800). Aber trotz des Übereinkommens über die Erklärung ſpitzte ſich das Verhältnis zwiſchen Sander und Merkel immer mehr zu. Im Mai 1801 gab Sander auch den Kommiſſionsverlag auf. Der Verkehr Merkels im Hauſe Sander geht jedoch weiter, wenn auch nicht mehr ſo rege wie im Anfang von Merkels Berliner Aufenthalt. Mehrmals kommt es zu ſcharfen äſthetiſch⸗ literariſchen Auseinanderſetzungen, wenn Schlegels und ihr Anhang zufällig mit Merkel im Sanderſchen Salon zuſammentreffen. Sander berichtet darüber am 12. Februar 1802 und 14. Dezember 1802 ausführ⸗ lich an Böttiger. Als Merkel ſich nach einer ſolchen 64 Zuſammenkunft eine grobe Taktloſigkeit gegen So⸗ phie und zwei ihrer Gäſte, Fichte und Auguſt Wilhelm Schlegel, erlaubt, kommt es zum endgültigen Bruch. Sander, der durch die Erfahrungen mit einer Ther⸗ ſites⸗Natur wie Merkel hätte gewarnt ſein müſſen, trat trotzdem noch ein zweites Mal in engere ge⸗ ſchäftliche Verbindung mit einer Therſites⸗Natur: Auguſt von Kotzebue. Die im Jahre 1800 durch Böttiger vermittelte Bekanntſchaft ließ ſich zunächſt recht gut an. Kotzebue ließ ſein autobiographiſches Werk „Das merkwürdigſte Jahr meines Lebens“ im Sanderſchen Verlag erſcheinen (1801), und es wurde ein großer buchhändleriſcher Erfolg. „Das merkwür⸗ digſte Jahr“ ſchildert die JZeit, die Kotzebue als ruſſi⸗ ſcher Gefangener in Sibirien verleben mußte. Kotzebue, ein Weimarer Kind, hatte ſich 1780 als Advokat in Weimar niedergelaſſen, mußte es aber ſchon nach Jahresfriſt verlaſſen, da er ſich infolge ſatiriſcher Angriffe dort mit vielen verfeindet hatte. Er war dann einige Jahre in Rußland tätig und er⸗ zielte mit den in dieſer Zeit entſtandenen Theater⸗ ſtücken große Erfolge. Auch konnte er ſich 1784 mit einer ſehr vermögenden Livländerin verheiraten. 1707 wurde er nach Wien als Theaterdichter berufen, kehrte aber bald nach ſeiner Vaterſtadt Weimar zurück. Schon dort begann er den Kampf gegen die „neue Richtung“, indem er 1790 in einem klei⸗ nen ironiſchen Drama, „Der hyperboreiſche Eſel“, die Brüder Schlegel, insbeſondere den Roman „Lu⸗ cinde“, verſpottete³³. Im April 1800 reiſte Kotzebue mit ſeiner Familie zur Ordnung von Familien⸗ und Vermögensangelegenheiten nach Rußland, wurde aber, 5 Die Sanders 65 obwohl die Päſſe und alle ſonſtigen Papiere völlig in Ordnung waren, jenſeits der preußiſch⸗ruſſiſchen Grenze ſofort verhaftet und ohne Unterſuchung oder Angabe irgendwelcher Gründe nach Sibirien ver⸗ ſchickt. Nach vier Monaten erfolgte ebenſo plötzlich die Rückberufung aus Sibirien, und Kotzebue erhielt ſo⸗ gar die Leitung des deutſchen Theaters in Peters⸗ burg. Als aber der ihm damals günſtig geſinnte Zar Paul I. im Jahre 1801 ermordet wurde, zog es Kotze⸗ bue vor, nach Weimar zurückzukehren. Hier ging es ihm ähnlich wie Merkel: Es gelang ihm nicht, in die Goethe⸗ und Schiller⸗Kreiſe hineinzukommen, und ſo wurde er zum heftigen Goethe⸗Gegner49. Bei einem Beſuch in Berlin erfuhr er dagegen viele Ehrungen, wurde auch von der Königin Luiſe in längerer Audienz empfangen . Zu dem geſellſchaftlichen Erfolg kamen nun noch die Erfolge ſeiner Theaterſtücke im Ber⸗ liner Theater, kein Wunder alſo, daß Kotzebue ſeinen Wohnſitz von Weimar nach Berlin verlegte. Das Gründen von Zeitſchriften war damals bei den lite⸗ rariſchen Heißſpornen ſehr beliebt; jeder wollte ſein eigenes Sprachrohr haben! Auch Kotzebue rief im Januar 1803 eine Zeitſchrift, „Der Freimütige“, ins Leben, die er zunächſt allein, dann ſeit 1804 mit Mer⸗ kel zuſammen herausgab⁴¹. Sander übernahm den Verlag und hatte in geſchäftlichem Sinne mit dieſer Zeitſchrift ebenſolchen Erfolg wie mit dem „Merk⸗ würdigſten Jahr“. Aber was dieſes unglückſelige, im Therſites⸗Geiſt geſchriebene Blatt Sander an Auf⸗ regung und Qual gekoſtet hat, wie er die Gunſt der * Bericht Sanders an Böttiger, 4. Januar 1801. 66 Großen in Weimar dadurch verlor, das iſt die bit⸗ tere Kehrſeite! Davon wird im folgenden Abſchnitt noch die Rede ſein. Doch nicht nur die Begegnung mit den Therſites⸗ Naturen, die mit dem gütigen und verſöhnlichen Geiſte Sanders und der begeiſterungsfähigen Froh⸗ natur Sophies in keinerlei Übereinſtimmung ſtanden, bedrohte die Harmonie des Sanderſchen Hauſes: noch viel dunklere Schatten hielt das Schickſal bereit. Sie lagen vor allem in dem körperlichen Zuſtande San⸗ ders. Er, der ſich zu Anfang der Verlegertätigkeit noch ſeiner „eiſernen Geſundheit“ rühmen konnte (1. März 1790), wurde ſpäter faſt in jedem Jahr ein⸗ mal von Hals⸗ und Bruſterkrankungen befallen. Aber ſchlimmer als dieſe körperlichen Beſchwerden waren die hppochondriſch⸗melancholiſchen Stimmungen, un⸗ ter denen er oft zu leiden hatte. Der eigene Verlag brachte ihm zwar größere Vermögensvorteile als die abhängige Stellung bei der Firma Voß; aber er brachte ihm auch geſchäftliche Sorgen und Verpflich⸗ tungen, denen ſeine im Grunde künſtleriſche Natur nicht gewachſen war. Man merkt es den Brie⸗ fen an Böttiger förmlich an, wie der fröhlich be⸗ ſchwingte Ton der Briefe ſich zu immer größerem Ernſt in der Schilderung von mancherlei Sorgen und Argerniſſen wandelt. Traten dann noch die hypochon⸗ driſchen Stimmungen hinzu, ſo geriet der ſonſt ſo eif⸗ rig gepflegte Briefwechſel ins Stocken, und auch die in guten Zeiten ſo feine und klare Handſchrift wird zerfahren und undeutlich. Eine der Urſachen zu San⸗ ders Hypochondrie lag neben den geſchäftlichen Sor⸗ gen auch in der Schwerhörigkeit, von der Sander in 5* 67 ſteigendem Maße befallen wurde. Erſchütternd tritt das in einem Briefe Zacharias Werners hervor, der ſich nach dem Briefwechſel mit Sander und all der Förderung, die er durch Sander erfahren, auf die perſönliche Bekanntſchaft gefreut hatte: „Sander iſt ein trefflicher Mann; aber es iſt nicht auszuhalten mit ſeiner Taubheit und Hypochondrie. Ich habe noch von ihm kein Wort herausbringen können. Seine Frau iſt ſehr geſcheit und wacker und weniger präten⸗ tiös, als ich's gedacht“ (Dezember 1805)4² Den Nebel, den die Schwerhörigkeit um Sander breitete, hätte Sophie mit ihrem ſchönen, gut tragen⸗ den Organ und etwas Sorgfalt beim Sprechen wohl durchdringen können. Aber der Hppochondrie des Mannes ſtand ſie verſtändnislos und wohl oft auch ungeduldig gegenüber. Das härteſte Schickſal jedoch, das Sander traf, war das allmähliche ſeeliſche Aus⸗ einanderleben mit der heißgeliebten Frau. Sophie hatte zuerſt aus einem gewiſſen Trotz gegen Merkel heraus ſich eingehender mit den Werken der „neuen Richtung“ beſchäftigt, u. a. auch die Vorträge von Auguſt Wilhelm Schlegel beſucht. Sander ſchreibt darüber am 14. Dezember 1802: „Etwa vor zwei Jahren wurde meine Frau, Merkel zum Poſſen, eine Schlegelianerin; und nun bleibt ſie das, wenigſtens einigermaßen, um ſich kein Dementi zu geben: Denn daß ſie eine wahre Anhängerin jener Herren ſein könnte, iſt bei ihrem hellen und feinen Verſtande gar nicht möglich. Sander, als Anhänger der „Alten“, urteilt wohl hier nicht ganz gerecht. Gerade der „helle und feine Verſtand“ ließ Sophie das in die Zukunft weiſende 68 Gedankengut erkennen. Vor allem aber teilte ſie mit den „Schlegelianern“ deren damalige große Begei⸗ ſterung für Goethe. Ehe das ſeeliſche Auseinander⸗ leben der Gatten ſich zu einem immer tieferen Kon⸗ flikt geſtaltete, war Sophie ein Erleben geſchenkt, das ſie bis zu ihrem Tode als einen Gipfelpunkt ihres Daſeins empfunden hat. Sie lernte Goethe perſönlich kennen und durfte ſich eine Zeitlang ſeiner Huld er⸗ freuen! 69 Fünfter Abſchnitt Beziehunigen zu Goethſe 1796—1804 Obgleich Sander in äſthetiſcher Hinſicht auf Seite der „Alten“ ſtand und gegen die damaligen Goethe⸗ Herolde, die Brüder Schlegel, eine tiefe Abneigung empfand, ſchätzte er viele der dichteriſchen Werke Goethes hoch ein; aber mit ſeinem ſtarken Gefühl für Moral und Familienleben ſtand er dem Men⸗ ſchen Goethe ablehnend gegenüber. So ſchreibt er am 15. Oktober 1796 an Böttiger: „Ihr Mitbürger Goethe iſt, wie ich weiß, ein großer Mann; aber, wie man mir verſichert, nichts weniger wie ein guter: und nun tut es mir ordentlich weh, ihn nicht auch für dieſen halten zu können; denn ſeitdem man mir ſo⸗ viel Böſes von ihm geſagt hat, leſe ich auch die Schriften von ihm, die ich ſonſt bewunderte, nicht mehr mit halb ſovielem Vergnügen.“ Die Meinung über Goethe, auch über den Menſchen Goethe, wan⸗ delte ſich, als Sander im Jahre 1797 in eine Art ſtiller Mitarbeiterſchaft zu Goethe trat. Goethe hatte ſeine Dichtung „Hermann und Dorothea“ ganz in der Stille vollendet, ſelbſt mit Schiller nie über das in ſeinem Geiſte keimende und reifende Werk ge⸗ ſprochen, das ihm bis in ſein hohes Alter hinein be⸗ ſonders am Herzen lag, ſo daß er „es nie ohne innigen Anteil leſen“ konnte43. Er wollte, daß dieſes Werk auch in äußerlich vollendeter Form erſcheinen ſollte, und hatte Wilhelm von Humboldt gebeten, die Druck⸗ 70 legung, die in der Voſſiſchen Druckerei für den Ver⸗ lag Vieweg in Berlin erfolgte, zu überwachen. Hum⸗ boldt dankt ihm in einem Brief aus Jena vom 6. Mai 1797 für dieſen Vertrauensbeweis und ſpricht ſich zu⸗ gleich lobend über den Korrektor aus, einen Herrn Sander, „der ſelbſt Schriftſteller iſt und mir ein ge⸗ nauer und ſorgfältiger Mann ſcheint“44. Sander ſetzt ſich nun wegen der von ihm vorgeſchlagenen Ver⸗ beſſerungen, die teils nur die Zeichenſetzung, teilweiſe aber auch das Versmaß und ſonſtige ſtiliſtiſche Fei⸗ len betreffen, mit Humboldt, aber auch mit Goethe unmittelbar ins Benehmen und iſt beglückt darüber, daß Goethe „wirklich nicht eigenſinnig iſt“, ſondern die meiſten vorgeſchlagenen Verbeſſerungen gernüber⸗ nimmt. So wie Goethe ſelbſt beim erſten Vorleſen der Dichtung bei der Herzogin Amalie am 25. De⸗ zember 1796 tief ergriffen war und alle Zuhörer er⸗ ſchütterte45, ſo wirkte das Werk auch auf Sander in der Zeit des Korrekturleſens. Namentlich hat ihm „der letzte Geſang in Goethes Epopöe vorzüglich ge⸗ fallen, zumal eine ſchöne Stelle im Munde des Pfar⸗ rers über Jugend und Alter; das iſt Goethens gänz⸗ lich wert“ (27. Juni 1797). Auch die Neuen Gedichte, die Goethe im Jahre 1800 bei Unger erſcheinen ließ, wurden von Sander korrigiert, und wie zufrieden Goethe damit war, geht aus einem Brief an Unger vom 2. April 1800 hervor, worin er ſchreibt: „Herrn Sander danken Sie für ſeine Bemühungen. Es iſt mir ſehr angenehm, die letzte Korrektur in ſeinen Händen zu wiſſen. 46 Zu einer perſönlichen Begegnung zwiſchen Goethe 71 und ſeinem Korrektor kam es bei der Leipziger Buch⸗ händlermeſſe im Frühjahr 1800. Sander mußte als Verleger dieſe Meſſen regelmäßig beſuchen; aber dies⸗ mal nimmt er ſeine geliebte Sophie mit, der nach dem Tode ihres jüngſten Kindes und der ſchweren Krankheit der beiden älteren Kinder im Herbſt und Winter 1790 eine Auffriſchung dringend not tat. Die Bekanntſchaft mit Goethe wird durch den in Leipzig wohnenden Theater⸗ und Romanſchriftſteller Rochlitz vermittelt. Am 7. Mai 1800 notiert Goethe in ſeinem Tagebuch: „Abends mit Herrn und Madame Sander und Herrn Rochlitz erſt im Ro⸗ ſental, dann in einem öffentlichen Garten und mit beiden erſten ſodann im Hotel de Saxe zu Nacht gegeſſen.“ Bereits am nächſten Tage wird die Bekanntſchaft fortgeſetzt. Im Tagebuch vom 8. Mai 1800 heißt es: „Zu Tiſche Herr und Madame Sander, abends Kon⸗ zert der jungen Dixis, wobei ſie viel Beifall ernte⸗ ten, ſodann abends bei Sanders.. Nicht der ernſte, durch ſeine Schwerhörigkeit in der Unterhaltung gehemmte Mann veranlaßte Goethe zu der eifrigen Fortſetzung der Bekanntſchaft, nein, der Magnet war Sophie! Goethe fand in ihr das, was er „an einem jungen Frauenzimmer“ liebte: „das Schöne, das Jugendliche, das Neckiſche, das Zutrau⸗ liche, den Charakter, ihre Fehler, ihre Kapricen und Gott weiß was alles Unausſprechliche ſonſt“. Man liebte, nach Goethes Urteil im Alter, an den jungen Frauenzimmern „nicht den Verſtand47. Sophie beſaß zwar auch einen ſehr hellen Verſtand, aber ſie fiel ihm damit nicht läſtig, wie es ihm wohl ſonſt man⸗ 72 ches Mal von den geiſtreichelnden Frauen, die ſich um ihn drängten, geſchah. Am 13. Mai 1800 kommt ein erneutes Wiederſehen, diesmal in beſonders feſtlicher Form. Der Buch⸗ händler Vieweg gibt eine große Mittagsgeſellſchaft, zu der hauptſächlich Buchhändler aus Berlin und Kö⸗ nigsberg eingeladen ſind. Goethe erſcheint als Ehren⸗ gaſt, und den Platz neben ihm bekommt, ihm zur Freude und ihr zur Beſeligung, Sophie! Ihr Tiſch⸗ nachbar auf der anderen Seite iſt der Freiherr von Retzer, der innerlich verachtete, aber zugleich gefürch⸗ tete allmächtige Bücherzenſor der öſterreichiſchen Re⸗ gierung in Wien. Von ſeinem Wohlwollen oder Miß⸗ vergnügen hing das Schickſal der deutſchen Bücher in Öſterreich ab. Das gute Eſſen und die bezau⸗ bernde Tiſchnachbarin ſollten ihn wohl, auch für künf⸗ tige Zeiten, dem deutſchen Buchhandel gegenüber milde ſtimmen. Noch nach Jahren, als ſchwere Schick⸗ ſale über Öſterreich, Preußen und das Haus Sander dahingebrauſt waren, erinnert ſich Retzer an dieſes Zuſammentreffen und ſchreibt am 18. Oktober 1808 an Goethe: „O, dies waren glücklichere Zeiten, als ſie (d. h. Sophie Sander) zwiſchen uns beiden in Leipzig an Viewegs Tafel ſaß 48 Am nächſten Tag nach dieſem Höhepunkt des Leip⸗ ziger Aufenthalts ſchlägt freilich die Abſchiedsſtunde. Goethe vermerkt in ſeinem Tagebuch, daß er mit dem berühmten Anatomen Loder aus (ena, einem Freunde Sanders, und dem Ehepaar Sander zuſammen mit⸗ tags an der Table d'hote geſpeiſt hätte. Aber es war zunächſt nur eine kurze Trennung, denn ein Wieder⸗ ſehen in Weimar ſtand bevor. An die Leipziger Reiſe 73 des Ehepaares Sander ſchloß ſich eine Reiſe nach Weimar. Sanders waren Gäſte des Hauſes Bötti⸗ ger. Böttiger konnte ſich nun für all die Güte, die ihm im Sommer 1797 als Gaſt des Sanderſchen Hauſes zuteil geworden, erkenntlich zeigen. Er hat das auch in reichem Maße getan und Sander die perſönliche Bekanntſchaft mit vielen hervorragenden Derſönlichkeiten Weimars vermittelt. Sander war am meiſten beglückt, daß er die von ihm hochverehrten Dichter Wieland und Herder kennenlernte. Für So⸗ phie blieb die ſtrahlende Sonne ihres Weimarer Aufenthaltes natürlich Goethe! Zweimal erlebte ſie das Glück, daß ſie klopfenden Herzens die ſchön ge⸗ ſchwungene Treppe des Hauſes am Frauenplan em⸗ porſteigen durfte, daß das „Salve“ am Fuß der Treppe auch ihr galt. Aber ſie hatte kaum einen Blick für die Schönheit des Treppenhauſes und der darin aufgeſtellten Statuen; ſie fieberte förmlich dem Augenblick entgegen, wo „Er“ ihr im blauen Saal entgegentrat, wo ſeine ſtrahlenden großen Augen ihr freundlich leuchteten. Am 29. Mai 1800 notiert Goethe in ſeinem Tagebuch eine größere Geſellſchaft „gegenüberſtehender Gäſte“. Außer Sanders waren u. a. Bertuch und Loder mit ihren Ehefrauen und Töch⸗ tern geladen, die Maler Bury und Meyer, der Mine⸗ raloge Voigt, im ganzen etwa zwanzig Perſonen. Goethe belebte dieſen Kreis durch ſeine Gegenwart ſo, wie es ſpäter ſein getreuer Eckermann noch von dem alternden Goethe anſchaulich geſchildert hat: „Er ging bald zu dieſem und jenem und ſchien immer lieber zu hören und ſeine Gäſte reden zu laſſen als ſelber viel zu reden. Aber man hörte doch „den beſonderen lie⸗ 74 ben Klang ſeiner Stimme, die mit keines anderen zu vergleichen“. Er ging bei heller Beleuchtung ſei⸗ ner Zimmer von einer Gruppe zur andern, man hörte ihn „ſcherzen und lachen und heiteres Geſpräch füh⸗ ren“ 49. Aber noch ſchöner als dieſes Zuſammenſein im größeren Kreis war der Abend des 2. Juni 1800, als zunächſt gemeinſam die Oper „Cosi fan tutte“ be⸗ ſucht wurde und nach der Oper Sanders, Loder und Frommanns bei Goethe im kleinen vertrauten Kreis zuſammen waren. Dieſes Zuſammenſein in der Oper hatte ſich die kleine energiſche Madame Sander durch den folgenden Brief an Goethe vom 2. Juni 1800 errungen: „Es würde mir ſchwer werden, Weimar zu verlaſſen, ohne Sie vorher noch einmal geſehen zu haben; und doch hat man meine Zeit hier ſo eingeteilt, daß ich nur mit Mühe einige Minuten für mich gewinnen kann. Nun iſt die Frage: ob Sie, großer ſtolzer Mann, es über ſich erhalten können, einem ſo armen kleinen Weſen, als ich bin, zuerlauben, daß es ſich noch dieſe wenigen Minuten in Ihrer Geſellſchaft glücklich fühlt? Wären Sie vielleicht heute nach dem Theater zu Hauſe oder täten Sie es mir wohl zu Gefallen, in die Loge zu kommen, worin wir ſind? Oder hätten Sie morgen mittag, wenn wir von Schiller zurück⸗ kommen, einen Augenblick für uns? Daß Sie uns nach Ettersburg begleiten werden, wage ich nicht zu hoffen, obgleich mein Mann in Ihrem Geſichte etwas geleſen haben will, das vielleicht dieſen ſehr lobens⸗ würdigen Gedanken verraten haben könnte. Ich leſe nicht gut Geſichter, und am wenigſten traue 75 ich mir's zu, in dem Ihrigen zu leſen; aber ſollte mein Mann ſich nicht geirrt haben, o, ſo bitte ich Sie, füh⸗ ren Sie dieſe ſchöne Idee noch aus und begleiten Sie uns morgen; da fährt außer der Frau Regierungs⸗ rätin Voigt niemand mit. Sie ſind ſtolz und kalt, und doch fühlt man ſich zu Ihnen hingezogen. Ich bin ganz wider meinen Willen Ihre Verehrerin Sophie Sander.“ Auf dieſe Fahrt nach Ettersburg, wohin Schiller ſich zurückgezogen hatte, um an ſeiner Maria Stuart zu arbeiten, beziehen ſich auch zwei Briefe Charlotte von Schillers an ihren Mann. Am 29. Mai 1800 be⸗ richtet ſie ihm: „Goethe hat heute ein großes Gaſt⸗ mahl. Madame Sander iſt da und der Mann, den du kennſt“. Sie waren geſtern in meiner Loge, die Frau iſt nicht übel und hat ſchöne Züge, aber etwas Abgelebtes“ und Leichtes. Sie hat erzählt, daß Goethe verſprochen habe, ſie ſolle dich ſehen, und du biſt vor einer Viſite nicht ſicher.“ Dann berichtet Charlotte weiter am 31. Mai: „Die Berliner Dame war geſtern bei mir und treibt es ſehr, dich zu ſehen, und fragte ſo, ob ſie dir wohl recht käme, und ich ſollte ihr einen Brief an dich mitgeben; ich habe aber natürlich ge⸗ ſagt, das bedürfe keiner Empfehlung. — Sie iſt aber recht artig und nicht geziert, ich kann aber Goethes Neigung doch nicht begreifen, denn ſie ſcheint eher in den Zirkel zu paſſen, den er nicht gern hat: die Ma⸗ * Sander war mit Schiller bereits 1797 bei einem Aufent⸗ halt in Jena bekannt geworden. ** Sophie war wohl von allen ihr in Leipzig und Weimar gebotenen Genüſſen etwas ermüdet; aber „abgelebt“ war ſie noch keineswegs. 76 dame Frommann zum Beiſpiel, auch Campens, die ſie ſehr preiſt. Aber hübſch iſt ſie. Sie wird heute 50 oder morgen Tee bei mir trinken. Sophies Wunſch, Goethe möchte ſie auf der Fahrt nach Ettersburg zum Beſuche Schillers begleiten, blieb freilich unerfüllt;, denn in Goethes ſorgfältig geführten Tagebüchern iſt nichts darüber vermerkt. Doch trotz dieſer Enttäuſchung bleiben die Weima⸗ rer Tage eine der ſchönſten Erinnerungen in Sophies Leben. In einem ſehr herzlichen Briefe an die Gat⸗ tin Karl Auguſt Böttigers vom 1. Juli 1800 dankt Sophie für alle ihr bewieſene Güte und Gaſtfreund⸗ ſchaft und ſchreibt, „daß die Tage, die ich bei Ihnen zubrachte, einige der froheſten meines Lebens geweſen ſind; daß ich mich dankbar all des Guten, das mir ward, erfreue und es in der Erinnerung noch oft wie⸗ der genieße“ 5r Aber ſollte dieſe Erinnerung das einzige ſein, was ihr von dem herrlichen Erleben in Leipzig und Wei⸗ mar blieb? Damit konnte ſich eine ſo tätige Natur wie Sophie auf die Dauer nicht zufrieden geben, und ſo nahm ſie am 15. November 1800 allen Mut zu einem Brief an Goethe zuſammen: „Seitdem wir aus Weimar zurück ſind, beſchäftigt mich unaufhörlich der Gedanke, Ihnen einmal zu ſchreiben und mein längſt vergeſſenes Bild, wär's auch nur auf einen Augenblick, in Ihre Seele zurück⸗ zurufen. Bis jetzt fehlte es mir nur dazu an einem Vor⸗ wande. Denn wie könnte ich es wagen, mich Ihrem, ,dieſem uns durch der Götter Güte geſandten, von Namen, Blick, Geſtalt und Gemüte ſo göttlichen. 77 Weſen zu nahen? Ich hätte Ihnen ſagen müſſen, daß ich kein „Gothe“ bin*! Aber das wußten Sie ja ſchon längſt. Zwar könnte ich Ihnen für die ſchönen Stunden danken, die Ihre alles beſeelende und alles bezau⸗ bernde Gegenwart zu den glücklichſten meines ganzen Lebens machte;, doch — was kümmert die Sonne ſich um den Dank und das freudige Leben der tauſend Geſchöpfe, die ſie erwärmt und nährt? Ruhig wan⸗ delt ſie auf ihrer Bahn fort, ohne ... Aber ich fange an poetiſch zu werden, und ich ſehe Sie lächeln; alſo geſchwind wieder zur Proſa zurück. Der Genius der Zeit (ich meine den, der in Ham⸗ burg oder Altona zu Hauſe iſt) gab mir einen Vor⸗ wand, unter dem ich Ihnen ſchreiben konnte. Er ſagte mir unter anderm: daß Goethe allen Frauenzimmern mit jener gefälligen Artigkeit be⸗ gegne, mit der man Kinder zu behandeln pflegt. Allen Frauenzimmern! dachte ich und freute mich! — Nun, wenn ſie ihm denn wieder alle Kinder ſind, ſo kann auch ich mich ohne Bedenken in ihre Reihen miſchen und mit frohem Mutwillen den göttlichen Dichter umgaukeln. Dem Kinde wird er es zugute halten, wenn es voll Vertrauen ſich ihm naht, ſchmeichelnd zu ihm auf⸗ blickt, ihm die Wange ſtreichelt oder einen bunten Blumenkranz auf ſeine Stirne drückt. Vielleicht lä⸗ chelt er das Kind freundlich an, ſagt ihm, indem er es ſanft wieder auf die Erde ſetzt, ein ſchmeichelndes * Bezieht ſich anſcheinend auf einen Scherz oder ein Wort⸗ ſpiel; ſoll vielleicht beſagen, daß Sophie nicht zu den „Bar⸗ baren“ gehört. 78 Wort, und froh hüpft es nun wieder davon, um ſich in die Spiele und Tänze der übrigen zu miſchen. Darf ich, kann ich dieſes Kind ſein? Werden Sie mir freundlich lächeln? Mich nicht mit der unerbittlich ſtrengen Miene anſehen, die mir in Burys Bild ſo zuwider, ja ich darf ſagen: ſo fremd iſt? Nein, das werden Sie nicht. Sie haben ja meinem Leipziger Freunde Rochlitz, wie er mir ſchreibt, Ihren Anteil an ſeinem Schickſal auf eine gütige Weiſe bezeugt, und ich behaupte kühn, daß ich Ihnen wohl ebenſoviel wert ſein kann wie er. Sie ſehen, ich habe auch mei⸗ nen Stolz, und nur Sie könnten mich dahin bringen, ihn ein wenig abzulegen, Sie, vor deſſen allmächti⸗ gem Genius ſich alles, alles beugt. Und nun ſcheide ich von Ihnen —- ſcheide ungern, denn ich hätte Ihnen noch vieles zu ſagen. Aber ſo⸗ wie ſich mein Herz eben öffnen will, ſteht das Bu⸗ ryſche Bild vor meiner Seele und mit ihm alles, was die Welt von Ihrer Kälte, Ihrer Menſchenverachtung uſw. ſagt. O wären Sie doch weniger groß, damit man Sie mehr lieben dürfte. Sophie Sander. Kaum habe ich den Brief an Sie, der doch in der Tat ein reiner Brief, ſo recht ein Brief an ſich iſt, geendigt, ſo bekomme ich durch jemand aus Weimar eine enthuſiaſtiſche Lobrede auf eine Allegorie von Ihnen, die Sie bei der verwitweten Herzogin haben aufführen laſſen. Jetzt muß mein Brief aufhören, rei⸗ ner Brief zu ſein, denn nun hänge ich ihm eine eigen⸗ nützige Bitte an. Wollten Sie mir wohl dieſe Alle⸗ gorie, ehe ſie gedruckt wird, leihen? Ich würde ſie nur bei mir in einem kleinen Zirkel von Auserwählten 79 vorleſen laſſen, und kein unheiliges Ohr ſollte dabei gegenwärtig ſein. Mögen Sie aber meine beſcheidene Bitte nicht er⸗ füllen, ſo bitte ich, vergeſſen Sie ganz, daß ich ſie ge⸗ tan habe. Ich habe, was ſelten geſchieht, meinen Brief wieder durchgeleſen, und finde, daß ich Sie auch nicht ein einziges Mal anredete; ich geſtehe, dies iſt ganz gegen die gute Lebensart in Briefen, aber ſagen Sie mir nun, wie könnte ich Sie anreden? Wie ich ſollte, mag ich nicht, und wie ich möchte, darf ich nicht. Und nun leben Sie wohl, und antworten Sie mir auch. Ja?“ Die Allegorie, die ſich Sophie erbittet, iſt die Dich⸗ tung „Palaephron und Neoterpe“. Goethe hat dieſe Dichtung, in der die alte und die neue Zeit mitein⸗ ander ſtreiten und ſich nachher verſöhnen, der Herzo⸗ gin Amalie gewidmet, in deren Weſen Alter und Jugend einen ſchönen Ausgleich gefunden. Die Dich⸗ tung war am 24. Oktober 1800, am Geburtstag der Herzogin, aufgeführt worden. Sie wurde zum erſten⸗ mal in dem „Neujahrs⸗Taſchenbuch von Weimar auf das Jahr 1801“ gedruckt und in einem ſeiner „Briefe an ein Frauenzimmer“ zum großen Arger Sophies vom böſen kleinen Merkel ſehr heruntergeriſſen. Goethe erfüllte zwar Sophies Wunſch nach der Über⸗ ſendung der allegoriſchen Dichtung, bereitete ihr aber trotzdem eine kleine Enttäuſchung, worüber ſie ihm am 14. Dezember 1800 ſchreibt: „Ich danke Ihnen, daß Sie meinen Wunſch ſo bald und auf eine ſo gütige Weiſe erfüllten. Zwar, ich geſtehe es offen, hoffte ich auf einen freund⸗ 80 denn auch meine beiden Kinder wiſſen ſchon von Ihnen und rezitieren, ſo gut es gehen will, einige Ihrer kleinen Romanzen. Mein Auguſt hat das Heideröslein vorzüglich lieb, und wenn er ſagt: „Knabe ſprach, ich breche dich', ſo ſieht er komiſch triumphierend um ſich her, macht eine Bewegung des Brechens mit den Händen und ſtampft mit dem kleinen Fuß. Das Mädchen hingegen ſenkt das Köpfchen ſeitwärts und ſagt ganz zärtlich: „Und ſterb' ich denn, ſo ſterb' ich doch durch ſie, durch ſie, zu ihren Füßen doch.“ Aber wo gerate ich hin? Verzeihen Sie, daß ich Sie von etwas unterhielt, was Sie nicht intereſſieren kann, und laſſen Sie mich dann meinen Brief ſchließen. Da ich nicht hoffen darf, je wieder durch Sie ſelbſt einige Nachricht zu erhalten, und es mir doch ſo unendlich wichtig iſt, zu wiſſen, daß ich von Ihnen nicht vergeſſen bin, ſo bitte ich Sie nur, mir durch irgend⸗ einen Dritten ein freundliches Zeichen Ihres Andenkens zu geben Leben Sie recht wohl! Sophie Sander. Aus einem Brief Sophie Sanders an Goethe vom 14. Dezember 1800 licheren Brief, einen Brief von Ihrer eigenen Hand, aber — Sie wollten es nicht, und ich muß auch ſo zu⸗ frieden ſein. Über das Stück ſage ich Ihnen nichts, denn mir ſchwebt in dieſem Augenblick die Miene vor, mit wel⸗ cher Sie eines Abends in Ihrem Hauſe Frommanns Lob Ihrer Euphroſpne annahmen. Aber was Herr Kindl ſagte, ſollen Sie wiſſen: „In Hans Sachſens Manier, auf griechiſche Art veredelt.“ Mein Hausäſthetiker iſt entzückt davon und kom⸗ mentiert fleißig. Er legt manchem Ihrer Worte einen Sinn unter, an den Sie ſicher nicht dachten. Ich lache ihn aus, und doch — mache ich es ſelbſt wohl beſſer? Finde ich nicht auch oft in den trockenen kalten Worten Ihres Briefes Bedeutung, wo gewiß keine iſt? Aber ich lache mich auch gleich dafür aus, wenn ich mich auf dieſer Kommentatoren⸗Schwachheit ertappe. Treu und unverfälſcht ſoll ich Ihr Bild im Sinn be⸗ halten? Ja, das will ich — das werde ich. Schön und groß ſteht es vor meiner Seele, und wenngleich Sie — Sie ſelbſt — einen Zug hinzugetan haben, der es in Beziehung auf mich minder ſchön macht, ſo ſchadet das doch dem Eindruck des Ganzen nicht. Ich verehre und liebe Sie als den Schöpfer meiner ſeligſten Gefühle. Ihren Poeſien verdanke ich die höch⸗ ſten geiſtigen Genüſſe. Ich lebe und webe mit Ihnen und durch Sie; denn auch meine beiden Kinder wiſ⸗ ſen ſchon von Ihnen und rezitieren, ſo gut es gehen will, einige Ihrer kleinen Romanzen. Mein Auguſt hat das Heideröslein vorzüglich lieb, und wenn er ſagt: „Knabe ſprach, ich breche dich', ſo ſieht er komiſch triumphierend um ſich her, macht eine 81 6 Die Sanders Bewegung des Brechens mit den Händen und ſtampft mit dem kleinen Fuß. Das Mädchen hingegen ſenkt das Köpfchen ſeitwärts und ſagt ganz zärtlich: „Und ſterb' ich denn, ſo ſterb' ich doch durch ſie, durch ſie, zu ihren Füßen doch.“ Aber wo gerate ich hin? Verzeihen Sie, daß ich Sie von etwas unterhielt, was Sie nicht intereſſieren kann, und laſſen Sie mich dann meinen Brief ſchließen. Da ich nicht hoffen darf, je wieder durch Sie ſelbſt einige Nachricht zu erhalten, und es mir doch ſo un⸗ endlich wichtig iſt, zu wiſſen, daß ich von Ihnen nicht vergeſſen bin, ſo bitte ich Sie nur, mir durch irgend⸗ einen Dritten ein freundliches Zeichen Ihres An⸗ denkens zu geben. Leben Sie recht wohl! Sophie Sander.“ Im Januar 1801 wurde Goethe teils infolge einer Erkältung, die er ſich bei ſeinem Wohnen in dem un⸗ wirtlichen Schloſſe in Jena zugezogen, teils aber auch infolge ſchwerer ſeeliſcher Verſtimmungen, die mit ſei⸗ nen häuslichen Verhältniſſen zuſammenhingen, ſchwer krank, ſo daß man zeitweilig um ſein Leben fürchten mußte⁵². Sander ſchreibt am 24. Januar 1801 dar⸗ über an Böttiger: „Die erſte Nachricht von Goethes Gefahr gab mir Loder. Sein Brief war vom 12., wie der Ihrige. Aber ich bekam den ſeinigen einen Poſttag früher. Der Ihrige war neun Tage unter⸗ wegs geweſen ... Loder hatte am 12. geſchrieben: Goethe iſt noch gar nicht außer Gefahr.“ Natürlicher⸗ weiſe kannte er nur den Zuſtand vom 11.; folglich war Ihr Brief vom 12. mit den beruhigenden Nachrich⸗ ten ein großer Troſt ... beſonders für meine Frau, die ſchon Tränen über Goethe geweint hatte, weil 82 ſie wirklich ein wenig in ihn verliebt iſt, was ich mir dennoch, da ich ſie kenne, ganz gern gefallen laſſe.“ Aber wenn auch die Gefahr überwunden war und Goethe bald das Bett verlaſſen konnte, ſo zog ſich die Wiederherſtellung dennoch ſehr lange hin. Am 7. April 1801 faßt ſich Sophie wieder ein Herz und ſchreibt an Goethe: „Ich höre von Madame Voigt, daß Sie, den ich völlig hergeſtellt glaubte, noch immer nicht ganz wohl ſind. Da ſie Ihnen, freilich ohne meine Erlaubnis, den letzten Brief, den ich ihr ſchrieb, gezeigt hat, ſo wiſſen Sie, welche Angſt ich ausſtand, als Sie in Gefahr waren, und mit welcher Freude ich Ihre Geneſung vernahm. Sie können es alſo nicht ſonderbar finden, wenn ich jetzt, da meine Beſorgniſſe um Sie von neuem erregt worden ſind, mich nach ſicheren und be⸗ ruhigenden Nachrichten von Ihnen ſehne. Daß ich mich gerade bei Ihnen ſelbſt nach Ihnen erkundige, dazu haben Sie mich berechtigt, indem Sie ſich, wenn ich Madame Voigt trauen darf, meinen Freund genannt haben. Der Freundin ſteht es wohl an, nach dem Befinden eines ſo teuren Freundes zu fragen, und den Freund wird es auch nicht eben übel kleiden, wenn er ihr hübſch antwortet. Meine treue Referentin, Madame Voigt, ſchreibt mir noch, daß Sie vielleicht in dieſem Sommer mit Schiller nach Berlin kommen werden. So lebhaft ich auch wünſche Sie wiederzuſehen, ſo möchte ich es doch nicht hier, wo nicht allein die ganze große und ſchöne Welt, ſondern auch alle getauften und ungetauften Jüdinnen Sie ſo in die Mitte zu nehmen ſuchen wer⸗ 83 6* den, daß ein ſo anſpruchsloſes Weſen wie ich Sie kaum zu ſehen bekommen wird. Zudem, was wollen Sie im Sommer, wo Berlin die ödeſte aller Städte iſt, hier machen? Ich habe einen viel beſſeren Plan für Sie entworfen. Das Wetter iſt ſo ſchön, die Früh⸗ lingsluft ſo erheiternd und ſtärkend, das junge Grün für das Auge ſo wohltätig; im freien Felde ſingen tauſend Lerchen, und auf den Straßen von Leipzig gibt es eine Menge Nachtigallen und Sproſſer. Wie wäre es, wenn Sie Ihren Wagen vorfahren ließen, ſich hineinſetzten und zur Meſſe nach Leipzig kämen? Im künftigen Winter, wenn Sie völlig wiederher⸗ geſtellt ſind, führen Sie dann den Vorſatz, nach Ber⸗ lin zu kommen, aus. Sehen Sie unſere Opern, un⸗ ſere Redouten, unſere Konzerte und was ſonſt noch Sehenswürdiges hier ſein mag. Sie müſſen geſtehen, ich meine es gut mit Ihnen! Und daß bei meinen Vorſchlägen nicht der mindeſte Eigennutz mit im Spiele iſt, können Sie ſich an den Fingern abzählen. Wenn Sie mir ſagen, daß Sie nach Leipzig kommen wollen, ſo will ich Ihnen auch allerlei kleine Künſte vormachen, z. B. das Geſicht und den Ton von Frau von Grotthuß, wenn ſie von gemeinen und edleren Naturen redet; Herrn Beßhort, wenn er den Egmont macht uſw. Ich fürchte mich, Ihnen noch mehr zu ſchreiben, da Sie ſelbſt in Ihren Briefen ſo lakoniſch ſind. Leben Sie wohl! Sollten Sie etwa finden, daß ich einen zu mutwilligen leichten Ton gegen Sie ange⸗ nommen habe, ſo verzeihen Sie es dem Selbſtgefühl, 84 das mich, ſeitdem Sie ſich meinen Freund genannt haben, ergriffen hat. Ein ſo langerſehntes und doch ſo wenig gehofftes Gut kann einen wohl, wenn man es endlich erhält, etwas übermütig machen. Mein Mann empfiehlt ſich Ihnen mit großer Ehr⸗ erbietung. Sophie Sander. Eine Antwort auf dieſen Brief hat Sophie nicht er⸗ halten. Vielleicht war der Ton des Briefes für den Herrn „Geheimbderath“ doch etwas zu übermütig! Auch verdroſſen ihn vielleicht die aus der Eiferſucht Sophies geborenen Anſpielungen auf die „getauften und ungetauften Jüdinnen“. Das von Sophie vor⸗ geſchlagene Wiederſehen bei der Leipziger Frühjahrs⸗ meſſe kam nicht zuſtande. Goethe konnte in dieſem Jahr die Meſſe nicht beſuchen; Sander und Sophie waren dort, aber eine im Anſchluß an die Meſſe ge⸗ plante Reiſe nach Oresden mußte unterbleiben, weil ſich Sophie in Leipzig einen in eine Lungenentzün⸗ dung ausartenden Huſten geholt hatte, ſo daß der Arzt und der Ehemann zeitweilig um ihr Leben fürchteten. Die Krankheit war um ſo kritiſcher, als Sophie in gu⸗ ter Hoffnung war. Die Erinnerung an Sophie wurde bei Goethe wie⸗ der lebhafter erweckt, als er im Sommer 1801 eine Kur in ihrem Heimatort Dyrmont durchmachen mußte und dort in geſelligen Verkehr mit den älteren Schwe⸗ ſtern und einer Nichte Sophies trat. Vom 12. Juni bis zum 17. Juli 1801 weilte Goethe in Dyrmont. Am 27. Juni 1801 ſchreibt er in das Tagebuch: „Ge⸗ trunken, gebadet. Frau Landrentmeiſter Scholing, Frau Amtsſchreiber Rathlef, Schweſtern von Ma⸗ dame Sander. Frau von Breitenbauch, Witwe, Toch⸗ 85 ter von Madame Scholing.“ In den Annalen oder Tag⸗ und Jahresheften ſchreibt ſpäter der alternde Goethe in der Erinnerung an die Pyrmonter Zeit u. d.: „Ich wüßte nicht, daß ich eine Badezeit in beſ⸗ ſerer Geſellſchaft gelebt hätte ... Anmutige und lie⸗ benswürdige Freundinnen machten dieſen Zirkel höchſt wünſchenswert.“ Die Freundlichkeit zu ihren Schweſtern und ihrer Nichte ermutigte auch Sophie, die Verbindung zu Goethe wieder aufzunehmen. Als gute Hausfrau weiß ſie, daß die Liebe oft durch den Magen geht, und ſo ſendet ſie im Herbſt 1801 „16 Metzen Teltower Rüb⸗ chen“, da ſie gehört hatte, „daß dieſes einzige ein we⸗ nig ausgezeichnete Drodukt unſres Sandbodens in Weimar geliebt wird“. Und während die Frau für Goethes Küchenzettel bedacht iſt, ſendet der Mann etwas geiſtige Koſt, nämlich ein Exemplar des in ſei⸗ nem Verlag erſchienenen Werkes von Kotzebue: „Das merkwürdigſte Jahr meines Lebens“ Durch Goethes Freundlichkeiten ermutigt, wagt Sander ſogar, Goethe um die Datenſchaft bei dem am 1. November 1801 geborenen Töchterchen zu bitten. Sander ſchreibt anſchließend an die Stellen über „Das merkwürdigſte Jahr“ und die Sendung der Teltower Rübchen: „Wir beide, meine Frau und ich, hofften, daß ein Kind, dem wir entgegenſahen, ein Knabe ſein ſollte; und dann hätten wir Sie gebeten, des Kindes Pate zu ſein. Freilich wünſchen wir auch dem kleinen Mäd⸗ chen, das wir bekommen haben, dieſe Ehre; aber - * Die Gehäſſigkeiten Kotzebues gegen Goethe waren da⸗ mals noch nicht zutage getreten. 