Yx 33605 Christa Ruland Roman von Hedwig Dohm Chriſta Ruland Von Hedwig Dobm erſchienen in demſelben Verlage: Sibilla Dalmar. Roman. 2. Aufl. Geh. M. 4— Schickſale einer Seele. Roman. Geh. M. 4.— P1902.1566 Hedwig Dohm Chriſta Ruland Roman Berlin 1902 S. Fiſcher, Verlag Ex Biblioth.Regia Berolinenſi. Alle Rechte insbeſondere alle Ueberſetzungsrechte vorbehalten. Yx 33605 Frau Juſtizrätin Harriet Ruland hatte ihren Jour. Ihre Erſcheinung, vom Kopf bis zu den Füßen, war von vollendeter Eleganz, ebenſo wie das zierliche Theetiſchchen — japaniſch, mit Elfen⸗ bein eingelegt — und der Salon ſelbſt, dem nichts zu fehlen ſchien. Da waren die bildhübſchen Bibelots, die Gobelins, die perſiſchen Teppiche, die alten Stickereien, die übergroßen Chryſanthemen und origi⸗ nellen Orchideen in allerhand phantaſtiſchen Vaſen mit ſymboliſch⸗figürlichen Verzierungen, und als Perlen — echte Kunſtwerke. Jeder, der dieſen Salon betrat, hatte den Ein⸗ druck: hier empfängt eine Weltdame par excellence Gleich darauf aber drängte ſich die Frage auf: wo aber wohnt die Frau? Es fehlte dieſem glanz⸗ vollen Salon doch etwas: das Intime, die indi⸗ viduelle Phyſiognomie. Er war oder ſchien die Sonntagsſchöpfung eines ſtilgeſchickten Dekorateurs, der über große Mittel verfügt. Etwas zu Abſicht⸗ liches war in der vollkommenen Harmonie der Far⸗ ben und Formen. Frau Harriet Ruland warf einen prüfenden Dohm, Chriſta Ruland. 1 Blick über den Theetiſch, ordnete die Früchte in dem Korb von Silbergeflecht und verbreiterte auf den Majolikatellern die Küchelchen und Sandwichs, da⸗ mit ſie quantitativer wirken ſollten. Sie war eine zugleich ehrgeizige und ſparſame Hausfrau. An einem Nebentiſchchen, in der Nähe des Fenſters, war der Theekeſſel an die elektriſche Leitung angeſchloſſen. Das blaſſe, überſchlanke junge Mäd⸗ chen, das am Fenſter ſtand, wartete auf das Sieden des Waſſers. Frau Harriet wandte ſich zu ihrer Tochter: „Du ſollſt ſehen, Chriſta, heute, gerade wo ich Migräne habe, werden wir einen ausverkauften Salon haben. Geſelligkeit iſt wirklich ein Stück Arbeit.“ „Warum haſt Du denn dieſen Jour eingerichtet, Mama?“ „Man erkauft damit die Freiheit der ſechs übri⸗ gen Tage.“ „Du brauchſt ja die Leute, die Du nicht magſt, garnicht einzuladen.“ „Ach,“ ſeufzte Frau Harriet, „man mag ja die meiſten Leute nicht. Womit ſoll man den Salon füllen?¹ „Muß man ihn denn füllen? Frau Harriet zuckte die Achſeln. Ein Mangel an Harmonie zwiſchen Mutter und Tochter ſprang ſofort in die Augen. Die Mutter war lebhaft in jeder Bewegung, mit immer wechſeln⸗ dem Mienenſpiel. Junges, Kampfbereites, Leben⸗ 2 heiſchendes war in ihrer Art. Die Tochter trug ein kühles, ſtilles Weſen zur Schau; zuweilen klang es wie verhaltene Ironie aus ihrem Ton. Sie wider⸗ ſprachen ſich meiſt, wenn Chriſta überhaupt auf die Bemerkungen ihrer Mutter reagierte. Meiſt redete die Mutter, und die Tochter ſchwieg. Nach einer Pauſe ſagte das junge Mädchen: „Es ſind doch Deine Jours, Mama, warum muß ich immer dabei ſein? „Warum? weil es chik iſt, daß ein junges Mäd⸗ chen den Thee bereitet. Wozu hat man denn ſeine Töchter? „Ah — dazu!“ Chriſta ſah ihre Mutter etwas mokant an. Der Blick reizte Frau Harriet: Herr Gott, es wäre doch jetzt mit der Elektriſchen keine Arbeit, Thee zu machen. Gott ſei Dank wäre die Zeit des Samowvar vorüber. Durch die offene Thür, die zum Speiſezimmer führte, fiel Chriſtas Blick auf den Samowar von dunklem Kupfer, der, auf dem Büffet aufs Altenteil geſetzt, nur noch ein beſchauliches Daſein führte. „Poetiſcher und anheimelnder war er doch als der nüchterne elektriſche Keſſel. „Wenn Du Dich verheirateſt, ſchenke ich ihn Dir. Chriſta fuhr zuſammen. Da wvar ja Mama bei ihrem. Steckenpferd. Sie beſtieg es reſolut. Un⸗ faßlich, was Chriſta an dem jungen Mann — er warb ſeit einem halben Jahr um ſie — auszuſetzen 3 1* habe? worauf ſie denn warte? bei ihrem Charakter ſei es durchaus wünſchenswert, daß ſie heirate. „Wie iſt denn mein Charakter, Mama? „Schwierig.“ „Und da hoffſt Du, daß Dein junger Mann der rechte Petrucchio ſein wird, um die böſe Käte zu zähmen?“ Jedenfalls habe der Betreffende alle Eigen⸗ ſchaften, die ſich eine Mutter für das Glück ihrer Tochter wünſchen könne, ſie würde keinen Zweiten finden, der ſo für ſie paſſen würde. „Aber Mama, woher weißt Du denn, wer für mich paßt, da Du doch ein ganz anderer Menſch biſt als ich, mit ganz anderen Anſichten und anderem Geſchmack. Du wirſt doch nicht zu den altmodiſchen Müttern gehören wollen, die böſe auf ihre Töchter ſind, wenn ſie ſich nicht verheiraten.“ Eine ſolche Bemerkung würde ſich Anne Marie nie erlaubt haben, die habe auf ihren Rat hin ge⸗ heiratet und ſei glücklich geworden. Das Glück Anne Marie's — der älteren Ru⸗ land'ſchen Tochter — war ein immer wiederholtes Arqument der Mutter, um Chriſta für die Ehe zu begeiſtern. Man hatte damals über die Heirat aller⸗ hand Gloſſen gemacht. Da aber niemand etwas Be⸗ ſtimmtes wußte, verſtummte allmählich das Gerede. Die Heirat Anne Marie's mit dem fünfzig⸗ jährigen Theodor Stern war in der That das Werk Frau Harriets. Stern, ſehr reich, ſehr angeſehen, 4 wvar Inhaber eines der erſten Eiſenwerke Deutſch⸗ lands. So ſehr Frau Harriet ihre älteſte Tochter liebte, war ſie doch ſcharfſichtig genug, um ihre Charakter⸗ fehler richtig zu taxieren und zu — fürchten. Von dieſem Schmetterling konnte man allerhand Toll⸗ heiten gewärtigen. Und eine Tochter im Hauſe, die ihren Ruf verloren, paßte ihr nicht. Alſo — fort mit ihr in die Ehe. Bei Chriſta waren leichtſinnige Streiche unwahrſcheinlich. Dieſes Mädchen aber mit ihren kritiſchen Mienen, ihrer ablehnenden Haltung genierte ſie. Alſo — fort mit ihr in die Ehe. 5 Der Juſtizrat Gotthold Ruland hatte die Ein⸗ nahme eines Millionärs. Er erſparte aber kein nennenswertes Vermögen. Der Bedarf im Haus⸗ halt war enorm. Er dachte nicht daran, ſich irgend einen Genuß — und nur die ausgewählteſten Dinge bereiteten ihm Genuß — zu verſagen. Aber auch Frau Harriet legte keinen Wert auf ein großes Erbe für die Kinder. Sie glaubte das Schickſal dieſer Kinder in der Hand zu haben. Ihre Herrſchaft über ſie hielt ſie für unfehlbar, ihre berechnende Klugheit auch. Ihr Schickſal ſollte eine glänzende Heirat ſein, eine Partie um jeden Preis. Die für Chriſta ſo unliebſame Unterhaltung wurde durch den Diener unterbrochen, der Frau Felix Thalheim meldete. Die Dame, die Gattin eines ſteinreichen Bankinhabers, wurde von der Hausfrau mit ausbündiger Liebenswürdigkeit empfangen. Litt Frau Harriet darunter, daß ſie noch nicht Geheimrätin war, ſo wartete Frau Adelheid Thal⸗ heim noch viel ungeduldiger auf die einfache Rätin. Geradezu unwahrſcheinlich, daß Felix, ihr Gatte, der doch einen förmlichen Wohlthätigkeitsſport trieb, es noch nicht einmal zum Kommerzienrat gebracht. Die arme Betrogene ahnte nicht, daß dieſer Felix hinter ihrem Rücken den Titel ein für allemal abgelehnt hatte. Frau Thalheim war in ihrer äußeren Er⸗ ſcheinung ſo ultramodern wie die Hausfrau, nur ihre Haltung war ſteifer. Sie vertrat einen Typus, der zwar noch exiſtiert, aber ſchon im Ausſterben begriffen iſt: Die Naturtoilettendame. Sie ging ohne Reſt in ihren Kleidern auf. Wie man von einem Reiſenden erzählt, der die ganze Erde nur auf Schlachtfelder abſuchte, ſo ſpürte ſie in allem, was ſie ſah, Toilettenmotiven nach. Im Zoologiſchen Garten lernte ſie an den Papageien Farbeneffekte. Theater, Gemäldegallerien waren für ſie nur Aus⸗ ſtellungen von Kleiderfacons. Der Anblick einer Schneelandſchaft im Abendſonnenſchein reifte in ihr den Plan zu einem ſchneeweißen Koſtüm mit rötlich goldenem Beſatz. Sie gehörte zu den Leuten, die ſich an Menſchen 6 und Dinge nur leicht anleben, die leben und ſterben, ohne ſich je auf ſich ſelbſt beſonnen zu haben. Sie fühlte ſich aber dabei ſchön zufrieden, und amüſierte ſich, ſoweit es ihre Toilette nicht derangierte. Ihr Ruf war makellos. Man ſagte ihr mit Recht eine