acc. Darmst.1920.363. 1 Verein Frauenwohl = Gross Berlin Gegründet 1888. Der Verein hat den Zweck, für die rechtliche, wirtschaftliche und geistige Befreiung der Frau zu kämpfen. D̲e̲r̲ j̲ä̲h̲r̲l̲i̲c̲h̲e̲ B̲e̲i̲t̲r̲a̲g̲ f̲.̲ e̲i̲n̲h̲e̲i̲m̲i̲s̲c̲h̲e̲ M̲i̲t̲-̲ g̲l̲i̲e̲d̲e̲r̲ b̲e̲t̲r̲ä̲g̲t̲ 5̲ M̲., f̲ü̲r̲ a̲u̲s̲w̲ä̲r̲t̲i̲g̲e̲ 4̲ M̲. Die Mitglieder haben das Recht an allen Versammlungen, Diskussions-Abenden und an der Rednerschule teilzunehmen. Die Zeitschrift: Die Frauenbewegung (Herausgeberin Minna Cauer) wird den Mitgliedern zweimal monatlich geliefert. Die Bibliothek zur Frauenfrage des Vereins Frauenwohl (angegliedert der Stadtbibliothek Berlin, Zimmerstr. 91) steht den Mitgliedern unentgeltlich zur Verfügung. Drucksachen des Vereins versendet die Geschäftsstelle Berlin W 30, Neue Winter- feldt-Strasse 17. Berlin, den 20. Juni 1916. Sehr geehrte Frau Rudolph! Ihre Anregung wegen des Warenbezuges ist sehr nützlich, nur weiß ich nicht recht, ob und wie man das noch in die Eingabe einflicken könnte. Ich fürchte auch, hierbei würde sogar die Allmacht des Kriegsministeriums versagen. Wenn übrigens die Frauen gute und billige H̲a̲u̲p̲t̲mahlzeiten in der Kantine bekom̄en, so werden dadurch ja auch die Einkaufsbedürf- nisse verringert. Die Bücher über Kinderschutz sind z. T. noch bei Frau Weiß, Kaiserin Augustastr. 73, z. T. schon wieder bei mir im Bureau. Ich kom̄e aber bis Anfang Juli nicht in mein Bureau, da ich auf Urlaub bin. Vielleicht klingeln Sie Anfang Juli mal im Bureau für Sozialpoli- tik bei mir an wegen der Bücher. (Vormittags 9-2, Amt Nollendorf 2809.) Mit freundlichem Gruß E. Lüders. 2k+1899 acc. Darmst. 1920. 362. 2 1̲ Berlin W. 30. d. 21. Nov. 1920. Neue Winterfeldtstr. 17. Sehr geehrte Frau v. Hopfgarten, ich komme mir zwar durchaus noch nicht würdig genug für die Dokumentensam̄lung vor. Aber da ich den Grundge= danken sehr schön finde, so will auch ich meinen bescheidenen Beitrag dazu stiften. Zuerst eine kleine Schilderung eines Zukunftsbildes, wie es mir mitten in starker Arbeit vorschwebt. Oft sage ich meinen Freunden: „Wenn ich erst 65 Jahre alt bin und meine Renten als Beamter und aus der – sorgfältig von mir aufrecht erhaltenen – Angestelltenversicherung bekom̄e, dann ziehe ich mich mal auf ein halbes Jahr von aller Arbeit in die Einsamkeit zurück und schreibe meine Memoiren.“ Ja, an diese Memoiren und die ersehnte Stille denke ich schon so viel, daß mir einmal im Traum bereits die ganze Gruppierung und Kapitel=Folge einfiel, und zu meinen Freunden sagte ich strahlend=selig in diesem Traum: „Meine Memoiren werden das schönste Werk meines Lebens.“ Es klingt ja nun sehr eitel und anmaßend, daß ich mit der Absicht umgehe, meine Memoiren zu schreiben. Aber ich hoffe, meine Freunde, die mich näher kennen, werden wissen, daß mir Eitelkeit und Anmaßung fern liegen. Aber ich habe den Eindruck, daß sich in meinem Einzelschicksal ein typisches Frauenschicksal unserer 2̲ Zeit abgespielt hat, und daher könnten vielleicht einmal meine künftigen Memoiren einen gewissen Wert als Zeitdokument bekom̄en. Über einem bestim̄ten Abschnitt meines Lebens, auf den ich vielleicht künftig einmal als auf den schwersten, konflikte=reichsten, aber dennoch tiefsten und wertvollsten meiner geistigen Entwicklung zurück blicken werde, könnte d̶a̶s̶ M̶o̶t̶t̶o̶ stehen: die Überschrift „V̲o̲n̲ ̲d̲e̲r̲ ̲"h̲ö̲h̲e̲r̲e̲n̲ ̲T̲o̲c̲h̲t̲e̲r̲" ̲z̲u̲m̲ ̲R̲e̲g̲i̲e̲r̲u̲n̲g̲s̲r̲a̲t̲“̲.̲ Es sind dies die Jahre von 1899 bis zur Gegenwart. E̸ Im Jahre 1899 wurde ich durch ein gütiges Geschick Frau Minna Cauer in den Weg geführt und bekam dadurch Fühlung mit der Frauenbewegung. Von diesem Zeitpunkt an begann ein neues geistiges Leben für mich. Auf mein Verhältnis zu Minna Cauer paßt ein Wort, das ich einmal irgend wo las: „Wer uns zu uns selbst die Straße zeigt, dem gehört unsere Seele, dem gehören wir.