86 würden Sie auch eines Mädchens Pate ſein wollen? Vielleicht wollten Sie es, wenn Sie nur unſere bei⸗ den älteren Kinder geſehen hätten, die in der Tat nicht ganz alltäglich ſind, wie Ihnen Mlle. Jagemann das ſagen könnte. Und das kleine, noch namenloſe Geſchöpf ſcheint die Züge des hübſcheſten unter den beiden Kin⸗ dern, des Knaben, zu bekommen. Sie lächelten, als meine Frau bei dem Engelköpfchen von Raphael ſagte: So ſieht mein Auguſt beinahe aus! Aber wirklich ha⸗ ben ſchon Künſtler in dem Jungen ein Raphaelſches Köpfchen gefunden; und ſo war meine Frau doch wohl nicht ganz von der Mutterliebe beſtochen, als ſie die erwähnte Ähnlichkeit zu bemerken glaubte. Meine Frau kann ſchon ſeit mehreren Tagen wieder außer dem Bette ſein; doch iſt ſie noch zu matt, um ſchreiben zu können: ſie hätte ſonſt vielleicht anſtatt meiner geſchrieben und die Bitte dreiſt getan, die ich nur ſchüchtern, nur halb gewagt habe. Ich hoffe kaum mit einer Antwort von Ihnen beehrt zu werden. Bekäme ich dennoch eine, und eine gütige: natürlicherweiſe wäre meine Freude dann um ſo größer. In jedem Falle bleibe ich, was ich ſeit den Jahren meiner früheren Jugend geweſen bin, Ihr bewun⸗ dernder Verehrer. Berlin, den 14. November 1801. J. D. Sander. Ich muß, ſowenig es auch ſchicklich iſt, eine Nach⸗ ſchrift anhängen. Meine Frau, der ich dieſen Brief vorgeleſen habe, meinte, es könne ſcheinen, als ſei der darin ſchriftlich und ſchon vorher durch die Frau Re⸗ gierungsrätin Voigt mündlich gegen Sie geäußerte Wunſch weniger der meinige als der ihrige. Ich er⸗ 87 kläre daher mit voller Wahrheit, daß ich die Erfüllung ebenſo herzlich wünſche und daß der erſte Gedanke daran vielleicht von mir ſelbſt herrührt. Die Bitte zur Übernahme einer Datenſchaft beant⸗ wortet Goethe zwar zögernd, aber doch freundlich: „Für die doppelte Attention, womit Sie ſowohl meine Küche als meine Bücherſammlung verſorgen, bin ich Ihnen zum ſchönſten verbunden, um ſo mehr, als Ihr beiderſeitiges Andenken mir dabei auf eine ſo gefäl⸗ lige Weiſe entgegenkommt. Was die Gevatterſchaft betrifft, ſo weiß ich nicht recht, was ich dazu ſagen ſoll, wenn ich auch gleich dabei Ihre freundlichen Geſin⸗ nungen nicht verkenne. Meine Namen ſind von der Art, daß man ſie weder einem Knaben noch weniger einem Mädchen aufbürden kann, welche letztere man, wegen künftiger Abenteuer, ſo lieblich als möglich be⸗ zeichnen ſoll: Stört nicht z. B. die unglückliche Chri⸗ ſtel“ in ſo mancher intereſſanten Szene des bedeuten⸗ den Lebensjahres? Hätte die Gattin eines würdigen Verwieſenen etwa Emilie geheißen, welch einen ande⸗ ren Effekt würde das tun! Wir Menſchen ſind nun einmal nicht anders, und unſer Ohr ſcheint, noch mehr als unſer Auge, mit dem Schicklichen im Bunde zu ſtehen. Wenn ich nun ferner bedenke, wie wenig mein Zeugnis in der chriſtlichen Kirche bedeuten kann, ſo muß ich ohne weiteres Räſonnement Ihnen eben ganz anheimſtellen, inwiefern Sie mich zu einem ſolchen Akt einladen dürfen. Mögen Sie mein bei dieſer geiſt⸗ lichen Verwandtſchaft in Liebe gedenken und überzeugt * Chriſtel iſt die Gattin Kotzebues, deren Charakter, Mut und Treue er im „Merkwürdigſten Jahr“ ein ſchönes Denk⸗ mal geſetzt hat. 88 ſein, daß ich an Ihnen und den Ihrigen herzlichen Anteil nehme, ſo ſehe ich davon für mich den beſten Gewinn. Leben Sie recht wohl. Weimar, am 25. Rovember 1801. Goethe.“ Der große Heide Goethe, der in ſeiner damaligen Lebensepoche das Griechentum höher ſchätzte als das Chriſtentum, zeigt in ſeinen Bedenken, ob er zur Über⸗ nahme einer Patenſchaft geeignet ſei, mehr Verſtänd⸗ nis für die Bedeutung der Taufe als Sander trotz ſei⸗ nes Theologieſtudiums! Als echtes Kind der Aufklä⸗ erungszeit hatte Sander ſich zwar einen allgemeinen Gottesglauben bewahrt, aber die zentrale Bedeutung des Chriſtentums für alles vergangene und künftige Weltgeſchehen und die Bedeutung der Sakramente war ihm wie den meiſten ſeiner Zeitgenoſſen nicht mehr bewußt. Die zögernde Antwort Goethes wird freudig als Bejahung gewertet. In einem kurz vor der Taufe geſchriebenen Briefe Sanders an Goethe heißt es u. d.: „Unſer kleines Mädchen iſt noch nicht getauft;, aber dennoch wird ſie ſchon Emilie genannt, weil uns eine Stelle in Ihrem ſo gütigen Briefe glauben läßt, daß Sie dieſen auch unſeren Ohren ſehr lieblichen Namen zur Bezeichnung des Kindes vorſchlagen. Wie ſtolz wird Emilie einſt ſein, wenn ſie erſt ſagen kann: Mei⸗ nen Namen hat der Mann beſtimmt, der — doch ein Alltagsmenſch wie ich darf Ihnen nicht ins Geſicht ſagen, was er, Ihr erklärter Bewunderer, freilich oft genug hinter Ihrem Rücken ſagt. Sie ſagen, Ihr Zeugnis bedeute in der chriſtlichen Kirche wenig. Uns, den Eltern, wäre es ſchon recht, 89 wenn unſer Kind gar nicht getauft zu werden brauchte; denn wir begnügen uns, wie Leſſings Tempelherr, Menſchen zu ſein. Doch glücklicherweiſe beſorgt die Taufe in Cölln an der Spree, wo wir wohnen, ein ſehr vernünftiger Geiſtlicher, der die Paten der Kin⸗ der ihr Ja nur auf Fragen antworten läßt, die auch der Jude und der Mohammedaner unbedenklich be⸗ antworten könnte. Unſere beiden noch lebenden Kin⸗ der ſind in der Tat nicht auf das Chriſtentum, ſondern auf reine Humanität getauft, und Emilie ſoll eben⸗ dieſen Vorzug genießen.“ Die Taufe der kleinen Johanna Emilie Wilhelmine Sander fand am 30. Dezember 1801 in der evange⸗ liſchen Kirche Sankt Detri in Berlin ſtatt. Auf welcher geiſtigen und geſellſchaftlichen Höhe ſich das Haus Sander damals befand, davon legt das Taufregiſter Zeugnis ab. Unter den anweſenden Haten werden aufgeführt: „Herr von Brinkmann, ſchwediſcher Lega⸗ tionsrat und Capitain. Herr Wilhelm von Humboldt, preußiſcher Legationsrat.“ Unter den abweſenden Da⸗ ten ſind verzeichnet: „Herr J. W. von Goethe im Sachſen⸗Weimariſchen, Geheimerat. Herr Paul Fried⸗ rich Richter, Legationsrat in Meiningen““.“ Auch Kotzebues Gattin Chriſtel befand ſich unter den neun Daten. Das Ehepaar Sander fuhr fort, die Goetheſche Küche mit einigen Spezialitäten der Mark Branden⸗ burg, hauptſächlich Teltower Rübchen und Fiſchen, zu beſchicken. Übrigens wurden auch Wieland und Herder mehrfach mit ſolchen Sendungen bedacht. Die eine * Kirchenbuch Jahrgang 1801, Seite 250. ** Jean Paul. 90 Sendung hatte Sander mit den Worten begleitet: „Ich weiß nicht, ob ich auf dieſen Brief eine Antwort erhoffen darf. Aber dürfte ich es, ſo wünſchte ich in der Tat, Sie ſchrieben an meine Frau, die ich mehr liebe als mich ſelbſt und der ich eben darum jede Freude ſelbſt mit Aufopferung meiner eigenen gönne. Dieſen Wunſch erfüllt Goethe in liebenswürdigſter Weiſe und ſchreibt an Sophie: „Die angenehmen Gaben, mit denen meine ſonſt frugale Tafel ſich durch Ihre gütige Vorſorge mehr als einmal geziert ſah, haben mir einige ſonderbare Betrachtungen abgenötigt. Da wir nicht zweifeln, auf einen hohen Grad von Kultur gelangt zu ſein, bemer⸗ ken wir mit Verwunderung, daß wir auf gewiſſe Weiſe uns wieder den Sitten barbariſcher und roher Völker nähern. Denn wie unter dieſen hier und da der Mann ſich gerade zu der Zeit von ſeiner lieben Ehehälfte pflegen läßt, wenn er ihr vorzüglich aufwarten ſollte, ſo ſcheint es bei uns Sitte zu werden, daß der Pate den Gevatter beſchenkt, anſtatt daß ſonſt das Umge⸗ kehrte herkömmlich war. Indeſſen, da man ſich in ſolche Fälle zu ſchicken weiß, ſo kann ich verſichern, daß die überſendeten Leckerbiſſen trefflich geſchmeckt haben; nur wollte der erſte Fiſch, wahrſcheinlich weil ich ihn noch nicht zu eſſen verſtand und er wegen ſeiner Vortrefflichkeit mit einigem Heißhunger genoſſen worden, mir nicht zum beſten bekommen. Bei dem zweiten bin ich nun ſchon mehr in Übung, und die dazu ſervierten geſchärften Soßen werden ihn ſchon zu bändigen wiſſen. In Dyrmont habe ich Ihrer viel gedacht, und es iſt mir beinahe anſchaulich geworden, wie es möglich ſei, daß dieſer Ort ſo wunderſam artige 91 Gevatterinnen hervorbringe und bilde. Ihre werten Verwandten und Richten lernte ich kennen. Übrigens habe ich's der Frau von Breitenbauch nicht gut aufgenommen, daß ſie durch Weimar ge⸗ gangen iſt, ohne mir von ihrer Gegenwart Nachricht zu geben. Ihrem lieben Gatten, der hoffnungsvollen Emilie und Ihnen ſelbſt die beſten Wünſche. Weimar, den 15. Januar 1802. — Goethe.“ Mit der Gevatterſchaft und dieſem gütigen Brief iſt jedoch der Höhepunkt der Beziehungen zu Goethe überſchritten. Goethe war es natürlich zu Ohren ge⸗ kommen, daß zwar im Sanderſchen Salon hauptſäch⸗ lich die Kreiſe ſeiner Verehrer und Herolde verkehr⸗ ten, daß aber der Sanderſche Verlag immer mehr ein Mittelpunkt der „alten Richtung“ wurde, die gegen Goethe arbeitete. Man ſoll wertvolle Begegnungen und Geſchehniſſe nicht zu wiederholen ſuchen: es führt faſt immer zur Enttäuſchung! Im Frühjahr 1802 begleitete Sophie ihren Gatten wieder zur Frühjahrsmeſſe nach Leipzig und von da nach Jena und Weimar. Aber ach, die beſeligenden Eindrücke, die ihr vor zwei Jahren in Leipzig und Weimar beſchieden geweſen waren, kehrten nicht wieder! Weder in Goethes Tagebüchern noch in Sanders Briefen an Böttiger oder ſonſtiger Briefliteratur wird ein Zuſammentreffen mit Goethe erwähnt. Sanders fuhren dann von Weimar nach Lauchſtedt, wo das neue Schauſpielhaus im Juni 1802 mit dem Vorſpiel von Goethe „Was wir brin⸗ gen“ eröffnet wurde. Über eine ſehr wenig freund⸗ liche Begegnung zwiſchen Goethe und Sander iſt nur 92 eine boshafte Stelle aus einem Briefe des Dhilo⸗ ſophen Schelling an A. W. Schlegel in einem Briefe vom 23. Juni 1802 bekannt geworden“53: „Es würde vielleicht unterhaltend ſein, von Ma⸗ dame Sander die Höflichkeiten zu vernehmen, die ſie und ihr Gemahl hier in Jena und in Weimar von Goethe genoſſen haben. Für uns war es nicht wenig luſtig, es zum Teil mitanzuſehen und zu hören, wie ſie bei Goethes Ankunft in Lauchſtedt ſchon wieder gegenwärtig waren und er ihn beim Ausſteigen emp⸗ fing, von ihm aber mit der Außerung gegen ſeinen Reiſegefährten, daß es ein wahres Zigeunerpack ſei, empfangen wurde, natürlich, daß Sander das nicht hörte.“ Ob dieſer Ausdruck „Zigeunerpack“ wirklich gefal⸗ len, läßt ſich natürlich nicht feſtſtellen; aber es iſt wohl möglich. Goethe konnte ungeheuer ſcharf ſein, wenn er Enttäuſchungen an Menſchen erfahren hatte. So ſchrieb er z. B. über das Ehepaar von Arnim, das ihm doch ſoviel Wärme, Begeiſterung, ja auch manche wertvolle Anregung entgegengebracht hatte, nach dem Zerwürfnis zwiſchen Chriſtiane und Bettina, er wäre froh, „die Tollhäusler“ los zu ſein5e Sander war Goethe nach Lauchſtedt gefolgt, weil er ihn bitten wollte, ihm das in Lauchſtedt aufgeführte Vorſpiel zur Einweihung des Theaters in Verlag zu geben. Da es nicht möglich geweſen war, in Jena oder Lauchſtedt auch nur die kleinſte Zeitſpanne zu einer Unterredung zu bekommen, ſo trug er ihm ſei⸗ nen Wunſch ſchriftlich vor: „Wären Sie geneigt, mich zum Verleger Ihres Vorſpiels zu wählen, ſo würde ich Sie um Erlaubnis bitten, noch einige andere Auf⸗ 93 ſätze hinzufügen und das Ganze in der Form eines Taſchenbuches geben zu dürfen. Freilich könnte ich nur wenige Beiträge bekommen, die nur einigermaßen neben Ihrem Werke zu ſtehen verdienten; indes, Sie können nun einmal ebenſowenig unter Ihresgleichen ſein wie der Kaiſer ... Meine Frau trägt mir auf, Ihnen, dem Manne, den ſie vor allen anderen auf der Erde am meiſten bewundert und verehrt, ihr Anden⸗ ken zu empfehlen. Mit nicht geringerer Bewunderung als ſie bin auch ich Ihr innigſter Verehrer. I. D. Sander. Magdeburg, den 24. Juni 1802. (Einige Stunden vor meiner Abreiſe nach Berlin.) Eine Antwort auf dieſen Brief iſt nicht erfolgt. Trotz dieſer ſchmerzlichen Enttäuſchung faßt ſich die „Gevatterin“ Sophie am 21. Auguſt 1802 ein Herz, Goethe zum Geburtstag zu ſchreiben und ihm ſtatt der ſonſt üblichen Teltower Rübchen oder Fiſche eine Ananas zu ſenden; denn „Ihnen gebühren beſſere Gaben. Das Koſtbarſte und Schönſte, was die Erde gibt, möchte ich Ihnen gern anbieten, und wenn eine Ananas gleich nicht eben dazu zu rechnen iſt, ſo hat ſie doch wenigſtens das Verdienſt, die Frucht eines fernen Himmels zu ſein. — Nehmen Sie an Ihrem Geburtstage die kleine Gabe, die unbegrenzte Ver⸗ ehrung Ihnen bringt, freundlich an, und denken Sie unſer mit Liebe. Mein Mann bittet Sie um eine Antwort auf den Brief, den er Ihnen von Magdeburg aus ſchrieb. Sollten Sie nicht willens ſein, auf den Ihnen in dem Briefe gemachten Vorſchlag einzugehen, ſo werde ich einen für mich wagen. 94 Wollen Sie wohl ſo gütig ſein und mir das Vor⸗ ſpiel, von dem ich ſo vieles gehört habe, auf eine kurze Zeit leihen? Ich ſtehe gegen jeden Mißbrauch! Leben Sie recht wohl. Sophie Sander. Eine Antwort auch auf dieſe Sendung iſt nicht er⸗ folgt. Mit einiger Bitterkeit kommt der Ehemann Sander dann in einem Schreiben vom 4. November 1802 noch einmal auf die Angelegenheit zurück: „Den Brief, den ich aus Magdeburg an Sie ſchrieb, ſehe ich als nicht geſchrieben an und erwarte nun keine Ant⸗ wort darauf, da ich ſehr wohl weiß, daß keine Ant⸗ wort auch eine Antwort iſt. Indes darf ich mir wohl erlauben, Ihnen zu ſagen, daß Sie an mir einenrecht⸗ ſchaffenen Mann gefunden hätten, der z. B. nicht im⸗ ſtande wäre, eins Ihrer Werke unter der alten Jah⸗ reszahl zum zweitenmal drucken zu laſſen, wie das wirklich ſchon geſchehen iſt und wohl auch noch ferner geſchehen wird. Durch einen Leipziger Kommiſſionär wird gleich⸗ zeitig eine Sendung Teltower Rübchen an Goethe befördert. Dieſe materielle Sendung ſcheint wenig⸗ ſtens kurz beſtätigt worden zu ſein; denn im Tage⸗ buch wird am 28. November 1802 ein Schreiben an Herrn Sander, Berlin, notiert. Auch berichtet San⸗ der in einem Brief vom 28. Dezember 1802 an Böt⸗ tiger: „Goethe hat mir vor kurzem ſehr artig, beinahe freundſchaftlich geſchrieben; wenigſtens weiſt er mir ffreundſchaftliche Zuneigung' für ihn zu."* * Dieſer Goethebrief iſt anſcheinend verloren;, denn er iſt in der großen Weimarer Ausgabe der Goethebriefe und auch an anderen Stellen nicht zu finden. 95 Die leichte Beſſerung, die anſcheinend in der Stim⸗ mung Goethes gegenüber Sander eingetreten war, wurde jedoch durch die Verbindung Sanders mit Kotzebue endgültig zunichte. Seit Januar 1803 er⸗ ſchien im Sanderſchen Verlag der von Kotzebue her⸗ ausgegebene „Freimütige“¹. Das Blatt iſt außer⸗ ordentlich geſchickt und abwechſlungsreich geſtaltet. Namentlich wirkte es durch die vielen Korreſponden⸗ zen aus anderen Städten und anderen Ländern in einer Zeit, als das Zeitungsweſen kaum entwickelt war und erſt recht alle anderen Verfahren ſchneller Nachrichtenübermittelung fehlten, nicht nur unterhal⸗ tend, ſondern auch den Blick ausweitend. Aber San⸗ der bemerkte ſchon bei den Vorbereitungen zu Ende des Jahres 1802 mit Schrecken, daß Kotzebue nicht nur den Kampf gegen die auch Sander verhaßten "Jungen", also namentlich die Brüder Schlegel und Tieck, aufnehmen wollte, ſondern auch in gehäſſiger und kleinlicher Weiſe gegen Goethe vorgehen wollte. Sander verhinderte die ſchlimmſten Angriffe, nament⸗ lich perſönlichen Klatſch und hämiſche Bemerkungen über Goethes Familienleben; aber was er trotz aller Auseinanderſetzungen mit Kotzebue nicht verhindern konnte, war noch ſchlimm genug. Goethe ſtand in der damaligen Zeit den Brüdern Schlegel mit großem Wohlwollen gegenüber. Es iſt beinahe rührend, wie er in den Briefen an Schiller, der im Urteil über die Schlegels viel ſchärfer war, immer wieder zu begütigen und zu entſchuldigen ſucht. Die von den Brüdern Schlegel in den Jahren 1798 bis 1800 herausgegebene Zeitſchrift „Athenäum“ fand * Vgl. im Abſchnitt „Salon Sander“ S. 66. 96 in Goethe einen aufmerkſamen und vielem zuſtim⸗ menden Leſer. Er teilte mit den Brüdern Schlegel die Begeiſterung für das alte Griechentum; er freute ſich, daß durch die Überſetzungen der Werke von Shake⸗ ſpeare und Calderon dieſe Stücke der Weltliteratur den Deutſchen erſchloſſen wurden; und ſchließlich - auch Goethe war nur ein Menſch! — konnte es ihm nicht gleichgültig ſein, daß er in dieſen jungen Roman⸗ tikern die eifrigſten Herolde für ſeinen eigenen Ruhm fand. Goethes Leben ſtand damals noch im Zeichen des Kampfes; er war noch nicht der von allen Seiten anerkannte Dichterfürſt. Die ſeit dem Herbſt 1796 erſchienenen Kenien hatten ihm viel Feindſchaft ein⸗ getragen. Dabei waren ſie, wie er im Alter bekannte, doch nur ein Ausfluß aus wunder Seele! „Wollen Sie wiſſen, was ich gelitten habe“, ſagt er im März 1830 zu ſeinem getreuen Eckermann, „ſo leſen Sie meine Kenien, und es wird Ihnen aus meinen Gegen⸗ wirkungen klarwerden, womit man mir abwechſelnd das Leben zu verbittern geſucht hat.“ Dieſe Bitterkeit und leichte Verwundbarkeit der Seele war auch in den erſten Jahren des neuen Jahrhunderts noch nicht gewichen und hatte ihn zu Anfang des Jahres 1801 auf das ſchwere Krankenlager geworfen. Kann man es ihm verdenken, daß ihn die Begeiſterung der jun⸗ gen Dichtergeneration erfreute? Worte wie die, daß Goethe jetzt „der wahre Statthalter des poetiſchen Geiſtes auf Erden“ ſei, ferner der begeiſterte Wider⸗ hall, den ſein damals ſehr umſtrittener „Wilhelm Die Worte ſind in einer von Novalis ſtammenden Apho⸗ rismen⸗Ausleſe „Blütenſtaub“ im erſten Band des Athenäum enthalten. 7 Die Sanders 97 Meiſter“ in dieſen Kreiſen gefunden, mußten ihn gün⸗ ſtig gegenüber dieſen „Jungen“ ſtimmen. Aus dieſer Stimmung heraus hatte er ſich auch eines von Auguſt Wilhelm Schlegel verfaßten Dra⸗ mas „Jon“ gern angenommen und ihm bei der Auf⸗ führung im Weimarer Theater die allergrößte Sorg⸗ falt angedeihen laſſen. Jon iſt der Sohn Apollos und der von ihm vergewaltigten Kreuſa. Das von Kreuſa ausgeſetzte Kind wird in den Tempel des Apollo zu Delphi gerettet und dort aufgezogen; das Drama ſelbſt ſchildert dann das Wiederfinden mit der Mutter. Das in fünffüßigen Jamben geſchriebene Stück hat viele ſehr ſchöne poetiſche Stellen, und da es zuerſt anonym erſchien, hielten manche ſogar Goethe ſelbſt für den Verfaſſer. Das Drama wurde am 2. Ianuar 1802 mit großem Erfolg in Weimar aufgeführt. Aber einer, der den wahren Verfaſſer erkannt hatte, Karl Auguſt Böttiger, hatte bei dieſer Vorſtellung die Rolle des hämiſchen, nörgelnden Beckmeſſer übernommen. Goethe unterdrückte eine von Böttiger ſtammende ungünſtige Rezenſion der Aufführung, die bereits für Bertuchs „Journal des Luxus und der Moden“ im Satz ſtand, und ſchrieb außerdem vorbeugend an Wieland, damit dieſer keine ungünſtige Beſprechung aus Böttigers Feder in die von ihm herausgegebene Zeitſchrift „Mer⸗ kur“ aufnehmen ſollte. Der Brief an Wieland iſt von einer unglaublichen Schärfe und gibt ein erſchrecken⸗ des Bild der damaligen Stimmung Goethes“. * In dem Brief vom 13. Januar 1802 kommen u. a. fol⸗ gende Stellen vor: „Daß bei der Erſcheinung. des Jon der Parteigeiſt des Herrn Überall ſeine Flügel regen dürfte, war vorauszuſehen. Schon bei der erſten Vorſtellung rannte die⸗ 98 Ein Jahr war ſeit der Weimarer Aufführung des „Jon“ verfloſſen, da brachte Kotzebue im „Freimüti⸗ gen“ Nr. ! vom 3. Januar 1803 unter der Überſchrift „Eine Begebenheit, von welcher wir wünſchten, daß ſie erdichtet wäre,“ eine ausführliche hämiſche Darſtel⸗ lung all dieſer Vorgänge! Schon wenige Tage ſpäter, in Nr. 5 vom 10. Ja⸗ nuar 1803, erſcheint ein neuer hämiſcher Aufſatz über die Aufführung des Dramas „Alarcos“ auf der wei⸗ mariſchen Bühne, die am 29. Mai 1802 ſtattgefunden hatte. Das Trauerſpiel „Alarcos“ hatte Friedrich Schlegel zum Verfaſſer. Man muß allerdings hier von einem bedauerlichen Mißgriff Goethes ſprechen, daß er dieſes Schauerſtück für ſeine Bühne angenommen; es hat nicht annähernd den dichteriſchen Wert, den das Drama Jon des älteren Schlegel beſitzt. Im „Frej⸗ mütigen“ wird aber weniger gegen das in der Tat ſehr⸗ anfechtbare Trauerſpiel polemiſiert, das „ein drollißes Marionettenſpiel“ genannt wird, ſondern gegen Goe thes autokratiſche Haltung als Theaterdirektor, dem durch die Macht ſeiner Perſönlichkeit jede mißliebige Außerung des Dublikums, vor allem auch das aus⸗ brechende Gelächter an tragiſch gemeinten Stellen, zu unterdrücken verſucht hatte55. Man kann ſich denken, wie dieſe Veröffentlichungen auf Goethe wirkten und ſeinen Zorn gegen Kotzebue und Böttiger, den er für den Verfaſſer jener Korre⸗ ſer Tigeraffe im Parterre herum, durch pedantiſche Anmer⸗ kungen den Genuß einer Darſtellung, wie ſie Weimar noch nicht gehabt hat, zu ſtören ... Da ihm nun der Weg ins Mode⸗Journal verrammt iſt, ... ſo wünſche ich nicht, daß er den Merkur zum Gefäß ſeiner Unreinigkeiten erſehe. 7* 90 ſpondenzen aus Weimar hielt, aber auch gegen den daran unſchuldigen Sander ſteigerten. In einem Spottgedicht „Der neue Alcinous“ hat er Sander mit all dieſen Gegnern und Widerſachern in einen Topf geworfen. Sander hat in dem einen Jahr, als er den Verlag des „Freimütigen“ führte, unendlich gelitten, und wahrſcheinlich wurde in dieſer Zeit der Keim zu der ſchweren Nervenkrankheit gelegt, die ihn im Jahre 1806 überfiel. Vor allem mußte ihn natürlich die Frage bedrücken, wie ſich Goethe zu dieſen Vorgängen ſtellte, und ſo raffte er ſich am 14. Januar 1803 zu einem langen aufklärenden Briefe an Goethe auf, in dem es u. a. heißt: „Ich bin in dem unangenehmen Falle, der Verleger eines Blattes geworden zu ſein, deſſen Inhalt ich, in⸗ ſofern er Sie betrifft, höchlich mißbillige. Eine offene Erzählung von allem, was bisher zwiſchen mir und dem Herausgeber, Kotzebue, vorgegangen iſt, wird Ihnen, hoffe ich, zeigen, daß ich an allen Unbeſonnen⸗ heiten, die er in dieſem Blatte ſchon begangen hat und, wie ich fürchte, noch ferner begehen wird, voll⸗ kommen unſchuldig bin. Es folgt dann eine eingehende Schilderung der Ver⸗ handlungen zwiſchen ihm, Merkel und Kotzebue und der vergeblichen Bemühungen, im günſtigen Sinne auf Kotzebue cinzuwirken. Dann aber, um ſeinen Freund Böttiger in Schutz zu nehmen, folgen auch allerlei Angriffe auf die Romantiker, denen Goethe damals noch mit Wohlwollen gegenüberſtand. San⸗ der betont, daß Böttiger an den Angriffen im „Frei⸗ mütigen“ unſchuldig ſei, ſondern im Gegenteil an 100 Kotzebue „die dringendſten Briefe“ gerichtet habe, um ihn von dieſem Schritt zurückzuhalten. Sander fährt dann fort: „Ich würde mich freuen, wenn ich hörte, daß Sie Böttiger die Gerechtigkeit widerfahren lie⸗ ßen, die er wahrhaft verdient. Er, ein ſo entſchiedener Verehrer Ihres großen Geiſtes, wie ein Mann von ſeiner vertrauten Bekanntſchaft mit den Alten es ſein muß. Und dagegen auf der andern Seite Gegner von ihm, die faſt kein anderes Verdienſt haben als großen Dünkel und große Fertigkeit im Abſprechen. Sie ſollten nur wiſſen, mit welcher Arroganz ſich dieſe Leute auch über Sie hinausſetzen ... Einem Nachtreter dieſer Korpphäen ſagte ich neulich, von Un⸗ willen übermannt, mit meiner gewöhnlichen Offen⸗ heit: Wenn Goethe nur den Fuß aufheben wollte, er zerträte Euch Herren ſamt und ſonders auf einmal.“ Sander lenkt dann von dieſen peinlichen Dingen ab und berichtet ausführlich über Vorgänge des Ber⸗ liner Theaterlebens, namentlich über Aufführungen von Goethes Iphigenie ſowie über die Aufwendun⸗ gen des preußiſchen Staates für kulturelle Zwecke. Auch Goethes Intereſſe an ſeinem Patenkind ſucht Sander warm zu erhalten: „Ich denke daran, daß Sie der kleinen Johanna Emilie ihren Namen gegeben haben, und — verzeihen Sie das einem guten Vater — ſage Ihnen, daß die⸗ ſes kleine Mädchen mit den ſehr großen Augen für recht hübſch erklärt wird. Wenn es 15 oder 16 Jahre alt iſt, dann werde ich es einmal mit nach Weimar nehmen, damit es Sie von Angeſicht zu Angeſicht ſehe und noch im Alter ſtolz darauf ſein könne, Sie perſönlich gekannt zu haben. 101 Arme kleine Emilie Sander, — dieſes Glück iſt dir niemals widerfahren! Der ſo gut gemeinte Brief Sanders, der doch nicht frei von Taktloſigkeiten war, die ihm ſein Haß gegen die Romantiker eingab, hat nicht klärend und ausgleichend, ſondern eher noch verſchroffend gewirkt. Geantwortet hat Goethe auf dieſen Brief nicht. Von den im „Freimütigen“ auch fernerhin gebrach⸗ ten Gehäſſigkeiten gegen Goethe braucht hier nicht geſprochen zu werden, da ſie von keinem Einfluß auf die Beziehungen zwiſchen Goethe und dem Hauſe Sander mehr waren. Nach einem Jahr ging der „Freimütige“ ja auch in einen anderen Verlag über, und Sander war von dieſer ſtändigen Qual und Auf⸗ regung befreit. Roch zweimal, am 23. Februar 1803 und am 17. De⸗ zember 1803, ſucht Sander die zerriſſenen Fäden wie⸗ der zu knüpfen, indem er Goethe Fiſche aus den mär⸗ kiſchen Gewäſſern ſendet, da ſein Freund Zelter ihm geſagt hat, daß „Sie ſich bei ſeiner letzten Anweſen⸗ heit in Weimar der berliniſchen Fiſche erinnert ha⸗ ben“. Im Dezember⸗Brief kann Sander mitteilen, daß Goethes Datenkind Emilie inzwiſchen ein Brüder⸗ chen bekommen hat, „der das Glück gehabt hat, gerade am 28. Auguſt geboren zu werden, und der deshalb ſeinen Eltern ganz vorzüglich wert iſt, ſie ſehen dieſen Geburtstag als ein glückliches Omen an.“ — Aber ſelbſt dieſes Zuſammentreffen der Geburtstage Goe⸗ thes und des kleinen Fritz Sander ſchlug keine Brücke mehr. Der Olympier verharrte in ſeinem Zorn und ſchwieg. Für Sophie war damit eine der Sonnen ihres Lebens erloſchen, und es keimte in ihrer Seele 102 ein leiſer Groll gegen ihren Mann. Denn ſein Haß gegen die Goethe⸗Herolde und ſeine geſchäftlichen Verbindungen mit den Goethe⸗Feinden Merkel und Kotzebue waren ja ſchuld daran, daß ihr, und für die Zukunft auch ihren Kindern, das koſtbare Gut der Beziehungen zu Goethe verloren waren! Jedoch noch einmal gibt ihr das Schickſal Gelegen⸗ heit zu einer Anknüpfung. Zacharias Werner, deſſen Erſtlingswerk im Sanderſchen Verlag erſchienen war, 6 ſchreibt ihr am 9. Juli 1804 aus Warſchau „Wer Apollon Gaben überreichen will, muß zuvor am Altar der Grazien opfern. Soviel zur Entſchuldi⸗ gung meiner Kühnheit, zu der mich Freund Hitzig verleitete. Es iſt die, daß ich ohne das Glück Ihrer perſönlichen Bekanntſchaft Sie zu bitten wage, Ihren Herrn Gemahl zu disponieren, ſobald als möglich bei⸗ folgendes offenes Schreiben mit einem in Maroquin gebundenen, mir in Rechnung zu ſtellenden Velin⸗ Exemplar meiner Tals⸗Söhne dem Herrn Geheimen Ratvon Goethe in Weimar zu überſenden. Verzeihung dieſer an Sie gewagtenBitte erwarte ich gewiß, denn edle Fraulichkeit kann nicht zürnen. Ob Sie aber mei⸗ nen Brief an Herrn von Goethe durch ein Schreiben begleiten, ob Sie ihm ein paar Worte zugunſten des armen Schwärmers ſagen wollen, der Ihnen nicht ganz mißfallen zu haben für ſeinen ſchönſten Lohn hält, muß ich Ihnen unbedingt anheimſtellen. Werner ſchildert dann, wie er in dem Konflikt zwi⸗ ſchen dem Zwang zur trocknen Berufsarbeit und dem inneren Drang zur dramatiſchen Kunſt aufgerieben wird, und fährt fort: „Sie ſind weiſe und gut; ſo ſpricht der allgemeine 103 Ruf. Sie werden das, was ich ſage, nicht mißdeuten. Es iſt im Gewande des Scherzes finſterer Ernſt, es gilt Rettung eines verunglückten Künſtlerlebens. Noch wenige Jahre des Dienſtes, und ich bin für meine Gottheit, die Kunſt, auf ewig verloren ... Mehr wie gern ergreift Sophie die ſich bietende Gelegenheit zu einer erneuten Annäherung an Goethe, und ſo ſchreibt ſie ihm am 20. Juli 1804: „Ein jun⸗ ger Schriftſteller, den ich weder von Derſon noch durch ſein Werk kenne, der aber meinem Manne und mir durch freundſchaftliche Verhältniſſe verbunden iſt, hat den Einfall gehabt, mich zur Überbringerin ſeines Buches bei Ihnen zu erwählen. Zwar weiß ich, daß Sie ihm, ungeachtet meiner Fürſprache, nicht antwor⸗ ten werden, wenn Ihnen ſein Buch nicht gefällt, und hätte daher wohl beſſer getan, ihm ſeine Bitte rund abzuſchlagen; aber ich ergreife die Gelegenheit mit Freuden, um mich Ihnen, den ich ſo höchlich verehre, einmal wieder in Erinnerung zu bringen. Wer ſo tauſend Bewunderer hat wie Sie, von dem kann man freilich nicht fordern, daß er auf alle merke; aber wer Sie ſo ohne alle Grenzen verehrt, Ihnen ſo von ganzem Herzen ergeben iſt wie ich, der ſollte bil⸗ lig von Zeit zu Zeit einen freundlichen Blick erhalten. Wollen Sie mir einen ſolchen geben, ſo leſen Sie das Buch meines Freundes, und wenn es Ihnen nicht ganz mißfällt, ſo ſagen Sie ihm ein paar Worte zur Herzſtärkung, die ich dann wohl erfahren werde und mir dann allenfalls einbilden kann, daß ſie ihm um meinetwillen geſagt ſind. Bekäme ich aber ſelbſt für mich ein paar Zeilen, ſo wäre mir das noch um ſo viel lieber, und damit die Sache nicht zu weitläufig würde, 104 könnten Sie die ermunternden Worte für Herrn Wer⸗ ner wohl gleich an mich einfließen laſſen. Verzeihung wegen meiner Anmaßung iſt die ein⸗ zige Bitte, die ich jetzt noch vorzutragen habe. Leben Sie recht wohl, und nehmen Sie die Verſicherung meiner höchſten Verehrung gütig auf. Sophie Sander.“ Auch dieſer Brief blieb ohne Antwort. Aber So⸗ phie erlebte ſpäter die Genugtuung, daß der Theater⸗ leiter Goethe für den Dichter Zacharias Werner In⸗ tereſſe gewann, nachdem dieſer mit ſeinem Luther⸗ Drama den erſten ſtarken Theatererfolg errungen. In den Jahren 1807 bis 1810 hat Werner durch Goethe viel Wohlwollen und wertvollſte Förderung ſeines dichteriſchen Schaffens erfahren 7 105 Sechſter Abſchnitt Innere und äußere Kämpfe 1803—1805 Fu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte das deutſche Geiſtesleben einen ſeiner höchſten Gipfel erreicht. Schiller und Goethe ſchenkten dem deutſchen Volk ihre herrlichen Werke, ſich gegenſeitig durch ihre ein⸗ zigartige Freundſchaft anregend und befruchtend. Eine jüngere Dichter⸗ und Schriftſtellergeneration, die Romantiker, entdeckte neue Quellen für ihr geiſtiges Schaffen in der alten deutſchen Volksdichtung, den deutſchen Sagen und Märchen. In der Dhiloſophie rangen große und edle Geiſter wie Hamann, Herder, Kant, Fichte, Schelling und manche andere um die tiefſten Fragen der Menſchheit, um Gotteserkenntnis und um das große Geheimnis von Leben, Tod und Unſterblichkeit. Wenn auch ſowohl unter den Dichtern wie unter den Dhiloſophen „Menſchliches, allzu Menſchliches“ nicht ausblieb und ſich in die Geiſtes⸗ kämpfe auch manche perſönliche Gehäſſigkeit einſchlich, ſo iſt und bleibt dennoch das Zeitalter des deutſchen Idealismus einer der Höhepunkte im Geiſtesleben der Völker, ähnlich wie das alte Griechentum oder die Zeit der Renaiſſance. In traurigem Gegenſatz dazu ſtand das politiſche Leben! In Frankreich war zwar das Grauſen der Re⸗ volution durch Napoleon beendet, aber ſowohl als Konſul wie als Kaiſer führte ſein Weg durch Krieg und abermals Krieg. Das deutſche Reich aber war 106 in 112 Einzelſtaaten und freie Städte zerfallen. „Die Fürſten zittern um ihr Schickſal. Bald ſind ſie Feinde, bald Verbündete, aber immer Hilfsloſe in der Fauſt des großen Korſen. Noch einen Augenblick, dann wird Napoleon mit ſeinen Armeen dieſes uneinige Land in Fetzen zerreißen und erdrücken, bis es ſein Hemd der Armut zuſammenflickt und einen Panzer der Ver⸗ zweiflung daraus ſchmiedet. 58 Unter dieſem furchtbaren außenpolitiſchen Druck er⸗ wachte auch das Volk der Dichter und Denker dazu, ſich ſtärker als vorher um die Politik, d. h. ſeine Ge⸗ genwartsgeſchichte, zu bekümmern. Auch in den Brie⸗ fen Sanders an Böttiger merkt man etwas von die⸗ ſem Wetterleuchten am politiſchen Horizont. Sander iſt von einem ſtarken Haß gegen Napoleon beſeelt, den er in einem ſeiner Briefe den „Länderverſchlinger“ nennt. Die Sorge bedrückt ihn, der König von Preu⸗ ßen könne gezwungen werden, in dem Kriege, der 1805 von England, Rußland, Öſterreich und Schwe⸗ den gegen Frankreich geführt wurde, an Napoleons Seite zu kämpfen, wie Bayern, Württemberg und Baden es bereits tun mußten. Wenn es damals auch gelang, Dreußens Neutralität aufrechtzuerhalten, ſo machte ſich die ſtändig drohende Kriegsgefahr doch auch im wirtſchaftlichen Leben ſchon geltend. Der Buchhandel lag danieder, denn „gerade die Leute, welche jetzt das meiſte Geld in Händen haben, küm⸗ mern ſich wenig oder gar nicht um Literatur“ (9. Sep⸗ tember 1805). Trotz aller politiſchen Sorgen und wirtſchaftlichen Schwierigkeiten war Sander im Spätherbſt 1803 die Erfüllung eines lange gehegten Wunſches gelungen: 107 die Familie konnte die Mietwohnung in der Breiten Straße verlaſſen und ein eigenes Haus „Kurſtraße Nr. 51, dicht neben dem Ober⸗Kriegs⸗Kollegium“, beziehen (26. November 1803). Um dieſe Zeit iſt Sander auch von der Hoffnung beſeelt, ſeinen Freund Böttiger nach Berlin zu bekommen. Böttiger fühlte ſich in Weimar nicht mehr wohl, ſeitdem der Druck der Ungnade von Goethe, und we⸗ gen eines früheren Zwiſchenfalles auch von Schiller, auf ihm lag. Sander bemühte ſich nun in ſelbſtloſeſter Weiſe darum, durch ſeine Beziehungen Böttiger die freigewordene Stelle des Direktors des Gymnaſiums zum Grauen Kloſter zu verſchaffen, die vom Magiſtrat zu beſetzen war. Als dieſer Verſuch geſcheitert war, ſetzte Sander ſeine Beziehungen zum Hofe in Bewe⸗ gung, um Böttiger in eine vom Kabinett zu beſetzende Stellung als Oberſchul⸗ und Oberkonſiſtorialrat zu bringen. Die Sanderſchen Briefe aus der zweiten Hälfte des Jahres 1803 ſind überwiegend gefüllt mit dem Bericht über dieſe Bemühungen, ferner mit Rat⸗ ſchlägen über die Wohnungsfrage und Angaben über die Koſten der Lebenshaltung, ſo daß ſie ein gutes Streiflicht auf wirtſchaftliche und kulturelle Fragen des damaligen Berlin werfen. Daneben bemüht ſich der treue Freund Sander, auch die Gehaltsfrage, die Regelung eines künftigen Witwengeldes, die Frage der Möglichkeit zum Nebenverdienſt durch wiſſen⸗ ſchaftliche oder journaliſtiſche Tätigkeit ſo vorzuberei⸗ ten, daß Böttiger nur nötig gehabt hätte, ſich in ein ſorgfältig vorbereitetes Neſt zu ſetzen. Im letzten Augenblick aber zog es Böttiger vor, die Bemühungen um einen Poſten in preußiſchen Dienſten aufzugeben. 108 Er nahm ſtatt deſſen eine Berufung nach Dresden an, wo er die Reuordnung des in Verfall geratenen In⸗ ſtituts zur Ausbildung der Dagen vornehmen ſollte. Die Stellung war pekuniär ungünſtiger, als die Stel⸗ lung in Berlin geweſen wäre; aber den Archäologen Böttiger lockten neben der Natur vor allem auch die Kunſtſchätze Dresdens. 