Idioſynkraſie gegen Hüte der vorigen Saiſon nach, und da ihr Gatte durchaus verlangte ſo ſagte ſie — daß ſie zu jedem Koſtüm einen paſſenden Hut trage, mußte ſie enorm viel Hüte an⸗ ſchaffen, was ja inſofern ein Segen war, als ſie mit ihren abgelegten Hüten verſchiedenen armen Verwandten unter die Arme greifen konnte. Chriſta bereitete den Thee mit einer Langſam⸗ keit, die ihre Mutter ungeduldig machte. In der⸗ ſelben langſamen Weiſe reichte ſie dann den Thec. Es lag etwas Mechaniſches in ihren Bewegungen, doch waren ſie von einer ernſten Anmut, wie wenn eine Prinzeſſin Dienſte leiſtet, für die ſie nicht ge⸗ ſchaffen iſt. Als Frau Adelheid ihr die Taſſe ab⸗ nahm, bemerkte ſie verwundert das excentriſche Koſtüm des jungen Mädchens. Chriſta trug ein Kleid von roſarötlichem Sammet, eine Farbe von ſüßer, weicher Milde, die wie eine Liebkoſung be⸗ rührte. Eine prangende, orientaliſche Stickerei faßte den runden Ausſchnitt und die langen, bis auf die Mitte der Hand reichenden Aermel ein. Aus dieſer leuchtenden bunten Stickerei ſtieg blumenhaft der ſchlanke, etwas zu lange Hals, auf dem wie auf 7 einem zarten Stiel das kleine feine Köpfchen zu ſchwanken ſchien. Frau Adelheid fand, ſie ſähe wie eine Märchen⸗ prinzeſſin aus. Ob ſie Abends in Geſellſchaft oder in die Oper ginge? „Nein.“ — „Sie müſſen wiſſen, nahm Frau Harriet das Wort, „das iſt Chriſtas Hauskleid. Sie trägt es alle Tage, geht ſie aber in Geſellſchaft, ſo zieht ſie ſich möglichſt langweilig und konventionell an, das Kleid bis ans Kinn geſchloſſen. Sie kann es garnicht geſchloſſen genug kriegen, das ſcheint de rigueur, wenn man originell ſein will. Als Kind ſchon wollte ſie Sonntags, wenn ſie ſchön ge⸗ putzt war, mit der Kinderfrau nicht auf die Straße gehen, ſie ſchäme ſich ſo vor den Leuten.“ Chriſta ſchwieg. Frau Adelheid hatte Takt ge⸗ nug, von dem Thema abzulenken, indem ſie die Schneiderinnenfrage anſchnitt, wobei ſich heraus⸗ ſtellte, daß ſie endlich die Silbermeier, ihre bisherige Schneiderin, abgeſchafft habe; die wollte nämlich nicht mehr zum Anprobieren kommen, weil ihr die Thalheimſchen zwei Treppen zu hoch waren, und da die berühmte Silbermeier ihre drei Treppen nicht abſchaffen wollte, verzichtete Frau Adelheid auf die Silbermeier, wozu ſie eigentlich verpflichtet war, um Felix willen, der ihr nur noch Pariſer Toiletten er⸗ lauben wollte. Frau Harriet fand es unpatriotiſch, das Geld ins Ausland zu tragen. O, ſie wäre nicht für Lokalpatriotismus. Es 8 ſei ihr ein Bedürfnis, zwiſchen den Nationalitäten verſöhnend zu wirken. „Und ſind doch Antiſemiten? „Aber nur aus Ueberzeugung,“ beteuerte ſie. Nachdem die Toilettenfrage von der Dame, die noch nicht Rätin war, hinreichend ventiliert worden, brachte die Dame, die noch nicht Geheimrätin war, die Litteratur — ihre eigenſte Domaine — auf's Tapet, wobei ſich herausſtellte, daß Frau Adelheid ſich auf dieſem Gebiete naivſter Unkultur erfreute. Da Bücher keine Hüte waren, gehörte es nicht zu ihren Gepflogenheiten, ſie zu kaufen. Sie erkundigte ſich in der Leihbibliothek immer nach den Romanen, die am meiſten geleſen wurden, und die las ſie. Frau Harriet benutzte die Gelegenheit, um ihren litterariſch geſchulten Geiſt leuchten zu laſſen, wurde aber verſtimmt, als ſie ein paarmal dem Blick Chriſtas begegnete, der, wie ſie meinte, mit malitiöſem Ausdruck auf ihr ruhte. Unausſtehlich, daß dieſes Mädchen dieſelben Journale las wie ſie. Zwar verſteckte ſie ſie in der Regel, vergaß es aber auch oft. Von einer beleſenen Tochter immer be⸗ lauert zu werden, — mein Gott, man iſt doch keine Spinne, die immer alles aus ſich ſelber heraus arbeitet. Frau Adelheid, die höflicherweiſe das ſchweig⸗ ſame junge Mädchen ins Geſpräch ziehen wollte, fragte nach dem Stand ihrer Studien. „Ich beſuche die Gymnaſialkurſe nicht mehr. Mama will, daß ich zum Diner zu Hauſe bin. Sie 9 mag nicht, daß man mir nachſerviert. Sie hält das für eine Untergrabung des Familienlebens. Spott. Sie ſagte das gleichmütig, ohne Anſtrich von „Habe ich nicht recht?“ verteidigte ſich Frau Harriet, „ja, wenn die Kurſe in den Vormittag fielen, aber Nachmittags von 4—7 Uhr. Und um G iſt unſere Dinerſtunde. Zu der Zeit kann ich auch weder die Jungfer, noch den Diener entbehren, die ſie doch hinbringen und abholen müßten.“ „Da natürlich ein einundzwanzigjähriges Mäd⸗ chen nicht allein über die Straße gehen kann,“ ſagte Chriſta mit demſelben kalten Gleichmut. „Nein, das kann ſie nicht, wenn ſie das Glück hat, zu den oberen Zehntauſend zu gehören. Die Thür wurde aufgeriſſen, und wie vom Wind hereingeweht, erſchien eine nicht mehr ganz junge, un⸗ gemein intereſſant ausſehende Dame, die von der Hausfrau gönnerhaft und obenhin begrüßt wurde: die Malerin Anſelma Sartorius. Anſelma Sartorius war vorläufig noch nicht berühmt, Geld hatte ſie keins. Frau Harriet hatte ihr kürzlich notgedrungen ein Bildchen abgekauft — für ein Hinterzimmer natürlich. Unberühmter Leute Bilder waren nicht für den Salon, ſelbſt wenn dieſe Bilder Kunſtwert gehabt hätten. Uebrigens hatten Anſelmas Bilder noch keinen Kunſtwert. Als ſie ſich Frau Harriet näherte, lag in ihrem Gang etwas von der geſchmeidigen, ſich ſchlängeln⸗ den Vorwärtsbewegung junger Tiger. Sie hatte 10 große, glühende Augen. Atlasglatte, ſchwarze Scheitel rahmten ihr ganz weißes Geſicht ein. Unter ihren Bekannten hieß ſie „der Vampyr“. Anne Marie war der Meinung, Anſelma dichte ſich einen Dämon an, und ſpiele mit dieſem imagi⸗ nären Kobold wie ein Kind mit der Puppe. Chriſta aber glaubte an Anſelmas Dämon und lauſchte mit intenſivem Intereſſe ihren Seelenentblößungen. Die Malerin lebte wie in einem feurigen Dunſt, flatterte, haſchte, ahnte, glühte, durſtete und brütete auf einſamen Spaziergängen über ſüperben Plänen. Die belebteſten Straßen Berlins, wo es raſſelte, brauſte und wie in einem Hexenkeſſel um ſie her brodelte und brandete, das war für ſie die rechte, die tiefſte Einſamkeit. Da ſchritt ſie hindurch, wie Orpheus durch die Unterwelt, die Harfe im Arm, dithyrambiſche Akkorde auffangend, Entwürfe kon⸗ cipierend. Sie malt einen Todesengel durch Wolken brauſend, die mächtigen ſchwarzen Flügel vom letz⸗ ten Sonnenſtrahl angeglüht, aus den Augäpfeln weiße Blitze ſprühend. Sie malt ein üppiges Gaſt⸗ mahl: Nero in einer ſäulengetragenen marmornen Halle, Roſen fallen von der Decke, purpurne Ge⸗ wvänder, funkelnde Weine in rubinfarbenen Kelchgläſern — Schönheit, Rauſch. Auf der Schwelle zum Saal ſteht ein Geſpenſt, verhüllt in ein ſchleppendes, weißes Gewand. Unter der Kapuze ein furchtbares Geſicht, die Augen zinnoberrot: Die Peſt. Oder ſie malt eine Judith in den Armen des Holofernes, wie 11 ſie den Kopf mit dem Ausdruck einer begeiſterten Prieſterin emporwirft, den Kopf, der von dem Leibe nichts weiß. Das heißt, ſie malte das alles in Gedanken, in Wirklichkeit brachte ſie es nur zu flüchtigen Skizzen. Die Ausführung wurde ihr ſchwer, es fehlte ihr an Technik. Ihre Schulung war eine dürftige und dilettantiſche geweſen. Die Akademie war jungen Mädchen nicht zugänglich, die Ateliers der erſten und vornehmſten Maler waren der mittelloſen Malerin zu teuer. Sie hatte im Gewerbemuſeum nach Gyps gezeichnet und hier und da dieſes oder jenes Atelier beſucht. In einem dieſer Ateliers hatte ſie Chriſta kennen gelernt. „Sie müſſen eine phantaſiereiche Schneiderin haben,“ bemerkte nach der erſten Begrüßung Frau Adelheid mit einem Blick auf das lockere, halb grie⸗ chiſche Gewand, das die Malerin trug. „Darf man ihren Namen wiſſen? Anſelma lachte. „Ich und eine Schneiderin! ich bin meine eigene Schneiderin und behelfe mich meiſtenteils mit Stecknadeln. Dieſes mein Gewand iſt aus einem alten Cachemirſhawl meiner Groß⸗ mutter zuſammengeneſtelt.