“ Einen neuen Ruck bekam mein Schicksal 7 Jahre später, 1906. Ich war ehrenamtlich als Schriftführe= rin bei der Deutschen Heimarbeit=Ausstellung tätig. Der Vorsitzende dieser Ausstellung, Professor Dr. Ernst Francke, der bekannte Sozialpolitiker, lernte mich dabei durch die Arbeit kennen und bat mich, als Mitarbeiterin in das von ihm geleitete gemeinnützige Unternehmen, das Bureau für Sozialpolitik, einzutreten. In diesem Bureau wird zugleich die Zeitschrift „Soziale 3 3̲ Praxis“ herausgegeben, und die „Gesellschaft für Soziale Reform“ (Ehrenvorsitzender der frühere Preußische Handelsminister Exz. v. Berlepsch; Vorsitzender Professor Francke) hat dort ihre Geschäftsstelle. Dort bin ich 14 Jahre tätig gewesen. So wie ich in Frau Cauer meine geistige Mutter liebe und verehre, so sehe ich in Francke meinen geistigen Führer, Freund und Vater. Ich hoffe, daß ich in meinem Wesen von b̲e̲i̲d̲e̲n̲ Elternteilen etwas habe, und in meiner Arbeit mich dieser geistigen Eltern wert zeigen kann. Mein Leben bekam einen neuen Ruck, als ich zum 1. Januar 1920 in das Reichsarbeitsministerium berufen wurde. So bitter schwer mir der Abschied von meiner geliebten Arbeit im Bureau für Sozialpolitik wurde, so glaubte ich mich doch dem Rufe der Regierung nicht entziehen zu dürfen. Zunächst war ich nur probe= weise als Referentin angestellt, seit Juli 1920 bin ich als Regierungsrat in ein festes Beamtenverhält= nis zum Reich getreten. Das ist ein kurzer äußerer Rahmen meines Lebens. Es würde zu weit führen, näheres über meine in den letzten 21 Jahren. Arbeit und mein Werden zu schreiben. Aber es liegt ein Stück Frauenbewegung in diesen 21 Jahren. Vor 21 Jahren galt es noch nicht als ganz „standesgemäß“, wenn Frauen berufstätig wurden. Jetzt habe ich nun selbst die „gleichberechtigte Mit= arbeit der Frau im Staat“ in amtlicher Stellung 4̲ nach besten Kräften zu leisten. Ich habe in diesen Aufzeichnungen nichts geschrieben von Krieg und Revolution. Hierüber kann ich nicht in kurzen Worten schreiben, es ist alles noch zu wund und weh in mir. Soweit ich schon darüber zu schreiben vermochte, habe ich es getan in der kleinen Schrift: „Frauengedanken zum Weltgeschehen“, Bekenntnisschrift einer demo= kratischen Frau. (Verlag Perthes, Gotha 1920). Nur soviel sei auch hier gesagt: Ich war immer eine begeisterte Anhängerin des Frauenstimmrechts. Aber ich hätte gern noch 20 und mehr Jahre dafür gearbeitet, wenn Deutschland ein anderes Ende des Krieges beschieden gewesen wäre. Es liegt für mich eine tiefe Tragik darin, daß wir unsere politischen Rechte und auch unsere Stellungen in den Ministerien dem Unglück Deutschlands verdanken. Aber diese Tragik wird nun für mich innerlich zu einer tief empfundenen Verpflichtung: mein ganzes Leben und Sein dafür einzusetzen, daß aus der politischen Mitarbeit der Frau ein heilender Balsam für Deutschland werden möge. – – – Da ich aus dem Schreiben vom 18. Nov. 1920 entnehme, daß auch Korrespondenzen erwünscht sind, so trenne ich mich zu gunsten der Sam̄lung von einem sehr lieben Briefe mei= nes väterlichen Freundes, Professor Ernst Francke, jetzt in Diessen am Ammersee wohnend, da ich glaube, daß der Brief sowohl für den Schreiber wie für die Empfän= gerin kennzeichnend ist. Else Lüders; Regierungsrat im Reichsarbeitsministerium. 4 Frau Elise v̲. ̲ ̲H̲o̲p̲f̲g̲a̲r̲t̲e̲n̲.̲ Charlottenburg=Westend. Kirschenallee 1. Aufg. A. ELSE LÜDERS BERLIN W. 30 NEUE WINTERFELDTSTR. 17