59 Abgeſehen von dem eifrigen Briefwechſel in der Zeit der Bemühungen um Böttigers Berufung nach Berlin fließt die Quelle der Sanderſchen Briefe in der Zeit von 1803 bis 1806 ſehr viel ſpärlicher als vorher. Im erſten Teil des Jahres 1803 iſt der zärt⸗ liche Vater wieder bedrückt durch Krankheiten der Kin⸗ der. Der kleine Auguſt iſt ſchwer an Scharlach erkrankt; die beiden kleinen Mädchen werden mit der Kinderfrau aus dem Hauſe geſchickt, „um nicht ein förmliches Laza⸗ rett zu bekommen und nun nicht alle auf einmal in Gefahr zu ſehen, was ich ſo wenig aushalten könnte wie die Mukter, die ſchon ganz bleich iſt und zwei Tage kaum aufgehört hat zu weinen“ (1. Februar 1803). Aber auch die kleinen Mädchen trugen ſchon den Keim der Krankheit in ſich, kehren krank ins Elternhaus zu⸗ rück, und „achtzehn Wochen iſt der Arzt nicht aus dem Haus gekommen“ (9. April 1803). Zur Erholung von Mutter und Kindern werden ſie dann für lange ſchöne Wochen nach Charlottenburg in die Sommerfriſche geſchickt. Aber dunkler als die Wolke dieſer Kinder⸗ krankheiten, die ja glücklich überwunden wurden, ballt ſich über dem Sanderſchen Hauſe ein ſchweres Schickſal durch die zunehmende Hppochondrie des Fa⸗ milienvaters zuſammen. Dann entſtehen in dem ſonſt ſo eifrig gepflegten Briefwechſel Pauſen von Wochen, 109 ja Monaten. Nach einer ſolchen langen Pauſe, vom März 1804 bis Januar 1805, rafft er ſich endlich wieder zu einem längeren Brief auf mit Berichten über Vorgänge im wiſſenſchaftlichen Leben Berlins. Über den eigenen qualvollen Zuſtand und die Be⸗ mühungen, ſich wieder emporzureißen, heißt es: „Ich will und kann nicht länger ſo vegetieren, wie ich es leider, durch meinen körperlichen und geiſtigen Zu⸗ ſtand gezwungen, ſo lange gemußt habe ... Ich will und muß wieder der Vorige werden, den an Fleiß und Tätigkeit nur wenige Menſchen übertreffen konnten. Traurig genug, daß ich faſt zwei Jahre meines Le⸗ bens ganz verloren habe! Den Überreſt aber will ich noch nutzen, ſo gut ich kann. Eine der Urſachen für dieſe nervöſen Erſchöpfungs⸗ zuſtände bei dem vorher ſo robuſten Mann lag in dem Arger, den er mit Männern wie Merkel und Kotze⸗ bue gehabt hatte. Aber auch ſonſtige Enttäuſchungen und Schwierigkeiten im Verlagsgeſchäft, geldliche Verluſte durch leichtſinnige Hergabe von Darlehen an Freunde oder Zahlung von Vorſchüſſen an Schrift⸗ ſteller, die dann ihren Verpflichtungen nicht nach⸗ kamen, hatten die künſtleriſche und ſenſible Natur Sanders ſchwer getroffen. Den Hauptgrund ſeiner Hppochondrie und Melancholie bildete jedoch das ſee⸗ liſche Auseinanderwachſen mit der heißgeliebten Frau. Während der Mann in dieſen Jahren kränkelte und dadurch ſchneller alterte, entwickelte ſich Sophie zur vollſten Blüte ihres Daſeins. Sie ſtand damals in der Mitte der dreißiger Jahre. Wie es bei geſunden Frauen häufig der Fall iſt, war ſie nach der Geburt und dem Stillen jedes Kindes jünger und ſchöner ge⸗ 110 worden. Dazu kam eine große geiſtige Gewandtheit und Sicherheit, die ihr aus dem Verkehr mit ſo man⸗ chem der klügſten Männer ihrer Zeit im Sanderſchen Salon erwachſen waren. Der Prozeß pro und contra Goethe war ausge⸗ kämpft. Goethe brauchte keine Herolde mehr, wie es die älteren Romantiker für ihn geweſen; die jün⸗ geren Dichter und Schriftſteller blickten von vorn⸗ herein mit mehr oder minder großer Verehrung zu ihm auf. Friedrich Schlegel hatte 1802 Berlin ver⸗ laſſen und widmete ſich in Daris dem Studium der romaniſchen, ſpäter der morgenländiſchen Sprachen; der ältere Bruder Auguſt Wilhelm folgte im April 1804 Frau von Staél auf ihr Schloß Coppet am Genfer See. Ihr Gegenſpieler Auguſt von Kotzebue unterbrach in dieſer Zeit ſeinen Berliner Aufenthalt häufig durch Reiſen, die ihn nach Daris, Livland, Rom und Reapel führten. Aber dieſe Lücken im Ber⸗ liner geiſtigen Deben wurden durch einen Kreis jün⸗ gerer Dichter und Dichterlinge geſchloſſen, die ſich um das Jahr 1803 zuſammengefunden hatten. Dieſe jun⸗ gen Männer ſtanden faſt alle in der Vorbereitung zu einem bürgerlichen Beruf oder übten ihn bereits aus; aber ihre große Liebe gehörte der Literatur, und alle waren von der ſtillen Hoffnung beſeelt, für ſich ſelbſt einmal Ruhm als Dichter und Schriftſteller zu ge⸗ winnen. Den Kern dieſer Gruppe bildeten die drei Freunde Varnhagen von Enſe, Wilhelm Neumann und Adalbert von Chamiſſo 60 Karl Auguſt Varnhagen von Enſe, der 1785 in Düſſeldorf geboren war und in Hamburg ſeine Jugendzeit verlebt hatte, war bereits 1800, alſo 111 mit fünfzehn Jahren, nach Berlin gekommen, um ſich auf der mediziniſch⸗chirurgiſchen Depiniére zu Berlin zum Wundarzt für das Militär auszubilden. Ange⸗ zogen von der Philoſophie und der Dichtkunſt, hatte er dieſes Studium bald aufgegeben und war, um den Lebensunterhalt zu gewinnen, Hauslehrer in der Fa⸗ milie eines wohlhabenden Fabrikanten Cohen gewor⸗ den. Im Cohenſchen Hauſe machte Varnhagen die Bekanntſchaft des jungen Kaufmanns Wilhelm Neumann und ſeines Freundes Adalbert von Chamiſſo, der damals, wiewohl er von Geburt Franzoſe war“, als junger Offizier im preußiſchen Heer diente. Allmählich erweiterte ſich der Freun⸗ deskreis. Beſonders eng wurde die Freundſchaft Cha⸗ miſſos mit dem jungen Juriſten Julius Eduard Hitzig, während ſich Varnhagen voller Bewunde⸗ rung an den etwas älteren hochbegabten Franz Theremin anſchloß, der ſich der theologiſchen Lauf⸗ bahn widmen ſollte. Den Eindruck, den Theremins Derſönlichkeit auf Varnhagen machte, ſchildert er im Jahre 1805 wie folgt: „Sein bei höchſter geiſtiger An⸗ regung und reichſten Kenntniſſen jedem Schulſtaub entrücktes, feines und vornehmes Weſen hatte mir ſtets eine beſondere Verehrung eingeflößt, ich ſtellte ihn ſehr hoch, und mir war nie eingefallen, mich als ihm gleich anzuſehen ... Mit heißer Begier ſog ich des reifen, vielfach eingeweihten jungen Mannes ſin⸗ nige und wohlgeſtützte Anſichten und Urteile über Dichter und Dichtungen, über klaſſiſche und roman⸗ * Die Eltern Chamiſſos hatten im Jahre 1790, als Cha⸗ miſſo ein neunjähriger Knabe war, infolge der Franzöſiſchen Revolution nach Deutſchland fliehen müſſen. 112 tiſche Autoren, über die nächſte Welt und mitlebende Derſonen ein.“ Der begabte junge Kandidat der Theologie There⸗ min war mit einem anderen gleichaltrigen, auf ſeinem Gebiet ebenſo bedeutenden jungen Manne, mit Adam Müller, befreundet. Adam Müller hatte ihn im Hauſe ſeiner Kuſine Sophie Sander eingeführt, und nach und nach hatte dann der ganze Freundeskreis in ihrem Salon Eingang gefunden. Sophie war zwölf bis ſieb⸗ zehn Jahre älter als dieſe jungen Männer. Sie blick⸗ ten alle mit mehr oder minder großer Verehrung zu der intereſſanten, reifen Frau auf, und Sophie ließ ſich dieſe Huldigungen nur gar zu gern gefallen, um ſo mehr, als ſie in der Ehe mit dem, hypochondriſchen Manne nicht mehr volle ſeeliſche Erfüllung fand. Auch war die Verehrung dieſer jungen Männer Balſam auf die Wunde, die ihrem Herzen durch das eiſige Zu⸗ rückziehen Goethes geſchlagen war. Der Kreis der jungen Dichter und Schriftſteller vergrößerte ſich all⸗ mählich; unter anderen trat ihm ein junger Arzt, Koreff, der ſpätere Leibarzt Hardenbergs bei, ferner der Buchhändler Reimer und der unter dem Pſeud⸗ onym Robert dichtende Bruder der Rahel Levin, die ſpäter Varnhagens Gattin wurde. Aus dieſer jut⸗ gen „Dichter⸗Genoſſenſchaft“, wie Hitzig den Kreis in ſeiner Chamiſſo⸗Biographie nennt, wurde Sophie namentlich von Chamiſſo eine warme, verehrungs⸗ volle, auch in trübſter Zeit bewährte Freundſchaft entgegengebracht. Der Dichter Robert dagegen ſcheint Sophie gehaßt zu haben; wenigſtens iſt ein ſehr ge⸗ häſſiges Akroſtichon auf den Namen „Sophie San⸗ der“ von Robert vorhanden. Vielleicht war der 113 8 Die Sanders Haß genährt durch die Eiferſucht des Salons ſeiner Schweſter Rahel gegen den Sanderſchen Salon, ebenſo wie ja Sander und Sophie eine ſtarke Eiferſucht gegen die jüdiſchen Salons empfanden (vgl. S. 45 und 83). Am bedeutungsvollſten jedoch wurde für Sophies Leben die leidenſchaftliche Liebe, die ihr Franz The⸗ remin entgegenbrachte und die einen Widerhall in Sophies Herzen fand. Allmählich erwuchſen aus die⸗ ſer Liebe tiefe Seelenqualen für alle Beteiligten. Aber ehe dieſe Stürme der Leidenſchaft einſetzten, verlief ſowohl das Zuſammenwirken des Freundeskreiſes wie auch ihr Verkehr im Sanderſchen Salon harmoniſch und beglückend. Die jungen Dichter wollten ſich indes ihre Verſe nicht nur in den verſchiedenen äſthetiſchen Tees der dama⸗ ligen Zeit und im engen Freundeskreis vorleſen, ſon⸗ dern ſie wollten damit an die Öffentlichkeit treten. So ſchufen ſie denn nach berühmtem Muſter einen „Muſen⸗ Almanach“ auf das Jahr 1804, der ihnen als Sprung⸗ brett für den Dichterruhm dienen ſollte. Chamiſſo und Varnhagen zeichneten als Herausgeber. Der Alma⸗ nach wurde nach dem grünen Einband im Freundes⸗ kreis als „der Grüne“ oder der „Grünling“ bezeich⸗ net. Einige der wertvollſten Beiträge im erſten Band ſind mit einem ² gezeichnet, und unter dieſem Stern verbirgt ſich Theremin, der wohl, teils mit Rückſicht auf ſeinen Stand als Kandidat der Theologie, teils aber auch, um ſein tiefſtes Fühlen nicht der Öffentlich⸗ keit preiszugeben, ungenannt bleiben wollte. Von ² (Theremin) ſtammen zwei ſchöne, formvollendete Überſetzungen von Sonetten Detrarcas. Ferner hat 114 * drei eigene Gedichte beigeſteuert, von denen ſich zwei der Zeit nach auf das erſte Erwachen ſeiner Liebe zu Sophie beziehen könnten. In dem Gedicht „Die Nelke“ vergleicht er ſowohl ſeine Liebe wie die Ge⸗ liebte mit der dunklen, „hochrot flammenden Blume“. Das Gedicht ſchließt mit den Verſen: Dunkle Blume, dunkle Blume, in den Netzen deiner Farben, in den Schlingen goldener Düfte bin ich ewig dir gefangen. Wenn dein Duft ſich in die Seele tief und tiefer ſenkt hinab, wollen alle Kräfte ringen, wird die ew'ge Sehnſucht wach. Dunkle Blume, dunkle Blume, Du mein einziges Verlangen, ſoll ich dich auch nie beſitzen, will ich doch in Sehnſucht ſchmachten. Ein anderes Gedicht in Sonettform „Das Konzert“ ſchildert, wie der Dichter durch die Muſik in eine höhere Welt verſetzt wird und alles um ſich her ver⸗ gißt: „In der Nacht verſchwindet dann der Hörer Menge . . . Aber dann erwacht er wieder zur Gegenwart, und die drei letzten Verſe lauten: Doch denk' ich, daß inmitten dem Gedränge auch ſie mit leiſem Ohr die Töne trinket, dann kehr' ich gern zur Wirklichkeit zurück.; 8* 115 Die jungen Dichter hatten aber Schwierigkeiten, einen Verleger für ihren Almanach zu finden. Mit Mühe gelang es, einen unbekannten Verlag in Leip⸗ zig zu gewinnen, der nur ſeinen Namen hergab, während die jungen Leute, hauptſächlich Chamiſſo, die Druckkoſten ſelbſt bezahlten. Aber ſie hatten doch das Glück des Schaffens genoſſen und ſahen ſich ge⸗ druckt, — das war die Hauptſache. Der „Grünling“ erſchütterte zwar die literariſche Welt nicht allzu ſehr, fand aber doch wohlwollende Beſprechungen in der Haude K Spenerſchen Zeitung und in der „Zeitung für die elegante Welt“. „Hä⸗ miſch“ wurde er dagegen in der „Neuen Allgemeinen Deutſchen Bibliothek“ und mit „plump knotigem Schimpfen“ von Merkel in der „Neuen Berliniſchen Monatsſchrift“ behandelt. Dieſe beiden alten Gegner Goethes und der Romantiker witterten in der jun⸗ gen Dichtergruppe die Nachfolger dieſer von ihnen bekämpften Richtungs² Eine verſtändnisvolle, ja begeiſterte Aufnahme fand der Almanach hingegen bei dem Dichter Za⸗ charias Werner, dem ſein jüngerer Freund und Verehrer Hitzig den Almanach nach Warſchau ge⸗ ſchickt hatte. In einer ausführlichen Würdigung geht Werner auf jeden einzelnen der im Almanach ver⸗ tretenen Dichter ein, und es iſt bemerkenswert, daß dabei den Gedichten Chamiſſos das größte Lob zu⸗ teil wird. Der Dichter Zacharias Werner hat als einer der erſten die Bedeutung des Dichters Cha⸗ miſſo erkannt ss, der damals in dem Kreiſe der Dich⸗ ter⸗Dilettanten ſelbſt der beſcheidenſte war. Wie herzlich, ja ſchwärmeriſch ſich in dieſer Zeit 116 die Verehrung Chamiſſos für Sophie Sander geſtaltet hatte, obgleich er hauptſächlich von einer großen Lei⸗ denſchaft für eine Schickſalsgefährtin, die Emigrantin Ceres Duvernay, erfüllt war, geht aus einem Brief Chamiſſos an ſeinen Freund Louis de la Foye vom 6. Januar 1805 hervor. Der Brief iſt anſcheinend in etwas übermütiger Stimmung „in Chamiſſos Wacht⸗ ſtube am Brandenburger Tor“ begonnen; er enthält dann mancherlei Herzensbekenntniſſe von Chamiſſo, und über Sophie Sander folgende Stelle: „Ich habe letzhin, lieber Guter, mit inbrünſtiger Andacht auf Deine Geſundheit getrunken. Es war bei der Sander. Sie trank ſie mir zuerſt zu. Glaubſt auch Du an dieſe Gebete im Weine? Heilig ſind ſie mir und heilig das Blut der Reben. Beſoffen ſein iſt ein viehiſcher Zuſtand; ein göttlicher aber berauſcht ſein, und ich weiß ihn zu genießen. Ich bin manchmal bei der Sander, trinke oft in ihrem Hauſe. Sie iſt ein wunderſames, göttliches We⸗ ſen, wie alle Weiber, die ich gekannt und die mich an⸗ gezogen haben. Und ſie ganz nach ihrer Weiſe. Daß ſie unglücklich iſt, erträgt ſie mit Ironie und hat ihr wohl einige Bitterkeit gegeben; aber ich glaube ſie natürlich. Bei hohen Gaben, die einen Deutſchen feſſeln können, hat ſie alle die, welche einen Franzo⸗ ſen anziehen können. Verſtehſt Du mich? Man kann bei ihr über das Schreckliche ſcherzen und lachen und es recht tief fühlen, daß es ſchrecklich ſei. Doch nicht ich liebe ſie, aber wie ſehr ich ſie ſchätze, habe ich Dir geſagt, und ich glaube, daß auch ſie mich ſchätzt. Sie ſehe ich am meiſten. 64 Das ſchöne Zuſammenleben der Freunde, die be⸗ 117 glückenden und ſeeliſch und geiſtig bereichernden Zu⸗ ſammenkünfte im Sanderſchen Hauſe oder oft auch in ſpäter Nachtſtunde im kleinen Wachgebäude am Brandenburger Tor, wo der junge Leutnant von Cha⸗ miſſo Dienſt tun mußte, währten nicht allzu lange. Die Jahre 1804 und 1805 brachten mancherlei Schick⸗ ſalswenden, wodurch die Freunde örtlich getrennt wur⸗ den. Theremin ging im Frühjahr 1804 nach Genf, um ſich dort ein Jahr lang praktiſch für den Dienſt an einer franzöſiſch⸗reformierten Kirche vorzubereiten; Koreff, der Arzt, ging nach Halle, um dort zu promo⸗ vieren; Hitzig, der Juriſt, wurde von der preußiſchen Regierung als Aſſeſſor nach Warſchau geſchickt, Varn⸗ hagen ging im Herbſt 1804, nach dem Bankrott des Cohenſchen Hauſes, in dem er Hauslehrer geweſen, nach Hamburg zurück, Chamiſſo blieb zunächſt in Ber⸗ lin, bis er es gegen Ende des Jahres 1805 mit ſeinem Regiment verlaſſen mußte. Es war eine Art „Mobiliſierung“, ein Zwiſchenzuſtand zwiſchen Krieg und Frieden, den Chamiſſo in einem Brief an Varn⸗ hagen vom 3. März 1806 als „das Ding, das Un⸗ ding, das Mittelding, dieſe Halbheit und Albernheit' bezeichnet. In die Zeit der bevorſtehenden Trennun⸗ gen im Jahre 1804 fällt die Gründung des Bundes „Nordſtern“ durch den Freundeskreis. Als Bundes⸗ abzeichen trug jeder einen Siegelring, der in griechi⸗ ſchen Buchſtaben die Bezeichnung des Nordſterns ent⸗ hielt. In einer philoſophiſchen Schrift jener Zeit wa⸗ ren Religion, Sittlichkeit, Poeſie, Wiſſenſchaft mit den vier Himmelsrichtungen verknüpft worden. Die Wiſſenſchaft ſollte dem Norden entſprechen; daher wurde der Nordſtern als Spmbol gewählt. Gegen 118 den von manchen Seiten geäußerten Verdacht oder Vorwurf einer Geheimbündelei verteidigt ſpäter Hitzig in ſeiner Chamiſſo⸗Biographie (S. 31) den Bund: „Nie war eine Spur von Ordensweſen bei dem kleinen Bunde, das Ganze nur ein Freund⸗ ſchafts⸗ und Studienzeichen, ein Erkennungsſchrei, den die Getrennten einander zuriefen. In die Seelenſtimmung Sophies zu dieſer Zeit gibt eine Eintragung Kunde, die ſie am 31. Auguſt 1804 in das Stammbuch ihres Freundes Chamiſſo gemacht hat. Man fühlt, wie die Liebe zu Theremin damals nur ein wärmendes, belebendes, aber noch nicht ver⸗ zehrendes und quälendes Feuer war. Sophie ſchreibt: „Die Liebe öffnet uns die Augen über uns ſelber und über die Welt, die Seele wird ſtiller und andächtiger, und aus allen Winkeln des Herzens brechen tauſend glimmende Empfindungen in hellen Flammen hervor. Dann lernt man die Religion und die Wunder des Himmels begreifen; der Geiſt wird demütiger und ſtolzer, und die Kunſt beſonders redet uns mit allen ihren Tönen bis in das innerſte Herz hinein. Tieck. Zum freundſchaftlichen Andenken geſchrieben von Sophie Sander. 65 Die Abſchiedsſtimmung Chamiſſos bei ſeiner Ein⸗ ziehung zum Heeresdienſt geht aus einem langen Brief an de la Foye vom 19. Oktober 1805 hervor, in dem es u. a. heißt: „Iſt es ſchmerzhaft, ſo iſt es doch ſchön und ſtolz, erhebend und wiederum ſüß, die Beſſeren unter denen, die wir verlaſſen, an uns gekettet zu haben und bei der Trennung durch ſie feſt zu hängen an jedem Ort, wo wir waren ... Von der Sander und anderen habe 119 ich mit Tränen den Abſchiedskuß empfangen; alle, die ich gekannt habe, alle überall haben mir Freundſchaft bezeugt, und ich habe keines Schuldners Geſicht ge⸗ ſehen. 66 In dem Briefe kommt neben dem Abſchiedsſchmerz ergreifend auch der ſeeliſche Zwieſpalt zum Ausdruck, den Chamiſſo bei der Sorge empfindet, womöglich gegen Frankreich, ſein altes Vaterland, kämpfen zu müſſen. Trotz der räumlichen Trennung des Dichterkrei⸗ ſes wird die Gemeinſchaftsarbeit für den Jahr⸗ gang 1805 des Muſen⸗Almanachs eifrig fortge⸗ führt67. Nach Schlegelſcher Manier bedienen ſich die jungen Poeten beſonders häufig der Sonettform, wo⸗ durch viele Gedichte etwas Gezwungenes und Ge⸗ künſteltes bekommen. Ein überaus eifriger Mit⸗ arbeiter war für den zweiten Jahrgang Theremin; denn zahlreiche Gedichte ſind mit ſeinem Zeichen, drei ſchöne Überſetzungen Detrarcaſcher Gedichte mit vollem Namen gezeichnet. Es iſt kennzeichnend für There⸗ mins Entwicklung in der Genfer Zeit, daß ſich unter ſeinen Beiträgen neben Liebesgedichten auch zahl⸗ reiche Gedichte religiöſen Inhalts befinden. Im dritten und letzten Jahrgang, dem „Muſen⸗Al⸗ manach auf das Jahr 1806“, findet ſich von Theremin nur ein einziges mit vollem Namen gezeichnetes Gedicht, „Die Alpen“. Es ſchildert die Entſtehung der Alpen aus heftigen Kämpfen in der Natur und vergleicht dieſe Kämpfe mit denen im Menſchen⸗ leben. Für den Almanach 1807 wollte Chamiſſo das fol⸗ gende Sonett an Sophie Sander beiſteuern: 120 Als zu den Trümmern, daß ich ſie betrachte, Des Glückes, deſſen Kränze ſich mir woben, Ich um mich her den düſtern Blick erhoben Und zu den Opfern, die dem Tod ich brachte, Zu Schmerzesſtürmen mir das Herz erwachte, Daß ich in Zornes Wahnſinn mußte toben, Daß Wut ich weinte, bald zur Welt gehoben, Und bald mich ſelbſt mit grimm'gem Hohn verlachte. Wohl wußt' ich, deren Blick, ob er mir ſchiene, Ins wogende Gemüte Ruhe brächte Und Wehmutslächeln würde mir erfunkeln, Doch unaufhaltſam ohne Hort und Sühne Reißt es mich tief und tiefer in die Nächte, Die alle Lebenslichte mir verdunkeln. 68. Das etwas gekünſtelte und ſchwer verſtändliche Ge⸗ dicht iſt der Freundin gewidmet, die beruhigend wirkte, wenn verzehrende Leidenſchaft (wahrſcheinlich zu Ce⸗ res Duvernay) den Dichter quälte. Dieſes Sonett iſt jedoch nicht veröffentlicht, auch nicht in die ſpäteren Gedichtſammlungen Chamiſſos aufgenommen. Ein vierter Jahrgang des mit ſo großer Begeiſterung und Liebe gegründeten Almanachs kam nicht mehr zu⸗ ſtande. Das furchtbare politiſche Schickſal, das 1806 über Preußen hereinbrach, ſtand allem dichteriſchen und künſtleriſchen Schaffen im Wege. Zacharias Werner, der dem Kreis der jungen Poeten in Berlin ſoviel wohlwollendes Verſtändnis entgegen⸗ brachte, hatte inzwiſchen in Warſchau eifrig an ſeiner zweiten dramatiſchen Dichtung „Das Kreuz an der Oſtſee“ gearbeitet. Obgleich ſich Iffland noch nicht zu einer Aufführung des erſten dramatiſchen 121 Werkes „Die Söhne des Tales“ im Berliner Theater hatte entſchließen können, nahm Sander dennoch auch dieſes zweite in ſeinen Verlag, ſtand dem Dichter während der ganzen Zeit des Schaffens mit ſeinem Rat treulich zur Seite und widmete dem Werk auch in der Ausſtattung viel Liebe und Sorgfaltss. Wenn ſich Werner bei dieſem Werk auch um ſtärkere Zuſam⸗ menfaſſung und dadurch erhöhte Bühnenwirkſamkeit bemühte, verlor er ſich doch auch hier wieder in die Breite und mußte den Stoff in zwei Teile zerlegen. Nur den erſten Teil, der den Untertitel „Die Braut⸗ nacht“ führt, hat Werner beendet, der zweite Teil mit dem Untertitel „Der Oſtermorgen“ iſt Torſo ge⸗ blieben. Werner hatte wieder einen hiſtoriſchen Stoff ge⸗ wählt: die Bekehrung der Dreußen (Pruzzen) zum Chriſtentum durch die deutſchen Ordensritter unter Hermann von Salza. Der letzte Heidenkönig „Waide⸗ wuthis“, der nach dem von Werner vorausgeſchickten hiſtoriſchen Vorbericht „den Anwohnern der Oſtſee ihre Götter, Geſetze und Gebräuche“ gegeben, hat ſeine beiden Söhne Samo und Warmio zu Unter⸗ königen eingeſetzt. Die tragiſchen Konflikte, die wohl ſtets in einem Volke entſtehen, wenn ein alter, ab⸗ ſterbender Glaube durch einen neuen, ſiegreichen Glauben verdrängt wird, ſind in der „Brautnacht“ noch dadurch verſchärft, daß der eine Bruder, Samo, im Heidentum beharrt, während Warmio durch die Liebe zu der wundervoll gezeichneten polniſchen Für⸗ ſtentochter Malgona dem Chriſtentum gewonnen iſt. Wie Werner die Konflikte und Spannungen, die am Schluß des erſten Teiles durch einen ungewollten 122 Brudermord ihren Höhepunkt erreichen, löſen wollte, bleibt leider eine offene Frage, da der zweite Teil ver⸗ lorengegangen iſt. Nur ein Bericht darüber iſt erhal⸗ ten geblieben, eine wie tiefgehende, erſchütternde Wir⸗ kung dieſer zweite Teil ſchon bei einer bloßen Vor⸗ leſung auf die Zuhörer machte 7o. Der vorliegende erſte Teil hat ähnliche Vorzüge wie Werners „Söhne des Tales“. Werner rühmt ſich in ſeinem „hiſtori⸗ ſchen Vorbericht“ mit Recht ſeiner gründlichen ge⸗ ſchichtlichen Studien jener alten Zeit, und daß er aus ſeiner Beamtentätigkeit in Warſchau manches vom polniſchen Volkscharakter kennengelernt habe. Auch enthält der erſte Teil viele Stellen von großer dich⸗ teriſcher Schönheit und packender dramatiſcher Wucht. Dennoch iſt das Drama nie aufgeführt worden, weil Iffland, der Theater⸗Allmächtige, an der Fremdartig⸗ keit des Stoffes und dem ſtark mpſtiſchen Einſchlag Anſtoß nahm. Als Werner im Herbſt 1805 ſeinen Wohnſitz nach Berlin verlegen konnte, hätte er gern Anſchluß an den Kreis der jungen Männer gefunden, die ſich im „Nordſtern“ vereinigt hatten. Man nahm aber dort den etwas ſonderbaren Heiligen ſehr kühl auf. Am ſchärfſten ablehnend verhielt ſich Varnhagen. In ſei⸗ nem handſchriftlichen Nachlaß findet ſich eine von Ge⸗ häſſigkeit geradezu ſtrotzende kleine Skizze über Wer⸗ ners Derſönlichkeit. Ihm und manchen anderen Geg⸗ nern, die Werner im Laufe ſeines wechſelvollen Le⸗ bens erwuchſen, rief ſpäter Eduard Hitzig folgende Worte zu: „Ihr habt recht geſehen: er war ſinnlich, geizig, geldgierig, unreinlich, oft zur Erniedrigung nachgiebig, feig, eitel, ängſtlich, peinlich egoiſtiſch in 123 bürgerlichen Verhältniſſen ...“; aber Hitzig fährt dann fort: „Könnt Ihr von Euch ſagen, daß eine Idee, viel weniger eine ſo edle, durch Euer farbloſes und darum geſchminktes Leben gehe wie die, welche Wer⸗ ner bis an den Rand ſeines Grabes geleitet hat: die Idee, nach allen ſeinen Kräften dazu beizutragen, daß die erſtarrte Welt für das Höchſte wieder erwarme? 71 Die von Hitzig zugegebenen unangenehmen Eigen⸗ ſchaften Werners haben ſich auch erſt im Laufe ſeiner Wanderjahre ſeit 1807 mehr und mehr entwickelt. Als er nach Berlin kam, überwog noch der Idealiſt in ihm. Und da er ſelbſt ſchwer an der unglücklichen Liebe zu ſeiner von ihm geſchiedenen dritten Frau krankte, ſo hatte er Verſtändnis für das Ehedrama, das im Sanderſchen Hauſe zu dieſer Zeit begann. Er hat ſich ſowohl dem Ehemann wie Sophie gegenüber ſtets als Freund bewährt. Sophie gehörte auch zu dem engen, auserwählten Freundeskreis, dem der Dichter in einer „kleinen Teegeſellſchaft“ in ſeinem Hauſe zu Beginn des Jahres 1806 ein paar Akte aus dem zweiten Teil des „Kreuzes an der Oſtſee“ vorlas² 124 Siebenter Abſchnitt Das Schickſalsſahr 1806 Lm 26. Dezember 1805 war zu Preßburg der Friede zwiſchen Napoleon und Öſterreich geſchloſſen worden, der Öſterreich ſchwere Opfer auferlegte und ihm wert⸗ volle Gebietsteile entriß. In Dreußen atmete der größte Teil des Volkes erleichtert auf und glaubte an den Frieden, der doch kein Frieden war. Einzelne Pa⸗ trioten ſahen jedoch tiefer, unter ihnen der märkiſche Landedelmann und Dichter Achim von Arnim. Als er im Dezember 1805 nach längerer Abweſenheit in Berlin eintrifft, iſt er entſetzt über das gedankenloſe geſellige Leben in der Hauptſtadt, wo trotz der ſtändig drohenden Wolken am politiſchen Horizont Feſte über Feſte gefeiert werden. In ſehr kritiſcher Stimmung berichtet er ſeinem Freunde Clemens Brentano von einer großen öffentlichen Redoute, die er am 25. Ja⸗ nuar 1806 mitgemacht hat und auf der alle Stände, vom Hof bis zum Bürgertum, ſich miſchten. Entzückt iſt er nur von der poetiſchen Erſcheinung der Königin Luiſe, die als Titania gekleidet erſchien, „diamantene Strahlen um den Kopf, unter dem ſchönen Nacken ver⸗ goldete, mit Diamanten beſetzte Flügel, einen dia⸗ mantenen Blumenſtab in der Hand 73 Ju denen, die vom drohenden Ernſt der Zeit ebenſo⸗ wenig ergriffen waren wie die junge ſchöne Königin, gehörte auch Sophie Sander. Ihr war es eine Freude, daß der „Nordſtern⸗Kreis“, der 1804 und 1805 aus⸗ einandergeriſſen war, ſich wieder in Berlin zu ſam⸗ 125 meln begann. Franz Theremin hatte ſich, der Fami⸗ lienüberlieferung entſprechend, in Genf ein Jahr lang praktiſch für den Dienſt an der franzöſiſch⸗reformier⸗ ten Kirche vorbereitet und war im Jahre 1805 in Genf ordiniert worden. Daran hatten ſich weitere Stu⸗ dien in Frankreich angeſchloſſen. Von jeher hatte The⸗ remin der Geſtaltung der Kanzelrede große Aufmerk⸗ ſamkeit zugewandt. Zu einem Vorbild rhetoriſcher Größe wurde ihm in Paris der katholiſche Drieſter Maſſillion. Theremin vertrat den Satz: „Die Bered⸗ ſamkeit iſt eine Tugend!“ Sie müſſe mit ſittlicher Ge⸗ ſinnung verknüpft ſein, um dem Zuhörer ſittliche Ge⸗ ſinnung mitzuteilen¹. Dieſes Ringen um die Bered⸗ ſamkeit hatte Theremin bereits 1806, alſo im Alter von 26 Jahren, zu einem der beſten Kanzelredner Berlins gemacht, und ſelbſtverſtändlich empfand So⸗ phie innige Freude an den Erfolgen dieſes jüngeren Freundes. Aber auch die Freundſchaft des ihr gleich⸗ altrigen Dichters Zacharias Werner bedeutete eine Bereicherung in Sophies Leben, auch wenn dieſer Freund nicht immer ganz leicht zu ertragen war. In Zacharias Werner war ſchon damals etwas von dem Beruf zu ſpüren, dem er ſich nach ſeinem Übertritt zum Katholizismus widmete, d. h. er fühlte ſich ge⸗ drungen, Seelſorger und Beichtiger zu ſein. So miſchte er ſich gern und nicht immer taktvoll in die Ehe⸗ und Liebesangelegenheiten ſeiner Bekann⸗ ten, ſuchte die Freunde auch zu ſeinen religiöſen Anſchauungen zu bekehren. Ein kennzeichnendes Bei⸗ ſpiel für dieſen Zug in Werners Weſen bietet ein langer Brief über religiöſe Fragen vom 14. Februar 1806 an Adalbert von Chamiſſo, der damals noch 126 immer mit ſeinem mobiliſierten Regiment in Mittel⸗ deutſchland ſtand 75. Der Brief enthält auch eine An⸗ deutung der Ehetragödie im Hauſe Sander. „Ich höre jetzt bei Fichte die Anweiſungen zum ſeli⸗ gen Leben oder, was er und jeder Vernünftige für ſpnonym hält, zum Leben in der Liebe, zum innigen wahren Leben. Fichte iſt eine der merkwürdigſten Er⸗ ſcheinungen von geſunder Kraftfülle. Dem johanne⸗ iſchen Spſtem ergeben, iſt er ſelbſt ein Johannes, ein Vorläufer der Zeit, in der Glaube und Kraft ſich vereinigen ſollen, die wir glaubend erwarten und, was an uns iſt, herbeiführen müſſen und die uns um ſo näher iſt, je mächtiger die Menſchheit durch den Druck von außen und Leiden von innen dazu fortgeſto⸗ hen wird.“ An anderer Stelle, auf Chamiſſos Glaubensleben eingehend, ſchreibt er dann weiter: „Wenn Sie der Mut verläßt, was auch den Beſten kommen kann, ſo ſchütten Sie Ihr Herz aus vor Gott und würdigen Freunden, unter welchen unſere treff⸗ liche Freundin Sander als geprüfte Sachkennerin um ſo höher ſteht. Schreiben Sie mir gelegentlich, ob Sie an Jeſum Chriſtum, d. h. an das Mittleramt der Liebe glauben; es wäre nicht übel, doch hält es darin jeder wie er kann. Den Theremin liebe ich ſehr; er iſt geſund und ſchuldlos. Ich wünſchte ſehnlichſt, ihn bald verheiratet zu ſehen mit einem geſunden Mädchen; es wäre die ein⸗ zige Heirat, die ich, wenn ich könnte, aus allen Kräften beſchleunigen würde. Ich rechne dabei jedoch vorzüg⸗ lich auf den Beiſtand unſrer edlen Freundin, deren ge⸗ ringſtes Verdienſt es iſt, klüger zu ſein als wir alle. 127 In einer Nachſchrift zu dem langen Brief heißt es noch: „Unſer wackrer Sander war ſehr krank, beſſert ſich aber jetzt, gottlob! Er hat eine ſeltene Reinheit und Zartheit des Herzens, die zum Teil ſchon der Zug beweiſt, daß er mit deshalb hppochondriſch iſt, weil er ſeiner Frau unwert zu ſein glaubt, ein Irrtum zwar, denn wer redlich liebt, iſt des trefflichſten Wei⸗ bes wert, aber doch ein ſehr edler. Seine Frau fühlt und erwidert das durch die ſorgfältigſte Pflege, und ich bin überzeugt, daß ſie lieber zugrunde gehen als den ohne ſie ganz hilfloſen Vater ihrer Kinder hilf⸗ los laſſen könnte. Sie ſollten dieſe kräftige Dulderin ſehen, wenn ſie eine Träne, die man ihr nicht übel⸗ nehmen kann, ins Herz ſchluckt. Aber Sophie bleibt trotz aller Sorgen und Herzens⸗ wirren tapfer und froh. Sie hofft, daß Chamiſſo mit ſeinem Regiment bald zurückkommen werde, und ſchreibt ihm: „Ich verſpreche mir recht viel von dem künftigen Sommer; wir wollen alle recht glücklich ſein, und dann werden auch Sie zu den ſchönſten Sonetten begeiſtert werden. Daß Uthemann geſtorben iſt, wiſſen Sie wohl ſchon. Die arme Braut iſt ſehr unglücklich. Meine Kinder ſprechen recht oft von Ihnen und freuen ſich ſchon auf Ihre Zurückkunft. Für heute kann ich Ihnen nichts mehr ſchreiben, ich mag auch nicht, da wir uns doch bald ſehen und ich die mündliche Unterredung jeder ſchriftlichen weit vor⸗ ziehe. Dann wollen wir auch über Werners Brief ge⸗ hörig ſprechen. Gott ſei Dank, daß, da nun einmal Berlin geſagt worden iſt, man auch hoffen darf, kein Berlade * ? — in der Handſchrift ſchwer leſerlich. 128 wieder zu hören! Möchten Sie auf den Flügeln des fauſtiſchen Drachen hierher fahren können, ſo hätten wir die Freude Sie wiederzuſehen vermutlich um einige Monate früher. Leben Sie ſo lange recht wohl und denken Sie oft an Ihre Freundin Sophie Sander. 76 Die Hoffnung auf Chamiſſos baldige Rückkehr er⸗ füllte ſich nicht, und noch weniger konnten Sophie und ihr Kreis im Sommer „alle recht glücklich ſein“! Als der Frühling des Schickſalsjahres 1806 ins Land zog, wurde zunächſt die königliche Familie von einem ſchweren Leid betroffen. Die Königin Luiſe hatte in den zwölf Jahren ihrer Ehe7 bereits acht Kindern das Leben gegeben; das erſte Kind, ein Mädchen, war tot geboren. Ihr jüngſtes lebendes Kind war der kleine, am 13. Dezember 1805 geborene Drinz Ferdi⸗ nand. „Es war dies ein ganz beſonders ſchönes und reizendes Kind und bildete das ganze Entzücken ſei⸗ ner Mutter; aber ſie mußte es am 1. April 1806 wie⸗ der verlieren, und die Trauer um ſeinen Tod er⸗ ſchütterte ihre bereits leidende Geſundheit ſehr. 16 Aber gerade in dieſer Zeit reifte vielleicht die junge und bis dahin etwas oberflächliche Königin zu dem Ernſt und der Gemütstiefe heran, die ſie ſpäter zu einer Art Nationalheiligen Preußens werden ließ. Der Erzieher der Prinzen, Friedrich Delbrück, ſchreibt in ſeinem Tagebuch am 2. April 1806, alſo einen Tag nach dem Todesfall, nach einer Unterredung mit der Königin: „Der Gedanke, den die Königin ſelbſt äußerte, das Kind ſei glücklich zu preiſen, vieler Schmach und vielem Ungeheuren entgangen zu ſein, führte uns in das Gewirre der Welthändel .. . Die 129 9 Die Sanders Königin geſtand, daß ſowohl die Welthändel als auch der letzte Todesfall ihrem Gemüte Kräfte gegeben hätten, ihr bis dahin unbekannt;, ihr Geiſt ſei auf⸗ wärts gerichtet; nie habe ſie ſich geſchickter gefühlt zur Abendmahlsfeier als gerade jetzt. Sie war heute in der Kirche geweſen zur Vorbereitung und wird mor⸗ 79 gen kommunizieren in der Nicolai⸗Kirche.“ Bei der großen Verehrung, die das Ehepaar San⸗ der ſtets für das Königshaus empfunden, und in der Erinnerung an gleiches Leid, das auch ſie einſt ge⸗ troffen hatte, drängte es auch Sophie, an dieſem Gottesdienſt und an der Abendmahlsfeier am fol⸗ genden Tage, einem Karfreitag, teilzunehmen. Welche Gedanken beſtürmten ſie da in der ehrwür⸗ digen alten Nicolai⸗Kirche! Die Erinnerung an die glücklichſten Jahre ihrer Ehe ſtieg auf, als noch volle Gleichſtimmung des Geiſtes zwiſchen ihr und ihrem Mann beſtand. Die Erinnerung an das ſchöne, holde Kind, ihren kleinen Wilhelm, wurde lebendig. und an die Trauer, die ſie und ihr Mann damals ge⸗ meinſam um ſeinen frühen Tod getragen“. Es war ihr zumute, als wolle mit der Erinnerung an dieſes Kind ein ſchützender Engel ſie vor den Stürmen der Leidenſchaft bewahren und ſie in der Treue zu ihrem Mann ſtärken, auch wenn die einſtige Liebe geſtor⸗ ben war. Noch einmal beſuchte Sophie bald danach einen Gottesdienſt, an dem auch die Königin Luiſe teil⸗ nahm. Am 2. Mai 1806 predigte in der Friedrich⸗ Werderſchen Kirche zu Berlin der junge Geiſtliche Franz Theremin in franzöſiſcher Sprache über die * Vgl. S. 40. 130 Worte: „Isaac sur le soir sortit pour prier.“ Der Prin⸗ zenerzieher Delbrück war mit dem Kronprinzen und einem anderen jungen Drinzen in dieſem Gottesdienſt und ſchrieb in ſein Tagebuch: „Beide benahmen ſich mit viel Anſtand und Andacht in der Nähe der Köni⸗ gin, die auch in der Kirche war und gewiß viel Troſt und Stärke fand. 80 Es iſt erſtaunlich, daß die preußiſche Königin und die preußiſchen Prinzen einen in franzöſiſcher Sprache gehaltenen Gottesdienſt beſuchten. Das kann noch ein Nachklang aus der Zeit Friedrichs des Großen gewe⸗ ſen ſein, der die franzöſiſche Sprache bevorzugte, es kann aber auch ſein, daß der Ruhm des jungen Kan⸗ zelredners den Beſuch dieſes franzöſiſchen Gottes⸗ dienſtes veranlaßt hatte. Sophie, die an allem geiſtigen Ringen und Streben ihrer jüngeren Freunde lebhaften Anteil nahm, konnte ſich bald danach am Aufſtieg eines anderen ihrer Schützlinge freuen: Zacharias Werner errang mit ſeinem Drama „Martin Luther“ oder „Die Weihe der Kraft“ den erſten großen, wenn auch ſtark umſtrittenen Theatererfolg. Die Erſtaufführung fand am 11. Juni 1806 ſtatt, und trotz der großen Hitze war das Haus ausverkauft. Schon ſeit Anfang Mai gingen in der zeitgenöſſiſchen Preſſe die Aus⸗ einanderſetzungen hin und her, ob man eine Geſtalt wie die des Reformators Luther überhaupt auf die Bühne bringen dürfe und ob gerade Werner, dem manche Kreiſe des Droteſtantismus die ſtark katholi⸗ ſchen Klänge in ſeinen bis dahin erſchienenen Dramen übel vermerkten, zu einer Luther⸗Dichtung berufen ſei. Da Störungen der Vorſtellung befürchtet wurden, 131 9* mußten polizeiliche Maßnahmen zum Schutz der Auf⸗ führung getroffen werden. Schon im erſten und dann im zweiten Akt wurden in der Tat unzufriedene Stimmen laut, die aber allmählich verſtummen muß⸗ ten, denn „am Schluſſe des dritten Aktes waren nach übereinſtimmenden Berichten alle im Theater über⸗ raſcht und beſiegt“s¹. Das Luther⸗Drama iſt in der Zeit vom11. Juni bis zum 21. Juli 1806 fünfzehnmal bei vollem Hauſe aufgeführt worden; dann aber kam eine böswillige Störung von außen. Die übermütigen Offiziere der königlichen Gendarmerie hatten ſich einen Schlittenzug mit verdeckten Rädern bauen laſ⸗ ſen, und auf den Schlitten ſaßen in häßlichen Kari⸗ katuren die Figuren des Dramas. Unter Fackel⸗ beleuchtung und mit großem Geſchrei fuhr der Spott⸗ zug mehrere Stunden lang durch die Straßen Ber⸗ lins. Der König war über dieſen Streich ſeiner Offi⸗ ziere ſehr empört. Die Anführer des Streiches wur⸗ den beſtraft;, ſie entſchuldigten ſich ſpäter damit, ſie hätten ja nicht Luther verſpotten wollen, ſondern nur dagegen proteſtiert, daß ein Mann mit nicht ganz ein⸗ wandfreiem ſittlichen Ruf wie Iffland einen Luther darſtelle. Aber die Wirkung des Streiches der Offi⸗ ziere war doch die, daß das Stück in Berlin jahrelang nicht mehr aufgeführt werden durfte. Iffland dagegen, der im Luther eine Glanzrolle, ja vielleicht die glän⸗ zendſte Rolle ſeiner ganzen Laufbahn gefunden hatte, ſorgte ſpäter durch Vorleſung einzelner Szenen oder durch Gaſtſpiele in dieſer Rolle in anderen Städten dafür, daß der Ruhm des Luther⸗Dramas zunächſt nicht erloſch. Werner hatte ſich zum Zwecke der Theaterauffüh⸗ 132 rung manche Anderungen an ſeinem urſprünglichen Werk gefallen laſſen müſſen; namentlich hatte ihm Iffland den auch in dieſem Werk üppig wuchernden Myſtizismus ſtark beſchnitten. Zu Ifflands Leidweſen nahm Werner in der Buchausgabe, die Ende 1806 mit der Jahreszahl 1807 in beſter Ausſtattung bei Sander erſchien, alle beanſtandeten Stellen wie⸗ der auf. Läßt man heute, unberührt von allen damaligen Kämpfen, das Luther⸗Drama unbefangen auf ſich wirken, ſo wird man beim Leſen trotz mancher Län⸗ gen immer wieder gepackt von der dichteriſchen Schön⸗ heit vieler Stellen und von der dramatiſchen Wucht einzelner Hauptſzenen. Ein ſchöpferiſcher Regiſſeur der heutigen Zeit, der die myſtiſchen Geſtalten des jungen Theobald und der jungen Thereſe womöglich ganz ſtreicht, zumindeſt ihre Szenen ſtark kürzt, könnte wohl auch jetzt noch dem Werk zu einer Wirkung verhelfen, ebenbürtig derjenigen mancher Dramen von Shakeſpeare oder Schiller. Man verſteht im Hin⸗ blick auf dieſes Drama und das ſpätere Leben Wer⸗ ners das Wort Grillparzers: „Werner war der An⸗ lage nach beſtimmt, der dritte große deutſche Dichter zu ſein; er mußte viel dagegen arbeiten, um ſein Ge⸗ burtszeugnis unwahr zu machen. 