“ Wie üblich, fragte man auch alsbald, was Anſelma unter dem Pinſel habe. Sie legte den Finger an die Lippen: „Ein Geheimnis. Frau Adelheid hielt es für notwendig, ihre warnende Stimme zu erheben: Fräulein Sartorius möchte ſich um Gottes Willen nicht einer der neuſten 12 Richtungen zuwenden, wo man vor den Bildern immer nicht weiß, ob man lachen oder ſich ärgern ſolle. Da habe ſie neulich in einem Kunſtſalon ganz verrücktes Zeug geſehen, von einem Holländer — Toroop hieße der malende Herr. „Ja, ganz verrückt,“ bekräftigte Frau Harriet, „dieſerlächerliche Linienapoſtelmit ſeinen ſymboliſchen Skeletten und tollgewordenen Strichen, die ſich in grotesken Totentänzen verrenken.“ Auf dem Bilde Sphinx z. B., da kribbele und krabbele es von reihen⸗ wveis liegenden oder hockenden Geſchöpfen, eine ganz neu erfundene Sorte von Geſchöpfen, eine Art her⸗ untergekommenener Mumien; und alle ſähen unter ihren gelblichen Kapuzen wie Kürbisköpfe aus, in die man ein paar Linien gezeichnet, die Geſichter be⸗ deuten ſollen. „Ich teile Ihre Anſicht nicht, gnädige Frau, ſagte Anſelma. „Mich packen dieſe Bilder mit ihrer ſtiliſierten Erhabenheit, wie tragiſche Chorgeſänge. Gerade auf dem Bilde „Sphinx“. Alle dieſe un⸗ zähligen völlig gleichen Arme und Hände, die alle mit den gleichen abwinkenden rhythmiſchen Gebärden ſich gegen die Sphinx emporrecken, wirken wie lang⸗ gezogene Weherufe, die in unendlichen Echos wieder⸗ hallen, Traumbilder eben Geſtorbener, deren Hirn noch nicht erkaltet iſt. Ein Losreißen vom Irdiſchen in ſchmerzlich brünſtiger, myſtiſcher Frommheit. Chriſta nickte Anſelma zu. „Ja, das finde ich auch. Stilles Grauen ſchleicht einem bei dieſen 13 Geiſter⸗Hallucinationen durch die Seele. Ein Rauſch der Aſkeſe ſind ſie. iſt immer anti, ſelbſt wo es ſich um grimaſſierende „Natürlich,“ ſpöttelte Frau Harriet. „Chriſta Kürbisköpfe handelt.“ „Fräulein Julia König wünſche das gnädige Fräulein zu ſprechen,“ meldete der Diener. Julia, eine Studienfreundin von Chriſta, war in Ungnade bei Frau Harriet und wurde, als nicht fein genug, von ihr im Salon nicht empfangen. Anſelma ſprang auf: das träfe ſich gut. Sie habe etwas mit Fräulein König zu bereden. Das junge, und das nicht mehr ganz junge Mädchen verließen den Salon. Frau Adelheid ſah ihnen mit einem leichten Kopfſchütteln nach, einem ſehr leichten, ein ſtärkeres hätte ihre Friſur derangieren können. Ihr Ton war etwas hoch, als ſie ſagte: „Ihre Tochter, liebe Freundin, entwickelt ſich ja — ſie ſuchte nach einem Wort — recht intereſſant. „Gott ja doch,“ war die mißlaunige Antwort, „aber es iſt noch nicht aller Tage Abend. Ich habe noch immer erreicht, was ich wollte. Eigentlich be⸗ greife ich nicht, wie ich zu dieſer Tochter komme. Vielleicht,“ meinte ſie nachdenklich, „mein Mann hat in der Jugend gedichtet, und meine eigene Mutter 14 zeichnete Köpfe nach Gyps; eben als ſie zur Oelfarbe übergehen wollte, heiratete ſie. Gräßlich, wie man ſeit Ibſens Geſpenſtern pietätloſerweiſe immer ſeine Eltern kontrolliert." „Es iſt Ihnen doch ſo gut gelungen, Anne Marie zu einer vollendeten jungen Weltdame zu erziehen. „Ja, Anne Marie!“ Frau Harriets Augen leuch⸗ teten auf. „Da war ein guter Fonds vorhanden. Ich brauchte nur herauszulocken, was in ihr ſteckte. Aber Chriſta! ich denke noch immer mit Schrecken an ihr erſtes Geſellſchaftsdebüt. Da war ein Baron von außerhalb, den wir eingeladen hatten, ein ſchüch⸗ ternes, ganz junges Bürſchchen, ganz fremd in un⸗ ſerem Kreis. Er drückte ſich in den Ecken herum, Chriſta ſollte ſich ſeiner annehmen. Sie wollte nicht. Sie wiſſe nichts mit ihm zu reden. So ganz obenhin ſage ich: Fange damit an, ihn zu fragen, wie ihm Berlin gefällt. Was thut Chriſta? Sie marſchiert ſtramm auf ihn los, pflanzt ſich gerade vor ihm auf, donnert ihn an: „wie gefällt Ihnen Berlin?“ und — ſchwenkt wieder ab. Und dabei habe ſie es doch an mütterlichen Lehren und Ermahnungen, an Eifer, ihr Geſell⸗ ſchaftsroutine beizubringen, — inkluſive ganz dis⸗ kreter Andeutungen wie ſie — in feinſter Weiſe natür⸗ lich — kokettieren dürfe — in keiner Weiſe fehlen laſſen. Eine anmutige Haltung, Munterkeit, Liebens⸗ würdigkeit, wie eine Konverſation zu führen, ein zierliches, elegantes Briefchen zu ſchreiben ſei, (letz⸗ teres halte ſie für einen Hauptpunkt in der Töchter⸗ 15 erziehung), für alles das habe ſie verſucht, das ſtörriſche Mädchen — — los ein. „Abzurichten!“ ſchaltete Frau Adelheit takt⸗ Förmliche Geſellſchaftsproben habe ſie mit ihr abgehalten. Bei Tiſch und auf Spaziergängen ſei ab⸗ wechſelnd franzöſiſch und engliſch geſprochen worden. Und was das Mädchen gekoſtet! Die Grazieſtunde, jede Woche einmal eine kunſtgeübte Haarwäſcherin und eine Maniküre, warme Bäder mit Eſſenzen ſelbſtverſtändlich u.ſ.w. „Sagen Sie ſelbſt,“ ſchloß ſie das Eigenlob ihrer Erziehungskunſt, „kann die vorſorglichſte Mutter mehr für ihre Tochter thun? Mit aufrichtiger Bewunderung ſagte die Dame, die noch nicht Rätin war: „Nein!“ Ob vielleicht das junge Mädchen in der Wahl ihres Umganges nicht vorſichtig wäre? z. B. dieſes Fräulein Sartorius mit ihrem komiſchen Putz... Frau Harriet verteidigte die Malerin. Wenn Frauen kein Geld hätten, dann zögen ſie ſich eben maleriſch an. Frau Adelheid begriff umſoweniger Chriſtas Sonderbarkeiten, da ſie doch für ungewöhnlich klug gelte. Man ſage allgemein, ſie habe den Geiſt des Vaters geerbt. Es beleidigte Frau Harriet, daß die Tochter nur den Geiſt vom Vater geerbt haben ſollte, und ſie ſagte etwas ſpitz: „Wenigſtens hat ſie meines Mannes Eigenſchaft, allen Leuten die Wahrheit zu ſagen, das heißt Unangenehmes, welches letztere ſich ja aller⸗ 16 dings meiſtens mit der Wahrheit deckt.“ Ihr Mann habe Chriſta den Beinamen „Madame Abſeits“ ge⸗ geben, weil ſie immer anders wollte, als alle Andern, immer, wie er ſich ausdrückte — anti — ſei. Ein neuer Beſuch, der gemeldet wurde, unter⸗ brach die Unterhaltung. 17 Daß Gotthold Ruland auch Chriſtas Naſe „anti fand — abſeits von der Ruland'ſchen Familiennaſe, die ſich nichts heraus nahm — hatte Frau Harriet nicht erwähnt. Dieſe Naſe hätte nicht größer ſein dürfen; ſie ſprang etwas vor, fein und ſcharf ge⸗ ſchnitten, wie gemeißelt, an der Spitze etwas kantig, im Profil kaum merklich gebogen, die Naſenflügel leicht gebläht; förmlich eine dionyſiſch genußſüchtige Naſe, meinte der Vater. Zu dieſer geiſtreichen Naſe paßten die graugrünlichen Augen nicht recht, die unter tiefen, breiten Augendeckeln halb verſteckt, leicht einen träumeriſchen, wie nach innen horchenden Ausdruck annahmen. Zuweilen ſprach ſie mit geſchloſſenen Augen; ſchlug ſie ſie dann, auf irgend einen Anlaß hin, groß und voll auf, ſo war die Wirkung dieſer leuchtenden Sterne berückend. Wie Frau Harriet jetzt das erwachſene Mädchen nicht verſtand, ſo hatte ſie auch früher das Kind nicht verſtanden. In ihren Augen war Chriſta von jeher trotzig, impertinent und boshaft geweſen, ohne Sinn für Wohlanſtändigkeit und gute Sitte. Und ſie hatte Dohm, Chriſta Ruland. 2 ſich ſo viel Mühe gegeben, die Keuſchheit in der jungen Seele zu pflegen. Nie durfte das Brüderchen mit den Schweſtern, als ſie noch alle drei Babys waren, in einem Zimmer ſchlafen. Umſonſt. Eines Tages überraſchte ſie Chriſta, als ſie mit kleinen Jungen Pferd ſpielte. Die Jungen hatten ſich nackt ausziehen müſſen, weil Pferde keine Kleider trügen. Und die Unanſtändigkeit ſolcher Nacktheit hatte ſie nicht einmal begriffen. Zu Frau Harriets Erziehungsprizipien gehörte das Prügeln eigentlich nicht. Chriſtas Trotz aber ſchien ab und zu dieſe Strafart herauszufordern. Einmal war ſie wegen ihrer Unordentlichkeit ge⸗ ſcholten worden. „Aber Mama,“ ſagte das imperti⸗ nente Kind, „der Lehrer in der Schule hat doch geſagt, die Kinder erben alles, auch alle Fehler, von den Eltern, oder auch von den Großeltern. Warum ſchimpfſt Du mich denn ſo aus? Die Großmama wird ſich im Grabe umdrehen, weil Du mich wegen ihrer Unordnung ſo heruntermachſt.“ Darauf die Prügel. Das Kind vergoß keine Thräne und gab keinen Laut von ſich, ſie ſah die Mutter immer nur mit großen, drohenden Augen an, ſo daß — wie Frau Harriet ſich ſpäter ausdrückte — einem die Luſt zum Prügeln ganz verging. Und mit einem Male ſagte ſie zornſprühend: „Warum dürfen alte Leute ſo junge Kinder ſchlagen?“ Frau Harriet war empört. Sie alt! eine Frau von kaum 30 Jahren. 18 Es giebt Kinder, die immer Tragiſches erleben, das heißt, alltägliche Dinge verwandeln ſich für ſie in tragiſche Ereigniſſe. Ein Vögelchen, das aus dem Neſt gefallen und das ſie tot finden, ein gruſe⸗ liges Märchen, das ſie von einer wirklichen Begeben⸗ heit nicht unterſcheiden. Ein ſolches Kind war Chriſta, ein geſundes zwar, aber ein zart organi⸗ ſiertes, naiv und altbärtig zugleich, und über die Maßen ſenſibel. Sie begrüßte einmal eine Ver⸗ wandte, die den Kindern Bonbons mitzubringen pflegte, mit den Worten: „Guten Morgen, Frau Bonbon,“ ſchämte ſich aber ſogleich ſo ſehr ihrer niedrigen Gefräßigkeit, daß ſie in heftiges Weinen ausbrach. Ein anderes Mal hatte ſie ſich die Erlaubnis erquält, aus einem Automaten Chokolade zu ent⸗ nehmen. Sie dürfe aber die Chokolade nicht eſſen, ſagte ihr Fräulein, weil es ſchlechtes Zeug wäre, an dem die Kinder ſich den Magen verdürben; ſie ſolle ſie einem armen Kinde ſchenken. Dem erſten ärmlich gekleideten Kinde, das ihnen begegnete, gab Chriſta die Chokolade. An der Straßenecke aber blieb ſie ſtehen, und ehe ihr Fräu⸗ lein es hindern konnte, lief ſie zu dem Kinde zurück: es ſoll die Chokolade wieder hergeben. Das arme Kind hatte ſie ſchon aufgegeſſen. Chriſta konnte ſich garnicht beruhigen. Nun würde das arme Kind krank werden. Sie ſchlug auf ihr Fräulein los, die wäre ſchuld daran. Und aus der Küche holte ſie ein paar giftig grüne Aepfel, die zum Kochen beſtimmt waren, 2* 19 und fraß ſie mit der Schaale in ſich hinein. Nun gerade wollte ſie auch krank werden. An ihren Geburtstagen verſteckte ſie ſich. Sie hatte Furcht vor den Geſchenken, das heißt, die Ge⸗ ſchenke hatte ſie gern, aber den umſtändlichen Appa⸗ rat dabei, daß ſie ſo feierlich ins Zimmer gerufen wurde, alles bewundern, den Eltern um den Hals fallen. und ſich ſchön bedanken mußte. Sie war immer froh, wenn die Ceremonie vorüber war. Und erſt wenn ſie im Zimmer wieder allein war, hatte ſie die richtige, intenſive Kinderfreude an den Geſchenken. Ueberhaupt intereſſierten die Menſchen ſie nicht. Alles andere in der Natur war ihr befreundeter, vor allem die Tierwelt, wenigſtens ſo lange bis ihre Senſibilität dieſer Liebe ein Ziel ſetzte. Im Sommer in einem Seebad hatte ſie mit einer kleinen Freundin Marienwürmchen von den Blättern ab⸗ geſucht. Sie nannte ſie Mariechens. In einer Schach⸗ tel trug ſie ſie glückſelig nach Hauſe. Sie bohrte Löcher in die Schachtel, damit die Mariechens Luft bekämen, und alle halbe Stunde öffnete ſie die Schachtel, um zu ſehen, ob ſie noch lebten. Als ſie aber eines Tages bemerkte, wie ganze Haufen dieſer Tiere auf toten Fiſchen herumkrabbelten, und man ihr ſagte, daß ſie ſich davon nährten, warf ſie alle ihre Mariechens zum Fenſter hinaus. Eine Zeitlang hatte ſie auch den Ameiſen liebe⸗ voll nachgeſpürt, bis ſie dieſe munteren Tierchen auf großen Käfern und Regenwürmern als Maſſen⸗ mörder betraf, die ihre Opfer grauſam zu Tode 20 quälten. Selbſt die hübſchen kleinen Vögelchen fraßen ja lebendige Würmer. „Ich kann nicht leiden, was Andere auffrißt,“ ſagte ſie. Die Tierwelt war ihr verleidet, und ſie wandte ſich anderen Naturgebilden zu. Alles hielt ſie für lebendig, auch die unorganiſchen Dinge. Sie glaubte Anne Marie nicht, daß das Waſſer kein Leben hätte. Es lief doch und bewegte ſich, und es murmelte, und manchmal am Meer brüllte es ſogar. Seitdem ſie in der Märchenwelt heimiſch ge⸗ worden, wo es von Blumengeiſtern, von verzauber⸗ ten und erlöſten Dingen wimmelte, wollte ſie auch erlöſen. Sie blies bis zur Atemloſigkeit auf ein Eis⸗ ſtück. Das tote Waſſer, das da hineingezaubert war, wollte ſie wieder lebendig machen. „Warum machſt Du denn ſolchen Unſinn?“ fragte Anne Marie. „Ich mache mir Gedankenſpiele,“ ſagte ſie. Sie hatte geſehen, wie jemand auf einen Kieſel⸗ ſtein ſchlug, bis Funken daraus ſprühten. Aha, da in den Stein hinein war alſo Feuer gezaubert. Sie ſann, wie ſie den Zauber löſen könne. Ja, wenn ſie ſo ſtark wäre, wie der liebe Gott. Der bohrt ſich ein Loch in himmelhohe Felſen, und da kommen Flammen heraus, und die nennt man Vulkan. Wäre das Feuer tot, ſo könnte es doch nicht Andere ver⸗ brennen und das Eſſen gar kochen. Sie ſtarrte oft ſtundenlang in den Kamin, auf das Kniſtern und Praſſeln des Holzes lauſchend. Sie wvollte die Feuerſprache lernen. Jemand ſagte damals von ihr: „das iſt ja ein ganz verſeeltes Geſchöpfchen. 21 Ihre Kinderfrau und ſpäter ihre Fräuleins konnte ſie mit Fragen umbringen. Wie es im Para⸗ dieſe ausſähe, ob die Engel ſich auch Sonntags putz⸗ ten, und ob ihnen die Flügel angewachſen wären. Was denn aus den leeren Särgen würde, in denen die Geſtorbenen gelegen? „Aber ſie bleiben doch da⸗ rin,“ ſagte die Kinderfrau. „Aber nein, Kinderfrau, ſie werden doch Engel und kommen in den Himmel. Zum Weihnachtsfeſte bekamen die Kinder ge⸗ meinſchaftlich einen wundervollen Pfau geſchenkt, der lief zu ihrem Entzücken durch den ganzen langen Speiſeſaal. Als Chriſta aber einmal ſah, wie der Vater ihn in die Hand nahm, ihn umdrehte, und mit Geklirr eine Schraube in ſeinem Bauche aufzog, war der Zauber für ſie gebrochen. Sie bekam ſogar Angſt, in ihrem Leibe könnte auch eine ſolche Schraube ſein, und wenn ſie im Bett einſchlief, dann wäre eben die Schraube abgelaufen, und wenn nun der liebe Gott vergäße, ſie am nächſten Morgen wieder auf⸗ zuziehen, ſo wäre ſie gewiß tot. Ihre Neugierde erſtreckte ſich auch auf ihre eigene kleine Perſon. Sie mochte zehn Jahre alt ſein, als ſie, an einem ſtürmiſchen Tage, im Seebad einen Fiſcher bat, ſie in ſeinem Kahn mit aufs Waſſer zu nehmen. Ob ſie ſich ſehr ängſtigen würde, das wollte ſie erfahren. Und ſie ängſtigte ſich fürchterlich, fand aber nachher, daß die Angſt eigentlich wunderſchön geweſen war. Je älter Chriſta wurde, je mehr wuchs ihr grüb⸗ leriſcher Erkenntnisdrang, ihre Neigung, an Men⸗ 22 ſchen, Dingen, an ſich ſelbſt Kritik zu üben. Alles wollte ſie verſtehen, alles kennen lernen. Zum Ent⸗ ſetzen der Mutter beſtand ſie ſogar darauf, bei der Entbindung der Schweſter zugegen zu ſein, eine Un⸗ keuſchheit, die — nach Frau Harriets Anſicht — mit der Idee des Aktzeichnens ihren Höhepunkt er⸗ reichte. Chriſta hatte ihren Vater ſehr lieb, ihre Schweſter Anne Marie auch, aber ihre Mutter und ihren Bruder Dietrich, die hatte ſie nicht lieb. Der Vater war ihr ſehr intereſſant, die Mutter nicht im mindeſten. Sie wußte genau, was Mama bei dieſer oder jener Gelegenheit ſagen würde. Sie achtete auf den Wechſel in ihren Zügen, auf das, was ſie ſprach, wie ſie ſich bewegte, und ſie wunderte ſich über ihre erkünſtelte Lebhaftigkeit, wie glatt ihr die konventio⸗ nellen Lügen über die Zunge gingen und wie ſie ihre Gäſte, je nach dem Wert, den ſie ihnen beimaß, einfach oder ſplendid bewirtete. Fraut Harriet war eine typiſche Perſönlichkeit. Ihre Mutter hatte den foſſilen Einfall gehabt, ſie Henriette taufen zu laſſen, ein Name, der gelegentlich in Jette entartete. Sie korrigierte den mütterlichen Mißgriff, indem ſie die Henriette in Harriet um⸗ wvandelte, ebenſo wie ſie Chriſtine (nach der Mutter ihres Gatten ſo genannt) in Chriſta veredelte. Die Frau Juſtizrätin war ganz und gar ein 23 Kunſtprodukt: Selbſtmache, eine beſcheidene nur, denn ſie begnügte ſich, eine Kopie der Modelle zu ſein, die ſie bewunderte. Nüchternen, praktiſchen Sinnes, war ſie außer Stande, ſelbſt etwas zu er⸗ ſinnen, zu erfinden. Sie begeiſterte ſich immer nur für das Allermodernſte, gleichviel ob Hüte, Dichter, Komponiſten, Kleiderfagons. Wäre entſagende Tugend und Rindfleiſch Mode geworden, ſie hätte auch das mitgemacht. Sie trug Haartrachten, die ſie entſtellten, weil ſie Mode waren. Seitdem in der Modewelt das Croquetſpiel dem Lawn⸗Tennis ge⸗ wichen war, rührte ſie keine Croquetkugel