82 Den Sommer des Jahres 1806 wollte Sander zu einer Kur in Dyrmont benutzen. Die Arzte ſcheinen damals mit der Abmeſſung der Bade⸗ und Trink⸗ kuren noch keine genügenden Erfahrungen beſeſſen zu haben. Sie verordneten zuviel des Guten und rich⸗ teten damit im Körper des Patienten nur Schaden an. Auch Goethe hatte am Ende ſeiner Pprmonter 133 Kur im Jahre 1801 über ſtarke nervöſe Reizbarkeit geklagt, ſo daß ihn „des Nachts die heftigſte Blut⸗ bewegung nicht ſchlafen ließ, bei Tage das Gleich⸗ gültigſte in einen exzentriſchen Zuſtand verſetzte“ ss Einen anderen Fall, in dem die Datientin durch die Pyrmonter Kur überanſtrengt wurde und in Wahn⸗ ſinn verfiel, erwähnt Gentz in einem ſeiner Briefest, Auch auf Sander hatte die Kur eine unheilvolle Wir⸗ kung. Der gute, teilnehmende Chamiſſo berichtet dar⸗ über aus Hameln in einem Briefe an ſeine Freunde Varnhagen und Neumann vom 28. Juli 1806: „Seit geſtern bin ich ganz entſetzlich verſtimmt worden; un⸗ verſehens erhalte ich die Nachricht, daß der unglück⸗ liche Sander in Pyrmont ſchon ſeit einiger Zeit in den erſchrecklichſten Zuſtand zurückgeſunken iſt, und — lautet der Bericht — es iſt keiner da, der ſich ſeiner annähme und ſeiner zwei Kinder, die er bei ſich hat. Ich will hineilen, um zu ſehen, wie es iſt, und ob etwas iſt, das ich für ihn und ſeine Familie tun könnte. Kurze Zeit darauf kann Chamiſſo den Freunden am 6. Auguſt melden: „Sander iſt wieder unterwegs nach Berlin, ich komme von Pyrmont und ſeiner Schwäge⸗ rin, Sophies Schweſter. Ich war ſchlecht behoſt, und ritt gut, d. i. ſtark, aber habe nichts weniger als die ganze Haut meines viel getreuen Herzens einge⸗ büßt. 85 In dieſer Zeit brach das Schickſal wie mit Keulen⸗ ſchlägen über das bis dahin im allgemeinen ſorgloſe und behütete Daſein Sophie Sanders herein. Der Mann wurde ſo ſchwer krank, daß Anſtaltspflege not⸗ wendig wurde; der Buchhandel lag wegen der Wol⸗ 134 ken, die ſich immer drohender über Dreußen zuſam⸗ menballten, völlig danieder. Sophies Hauptſorge galt der Zukunft ihrer Kinder. Ihretwegen mußte das Geſchäft aufrechterhalten werden; auch wollte ſie die Angeſtellten, die meiſt ſchon jahrelang der Firma treu gedient hatten, nicht entlaſſen und dem Schickſal der Arbeitsloſigkeit preisgeben. Sie wurde hin⸗ und hergeriſſen zwiſchen der Arbeit für die Verlagsbuch⸗ handlung und den Erziehungsaufgaben an ihren Kin⸗ dern. In dieſer ſchweren Zeit bewährte ſich Theremin als treuer Freund. Er nahm Sophie wenigſtens die Sorge für den neunjährigen Auguſt ab und brachte ihn zu ſeinem Vater, der Pfarrer in Gramſow in der Uckermark war, in Denſion. Wie ſehr Theremin ſeinen Vater liebte und verehrte, geht aus den Er⸗ innerungen hervor, die er ihm in ſeinen „Abend⸗ ſtunden“ gewidmet hat. Es war ein Vertrauensbeweis dieſes ſittlich auf großer Höhe ſtehenden Mannes für ſeinen Sohn und deſſen Freundin Sophie, daß er dieſer Frau in ſchwerſter Prüfungszeit hilfreich zur Seite ſtand. Auch die Königin Luiſe hatte im Jahre 1806 einige Zeit in Dyrmont zur Kur geweilt. „Hier in dem un⸗ gezwungenen geſelligen Kreiſe der Badegäſte ward meine geliebte Königin wahrhaft angebetet von allen, die ſie ſahen“, berichtet die Oberhofmeiſterin Gräfin von Voß über dieſen Aufenthalt. Es war eine der Wahnvorſtellungen des erkrankten Sander, daß er ſich eine unglückliche Leidenſchaft für die Königin ein⸗ bildete. Die Königin Luiſe kehrte Anfang Auguſt nach Berlin zurück. Alles, was ſich in den letzten Wochen an Bedrohlichem in der Politik ereignet hatte, war 135 ihr auf Wunſch des Königs verborgen geblieben, um ihr während der Kur Sorge und Unruhe zu erſpa⸗ ren. Um ſo größer war nun ihre Beſtürzung bei der Heimkehr. Am 6. Auguſt 1806 war der Rapoleon hö⸗ rige Rheinbund gegründet worden; es folgte eine Reihe anderer Handlungen Napoleons, die die Rechte Dreußens verletzten, ſo daß noch im Auguſt das preußiſche Heer mobiliſiert wurdess Die Truppen wurden hauptſächlich in Thüringen zuſammengezogen. Einige märkiſche Regimenter ka⸗ men nach Weimar. Viel Trauer, viel Abſchiedneh⸗ men hatte es auch wieder in dem großen Freundes⸗ kreis des Sanderſchen Hauſes gegeben. Ergreifend iſt das Bild, das Fernow, der Bibliothekar der Her⸗ zogin Amalie, von dieſen Dotsdamer und Berliner Truppen in einem Briefe an Karl Auguſt Böttiger gibts7: „Übrigens lagen hier in Weimar die ſämt⸗ lichen preußiſchen Garden, prächtige, aus dem Ei ge⸗ ſchälte Leute, wert, die ſchönſte Königin zu bewachen, aber nicht tapfer und kriegserfahren genug, um einen guten König zu ſchützen und den Siegern von Ma⸗ rengo und Auſterlitz die Stirne zu bieten. Sie gaben uns hier herrliche Paraden, und das unabſehliche La⸗ ger auf dem weiten Felde gab einen imponierenden Anblick. Aber mein Vertrauen wollte immer noch nicht wachſen ... Es war ein herrlicher Herbſtabend, die Sonne ging eben über Erfurt unter, als die Trup⸗ pen nun endlich vom Lager vorwärts und gegen Jena und Auerſtädt zogen. Unnennbare Empfindungen durchſtrömten mich, und der Gedanke: wie vielen Tauſenden unter Euch, die Ihr jetzt ſo freudig jubelt, geht heute die Sonne zum letzten Mal unter! ſtimmte 136 mich zu einer Wehmut, der gleich, als ich Rom an einem ſchönen Abend zum letzten Male von der Höhe des Kapitolturmes überſah. Alle dieſe Schlachtopfer ſah ich fröhlich und gedankenlos dem ſchwarzen Ver⸗ hängniſſe entgegenziehen, und ich hatte nicht geirrt: Tauſende ſahen am folgenden Abende die Sonne nicht mehr untergehen. Und dann kam es Schlag auf Schlag: Die Vorhut der Dreußen wird am 10. Oktober 1806 bei Saal⸗ feld geſchlagen, das Hauptheer am 14. Oktober in der Doppelſchlacht bei Jena und Auerſtädt vollſtändig be⸗ ſiegt. — Die Königin, die im September ihrem Gatten in das Hauptquartier nach Naumburg gefolgt war, muß den qualvollen Leidensweg der Flucht nach Kö⸗ nigsberg in Oſtpreußen und ſpäter noch weiter nach Oſten, nach Memel, antreten. Am 27. Oktober 1806 zieht der ſiegreiche Napoleon durch das Brandenbur⸗ ger Tor in Berlin, der Hauptſtadt eines zu Boden geſchmetterten Staates, ein, und Jahre tiefſter ſee⸗ liſcher und wirtſchaftlicher Not brachen für die un⸗ glückliche Bevölkerung dieſes Staates an — — —. Die Rückkehr Chamiſſos nach Berlin, die Sophie zu Anfang des Schickſalsjahres freudig erhofft hatte, er⸗ folgte vorläufig nicht, da ihn zunächſt der Heeres⸗ dienſt noch feſthielt, der ihm manche bitteren Erfah⸗ rungen brachte. Dagegen war ein anderes Mitglied des Nordſtern⸗Bundes, Varnhagen, nach ſeinem Aufenthalt in Hamburg und einer kurzen Studienzeit an der Univerſität Halle im September 1806 nach Berlin zurückgekehrt. Wie er einſt mit Chamiſſo zu⸗ ſammen gewohnt hatte, ſo teilte er jetzt die Wohnung mit Theremin und wurde dadurch auch Theremins 137 Vertrauter in dem, was dieſen jetzt am ſtärkſten be⸗ wegte, in ſeiner Liebe zu Sophie Sander. O There⸗ min, hätteſt du den zur Klatſchſucht neigenden Cha⸗ rakter deines Freundes beſſer erkannt, ſo wäreſt du wohl vorſichtiger mit deinen Herzensergießungen ge⸗ weſen! Der frühere Wohnungsgefährte Chamiſſo hatte den Freund und engſten Mitarbeiter am „Grünling anſcheinend beſſer erkannt; denn in einigen Briefen Chamiſſos an ſeinen Jugendfreund de la Foye finden ſich erſtaunlich ſcharfe Urteile über Varnhagenss. Daß Varnhagen auch von der Rot des Vaterlandes keineswegs tief betroffen wurde, geht aus einer ge⸗ radezu begeiſterten Schilderung hervor, die er dem franzöſiſchen Heere bei der Beſetzung Berlins widmet. Wie hätte ſich ein Menſch, der ſein Vaterland liebt, ſo von der äußeren Pracht des feindlichen Heeres blenden laſſen, ja ſich ihrer freuen können! Er wäre gewiß, falls eine Begegnung unvermeidlich wurde, eher in ſtummem Schmerz und voll Bitterkeit ab⸗ ſeits gegangen. Trotzdem mag dieſe für den Schreiber bezeichnende Varnhagenſche Schilderung hier mitge⸗ teilt werden, gibt ſie doch zugleich ein Bild aus Berlin zur Zeit der feindlichen Beſetzung, — einem Un⸗ glück, wie es die Hauptſtadt ſeitdem nie wieder, nicht einmal nach dem Zuſammenbruch 1918 zu erdulden brauchte. Varnhagen ſchildert ſeinen Weg durch den Luſtgarten: „Als ich am 27. Oktober abends wie gewöhnlich dieſen Weg nahm, ſetzte mich ein neues Schauſpiel, das ſich hier unerwartet darbot, in das wundervollſte Staunen. Der ganze Mittelraum des bis dahin ſorg⸗ ſam geſchonten Raſens und ſelbſt der Straßenplatz 138 nach dem Schloſſe hin war bedeckt mit unzähligen hell⸗ flammenden Wachtfeuern, um welche her die kaiſer⸗ liche Garde in tauſend Gruppen munterer Fröhlichkeit und Geſchäftigkeit ſich bewegte. Die mächtigen Feuer beleuchteten taghell die prächtigſten, ſchönſten Leute, die blankſten Waffen und Kriegsgeräte, die reichſten bunten Uniformen, in deren ſich tauſendfältig wieder⸗ holendem Rot, Blau und Weiß die volle Macht der franzöſiſchen Nationalfarben die Augen traf. Ungefähr zehntauſend Mann waren in dieſem lodernden Biwak in Bewegung, den das matter beſchienene Schloß, wo der Kaiſer ſeine Wohnung hatte, düſter begrenzte. Einen großen Eindruck gewährte der Überblick des Ganzen; und wenn man das Einzelne unterſuchte, denn man konnte frei hindurch gehen und jede Neugier befriedi⸗ gen, ſo mehrte ſich nur die Bewunderung. Jeder Sol⸗ dat ſchien an Ausſtattung, Benehmen, Wohlbehagen und Gewicht ein Offizier, jeder ein Gebieter, ein Held. Sie ſangen, tanzten und ſchmauſten bis tief in die Nacht hinein; dazwiſchen rückten kleine Abteilungen in ſtrengſter kriegeriſcher Haltung mit Trommeln und Muſik zum Dienſt aus und ein. Es war ein einziger Anblick, wie ich ihn nie wieder gehabt; ich verweilte ſtundenlang und konnte mich kaum losreißen. Auch bei Theremin ſchien das vaterländiſche Ge⸗ fühl in dieſer Zeit noch nicht ſehr entwickelt zu ſein; denn er ſah, ſofern man Varnhagens Erzählungen Glauben ſchenken darf, „all den Sturm und Wirr⸗ warr nur ſo an, als habe er den einzigen Zweck, daß die franzöſiſche Kolonie darüber vergäße, ſich über ſein Verhältnis zu Madame Sander mit böſem Geklatſch aufzuhalten 89 139 Sollte wirklich eine derartige Außerung von There⸗ min gefallen ſein, ſo wäre ſie ein Beweis dafür, daß er bei aller geiſtigen Bedeutung doch noch ſehr jung war und noch nichts ahnte von der furchtbaren Wahr⸗ heit der Worte: „Wehe den Beſiegten 140 Achter Abſchnitt Flach dem Zuſammenbruch 1807—1809 Der Zuſammenbruch des preußiſchen Heeres in den Schlachten bei Auerſtädt und Jena, der durch weitere Siege Napoleons und durch das grauenvolle Diktat von Tilſit am 9. Juli 1807 beſiegelt wurde, gab der bis dahin ſo behaglichen Geſelligkeit Berlins und ſei⸗ nem regen geiſtigen Leben eine erſchütternde Wende. Wer die unglückliche Stadt nach der Schlacht von Jena verlaſſen konnte, tat es;, die Zurückbleibenden litten unter den drückenden Kontributionen, unter der franzöſiſchen Einquartierung, unter dem ſtändigen Durchmarſch der franzöſiſchen Heere, die zur weiteren Vernichtung Dreußens immer tiefer nach Oſten vor⸗ drangen. Die edelſten Geiſter litten aber auch unter der Qual der Selbſtzerfleiſchung, die in einem Teil der Berliner Dreſſe einſetzte. „Es war, als hätte uns nun alles verlaſſen und wir ſelbſt wären von unſerer eigenen Sache abgefallen. Die Würdigung der Dinge hatte plötzlich ſich gewendet. An die Stelle aller Tu⸗ gend und Weisheit war Napoleons Glück getreten, und wie gezüchtigte Schulknaben, wie gebrandmarkte Toren waren die, welche ſich ihm hatten widerſetzen wollen, an den Pranger der Meinung geſtellt. Das Unglück, das Ungeſchick dieſes Kampfes galt für hin⸗ reichenden Beweis ſeiner Torheit. Es war, als ob alles Schöne, alles Edle und Große plötzlich von der Erde gewichen ſei, als ob ein feiler, gemeiner Geiſt 141 des Eigennutzes die Welt regiere. Er hieß Hochmut und Übermut für den Sieger, Schmeichelei und Ver⸗ götterung ihrer Ketten für die Beſiegten.“ — So ſchil⸗ dert eine Zeitgenoſſin den Geiſt, der ſich unmittelbar nach dem Zuſammenbruch in manchen Kreiſen geltend machte9, — es iſt derſelbe verhängnisvolle Geiſt der Selbſtzerfleiſchung, der bei einem Teil des Volkes auch nach dem Zuſammenbruch von 1918 zu beklagen war. In dem Briefwechſel zwiſchen Sander und Bötti⸗ ger war infolge von Sanders Erkrankung und unter dem Druck der politiſchen und wirtſchaftlichen Lage eine lange Pauſe eingetreten. Erſt aus dem Dezem⸗ ber 1807 und Januar 1808³¹, ſowie aus den folgen⸗ den Monaten liegen wieder ausführliche Briefe vor. Die politiſchen Verhältniſſe werden darin nur wenig berührt; um ſo mehr berichtet Sander von eigenen Arbeiten und Plänen. Nach dem geiſtigen und kör⸗ perlichen Zuſammenbruch im Sommer 1805 ſcheint eine beſonders ſtarke geiſtige Spannkraft und Arbeits⸗ luſt über Sander gekommen zu ſein. In dieſer Zeit hat er ein dreibändiges Geſchichts⸗ werk „Gemälde der Revolutionen“ des fran⸗ zöſiſchen Hiſtorikers C. W. Koch überſetzt und in ſei⸗ nem Verlag herausgebracht³². Das Werk bietet mehr, als der Titel beſagt. Es werden darin nicht nur die geſchichtlichen Ereigniſſe dargeſtellt, die man gewöhn⸗ lich als „Revolutionen“ zu bezeichnen pflegt, ſondern es wird die Geſchichte Europas von den Zeiten der Völkerwanderung bis zum Jahre 1800 behandelt; denn die Geſchichte beſteht aus „unaufhörlichen Revo⸗ lutionen, welche die Form der Staaten ändern““. Das * Aus der Vorrede des Verfaſſers der „Gemälde“. 142 Ereignis, das dem oberflächlichen Beobachter am mei⸗ ſten als Revolution erſchien, die große Franzöſiſche Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts, wird über⸗ haupt noch nicht behandelt. Der Verfaſſer gibt dazu folgende Begründung: „Um in ſeinem wahren Lichte zu erſcheinen, muß dieſes große Gemälde (gemeint iſt die Franzöſiſche Revolution) in ſeinem Zuſammen⸗ hange dargeſtellt werden. Und es wird nur dann voll⸗ endet werden können, wenn es dem großen Manne, der über die Wohlfahrt des franzöſiſchen Reiches wacht, gelungen ſein wird, das Kontinentalſpſtem auf einer feſten Baſis zu gründen und der Friedensſtifter Euro⸗ pas zu werden, ſo wie er der Wiederherſteller Frank⸗ reichs geweſen iſt.“ Über den Eindruck, den Sander von dem Werk emp⸗ fangen hatte und der ihn —- den Rapoleon⸗Haſſer - bewog, ſich trotzdem mit dem Verfaſſer, der Napoleon bewunderte, wegen der Überſetzung in Verbindung zu ſetzen, gibt er als Überſetzer im Vorwort folgende Schilderung: „Das Original wurde ihm im Auguſt dieſes Jahres (1807) bekannt, folglich zu einer Jeit, da er wie jeder gute Bürger des preußiſchen Staates über das unglückliche Schickſal ſeines Vaterlandes trauerte. Es zerſtreute anfangs ſeine trüben Gedan⸗ ken und zog ihn, je weiter er las, um ſo ſtärker an; vorzüglich dadurch, daß der Verfaſſer mit wahrhaft philoſophiſchem Geiſte einen Geſichtspunkt genommen hat, aus dem er das ganze weite Feld der Geſchichte wie mit einem Blick überſieht: wodurch denn ſein Buch gewiſſermaßen zu einem Kunſtwerk geworden iſt.“ Die vorzügliche Überſetzung, die Art der Aus⸗ ſtattung, die zweckmäßige Geſtaltung der beigegebenen 143 chronologiſchen und genealogiſchen Tafeln, ſowie Land⸗ karten Europas aus verſchiedenen Zeitepochen, das alles war Sanders Werk und hat den Wert dieſes „geſchichtlichen Kunſtwerkes“ noch bedeutend geſtei⸗ gert. Neben dieſer Überſetzertätigkeit beſchäftigt ſich San⸗ der in dieſer Zeit mit geſchichtlichen Studien und will die Werke des römiſchen Hiſtorikers Curtius Rufus neu herausgeben. Aber ſein Ehrgeiz und ſein Arbeits⸗ eifer gehen noch weiter: „Ich überſetze Glucks „Iphi⸗ génie en Aulide“, welche im Januar im großen Opernhaus gegeben werden ſoll, und gebe davon einen Klavierauszug heraus, den ich ſelbſt mache und verlege. Bald trete ich nachher auch mit einigen Dutzend Liedern als Komponiſt auf“ (22. Dezember 1807). Aber leider blieb es nicht bei dieſer beglücken⸗ den Arbeit, ſondern Sander ließ ſich wieder mit einer Therſites⸗Natur“, dem Schriftſteller Friedrich Buchholz, ein. Er überſetzte das von Buchholz in franzöſiſcher Sprache geſchriebene Buch „Galerie preußiſcher Charaktere“. In dieſem Buch wird eine Reihe von Staatsmännern und militäriſchen Führern geſchildert, die in der Politik der damaligen Zeit hervorgetreten waren und denen man zum Teil die Schuld an der politiſchen Kataſtrophe zuſchrieb. Daneben werden auch einige Gelehrte, unter ihnen Sanders Freund, der Hiſtoriker Johannes von Mül⸗ ler, ſehr übel behandelt. Es mag in manchen Skiz⸗ zen ein Körnchen Wahrheit ſtecken, ja in manchen vielleicht ſogar ein ſehr großes Korn herber Wahrheit enthalten ſein. Aber im ganzen werden die Perſön⸗ * Vgl. S. 60 und S. 65. 144 lichkeiten wie in einem Zerrſpiegel geſehen, der das Gute und Große völlig verſchwinden läßt, dagegen alle menſchlichen Schwächen vergröbert und wie un⸗ ter ein Scheinwerferlicht ſetzt. Sander ſcheint ſich beim Verlag dieſes Werkes ſelbſt nicht wohlgefühlt zu haben; das geht aus der von ihm herrührenden Einleitung hervor, worin es unter an⸗ derm heißt, er hätte keine Bedenken gegen die Druck⸗ legung getragen, da er nichts darin gefunden, „was den Staat, die Religion oder die guten Sitten belei⸗ digt“. Ja, er glaubte damit dem preußiſchen Staate zu dienen; denn — ſo heißt es weiter: „Jeder Künſtler muß es ſich gefallen laſſen, daß ſeine Arbeit öffent⸗ lich, oft ſehr ungerecht, beurteilt wird. Warum nicht auch Generale und Staatsmänner, beſonders wenn der Erfolg ihres Tuns und Treibens ſo offen am Tage liegt wie jetzt in dem Schickſal des preußiſchen Staates? eines Staates, der von der Vorſehung berufen ſchien, der Frivolität des Südweſtens und der Roheit des Nordoſtens einen Damm entgegen⸗ zuſetzen! Doch er kann ja einſt werden, was er nicht war, und vielleicht mußte erſt alles in Ruinen liegen, damit es ſich feſter und ſchöner wieder aufbauen ließe. Die „Galerie“ wirbelte natürlich ſehr viel Staub auf, und es erſchien eine Gegenſchrift: „Die Gale⸗ rie preußiſcher Charaktere vor dem Rich⸗ terſtuhle des Publikums“. In dieſer Gegen⸗ ſchrift wird das Recht der Kritik grundſätzlich aner⸗ kannt, aber betont, man müſſe bei einer Kritik den guten Zweck herausfühlen, und die kritiſierten Der⸗ ſonen dürften nicht nur von der „lächerlichen, hämi⸗ ſchen Seite“ dargeſtellt werden. 10 Die Sanders 145 Wenngleich Sander ſowohl in Briefen an Böttiger wie auch in mündlichen Vorſtellungen an maßgeb⸗ lichen Stellen in Berlin den Standpunkt vertrat, die Regierung müſſe ihm dankbar ſein, daß er und kein anderer den Verlag der Buchholzſchen Schrift über⸗ nommen — denn er hätte viele der ſchlimmſten Stel⸗ len ausgemerzt und einige beſonders boshafte Skizzen ganz unterdrückt —, fühlte er ſich allmählich doch ſehr unſicher in Berlin. In dieſer ſchwierigen Lage hatte ſich Sophie Sander an Johannes von Müller ge⸗ wandt. Auch Johannes von Müller war damals ſtarken Anfeindungen ausgeſetzt: die preußiſchen Pa⸗ trioten konnten es ihm nicht verzeihen, daß er ein Be⸗ wunderer Napoleons geworden war und beim König Jerome von Weſtfalen eine amtliche Stellung über⸗ nommen hatte. Die Antwort Müllers gibt einen Ein⸗ blick in die damalige Lage des Hauſes Sander und iſt zugleich ein ſo ſchönes Dokument für die menſchliche Größe Müllers als treuer Freund, daß dieſer Brief verdient, hier mitgeteilt zu werdenss. Müller ſchreibt aus Kaſſel im Dezember 1808: „Madame, Sie haben ſich gar nicht geirrt, wenn Sie geglaubt haben, daß ich noch allezeit an allem Sie und Herrn Sander und Ihr Haus Betreffen⸗ den einen ſehr freundſchaftlichen Anteil nehme. Je⸗ nes Buch“ iſt mir nie zu Geſicht gekommen. We⸗ nige, eigentlich nur Böttiger ſchriftlich, und münd⸗ lich der Herr Miniſter von Schulenburg, hatten mich in die Kenntnis davon geſetzt, als Ihr bie⸗ derer, guter Mann ſelbſt mir darüber ſchrieb. Das iſt eine vergeſſene Sache. Sprechen wir vom gegen⸗ * Gemeint iſt die „Galerie preußiſcher Charaktere“. 146 wärtigen Umſtand. Daß der zurückkommende Hof eine völlige Amneſtie geben wird, bin ich überzeugt. Wäre es nicht der größte Unſinn, eine Hälfte der Stadt gegen die andere armieren zu wollen um Dinge, die geſchehen ſind, als niemand ſeiner ſelbſt Herr war? Von dieſer Seite hat unſer Freund nicht das mindeſte zu beſorgen. Vielleicht wäre wegen anderer Urſachen zu wünſchen, daß er von den Gegenſtänden entfernt würde, deren Anblick allerlei Erinnerungen in ihm ſelbſt, in ſeinem patriotiſchen Gemüt, rege machen könnte. Zu dem Ende wünſchte ich ihm irgendeine gute Anſtellung in einem Lyzeum. Er verſteht vor⸗ trefflich die klaſſiſche Literatur, und Unterſuchungen dieſer Art würden ihn zerſtreuen. Zu einer Drivat⸗ ſekretärſtelle bei einem jungen ungariſchen Kavalier kann ich ihm, in ſeinen Jahren und nach vieljähriger Selbſtändigkeit, unmöglich raten; ihm, der, um in dem Hauſe den gehörigen Platz zu behaupten, Un⸗ gariſch wiſſen müßte, der von allen Verhältniſſen der Palffys nichts wiſſen kann, der den Charakter des 34jährigen Gebieters gar nicht kennt, der unmöglich an ſo ein Hausweſen, an den Stolz, ich will nicht ſagen der Magnaten, ſondern der ungariſchen Diener⸗ ſchaft ſich gewöhnen könnte. Unmöglich kann ich einen ſo abenteuerlichen Gedanken gutheißen oder unter⸗ ſtützen; zu wohl kenne ich dieſe Herren. Meine eigent⸗ liche Meinung wäre, Sie blieben in Berlin, aber ohne einiges Verhältnis mit dem Hof, auch die kleinen Drinzen und Delbrück ſollen Sie ja nicht ſuchen; nicht als wüßte ich nicht, daß dieſer ein ſehr braver Mann, jene treffliche Kinder ſind, es iſt nur wegen gewiſſer Ideen, die man nicht rege machen muß. Sondern Sie 10* 147 blieben ganz dem Geſchäft gewidmet und Herr San⸗ der in müßigen Stunden ganz der klaſſiſchen Literatur. Da kann er ſchöne, berichtigte, mit Roten verſehene Ausgaben machen; mit einem Wort, nur den Augen⸗ blick, das Zeitalter, ſoll er vergeſſen, es greift ſein edles Herz zu ſtark an. Iſt es durchaus unmöglich (ich behaupte aber, daß es nur ſo ſcheint), ſo gehe er vorerſt in irgendeine unſchuldige kleine Stadt, etwa in Sachſen. Dann be⸗ mühen wir uns, Böttiger, andere Freunde und ich, ihm bei einer gelehrten Schule irgendeine angemeſ⸗ ſene Stelle zu verſchaffen, in etlichen Monaten, meine ich, ſollte ſich das wohl geben. Die Drivatſekretärſtelle aber, ich bitte Sie, an die denken Sie nicht; er ſchickt ſich dazu noch viel weniger als ich ... Und wie könnte ich den guten und edlen Sander in eine Laufbahn empfehlen, für die er ſo wenig iſt, wie ſie für ihn. Wieviel mehr möchte ich Ihnen ſagen, wenn Sie gegenwärtig wären! Ihre Lage intereſſiert mich äußerſt. Wenn ich eine erledigte Stelle für ſein Fach hätte, ich würde ſie ihm gleich zu verſchaffen ſuchen. Aber halten Sie ſich nur an einen dieſer Dunkte: Still, ohne Hof⸗ verbindungen, in Berlin zu bleiben (ſpäter, nach einem, nach zwei Jahren würden auch dieſe ſich wieder an⸗ knüpfen laſſen), oder daß er an einem dritten Ort eine Anſtellung für die Lieblingsſtudien ſeiner Jugend ab⸗ warte. Mein Rat fließt aus der Fülle meiner Über⸗ zeugung; laſſen Sie ihn durch andere vernünftige Menſchen prüfen. Kann ich Ihnen oder den Ihrigen meine alte Freundſchaft ſonſt beweiſen, ſo werden Sie mich bereitwillig finden. Des Buches ungeachtet (wel⸗ ches nicht nur dem Verleger, ſondern ſelbſt dem Autor 148 zu verzeihen, mir gar keine Mühe koſtet; es iſt allzu unbequem, einen Groll gegen jemand in der Welt herumzutragen), bin ich und bleibe Ihnen und Herrn Sander mit alter Hochachtung und biederer Freund⸗ ſchaft zugetan. J. von Müller.“ Der Rat, den Johannes von Müller erteilt, daß Sander ſich eine Zeitlang möglichſt zurückhalten ſollte, war bereits in die Tat umgeſetzt, wie aus einem Briefe Sophies an Böttiger vom 8. November 1808 hervorgeht, der ſie als eifrige und ſachverſtändige Buchhändlerin zeigt³4. Sophie ſchreibt: „Ich ergreife die ſich mir darbietende Gelegenheit, indem ich Ihnen den dritten Teil von Kochs Gemälde der Revolutionen überſende, mit Vergnügen, um Sie durch einige Zeilen an mich zu erinnern und mich Ihrer Freundſchaft zu empfehlen. Mein Mann, der ſich Ihnen ebenfalls recht ſehr empfiehlt, befindet ſich jetzt wieder vollkommen wohl. Eine Arbeit, die er unternommen, beſchäftigt ihn ſehr, ſonſt würde er Ihnen ſelbſt ſchreiben. Die Handlungs⸗ geſchäfte hat er mir völlig überlaſſen, und ich freue mich ſehr darüber, da es wohl nicht möglich iſt, ge⸗ lehrte und merkantiliſtiſche Arbeiten zu gleicher Zeit zu treiben, und ſeine Reigung ſich doch immer mehr für die erſtere entſchied. Ich bin überzeugt, daß Sie und alle ſeine Freunde dieſen Entſchluß, ſich des mer⸗ kantiliſtiſchen Teils der Handlung ganz zu entziehen, billigen werden. Wir wollen nun ſehen, was ich als Kaufmann Gutes ausrichten werde! Vorderhand bin ich nun genötigt, etwas piano zu Werke zu gehen;, da⸗ her ſind in dieſer Michaelismeſſe nur die drei in der Oſtermeſſe ſchon verſprochenen Werke: Webers Haus⸗ 149 haltungskunſt, Lafontaines Bräute, erſter und zweiter Teil, und der Koch, erſchienen. Was Oſtern kommen wird, weiß ich noch nicht. Denn die ebenfalls ange⸗ kündigten phpſikaliſchen und chemiſchen Abhandlun⸗ gen der Geſellſchaft von Arcueil“, ſowie die Geſchichte der polniſchen Revolution von Räljiſſo“ möchte ich nicht gern unternehmen, da ſie ein Kapital fordern, welches die gegenwärtige Kraft der Handlung über⸗ ſteigt. Könnten Sie mir, mein teurer Freund, be⸗ hilflich ſein, das letztere Werk, welches Herr Fried⸗ richſen überſetzt hat und wovon bereits zwei Bogen gedruckt und auch ſchon einige Vignetten geſtochen worden ſind, bei einem andern Buchhändler anzu⸗ bringen, der mir nur die Auslagen (30 Bogen Über⸗ ſetzung ſind erſt von meinem Mann bezahlt worden) wiedererſtattete, ſo würden Sie mich ſehr verbinden. Vielleicht findet ſich unter Ihren zahlreichen Buch⸗ händler⸗Bekanntſchaften einer, dem ſogar mit dieſem Werk gedient wäre. Auch die Abhandlungen pp. nähme vielleicht gern einer. Ich möchte Ihnen gern viel Neues von hier ſchrei⸗ ben, aber es geht ja nichts vor. Die Freude vieler, nicht aller Berliner, ihren König wiederzuſehen, iſt das Intereſſanteſte. Man projektierte manches, wo⸗ mit man die Königin angenehm zu überraſchen ge⸗ dachte, aber der anders geſinnte Teil des Volkes hat es wieder hintertrieben. Seit heute ſagt man nun wie⸗ der, die Franzoſen würden uns erſt im Dezember ver⸗ laſſen. * Franzöſiſche Gemeinde im Seine⸗Departement, jetzt zu Groß⸗Paris gehörend. ** Name ſchwer zu entziffern. 150 Die Zeit zwingt mich, zu ſchließen. Leben Sie wohl, mein teurer Freund, und erfreuen Sie mich bald mit einem Brief. Mit Hochachtung nenne ich mich S. Sander. Ich darf Ihnen wohl nicht erſt ſagen, daß ich Sie bitte, ſich der Verbreitung des Koch eifrig anzunehmen?“ Dieſen Brief beantwortete Böttiger bereits am 1. Dezember 1808. Aus dem ausführlichen Schreiben ſind — beſonders auch für die zukünftige Entwicklung der Beziehungen zwiſchen Sophie und Böttiger — folgende Stellen beachtenswert: „Wie erfreulich war mir Ihre Handſchrift, meine verehrte Freundin! Wie es nun ſo zu gehen pflegt, ſo hatte ich auch von dem Gedeihen oder Richtgedeihen Ihrer Handlungsge⸗ ſchäfte neulich manches gehört, was mich beunruhigte. Ihr Brief löſt nun alle Zweifel und Sorgen. Recht großen und herzlichen Dank dafür, daß Sie ſich meiner erinnern wollten. Endlich hat alſo unſer lieber Sander die ihm allein zuträgliche Dartie ergrif⸗ fen. In ihm iſt eine Größe des gründlichſten Wiſſens mit dem ſeltenſten Fleiße verbunden, daß er als Ge⸗ lehrter, Dichter, Tonkünſtler voklauf beſchäftigt ſein kann. Das troſtloſe Detail des Buchhandels hingegen mußte ihn ganz zerſtören. Möge er dieſe Überzeu⸗ gung nun recht lebhaft in ſich erhalten, und es wird alles gut gehen. Die Vollendung des unvergleichlichen Kochſchen Werkes“ freut mich aus vielen Gründen. Die Aus⸗ ſtattung, die Sander dieſer Bearbeitung gab, iſt ſo zweckmäßig, daß es eigentlich niemand entbehren kann. Ich werde das bei jeder Gelegenheit laut Gemälde der Revolutionen. 151 wiederholen und habe die Vollendung des Werkes ſchon in einer Überſicht der Michaelis⸗Werke in der Allg. Zeitung verkündigt ... Was ſagt man zu Maſſenbachs Denkwürdigkeiten? Der baut doch dem Empfang des Königs keine Ehrenpforte“. Wie ſehr würde ich mich freuen, wenn Sander mir einmal ſelbſt ein frohes Lebenszeichen geben wollte. Hätte ich Sie, verehrte Freundin, nicht ſchon ſeit Jahren für eine ſeltene Frau gehalten, die alles kann, was ſie noch planen will und andere auch nicht wollen, ſo müßte ich es jetzt. Meine aufrichtigſte und gefühl⸗ teſte Hochachtung und meine Bitte um Ihre fort⸗ dauernde Freundſchaft. Was macht Auguſt““? Was treibt er? Was lernt er? Was will er werden? Es iſt jetzt ſchwer, Söhne zu erziehen. Ich habe nun zwei, den älteren auf der Uni⸗ verſität. Viel Sorge, aber doch auch viel Freude. Mit alter Geſinnung der Ihrige Böttiger.“ Auf dieſen freundſchaftlichen Brief antwortet So⸗ phie am 31. Dezember 1808: „Ich danke Ihnen, werter Freund, für Ihren Brief, der mich Ihres Andenkens und Ihrer freund⸗ ſchaftlichen Teilnahme aufs neue verſichert hat. * Der Oberſt und Generalquartiermeiſter Auguſt Ludwig von Maſſenbach hatte „Betrachtungen über die Ereigniſſe des Jahres 1805 und 1806“ (Frankfurt und Leipzig 1808) er⸗ ſcheinen laſſen, die im kritiſchen Sinne gehalten waren. Man ſah daher in ihm zunächſt den Verfaſſer der „Galerie preu⸗ ßiſcher Charaktere“. Maſſenbach verwahrte ſich aber in der Dreſſe und in der Gegenſchrift ſehr entſchieden gegen dieſen Verdacht. ** Böttigers Patenſohn. Vgl. S. 23. 152 Das Werk der Gelehrten Geſellſchaft zu Arcueil habe ich dem Überſetzer mit einigen Aufopferungen zurückgegeben; das Werk über Dolen iſt aber noch immer mein Eigentum, auch werde ich es wohl behal⸗ ten müſſen, jedoch ohne es zu drucken, denn Ihrem Rate gemäß will ich lieber die bisherigen Auslagen verlieren als noch etwas dazu daran wagen ... Recht ſehr würden Sie mich verbinden, wenn Sie, wo es irgend angehen will, den Klavierauszug der Oper Iphigenie in Aulis preiſen wollten. Freund Rochlitz hat es ſchon mit vieler Wärme getan, doch ſcheint es nicht recht fort zu wollen. Hoffentlich aber geht es beſſer nach der Aufführung, die im Februar am Tage des Einzugs unſres Königspaares ſtatthaben wird. Jedermann erwartet dieſen Einzug mit frohen Hoff⸗ nungen; gebe der Himmel, daß alles in Erfüllung gehen möge! Ich für mein Teil kann vom Könige nicht viel erwarten, deſto mehr aber von mir ſelbſt und meiner eigenen Kraft. Dies klingt anmaßend, werden Sie ſagen. Aber wenn ich beim heutigen Jah⸗ resſchluß auf das zurückſehe, was ich in der Zeit von ſieben Monaten beſeitigt habe, ſo kann ich nicht anders, als mit mir zufrieden ſein. Und ſo trete ich frohen Mutes in das neue Jahr ein, wünſchend, daß alle meine Freunde es in derſelben Stimmung beginnen mögen. Mein Mann trägt mir viele Grüße an Sie auf. Er beſchäftigt ſich jetzt viel mit Geſchichte, iſt recht geſund und auch vergnügt, ſoviel es nämlich ſein ernſter Charakter zuläßt. Ich habe von Johannes von Müller einen Brief 153 erhalten, der mich recht glücklich gemacht hat“. Das iſt doch gewiß einer der herrlichſten Menſchen, die die Erde je getragen hat! Noch habe ich ihn nicht beant⸗ wortet, aber wenn ich ihn beantwortet habe, ſchicke ich Ihnen meinen. Wiſſen Sie etwas vom Sammeln ſeiner kleinen Schriften, von denen mir neulich ein hieſiger obſkurer Gelehrter etwas geſagt hat? Wenn es der Fall ſein ſollte, ſo möchte ich Müller darum bitten, doch mag ich es auf eines ſolchen literariſchen Knechtes Wort nicht tun ... Empfangen Sie jetzt noch meinen herzlichſten Glück⸗ wunſch zum neuen Jahr. Leben Sie froh und glücklich im Kreiſe Ihrer Familie, geliebt und geſchätzt von allen guten Menſchen, aber am meiſten von Ihrer Freundin S. Sander. Daß die wirtſchaftliche Lage der Sanderſchen Buch⸗ handlung doch ſehr viel ſchwerer war, als aus den tapferen Briefen Sophies an Böttiger hervorgeht, zeigt ein Brief des Freiherrn von Retzer an Goethe vom 18. Oktober 1808 aus Wien““: „Sobald ich ge⸗ hört habe, daß Madame Sander ihre Bücherſamm⸗ lung ausſpielt, ſo nahm ich, ſo ſehr ich ſonſt Feind von Haſardſpielen bin, ein Los; wer würde nicht gern in Madame Sanders Glückstopf greifen? Sollte ich ſo glücklich ſein, dieſe Bücherſammlung zu gewinnen. ſo verſpreche ich Ihnen hiermit feierlichſt, daß ich Ma⸗ dame Sander bitten werde, ſie als freundſchaftliches Andenken von mir als Geſchenk zu behalten. Ein ſolcher Entſchluß der Trennung von den gelieb⸗ * Vgl. S. 146. ** Eine andere Stelle dieſes Briefes iſt bereits S. 73 an⸗ geführt. 154 ten Büchern, und auf dieſem gewiß in der Berliner Geſellſchaft ſehr beklatſchten und beſpöttelten Wege, konnte wohl nur in ſchwerſter Rotlage getroffen ſein! Während Sophie Sander bemüht war, das Geſchick der Familie durch ſchwerſte politiſche und wirt⸗ ſchaftliche Stürme hindurchzuſteuern, wurde in dieſen Jahren das Verhältnis zwiſchen ihr und Theremin immer qualvoller. Schon immer, auch in den wenigen Stunden des Glücks, hatte dieſe Liebe den Stempel des Leidens und der Vergänglichkeit getragen. Wäh⸗ rend Sophie den Geliebten oft mit der Sorge betrübt hatte, ob ſeine Liebe auch echt ſei und ob er ihr treu bleiben würde, wurde in dieſen Jahren der jüngere Freund immer ſtürmiſcher und fordernder. Zwei Briefe von Theremin an ſeinen Freund Varnhagen vom Fe⸗ bruar und November 1807 geben erſchütternde Kunde davon, wie dieſe beiden hochſtehenden Menſchen ſich mit ihrer Liebe zerquält haben. Theremin ſuchte auf alle Weiſe Sophie zur Scheidung von ihrem Manne zu bewegen, um ihn zu heiraten. Er wäre bereit ge⸗ weſen, ſeinen theologiſchen Beruf zu opfern, wenn ſich ihm eine andere Exiſtenz geboten hätte, — nur um Sophie heimzuführen. In der damaligen Zeit war es durchaus nichts Unerhörtes, was der jüngere Mann von der zwölf Jahre älteren Frau forderte. Durch den Einfluß der Franzöſiſchen Revolution, durch das ſit⸗ tenloſe Leben am Hofe des verſtorbenen Königs Fried⸗ rich Wilhelm II., durch manche Schriften der älteren Romantiker, namentlich den Roman „Lucinde“ von Friedrich Schlegel, ſchließlich auch durch das Unheil, das der Krieg in ſittlicher Hinſicht mit ſich brachte, hatten ſich die Begriffe über Moral und über die Hei⸗ 155 ligkeit der Ehe ſehr gelockert. Dorothea Veit, geborene Mendelsſohn, verließ Mann und Kind, um dem neun Jahre jüngeren Friedrich Schlegel als Geliebte, ſpä⸗ ter als Gattin zu folgen. Die berühmte Karoline Mi⸗ chaelis ließ ſich von Auguſt Wilhelm Schlegel ſchei⸗ den, obwohl ſie ihm viel Dank ſchuldete, um den zwölf Jahre jüngeren Schelling zu heiraten. Sophies Vetter, Adam Müller, der im Jahre 1803 nach Polen gegangen war, hatte dort eine Hauslehrerſtelle bei dem Gutsbeſitzer und Landrat von Haza angenom⸗ men. Die jugendliche Schwärmerei für Sophie San⸗ der war verrauſcht, eine tiefe Leidenſchaft zu einer an⸗ deren Sophie, Sophie von Haza, der Mutter ſeiner Schüler, hatte ihn erfaßt; Sophie von Haza trennte ſich von Mann und fünf Kindern, um nach ſchweren Kämpfen den vier Jahre jüngeren Adam Müller zu heiraten³5. All dieſe Ehedramen hatten ſich in Kreiſen abge⸗ ſpielt, die Sophie Sander mehr oder minder nahe⸗ ſtanden, und waren natürlich in der Berliner Geſell⸗ ſchaft viel beſprochen worden. Es wäre alſo in keiner Weiſe merkwürdig geweſen, wenn dem Geiſt jener Zeit folgend auch Sophie, deren Ehe nicht mehr in dem Boden untrennbarer Gemeinſamkeit wurzelte und deren wache Seele den innigſten Austauſch mit Gleich⸗ geſtimmten forderte und fand, auf das Drängen ihres Freundes eingegangen wäre. Um ſo ſtärker verdient es hervorgehoben zu werden, daß ihr im klaren Be⸗ wußtſein ihrer Pflichten gegenüber Mann und Kin⸗ dern ein ſolcher Gedanke niemals gekommen iſt. Sie war und blieb zeit ihres Lebens in erſter Linie Mut⸗ ter. Ihr wäre es unmöglich geweſen, ihre Kinder im 156 Stich zu laſſen und ſie ihrer Leidenſchaft aufzuopfern. Aber Sophie war auch nicht weiſe, gütig und ſelbſtlos genug, um ſelbſt energiſch auf die Befreiung There⸗ mins von ſeiner Leidenſchaft hinzuwirken. Nein, ſie liebte ihn ja auch, ſie wollte ihn halten und zog ihn auch nach ſtürmiſchen Auseinanderſetzungen immer wieder an ſich. Aber das Opfer der Aufgabe ihrer bürgerlichen Exiſtenz, vor allem das Opfer der Trennung von ihren Kindern konnte und wollte ſie nicht bringen. Verzweifelt ſchreibt Theremin in einem Briefe an Varnhagen: „Auch bei Sophien finde ich den furchtbaren Ausſpruch, den Du mir von Schlegel anführteſt, beſtätigt, daß ein Weib nur zu einer Ehe fähig iſt und, wenn dieſe verunglückt, keine Kraft be⸗ ſitzt, eine zweite zu ſchließen. O des Unglücklichen, welcher ein ſolches Weib lieben muß . . .; welcher ſehen muß, wie ihre Liebe zu ihren Kindern, welche er nicht teilen kann, auch dem Vater derſelben einen Teil ihrer Anhänglichkeit zuwendet“ (November 1807). Sander litt in dieſer Zeit natürlich Höllenqualen der Eiferſucht, die er zwar äußerlich meiſt verbarg, da er bei Beſuchen Theremins in ſeinem Zimmer blieb und ſich in ſeine Arbeit verſenkte. Ab und zu kam es aber doch zu einem Ausbruch. Theremins Lage hatte ſich durch die politiſchen Verhältniſſe ſchwierig geſtaltet. Er war damals Hauslehrer bei einem pol⸗ niſchen Grafen, der ſich nach den Ereigniſſen von 1806 von Dreußen losſagte und mit ſeiner Familie nach Poſen ziehen wollte, um ſich dort der Bewegung für Rapoleon anzuſchließen. Theremin hätte entweder mit nach Poſen gehen oder ſeine Stellung aufgeben müſ⸗ ſen. Er wählte das zweite. Dadurch entſtanden auch 157 pekuniäre Schwierigkeiten für ihn und Varnhagen, und ſie mußten die gemeinſame Wohnung kündigen. Als Theremin eines Tages mit Sophie beim Tee ſaß und ihr vorlas, trat Sander ins Zimmer, was ſonſt nie geſchah, und verbat ſich Theremins Beſuchess Wie es dann kam, daß trotz dieſes Auftritts Theremin nicht fortblieb, ſondern im Gegenteil vom nächſten Tage an einige Zeit im Sanderſchen Hauſe wohnte, auch dort beköſtigt wurde, das bleibt natürlich das Geheimnis der Eheleute. Vielleicht war Sophie in Tränen ausgebrochen, fühlte ſich ungerecht gekränkt, weil ſie das Verhältnis trotz der Leidenſchaft des jun⸗ gen Mannes auf rein freundſchaftlicher Grundlage gehalten hatte;, vielleicht beſchwor ſie ihren Mann, um ihres guten Rufes willen keinen Bruch herbeizuführen und dadurch dem Klatſch die Spitze zu nehmen. Wie hätte Sander den Tränen und Bitten der noch immer geliebten Frau widerſtehen können! Möglicherweiſe aber war ſie auch bitter und ſcharf und zwang Sander zur Nachgiebigkeit, weil ja ſeit 1806 die ganze wirt⸗ ſchaftliche Laſt für das Geſchäft und die Familie auf ihren Schultern lag. Das alles ſind pſpchologiſche Rätſel, die nur von den Beteiligten gelöſt werden könnten. Aber der Klatſch in der Berliner Geſellſchaft, von Varnhagen eifrig genährt, wucherte natürlich nun um ſo üppiger! Zwiſchen Theremin und Varnhagen kam es bald nach dieſen Ereigniſſen zum Bruch. Trotz des ſchweren Ernſtes der Zeit und aller geſchäftlicher Sorgen konnte Sophie die ihr angeborene Luſt zur Neckerei nicht unterdrücken, und ſo erlaubte ſie ſich auch mit dem empfindlichen Varnhagen einen nicht ſehr taktvollen 158 Scherz. Sophie hatte Logierbeſuch einer Freundin; um den Verehrer dieſer Freundin eiferſüchtig zu machen, ſollte Varnhagen der Freundin den Hof machen, zugleich aber wollten die beiden übermütigen Frauen Varnhagen von einer Liebe, die er einer Hamburger Dame zollte, kurieren. Varnhagen hatte den erſten Teil des Scherzes bereitwillig mitgemacht. Als er aber die weitere Abſicht des Scherzes erfuhr, war er tief beleidigt und empört über Theremin, der dieſe Liebe Varnhagens zu der Hamburgerin verraten hatte. Varnhagen forderte Theremin zum Duell, doch war Theremin vernünftig genug, auf dieſe Dummheit nicht einzugehens“. Aber während Sophies Neckerei immerhin harmlos war und nur einen ganz engen Derſonenkreis betraf, erlaubten ſich Varnhagen und einige ſeiner Freunde in dieſer ernſten Zeit einen literariſchen Scherz, der ſehr viel boshafter und der tragiſchen Lage des Vater⸗ landes in keiner Weiſe würdig war. Mehrere Freunde taten ſich zuſammen und ſchrieben, indem ſie ſich ka⸗ pitelweiſe abwechſelten, einen Roman: „Die Ver⸗ ſuche und Hinderniſſe Karls. Eine deutſche Geſchichte aus neuerer Zeit.“ Die meiſten Kapitel ſtammen von Varnhagen; Beiträge lieferten Wilhelm Neumann, Bernhardi und Fouqué. Auch Chamiſſo ſollte mitarbeiten, doch kamen ſeine Beiträge zu ſpät; ſo iſt er alſo an dem Machwerk unbeteiligt. Trotz der auch bei Varnhagen und ſeinen Freunden üblichen Goethe⸗Verehrung wirkt der Roman doch wie eine Parodie auf „Wilhelm Meiſter“, der ſogar als eine der Romanfiguren erſcheint. Ähnlich wie Goe⸗ thes Wilhelm Meiſter tritt auch der Karl des Romans 159 infolge eines Liebesſchickſals eine fluchtartige Reiſe an, kommt auf dieſer Reiſe in die verſchiedenartig⸗ ſten Geſellſchaftskreiſe und erlebt dort alle möglichen und unmöglichen Abenteuer. Die Dichtergeſellſchaft ließ dabei ungezügelt ihre Fabulierkunſt walten. Der Roman iſt aber auch gefüllt mit allerlei Anſpielungen auf Ereigniſſe im Berliner geſellſchaftlichen Leben; ferner treten Perſonen der Wiſſenſchaft und der Kunſt mit ihrem Ramen oder auch unter Decknamen im Ro⸗ man auf und werden dabei teils gutmütig, teils je⸗ doch auch ſehr boshaft verſpottet. Varnhagen hat ſich ſelbſt in einer Nebenfigur, Warner, gezeichnet, und auch die Hauptperſon, Karl, trägt Varnhagenſche Züge, zugleich aber auch Züge von Theremin. Der Roman beginnt damit, daß Karl der Geliebte einer Sophie iſt und den Ehemann ſeiner Geliebten, einen Baron, nach kurzem Gefecht mit einem Stich in die Bruſt niederſtreckt, als dieſer bei einer Liebesſzene zwiſchen Karl und Sophie ſtörend dazwiſchentritt. In⸗ folge dieſes Zweikampfes muß ſich Karl durch die Flucht ſeinen Verfolgern entziehen. Im ſpäteren Ver⸗ lauf taucht Sophie plötzlich wieder auf, und es kommt zu einer kleinen Spötterei über die in Berlin übli⸗ chen Teegeſellſchaften. Die Sophie des Romans nimmt die Teegeſellſchaften in Schutz und ſagt dabei, ihr könne „auf der Welt kein ſchöneres, geſelligeres Geſchäft geboten werden“, ein Wort, das ſehr wohl von Sophie Sander ſtammen könnte, die der Schriftſteller Friedrich Laun ja noch nach langen Jahren als lieb⸗ reizende Gaſtgeberin am Teetiſch feierte“. Der Roman iſt in der heutigen Zeit kaum noch les⸗ * Vgl. S. 47. 160 bar. Künſtleriſchen Wert haben höchſtens die von Fouqué ſtammenden Kapitel, die den Tod eines preu⸗ ßiſchen Offiziers ſchildern, dem offenſichtlich Züge des bei Saalfeld gefallenen Drinzen Louis Ferdinand ge⸗ geben ſind. Überhaupt klingen am Schluß des Ro⸗ mans ernſtere Töne an, die aus der Stimmung des Schickſalsjahres 1806 geboren ſind. Wenn auch der Roman als Kunſtwerk keinen Wert hatte, ſo läßt ſich doch denken, daß er als durchſichtiger Schlüſſelroman Aufſehen erregte, in den Berliner Teegeſellſchaften viel beſprochen wurde und je nachdem Spottluſt, Scha⸗ denfreude oder Bitterkeit auslöſte. Auch ein gänz⸗ lich Unbeteiligter, der Rechtsgelehrte Savigny, beur⸗ teilt in einem Brief vom 14. Auguſt 1810 den Roman mit äußerſter Schärfe und ſchreibt, er habe ihn „an⸗ geekelt“ ss. Auf jeden Fall aber hatten die Sander⸗ ſchen Eheleute und Theremin allen Grund, über das Varnhagenſche Machwerk erbittert zu ſein. Als ſehr viel wertvollerer Freund erwies ſich in dieſen ſchweren Jahren der von Varnhagen ſo viel geſchmähte Dichter Zacharias Werner. Nach Werners großem Theatererfolg mit dem Luther⸗ Drama fand ſich Iffland endlich bereit, auch den erſten Teil der „Söhne des Tales“ auf die Bühne zu brin⸗ gen. Allerdings hatte ſich Werner zu vielen Strei⸗ chungen und Anderungen bereit finden müſſen, die er ſelbſt als Traveſtie empfands9! Immerhin hatten ſich die wirtſchaftlichen Verhältniſſe Werners durch ſeine Beamtenſtellung und die erſten Theatererfolge ver⸗ beſſert. Berlin war ihm verleidet, teils durch die miß⸗ lichen Verhältniſſe der Nachkriegszeit, teils durch den nagenden Schmerz, den ihm die Scheidung von ſei⸗ 161 11 Die Sanders ner Frau Margareta verurſachte. Im Jahre 1807 be⸗ gann für Werners Leben die Epoche, die der Heraus⸗ geber ſeiner Briefe „Werners Wanderjahre“ nennt ioo und die ihn nach Öſterreich, Mitteldeutſchland, Weſt⸗ und Süddeutſchland, der Schweiz und ſchließlich im De⸗ zember 1809 nach Rom führte. Dort trat er am Grün⸗ donnerstag 1810 zur katholiſchen Kirche über. Wie man auch über Werners Charakterentwicklung denken mag, dem Sanderſchen Hauſe gegenüber hat er ſich ſtets als Freund bewährt. Aus ſeinen „Wanderjah⸗ ren“ liegen zwei Briefe an Sophie Sander vor. So⸗ weit ſie nicht nur für den Schreiber, ſondern auch für die Empfängerin kennzeichnend ſind, ſeien ſie hier mitgeteilt1o¹. Der erſte Brief iſt im Juli 1807 in Wien geſchrieben: „Meine gütige Freundin, Ihr Schreiben vom 4. Juli hat zehn Tage hier gelegen, ehe ich es erhalten habe; erſt den 22. Juli ward es mir durch Herrn von Arnſtein eingehändigt. Ihre darin mir geäußerte Güte, ſowie die Verzeihung meines bisherigen, in allerlei Zerſtreuungen und Geſchäften begründeten Stillſchweigens erkenne ich ebenſo dankbar, als Ihre mehrfachen Unfälle mir Schmerz und die verbeſſerten Geſundheitszuſtände meines braven Freundes San⸗ der, dem ich mich herzlich empfehle, mir Freude machen. Auch glaube ich Ihnen, daß Sie zuweilen Sehnſucht nach meiner trivialen, aber ehrlich gemeinten Unter⸗ haltung empfinden; nähren Sie dieſe Sehnſucht: kein gutes Gefühl kann uns ſchädlich ſein! Ihre Seelen⸗ ſtärke im Unglück, Ihre Klugheit, Ihre Liebenswür⸗ digkeit, Ihre Bildung und Ihre guten Regungen kann nur ein Tor verkennen. Die Hauptſache, die Ihnen 162 bisher mangelte, war — Seelendiät! Sie wollten alles Gute genießen, und die Folge war — Indigeſtion. Kehren Sie zu irgendeiner einfachen Speiſe zurück, und Sie werden geneſen! Doch warum Ihnen Sachen predigen, die Sie beſſer wiſſen. Meiner bedürfen Sie nicht, Sie haben den Arzt in der Nähe! Bewegen Sie ihn, daß er Ihnen ſei, was Sie bisher nur ihm waren — Meiſter, und alles iſt in Ordnung!“ Dieſer Hinweis auf den „Meiſter“ bezieht ſich auf Werners eigentümliche Liebestheorie, die er bei ſei⸗ nem Aufenthalt in Heidelberg dem jungen Achim von Arnim darlegte 10². Danach gäbe es in jedem Ver⸗ hältnis zwiſchen Liebenden „Meiſterſchaft und Jün⸗ gerſchaft“, je nachdem eins von den Gemütern in ſich größer iſt als der andere Teil. Bis jetzt war nach Werners Auffaſſung Sophie die Meiſterin; nun ſoll ſich das Verhältnis zwiſchen ihr und ihrem Gatten umkehren. So faßt wenigſtens Werners Biograph Hitzig die eigentümliche Stelle dieſes Briefes auftos Sie könnte ſich aber auch auf Theremin beziehen, der in den letzten Jahren geiſtig ſehr gewachſen war. Werner fährt dann fort: „Um aber dieſes zarteſte und unbekannteſte, in den Tales⸗Söhnen immer noch viel zu grob und plump geſchilderte aller Verhältniſſe, nämlich das der Mei⸗ ſterſchaft, in einem herrlichen Brennpunkt aufgefaßt zu erblicken, ſo empfehle ich Ihnen, als das Klaſ⸗ ſiſchſte, was darüber geſchrieben iſt, den „Spiegel der Liebe“ von Spee im Schlegelſchen Muſen⸗Almanach: eine hohe göttliche Offenbarung, wert in Glaubem und Demut genoſſen zu werden. Friedrich Schlegel hatte nämlich in das von ihm 11* 163 herausgegebene „Poetiſche Taſchenbuch für 1806 eine Auswahl der unter dem Geſamttitel „Trutz⸗ nachtigall“ erſchienenen „geiſtlichen Volkslieder“ auf⸗ genommen, die das Mitglied der Geſellſchaft Jeſu, Friedrich von Spee, im Jahre 1640 herausgegeben hatte. Das von Werner angeführte Gedicht ſchildert die Begegnung Maria Magdalenas mit dem auf⸗ erſtandenen Chriſtus am Oſtermorgen. Das Ge⸗ dicht klingt aus in dem Gedanken, daß nur der die göttliche Gnade voll empfinden könne, „wem je die Lieb' durchriſſen Leib, Seel' und Mark und Bein“. Das hatte Werner in ſeiner Ehe und Eheſcheidung erfahren, und er nahm es auch bei Sophie Sander in ihrem Ehedrama an. Werners Brief ſchildert dann ausführlich ſeine Ein⸗ drücke in Drag und Wien und geht gegen das Ende hin wieder auf das Perſönliche ein: „Man behandelt mich hier ſehr gütig, liebreich und mit mehr Achtung, als ich verdiene; aber — was nützen mir alle Blüten des Genuſſes, ich pflücke ſie, ohne zu wiſſen, wem ich ſie geben ſoll*! Ich bin fürchterlich einſam im Gewühl;, meine er⸗ würgte Liebe iſt ein Wurm, der mich ewig nagt. Ich bin lebendig tot; ſpannen Sie alle Ihre Kräfte an, daß Ihnen nicht ein Gleiches widerfahre ... Der ewig wandernde Jude, unſtet und flüchtig, immer nach dem Kleinod ſchnappend wie ein Tantalus, um * Goethe, Schäfers Klagelied. 164 ein geöffnetes Grab tanzend — das bin ich! Was iſt Kunſt, was iſt Natur? Ein Traum, ein Duppenſpiel. Danken Sie Gott, daß Sie wenigſtens Kinder haben!“ Der Schluß des Briefes iſt verlorengegangen. Im Jahre 1808 hatten ſich, wie vorher bereits ge⸗ ſagt, die wirtſchaftlichen Verhältniſſe des Sanderſchen Verlages ſehr zugeſpitzt, ſo daß Sophie Schwierig⸗ keiten hatte, die Forderungen von Sanders Autoren zu befriedigen. In dieſe Zeit fällt der folgende Brief Werners, den er an Sophie am 27. Juli 1808 aus Zürich ſchreibt: „Meine liebe Freundin! Ich habe Ihren Brief ohne Datum heute erhalten und beantworte ihn auf der Stelle noch heute abend, wiewohl ich morgen in aller Frühe verreiſe. Doch werden Sie es letzterem Umſtande verzeihen, wenn ich kurz ſein muß. Das von Herrn von Winzer mit Ihnen getroffene Arrangement freut mich Ihretwegen, wiewohl ich einige Beſorgniſſe für die Zukunft nicht unterdrücken kann1o4. Auf jeden Fall werden Sie ſich überzeugen, daß, indem ich dieſen würdigen und feinfühlenden Mann zur Mittelsperſon zwiſchen uns wählte, ich Ihnen einen Beweis gab, daß mir, was Sie mir ohne Beteuerung glauben können, das Schickſal Ihrer Fa⸗ milie und Ihres redlichen Mannes, den Sie herzlich grüßen müſſen, am Herzen lag, denn das wolle Gott nicht, daß ich am Unglück guter Men⸗ ſchen und ihrem Ruin teilhaben ſoll! Auch Ihnen kann ich meine Achtung nicht verſagen für die Redlichkeit und Geſcheitheit, mit der Sie ſich Ihres Mannes und ſeiner Angelegenheiten anneh⸗ 165 men. Es iſt nicht meine Sache zu ſchmeicheln, wie Sie aus unſerm Geſpräche abends in Lindenberg ſich er⸗ innern werden; aber ich muß an Ihnen die Seelen⸗ ſtärke bewundern, daß Sie ſich für ein nicht gelieb⸗ tes Weſen aufopfern. Das wird Ihnen Ihre Todes⸗ ſtunde, wo die Gedanken ſich untereinander verklagen und entſchuldigen, erleichtern. Gott ſtärke Sie, arme Frau; viele Ihrer Tränen und Verirrungen wären erſpart, wenn Sie den rechten Gegenſtand Ihrer Liebe gefunden hätten! Doch - man kann ſich bei ſol⸗ chen Wenns nicht aufhalten, ohne verrückt zu werden. Übrigens —- wer reiner iſt als Sie, der hebe den erſten Stein auf Sie — ich vermag es nicht! Das „Kreuz an der Oſtſee' kann ich jetzt ſo wenig wie die Tales⸗Söhne ſchicken, und wenn es mir das Leben koſten ſollte“! Es tut mir in der Seele weh, aber es iſt platt unmöglich. Morgen um 4 Uhr (jetzt iſt es 10 Uhr abends) beginne ich meine (Fuß⸗) Reiſe durch die Schweiz; ſie dauert bis Ende Sep⸗ tember. Der übrige Teil raubt mir Oktober und No⸗ vember, ſo daß ich erſt Anfang Dezember frühe⸗ ſtens in Weimar ſein kann. Aber alsdann von De⸗ zember an, das beteure ich Ihnen, will ich, wenn ich dann noch lebe, Tag und Nacht aufs eifrigſte am „Kreuz an der Oſtſee' arbeiten und vollenden, und alles beiſeiteſetzen, damit es noch zur Meſſe fertig wird. Hochachtungsvoll Ihr Freund und Diener Werner. * Der Sanderſche Verlag hätte gern eine Neuauflage der Tales⸗Söhne und den zweiten Teil des „Kreuz an der Oſt⸗ ſee“ herausgebracht. 166 Wenn ich vor Erfüllung meines Verſprechens etwa auf meiner Reiſe ſterbe, ſo fluchen Sie mir nicht und denken Sie an manches herzlich und redlich ge⸗ meinte Wort, was ich Ihnen Ihretwegen geſagt habe. An Theremin meinen herzlichen Gruß! Während der eine Freund des Sanderſchen Hauſes, Zacharias Werner, Berlin verließ und nur noch ein⸗ mal im Frühjahr 1808 auf kurze Zeit zurückkehrte, um dann Berlin auf immer zu verlaſſen, kehrte ein andrer Freund, Adalbert von Chamiſſo, im Herbſt 1807 nach Berlin zurück. Er hatte die Laufbahn als preußiſcher Offizier aufgegeben und wollte ſich nun ganz der Wiſſenſchaft widmen. Aber die Rückkehr bot ihm ſchmerzliche Enttäuſchungen! Der mit ſoviel Be⸗ geiſterung gegründete Nordſtern⸗Bund, an dem Cha⸗ miſſo in der ganzen Zeit der Mobiliſierung ſeines Regimentes mit zärtlicher Treue gehangen, war aus⸗ einandergeriſſen. Von den einſtigen Freunden fand er nur Hitzig in der alten Treue wieder. Varnhagen trat in dieſer Zeit ſeiner ſpäteren Gattin Rahel näher und widmete ihr alle ſeine freie Zeit. Varnhagen und Theremin, früher zwei Leuchten des Nordſtern⸗Bun⸗ des, waren in Groll getrennt. Die Chamiſſo befreun⸗ deten Häuſer, darunter auch das Haus Sander, die vor 1806 eine edle und feine Geſelligkeit hatten pfle⸗ gen können, waren verarmt und von Kummer und Sorgen bedrückt. Das geiſtige Leben Berlins ſchien nach dem Zuſammenbruch von 1806 wie erloſchen. Nach dem Frieden von Tilſit war nicht mehr Berlin, ſondern Königsberg das einzige preußiſche Zentrum, wo geiſtiges Leben herrſchte. 167 Reunter Abſchnitt Geiſtige Dorarbeit für den Kampf um die Sreiheit 1809—1811 Die Vorarbeit zur Wiederaufrichtung des zerſchla⸗ genen Dreußen begann bereits in der Zeit, als die kö⸗ nigliche Familie nach Königsberg und dann noch wei⸗ ter nordoſtwärts nach Memel hatte fliehen müſſen. Sanders Schulfreund, der Prinzenerzieher Friedrich Delbrück, berichtet in ſeinen Tagebüchern aus dieſer Zeit fortlaufend über Beſuche Hardenbergs, Gneiſe⸗ naus, Scharnhorſts, des Freiherrn vom Stein und anderer führender Perſönlichkeiten beim König zu Be⸗ ratungen über die verzweifelte Lage des Staates 1o5 Auch in Berlin regte ſich in ſchwerſter Zeit bei den Beſten des Landes das Streben, ſich in irgendeiner Weiſe für den Wiederaufbau einzuſetzen. Sander ſtellte ſeinen Verlag in den Dienſt dieſer Beſtrebun⸗ gen, indem er ſtärker als bisher politiſche und volks⸗ wirtſchaftliche Schriften verlegte, die Reformen der preußiſchen Verfaſſung und Geſetzgebung vorbereiten ſollten. In einer anonym erſchienenen Schmähſchrift aus jener Zeit, die ſich gegen eine Reihe angeſehener Berliner Derſönlichkeiten richtete und auch Sander angriff 1os, wurde Sander verſpottet, weil er „neben ſeiner Verlagsempfänglichkeit für belletriſtiſche Dro⸗ dukte“ plötzlich mit „einer Verlagsempfänglichkeit für politiſche Produkte“ daſtand. Daß dieſe Erweiterung der Verlagstätigkeit patriotiſche Gründe haben könnte, 168 vermochte ſich der Verfaſſer der Schmähſchrift ſeiner Weſensart nach wohl nicht vorzuſtellen, ſondern er nimmt als Beweggrund an, „es rollen Tauſende von Talern in Sanders durſtige Geldquelle“. Nun wäre es einem Verleger ja wahrlich nicht zu verübeln, wenn er ſeinem durch die Kriegsnöte ſchwer danieder⸗ liegenden Geſchäft neue erfolgverſprechende Gruppen anzugliedern ſucht, aber das „Rollen der Tauſende von Talern“ fand leider nur in der Dhantaſie des Verfaſſers der Schmähſchrift ſtatt. Der Sanderſche Verlag hatte nach wie vor mit großen Schwierigkei⸗ ten zu kämpfen. Die tatkräftigſte Arbeit für eine Erneuerung des preußiſchen Staates durch Reformen von innen her⸗ aus ſetzte allerdings erſt ein, als das Königspaar nach Berlin zurückkehrte. Bereits in einem Brief vom 12. März 1808 hatte Sander berichten können, daß man die Rückkehr erwarte: „Unſere Theater⸗Direk⸗ tion hofft, die königliche Familie bald wieder hier zu ſehen, und dann ſoll die Iphigenie in Aulis ihr zu Ehren gegeben werden . Allerdings iſt ſie durch das „Chantez, célébrez votre reine und durch das „Oue d'attraits! que de majesté!“ einigermaßen dazu geeig⸗ net ...“ Aber die Rückkehr verzögerte ſich von Monat zu Monat, ja um mehr als ein Jahr! Bei vielen preu⸗ ßiſchen Patrioten entſtand dadurch Bitterkeit, und man ſah eine Treuloſigkeit des Königs gegen ſeine Haupt⸗ ſtadt darin. Man begriff vor allem nicht, daß ſich das Königspaar den ganzen Januar 1809 hindurch als Gaſt des ruſſiſchen Zaren in Detersburg aufhielt und dort Feſte über Feſte gefeiert wurden, bei dem⸗ In der Sanderſchen Überſetzung der Oper von Gluck. 169 ſelben Zaren, der ſich bei den Friedensverhandlungen in Tilſit als ein ſo wenig treuer Freund bewieſen hatte! Wie ſehr allerdings die Königin Luiſe bei die⸗ ſen Feſten und überhaupt an ihrem Heimweh nach Berlin gelitten, geht aus den Aufzeichnungen ihrer getreuen Oberhofmeiſterin, der Gräfin von Voß, her⸗ vor. Über die Verzögerung der Rückkehr ſchreibt San⸗ der am 6. Juli 1809: „Durch dieſes Verzögern ſeiner Rückkehr gewinnt der König bei dem großen Haufen der Berliner nun eben nicht an Liebe, doch wir ande⸗ ren ſehen ein, daß es ihm höchſt unangenehm ſein müßte, in Berlin zu reſidieren, ſolange noch Glogau, Küſtrin und Stettin von fremden Truppen beſetzt ſind.“ Endlich nahte der Tag des Einzugs, der 23. Dezem⸗ ber 1809. Es war wohl einer der ſchönſten und zu⸗ gleich innigſten Freudentage, die Berlin in ſeiner Ge⸗ ſchichte je beſchieden waren, weil tiefes Glück und tie⸗ fes Leid, bange Sorge und neues Hoffen in allen Herzen gepaart waren. Eine Jeitgenoſſin ſchildert dieſen feierlichen Einzug: „Wir ſahen dem feier⸗ lichen Einzuge aus den Fenſtern des Zeughauſes zu. Es war der klarſte, hellſte Dezembertag. Die weißen Fahnen, die von allen Türmen und von den Zinnen des Schloſſes wehten, ſpielten in der reinen Bläue der Luft. Endlich, wie durch die wogenden Volks⸗ maſſen getragen, zogen acht reich beſchirrte Pferde den ſchönen Wagen heran, den die Stadt Berlin der Kö⸗ nigin zum Geſchenk entgegenſandte. Wir ſahen ſie wieder die Schwelle des Hauſes begrüßen, das ſie nicht mehr zu betreten gedacht, das ſie nur noch wenige Monate bewohnen ſollte! Auf dem Balkon des Pa⸗ 170 lais erſcheinend, ſah ſie von dort die Truppen und die Bürgergarden vorbeidefilieren. Sie hatte ſo viel ge⸗ weint, daß ſie in dieſem erſten Moment ſehr verän⸗ dert ſchien; doch fand man bald die lieben Züge wie⸗ der, die durch den tiefen, ernſten Eindruck, den die 107 ſchwere Zeit ihnen geprägt, nur veredelt waren. Wer nur irgend konnte, war damals in Berlin auf den Beinen, um einen Blick auf den Einzug zu er⸗ haſchen. Bevorzugt waren alle die, die ſelbſt an einer der Straßen wohnten, durch die ſich der Einzug voll⸗ zog, oder bei Freunden in ſolchen Straßen zu Gaſte ſein konnten. So darf man annehmen, daß auch das Ehepaar Sander, zuſammen mit Adam Müller und dem Dichter Eichendorff, den Einzug aus der Woh⸗ nung des Grafen Loeben mit anſehen konnte, da San⸗ der einen Band Gedichte des Grafen Loeben verlegt hatte. Eins der wertvollſten Werke, die Sander damals herausbrachte, waren die „Elemente der Staats⸗ kunſt“ von Adam Heinrich Müller, dem Vetter So⸗ phie Sanders. Adam Müller war 1805 in Wien zur katholiſchen Kirche übergetreten und hatte dann 1806 bis 1800 in Dresden gelebt, wo der Scheidungspro⸗ zeß des Landrats von Haza durchgeführt und die Ehe zwiſchen Adam Müller und Sophie von Haza ge⸗ ſchloſſen werden konnte. Durch ſeine in Dresden ge⸗ haltenen Vorleſungen hatte Adam Müller im geiſti⸗ gen Leben der Stadt eine hochgeachtete Stellung er⸗ rungen. Die 1806 gehaltenen Vorleſungen handelten zwar über „deutſche Wiſſenſchaft und Literatur“ und ſpäter über „dramatiſche Kunſt“, aber Adam Müller war ſo leidenſchaftlich von politiſchen und volkswirt⸗ 171 ſchaftlichen Gedanken beſeſſen, daß er ſich auch in die⸗ ſen der Wiſſenſchaft und Kunſt gewidmeten Vorträ⸗ gen mit den Problemen des Staates und der Geſell⸗ ſchaftsordnung auseinanderſetzte. Dieſer Leidenſchaft folgte er dann vor allem in ſeinen berühmt gewor⸗ denen Vorleſungen über die „Elemente der Staats⸗ kunſt“, die er im Winter 1808,00 in einem Kreiſe von Staatsmännern und Diplomaten hielt 1os. Der Aufſtieg, der Adam Müller in Dresden beſchieden war, wurde jäh unterbrochen, als nach dem für Öſter⸗ reich unglücklichen Verlauf des öſterreichiſch⸗franzö⸗ ſiſchen Krieges von 1800 die Franzoſen in Dresden einrückten und die Öſterreicher, die dieſe mit Napo⸗ leon verbündete Stadt vorübergehend beſetzt hatten, das Feld räumen mußten. Adam Müller hatte in ſei⸗ nen Dresdener Vorleſungen, obwohl Sachſen zu den Verbündeten Napoleons gehörte, ſtets ſeinem ſtar⸗ ken Fühlen als Deutſcher und ſeinem Haß gegen Na⸗ poleon Ausdruck gegeben. Bei dieſer politiſchen Wende mußte er fliehen, um der Gefangenſchaft durch die Franzoſen zu entgehen. Er kam in verzweifelter Lage, aller Geldmittel entblößt, im ſuni 1809 in Berlin an. Seine Lage war um ſo ſchwieriger, als er ja nicht mehr allein ſtand, ſondern für die nach heißen Kämpfen errungene Ehefrau mit zu ſorgen hatte. Seinen koſt⸗ barſten Beſitz, das Manuſkript zu den „Elementen der Staatskunſt“, hatte Adam Müller auf der Flucht gerettet. Das war die Grundlage, die ihm zu neuem Aufſtieg half, und es war eine echte Freundestat, daß Sander das Werk in ſeinen Verlag übernahm. Über die „Elemente der Staatskunſt“ ſchreibt Adam Müllers Biograph Baxa 1921: „Man kann die Ele⸗ 172 mente' geradezu den Höhepunkt ſeines Schaffens nennen. In einer Sprache geſchrieben, wie man ſie ſelten in ſtaatswiſſenſchaftlichen Werken finden wird, von einer Klarheit und Glätte des Stils, die ihres⸗ gleichen ſucht, enthalten ſie eine Fülle von Gedanken und Ideen, großartig und originell, die unmöglich ihre Wirkung auf den Hörer verfehlt haben können. Wenn Baxa hier neben dem Inhalt auch die Klarheit und Glätte des Stils lobt, ſo fällt hieran dem Ver⸗ leger Johann Daniel Sander ſicher ein Verdienſt zu; denn Sander hat auf Verlangen Adam Müllers die⸗ ſes Werk „ein wenig im Manuſkript retuſchiert“ (Brief an Böttiger vom 21. November 1809). Sander verlegte auch eine kleine Schrift von Adam Müller: „Die Rückkehr des Königs von Dreu⸗ ßen in ſeine Hauptſtadt. Zur Erinnerung an den 23. Dezember 1809.“ In dieſer Feſtſchrift klingt na⸗ mentlich bei der Huldigung für die Königin Luiſe ein ſtarkes religiöſes Fühlen mit hinein, ein Ton, der an den katholiſchen Marienkult erinnert. Auch die Vorträge, die Adam Müller zu Beginn des Jahres 1810 über „König Friedrich II. und die Natur, Würde und Beſtimmung der preußiſchen Mon⸗ archie“ in Berlin hielt, nahm Sander in ſeinen Ver⸗ lag, obgleich Friedrich der Große in dieſen Vorträgen ſtellenweiſe kritiſch behandelt wird, während Sander ihn glühend bewunderte. Die politiſche und volkswirtſchaftliche Bedeutung Adam Müllers liegt darin, daß er gegenüber dem in⸗ dividualiſtiſchen Prinzip, wie es namentlich der eng⸗ liſchen, ſpäter auch der deutſchen Volkswirtſchaft nach den Lehren von Adam Smith zugrunde lag, den Ge⸗ 173 danken der Volksgemeinſchaft betonte. Ferner ſtellte er gegenüber den liberaliſtiſchen Gedanken, mög⸗ lichſt alles der Initiative des einzelnen zu überlaſſen und den Staat höchſtens als „Nachtwächter“ bei den ſchlimmſten Auswüchſen einzuſetzen, ein ſehr viel höheres Staatsideal auf, das man erſt jetzt in der Gegenwart zu verwirklichen ſucht: Nach Müller iſt der Staat „die innige Verbindung der geſamten phy⸗ ſiſchen und geiſtigen Bedürfniſſe, des geſamten phy⸗ ſiſchen und geiſtigen Reichtums, des geſamten inne⸗ ren und äußeren Lebens einer Nation zu einem gro⸗ ßen, energiſchen, unendlich bewegten und lebendigen Ganzen 109 In Dresden hatte Adam Müller auch den Dichter Heinrich von Kleiſt kennengelernt. Das beiden Männern innewohnende Deutſchfühlen und der Haß gegen Napoleon hatte ſie freundſchaftlich verbunden. Es iſt gleichfalls ein Beweis für Adam Müllers vor⸗ ausſchauendes Fühlen und Denken, daß er bereits 1800 die Bedeutung dieſes von den Mitlebenden ſo ſtark verkannten und erſt von der Rachwelt gewürdig⸗ ten Dichters erkannte und ſich in Wort und Schrift ſtark für ihn eingeſetzt hat. Adam Müller und Kleiſt gaben im Jahre 1808 gemeinſam eine Zeitſchrift „Dhoebus“ heraus, die nach der Abſicht der Her⸗ ausgeber „ein Journal für vermittelnde Kritik“ ſein ſollte, etwa nach dem Plan der einſt von Goethe und Schiller herausgegebenen "Horen"110. Das Blatt konnte ſich jedoch nur ein Jahr hindurch halten. Durch den Mißerfolg dieſer Zeitſchrift wurde das Ver⸗ hältnis zwiſchen Müller und Kleiſt zeitweilig getrübt. Bei der Flucht aus Dresden 1809 verloren ſie ſich zu⸗ 174 nächſt auch äußerlich aus den Augen, da Kleiſt nach Drag geflohen war. Sie fanden ſich dann aber in Berlin wieder als Freunde und zu gemeinſamem Schaffen für die Wiederaufrichtung des preußiſchen Staates. Das geſellſchaftliche Leben Berlins, das ſeit 1806 wie erſtorben war, lebte ſeit der Rückkehr des Königs und damit auch der Beamten und der militäriſchen Kreiſe wieder auf. Trotz der nach wie vor beſtehenden wirtſchaftlichen Sorgen gelang es auch Sophie San⸗ der, in ihrem Salon wieder die feinſten und klüg⸗ ſten Köpfe des literariſchen Lebens zu verſammeln. So berichtet Clemens Brentano in einem Brief an Wilhelm Grimm im Februar 1810 von einem ihm zu Ehren gegebenen „Abendſchmaus“ bei Sander, an dem außer ihm Bernhardi, Fouqué, der Kapellmeiſter Weber, Diſtor, Kleiſt, Adam Müller und andere teil⸗ genommen hätten. Die Schilderung dieſer Abend⸗ geſellſchaft geſchieht in der bei Brentano üblichen bos⸗ haft⸗witzigen Weiſe¹. Es ſcheint bei dem „Abend⸗ ſchmaus“ ſehr übermütig zugegangen zu ſein; nament⸗ lich kam Sanders Weinkeller dabei zu Ehreniit Über eine andere Veranſtaltung aus dieſer Zeit, die wohl ruhiger verlief —- denn es handelte ſich hier nur um eine „Teegeſellſchaft“ im Salon der Hausfrau —, berichtet aus der Erinnerung an einen gelegentlichen Beſuch im Sanderſchen Hauſe Rahel Varnhagen in einem Brief an Guſtav von Brinkmann vom 30. Ro⸗ vember 1819: „Dieſe Generalin Helvig kenne ich noch nicht. Nämlich, vor vielen Jahren war ich einmal mit ihr und ihren beiden Schweſtern bei Madame * Vgl. S. 182. 175 Sander, wo ſie mich kennenlernen wollte, ich hatte aber damals ſchon den Namen Robert, und ſo meinte ſie, ich ſei es nicht; ich, die das nicht wußte, trat nicht vor und mußte den ganzen Abend nur mit Hein⸗ rich Kleiſt und Adam Müller ſprechen, weil Achim Arnim und Clemens Brentano in ſchwarzen Teeklei⸗ dern und Beſtrumpfung aus Reſpekt vor der inter⸗ eſſanten vornehmen Dame rempart ſpielten und nie⸗ mand in der Hitze heranließen. Kleiſt, mit ſtraßen⸗ beſchädigten Stiefeln, und ich lachten heimlich in einem Winkel und amüſierten uns mit uns ſelbſt. 112 Kleiſt war wahrſcheinlich durch Adam Müller bei Sophie eingeführt und wurde ihr auch freundſchaft⸗ lich zugetan, wie ein kurzes Billett aus dem Frühjahr 1810 andeutet. „Meine liebſte Freundin, nun werde ich einmal Ihre Freundſchaft auf die Probe ſtellen und ſehen, ob Sie mir böſe werden, wenn ich heute abend nicht komme. Ich werde morgen herankommen und Ihnen ſagen, welch ein ganz unvermeidliches Ge⸗ ſchäft, dem Sie ſelbſt dieſes Beiwort zugeſtehen wer⸗ den, mich davon abgehalten hat; und wenn Sie mir, liebſte beſte Freundin, ein krauſes Geſicht ziehen und mir böſe ſind, ſo erinnere ich Sie an den Vertrag, den wir beide miteinander abgeſchloſſen haben. H. von Kleiſt. 113 Auch der Dichter Otto Heinrich Graf von Loeben verkehrte im Sanderſchen Salon. Er hatte in Dresden die Vorträge Adam Müllers mit Begeiſte⸗ rung gehört und ſpäter in Heidelberg eine ſchwärme⸗ riſche Freundſchaft mit den Brüdern Eichendorff ge⸗ ſchloſſen. Bei ſeinem Aufenthalt in Berlin im Jahre 176 1810 lebte er mit dieſen Freunden in einem Hauſe 114 Wahrſcheinlich kamen auch Loebens Beziehungen zum Sanderſchen Hauſe durch Adam Müller zuſtande. Sander verlegte 1810 einen ſehr umfangreichen Band Gedichte von Loeben, und Sophie ſah ihn oft als Gaſt an ihrem Teetiſch. Loebens Biograph ſchreibt dar⸗ über: „Loeben, der leicht Entzündliche, war bald ver⸗ traut im Sanderſchen Hauſe und ganz begeiſtert von der liebevoll ſich hingebenden, treuen, feinen Seele ſeiner Herrin.“ Tagebuchbemerkungen von der Hal⸗ tung der folgenden ſind öfter zu finden: „Ich las viel vor aus meinen Poeſien, ſprach viel aus dem Herzen. Die Sander verſtand mich tief. Bei Tee und ſpäter Wein, Muſik uſw. blieben wir bis 12 beiſammen, ich mußte immer mehr leſen, und die Sander ſagte mir, daß ſie lange keinen reicheren Abend verlebt hätte. Auch ich war in meiner rechten natürlichen Stim⸗ mung.“ Nach den Gedichten wollte Loeben einen Schäfer⸗ und Ritterroman „Arkadien“ bei Sander erſcheinen laſſen, aus dem er Sophie Sander und Kleiſt Teile vorgeleſen hatte. Sander lehnte aber den Verlag die⸗ ſes Werkes ab. Auch der Verlagsbuchhändler Rei⸗ mer, bei dem ſich Loeben auf Sophie und Kleiſt be⸗ rief, lehnte ab 115. Der Roman konnte ſchließlich nur bei einem unbedeutenden Verleger herausgebracht werden. Als Dichter war Loeben ſehr phantaſtiſch und etwas weichlich; auch verlor er ſich ſpäter in Vielſchreiberei und Tagesſchriftſtellerei für alle möglichen Zeitſchrif⸗ ten und Almanache. Aber unter den bei Sander ver⸗ legten Gedichten finden ſich eine Anzahl recht wert⸗ 12 Die Sanders 177 voller Sachen, vielleicht das Beſte aus der geſamten Loebenſchen Dichtung“. Die Jahre 1810 und 1811 waren Jahre entſchei⸗ dender Anderungen in der preußiſchen Geſetzgebung und Verwaltung. Als „Stein⸗Hardenbergſche Geſetzgebung“ ſind dieſe Maßnahmen in die Ge⸗ ſchichte eingegangen, und die Nachfahren wiſſen, was Dreußen dieſen Männern zu danken hat, die ſo ver⸗ ſchieden in ihrem ganzen Charakter, Denken und We⸗ ſen waren, ſich aber vielleicht gerade dadurch in not⸗ wendiger Weiſe ergänzten. Daß auch in Meiſterwer⸗ ken der Geſetzgebung Lücken bleiben, ja daß ſich nach Jahren oder Jahrzehnten grundlegende Fehler her⸗ ausſtellen, iſt das Schickſal des immer unvollkom⸗ men bleibenden Menſchentums. Aber die Stein⸗ Hardenbergſche Geſetzgebung erweckte ſchon in der Zeit ihrer Entſtehung ſcharfe Kämpfe, und die gegneriſchen Kräfte, zu denen auch Heinrich von Kleiſt und Adam Müller gehörten, ſammelten ſich in der in Berlin am Krönungstage des erſten preußiſchen Königs, am 18. Januar 1811, von Adam Müller und Achim von Arnim gegründeten „Chriſtlich⸗deutſchen Tiſchgeſellſchaft“, zu der neben ihnen Männer wie Clemens Brentano, Savigny, von Clauſewitz, Zelter, Fichte gehörten. Dieſe Geſellſchaft konnte in gewiſſer Weiſe wie ein Gegenſtück zur „Mittwochs⸗ Geſellſchaft“¹“ erſcheinen, unterſchied ſich jedoch von * Vollendet in der Form ſind z. B. alle in dieſem Bande enthaltenen Sonette; inhaltlich zugleich ſchön und eindrucks⸗ voll ſind darunter namentlich eine Reihe von Sonetten an eine Verſtorbene und verſchiedene Gedichte religiöſen Inhalts. ** Vgl. S. 27. 178 ihr ſehr weſentlich: In der Mittwochs⸗Geſellſchaft überwog das gebildete Bürgertum, und ſie war völlig interkonfeſſionell eingeſtellt. In der Tiſchgeſellſchaft hingegen, deren Ziele ſich ganz auf die Erneuerung Preußens richteten, war neben den Kreiſen der Lite⸗ ratur und Wiſſenſchaft auch der oppoſitionell gerich⸗ tete Adel und das Militär vertreten, und Juden wa⸗ ren von der Mitgliedſchaft ausgeſchloſſen. Einer der ſtärkſten Wortführer im Kampfe gegen die neuen Maßnahmen der Regierung war Adam Müller;, er war ja auch der Sachkundigſte auf dem Gebiete der Volkswirtſchaft. Beachtung verdient auch heute noch die große von ihm verfaßte Denkſchrift, die im Sinne einiger adliger Großgrundbeſitzer Harden⸗ berg eine Reihe von Vorſchlägen zur Reform der Verfaſſung, der Finanzen, des Beamtenſtabes uſw. unterbreitet. Die Denkſchrift iſt hauptſächlich gegen Maßnahmen des Freiherrn vom Stein gerichtet, der in den Kreiſen des preußiſchen Adels als zu ſtark von der Franzöſiſchen Revolution beeinflußt galt. Dem⸗ gegenüber verlangt die Denkſchrift „die Beibehaltung, ja die Auffriſchung des alteuropäiſchen Geiſtes unſerer Verfaſſung“. Die Denkſchrift wendet ſich u. a. auch gegen die damals begonnene Agrargeſetzgebung, weil man darin „die Natur des Grundeigentums, nämlich die bleibende Natur desſelben“ verleugnet hätte, ſtatt den „Ackerbau unauflöslich zu befeſtigen“. Solche Ge⸗ danken wirken heute wie Vorläufer der Forderungen des Bundes deutſcher Bodenreformer und der Erbhof⸗ Geſetzgebung. 