mehr an. Sie war der Gegenſatz einer Unzeitgemäßen, allzu zeitgemäß. Sie galt für ſchön, war es auch, wenn ſie es ſein wollte. Gelegentlich, im Geheimen, wenn nie⸗ mand ſie ſah, konnte ſie auch häßlich ſein. Die In⸗ ſcenierung war bei ihr Hauptſache. Die Mithilfe der Naturbeſtand in reichem, dunkelblondem Haar, einem klaren Teint, lebhaften braunen Augen und feſten, weißen Zähnen. Sie ſah prachtvoll geſund aus. Ihre bedeutenden Charaktereigenſchaften: Ener⸗ gie, Temperament, Konſequenz, verſchwendete ſie an einen unbezähmbaren, kleinlichen Ehrgeiz. Um eine glänzende Rolle in der Geſellſchaft war es ihr zu thun. Ihr Salon, das war der Spiegel, der ihr den eigenen Wert zurückſtrahlte. Ihr Haus ſollte der Mittelpunkt einer erleſenen Geſellſchaft ſein, ſie wollte einen Salon à la Rambouillet, oder wenigſtens à la Rahel Varnhagen. Sie kaufte Bilder von be⸗ 24 rühmten Malern, nicht um der Bilder, ſondern um der Künſtler willen, die ihren Salon ſchmücken ſoll⸗ ten. Geniale junge Dichter durften ihre Erſtlings⸗ werke in ihrem Salon vorleſen; nicht ſelten ver⸗ ließen ſie ihn mit Größenwahn geimpft. Sie ver⸗ lor ihre Ziele nie aus den Augen, arbeitete ihre Pläne bis ins kleinſte Detail aus, nichts war ihr Nebenſache, und ſie erreichte faſt immer, was ſie er⸗ reichen wollte. Ihre Ehe war in den erſten Jahren kinderlos geweſen, trotz der jederzeit wohlausgerüſteten Kinder⸗ ſtube. Sie kriegte aber auch den renitenten Klapper⸗ ſtorch klein. Allmählich kamen die Kinder, in größe⸗ ren Zwiſchenräumen, ein Sohn und zwei Töchter, und nach einer zwölfjährigen Pauſe wurde der jetzt achtjährige Heinz geboren. Ihr Hauptziel aber, den Salon à la Ram⸗ bouillet, erreichte ſie nicht. Es fehlte ihr an Kritik und echtem Geiſt. Sie konnte Allzuſterbliche von Un⸗ ſterblichen nicht unterſcheiden. Die Allüren der Geni⸗ alität nahm ſie für die Genialität ſelbſt, eine Tages⸗ berühmtheit für einen Klaſſiker der Zukunft. Eine lanaweilige Excellenz war ihr des Titels wegen erobernswert. Chriſta ſah, daß ihre Mutter immer Komödie ſpielte. Und es kam ihr ſo ſonderbar, ſo unerklärlich vor, daß dieſe Frau ihre Mutter war. Sie grübelte darüber. Es konnte doch nicht wahr ſein, daß die Kinder die Eigenſchaften der Eltern erben. Sie fand in ſich nichts ihnen Verwandtes. Und Anne Marie 25 und ſie — was hatten ſie Gemeinſames? Es mußte da wohl noch etwas anderes geben, wovon ſelbſt die Allergelehrteſten nichts wiſſen. Und der Vater — ja — da war doch etwas ihr Verwandtes, ſie konnte es aber nicht definieren. Sie ſtudierte ihn förmlich, geizte nach ſeinem Lob. Sie genoß ſeinen Geiſt wie eine Delikateſſe. Freilich kam ſie allmählich auch hinter ſeine Schwächen. Sie er⸗ kannte den ſtarken Dualismus ſeiner Natur. Gotthold Ruland ſchämte ſich eigentlich — trotz Leſſing — ſeines Vornamens, er hätte gern ſeinen zweiten Namen, Fritz, an die Stelle des Rufnamens geſetzt; ein heimlicher Aberglaube hielt ihn davon zurück, ſo, als könnte ihm Gott dann nicht mehr hold ſein. Er hatte Geiſt und Witz, viel Geiſt. Er war ein vollendeter Skeptiker, mit kleinen Intermezzos rückläufiger Sentimentalitäten. Er konnte Aeuße⸗ rungen thun, die cyniſch klangen, obwohl er aller⸗ wegen für eine Moral eintrat, die mitunter an die rigoroſen Beſtimmungen der Lex Heinze ſtreifte. Er handelte aber auch danach — meiſtens wenigſtens. Als junger Mann hatte er ſozialiſtiſche Geſin⸗ nungen und künſtleriſche Neigungen gehegt, und da⸗ bei einen brennenden Ehrgeiz, in die Höhe zu kom⸗ men, in die höchſte Höhe. Allmählich aber erlahmte ſeine Flugkraft, und er bequemte ſich zu einem Auf⸗ ſtieg auf breiter, ebener Chauſſee, und je weiter er es in ſeiner Carriere brachte, je mehr dachte er ſich 26 ſeine früheren radikalen Anſichten ab. Er wurde mit der Zeit ganz konſervativ, indem er ſich unbe⸗ wußt der Denkweiſe ſeiner Klientel, die hauptſächlich aus der Ariſtokratie beſtand, anpaßte. Er wollte vergeſſen, was er früher gedacht und geplant, und allmählich vergaß er es wirklich, mit der ganzen Hin⸗ gebung des Renegaten. Einen inneren Widerſpruch ließ er nicht auf⸗ kommen, obwohl er zuviel Geiſt hatte, um ſich nicht ab und zu zu ertappen. Ein feiner Lebenskünſtler war er, der ſein Gewiſſen in der Gewalt hatte und nie verlegen war, für ſein Denken und Handeln ethiſche Motivierungen zu entdecken. Und beläſtigte ihn doch einmal eine innere Stimme, er hatte immer ein Schweigegeld bereit, das von ſeinem berechnen⸗ den Verſtand beſtritten wurde. Er war ſein eigener, ſehr geſchickter Anwalt. Als Rechtsanwalt hatte er gelernt und lernen müſſen, auch eine ſchlechte Sache mit ſcharfen Verſtandesmitteln zu verteidigen. Das kam dem Lebenskünſtler zu gut. Sein flacherer Geiſt bekämpfte unausgeſetzt den tieferen, bis der letztere unterlag und es nur noch ab und zu aus der Tiefe emporklang wie von verſunkenen Glocken. Er ſchliff fortwährend an den ſcharfen Ecken ſeines Verſtandes, damit ſie ihn nicht ſelbſt verletzten, hielt ſich aber dadurch ſchadlos, daß er die Neben⸗ menſchen, ſoweit ihn ſein berechnender Verſtand nicht warnte, mit der ganzen Wucht ſeiner Geiſteswaffen anfiel, und zuckten die Getroffenen ſchmerzhaft zu⸗ ſammen, ſo war ihm der Anblick der Verletzten un⸗ 27 behaglich. Entweder ſorgte er ſofort für ein Pflaſter, oder er kehrte ihnen den Rücken. Wie Cäſar keine hageren Leute, ſo wollte er keine Unglücklichen und Elenden um ſich ſehen. Er be⸗ merkte einmal wie ein armer alter Mann auf der Straße ein Stückchen Brot aus dem Straßenſchmutz nahm und es gierig aß. In wütender Rede ereiferte er ſich gegen den Schmierfinken, beſchleunigte aber unwillkürlich ſeine Schritte, und als er den „Schmier⸗ finken“ an der Straßenecke einholte, drückte er ihm ein Fünfmarkſtück in die Hand. Wer ihm imponierte, gewann ſchnell Einfluß auf ihn, es imponierten ihm aber nur Leute, die den Erfolg auf ihrer Seite, die der Welt Anerkennung abgezwungen hatten. Ein Genie ohne Erfolg hätte ihn kalt gelaſſen, obwohl er befähigt geweſen wäre, es zu erkennen. Er war ein Weltgläubiger. Intereſſante Vorkommniſſe gab es für ihn nur in den Kreiſen, die er für maßgebende hielt. Er hatte ein eigentümliches, unſchönes, ſich überhebendes Lächeln, wenn man in ſeiner Gegenwart von den An⸗ gelegenheiten oder Schickſalen von Leuten ſprach, die für ihn sans conséquence waren, ein Lächeln, das ſagen ſollte: wie kommt Ihr dazu, mich von Hinz und Kunz zu unterhalten. Hinz und Kunz exiſtieren für mich nicht. Er war willensſtark innerhalb des Gebietes, wo er ſeiner Macht ſicher war, oder wenn es galt, Un⸗ annehmlichkeiten oder läſtige Anſprüche von ſich fern zu halten. Seine Kraft erlahmte aber an jedem 28 energiſchen Widerſtand, teils weil er trotz ſeiner tyranniſchen Ader von Hauſe aus garnicht willens⸗ kräftig war, teils weil ihm die Sicherheit der eigenen Meinung fehlte. Er hatte ein heimliches Mißtrauen gegen ſich ſelbſt. Karge Mittel im elterlichen Hauſe hatten ihm keine Muße für andere als die notwendigen Fach⸗ ſtudien gelaſſen. Als Student hatte er durch Privat⸗ ſtunden ſeine Exiſtenz beſtreiten müſſen. Und er em⸗ pfand den Mangel einer breiten wiſſenſchaftlichen Ausbildung peinlich. Zwar war er, wie ſeine Gattin, ein Anbeter des Erfolges, er war ehrgeizig und eitel wie ſie, bei ihm aber galt alles ſeiner Perſon. Harriet kämpfte wie eine Löwin für den Ruhm ihres Salons, er war bei ihr Selbſtzweck. Hatte ſie eine er⸗ lauchte Perſönlichkeit — auf welchem Gebiet immer — für ihren Salon eingeheimſt, ſo ſtrahlte ſie in Be⸗ friedigung, mochte die Erlauchtheit ſich auch gar nicht um ſie kümmern, mochte ſie ihr unſympatiſch ſein. Gotthold Ruland kam es immer nur auf den Genuß an, den er perſönlich von einer Sache hatte, ihr auf den Schein für Andere. Sie machte ſich z. B. nicht viel aus Luxus. Roter Plüſch und Oeldruck⸗ bilder hätten es auch gethan. Ausgewählte Speiſen ſchmeichelten ihrem Gaumen nicht, ſie hatte ſogar eine ausgeſprochene Neigung für Hausmannskoſt und genierte ſich nur vor der perfekten Köchin, dieſer Vorliebe freien Lauf zu laſſen. Sie brauchte das Auserleſene für ihre Geſellſchaften, ihr Gatte brauchte es für ſich. 29 Sie glaubte in ihrer Beſchränktheit blindlings an ſich, traute ſich alles zu und erinnerte ſich nie, woher ſie ihren Geiſt, ihre Urteile und Anſichten be⸗ zog. Er hatte Stunden von feinſter, peinlichſter Selbſtkenntnis. Uebrigens imponierte ihm ſeine Gattin in ihrer Tüchtigkeit und Energie. Er nannte ſie öfter im Scherz „Lady Macbeth“. Frau Harriet hatte für die Geiſtreichigkeit ihres Mannes nicht viel übrig. Anne Marie auch nicht, trotzdem ſie dem Vater geiſtesverwandter war als Chriſta. Sie hatte ſeine Selbſtſucht, ſeinen ſkeptiſchen Eſprit, nur mit mehr Grazie und — Falſchheit. Sie war eine geiſtige Tänzerin, während ſeinem mit Reflexionen belaſteten Geiſt ein gut Teil Erden⸗ ſchwere anhaftete. Wenn ſie vom Vater ſprach, ſagte Anne Marie immer: „der Epikuräer“. Gelegentlich machte ſie ſich ſogar über ihn luſtig, z. B. als er verlangte, daß man am Bußtag ernſten Betrach⸗ tungen nachhängen oder am Todtenſonntag auf den Kirchhof gehen ſollte. Sie ſchlug die Hände über den „Kopf zuſammen: „Kinder, Kinder! was ſoll das werden! Sogar für den lieben Gott hat Papachen neuerdings etwas übrig.“ Dietrich fand, der Vater hätte recht; was ihn beträfe, er würde am Sonntag auf den Kirchhof gehen, (hinterher ging er heimlich doch nicht hin und er würde am Bußtag . . . und überhaupt ... Er machte eine geringſchätzig abwehrende Bewegung, 30 als wäre, was er noch zu ſagen hätte, doch zu hoch für weibliche Faſſungskraft. Dietrich war ganz der Sohn ſeiner Mutter. Ohne weiße Schuhe Lawn⸗Tennis zu ſpielen, wärc ihm ebenſo unmöglich geweſen, als im Ueberrock zu erſcheinen, wo der smoking am Platz war, und daß jemand zu Auſtern Rotwein trinken könne, hielt er für Banauſentum. Anne Marie zog ihn am Ohr: „Brüderlein fein, Brüderlein fein, wie heißt doch der Vers in Eurem Kommersbuch? „Ob ich auch Collegien ſchwänze, fehlt ich im Kommershaus nie. Brüder, ehrt das Burſchenleben — Brüder, 's iſt ſo eng begrenzt. Da⸗ rum laßt die Lehr Euch geben: Pauket wacker, ſauft und ſchwänzt.“ Dietrich zog den Mund in die Breite, ziſchte durch die Zähne: „Mädels!“ und wütend ſchoß er zur Thür hinaus. „Himmelsſtürmer! Titane!“ ſpottete Anne Marie ihm nach. „Und ſo'n Brüderchen ſtudiert nun Kunſtgeſchichte. Warum? wahrſcheinlich als Vor⸗ wand um — natürlich in Luxuszügen — Kunſtreiſen zu unternehmen und Italien, Griechenland und Um⸗ gegend durch ſein elegantes Reiſekoſtüm und ſeine Codexigkeit aufzuregen.“ Chriſta fand, daß Dietrich eigentlich typiſch ſei für die modernen Jünglinge, die ja meiſtens Streber oder Sportsmen wären. „Weißt Du, Anne Marie, es intereſſiert Dich zwar nicht, aber — es iſt ſo: Wir Mädchen treten jetzt die Erbſchaft der Jünglinge von ehemals an. 31 Wir ſind jetzt die ideale Jugend, wir der Früh⸗ ling. . . . ." auf. Es kommt ja doch immer ganz anders.“ „Titanidchen, Dummchen! rege Dich nur nicht „Das haſt Du vom Vater, immer Aſche aufs Feuer. . ..“ „Damit kein Schaden geſchieht,“ lachte Anne Marie. Gotthold Ruland liebte ſeine jüngere Tochter mehr als die ältere, vielleicht weil er in ihr den feurigen Elan ſeiner Jugendjahre wieder erlebte, das fliegende Hinaufverlangen zu irgend welchen Idealen, die er jetzt freilich als Seelenentgleiſungen verſpot⸗ tete. So oft aber dieſe Töne angeſchlagen wurden, immer klang eine Harfenſaite in ihm mit. Schon einige Jahre vor ihrer Einſegnung ſtand eins bei Chriſta feſt: ſie wollte etwas werden, etwas Bedeutendes. Faſt alle ihre Mitſchülerinnen wollten auch etwas werden. Es lag in der Zeitſtrömung. In ihrem 14. Jahre hatte ſie mit begeiſterter Anteil⸗ nahme ein paar klaſſiſche Stücke im Theater geſehen und ſich ganz mit der Vorſtellung durchdrungen, daß die Bretter nicht nur die Welt, ſondern alles Glück und allen Ruhm bedeuteten. Ein Gedichtchen, das ſie verfaßt, trug ſie dem Vater zu ſeinem Geburtstag mit feierlichem Pathos vor. Er lobte Vortrag und Dichtung. Sie dürfe ſich eine Gnade ausbitten. Umgehend forderte ſie ſeinen Segen für ihre Theaterlaufbahn. Der Vater lachte. 32 Anne Marie habe ja ſogar Tänzerin werden wollen. Derſelbe Thatendrang, nur eine andere Couleur. Hie Tanzbein! hie Seelentänze! Sie wollte ſchmollen. Uebrigens — er habe garnichts dagegen. Es brauche doch aber nicht gleich heute zu ſein. Vor⸗ läufig bei der ſchönen Winterzeit ſolle ſie ihren mimiſchen Furor auf dem Eiſe entladen. Er ſchenkte ihr zu dieſem Zweck ein Paar der teuerſten und modernſten Schlittſchuhe. Vom Theater war nicht mehr die Rede. Als Chriſta mit Anſelma in ihr Zimmer trat, lag Fräulein Julia König auf dem Teppich, unter dem Kopf ein orientaliſches Kiſſen. Sie ſah dunkel⸗ rot aus und rollte die Augen, halb in Poſe, halb in wvirklichem Zorn. Chriſta ging ſchnell auf ſie zu: „Wie ſiehſt Du denn aus? was iſt geſchehen?" Julias Naſenflügel blähten ſich, ſie knirſchte: „Die Gymnaſialkurſe — ich muß ſie aufgeben, wie Du. „Auch wegen der Familiendiners? „Spotte nur noch. Nein, blos darum, eben da⸗ rum, Mamachen will es. Ich ſoll nach Hauſe kommen. Was ſoll ich denn ſo früh in Dresden? Julia war kaum mittelgroß, weich von Gliedern, Dohm, Chriſta Ruland. 3 33 knochenlos. Die blauen, ein wenig hervorquellenden Augen blickten herausfordernd, begehrlich, zupackend. Immer löſte ſich ein Gerieſel von Locken aus ihren Flechten, und ſie liebte es, mit ihren kleinen, vollen Händen in ihrer blonden Mähne zu wühlen. Den Mund hielt ſie meiſt halb geöffnet. Und dieſe durſti⸗ gen Lippen mit den leicht vorgeſchobenen weißen Zähnen machten den Eindruck, als hätten ſie immer Luſt zu beißen oder zu küſſen. Ihr Gang war breit⸗ hüftig, wiegend, allzu weiblich. In ihrer ganzen Er⸗ ſcheinung lag etwas Weichwelliges, Vollblühendes, Ueppiges, beinah Feiſtes. Sie war 24 Jahre alt und ſehr hübſch. Sie trug ein weißes Kleid. In dem Kleid aber waren Flecke. Sie hatte es im Hauſe ihrer Eltern, einer kor⸗ rekten Beamtenfamilie, nicht ausgehalten: ein Haus, wo man nur Familienblätter las, wo man Abends um den runden Familientiſch handarbeitete; und zum Abendeſſen gab's immer dünnen Thee und kalten Aufſchnitt. Ein Familienleben, wie es im Buch ſteht. Sie hatte ſo lange mit den Eltern gehadert, bis man ihr endlich, kampfesmüde, die Gymnaſialkurſe in Berlin geſtattete. Eine möglichſt billige Penſion, wo ſie ſich nicht ſatteſſen konnte, wurde für ſie aus⸗ findig gemacht. Und nun rief man ſie zurück, teils weil die Geld⸗ mittel knapp wären, teils weil ſich glänzendere Aus⸗ ſichten — ſo ſchrieb die Mutter — für ſie böten. Den Glanz kannte ſie: ein älterer Witwer mit einer gut⸗ 34 gehenden Fabrik und einigen ungezogenen Rangen. Sie dächte garnicht daran, ſich ins Bockshorn jagen zu laſſen. In verſchiedene Zeitungen hätte ſie ſchon Annoncen rücken laſſen. Die erſte beſte Stellung nähme ſie an, ſelbſt bei Familien, wo es Abends auch nur dünnen Thee und kalten Aufſchnitt geben würde. Julia aß ſehr gern, möglichſt viel Fleiſch, und ſie trank auch gern, aber nicht dünnen Thee, lieber Wein, und wenn ſie ihn nicht haben konnte, allen⸗ falls Bier, aber echtes. Sie ſprang auf, ſchüttelte die Mähne und reckte die Arme in die Höhe, im Gefühl ihrer Kraftfülle. „Ich laſſe mich nicht klein machen. Ich will mein eigenes Leben haben. Uns Jungen gehört die Zu⸗ kunft. Entweder ſind die Eltern unſere Alliierten, oder — wir werden ohne ſie fertig. Meine Mutter iſt eine entfernte Verwvandte von mir. Mein Vater nicht einmal das. Er kennt mich nicht, ich kenne ihn nicht. Meine Mutter hat mir erzählt, daß ihr Mann — was mein Vater iſt, — nach meiner Geburt ſechs Wochen kein Wort mit ihr geredet habe, weil ich, das Aelteſte, ein Mädchen, nicht ein Bub geworden war.