116 Mit der Oppoſition gegen Hardenberg gefährdete Müller allerdings ſeine eigene Stellung; denn er 179 12* ſtrebte ja die Aufnahme in den preußiſchen Staats⸗ dienſt an. Statt deſſen erreichte er nur die Zahlung eines „Wartegeldes“, und Hardenberg ſchob ihn nach Öſterreich ab. Er ſollte dort in geheimer Miſſion, in einer Art Spitzeldienſt, das Terrain und die Geſell⸗ ſchaft ſondieren und Hardenberg von Zeit zu Zeit Be⸗ richt erſtatten117. Damit wandte ſich Adam Müllers Cebensfahrt nach Öſterreich, und einer der klügſten Köpfe ging dem Aufbauwerk des preußiſchen Staates verloren. In Wien erreichte Adam Müller zu ſeinem Ent⸗ ſetzen die Nachricht vom tragiſchen Ende ſeines Freundes Heinrich von Kleiſt am 21. November 1811. Kleiſt hatte im Oktober 1810 mit hohen Erwar⸗ tungen ein täglich erſcheinendes Blatt, die „Ber⸗ liner Abendblätter“, gegründet, um dadurch ſei⸗ nen vaterländiſchen Gedanken einen Reſonanzboden zu ſchaffen. Er eröffnete es mit einem von ihm ſelbſt verfaßten „Gebet des Zoroaſter“, in einem Gefühl religiöſer Weihe höchſte Opferbereitſchaft für Volk und Vaterland fordernd. Die Blätter konnten ſich jedoch leider nur ein halbes Jahr, bis zum 31. März 1811, halten, obwohl im erſten Vierteljahr bedeutende Män⸗ ner, u. a. Adam Müller und Achim von Arnim, Kleiſts Mitarbeiter waren und das Blatt zuerſt auch Inter⸗ eſſe erweckt hatte. Aber es war ungeſchickt redigiert. Das Dublikum kam nicht auf ſeine Koſten. Die wiſ⸗ ſenſchaftlichen Aufſätze waren im Verhältnis zum ſchmalen Umfang des Blattes viel zu lang, zogen ſich daher durch mehrere Nummern hin; andere Aufſätze erörterten weitſchweifig philoſophiſche Streitfragen, die nur den Kreis der Fachgelehrten angingen. Dazu 180 kamen Schwierigkeiten durch die Zenſur; denn der liberale Hardenberg war nicht liberal genug, eine freie Meinungsäußerung zu dulden. Das zweite Viertel⸗ jahr der „Berliner Abendblätter“ beſteht faſt nur aus kurzen Notizen, Überſetzungen aus engliſchen und fran⸗ zöſiſchen Blättern und ähnlichem. Kleiſt mußte dieſe ganze Arbeit faſt allein bewältigen, und man hat, wenn man dieſe Blätter durchſieht, oft das Gefühl: Degaſus im Joche! Ende März mußte Kleiſt die Abend⸗ blätter eingehen laſſen. Dieſe Enttäuſchung für ſein politiſches Wirken und das Unverſtändnis der meiſten Zeitgenoſſen für ſein dichteriſches Schaffen haben zu ſeinem Entſchluß beigetragen, zuſammen mit ſeiner Freundin Henriette Vogel in den Tod zu gehen its Statt daß man nun dieſes Trauerſpiel mit Ehrfurcht, Trauer, ja mit Beſchämung erlebt hätte, entſtanden in Berlin, Drag und Wien die häßlichſten Klatſch⸗ geſchichten, in die auch Sophie Sander verwickelt wurde. Der widrigſte Ausdruck für dieſen Geiſt findet ſich in einem Brief Clemens Brentanos an Achim von Arnim aus Drag vom 19. Dezember 1811: „Ge⸗ ſtern erhielt ich von Savigny die Nachricht, daß Hein⸗ rich von Kleiſt ſich vor 14 Tagen nebſt der Frau Ren⸗ dant Vogel (Oldam Müllers und Theremins Buhl⸗ ſchaft nach der Sander) auf einem Dorf zwiſchen Ber⸗ lin und Potsdam nach eingenommenem Frühſtück ſcheinbar mit gegenſeitigem Verſtändnis erſchoſſen ... Ich glaube, daß, wer Adam Müller, der jetzt in Wien den vornehmen Fuchsſchwanz, trotz Berlin, ſtreicht, je ſo toll anbeten konnte, wohl zu dergleichen Totſchüſſen in deſſen ausgetretenen Liebespantoffeln kommen kann. 181 Wahrſcheinlich war auch Varnhagen, der mit Bren⸗ tano in Drag öfter zuſammenkam, an derartigen Klatſchereien beteiligt, denn in ſeinen „Denkwürdig⸗ keiten des eigenen Lebens“ (3. Auflage, Seite 358 ff.) ſtellt er es auch ſo dar, als ſei Henriette nacheinander die Geliebte von Adam Müller, Theremin und Kleiſt geweſen, und Sophie Sander die Geliebte von Adam Müller und Theremin. Adam Müllers Biograph, Ja⸗ kob Baxa, weiſt in ſeiner großen Adam⸗Müller⸗Bio⸗ graphie (Seite 209ff.) den Klatſch in bezug auf Hen⸗ riette Vogel und Müller zurück. Es könne ſich höch⸗ ſtens um eine weit zurückliegende Jugendfreundſchaft gehandelt haben; „es iſt aber ganz ausgeſchloſſen, daß es in den Jahren 1800 bis 1811, wo Adam Müller ſchon mit Sophie von Haza verheiratet war, zu ähn⸗ lichen Dingen gekommen wäre.“ Ebenſo entſchieden muß dem Klatſch über Sophie Sander entgegen⸗ getreten werden. Der Ehemann Sander wurde zwar von Eiferſucht gegen Theremin gequält, iſt aber mit Adam Müller ſtets in freundſchaftlichem Verkehr ge⸗ blieben, wie aus ſeiner Verlagstätigkeit und aus ver⸗ ſchiedenen Briefen an Böttiger hervorgeht. Auch kam es nach 1809 zu freundſchaftlichem Verkehr zwiſchen dem Ehepaar Müller und Sophie Sander, was So⸗ phie Müller⸗von Haza ſicher nicht geduldet hätte, wenn Sophie Sander eine frühere Geliebte ihres Mannes geweſen wäre“. Zur weiteren Kennzeichnung des boshaften Briefes von Clemens Brentano ſei angeführt, was Varnhagen * Hierzu iſt auch zu beachten, was Friedrich Laun über Sophie Sanders Haltung ihrem jungen leidenſchaftlichen Vet⸗ ter gegenüber ſchreibt. Vgl. S. 57. 182 über ihn aus der Zeit ihrer Bekanntſchaft in Drag im Jahre 1811 berichtet: „Von den Derſonen, die wir ge⸗ meinſchaftlich kannten, ſprach Brentano meiſt ungün⸗ ſtig, aber mit außerordentlichem Scharfſinn, der jedes⸗ mal unfehlbar eine wunde Stelle traf. Die tiefſten und geheimſten Gebrechen der Gemüter zog er ans Licht, die Schwächen der äußeren Erſcheinung bezeich⸗ nete er mit brennenden Farben, und ſeine Darſtellun⸗ gen waren zugleich lehrreich und komiſch. Ein Wort, das er über irgendeinen Menſchen ſpöttiſch ausließ, wurde gewiß vielmals wiederholt und lebte lange fort, weil nicht leicht ein bezeichnenderes zu finden war. Auch die würdigſten und höchſten Derſonen ſchonte er nicht; wenn er auch anfangs einige Ehrfurcht bewies, ſo warf er dieſe doch nach kurzer Zeit ab, und ehe man ſich's verſah, hatte er Lächerliches und Beſchämendes angebracht. 119 All dem üblen Klatſch gegenüber hat nur der eine Gedanke Berechtigung, daß Kleiſt ſowohl wie Hen⸗ riette Vogel arme krankhaft veranlagte Menſchen wa⸗ ren, die ſchon öfter mit dem Gedanken an Selbſt⸗ mord geſpielt und ſich zuletzt entſchloſſen hatten, ge⸗ meinſam den ſchweren Weg vom Leben in das „Sein oder Nichtſein“ zu ſuchen. Reben der Trauer um Kleiſts Tod und der Bitter⸗ keit über den Klatſch, mit der das Andenken der Toten und ihr eigener Ruf beſudelt wurden, bereitete ſich für Sophie Sander ein viel größerer Schmerz vor, der Verluſt ihres Freundes Theremin. Die geiſtige Vorarbeit für den Wiederaufſtieg des am Boden liegenden preußiſchen Volkes wurde nicht nur durch Geſetze, Verwaltungsmaßnahmen und mili⸗ 183 täriſche Reformen geleiſtet, ſondern ſie floß aus viel tieferen Quellen: Die religiöſe Gleichgültigkeit und Lauheit dem Chriſtentum gegenüber wurden in den Jahren nach dem Zuſammenbruch durch eine aus dem innerſten Herzen quellende ſtarke Frömmigkeit über⸗ wunden. Die von Süddeutſchland ausgehende prote⸗ ſtantiſche „Erweckungsbewegung“ verband ſich mit dem deutſchen Idealismus, der hauptſächlich in Kö⸗ nigsberg, Berlin, Jena und Weimar ſeine Stätte hatte. Bei vielen der führenden Männer Dreußens in der Zeit vor und während der Freiheitskriege, wie Stein, Gneiſenau, Ernſt Moritz Arndt, war Chriſten⸗ tum und patriotiſches Fühlen völlig eins. „Es war eine vollſtändige Bekehrung. Die Wendung zur Reli⸗ gion, zur Geſchichte, zum neuen Staatsbewußtſein, zur Vaterlandsliebe iſt eine einzige, in ſich zuſammen⸗ hängende Bewegung“, heißt es über die Zeit vor 1813120. Von dieſem zu neuer Kraft erwachenden Chriſtusgeiſt wurde auch Franz Theremin ergriffen. Er, der bisher nur der Familienüberlieferung folgend Theologie ſtudiert hatte, wurde nun auch innerlich zum Dienſt am Chriſtentum berufen¹²¹. Für ihn als wahrhaften Chriſten wurde jetzt aber die Trennung von Sophie zur zwingenden inneren Notwendigkeit. Eine neue tiefe Neigung zu einer jungen Witwe, Erneſtine Mathis, geborene Conrad, ergriff ihn und führte im Jahre 1814 zur Heirat. Die Gattin wurde ihm ſchon 1826 durch den Tod entriſſen; aber bis dahin waren ihm zwölf Jahre einer von tiefem Glück geſegneten Ehe beſchieden. Sophie Sander dagegen erfuhr durch Theremin ein ähnliches Schickſal, wie es Charlotte von Stein durch 184 das Erkalten von Goethes Leidenſchaft erfahren hatte. Was Sophie dabei gelitten, weiß nur Gott allein. Nach außen ließ ſie nichts von ihrem Schmerz mer⸗ ken. In Varnhagens handſchriftlichem Nachlaß heißt es darüber, Theremins Heirat „war ein Stoß, den Sophie Sander tief empfand, aber mit viel Faſſung und Anſtand zu ertragen wußte ... Zacharias Werner hatte ſieben Jahre vorher an Sophie Sander geſchrieben: „Danken Sie Gott, daß Sie wenigſtens Kinder haben.“² Für dieſe Kinder hat ſie den immer ſchwieriger werdenden Kampf ums Daſein tapfer weitergeführt. * Vgl. S. 165. 185 Zehnter Abſchnitt Die Zeit der Freiheitskriege 1812—1815 In dem überwiegend literariſch eingeſtellten Berlin zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatten ſich die Gei⸗ ſter an der überragenden Geſtalt Goethes geſchieden. In dem durch die kriegeriſchen Ereigniſſe zur Politik erwachten Dreußen ſchieden ſich die Geiſter an der überragenden Geſtalt Napoleons. Der Riß ging nicht nur mitten durch die Völker hindurch und trennte die Rheinbundſtaaten von Dreußen, der Riß ging mitten durch die Familien und ſprengte alte treu bewährte Bande der Freundſchaft. Während die einen glaubten, in Napoleon einen von Gott den Völkern geſandten Genius ſehen zu ſollen, erſchien er den andern als der Antichriſt, zum mindeſten ein Werkzeug des Antichriſt, der Fluch und Unheil über die Völker brachte. Einige wenige erkannten trotz ihres Deutſchtums die Größe des Mannes an. Ein auffallend objektives, dabei prophetiſches Urteil fällte die Königin Luiſe im Jahre 1808 über ihn, alſo bald nach ihrer ſchickſalvollen Be⸗ gegnung mit Napoleon in Tilſit: „Es wäre Läſte⸗ rung, zu ſagen, Gott ſei mit ihm; aber offenbar iſt er ein Werkzeug in des Allmächtigen Hand, um das Alte, welches kein Leben mehr hat, das aber mit den Außendingen feſt verwachſen iſt, zu begraben ... Er richtet ſich nicht nach ewigen Geſetzen, ſondern nach Umſtänden, wie ſie nun eben ſind .. . Dabei iſt er ohne 186 alle Mäßigung, und wer nicht maßhalten kann, ver⸗ liert das Gleichgewicht und fällt. 122 Die verſchiedenen Meinungen über Rapoleon, die bereits 1806 und 1807 zerſetzend gewirkt hatten, prall⸗ ten noch erbitterter aufeinander, als ſich der König Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1812 zu einem Bünd⸗ nis mit Napoleon gegen Rußland entſchließen mußte, weil ſonſt zu befürchten ſtand, daß Dreußen zum Kriegsſchauplatz zwiſchen Frankreich und Rußland werden würde. Napoleon kämpfte gegen Rußland, weil es ihm in ſeinem Kampf gegen England Hinder⸗ niſſe bereitete. Auch der Verfaſſer der berüchtigten „Galerie preußiſcher Charaktere“, Friedrich Buchholz, hatte bereits 1805 dem deutſchen Volk empfohlen, Napoleon im Kampf gegen England zu unterſtützen, weil Frankreichs Verfaſſung die Ordnung und den Fortſchritt, Englands Verfaſſung dagegen das Chaos und den Rückſchritt bedeute¹². Den Anhängern ſol⸗ cher Anſchauungen war naturgemäß auch das Bünd⸗ nis von 1812 willkommen; aber die preußiſchen Pa⸗ trioten ſahen in dieſem Bündnis „eine unüberwind⸗ liche Schmach ... Jeder nahm Partei in dieſer Sache; bis ins Innerſte der Herzen drangen die Vorwürfe, welche die Gegner ſich gegenſeitig zuwarfen; bis ins Innere der Familien drang der Zwieſpalt, der die Gemüter entzweite. 124 Aber auf welcher Seite die Menſchen in dieſen Aus⸗ einanderſetzungen auch ſtehen mochten, ſie wurden alle gleichmäßig von den Aufregungen und wirtſchaftlichen Bedrängniſſen betroffen, die ſeit 1812 von neuem über Dreußen hereinbrachen. Wieder fluteten die fran⸗ zöſiſchen Heere über das Land, wenn auch jetzt nicht 187 als feindliche Sieger wie 1806, ſondern als „Verbün⸗ dete“! Aber die Laſten der Einquartierung, das „Re⸗ quirieren“ der Lebensmittel und ſonſtiger Kriegs⸗ bedürfniſſe, die ſteigende Teuerung uſw. lagen wie damals auch jetzt wieder auf der Bevölkerung Berlins, die in den Jahren 1800 bis 1811 ein wenig hatte aufatmen können. Die große Wende, die Napoleons Schickſal und da⸗ mit das Schickſal Europas auf ruſſiſchem Boden er⸗ fuhr, die große Wende, die aus dem Dreußen des preußiſch⸗franzöſiſchen Bündniſſes den Hauptkämpfer gegen das Frankreich Napoleons erſtehen ließ, ſind als ein Ruhmesblatt in die Geſchichte Dreußens ein⸗ gegangen. Die „Freiheitskriege“ waren ein Krieg des ganzen Volkes, nicht nur ein Krieg der Kabinette, in dem die Völker oft kaum wußten, warum und für wen ſie eigentlich hingeopfert wurden. Hier ſtand wirklich das ganze Volk in größter Opferbereitſchaft zuſammen. Die politiſchen Streitereien, an denen ſich die Gemü⸗ ter erhitzt hatten, wurden begraben. Auch die Schran⸗ ken, durch die deutſche Länder je nach ihrer Stellung zu Napoleon getrennt geweſen waren, brachen zuſam⸗ men, und im gemeinſamen Vorgehen Öſterreichs und Preußens bahnte ſich das künftige „Großdeutſch⸗ land“ an. In der üblichen Geſchichtsſchreibung und im land⸗ läufigen Geſchichtsunterricht iſt faſt immer nur von Kämpfen, Siegen und Niederlagen die Rede, nicht aber von den unendlichen Opfern an Leben und Gü⸗ tern, mit denen alle Veränderungen im außen⸗ und innenpolitiſchen Leben der Völker bezahlt werden müſ⸗ ſen. Allenfalls wird noch der Opfer der Hinterbliebe⸗ 188 nen gedacht, die ihre Männer, Söhne, Brüder oder den Geliebten verloren haben. Aber Schmerzen um geliebte Tote ſind heilige Schmerzen, beſonders für den Chriſten, der ſich dadurch nur um ſo enger mit den unſichtbaren Wirklichkeiten göttlichen Lebens verbun⸗ den weiß. Viel nagender, kleinlicher und die Nerven zermürbender ſind die Sorgen, wenn durch den Krieg die geſamte wirtſchaftliche Exiſtenz vernichtet wird und wenn die aufreibendſte Arbeit eingeſetzt werden muß, um das Lebensſchiff nur einigermaßen über Waſſer zu halten. Von dieſem zermürbenden Kampf, den da⸗ mals ſehr viele Familien zu führen hatten, wurde in ſtärkſtem Maße auch das Sanderſche Haus betroffen. Als Sander erkennen mußte, daß der Buchhandel völlig daniederlag, bewarb er ſich um eine Stellung im Dienſte des Staates und erhielt auch eine Stelle mittleren Ranges bei der vorläufigen Landesdirektion in Stendal. Sophie hingegen ſah ſich nach einem wie immer gearteten Rebenerwerb um und wurde unter dem Zwange der Rot — Kriegslieferantin. Ihr Mann konnte ihr durch ſeine Stellung den gewiß ungewöhn⸗ lichen, aber lohnenden Auftrag auf Lieferung von Kriegsrequiſiten verſchaffen, und ſie durfte nicht zö⸗ gern, den Rettungsring zu ergreifen. So wurde die Exiſtenz der Familie über die Kriſis hinweg geſichert. Das eigene Haus in der Kurſtraße und die Buch⸗ handlung blieben der Familie durch alle wirtſchaft⸗ liche Rot hindurch erhalten. Aber die beiden Stützen nahmen einmal ein Ende. Die vorläufige Landes⸗ direktion wurde aufgelöſt, ſo daß Sander ſeinen Po⸗ ſten verlor, und auch die Kriegslieferungen hörten auf. Entſchloſſen, umſichtig und tatkräftig ſchlug Sophie 189 unverzüglich einen neuen Weg zur Hilfe ein: ſie er⸗ richtete ein Denſionat für junge Mädchen. Sander aber blieb in Stendal und hoffte dort auf Einnahmen durch literariſche Arbeiten und Kompoſitionen, ohne freilich zu bedenken, daß gerade dieſe Art freier geiſtiger Tä⸗ tigkeit in Kriegszeiten keinerlei pekuniären Erfolg ver⸗ hieß. Er hatte außerdem in Stendal die erſte beſchei⸗ dene Exiſtenz in einem möblierten Zimmer aufgegeben und ſich einen eigenen Haushalt mit einem Bedienten eingerichtet. Die Folgen waren größte geldliche Be⸗ drängnis und Schulden! In dieſer Lage forderte So⸗ phie energiſch ſeine Rückkehr nach Berlin;, denn hier bot ſich ihm ſofort wieder eine Tätigkeit nicht nur in der Buchhandlung, ſondern auch als Lehrer in ihrem Mädchenpenſionat. Seine gründlichen Kenntniſſe in Geſchichte und Literatur, ſeine Kenntnis fremder Sprachen, die er in muſtergültigen Überſetzungen be⸗ wieſen, hätten hier ſofort nutzbringende Verwertung gefunden. In dies wirtſchaftliche Familienſchickſal gibt ein meh⸗ rere Bogen ſtarker Brief Einblick, den Sander am 18. Mai 1814 aus Stendal an Böttiger ſchreibt, nach⸗ dem der Briefwechſel über drei Jahre unterbrochen geweſen war. Dieſer aufſchlußreiche Brief, zugleich ein erſchütterndes Zeugnis für die enge Verbindung von Genie und Wahnſinn, blendet wieder durch den klaren Stil und die förmlich dramatiſch wirkende Art der Darſtellung, iſt aber von krankhaften Ideen beherrſcht. Sanders krankhafte Haltung kommt in zwei Punkten zum Ausdruck: in einem Haß gegen die einſt ſo heiß geliebte Frau, der an die Strindbergſchen Schilde⸗ rungen der Frau als Quälgeiſt des Mannes erinnert; 190 krankhaft mutet ferner die Idee an, in Stendal eine — Brauerei zu gründen, womit Sander in kurzer Zeit große Reichtümer zu erwerben hofft! Die ganze Bit⸗ terkeit und Eiferſucht, die Sander in den Jahren des „Nordſtern⸗Bundes“ und durch Theremin erlitten, quillt in dem unglücklichen Manne wieder auf, wie⸗ wohl inzwiſchen — wahrſcheinlich als Folge der Los⸗ löſung Theremins — eine Ausſöhnung der Ehegatten erfolgt war. Er verſteht nicht, daß Sophie einfach nicht imſtande iſt, ihm die Mittel zu einer neuen Exiſtenz⸗ gründung zu beſchaffen. Sander will ſich von Sophie ſcheiden laſſen, während Sophie um der Kinder wil⸗ len ſeine Rückkehr nach Berlin verlangt. Sander ſchildert die erregten Auseinanderſetzungen, die teils brieflich, teils mündlich zwiſchen den Ehe⸗ gatten ſtattgefunden haben. Vielleicht iſt Sophie bei dieſen Auseinanderſetzungen dem Manne mit unan⸗ gebrachter Schärfe entgegengetreten, da ſie ſich als kerngeſunde Frau in den Zuſtand eines nervöſen, überempfindlichen Menſchen nicht hineinzudenken ver⸗ mochte. Infolge der aufgeſpeicherten alten Bitterkeit, verbunden mit dem neuen Groll über die Geldfrage, belegt Sander in dieſem Brief an Böttiger ſeine Frau mit häßlichen, beſchimpfenden Ausdrücken, er, der ſelbſt in der Zeit des ſeeliſchen Auseinanderlebens ſtets in taktvollſter Weiſe über ſein ſchwerſtes Leid geſchwie⸗ gen hatte. Wer aber Sophie nach dieſem Brief allein beurteilen wollte, würde ihr ſchweres Unrecht antun; denn in dem gegenwärtigen Konflikt war das Recht auf ihrer Seite. Sander gibt ſelbſt zu, daß alle Ber⸗ liner Freunde ihr in der Forderung beiſtanden, er ſolle nach Berlin zurückkehren. Auch die vier Kinder, 191 von denen beſonders die beiden älteſten doch ſchon alt genug waren, um ſich ein eigenes Urteil zu bilden, hielten zur Mutter. In dem Brief an Böttiger fleht der in äußerſte Not geratene Sander in wahrhaft ergreifender Weiſe den Freund an, ihm literariſche Arbeiten irgendwelcher Art zu verſchaffen. Jetzt hätte ſich die Freundſchaft Bötti⸗ gers, der von Sander ſoviel aufopfernde Güte genoſ⸗ ſen hatte, in der helfenden Tat bewähren müſſen. Aber der Notſchrei verhallte ungehört. Nur auf Be⸗ rechnung war Böttigers Verhältnis zu Sander ge⸗ gründet geweſen; wo er hätte vergelten können, ver⸗ ſagte er. Ja er ſcheint dem unglücklichen Freunde über⸗ haupt nicht geantwortet zu haben; denn dieſer Brief aus dem Jahr 1814 iſt der letzte im Böttiger⸗Nachlaß aufbewahrte Brief von Sander. Es folgt in dem Nach⸗ laß nur noch ein zwölf Jahre ſpäter geſchriebener Brief von Sophie Sander an Böttiger. Wie ſich die in dem Briefe von 1814 enthüllte Ehetragödie weiter entwickelt hat, iſt aus der zeit⸗ genöſſiſchen Tagebuch⸗ und Briefliteratur nirgends zu erſehen. Auch in der Familienüberlieferung war nichts von dieſem Drama des Jahres 1814 bekannt. Viel⸗ leicht waren die Sanderſchen Kinder, die dieſen Kon⸗ flikt ihrer Eltern ſchon voll bewußt miterleben muß⸗ ten, bis in das eigene Alter hinein ſo ergriffen davon, daß ſie weder zu ihren Kindern noch zu den Enkeln je davon geſprochen haben. Wahrſcheinlich iſt die Löſung dadurch erfolgt, daß der nervöſe Zuſammen⸗ bruch Sanders ſo offenſichtlich wurde wie einſt ſeine ſchwere Erkrankung im Sommer 1806, ſo daß die * Vgl. u. a. S. 108. 192 Heimkehr nach Berlin die einzige Rettung blieb. Eine Scheidung blieb vermieden, im Gegenteil, die Ehe wurde nach Überwindung dieſer Kriſen wieder in friedliche, harmoniſche Bahnen gelenkt. Auf dem großen Welttheater der Politik aber ging in dieſer Zeit ein anderes Drama ſeinem tragiſchen Ende zu. Als die verbündeten Heere im März 1814 ihren ſiegreichen Einzug in Paris hielten, erlebte Na⸗ poleon durch die Franzoſen nach dem bisherigen Zu⸗ jubeln das grauſame „Kreuzige ihn!“ Ein Jahr ſpä⸗ ter, am 31. März 1815, ſchreibt ein Zeitgenoſſe dar⸗ über: „Heute vor einem Jahr, gerade um dieſe Stunde, war man unter lautem Jubel des Volkes beſchäftigt, Rapoleons Bildſäule am Vendöme⸗Platz herunterzureißen, und heute huldigt ihm wieder das⸗ ſelbe Volk, das ihn damals als Tyrannen und Uſur⸗ pator verwünſchte. 125 Doch auch der Glanz der hundert Tage nach Na⸗ poleons Rückkehr aus der Verbannung von Elba er⸗ loſch. Es kam Belle⸗Alliance und Waterloo. Napo⸗ leons Schickſal erfüllte ſich auf Sankt Helena. Der ſchauluſtigen Berliner Bevölkerung aber waren im Jahre 1814zwei ſtrahlende Feiertage geſchenkt: Das war am 10. April der feierliche Einzug des Kuriers in den alten überlieferten Formen, von Poſtillionen und Militär begleitet, um der preußiſchen Hauptſtadt offi⸗ ziell die Nachricht vom Einzug der Sieger in Daris zu überbringen. Das war am 7. Auguſt die feierliche Enthüllung des Siegeswagens der Viktoria auf dem Brandenburger Tor, die auf Befehl des Siegers von 1806 und 1807 nach Paris gebracht worden war. All dieſe Jahre hindurch war die leere eiſerne Spitze über 193 13 Die Sanders dem Tor, die einſt den Siegeswagen getragen, wie ein bohrender Stachel im Herzen der Patrioten geweſen. Nun hielten unter der nach ſiebenjähriger Verban⸗ nung zurückgeholten Siegesgöttin die heimkehrenden Kriegerſcharen ihren feſtlichen Einzug. Ein feierliches Tedeum auf dem Schloßplatz und eine Illumination, an der ſich alle, alle, auch das ärmſte Haus, beteilig⸗ ten, ſchloß dieſen denkwürdigen Tag. Das Sanderſche Haus in der Kurſtraße lag in näch⸗ ſter Nähe des Schloßplatzes und der Straße Unter den Linden, wo ſich alle dieſe feierlichen Ereigniſſe abſpielten. Sophie war trotz ihres ſchweren Exiſtenz⸗ kampfes darauf bedacht, ihre Kinder die bedeutungs⸗ vollen Tage bewußt erleben zu laſſen, um dieſe Ein⸗ drücke als unverlierbaren Schatz in ihre jungen Her⸗ zen aufzunehmen. 194 Elfter Abſchnitt Stille nach dem Sturm 1816—1825 Der Wiener Kongreß, der die Napoleoniſchen Kriege beendete, bekommt von den Hiſtorikern im allgemei⸗ nen keine gute Zenſur. Zeitgenoſſen prägten bereits das Wort „Le Congrés danse, mais il ne marche pas“. und pflichtbewußte Teilnehmer, ſo vor allem auch die Vertreter Dreußens, litten darunter, daß ſich eine glänzende Feſtlichkeit an die andere reihte, „während man doch berechtigt wäre, wichtigere Nachrichten von einer Verſammlung zu erwarten, die über Europas künftige Schickſale entſcheiden ſoll 126 Aber ſo berechtigt die Kritik an dieſem Kongreß auch ſein mag, ſo hat er doch wenigſtens dem erſchöpften Dreußen eine Zeit von faſt fünfzig Jahren ohne grö⸗ ßere kriegeriſche Ereigniſſe verſchafft, die der Aufbau⸗ arbeit gewidmet werden konnte. Allerdings begann eine „Stille nach dem Sturm“, die an die Ruhe eines Friedhofs erinnerte. Dreußen ſtand im Schatten Öſterreichs, das von Metternich beherrſcht wurde. Ihm, wie auch vielen Landesfürſten und anderen Staatsmännern, ſtanden die Ereigniſſe der großen Franzöſiſchen Revolution noch in ſo erſchreckender Er⸗ innerung, daß krampfhaft alles unterdrückt wurde, was auch nur entfernt an „Volksrechte“ erinnerte. Ebenſo wurde auch alles idealiſtiſche und leidenſchaft⸗ liche Streben nach der Wiederherſtellung eines ein⸗ heitlichen deutſchen Reiches unterdrückt, das nament⸗ 195 13* lich die Jugend erfüllte. Aber trotz vieler rückſchritt⸗ licher Strömungen brachte die ſtille Aufbauarbeit in Dreußen doch auch manche Fortſchritte, ſo namentlich im Erziehungsweſen und für die Pflege der Wiſſen⸗ ſchaften. Dank der Sparſamkeit und Pflichttreue des Königs und der Beamten kamen auch die Finanzen wieder in Ordnung, die durch die Kriegszeiten ſchwer gelitten hatten. In Berlin beſſerten ſich zwar nach und nach die wirtſchaftlichen Verhältniſſe, aber das geſellſchaftliche Deben verſchob ſich in der Zeit des Wiener Kongreſſes und auch noch für einige weitere Jahre nach Wien. Auch eine ganze Reihe von Derſönlichkeiten, die einſt im Sanderſchen Hauſe verkehrt hatten, waren nun in Wien, und zwar in verſchiedenen Lagern und in den verſchiedenſten Stellungen, ſo u. a. Wilhelm von Hum⸗ boldt als preußiſcher Staatsmann, Adam Müller in öſterreichiſchen Dienſten als Mitarbeiter Metternichs; auch Friedrich Schlegel arbeitete im Miniſterium Metternichs, Varnhagen gehörte zum preußiſchen diplomatiſchen Korps, und Zacharias Werner wirkte nun als katholiſcher Drieſter. Von dieſen Perſönlichkeiten haben Zacharias Werner und Adam Müller zeitweilig ſtärkere Bedeutung für Sophie Sanders Leben gehabt, daher rechtfertigt ſich wohl ein kurzes Streiflicht auf ihre Entwicklung, ſeitdem ſich ihre Wege von Berlin ge⸗ trennt hatten. Der Glanzpunkt in Werners „Wanderjahren“ war die kurze Zeit, als er ſich bei ſeinem erſten Aufent⸗ halt in Weimar der Anteilnahme Goethes für ſein dichteriſches Schaffen erfreuen durfte. Unter dem Ein⸗ 196 fluß der Erziehungsarbeit, die Goethe an ihn wandte, zwang er ſich, entgegen ſeiner früheren Weitſchweifig⸗ keit im dramatiſchen Schaffen, zu ſtärkſter Zuſammen⸗ faſſung des Stoffes. In dem Trauerſpiel „Der 24. Fe⸗ bruar“, das nur einen Akt umfaßt und nur drei han⸗ delnde Derſonen auf die Bühne bringt, ſchuf er ein Meiſterwerk. Die Aufführung des Stückes fand am 24. Februar 1810 in Weimar ſtatt. Goethe hatte ſich der Inſzenierung liebevoll angenommen, und die Auf⸗ führung wurde zu einem durchſchlagenden Erfolg ter Über den „Wanderjahren“ Werners aber könnte im übrigen als Motto das Wort Fauſts ſtehen: „So tauml' ich von Begierde zu Genuß, und im Genuß verſchmacht' ich nach Begierde.“ Aus dieſer Verwü⸗ ſtung ſeines Lebens, die auch ſein dichteriſches Schaf⸗ fen beeinträchtigte und die ſeine Derſönlichkeit ſpä⸗ ter halb feſſelnd halb abſtoßend erſcheinen ließ, rettete er ſich zur katholiſchen Kirche, von der er Stütze und Halt gegenüber der Dämonie ſeines Lebens erhoffte. Am 16. Juli 1814 erlangte er ſogar die Drieſterweihe und traf im Auguſt 1814 in Wien ein, wo einen Mo⸗ nat ſpäter der Wiener Kongreß begann. Als Kanzel⸗ redner erregte er zur Zeit des Wiener Kongreſſes ge⸗ radezu Aufſehente Drei Jahre ſpäter wurde Zacharias Werners Lu⸗ ther⸗Drama einmal wieder zur Senſation! Bei der Feier des Reformationsfeſtes am 30. und 31. Oktober 1817 gab man im Berliner National⸗Theater eine Szene aus dem Drama, wahrſcheinlich die großartige Reichstagsſzene. Aber die anweſenden Studenten verurſachten einen Skandal, und auch andere Kreiſe nahmen Anſtoß an der Aufführung des Stückes, weil 197 Werner inzwiſchen zum Katholizismus übergetreten war¹29. Auch die Burſchenſchafter, die am 18. Oktober 1817 ihr revolutionär wirkendes Feſt zur Erinnerung an die Reformation und zugleich an die Leipziger Schlacht auf der Wartburg begingen, ließen ihren ju⸗ gendlich⸗leidenſchaftlichen Haß an dem Konvertiten Werner aus, indem ſie neben anderen Schriften auch das Luther⸗Drama feierlich verbrannten! Der Kon⸗ vertit Werner aber freute ſich über dieſes Autodafé ſeines Werkes und ſchreibt an Hitzig am 28. Dezem⸗ ber 1817 aus Wien: „Doch verehre und liebe ich von ganzer Seele die wackeren Burſchen auf der Wartburg und glaube, daß von ihnen einſt, wenn ſie zur Beſin⸗ nung kommen, großes Heil ausgehen wird. Am 17. Januar 1823 ſtarb Zacharias Werner an einem Lungenleiden, an dem er ſchon mehrere Jahre litt. In der vom oberſten Vorſteher der Kongregation der Redemptoriſten erlaſſenen Todesanzeige wird er als der „durch ſeine geiſtreichen Kanzelvorträge, durch ſeine chriſtlichen Tugenden und ſeinen Eifer für die Ehre Gottes gleich ehrwürdige als allgemein geſchätzte Drediger und Schriftſteller“ bezeichnet. Eduard Hitzig, der ihm durch alle Wandlungen ſei⸗ nes Schickſals hindurch die Treue gewahrt, ſetzte ſich wegen einiger buchhändleriſcher Angelegenheiten mit Sophie Sander in Verbindung und erhielt von ihr folgende Antwort vom 18. Februar 1823130. „Ich überſende Ihnen, mein gütiger Freund, was ich von Werners Hand gefunden habe. Da die War⸗ tung meiner drei Kranken mir alle Zeit wegnimmt und ich Ihrer Diskretion vertrauen darf, ſo ſchicke ich alles, ohne es vorher durchgeleſen zu haben. 198 Das Fragment eines Briefes an mich aus der erſten Zeit ſeines Wiener Aufenthaltes iſt zu charakteriſtiſch, als daß ich es Ihnen vorenthalten ſollte . Ich habe es heute noch mit tiefer Wehmut über das ſchöne zer⸗ rüttete Gemüt geleſen; der Schluß iſt mir leider ver⸗ lorengegangen. Ich ſtand in der Meinung, daß die Söhne des Ta⸗ les' beinahe vergriffen wären; da mich aber nun die näheren Erkundigungen belehren, daß vom erſten Teile noch 600, vom zweiten 900 Exemplare vorhan⸗ den ſind, ſo gebe ich die Idee wegen der umgearbei⸗ teten zweiten Auflage für jetzt auf. Es hat mich immer unangenehm berührt, daß der erſte Teil, nämlich der umgearbeitete Teil, mehrere Derſonen enthält, die in dem zweiten Teile, der völlig nach der erſten Auflage gedruckt wurde, weil der Verfaſſer ſich weigerte den zweiten Teil auch umzuarbeiten, nicht vorkommen, wodurch das Ganze etwas Disharmoniſches bekommt. Vielleicht läßt ſich bei einer folgenden Auflage dem abhelfen! Ich weiß nicht mehr genau, bis zu welchem Akte Werner mir das „Kreuz an der Oſtſee'“ vorgeleſen; ich erinnere mich nur noch, daß der alte Waidewuth, vor ſeinen von ihm ſelbſt erſchaffenen Götzen er⸗ bebend, durch ſie vernichtet zu werden im Begriff iſt. So viel weiß ich, daß alles ſehr ſchön war. Ich wünſche daher recht ſehr, daß Sie, teurer Freund, dem der Dichter gewiß die Idee des Schluſſes mitge⸗ teilt haben wird, dieſe zu entwickeln ſo gütig wären;, ſo könnten wir den erſten und zweiten Teil gleich zu⸗ * Vgl. S. 162. ** Vgl. S. 124. 199 ſammen erſcheinen laſſen. Hat doch Tieck mit Ro⸗ valis' nachgelaſſenen Schriften dasſelbe getan. Ihrem Gutfinden überlaſſe ich, was Sie in dieſer Sache für mich tun wollen; ich bin Ihrer Freundſchaft und Güte gewiß. Mit herzlicher Ergebenheit Der Wunſch nach einer Vollendung des Fragments S. Sander.“ zum zweiten Teil des „Kreuzes an der Oſtſee“ iſt nicht erfüllt worden, konnte wohl auch nicht erfüllt werden, da ein kongenialer Dichter dazu gehört hätte, der damals nicht vorhanden war. Aber der tiefe Ein⸗ druck, den das Fragment des zweiten Teiles auch ſchon beim bloßen Vorleſen machte, geht aus einer Schilderung in E. Th. A. Hoffmanns „Serapions⸗ Brüdern“ hervor. Dort unterhalten ſich Freunde über den zweiten Teil des Dramas, und an einer Stelle dieſes Geſprächs heißt es: „Seit Shakeſpeares Zeiten ging ſolch ein Weſen nicht über die Bühne wie dieſer übermenſchliche, fürchterliche, grauenhafte Greis! . .. Und damit Ihr nicht einen Augenblick länger in Zwei⸗ fel bleibt, ſo füge ich gleich hinzu, daß kein Dichter der neueren Zeit ſich einer ſolchen hochtragiſchen ge⸗ waltigen Schöpfung erfreuen kann als der Dichter der Söhne des Tales. 131 Zacharias Werner liegt auf dem kleinen Friedhof des Wallfahrtortes Maria Enzersdorf in der Nähe von Wien begraben. Ein eigenartiger Zufall fügte es, daß der ſechs Jahre ſpäter an demſelben Tage, am 17. Januar 1829, geſtorbene Adam Müller ſeine letzte Ruheſtätte neben Zacharias Werner fand. So liegen hier zwei Freunde und Verehrer Sophie Sanders 200 beieinander, die allerdings im Leben wenig Berüh⸗ rungspunkte hatten. An Adam Müllers andrer Seite ſchläft ſeine Gattin Sophie, die ihn noch zwanzig Jahre überlebte 13² In Adam Müller war eine eigentümliche Mi⸗ ſchung von konſervativer und revolutionärer Geſin⸗ nung. Er war konſervativ, weil er die Franzöſiſche Revolution verabſcheute und den Staat auf den alt⸗ überlieferten Grundlagen aufbauen wollte;, er war inſofern revolutionär, als er mit manchen ſeiner volkswirtſchaftlichen Ideen ſeiner Zeit weit voraus war. In ſeiner Laufbahn unter Metternich trat mehr und mehr das konſervative, ja reaktionäre Element hervor. Überhaupt hat man den Eindruck, als ſei mit dem Übergang in öſterreichiſche Dienſte ein innerer Bruch in ſeine Entwicklung gekommen und als paſſe auf ihn das Wort: „Kein Mann gedeihet ohne Va⸗ terland."133 Denn Preußen und Öſterreich waren ja damals kein einheitliches deutſches Vaterland, ſon⸗ dern zwei verſchiedene, oft in ſtarker Rivalität mit⸗ einander ſtehende Staaten, und Müller war genötigt, 34 in manchen Fragen gegen Preußen zu arbeiten; Auffallend reaktionär iſt auch ſeine Haltung zum Wartburg⸗Feſt 1817. Er ſah die Vorgänge nur in einem höchſt bedrohlichen, revolutionären Licht und berichtete in dieſem Sinne an Metternich; er war blind für den feurigen Idealismus der Jugend, den z. B. Zacharias Werner viel beſſer erkannt hatte“. Auch Goethe ſah im Rückblick in dieſem Wartburg⸗ Feſt nicht nur „Dummes“, ſondern auch „Geſchei⸗ 135 tes * Seite 198. 201 Auch in Adam Müllers öſterreichiſcher Zeit ſind wertvolle volkswirtſchaftliche Arbeiten von ihm er⸗ ſchienen, namentlich über Finanz⸗ und Agrarfragen. Hardenberg, der den Verluſt dieſes „größten deutſchen Volkswirtes“ 13ss für Preußen verſchuldete, hatte wohl recht damit, ihn nicht als Beamten in der Verwaltung zu verwenden; denn dazu war Adam Müller eine zu eigenwillige Natur. Aber wieviel hätte Müller als Lehrer an einer Univerſität wirken können, wie⸗ viel hätte er der Jugend geben können mit ſeinen in die Zukunft weiſenden Gedanken und ſeiner großen redneriſchen Begabung, von der ein Zeitgenoſſe ſchrieb: „Es war ein Hochgenuß, dieſen Mann reden zu hören, es ſei über was immer. Leicht, blühend, ſcheinbar gewählt und doch populär; ſicher, glücklich, effektvoll, nicht die entfernteſte Spur oratoriſcher Ab⸗ ſicht. 137 Während Berlin manchen wertvollen Zeitgenoſſen durch die Wandlung der Verhältniſſe verlor und ſich dadurch auch der Kreis des Sanderſchen Hauſes ver⸗ engte, kehrte ein anderer Freund Sophie Sanders nach längerer Abweſenheit zurück. Adalbert von Chamiſſo hatte in den Jahren 1815 bis 1818 eine Weltreiſe gemacht, und wegen der wiſſenſchaftlichen Erfolge dieſer Reiſe wurde er Ehrendoktor der Dhilo⸗ ſophie der Univerſität Berlin und Mitglied der Aka⸗ demie der Wiſſenſchaften. Außer dieſen Ehrungen er⸗ hielt er im Frühling 1810 ein Amt als Kuſtos beim Botaniſchen Garten in Berlin, das ihm die lang⸗ erſehnte Gründung einer Familie geſtattete. Er hei⸗ ratete eine Pflegetochter ſeines Jugendfreundes Hitzig 1ss. Daß auch die Freundſchaft mit Sophie 202 Sander trotz aller inzwiſchen eingetretenen Wand⸗ lungen aufrechterhalten blieb, zeigt der folgende Brief Sophies: „Sie haben mich geſtern mit Ihrer Braut beſuchen wollen, lieber Chamiſſo; es tat mir ſehr leid, daß ich nicht zu Hauſe war. Können Sie mir mor⸗ gen abend mit ihr das Vergnügen machen, den Tee bei mir zu trinken? Meines herzlichen Anteils an Ihrem Glücke ſind Sie gewiß überzeugt, doch möchte ich Sie gern mündlich desſelben verſichern und Sie auch ſo bald als möglich in Ihrer Freude ſehen. Von Herzen Ihre Sophie Sander. 139 Während in der zeitgenöſſiſchen Tagebuch⸗ und Briefliteratur vor den Freiheitskriegen der Name Sander häufiger auftaucht und namentlich der Tä⸗ tigkeit des Mannes oft anerkennend gedacht wird, verlieren ſich dieſe Spuren ſpäter faſt ganz. Auch die Hauptquelle für dieſes Lebensbild, der Briefwechſel Sander⸗Böttiger, iſt ſeit 1814 verſiegt. Im Berlin der Zeit nach dem Wiener Kongreß machten andere Salons durch ihre geſellſchaftlichen Veranſtaltungen von ſich reden, ſo das Palais des Fürſten Anton von Radziwill, der Salon der Eliſa von der Recke, das Haus des Staatsminiſters von Stägemann mit der ſchönen, viel bewunderten Gattin Eliſabeth und der anmutigen Tochter Hedwig, der ſpäteren Frau von Olfers. Auch im Bürgertum hatten ſich manche Häu⸗ ſer alten Reichtums wirtſchaftlich wieder erholt, Häu⸗ ſer mit neu erworbenem Reichtum kamen dazu und drückten dem geſelligen Leben Berlins eine neue Rote auf 14o. Das verarmte Haus Sander konnte mit all dieſen Häuſern in bezug auf die geſellſchaftlichen Veranſtaltungen nicht mehr wetteifern. Dennoch blieb 203 der Sanderſche Salon mit alten und neuen Freunden aufrechterhalten. Durch Familienüberlieferung ſind einige Scherze gerade aus dieſer Zeit bewahrt. Die Enkel, die im aufblühenden wohlhabenden Deutſchland nach 1870 lebten, ſpotteten über die höchſt einfache Bewirtung, die in ſehr dünnem Tee und hauchdünn beſtrichenen Butterbroten beſtand. Die Urenkel und Ururenkel im verarmten Deutſchland nach 1918 wußten beſſer zu ſchätzen, was es bedeutet, eine anregende, ſeeliſche Kraft ſpendende Geſelligkeit ohne irgendwelche mate⸗ riellen Genüſſe durchzuführen! Aber die äußere ſchöne Form ſollte auch im verarmten Sanderſchen Hauſe ge⸗ wahrt bleiben. So wurde ein altes Faktotum, der Hausdiener Friedrich aus der Buchhandlung, zur Be⸗ dienung der Teegeſellſchaft herangezogen. Aber das „Minchen“, jetzt zu einer anmutigen Wilhelmine herangewachſen, deren Züge nach dem Urteil der Freunde des Hauſes an einen Kopf von Lukas Cra⸗ nach oder Holbein erinnerten“, plagte ſich vergeblich damit, ihm die notwendigen Formen eines „herr⸗ ſchaftlichen Dieners“ beizubringen. Friedrich reagierte auf alle ihre Bemühungen nur mit der in echt Ber⸗ liner Sprechweiſe vorgebrachten Bemerkung: „Un wenn Se mir det noch hundertmal ſagen, det begreif ick doch nich! Denn worum? Det intereſſiert mir nich!² In ſeinem Familienleben erfuhr Sander nach ſchwe⸗ ren Jahren der Prüfung endlich wieder den langent⸗ behrten häuslichen Frieden. Sophie war durch die Leidenszeit milder und gütiger geworden. Sie wid⸗ * Sander an Böttiger, 18. Mai 1814. 204 mete ſich ganz den Sorgen für die geſchäftlichen Auf⸗ gaben der Buchhandlung und lebte ihrem Mann und ihren Kindern. Ihre einſt ſo ſtrahlenden Augen ließen ahnen, wieviel Tränen ſie vergoſſen hatten, die ihr in viel inneren Nöten und ſchweren äußeren Sorgen hatten Erleichterung ſchaffen müſſen. Gelegentlich aber verriet doch auch ihr Lächeln neben Güte und Klugheit noch den Schalk der früheren, glücklichen Jahre. Sander, befreit von den kaufmänniſchen Ge⸗ ſchäften, konnte nun ſo etwas wie das Leben eines Ge⸗ lehrten führen und erlebte auch viel Freude an ſei⸗ nen Kindern, namentlich an ſeinem hochbegabten Sohn Auguſt, mit dem er eifrig Studien in alten Sprachen und Geſchichte betrieb. Schon 1814 hatte er über dieſen damals ſiebzehnjährigen Lieblingsſohn an Böttiger geſchrieben: „er iſt in dem alten Griechenland, Italien, Kleinaſien und Agypten wenigſtens ebenſo be⸗ wandert wie in der nächſten Umgebung von Berlin!“ Eine Freude für die Familie war auch die Verlo⸗ bung der Tochter Wilhelmine mit dem Geheimen Re⸗ giſtrator Auguſt Lottner, der den Titel Königlicher Juſtizrat führte. Sophie ſchenkte den Verlobten am 26. Rovember 1821 eine Bibel, worin man wohl ein Zeichen dafür ſehen darf, daß ſich auch ihr religiöſer Sinn in den ſchweren Jahren der Prüfung vertieft hatte. Am 12. April 1822 wurde das junge Daar in der Friedrich⸗Werderſchen Kirche zu Berlin ge⸗ traut. Im Geſchäft ſtand Sander ſelbſtverſtändlich ſeiner Frau zur Seite als wiſſenſchaftlicher Berater und als anerkannt tüchtiger Stiliſt, der den Verlagswerken die letzte Feile gab. Auch über ſeine Mitwirkung an 205 berufsſtändiſchen Fragen liegen Mitteilungen vor. So beteiligte er ſich an einem 1821 erfolgten Zuſammen⸗ ſchluß der Buchhändler zum Schutz gegen die Unter⸗ bietung der Preiſe durch die „Schleuderer“ und machte Verbeſſerungsvorſchläge für die Handhabung der Zen⸗ ſur an den vom Ausland eingeführten Schriften41 Neben den wiſſenſchaftlichen und organiſatoriſchen Aufgaben widmete ſich Sander in ſeinen letzten Le⸗ bensjahren wieder der Muſik, der Liebe ſeiner Ju⸗ gend. Als Frucht dieſer Rückkehr zur Muſik konnte Sander dem deutſchen Volk ein ſchönes Werk ſchen⸗ ken: „Die Heilige Cäcilia“, eine Sammlung von Lie⸗ dern, Motetten, Chören und anderen Muſikſtücken religiöſen Inhalts4². Einige Berufsmuſiker aus ſei⸗ nem Freundeskreis, ſo u. a. der Kapellmeiſter B. A. Weber und Goethes Freund Jelter, unterſtütz⸗ ten ihn bei der Herausgabe. Nach Sanders Vorrede ſollte die Sammlung einem Bedürfnis nach „Ge⸗ ſangsnoten ohne große Orcheſterbegleitung“ dienen, einem Bedürfnis, das namentlich in kleineren Orten und in muſikaliſchen Kreiſen mit geringen Geldmitteln hervorgetreten war. Die Sammlung enthält in der erſten Abteilung Choräle und geiſtliche Volkslieder in einfachem, meiſt vierſtimmigem Satz, ſteigt dann in der zweiten Abteilung zu ſchwierigeren Motetten und Pſalmen für Chorgeſang auf und bringt ſchließ⸗ lich in der dritten und vierten Abteilung „Chöre und andere kirchliche Muſikſtücke mit Begleitung der Or⸗ gel oder eines anderen hinlänglich ſtarken Taſten⸗ inſtruments“. In dieſer Abteilung überwiegt Händel mit mehreren großen Kantaten. In den übrigen Tei⸗ len ſind neben Komponiſten, die nur zeitgenöſſiſche 206 Bedeutung erlangt haben, auch Beethoven, Johann Sebaſtian Bach und ſein Sohn Dhilipp Emanuel, Rolle und Graun vertreten. Auch Sander ſelbſt hat Dichtung und Kompoſition zu einem Erntedanklied und zu zwei vaterländiſchen Feſtgeſängen beigeſteuert. Anſcheinend waren noch weitere Lieferungen der „Heiligen Cäcilia“ geplant, doch ſetzten neue ſchwere Erkrankungen dem Schaffen des fleißigen Mannes ein Ende. Er wurde durch mehrere Schlagflüſſe gelähmt, nahm aber bis zuletzt am geiſtigen Leben ſeiner Zeit regen Anteil. Von ſeiner Frau und ſeinen vier Kin⸗ dern wurde Sander aufs treuſte gepflegt, und bis zuletzt blieb ihm ein Kreis „inniger kenntnisreicher Freunde“ treu. Am 27. Januar 1825 wurde Sander durch einen ſanften Tod erlöſt. Noch wenige Tage zuvor hatte er die Freude erlebt, daß Glucks „Iphi⸗ genie in Tauris“ in der Sanderſchen Bearbeitung un⸗ ter Leitung des Generalmuſikdirektors Spontini in Berlin aufgeführt wurde. Bei der Beerdigung am 31. Januar ſprach der Superintendent Küſter „kräf⸗ tige Worte über des Verewigten große Verdienſte, und der königliche Chordirektor Leidel feierte aus eigenem Antrieb in der Aufführung geiſtlicher Ge⸗ ſänge das Andenken des beſonders für Muſik lebenden verewigten Kunſtfreundes auf eine zarte Weiſe“. Von dem Freundeskreis und auch durch Nachrufe in ſtark geleſenen Zeitungen wurden Sanders Ver⸗ dienſte warm gewürdigt; er ſelbſt aber hatte noch in den letzten Tagen ſeines Lebens geklagt, daß er nicht genug geleiſtet habe und ſich „nicht auf diejenige Li⸗ nie habe emporſchwingen können, welche ihm von ſei⸗ nem tätigen Geiſte angewieſen worden ſei 143 207 Dies Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit aber iſt wohl gerade das Kennzeichen des Menſchen, der „immer ſtrebend ſich bemüht“. Zu dieſen Menſchen hat Sander ſtets gehört, auch in den dunkelſten Jah⸗ ren 1806 und 1814, als ſeine geiſtige Kraft durch perſönliches Leid und durch die Trauer um ſein Va⸗ terland zeitweilig gebrochen war. Im „Neuen Nekrolog der Deutſchen“ heißt es über Sander: „Wohl denen, welche in einer vielbekümmer⸗ ten Zeit das Höhere retteten für die Erde und neu durch ihr tätiges Leben es ihr wiederzuerwerben ſuch⸗ ten! Unter ſolchen Heroen unſrer Zeit erblicken wir den verewigten Sander. 208 Zwölfter Abſchnitt Witwenzeit 1826—1828 Gophie Sander, beim Tode ihres Mannes 57 Jahre alt, hat ihn drei Jahre überlebt. Aus der Zeit ihrer Witwenſchaft ſind zwei Briefe von ihr erhalten, die Einblick in ihre bis zuletzt bewährte Tatkraft und an⸗ drerſeits auch ihre Genußfreudigkeit geben. Am 23. März 1826 ſchreibt ſie an Böttiger: „Das beifolgende, in meinem Verlag herausge⸗ kommene Buch „Leben der Frau J. M. B. von la Mothe⸗Guion“ 144 möge Sie, hochgeſchätzter Freund, einmal wieder an Ihre alte Freundin erinnern, die, obgleich müde und matt, ſich dennoch immer unter dem Drucke des Lebens und unfreundlicher Verhältniſſe fortbewegen muß. Anfänglich war die Überſetzung dieſes Buches eine Liebhaberei von mir. Ich fühlte mich angezogen von den wunderbaren Anſchauungen dieſes originellen Geiſtes; auch mein Mann nahm in den letzten Zeiten ſeines Lebens noch teil an ihm. Späterhin, als ſeine Krankheit mehr und mehr zunahm und ich ihn nicht verlaſſen konnte, übertrug ich die Überſetzung der Frau von Montenglaut, die, obgleich ihr äußeres Leben zerſtreut erſcheint, doch ein den Geiſt der Guion wohl faſſendes Gemüt verbirgt. Ich hoffe daher, daß Ken⸗ ner die Überſetzung gelungen finden werden. Da ich die Erfahrung gemacht habe, wie wenig man vonder Guionweiß, und daß ſelbſt Geiſtliche, die ſie doch 14 Die Sanders 209 durch die Kirchengeſchichte kennen ſollten, nichts über ſie zu ſagen vermögen, da ich übrigens an das Opus viel Geld gewendet habe und es mir nicht gleichgül⸗ tig ſein kann, ob es liegenbleibt oder geht, ſo nehme ich meine Zuflucht zu Ihnen, mein alter Freund, Sie recht herzlich bittend, Ihre viel geltende Stimme in irgendeinem geleſenen Blatte ertönen zu laſſen. Sie werden ſchon irgendeine Seite auffinden, bei der das Hublikum zu faſſen iſt, damit es kaufen muß. Obgleich Sie auf meinen vor zwei Jahren über den⸗ ſelben Gegenſtand an Sie geſchriebenen Brief nicht geantwortet haben, ſo bin ich doch nicht abgeſchreckt worden. Bekomme ich auf dieſen abermals keine Ant⸗ wort, ſo ſuche ich Sie in Dresden heim. Hoffentlich ſind Sie geſund mit den lieben Ihrigen. Mein jüngſter Sohn ſitzt im Nebenzimmer und ar⸗ beitet gewaltig über einer Diſſertation, die ihn in dieſem Sommer zum Doktor machen ſoll. Er iſt ein ſehr tüchtiger Philologe, mit dem Sie hoffentlich zu⸗ frieden ſein werden, wenn er ſich Ihnen mal vorſtellt. mein älteſter Sohn ſpricht Recht in Halberſtadt; meine zweite Tochter iſt noch bei mir. Wer ſie einmal heira⸗ tet, bekommt die Buchhandlung mit. — Wiſſen Sie einen Freier? Leben Sie wohl, alter Freund! Die herzlichſten Grüße an Sie alle von Ihrer alten Freundin S. Sander.“ Arme Sophie Sander! Als du dieſen vertrauens⸗ vollen Brief an Böttiger ſchriebſt, ahnteſt du nicht, daß du in Böttiger einen Feind beſaßeſt, der dir noch weit über dein Grab hinaus ſchwerſten Schaden zu⸗ 210 fügen ſollte! Schon in der Zeit, als die Freundſchaft zwiſchen Sander und Böttiger ſehr herzlich war, hatte Sophie öfter das Gefühl gehabt, als wolle ihr Böttiger nicht wohl. Sander mußte öfter vermitteln. So war eine Mißſtimmung Böttigers gegen Sophie dadurch entſtanden, daß ein Faſan, den Böttiger San⸗ ders zum Geſchenk gemacht hatte, bei einem Mittag⸗ eſſen verzehrt worden war, zu dem der von Böttiger gehaßte Auguſt Wilhelm Schlegel geladen war! San⸗ der erklärte es ſpäter dem Freund: Schlegel hätte an dem Vormittag unerwartet Beſuch bei Sanders gemacht, ſo daß man ihn zum Bleiben hätte auffor⸗ dern müſſen (14. Dezember 1802). — Auch aus dem Dankbrief, den Sophie nach ihrem Beſuch in Weimar an Frau Böttiger geſchrieben (S. 77), geht eine gewiſſe Scheu vor dem „geſtrengen Oberkonſiſto⸗ rialrat Böttiger“ hervor, und ſie fürchtet, „vor den Augen eines ſo ſcharfen Kritikers, wie Ihr lieber Mann iſt, wenig Gnade zu finden, beſonders da er mir ſelbſt nicht ſo recht gut zu ſein ſcheint“. Als ihr Böttiger dann aber, nachdem Sophie nach der ſchweren Erkrankung Sanders den geſchäftlichen Teil der Buchhandlung ganz übernommen, einen ſo anerkennenden, ja verehrungsvollen Brief ſchreibt (S. 151), konnte Sophie ſelbſtverſtändlich eine Wand⸗ lung in Böttigers Meinung über ſich annehmen. Sie hatte ſich jedoch ſchwer getäuſcht! Böttiger hat in ſeinem handſchriftlichen Nachlaß zu den Sanderſchen Briefen eine kurze biographiſche No⸗ tiz über Sanders Perſönlichkeit geſchrieben. Sie iſt über den Ehemann Sander anerkennend, wenn auch nicht gerade warm oder freundſchaftlich gehalten; über 14* 211 Sophie Sander aber enthält ſie die verletzende Be⸗ merkung, ſie ſei „eine feile Kokette, die gern mit den ſchönen Geiſtern liebelte“. Nun iſt Sophie Sander ſicherlich „kokett“ geweſen: welche mit Anmut, Klug⸗ heit und Humor begabte Frau wäre das nicht, oder würde es nicht, wenn ihr von allen Seiten gehuldigt wird? Aber eine „feile“, das heißt alſo „käufliche“ Kokette? Damit hat Böttiger Sophie Sander einen ſchweren, unverdienten Schimpf“ angetan, der nur auf den Schreiber ſelbſt zurückfällt. Eine Antwort auf ihren Brief an Böttiger hat So⸗ phie anſcheinend nicht erhalten, denn der Briefwech⸗ ſel Sander⸗Böttiger im Böttiger⸗Nachlaß hört mit dieſem Schreiben auf. Bei der Geſinnung Böttigers gegen Sophie iſt es ja auch nicht zu verwundern, daß er ſie keiner Antwort würdigte; hatte er doch nicht ein⸗ mal für notwendig gefunden, den herzzerreißenden * Ludwig Geiger hat den gehäſſigen Ausdruck von Bötti⸗ ger in ſein Werk „Berlin 1688 bis 1840, Geſchichte des geiſtigen Lebens der preußiſchen Hauptſtadt“ übernommen und auch noch in einigen anderen Veröffentlichungen herab⸗ ſetzende Bemerkungen über Sophie Sander in dieſem Sinne geſchrieben. Geiger hat damit nicht allein kritiklos, ſondern ebenſo gewiſſenlos gehandelt. Er hätte nicht nur dieſe eine, von Abneigung diktierte Außerung über Sophie Sander be⸗ rückſichtigen dürfen, ſondern ebenſo die anerkennenden, ja verehrungsvollen Außerungen in der zeitgenöſſiſchen Brief⸗ literatur. Es waren ja auch gewiß nicht die unbedeutendſten Männer Deutſchlands, die Sophie Freundſchaft und Verehrung bewieſen haben! Daß ihr Goethes Huld nur wenige Jahre leuchtete, lag nicht an irgendeiner Schuld von Sophie, ſon⸗ dern rührte aus den unglücklichen geſchäftlichen Verbindun⸗ gen des Ehemannes mit den Goethe⸗Feinden Merkel und Kotzebue her. 212 Brief Sanders aus dem Jahre 1814 zu beantworten. So bleibt die „Auch⸗Freundſchaft“ Böttiger⸗Sander ein nachdenklicher Beitrag zu dem unerſchöpflichen Kapitel „Freundſchaft“! Die Perſönlichkeit, durch deren Geiſt ſich Sophie Sander in den letzten Jahren ihres Lebens ſo ſtark angezogen fühlte, daß ſie das buchhändleriſche Wag⸗ nis der Herausgabe ihrer Biographie übernahm, iſt die franzöſiſche Myſtikerin von la Mothe⸗Guion. Sie erlangte im Laufe ihrer wechſelvollen Schickſale durch Meditation und Gebet eine ſolche Abgeklärtheit des Geiſtes und der Seele, daß ſie ſich auch in den ſchwer⸗ ſten Anfechtungen, wie Krankheit, unglückliche Ehe, ja ſogar Gefangenſchaft, ſtets von Gottes Liebe getra⸗ gen fühlte und ſtark und freudig blieb. Sie ſei-ſoheißt es in einem dem Buche beigegebenen Briefe eines Zeitgenoſſen — „von Natur äußerſt lebhaft und auf⸗ fahrend geweſen“, aber. dann durch Gottes Gnade „zu der ſanftmütigſten Sterblichen, einem Muſterbilde engelhafter Geduld umgewandelt“. Vielleicht hatten ſich in Sophie Sanders Charakter im Laufe der ſchweren Jahre nach 1814 ähnliche Wandlungen voll⸗ zogen! Im Sommer 1826 konnte Sophie die Sorgen der Buchhandlung einmal für einige Zeit abſchütteln und ſich mit der Tochter Emilie einen Aufenthalt in Swinemünde gönnen. Der Sohn Fritz verwaltete in⸗ zwiſchen mit dem Geſchäftsführer, Herrn Lohde, zu⸗ ſammen die Buchhandlung. In einem Brief vom 23. Auguſt 1826 aus Swinemünde ſchildert Sophie ihrem Sohn den von Swinemünde aus unternomme⸗ nen Ausflug nach Rügen is 213 „Vorgeſtern, Montags, ſind wir von Rügen wohl⸗ behalten wieder hier angekommen. Unbeſchreiblich ſchön und groß iſt die Natur auf Rügen. Wir haben alles genoſſen. Auch unſere Seefahrt war glücklich. Abends um11 Uhr fuhren wir beim ſchönſten Mond⸗ ſchein und heiterſtem Himmel hier mit einem Lug⸗ ger ab. Wir blieben die ganze Racht auf dem Verdeck, ſahen morgens den Sonnenaufgang, und nach und nach traten die Ufer hervor ... Gegen 10 Uhr mor⸗ gens landeten wir in Dutbus, ſahen uns dort in den Anlagen um und akkordierten einen leichten Wagen, der uns am folgenden Tage nach Arkona und Stub⸗ benkammer brachte, wo wir die Nacht ſchliefen. Nach⸗ dem wir am frühen Morgen hinunter an das Meer geſtiegen und wieder hinaufgeklettert waren, den Hertaſee, die Hertaburg, den großen Opferſtein und andre merkwürdige Steine beſehen hatten, fuhren wir wieder ab, ſahen das wunderherrliche Panorama auf dem Rugard, dann gleich wieder nach Putbus, wo unſer Lugger, der mittlerweile nach Greifswald ge⸗ weſen war, uns ſchon ſeit Mittag erwartet hatte. Wir gingen ſogleich an Bord, aber leider war der Wind nicht günſtig; wir blieben die Nacht vor Anker, und erſt nach 5 Uhr morgens fuhren wir ab. Wir ſegelten den ganzen Tag mit ungünſtigem Winde. Gegen Abend kam ſogar Sturm; das Fahrzeug tanzte auf den dunklen Wellen; der Wind heulte hübſch dazu. So kamen wir dennoch endlich dem Hafen nahe, aber der Wind wollte nicht haben, daß wir einlaufen ſoll⸗ ten, und wir kreuzten nun noch vor dem Hafen her⸗ um bis vorgeſtern morgens um 8 Uhr, wo wir wieder hier eintrafen. Ich fand Deinen und Herrn Lohdes 214 Brief, lieber Fritz! Das Geld war mir höchſt nötig, denn ich hatte ſchon von unſerm Schiffer etwas ge⸗ liehen, der auch gleich nach der Ankunft erſchien, es ſich nebſt ſeinem Überfahrtsgelde abzuholen. Den 24. Die Poſt geht heute ab, und ich eile, den Brief zu ſchließen. Sehr ſchlimm iſt es, daß die Rüge⸗ ner Reiſe ſo in den Beutel gegriffen hat, daß ich noch Geld werde haben müſſen. Ich weiß zwar wohl, daß es dort knapp zugeht, und habe einige Manſchetten vor der Zurückkunft, indes — kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht iſt auch eins und das andere wieder einge⸗ gangen. Daher bitte ich, daß Du mit Herrn Lohde gemeinſchaftlich mir noch 20 Taler auftreibſt.“ Der Brief behandelt noch weiter einige buchhänd⸗ leriſche Fragen; denn ganz kam die Geſchäftsfrau Sophie Sander ſelbſt auf der Reiſe nicht von der Hauptverantwortung los, und Herr Lohde hatte um einige Anweiſungen gebeten. Die Tochter Minna (Frau Lottner) wird gebeten, ſich nach einer Aufwär⸗ terin umzuſehen, denn: „Emilie iſt jetzt ſehr ver⸗ verwöhnt, ich ſehr ſchwach.“ Der Brief ſchließt dann: „Am 28. kann ich nun diesmal nicht dort ſein“. Daß ich Dir, liebſter Fritz, alles erſinnliche Gute wünſche, weißt Du. Ich werde viel an Dich denken! Den guten Lohde grüße ich von ganzem Herzen: ſag ihm das. Von Herzen Deine treue Mutter S. S. Über den Lebensabend Sophie Sanders liegt ein * Der 28. Auguſt war der Geburtstag von Fritz, aber auch der Geburtstag Goethes, der in der Mittwochsgeſellſchaft ſtets feierlich begangen wurde. Dieſe 1824 gegründete „Ber⸗ liner Mittwochsgeſellſchaft“ iſt nicht mehr die 1796 gegrün⸗ dete „Mittwochsgeſellſchaft“, von der Sander S. 27 berichtet. 215 Zeugnis Varnhagens vor. Dieſer hat ihr zwar bei ihren Lebzeiten durch ſeine Neigung zur Klatſchſucht und auch noch über das Grab hinaus durch ſeine „Denkwürdigkeiten“ nicht wenig geſchadet. Aber in ſei⸗ nem handſchriftlichen Nachlaß findet er für die gereifte Frau doch warm anerkennende Worte: „Sophie San⸗ der behielt bis zuletzt einen ſchönen Gleichmut und liebenswürdige, geiſtig belebte, doch dabei ſtille und beſcheidene Faſſung. Kaum noch bemerkt, aber von allen, die ſie kannten, geehrt und geachtet, ſtarb ſie im Jahre ...“ Dieſes Datum iſt bei Varnhagen noch offen geblieben. Sophie ſtarb am 21. März 1828, und zwar nach dem Totenſchein der Friedrich⸗Werderſchen Kirche zu Berlin „an Lungenlähmung und Bruſtwaſſerſucht“. Nach der Familienüberlieferung hatte ſie einen ſehr harten Todeskampf zu beſtehen. Der noch nicht 60 Jahre alte Körper und der ſtarke Lebenswille der energi⸗ ſchen Frau wehrten ſich gegen das Erlöſchen. Sophie hatte ſchwer mit Beängſtigungen und Atemnot zu kämpfen. Der alte Heim, der ihr bei ihren Wochen⸗ betten und den Erkrankungen ihrer Kinder zur Seite geſtanden, war jetzt auch an ihrem Sterbelager. Als eine der Töchter angeſichts der ſteigenden Atemnot und des Todesröchelns der Mutter verzweifelt flehte: „Herr Doktor, helfen Sie ihr doch, ſie erſtickt ja!“, ſagte der berühmte Arzt in ſeiner bekannten etwas ſchroffen Weiſe: „Das iſt einmal unſer aller Los.“ - Aber endlich erlag das arme Herz in dieſem Kampf. Ein Leben fand ſeinen Abſchluß, das viel Enttäu⸗ ſchung und Not, doch auch viel Segen erfahren durfte. Ein mütterliches Herz, das neben der Sorge für Mann 216 und Kinder immer auch fremden Nöten aufgeſchloſſen war, fand den Frieden. In dem tapferen und tätigen Leben von Sophie Sander hat ſich das Goethe⸗Wort bewährt: „Denn ich bin ein Menſch geweſen — und das heißt ein Kämpfer ſein. In demſelben Jahr, als Sophie geſtorben, ver⸗ öffentlichte Franz Theremin eine kleine Schrift „Adalberts Bekenntniſſe“, aus der es wie ein leiſes Erinnern an die Zeit ſeiner Leidenſchaft für Sophie herüberzuwehen ſcheinti4s. Theremin war in⸗ zwiſchen eine glänzende Laufbahn beſchieden. Wäh⸗ rend er zunächſt Drediger der franzöſiſch⸗reformierten Gemeinde war, gehörte er ſpäter der preußiſch⸗luthe⸗ riſchen Kirche an und war ſeit 1810 Prediger an der Friedrich⸗Werderſchen Kirche, ſeit 1814 Hof⸗ und Domprediger. Zu dieſem Dredigtamt kamen ſpäter noch die Amter als Oberkonſiſtorialrat und vortra⸗ gender Rat im preußiſchen Kultusminiſterium (1824) und als außerordentlicher Drofeſſor an der Uni⸗ verſität Berlin (1834)147. Reben ſeiner redneri⸗ ſchen Tätigkeit iſt er auch als Schriftſteller hervor⸗ getreten. Der Schrift „Adalberts Bekenntniſſe“ ſchickt There⸗ min am 20. Juli 1828, alſo wenige Monate nach So⸗ phie Sanders Tode, ein Vorwort voraus, in dem er betont, daß Adalbert „niemals gelebt“ habe, ſondern „ſeine Verhältniſſe, ſeine Leiden, ſeine Vergehungen ſind eine Erdichtung“. Aber in welchem dichteriſchen Kunſtwerk ſchwingt nicht ſtets ein Stück der Seele des Verfaſſers mit? Und „Adalberts Bekenntniſſe ſind ein Kunſtwerk, auch wenn das Buch hauptſächlich religiös⸗pädagogiſchen Zwecken dienen ſoll. Adalbert 217 ſchreibt ſich in Briefen an einen Freund die Seele frei von den Verfehlungen und Irrtümern ſeiner Jugend und berichtet von ſeinem religiöſen Erwachen dadurch, daß er den Weg zur Bibel findet. In meiſterhafter Weiſe behandelt Theremin in dieſen Briefen alle die Fragen, mit denen von jeher ernſte Chriſten gerungen haben: die Stellung zur Bibel, die Fragen der Schuld, der Buße und Gnade und noch manche andere theo⸗ logiſche Streit⸗ und Zweifelsfrage. Adalbert, alſo wohl Theremin ſelbſt, gelangt überall ſchließlich zu der ſtreng lutheriſchen Auffaſſung. Aus der Schilderung der äußeren Schickſale Adal⸗ berts iſt beſonders zu beachten, daß er eine „ſtrafbare Liebe“ zu der Frau ſeines Freundes gehabt und den Freund, wie er glaubt, im Duell getötet hat. Der Freund war allerdings nur verwundet;, doch fühlt ſo⸗ wohl die Frau wie Adalbert, daß der Ehemann ſeeliſch eine viel tiefere Wunde davongetragen, die dann zu ſeinem baldigen Tode führt. Die verzehrende Reue über das, was er dem Ehemann und auch der Frau angetan, bringt Adalbert in tiefſte Verzweiflung. Aber in einem der Briefe kann er dann dem Freunde ſchil⸗ dern, wie plötzlich die Worte des Paulus vor ihm auf⸗ geleuchtet ſeien: „Wo die Sünde mächtig ge⸗ worden iſt, da iſt doch die Gnade viel mäch⸗ tiger geworden!“ und wie er in der Qual der Reue und Buße auch Chriſtus als den Erlöſer ge⸗ funden. Die Ähnlichkeit dieſes äußeren Schickſals des Adal⸗ bert — die Störung einer Ehe und das Duell — mit dem Schickſal des Karl in dem Schlüſſelroman „Karls Hinderniſſe“, der ſtellenweiſe auf Sophie Sander 218 und Theremin gemünzt war“, iſt ſo in die Augen ſpringend, daß man in Adalberts Bekenntniſſen wohl ein Stück Selbſtbekenntnis Theremins ſehen darf. Dieſes im Todesjahr von Sophie Sander erſchienene Bekenntnis wirkt wie der Verſuch eines verſöhnenden Ausklangs zu der einſt von Theremin in das San⸗ derſche Haus getragenen ſchweren Zerrüttung. Daß Sophie und Theremin ſich liebten, war Schickſal! Daß ſie nicht früh genug die Kraft zur Trennung fanden, war Schuld. Aber dann haben auch beide dieſe Schuld gebüßt durch viel Leid und Qual, die von Anfang an über ihrer Liebe lagen; und beide haben die Schuld ſpäter durch ein Leben voll Tatkraft und Hingabe für andere geſühnt. Vier (ahre nach Sophie Sanders Tode, am 22. März 1832, ſchloß auch Goethe die Augen, die eine kurze beſeligende Zeit hindurch Sophie gütig geleuchtet hat⸗ ten. Auf der Gedenktafel, die im Jahre 1898 von der Shakeſpeare⸗Geſellſchaft dem Goethe⸗ und Schiller⸗ Archiv in Weimar geſtiftet wurde, heißt es zur Ehrung der beiden Dichter, daß ſie „dem deutſchen Volke in Sprache und Dichtung den Urquell nationalen Lebens und nationaler Größe gehütet“ haben. Dieſen Ur⸗ quell nationalen Lebens haben aber nicht nur die deut⸗ ſchen Dichter, ſondern auch die Diener am Werk, die ihrer Verantwortung bewußten Verleger und Buch⸗ händler gehütet. Auch das Sanderſche Haus kann für ſich in An⸗ ſpruch nehmen, daß es in Zeiten harter politiſcher Be⸗ drängnis und inmitten ſchwerſter wirtſchaftlicher Röte ſich ſeiner geiſtigen Aufgaben bewußt blieb. Der Ehe⸗ Vgl. S. 159. 219 mann hatte ſich zu einer wahrhaft humaniſtiſchen Bil⸗ dung emporgearbeitet und bewährte ſich in voller Er⸗ kenntnis der Verantwortung ſeines Berufes als ein wirklicher Diener und Förderer des geiſtigen Auf⸗ bruchs ſeiner Zeit. Sein Wirken fand Ergänzung durch den leicht beweglichen und begeiſterungsfähigen Sinn ſeiner Frau, die ihm auch in der Not beiſtand und, ohne je dafür vorgebildet zu ſein, ſogar zur Er⸗ nährerin und Erhalterin der Familie werden konnte. Beide zuſammen ſchufen eine auf großer Kulturhöhe ſtehende Häuslichkeit, die Dichtern und Denkern in ſchweren Zeiten Hilfe und Stütze bot, ja zur Heimat wurde. In einer durch revolutionäre und kriegeriſche Ereigniſſe erſchütterten Zeit wurde der Sinn für das Höhere erhalten, und ſo gelang es in dieſem Hauſe, das „Höhere zu retten“ für die deutſche Zukunft. Ein ſolches Wirken gehört zum Ruhme deutſchen Bür⸗ gertums. Vgl. S. 208. 220 Anhang I. Anmerkungen Zum erſten Abſchnitt Hoſäus, Wilhelm: Nachträge zu Matthiſſons Le⸗ ben. Mitteilungen des Vereins für Anhaltiſche Geſchichte und Altertumskunde (Deſſau 1887 bis 1800), 5. Band. ² Goethes Tagebücher (Weimar 1888-1898), 2. und 3. Band. Ludwig Geiger (1848-1919). Der Brief befindet ſich zuſammen mit den Briefen Sanders im handſchriftlichen Nachlaß Böttigers in der Sächſiſchen Landesbibliothek zu Dresden. Ol. Buchholtz: Die Voſſiſche Jeitung. Geſchicht⸗ licher Rückblick auf drei Jahrhunderte (Berlin 1004). Die Angaben über Sanders literariſche Tätigkeit ſind dem Werke: „Das gelehrte Teutſchland, oder Lexikon der jetzt lebenden teutſchen Schriftſtel⸗ ler“, herausgegeben von Johann Georg Meuſel (Lemgo 1789) entnommen. — Ausführliche An⸗ gaben finden ſich auch bei A. Buchholtz a. a. O. Marcardt, Heinrich Matthias, Hofmedikus zu Hannover: Beſchreibung von Dyrmont (Leipzig 1784). Die öſterreichiſche Schriftſtellerin Oſſip Schubin in einem in den 90er Jahren des 19. Jahrhun⸗ derts erſchienenen Roman. 223 Zum zweiten Abſchnitt Bogdan Krieger: Berlin im Wandel der Zeiten (Berlin 1923). 10 Die biographiſchen Angaben ſind der durch den Sohn Dr. K. W. Böttiger verfaßten Biographie „Karl Auguſt Böttiger“ (Leipzig 1837) entnom⸗ men. Garlieb Merkel über Deutſchland zur Schiller⸗ Goethe⸗Jeit. Herausgegeben von Julius Eckardt (Berlin 1887), S. 116ff. 1¹ Briefe von und an Friedrich von Gentz (Mün⸗ chen 1900), I. Band, S. 215. 18 Die biographiſchen Angaben über Lafontaine ſind der „Allgemeinen Deutſchen Biographie“ (Leip⸗ zig 1883), Band 17, S. 512, entnommen. ⁴ Literariſche Juſtände und Zeitgenoſſen. In Schil⸗ derungen aus Karl Auguſt Böttigers handſchrift⸗ lichem Nachlaß (Leipzig 1838), Band 2, S. 102ff. Dr. phil. Arthur Georgi: Die Entwicklung des Berliner Buchhandels bis zur Gründung des Bör⸗ ſenvereins der deutſchen Buchhändler 1825 (Ber⸗ lin 1926). Zum dritten Abſchnitt. 16 Diterariſche Zuſtände a. a. O., Band ¹, S. 192 bis 193. ¹ Ausführliche Mitteilungen über Erhard und das von dem ſchottiſchen Arzt John Brown (1735 bis 1788) ſtammende Spſtem der Heilkunde, für das ſich Erhard in Wort und Schrift ſtark einſetzte, 224 bringt Varnhagen von Enſe in ſeinen Denkwür⸗ digkeiten, Band ¹, S. 211 (3. Auflage, Leipzig 1871) und Band 4, S. 533ff. (Leipzig 1843). Zum vierten Abſchnitt iE Jugenderinnerungen von Henriette Herz. Ver⸗ öffentlicht in den „Mitteilungen aus dem Lite⸗ raturarchive in Berlin“, 1896. — Wilhelm Grau: Wilhelm von Humboldt und das Droblem des Juden (Hamburg 1935). io K. A. Varnhagen von Enſe: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. 2. Band und 8. Band. — Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Die 1. Auflage erſchien bereits 1834, ein Jahr nach Rahels Tode. 26 Friedrich Laun (Pſeudonym für Friedr. Aug. Schulze): Memoiren (Bunzlau 1837), 1. Teil, S. 180ff. m Die Jugend des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Dreußen und des Kaiſers und Königs Wil⸗ helm I. Tagebuchblätter ihres Erziehers Friedrich Delbrück (Berlin 1907). 23 Briefe von und an Friedrich von Gentz a. a. O. 1. Band, S. 239. es Erinnerungen an Sophie Sander in dem hand⸗ ſchriftlichen Nachlaß des Varnhagen von Enſe. 24 Dqun a. a. O., 1. Teil, S. 200. 25 Die Briefe Jean Pauls (München 1922). as Die Angaben über Zacharias Werner ſind, ſoweit keine anderen Quellen genannt ſind, dem Werk „Briefe des Dichters Friedrich Ludwig Zacharias 225 15 Die Sanders Werner“, herausgegeben von Dr. Oswald Floeck, zwei Bände (München 1914), entnommen. 2 Allgemeine Deutſche Biographie, Band 5, S. 723 (Leipzig 1877). 2 Angeführt von dem Herausgeber der Briefe Za⸗ charias Werners Dr. Oswald Floeck a. a. O., Band¹, S. 442. 2* Floeck a. a. O. Ferner: A. H. L. Heeren: Johann von Müller, der Hiſtoriker (Leipzig 1809). 36 Goethe und Öſterreich. 18. Band der Schriften der Goethe⸗Geſellſchaft (Weimar 1904), S. 371. 31 Varnhagen von Enſe a. a. O. Denkwürdigkeiten. 1. Band, 11. Abſchnitt, S. 21. 3: Die Angaben über Adam Heinrich Müller ſind, ſoweit keine andere Quelle genannt iſt, der Bio⸗ graphie „Adam Müller. Ein Lebensbild aus den Befreiungskriegen und aus der deutſchen Reſtau⸗ ration“ von Dr. Jakob Baxa (Jena 1930) ent⸗ nommen. 31 Daun a. a. O., 1. Teil, S. 208. 84 Baxa d. a. O., S. 16. 35 Ein Reudruck iſt erfolgt in „Adam Müller: Aus⸗ gewählte Abhandlungen“. Herausgegeben von Dr. Jakob Baxa (Jena 1931). 36 Therſites. Die Erinnerungen des deutſch⸗balti⸗ ſchen Journaliſten Garlieb Merkel. Herausgege⸗ ben von Maximilian Müller⸗Jabuſch (Berlin 1921). z Die biographiſchen Angaben ſind dem Werk „Garlieb Merkel über Deutſchland zur Schiller⸗ Goethe⸗Zeit (1797-1805)“ entnommen. Heraus⸗ 226 gegeben und mit einer biographiſchen Einleitung verſehen von Julius Eckardt (Berlin 1887). * Das „Archiv der Zeit und ihres Geſchmackes“. eine von 1795 bis 1800 in Berlin erſchienene Zeitſchrift, hatte zu Anfang des Jahres 1800 einen ſcharfen Angriff auf Merkel gebracht. — Die „Bambocciaden“ ſind humoriſtiſch⸗parodiſtiſche Schriften von Bernhardi, dem Schwager Tiecks, in denen die „ältere“ Literatur verſpottet wird. — „Lucinde“ iſt der 1790 erſchienene Roman — eigentlich nur ein Roman⸗Fragment — von Fried⸗ rich Schlegel, der ſeinerzeit durch die damals un⸗ erhörte Deutlichkeit in ſexuellen Fragen viel Auf⸗ ſehen und ſtarken Anſtoß erregt hatte. Auch Schil⸗ ler fällte in ſeinem Brief an Goethe vom 19. Juli 1700 ein ſehr ſcharfes Urteil über die „Lucinde“. Nur Friedrich Schleiermacher ſuchte aus Freund⸗ ſchaft für Friedrich Schlegel in ſeinen „Vertrau⸗ ten Briefen über die Lucinde“ den trotz allem Anſtößigen moraliſchen Kern des Werkes zu ret⸗ ten, den Gedanken nämlich, daß auf dem Gebiet der Vergeiſtigung der Erotik die Führung den Frauen zuſtehen müſſe. 5* Der Titel iſt einer Stelle aus der von den Brü⸗ dern Schlegel herausgegebenen Zeitſchrift „Athe⸗ näum“, 1. Band, 2. Stück, entnommen: „Schwer⸗ lich hat irgendeine Literatur ſo viele Ausgebur⸗ ten der Originalitätsſucht aufzuweiſen wie unſre. Es zeigt ſich auch hierin, daß wir Hyperboreer ſind. Bei den Hyperboreern wurden nämlich dem Apollo Eſel geopfert, an deren wunderlichen Sprüngen er ſich ergötzte.“ Als „Hpperboreer 15* 227 bezeichneten die Griechen ein ſagenhaftes barba⸗ riſches Volk im Norden. 46 Die biographiſchen Angaben ſind der Einleitung von Dr. Raimund Steinert zum Reudruck des „Merkwürdigſten Jahres“ (Leipzig 1918, Re⸗ clams Univerſal⸗Bibliothek Nr. 6026-6030) ent⸗ nommen. Das „Merkwürdigſte Jahr“ iſt auch heute noch ſtellenweiſe ergreifend zu leſen, na⸗ mentlich die Schilderungen über die Zeit der Ge⸗ fangenſchaft. Dagegen tritt in dem Abſchnitt über die Zeit, als Kotzebue vom Zaren wieder in Gna⸗ den angenommen und zum Theaterdirektor beſtellt war, die große Eitelkeit des Verfaſſers unange⸗ nehm hervor. 4 Merkel ſtellt es in ſeinen Erinnerungen ſo dar. als ſei der Gedanke zur Begründung des „Frei⸗ mütigen“ von ihm ausgegangen. Der Ertrag des Blattes ſollte zu gleichen Teilen zwiſchen Mer⸗ kel, Kotzebue und dem Verleger Sander geteilt werden. Auf Betreiben von Sophie Sander, die den Gewinn lieber nur in zwei Teile gehen laſ⸗ ſen wollte, ſei der Vertrag jedoch nur zwiſchen Kotzebue und Sander zuſtande gekommen. — Müller⸗Jabuſch bringt in ſeiner Merkel⸗Biogra⸗ phie „Therſites“ die Merkelſche Darſtellung im Wortlaut (S. 140ff.) und übernimmt dabei, wie auch noch an anderen Stellen, kritiklos Merkels gehäſſige Urteile über Sophie Sander. — Mer⸗ kel ließ ein halbes Jahr nach der erſten Nummer des „Freimütigen“ eine eigene Zeitſchrift „Ernſt und Scherz“ erſcheinen. Vom ¹. Januar 1804 an wurden die beiden Blätter vereinigt und erſchie⸗ 228 nen nun unter dem Titel „Der Freimütige und Ernſt und Scherz“ im Verlag von Fröhlich in Ber⸗ lin. Sander war dadurch von der ſchweren Laſt befreit, die ihm die Zuſammenarbeit mit Kotze⸗ bue verurſacht hatte. 42 Floeck a. a. O., 1. Band, S. 469. Zum fünften Abſchnitt Die Handſchriften der Briefe des Ehepaares San⸗ der an Goethe ſind im Goethe⸗ und Schiller⸗ Archiv zu Weimar aufbewahrt. — Die beiden Briefe Goethes an das Ehepaar Sander ſind in der Briefabteilung der großen Weimariſchen Goethe⸗Ausgabe (Verlag Weimar, Hermann Böhlau, 1894) Band 15, S. 286 und Band 15, S. 6 veröffentlicht. — Für die Stellen aus Goethes Tagebüchern iſt die 1888 und 1889 in Weimar (Verlag Hermann Böhlau) erſchienene Ausgabe benutzt, die ſog. Sophien⸗Ausgabe. 4s Eckermann: Geſpräche mit Goethe, 13. Novem⸗ ber 1823 und 18. Januar 1825. 44 Goethes Briefwechſel mit den Brüdern von Hum⸗ boldt 1705—1832 (Leipzig 1874-1876). 45 Literariſche Zuſtände a. a. O., Band ¹, Seite 70-80. 4s Goethes Briefe (Sophien⸗Ausgabe), Band 15, S. 53. 4r Eckermann: Geſpräche mit Goethe, 2. Februar 1824. as Goethe und Öſterreich: 18. Band der Schriften der Goethe⸗Geſellſchaft (Weimar 1904), S. 42. 229 4* Eckermann: Geſpräche mit Goethe, 14. Oktober 1823 und Vorrede zum dritten Band. 50 Schiller und Lotte. 1788 bis 1805. Briefwechſel herausgegeben von W. Fielitz (Stuttgart 1879), 3. Band, S. 134 und 137. 