“ Chriſta ſtimmte ihr zu, daß die halben und viertel Erlaubniſſe der Eltern greulicher wären als ein reſolutes Nein. „Nicht wahr? Das Nein treibt uns unter Umſtänden zur Verzweiflung, und Verzweiflung gebiert kühne Entſchlüſſe, z. B. das Aus⸗ 3* 35 kneifen. Chriſta aber iſt ein Feigling. Gott, wie ſie mager iſt,“ lachte die üppige kleine Julia, „man weiß garnicht, wie das noch enden wird. Wachſe nur nicht ſchief.“ „Was ſoll ich denn aber thun?" „Los von Muttern!“ „Ich habe ja gar kein Geld. „Ich auch nicht. Geld haben wir Mädchen ja nie. Unſere Brüder ſind dazu da, es zu kriegen. Wenn unſere Eltern für uns ein Uebriges thun, ſo ſchicken ſie uns auf ein Jahr in eine Penſion, in die Schwveiz oder nach Englandfor accomplishment. Die Brüderchen, wenn ſie auf die Univerſität ziehen, kom⸗ men von jedem Zwang los, wir ſollen erſt recht ge⸗ zähmt werden. Was von Natur und freiem Weſen uns noch anhaftet, ſoll abgeſchliffen werden. Unter die Glasglocke mit uns! Und ſind wir wieder zu Hauſe und — ſchauderhaftes Wort — mannbar, ſo fahndet das ganze Haus auf einen Mann für uns. Und dabei nimmt man den Mund ſo voll von unſeren immenſen Gefühlen — beſonders wenn man uns den Verſtand abſprechen will — von unſerer natürlichen, ſchönen Wildheit und Urſprünglichkeit, aber — alles unter der Glasglocke! Sie riß das Fenſter auf, als brauche ſie mehr Luft. „Ich habe ſie, ich habe ſie — die immenſen Gefühle, die ſchöne urſprüngliche Wildheit — ich zerſchlage ſie — die Glasglocke.“ Sie ſah ſich nach einer Glasglocke um; da keine vorhanden war, be⸗ gnügte ſie ſich mit der ſymboliſchen Handbewegung 36 Natürlich, das habe er garnicht anders erwartet, des Zerſchlagens. „Julia ſpielt wieder einmal die Rabiata,“ ſaate Anſelma. Sie war aber ſchon wieder nicht mehr rabiat, ſank vielmehr faul auf den Teppich zurück. Kleine Locken ringelten ſich wie Schlangen in ihre Stirn hinein. „Ach ja, wir — Eſel iſt wohl zu hart, alſo Schafe — wir haben förmlich das Gefühl, Böſes zu thun, wenn wir Abends allein über die Straße gehen, oder wenn wir in einer Conditorei eine Taſſe Chokolade trinken und dabei den Blick eines Mannes — auts⸗ halten. Ich breche mit dieſen Albernheiten, ich breche ..“ Sie hielt inne, etwas geniert von der Art, wie Anſelma ſie anſtarrte. „Warum ſtarrſt Du Julia ſo an?“ fragte Chriſta. „Weil ſie mein nächſtes Modell ſein wird. „Modell, wozu? zu einer Herodias? einer Hero? Wie ich Dich kenne, muß Tod und Liebe dabei ſein. Der Tod iſt übrigens jetzt furchtbar modern. „Was ich malen will, iſt ſo kühn, ſo neu, Ihr würdet es nicht faſſen.“ „Nehmen Sie doch Chriſta zum Modell. Ihr Kopf iſt viel intereſſanter als der meine. Das iſt er. Sie aber, Julia, ſind eine ganze, ungebrochene Perſönlichkeit. Ein Vollweib. Chriſta iſt ſchon allzu ſehr von des Gedankens Bläſſe ange⸗ kränkelt, mir zu kompliziert. Sehen Sie ſich doch 37 dieſes unregelmäßige, widerſpruchsvolle Geſicht an. „Bin ich wirklich ſo kompliziert? „Das biſt Du. Etwas blaublumige Romantik, etwvas Iphigenie mit den dazu gehörigen Tempel⸗ hallen, die phrygiſche Mütze ſtülpſt Du Dir auch ge⸗ legentlich auf. Und für Myſtik biſt Du, und Häckels Welträtſel gefallen Dir auch, und an die Abſtammung des Menſchen vom Affen glaubſt Du. „Da hätte ja Mama recht,“ ſagte Chriſta mit einem etwas erkünſteltem Lächeln, „wenn ſie mich ein Chamäleon nennt.“ „Einiges ſpricht allerdings für das Chamäleon, bekräftigte Julia. „Sie wiſſen es vielleicht nicht, Anſelma: Erſt will ſie Schauſpielerin werden. Ihre ganze Seele brennt dramatiſch, ſie deklamiert, daß die Wände wackeln. Sie decouvriert ſich Papachen. Papachen erlaubt es nicht. Wahr oder nicht? „Ungefähr!“ „Sie kuſcht. Dann will ſie Krankenwärterin, Nonne oder ſo etwas Aehnliches werden. Papachen ſagt wieder nein. Darauf entdeckt ſie ihr künſt⸗ leriſches Talent. Wie es zum Aktzeichnen kommen ſoll, ſchaudert Mamachens Innere auf. Es geht ihr dabei zu bloß zu, und kein Mann würde ein Mädchen heiraten wollen, das . . . u. ſ. w. Sie hört auf, weißes Blatt zu ſein, was ein Hauptvergnügen für den Mann ſcheint, manche ſollen nur wegen der Weiß⸗ blätterigkeit heiraten. Alſo diesmal hat's Mama nicht erlaubt. Sie merken ſchon, Anſelma, daß Mama und Papa es immer abwechſelnd nicht erlauben. Die 38 fromme Chriſta legt das Aktzeichnen zu dem Ueb⸗ rigen.“ „Weißt Du, Julia,“ unterbrach Chriſta ſie nach⸗ denklich, „ich glaube, ich hätte als Bildhauerin nichts Beſonderes geleiſtet. Darum ließ ich mich erſt gar⸗ nicht in einen Kampf mit Mama ein.“ „Ach was, l'appétit vient en mangeant, und das Talent kommt beim Arbeiten. Darauf ein neuer Anfang: die Gymnaſialkurſe. Nach einem Jahr ſchnappt's ſchon wieder, Sie wiſſen ſchon, wegen der Dinerſtunde.“ Anſelma, die fürchtete, daß Chriſta ſich verletzt fühlen könnte, fragte, um das Geſpräch zu wechſeln, ob Julia ſchon eine Stelle in Ausſicht habe. Mehr als eine. Sie nähme aber eine Stelle nur auf kurze Zeit an, um über die erſte Geldloſig⸗ keit fortzukommen. „Und was dann, Julia? „Sehr einfach. Ich werde Schriftſtellerin. Dazu gehört Gott ſei Dank keine Erlaubnis. Im Notfalle wählt man ein Pſeudonym.“ Sie war ſchon halb getröſtet. Sie wollte gleich Papier kaufen und Notizbücher, die Schriftſteller immer bei ſich haben, um alles zu notieren. Chriſtas Einwendungen begegnete ſie damit, daß ſie ihr Sofakiſſen an den Kopf warf. Sie hatte ab und zu einen Drang, ſich irgendwie auszutoben. Sie ſchwang ſich auf das Fenſterbrett, baumelte mit den Beinen und verlangte eine Cigarette. Chriſta 39 hielt für ſie immer Cigaretten bereit. Mit Behagen blies ſie zierliche Rauchringe durch die Naſe. ich ſchon mein Billet nach Dresden — dritter Klaſſe „Ja, Chriſta, wenn ich wie Du wäre, da hätte natürlich — gelöſt. — Weißt Du, mir zu Liebe werde doch auch Schriftſtellerin. Aber — ach Gott nein, Du willſt ja Volksrednerin werden. „Eine ſchöne Volksrednerin, die keine Gelegen⸗ heit hat, das Volk kennen zu lernen. „Borge Dir von Eurem Küchenmädchen ein Um⸗ ſchlagetuch, und hinaus ins feindliche Volk, in die Wärmehallen, ins Aſyl für Obdachloſe, in die Ver⸗ brecherkeller. .“ „Ohne männliche Begleitung? Wir können ja nicht einmal allein reiſen. Julia ſprang vom Fenſterbrett und warf die Cigarette fort. „Meinſt Du, wir könnten das alles nicht? Gebt mir Inſektenpulver und einen Revolver, und ich kanns. Nicht etwa wie Du aus verſtiegenem Altruismus, — ſo ein allgemeiner Menſchenfreund bin ich nun einmal nicht — man kann aber derartige Abenteuer auch für Novellen und Romane wunder⸗ voll verwerten. Die ſoziale Frage iſt augenblicklich in den Romanen ebenſo intereſſant wie — ſie zog das Mündchen rund zuſammen zu einem Pfiff — die Lüibe.“ „Ja Du! Aber es hat nicht jeder Dein Tempera⸗ ment und...“ Julia rollte die Augen — den „ſchönen Wahn⸗ ſinn“ zu markieren, und ſträubte ihr Haar ausein⸗ 40 ander. „Kinder, wenn ich nun wirklich ein Genie wäre! dann brauchte ich all Euren Bildungskrims⸗ krams nicht. Vor dem Genie heben ſich die Dächer aller Menſchenwohnungen ab, es iſt hellſehend, fern⸗ ſehend u. ſ. w. Das weiß ich beſtimmt, in meinen tiefſten Seelengründen — was man ſo unter der Schwelle des Bewußtſeins nennt — geht es unſterb⸗ lich zu. Es fehlt nur noch, daß mir ein Gott giebt, zu ſagen, was ich fühle, und das „Sagen“ will ich lernen. So unaufgetaute Poſthörner, ſo ſcheintote Genies giebt's gewiß viele, beſonders unter den Frauen, es liegt nur ſo tief, das Geniale, tief wie in einem Sarge, und wir können den Deckel nicht heben. Ein Blitz muß kommen, ihn zu ſprengen. Betet für mich, betet, daß mein Blitz komme! Ach, im Nietzſcheſtil möchte ich reden. Warum iſt der ein Genie? Er hat den Deckel gehoben, und all ſeine Seelenherrlichkeiten quellen in niegeſehener Pracht aus dem Sarge.“ Sie hatte unwillkürlich die Aermel aufgeſtreift, verſchränkte die runden, ſchönen Arme im Genick, und durch das Fenſter flogen ihre Blicke zu den Glasdach, auf dem die Sonne funkelte. „O Königin, das Leben iſt doch ſchön!