5¹ Der Brief iſt mit den Briefen des Ehemannes Sander im handſchriftlichen Rachlaß Böttigers in der Sächſiſchen Landesbibliothek zu Dresden aufbewahrt. 5 Bielſchowſky: Goethe (München 1904), Band 2, S. 244. 5* Mitgeteilt in „Goethes Geſprächen“. Herausgege⸗ ben von Biedermann (Leipzig 1909), Band ¹, S. 321. z4 Goethe und die Romantik. Schriften der Goethe⸗ Geſellſchaft, Band 14 (Weimar 1898), S. 356. 5* Ausführliche Mitteilungen über die Vorgänge aus Anlaß der Aufführungen der beiden Schle⸗ gelſchen Theaterſtücke finden ſich auch in dem unter 54 angegebenen Werk, Band ¹, Seite XXXVIIff., 114ff. und 122ff. 56 Floeck a. a. O., Band ¹, S. 278. * Goethe und die Romantik a. a. O., Band 2, Seite XXff. und 319. Zum ſechſten Abſchnitt 56 Schilderung des Jahres 1805 in der Biographie des Begründers der Homöopathie Hahnemann von Martin Gumpert (Berlin 1934), S. 127. 230 9* Dr. K. W. Böttiger a. a. O., S. 54ff. — Aus⸗ führliche Mitteilungen über dieſe Vorgänge fin⸗ den ſich auch in einem Aufſatz von Ludwig Gei⸗ ger: „Böttigers Berufung nach Berlin“ in der Zeitſchrift „Euphorion“, Ig. 1894, S. 350ff. 66 Die Grundlage zu den Ausführungen über dieſe junge Dichtergruppe bilden Varnhagen von En⸗ ſes „Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens“, 1. Teil (3. Auflage, Leipzig 1871), ferner die Chamiſſo⸗Biographie von Hitzig, Band 5 und 6 der Geſammelten Werke Chamiſſos (Leipzig 1839). Außerdem wurden die in der Dreußiſchen Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrten hand⸗ ſchriftlichen Nachläſſe von Varnhagen von Enſe und Chamiſſo benutzt. g Die beiden Gedichte ſtehen S. 27 und 28 im „Muſenalmanach auf das Jahr 1804“, verlegt von Carl Gottlob Schmidt (Leipzig 1804). 68 Ausführliche Mitteilungen über die drei Jahr⸗ gänge des Almanachs bringt Dr. R:. Diſſin in „Almanache der Romantik“, einer Veröffent⸗ lichung der Deutſchen Bibliographiſchen Geſell⸗ ſchaft, Berlin 1910. 5* Die Beſprechung iſt leider damals nirgends ver⸗ öffentlicht worden. Die Handſchrift befindet ſich im Varnhagenſchen Nachlaß. Ein Abdruck iſt in neuerer Zeit in dem Werk von Floeck über Za⸗ charias Werner, Band 2, S. 350-375, erfolgt. se Das Original des Briefes, wie alle Briefe Cha⸗ miſſos in ſchwer leſerlicher Handſchrift, befindet ſich in der Mappe „Chamiſſo, Correſpondenz im Varnhagenſchen Nachlaß. Der Brief iſt neben 231 vielen anderen Briefen Chamiſſos veröffentlicht in Ludwig Geigers Werk „Aus Chamiſſos Früh⸗ zeit“ GBerlin 1005), S. 63. 6 Chamiſſos Stammbuch aus der Jugendzeit wird im handſchriftlichen Nachlaß, Familienarchiv Cha⸗ miſſo, in der Staatsbibliothek in Berlin aufbe⸗ wahrt. 66 Geiger a. a. O., S. 92ff. Chamiſſo ſtand damals in der Armee des Herzogs von Braunſchweig bei Hildesheim. 3* Der zweite und dritte Jahrgang des Almanachs ſind im Verlag Heinrich Fröhlich, Berlin, er⸗ ſchienen. 5* Die Handſchrift befindet ſich in der Mappe „Cha⸗ miſſo, Gedichte“ im Varnhagenſchen Nachlaß. Bei Geiger ſteht das Sonett S. 69. 5 Die erſte Auflage des „Kreuz an der Oſtſee“ er⸗ ſchien 1806 bei Sander in Berlin. Ein Neudruck iſt erfolgt in dem Werk von Daul Kluckhohn: Dramen von Zacharias Werner (Verlag Reclam jun., Leipzig 1937). Kluckhohn a. a. O. druckt dieſen Bericht, der in den „Serapions⸗Brüdern“ von E. Th. A. Hoff⸗ mann enthalten iſt, S. 275ff., ab. 1¹ Eduard Hitzig in: Lebensabriß Friedrich Ludwig Zacharias Werners. Beilage zu der dritten Aus⸗ gabe der „Söhne des Tales“ (Berlin 1823. In der Sanderſchen Buchhandlung). ¹² Eloeck a. a. O., Band 2, S. I. 232 Zum ſiebenten Abſchnitt s Achim von Arnim und die ihm naheſtanden. Herausgeber Reinhold Steig (Stuttgart 1894), 1. Band, S. 159. je Theremin gibt als alternder Mann in „Briefen an einen Richt⸗Exiſtierenden“ einen autobiogra⸗ phiſchen Rückblick auf die Studienzeit in Genf und Paris und auf ſein eigenes Ringen um die „Tugend der Beredſamkeit“. Die Briefe ſind in der 3. Auflage der von ihm herausgegebenen „Abendſtunden“ (Berlin 1845) erſchienen. as Floeck a. a. O., 2. Band, S. 4—7. ze Das Original des Briefes iſt im Familienarchiv Chamiſſo in der Staatsbibliothek zu Berlin ent⸗ halten, jedoch fehlt die erſte Seite und dadurch das Datum. Man kann annehmen, daß der Brief im Februar oder März 1806 geſchrieben iſt, da er ſich vermutlich auf den Brief Zacharias Wer⸗ ners an Chamiſſo bezieht. Auch die Erwähnung des Todes von dem jungen Dichter Uthemann, der mit einer Schweſter Eduard Hitzigs verlobt war, ſpricht für dieſe Annahme. Uthemann iſt im Ja⸗ nuar 1806 geſtorben. n Der Hochzeitstag war der 24. Dezember 1793. is Gräfin von Voß: 69 Jahre am preußiſchen Hofe (11. Auflage, Berlin 1935), S. 101. 79 Oelbrück a. a. O., Band ¹, S. 437. zo Oelbrück a. a. O., Band ¹, S. 437. s1 Das Zitat iſt dem Werk von Dr. Jonas Fränkel: „Zacharias Werners Weihe der Kraft. Eine Stu⸗ die zur Technik des Dramas“ entnommen (Ham⸗ 233 burg 1004). Fränkel unterſucht die Dichtung hauptſächlich von äſthetiſchen und dramaturgiſchen Geſichtspunkten aus. — Außerdem bieten auch die von Floeck herausgegebenen Briefe Zacharias Werners reiches Material über das Entſtehen und die Aufnahme des Luther⸗Dramas. Ein Reudruck des Luther⸗Dramas iſt in Reclams Univerſalbibliothek Nr. 210 erfolgt. 8* Fränkel a. a. O., Vorwort. 85 Goethes Annalen oder Tag⸗ und Jahreshefte über das Jahr 1801. ze Briefe von und an Friedrich von Gentz, Band¹, Seite 174. z5 Chamiſſo⸗Biographie von Hitzig, S. 143 und 146. ss Gräfin von Voß a. a. O., S. 102ff. zr Literariſche Zuſtände a. a. O., Band 2, S. 264. 8* Ludwig Geiger teilt dieſe Stellen in „Chamiſſos Frühzeit“, Seite 51 und Seite 93, mit. In dem einen Briefe heißt es: „V. verfaulte und ver⸗ wilderte“ in Berlin; in einem anderen Brief iſt von ſeiner „raſenden Eitelkeit“ und der daraus entſpringenden übergroßen Empfindlichkeit die Rede. 8* Varnhagen, Denkwürdigkeiten, 1. Band, S. 368ff. Varnhagen hat die Außerung Theremins noch 50 Jahre (!) ſpäter in Berliner Salons herumge⸗ tragen. Das geht aus einer Tagebuchaufzeichnung Fanny Lewalds vom 13. Oktober 1855 hervor; Ludwig Geiger hat ihre Aufzeichnungen unter dem Titel „Gefühltes und Gedachtes“ im Jahr 1900 herausgegeben. 234 Zum achten Abſchnitt 90 Vor hundert Jahren. Erinnerungen der Gräfin Sophie Schwerin. Nach ihren hinterlaſſenen Pa⸗ pieren zuſammengeſtellt von Amalie von Rom⸗ berg (Berlin 1009), S. 185. a Der zweite Brief iſt im handſchriftlichen Nachlaß Böttigers irrtümlich an falſcher Stelle, nämlich in das Jahr 1806 eingeordnet, er kann aber dem In⸗ halt nach erſt 1808 geſchrieben ſein. 9² Chriſtoph Wilhelm Koch: Gemälde der Revolu⸗ tionen in Europa. Aus dem Franzöſiſchen über⸗ ſetzt von Sander (Berlin 1807 und 1809). 13 ()er Brief iſt entnommen aus: Wilhelm Dorow, Denkſchriften und Briefe zur Charakteriſtik der Welt und der Literatur (Berlin 1838-1840), Band ¹, S. 72. 5e Die Briefe Sophie Sanders ſind zuſammen mit den Briefen ihres Mannes an Böttiger im handſchriftlichen Nachlaß Böttigers in der Dres⸗ dener Landesbibliothek aufbewahrt. 95 Baxa a. a. O., S. 27ff. und 96ff. 96 Varnhagen berichtet dieſen ihm von Theremin erzählten Vorgang in ſeinen „Denkwürdigkeiten (3. Auflage), S. 378. 97 Varnhagen, „Denkwürdigkeiten“, Band ¹, 11. Ab⸗ ſchnitt, S. 38 ff. zs Der Roman iſt 1808 erſchienen. Ein Abdruck, ge⸗ nau in der Art des Originals, nebſt ausführ⸗ lichen Erläuterungen von Helmuth Rogge, iſt im Jahre 1926 im Verlag von Klinckhardt K Bier⸗ mann, Leipzig, erfolgt. — Ludwig Geiger gibt in 235 dem Buch „Aus Chamiſſos Frühzeit“ (Berlin 1005) eine ziemlich ausführliche Inhaltsangabe und kurze Beurteilung des Romans. 9* Brief an Iffland vom 10. März 1807. Angeführt bei Floeck a. a. O., Band 2, S. 69. 100 Floeck a. a. O., Band ¹, S. XIII. 1or Die Briefe ſind bei Floeck in Band 2, S. 75 ff. und 137ff. veröffentlicht. 102 Achim von Arnim berichtet über das Geſpräch in einem Brief an Bettina Brentano vom 9. Juli 1808. Mitgeteilt von Steig a. a. O., Band2, S. 175/176. 103 Hitzig a. a. O., S. 112. ios Winzer war Juſtizkommiſſar (Rechtsanwalt) in Berlin. Er gehörte zum Freundeskreis Varnha⸗ gens und Hitzigs. Zum neunten Abſchnitt 105 Helbrück a. a. O., Band 3. 106 Kabinett berliniſcher Charaktere (Berlin 1808). Eine Verlagsfirma iſt nicht angegeben. Auch der Verfaſſer, Saul Aſcher, blieb anonpm. 107 Gräfin Sophie Schwerin a. a. O., S. 305. 108 Zu den Angaben über Adam Heinrich Müller wurde außer der Biographie von Baxa und den von Baxa 1931 herausgegebenen Müllerſchen Ab⸗ handlungen noch benutzt eine ältere Veröffent⸗ lichung von Baxa: „Ausgewählte Abhandlungen mit einem Lebensabriß und unveröffentlichten Brie⸗ fen und Berichten Adam Müllers“ (Jena 1921). 236 19* Zweite Vorleſung aus den „Elementen der Staatskunſt“: „Von der Idee des Staates. 110 Ein Neudruck des „Dhoebus“ iſt 1924 im Ver⸗ lag Meyer E Jeſſen, München, erſchienen. 117 Reinhold Steig: Clemens Brentano und die Ge⸗ brüder Grimm (Stuttgart und Berlin 1914), S. 88. aie Rahel a. a. O., Band 2, S. 611. ais H. von Kleiſts Werke (Bibliographiſches Inſtitut, Leipzig und Wien), 5. Band, Briefe; 139. Brief. ai Die Angaben über Loeben ſind meiſt entnommen aus: Raimund Diſſin, Otto Heinrich Graf von Loeben. Sein Leben und ſeine Werke. (Behrs Verlag, Berlin 1905.) Einige Mitteilungen über Loeben befinden ſich auch in der Adam⸗Müller⸗ Biographie von Baxa (S. 132 und 133), ſowie in den Tagebuchblättern Joſeph von Eichendorffs, herausgegeben von Alfons Nowack (Groß⸗Strelitz 1007). a1s Reinhold Steig: Neue Kunde zu Heinrich von Kleiſt (Berlin 1902), S. 43. is Die Denkſchrift iſt abgedruckt bei Dorow a. a. O., Band 3, S. 215-234, in der dazu geſchriebenen Einleitung wird Dorow allerdings der Derſön⸗ lichkeit Adam Müllers nicht gerecht. 11: Baxa a. a. O., S. 176. ais Reinhold Steig: Heinrich von Kleiſts Berliner Kämpfe (Berlin und Stuttgart 1001). — Von den „Berliner Abendblättern“ iſt im Verlag von Klinckhardt E Biermann (Leipzig 1929) ein Neu⸗ druck erfolgt mit einem Nachwort des Kleiſt⸗ Forſchers Minde⸗Pouet. - Einen erſchütternden 237 Einblick in die pekuniären Röte und die ſeeliſchen Kämpfe, die dem freiwilligen Tode Kleiſts vor⸗ ausgingen, bietet die meiſterhaft zuſammen⸗ geſtellte Auswahl „Briefe Heinrich von Kleiſts“, herausgegeben und eingeleitet von Friedrich Mi⸗ chael (Inſel⸗Verlag, Leipzig). 119 Varnhagen von Enſe: Biographiſche Dortraits (Leipzig 1871), S. 65. 120 Hrofeſſor Wilhelm Lütgert: Idealismus und Er⸗ weckungsbewegung im Kampf und im Bund (Gü⸗ tersloh 1923), S. 198. 121 Über ſeine innere Wandlung hat Theremin ein dichteriſches Bekenntnis abgelegt in dem in ſeinen „Abendſtunden“ veröffentlichten Sonett „Die wahre Jugend“, das beginnt: Der Kindheit Tage waren ſchon vergangen, Der Jugend Zeiten waren ſchon entſchwunden, Und Dich, o Herr, hatt' ich noch nicht gefunden; So hielt die Blindheit meinen Geiſt umfangen. Die reifern Jahre hatten angefangen; Da erſt erſchienen der Erleuchtung Stunden; Da haſt du erſt geheilt des Herzens Wunden Und haſt geſtillt ſein unbewußt Verlangen. Zum zehnten Abſchnitt 122 Angeführt von Lütgert a. a. O., S. 194. 2s Friedrich Buchholz: Der neue Leviathan (Tübin⸗ gen 1805). 124 Gräfin Sophie Schwerin a. a. O., S. 315ff. i2b Gräfin Sophie Schwerin a. a. O., S. 514. Aus 238 einem Brief ihres Gatten, des Grafen Wilhelm Schwerin. Zum elften Abſchnitt I2s Graf Wilhelm Schwerin, der als Adjutant des Königs von Dreußen in Wien war, an ſeine Gattin Sophie („Vor 100 Jahren“, S. 603). 121 Ein Reudruck der Tragödie iſt in Reclams Uni⸗ verſal⸗Bibliothek, Band 107, erfolgt. — In der literarhiſtoriſchen Studie „Dramen von Zacha⸗ rias Werner“ (Leipzig 1937) urteilt Paul Kluck⸗ hohn über dieſes Werk: „Techniſch iſt die Aus⸗ führung des „24. Februar' geradezu meiſterhaft in der äußerſten Konzentration der Handlung, in der Steigerung der Spannung und des Grau⸗ ens, in der Schlagkraft des Dialogs, in der über⸗ zeugenden Menſchengeſtaltung und in der pſpcho⸗ logiſchen Begründung und dem Realismus der Sprache, die doch durch die Versform gehoben bleibt.“ 128 Floeck a. a. O., Band ¹, Einleitung, Seite Iff. 121 Fränkel a. a. O., S. 123. 130 Floeck a. a. O., Band 2, S. 444. 131 Angeführt von Kluckhohn a. a. O., S. 275 ff. 1s2 Über die Grabſtätten berichtet Jakob Baxa in den Anmerkungen zu „Adam Müller: Ausge⸗ wählte Abhandlungen“ (Jena 1921), S. 189ff. 133 Aus dem Gedicht „Abſchied“ (1853) von Theo⸗ dor Storm. 134 Wegen Einzelheiten dieſer Konflikte in Müllers 239 ſpäterem Leben ſei auf die Biographie von Baxa 135 verwieſen. Geſpräch mit Eckermann am 6. April 1829. iss Othmar Spann in der Einleitung zu den „Aus⸗ gewählten Abhandlungen“ (Jena 1921). 137 „Ausgewählte Abhandlungen“ (Jena 1921), S. 139. zss Chamiſſo⸗Biographie von Hitzig, Band 2, S. 69ff. 1s9 Der Brief befindet ſich im Nachlaß Chamiſſos in der Handſchriften⸗Sammlung der Staatsbiblio⸗ thek zu Berlin. Er iſt ohne Datum, muß aber aus dem Jahre 1810 ſtammen, da er an „Herrn Dr. von Chamiſſo“ adreſſiert iſt und Chamiſſo den Ehrendoktor erſt nach ſeiner Weltreiſe erhielt. 14o Einblicke in dieſe Zeit geben u. a. „Tagebücher aus der Berliner Biedermeierzeit“ von Lili Par⸗ they (Leipzig 1928). z41 Dr. phil. Arthur Georgi a. a. O., S. 175 und 210. u4s Die zwei umfangreichen Bände großen Formats ſind in der Sanderſchen Buchhandlung im Jahre 1819 erſchienen; ſie ſind in der Muſikabteilung der Dreußiſchen Staatsbibliothek in Berlin vorhan⸗ den. zas Die Angaben über die letzten Lebensjahre und den Tod Sanders ſind zum größten Teil dem warm gehaltenen Nachruf entnommen, den Karl Wunſter Sander im „Neuen Nekrolog der Deut⸗ ſchen“, Ig. 1825, 1. Band, S. 146-162, gewid⸗ met hat. — Nachrufe ſind außerdem in der Spe⸗ nerſchen Zeitung, Ig. 1825, Nr. 30, und in der Voſſiſchen Zeitung, Ig. 1825, Nr. 30, erſchienen. 240 Zum zwölften Abſchnitt 141 Das Leben der Frau J. M. B. von la Mothe Guion von ihr ſelbſt beſchrieben. Aus dem Fran⸗ zöſiſchen überſetzt von Henriette von Montenglaut geb. von Cronſtein (Berlin, in der Sanderſchen Buchhandlung, 1826). 145 (er Brief befindet ſich im Beſitz einer Urenkelin. 4 Odalberts Bekenntniſſe. Herausgegeben von Dr. Franz Theremin (Berlin 1828). 11 Allgemeine Deutſche Biographie, Band 37, S. 724ff. 16 Die Sanders 241 II. PiteraturNachweis Zuſammenſtellung der hauptſächlich benutzten Quellen A. Handſchriften Briefe des Verlagsbuchhändlers Johann Daniel San⸗ der an Karl Auguſt Böttiger, aufbewahrt in der Sächſiſchen Landesbibliothek in Dresden. Briefe des Ehepaares Sander an Goethe, aufbe⸗ wahrt im Goethe⸗ und Schiller⸗Archiv in Weimar. Die Mappen Sander, Theremin, Chamiſſo, Zacharias Wer⸗ ner aus dem handſchriftlichen Nachlaß des Varnhagen von Enſe, aufbewahrt in der Staatsbibliothek in Berlin. Handſchriftlicher Nachlaß „Familien⸗Archiv Cha⸗ miſſo“, aufbewahrt in der Staatsbibliothek in Berlin. B. Druckſchriften Allgemeine Deutſche Biographie. Leipzig 1875 bis 1912. Arnim, Achim von, ſiehe Steig. Aſcher, Saul, ſiehe Kabinett. Baxa, Dr. Jakob: Adam Müller. Ein Lebensbild aus den Befreiungskriegen und der deutſchen Reſtauration. Verlag Guſtav Fiſcher, Jena 1930. Biedermann, ſiehe Goethe. Bielſchowſkp, Dr. Albert: Goethe. Sein Leben und ſeine Werke. Verlag Beck, München 1904. Böttiger, Karl Auguſt: Literariſche Zuſtände und Zeit⸗ genoſſen. Verlag Brockhaus, Leipzig 1838. Böttiger, Dr. K. W.: Karl Auguſt Böttiger. Eine biogra⸗ phiſche Skizze. Verlag Brockhaus, Leipzig 1837. Buchholtz, A.: Die Voſſiſche Zeitung. Geſchichtlicher Rück⸗ blick auf drei Jahrhunderte. Berlin 1904. 242 Buchholz, Friedrich, ſiehe Galerie. Chamiſſo, Adalbert von, ſiehe Geiger, Hitzig, Muſen⸗ almanach. Delbrück, Friedrich: Die Jugend des Königs Friedrich Wil⸗ helm IV. von Preußen und des Kaiſers und Königs Wil⸗ helm I. Tagebuchblätter ihres Erziehers. Verlag Hofmann E Co., Berlin 1907. Dorow, Wilhelm: Denkſchriften und Briefe zur Charakteriſtik der Welt und Literatur. Verlag Duncker, Berlin 1838-1840. Eckardt, Julius: Garlieb Merkel über Deutſchland zur Schil⸗ ler⸗Goethe⸗Zeit. Verlag Haetel, Berlin 1887. Floeck, Dr. Oswald: Briefe des Dichters Friedrich Ludwig Jacharias Werner. Verlag Georg Müller, München 1914. Fränkel, Dr. Jonas: Zacharias Werners Weihe der Kraft. Verlag Voß, Hamburg 1904. Galerie preußiſcher Charaktere. Aus der franzöſiſchen Hand⸗ ſchrift überſetzt (Verfaſſer Friedrich Buchholz; Überſetzer Jo⸗ hann Daniel Sander). Verlag Germanien 1808 (Sander⸗ ſcher Verlag). Galerie, Die - preußiſcher Charaktere vor dem Richterſtuhle des Publikums. Buchdruckerei Hapm, Berlin 1808. Geiger, Ludwig: Berlin 1688-1840. Geſchichte des geiſtigen Lebens der preußiſchen Hauptſtadt. 2. Band. Verlag Paetel, Berlin 1895. Geiger, Ludwig: Aus Chamiſſos Frühzeit, ungedruckte Briefe. Verlag Daetel, Berlin 1905. Gentz, Friedrich von: Briefe von und an Fr. v. G. Verlag Oldenbourg, München und Berlin 1909. Gentz, Friedrich von: Briefwechſel zwiſchen Fr. v. G. und Adam Heinrich Müller. Verlag Cotta, Stuttgart 1857. Georgi, Dr. Arthur: Die Entwicklung des Berliner Buchhan⸗ dels bis zur Gründung des Börſenvereins der deutſchen Buch⸗ händler 1825. Verlag Harey, Berlin 1926. Goethe, Johann Wolfgang: Briefe, Tagebücher, Annalen, ferner Goethes Beziehungen zu Waldeck, veröffentlicht von Profeſſor Albert Leiß in „Geſchichtsblätter für Waldeck und Pprmont“ Band 23, 1926. 16* 243 Goethes Briefwechſel mit den Brüdern von Humboldt. Herausgegeben von Bratranek. Band 3, Leip⸗ zig 1874-1876. Goethes Geſpräche. Herausgegeben von Freiherrn von Biedermann. 2. Auflage, Band 1. Verlag Biedermann, Leipzig 1909. Goethe, Geſpräche mit —. Von Eckermann. Verlag Kiepenheuer, Weimar 1918. Goethe und die Romantik. Band 13 und 14 der Schrif⸗ ten der Goethe⸗Geſellſchaft, Weimar 1898. Goethe und öſterreich. 2. Teil, Band 18 der Schriften der Goethe⸗Geſellſchaft, Weimar 1904. Grau, Wilhelm: Wilhelm von Humboldt und das Droblem der Juden. Hanſeatiſche Verlagsanſtalt, Hamburg 1935. Hitzig, Julius Eduard: Leben und Briefe Adalbert von Cha⸗ miſſos. 5. und 6. Band der Geſammelten Werke. Verlag Weidmann, Leipzig 1839. Hitzig, Julius Eduard: Lebensabriß Friedrich Ludwig Zacha⸗ rias Werners. Beilage zu der dritten Ausgabe der „Söhne des Tales“. Beſonders veranſtalteter Abdruck für die Be⸗ ſitzer der beiden erſten Ausgaben. Sanderſche Buchhandlung, Berlin 1823. Hoſäus, Wilhelm: Nachträge zu Matthiſſons Leben. Mit⸗ teilungen des Vereins für Anhaltiſche Geſchichte und Alter⸗ tumskunde. 5. Band. Deſſau 1887-1890. Kabinett Berliniſcher Charaktere, Berlin 1808. (Verlag und Verfaſſer anonym. Verfaſſer Saul Aſcher.) Karl: Die Verſuche und Hinderniſſe Karls. Eine deutſche Ge⸗ ſchichte aus neuerer Zeit. Berlin und Leipzig 1808. Ein Neu⸗ druck, genau in der Art der Auflage von 1808 iſt erfolgt unter dem Titel „Der Doppelroman der Berliner Romantik“. Mit Erläuterungen von Helmuth Rogge. Verlag Klinck⸗ hardt E Biermann, Leipzig 1926. Kleiſt, Heinrich von: Berliner Abendblätter (Neudruck) mit einem Nachwort von Georg Minde⸗Pouet. Verlag Klinck⸗ hardt K Biermann, Leipzig 1925. 244 Kleiſt, Heinrich von: Briefe. Band 5 der Geſammelten Werke. Verlag Bibliographiſches Inſtitut, Leipzig und Wien. Kleiſt, Heinrich von: Briefe. Herausgeber Michael. Inſel⸗ Verlag, Leipzig 1928. Roch, Chriſtoph Wilhelm, Mitglied des Tribunals und der Ehrenlegion: Gemälde der Revolutionen in Europa ſeit dem Umſturze des römiſchen Kaiſertums im Occident bis auf un⸗ ſere Zeiten. Verlag J. D. Sander, Berlin 1807. Kotzebue, Auguſt von: Das merkwürdigſte Jahr meines Le⸗ bens. 1. Auflage bei Sander, Berlin 1801. Neudruck in Reclams Univerſal⸗Bibliothek, Band 6026-6030, Leipzig 1918. Kotzebue, Auguſt von: Der Freimütige, oder Berliniſche Zeitung für gebildete, unbefangene Leſer. 1. Jahrgang, San⸗ ders Buchhandlung, Berlin 1803. Kotzebue, Auguſt von: Der Hpperboreiſche Eſel oder die heutige Bildung. Ein draſtiſches Drama und philoſophiſches Luſtſpiel für Jünglinge. Verlag Kummer, Leipzig 1799. Neudruck bei Zeitler, Leipzig 1907. Krieger, Bogdan: Berlin im Wandel der Zeiten. Verlag Klemm, Berlin 1923. Laun, Friedrich: Memoiren. Verlag Appun, Bunzlau 1837. Lütgert, Profeſſor Dr. Wilhelm: Idealismus und Erwek⸗ kungsbewegung im Kampf und im Bund. Verlag Bertels⸗ mann, Gütersloh 1923. Marcard, Heinrich Matthias: Beſchreibung von Pprmont. Leipzig 1784 und 1785. Merkel, Garlieb: Briefe an ein Frauenzimmer. I. und 2. Band, September 1800 bis April 1801. Kommiſſions⸗ verlag Sander, Berlin. Merkel, Garlieb, ſiehe Eckardt und Müller⸗Jabuſch. Meuſel, Johann Georg: Das gelehrte Teutſchland oder Lexi⸗ con der jetzt lebenden teutſchen Schriftſteller. Lemgo 1789. Mothe⸗Guion, von la: Das Leben der Frau J. M. B. von handlung, Berlin 1826. Müller, Adam Heinrich: Ausgewählte Abhandlungen. Ver⸗ lag Guſtav Fiſcher, Jena 1921. 245 Müller, Adam Heinrich: Ausgewählte Abhandlungen. Zweite, vermehrte und veränderte Auflage. Verlag Guſtav Fiſcher, Jena 1931. Müller, Adam Heinrich, ſiehe Baxa und Gentz. Müller⸗Jabuſch, Maximilian: Therſites. Die Erinne⸗ rungen des deutſch⸗baltiſchen Journaliſten Garlieb Merkel. Deutſche Verlagsgeſellſchaft für Politik und Geſchichte, Ber⸗ lin 1921. Muſenalmanach, herausgegeben von Chamiſſo und Varn⸗ hagen. Jahrgang 1804, verlegt bei Schmidt, Leipzig; die Jahrgänge 1805 und 1806 bei Heinrich Fröhlich, Berlin. Neuer Nekrolog der Deutſchen. Nachruf auf J. D. San⸗ der, von Wunſter. 3. Jahrgang 1825. Verlag Voigt, Ilmenau 1827. parthep, Lili: Tagebücher aus der Berliner Biedermeier⸗ zeit. Leipzig 1928. paul, Jean: Die Briefe Jean Pauls. Verlag Georg Müller, München 1922-1926. Piſſin, Raimund: Otto Heinrich Graf von Loeben. Sein Leben und ſeine Werke. Verlag Behr, Berlin 1905. Sander, Johann Daniel: Die heilige Cäcilia. Lieder, Mo⸗ tetten, Chöre und andere Muſikſtücke religiöſen Inhalts. Sanderſche Buchhandlung Berlin 1819. 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Verlag Cotta, Stuttgart 1914. Steig, Reinhold: Heinrich von Kleiſts Berliner Kämpfe. Verlag Spemann, Berlin 1901. Steig, Reinhold: Neue Kunde zu Heinrich von Kleiſt. Ber⸗ lin 1002. Theremin, Franz: Abendſtunden. 3. Auflage. Duncker E Humblot, Berlin 1845. Theremin, Franz: Adalberts Bekenntniſſe. Berlin 1828. Varnhagen von Enſe, K. A.: Biographiſche Porträts. Aus dem Nachlaß. Verlag Brockhaus, Leipzig 1871. Varnhagen von Enſe, K. A.: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Verlag Brockhaus, Leipzig 1839, 1843, 1850 und 1871. Varnhagen von Enſe, K. A.: Rahel. Ein Buch des An⸗ denkens für ihre Freunde. Berlin 1834. Voß, Gräfin Sophie von: Neunundſechzig Jahre am Preu⸗ ßiſchen Hof. 11. Auflage. Verlag Schröder, Berlin 1935. Werner, Zacharias: Das Kreuz an der Oſtſee. ¹. Teil: Die Brautnacht. Verlag J. D. Sander, Berlin 1806. Werner, Zacharias: Die Söhne des Tales. Ein dramatiſches Gedicht. Verlag J. D. Sander, Berlin 1803 und 1804. Werner, Zacharias: Martin Luther oder die Weihe der Kraft. Verlag J. D. Sander, Berlin 1807. Werner, Zacharias. Über die übrigen, nicht mehr im Sander⸗ ſchen Verlag erſchienenen Dramen Werners vergleiche: Paul Kluckhohn: Dramen von Zacharias Werner. Verlag Reclam, Leipzig 1937. Über das Biographiſche vergleiche Floeck und Hitzig. Wunſter, Karl, Prediger in Waſchke bei Bojanow (Groß⸗ herzogtum Poſen) ſchrieb den Nachruf auf J. D. Sander im „Neuen Rekrolog der Deutſchen“. 247 III. Derſonen⸗erzeichnis Amalie, Herzogin von Sachſen⸗Weimar (1739-1807) 32 38 71 80 136 Ancillon, Louis Fréderic (1740-1814) 48 Arndt, Ernſt Moritz (1769-1860) 44 184 Arnim, Achim von (1781—1831) 93 125 163 176 178 180f. Gattin: Bettina, geb. Brentano (1785-1859) 93 Arnſtein, Freiherr Nathan Adam von 162 Bach, Johann Sebaſtian (1685-1750) 207 Sohn: Philipp Emanuel (1714-1788) 207 Bartholdy, Georg Wilhelm (1765-1815) 27 Baxa, Jacob, Biograph Adam Heinrich Müllers 172 f. 182 Beethoven, Ludwig van (1770-1827) 207 Bernhardi, Ferdinand (1769-1820) 62 159 175 Bertuch, Friedrich (1741-1822) 19 30 f. 74 98 Beßhort (Beſthart) 84 Böttiger, Karl Auguſt (1760-1835) 15 19-28 30—-32 34 37-40 45 47 51 62 54 f. 67 70 74 82 92 95 08-101 107-109 136 142 146 148-154 182 190-192 203 205 209-213 Gattin: 77 211 Breitenbauch, Frau von geb. Scholing 85 92 Brentano, Clemens (1778-1842) 125 175f. 178 181-183 Brinkmann, Guſtav von (1764-1847) 40 57 90 175 Brown, ſchottiſcher Arzt (1735-1788) 41 Buchholz, Friedrich (1768-1843) 144 146 187 Burke, Edmund (1729-1797) 59 Burp (Büri), Friedrich (1763-1823) 74 79 Campe, Franz Auguſt Gottlieb (1773-1836) 77 Gattin: Eliſabeth geb. Hoffmann (1786-1873) 77 Campe, Joachim Heinrich von (1746-1818) 42 Chamiſſo, Adalbert von (1781-1838) 49 111-121 126 bis 129 134 137f. 159 167 202 f. 248 Clauſewitz, Karl von (1780-1831) 178 Cohen, Fabrikant 112 118 Delbrück, Friedrich (1768-1830) 48 129 131 147 168 Diederichs, Brunnen⸗Commiſſarius in Dyrmont 11 15 Diederichs, Johann Chriſtian Wilhelm (1750-1781) 42 Duvernay, Ceres 117 121 Eckermann, Johann Deter (1792-1854) 74 97 Eichendorff, Freiherr Joſeph von (1788-1857) 171 176 Eichendorff, Freiherr Wilhelm von (1786-1849) 176 Eichhorn, Johann Gottfried (1752-1827) 42 Erhard, Johann Benjamin (1766-1827) 41 Epbenberg, ſiehe Meper, Marianne Fernow, Carl Ludwig (1763—1808) 136 Feßler, Ignaz Aurelius (1755-1839) 53 f. Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) 48 54 55 59 63 65 105 127 178 Fleſche, Frau 30 35 Fontane, Theodor (1819-1898) 38 48 Forſter, Johann Reinhold (1729-1798) 21 Fouqué, Friedrich de la Motte (1777-1843) 159 161 175 Foye, Louis de la (7-1863) 117 119 138 Friedrich II., der Große (1712-1786) 14 18 31 55 58 131 173 Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) 20-34 155 Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) 29 33 34 37 58 132 136 150 153 168-170 187 Gattin: Luiſe (1776-1810) 29 30f. 33 66 125 129-131 135 137 150 153 169 170f. 173 186 Kinder: Friedrich Wilhelm IV. (1705-1861) 30 48 147 Wilhelm I. (1797-1888) 30 48 147 Ferdinand (1805-1806) 129 Friedrichſen, Überſetzer 150 Frommann, Karl Friedrich Ernſt (1765-1837) 78 81 Gattin: Johanna Charlotte geb. Weſſelhöft (1765-1830) 78 Funk, Gottfried Benedikt (1734-1814) 12f. 249 Geiger, Ludwig (1848-1919) 212 Gentz, Friedrich von (1764-1832) 20 49 57 134 Gleim, Johann W. Ludwig (1719-1803) 42 Gluck, Chriſtian Willibald von (1714-1787) 14 144 169 207 Gneiſenau, Auguſt, Graf Neithardt von (1760-1831) 168 184 Goethe, Johann Wolfgang von (1749-1832) 9 38 45 49 55 50-53 66 69-78 80 82f. 85-106 108 111 113 116 133 154 159 185 f. 196f. 201 212 215 219 Gattin: Chriſtiane geb. Vulpius (1765-1816) 93 Graun, Karl Heinrich (1701-1759) 207 Grillparzer, Franz (1791-1872) 133 Grimm, Wilhelm (1786-1859) 175 Grotthuß, von, ſiehe Meyer, Sara Hamann, Johann Georg (1730-1788) 106 Händel, Georg Friedrich (1685-1759) 206 Hardenberg, Karl Auguſt von (1750-1822) 113 168 178-181 202 Heim, Ernſt Ludwig (1747-1834) 24 40f. 216 Helvig, Anna Amalie von, geb. Freiin von Imhoff (1776 bis 1831) 175 Herder, Johann Gottfried (1744-1803) 19 34 38 61 74 90 106 Herz, Markus (1747-1803) 27 Gattin: Henriette geb. de Lemos (1764-1847) 44f. 64 Hepſe, Paul (1830-1914) 38 Hitzig, Julius Eduard (1780-1849) 52 103 112f. 116 118f. 123f. 153 167 198 202 Hoffmann, E. Th. A. (1776-1822) 200 Humboldt, Wilhelm von (1767-1834) 44 45 48 70 71 90 196 Iffland, Auguſt Wilhelm (1759-1814) 55f. 121 123 132f. 167 Jagemann, Henriette Karoline Friederike (1777-1848) 28 87 Jean, Paul, ſiehe Paul Kant, Immanuel (1724-1804) 105 Kindl 81 Kleiſt, Heinrich von (1777-1811) 49 174-178 180-183 Klewitz, Wilhelm Anton von (1760-1838) 48 54 250 Klopſtock, Friedrich Gottlieb (1724-1803) 30 Koreff, David Ferdinand (1783-1851) 113 118 Kotzebue, Auguſt von (1761-1819) 38 49 60 65 f. 86-90 96 90-103 110f. 212 Gattin: Chriſtel 88, 9o Küſter 207 Lafontaine (auch La Fontaine), Auguſt Heinrich Julius (1758 bis 1831) 21-26 33-40 50 62 150 Laun, Friedrich, Schriftſtellername für Friedrich Auguſt Schulze (1770-1849) 46 f. 50 160 182 Leidel 207 Leſſing, Gotthold Ephraim (1729-1787) 6! Loder, Juſtus Chriſtian (1753-1832) 48 73-75 82 Loeben, Graf Otto Heinrich von (1786-1825) 171 176-178 Lohde 213-215 Loos, I., ſpäter Koels 11 15 Lottner, Franz Auguſt (1796-1836) 205 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen (1772-1805) 48 161 Maſſenbach, Chriſtian K. A. L. von (1758-1827) 152 Maſſow, Valentin von 30 33 48 Matthiſſon, Friedrich von (1761-1831) 9 Merkel, Garlieb Hellwig (1760-1850) 38 49 60-68 80 100 103 110 116 212 Metternich, Fürſt Klemens von (1773-1859) 195 196 201 Meyer, Johann Heinrich (1759-1832) 74 Meyer, Marianne, führte als Witwe den Namen von Epben⸗ berg (7—1812) 45 Meyer, Sara, ſpäter Frau von Grotthuß (7-1828) 45 84 Montenglaut, Henriette geb. von Cronſtein 209 Mothe⸗Guion, J. M. B. von la (1646-1717) 209 213 Müller, Adam Heinrich (1770-1829) 48f. 56-60 113 156 171-182 196 200-202 Gattin: Sophie geb. von Taplor, geſchiedene von Haza Mutter: A1. S. H. geb. Dahl 56 Müller, Johannes von (1752-1809) 48 55f. (44 146 149 153f. 251 Rapoleon (1769-1821) 106f. 125 136f. 141 143 146 157 172 186 193 Bruder: Jerome (1784-1860) 146 Neumann, Wilhelm (1781-1834) 111 112 134 150 Niemeper, Auguſt Hermann (1754-1828) 42 48 Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772-1801) 97 200 Olfers, Hedwig von, geb. von Staegemann (1800-1891) 203 Palffp, von Erdöd, Graf Ferdinand (1774-1840) 147 paul, Jean, Schriftſtellername für Johann Paul Friedrich Richter (1763-1825) 38 50f. 63 90 Hiſtor 175 Pixis, Friedrich Wilhelm (1786-1842) 72 Bruder: Joſeph Peter 72 Radziwill, Fürſt Anton Heinrich von (1775-1833) 203 Ramler, Karl Wilhelm (1725-1798) 39 Rathlef, Frau, geb. Diederichs 85 Recke, Eliſa von der Medem (1756-1833) 203 Reimer, Georg Andreas (1776-1842) 44 113 177 Retzer, Freiherr Joſeph Friedrich von (1754-1824) 73 154 Robert, Pſeudonym für Robert Levin 113 Rochlitz, Johann Friedrich (1769-1842) 9 72 79 153 Rolle, Johann Heinrich (1718-1785) 14 207 Sander, Johann Daniel (1759-1825) Gattin: Sophie Friderica Henriette geb. Diederichs (1768 bis 1828) Kinder: Julie Caroline Wilhelmine (1795-1871) Karl Auguſt Friedrich Wilhelm (1797 bis nach 1867) Karl Wilhelm Heinrich Ferdinand (1790) Johanna Emilie Wilhelmine (1801-1888) Fritz (1803-2) Vater: Johann Georg 12 Sartorius, Georg (1765-1828) 56 Savigny, Friedrich Karl von (1779-1861) 161 178 181 Schadow, Johann Gottfried (1764—1850) 27 Scharnhorſt, Gerhard von (1755-1813) 168 Schelling, Friedrich Wilhelm Joſeph (1775-1854) 93 106 156 Gattin: Karoline geb. Michaelis (1763-1809) 156 252 Schiller, Friedrich von (1759-1805) 49 51 63 65 70 75-77 83 96 106 108 Gattin: Charlotte geb. von Lengefeld (1766-1826) 76 Schlegel, Auguſt Wilhelm von (1767-1845) 49 60-65 68 70 93 06-98 111 156 211 Schlegel, Friedrich Karl Wilhelm von (1772-1829) 49 60 bis 65 70 96-90 111 155f. 163 196 Gattin: Dorothea geb. Mendelsſohn (1763-1839) 156 Schleiermacher, Friedrich (1768-1834) 44 55 Scholing, Frau, geb. Diederichs 85f. Schroetter, Friedrich Leopold von (1743-1815) 48 54 55 Schulenburg, Graf Friedrich Wilhelm von der (1742-1815) 146 Schütz, Chriſtian Gottfried (1747-1832) 19 Spalding, Georg Ludwig (1762-1811) 48 Spee, Graf Friedrich von (1561-1635) 163 164 Spielhagen, Friedrich (1829-1911) 38 Spontini, Gaſparo (1774-1851) 207 Stägemann, Friedrich Auguſt von (1763-1840) 203 Gattin: Eliſabeth geb. Fiſcher (1761—1835) 203 Stasl, Germaine von (1766-1817) 111 Stein, Charlotte von (1742-1827) 184 Stein, Karl Freiherr vom und zum (1757-1831) 168 178 179 184 Theremin, Franz (1780-1846) 112-114 118-120 126f. 130 135-140 155-163 167 181-185 191 217-219 Gattin: Erneſtine verw. Mathis geb. Conrad (7-1826) 184 Vater: Dfarrer in Gramſow i. d. Mark 135 Tieck, Johann Ludwig (1773-1853) 60 96 119 200 Unger, Johann Friedrich (1753-1804) 71 Uthemann, Adolf von (7—1806) 128 Varnhagen von Enſe, Karl Auguſt (1785-1858) 49 111 bis 114 118 123 134 137f. 155—161 167 182 185 196 216 Gattin: Rahel geb. Levin (1771-1833) 44 f. 113 114 167 175 Vieweg, Johann Friedrich (1761-1835) 71 73 Vogel, Henriette (7-1811) 181-133 253 Voigt, Johann Karl Wilhelm (1752-1821) 74 Gattin: Amalie Henriette Caroline geb. Ludecus (1776 bis Voß, Chriſtian Friedrich (7-1795) 15 36 1840) 76 83 87 Voß, Gräfin Sophie von (1729-1814) 135 170 Weber, Bernhard Anſelm (1766-1824) 175 206 Werner, Friedrich Ludwig Jacharias (1768-1823) 52-56 59 68 103 105 116 121-128 131—133 161-167 185 196 bis 201 Wieland, Chriſtof Martin (1733-1813) 19 38 61 f. 74 90 98 Winzer, Johann Gottlieb 165 Wolf, Friedrich Auguſt (1759-1824) 56 Wöllner, Johann Chriſtian von (1732-1800) 34 Zelter, Karl Friedrich (1758-1832) 27 48 178 206 Zöllner, Johann Friedrich 48 Druck der Leipziger Verlagsdruckerei G. m. b. H. vorm. Fiſcher K Kürſten Ein „Lebensbild in Briefen Sreundeslieb“ unid Creil“ 250 Briefe Eduard Mörikes an Wilhelm Hartlaub Herausgegeben von Gotthilf Renz in Tübingen Mit Hartlaubs Bildnis 445 Seiten . Leinen 5.80 Rm Das Verdienſt des Herausgebers für die wiſſenſchaftliche Arbeit, vielleicht noch mehr für die perſönliche Einſtellung der Deutſchen zu einem ihrer größten Lpriker wird wohl erſtnach der Verbreitung dieſes Buches und dem Widerhall, den es bei feinſinnigen Menſchen finden wird, abzuſehen ſein. „Völkiſcher Beobachter“, Wien Der Referent hat allen Grund, Herausgeber und Verlag zu dem Unterfangen herzlich zu beglückwünſchen; er wird in ſeiner Biblio⸗ thek hinfort weit ſuchen müſſen, ehe er ein Buch findet, das gleicher⸗ maßen wohltut, wärmt und erhellt. Albrecht Goes in der „Frankfurter Jeitung Leopold Klotz Verlag⸗Leipzig Gerhard Heine Ernſt Wloritz Arndt Der Weg eines deutſchen Mannes 263 Seiten. Leinen 5.40 Rm Eine ganze geſchichtliche Größe unſeres Vaterlandes gibt ſich hier ein Stelldich⸗ ein. Abenteuer und buntes Erleben machen das Buch für jeden unterhaltſam, das Vorbild ſeines Helden ſollten es jedem unentbehrlich machen. Ein biographiſcher Roman, der uns mit großer Freude erfüllt. Spannend und „Völkiſcher Beobachter“, München bunt wie Arndts Deben iſt das ihm gewidmete Buch: wer es lieſt, lebt ein großes Stück deutſcher Geſchichte bewegten Herzens mit. „Völkiſche Frauenzeitung“ Ströme der Liebe Ein Briefwechſel (Hedwig Hepl-Eugen Vinnai) 400 Seiten . 4.40 RM, Leinen 5.80 RM . Halbleder 8.50 RM Ströme einer geiſtigen Liebe, die durch den Austauſch der Erlebniſſe zu Schick⸗ ſalsdeutung und Ermunterung, zu Troſt und Wegweiſung wird, und das alles, ähnlich wie für die zwei Menſchen, die ſich hier führend und folgend gegenüber⸗ treten, für viele unter denen, die dieſes Buch zur Hand nehmen werden, um in ihm zu blättern und bald über die eine, bald über eine andere Stelle nachzu⸗ denken und ſo zu einer freieren, ſinnvolleren und ſeeliſch ſtarken Lebensgeſtal⸗ tung emporzudringen. „Hannoverſcher Anzeiger“ Hans Heinrich Ehrler Das Geſetz der Liebe 324 Seiten. Kartoniert 2.50 RM, Deinen 3.80 RM Den im Dünkel des 19. Jahrhunderts Befangenen muß hier, wenn ſie nicht ganz verloren ſind, die überwältigende Ahnung aufſteigen, daß tatſächlich „Zeit⸗ wende“ iſt, wie Ehrler ſchreibt. Eine neue Zeit des Geiſtes und des Glaubens will anbrechen, iſt in ihren Propheten ſchon angebrochen. Ein „Lebensbuch“, das immer wieder hervorgeholt werden wird. „Eckart⸗Ratgeber“ Geſicht und Antlitz Neue Gedichte 164 Seiten. Kartoniert 2.— RM Reif, knapp und ſicher in jedem Wort, von üppiger, ſatter Sinnlichkeit, von zwingender Pplaſtik in der Bildkraft der Srrache; von verhaltener klingender Melodie im Ablauf der Strophen. . . . Dann, wenn das Schickſal uns nicht ge⸗ ſchont haben wird, werden Ehrlers Strophen, wie wir glauben, noch immer lebendig ſein. „Stuttgarter Neues Tagblatt Leopold Klotz Verlag Leipzig ZFB:2 Entsäuerung 2019 S B B N12<117695441010 RF MAI 1986