“ Sie ließ ſich wieder auf den Teppich niederſinken und löſte ihren Gürtel. Alles war ihr zu eng geworden. „Ich möchte vor Vergnügen mit den Beinen ſtrampeln, thue es aber nicht, weil Ihr ſo gräßlich wohlerzogen ſeid. Und da in Deiner Garderobe, Chriſta, doch kein Panterfell und kein Thyrſusſtab iſt, 41 alſo wohl aus einer richtigen Orgie nichts werden wird, ſo hätte ich gerne eine Taſſe Thee, aber mit Zubehör.“ Chriſta klingelte nach dem Thee. Sie liebte dieſe quellende Seelenüppigkeit in Julia, dieſes wvallende Ueberſchäumen des Temperaments. An⸗ ſelma verſchlang das liegende ſchöne Weib faſt mit ihren Blicken. „Wiſſen Sie, Julia, die ſchwarzen und grünen Lorbeeren würden Ihnen garnicht ſtehen. Einen roten Roſenkranz auf Ihrer blonden Mähne! Auch Aphrodite braucht Genies. Liebe iſt die Quinteſſenz von allem. Füllt Bände damit! Füllt Bände!" Julia blinzelte ſie von der Seite an und ſagte neckiſch: „Die Quinteſſenz in Ihren Werken oder in Ihrem Leben? Anſelma lächelte in ſich hinein. „Vielleicht ge⸗ hört beides zuſammen. Der Diener brachte Thee und Kuchen und Früchte für die jungen Mädchen. Die Unterhaltung wurde friedlicher und harmloſer. 42 Als die jungen Damen endlich gingen, war es Chriſta lieb. Sie hatte genug von ihnen. Und dann erſchrak ſie, daß ſie genug von ihnen hatte, von ihren Freundinnen! Hatte die Mutter auch darin recht? war ſie wirklich gemütlos, wankelmütig, ungeduldig, treulos? War ſie im begriff, ſchief zu wachſen? Sie trat ans Fenſter. Sie hätte ſehr gern ein Zimmer mit einem ſchönen Ausblick gehabt, in Gärten etwa. Ihr Fenſter aber ging in den Hofraum. Eine hohe Mauer war im Sommer dürftig mit Blatt⸗ pflanzen berankt, im Winter kahl. Ueber die Mauer wveg ſah man die Dächer anderer Häuſer, auch eine große Glaskugel auf einem Hauſe der Nachbarſchaft, und in der Ferne die Conturen des ſchlanken Matthäi⸗ kirchturms. In den Lüften zogen ſich unzählige Telephondrähte von einem Dach zum andern. Die Kurbeln in den Drähten ſahen wie verflogene Vögel⸗ chen aus. Fuhr der Wind in die Drähte, ſo klang es wie feine, ferne Harfentöne. Auch auf die Hinterfront einer Reitbahn ſah ſie. Im glatten Mauerwerk be⸗ fand ſich ein großes, atelierartiges Fenſter, zur Seite zwei kleinere, eirunde. Abends wurde die Reitbahn mit elektriſchem Bogenlicht erleuchtet. An Winter⸗ abenden erklang zuweilen von daher Muſik. Damen und Herren ritten da unter Militärmuſik Quadrillen. Mit der Zeit gewann ſie Geſchmack an dem Ausblick. Es ließ ſich da allerlei hineinphantaſieren. Sie trat vom Fenſter zurück. Ihre Blicke ſchweif⸗ ten im Zimmer umher. Sie mußte lächeln, als ihr einfiel, was für Veränderungen ſie im Laufe von zehn Jahren mit der Ausſtattung dieſes Zimmers vor⸗ genommen hatte. Zu ihrem 12. Geburtstag hatte ſie ſich leidenſchaftlich einen Kanarienvogel und einen Blumentopf mit lauter roten Roſen gewünſcht. Alles ſollte um ſie her froh, warm, gemütvoll ſein. Ein paar Jahre ſpäter wollte ſie von dem Vogel und den 43 roten Roſen nichts mehr wiſſen. Sie ſchmückte ihr Zimmer mit Lithographieen von Heiligen, ſtellte ein Kruzifix auf den Tiſch und erbat und erhielt die Erlaubnis, das Stübchen weiß tünchen zu laſſen. Das war die Zeit der Vorbereitung zur Konfir⸗ mation. Sie las die Bibel und Heiligengeſchichten und dachte es ſich wunderſchön, eine Märtyrin zu ſein, womöglich gleich mit ſieben Schwertern in der Bruſt, oder wenigſtens Nonne, wogegen freilich der Umſtand ſprach, daß ſie evangeliſch war; vielleicht würde ſie katholiſch werden. Das wußte ſie aber noch nicht. Dieſe Stimmung hielt bis ungefähr ein Jahr nach ihrer Einſegnung an. Inzwiſchen hatte ſie viel geleſen, gelernt, erfahren, ihre Anſchauungen wan⸗ delten ſich, ihre Gläubigkeit ſchwand dahin, und mit ihr die Heiligenbilder, das Kruzifix, die weißen Wände und die Märtyrerſehnſucht. Das Zimmer wurde rot tapeziert, das Kruzifix durch die Venuts von Milo erſetzt, die Heiligenbilder durch eine Ra⸗ dierung der Toteninſel und anderer Böcklins, die ſich wunderſchön von der roten Tapete abhoben. Ein Kupfergefäß mit blaßroſa Aſtern ſtand auf dem Tiſch. Die Decke auf dem Tiſch war von verſchoſſenem, altrotem Sammet; ein ſeltſam ſchlangenartig ſich windendes Muſter in hellerem Rot, kabbaliſtiſchen Zeichen ähnlich, durchzog den Sammet. Auf dem Kaminſims eine Vaſe von iriſierendem Metall in Form einer Blume. Eine Schlange wand ſich vom Fuß der Vaſe hinauf zu einer kleinen Pſyche, die ſich 44 über den Rand des Kelches neigte. Das war ihre Aſchenurne, da hinein that ſie allerhand zum Andenken an Geſtorbenes, oder auch an Lebendes, das für ſie tot war. Sie beſaß viele Bücher. Ihr ganzes Taſchengeld gab ſie für Bücher aus. Sie ging in alle Kunſtſalons, ſie ſah alle Ibſenſchen Stücke, und überall, wo ſie eine Tiefe ahnte, tauchte ſie hinab, oft ganz verzweifelt, wenn ſie nicht alles verſtand. Die allermodernſten Dichter waren ihr die liebſten: Stefan George, Hofmannsthal, Maeter⸗ linck; Dichter, aus deren Schriften ſie ein Geiſter⸗ hauch ſtreifte, in denen die Seelen ohne weſentliche Leibhaftigkeit ſich berührten, wo aus azurnen Him⸗ melshöhen Erzengel Miſerere ſangen, oder aus pur⸗ purnen Tiefen in tötlicher Schönheit Schatten ſtie⸗ gen, die unausſprechliche Geheimniſſe wußten. Und nun — war ſie nicht ſchon wieder in einer Umwandlung begriffen? Chriſta that ſich ſelber Unrecht, wenn ſie ſich für eine treuloſe Kreatur hielt. Von Kindheit an wvar ein Hang in ihr, den Dingen auf den Grund zu kommen. Und glaubte ſie ihn entdeckt zu haben, und bot er ihr nichts Außerordentliches, ſo verlor ſie darüber die Freude am Ganzen. Sie verſtand es nicht, die Schönheit einer Oberfläche oder liebens⸗ würdige Einzelheiten im Charakterbild eines Men⸗ ſchen zu genießen. An Julia waren ihr die oft ge⸗ ſchmackloſen, zu grellen Toiletten ſtörend, überhaupt daß ſie keinen Geſchmack hatte, und daß zuweilen ein vulgärer Zug in ihrem Geſicht oder in ihrer 45 Redeweiſe ſich bemerkbar machten. Und heut nun gar die Flecke in ihrem weißen Kleide. Ja, entſchieden, in den letzten Jahren war eine Veränderung in den beiden jungen Mädchen vor⸗ gegangen. War das noch dieſelbe Anſelma, die früher, ganz Begeiſterung für die Kunſt, nach nichts anderem in der Welt fragte? ſicher, etwas war mit ihr geſchehen, wovon Chriſta nichts wußte. Die Freundinnen hatten alſo doch wohl eine Mit⸗ ſchuld an ihrer Treuloſigkeit, und ſie war kein ſo arges Chamäleon. Es giebt Menſchen, die eigentlich für ein anderes geiſtiges und örtliches Klima als das ihnen vom Schickſal zugewieſene geboren wurden, und ſie experi⸗ mentieren nun und zerquälen und verrenken ſich die Seele, um zu den Quellen zu gelangen, wo ihre Lebenswaſſer rinnen. Aus dem ungeeigneten Erd⸗ reich ziehen ſie nicht Mark und Kraft genug, um auch widrigen Winden entgegen gerade emporzuwachſen; ſie laſſen ſich vielmehr von ihnen da und dorthin treiben, bald ſteigen, bald fallen ſie, oder ſie halten ſich ſchwebend wie verloren im leeren, unendlichen Raum. Solch ein Menſch war Chriſta. Wie ſollte dieſes junge Geſchöpf einfach und gerade emporwachſen zwiſchen einem Vater und einer Mutter von ſo entgegengeſetzter Artung, die beide mit ihrer ganzen Perſönlichkeit auf ſie drückten, dieſer Mutter, deren Sinn ganz und gar auf extremſte Weltlichkeit gerichtet war, und dieſem ſkeptiſchen 46 Vater, der mit dem Gefühl allgemeiner Wurſtigkeit auf das Gewimmel der Menſchen herabſah. Bei den Geſprächen und den kleinen Häkeleien zwiſchen den Eltern — er pflegte ſeine Gattin heiter zu verſpotten — war Chriſta oft zugegen, immer be⸗ obachtend, ſtaunend, alles im Gedächtnis behaltend, Schlüſſe daraus ziehend. Was ſie bei Anſelma neuerdings abſtieß, war das ſtark ausgeſprochene Erotiſche in ihrer Weſens⸗ art; das mochte Chriſta nicht. In den Romanen üiberſchlug ſie oft die Seiten, wo heiße Liebesſzenen geſchildert wurden. Ein Ereignis in ihrem Leben ſpielte da hinein. Sie dachte jetzt daran. Jede Einzel⸗ heit jener Begebenheit trat ihr vor die Seele. Sie hatte von jeher, was ihr in die Hände fiel, geleſen, auch Bücher, die nur für reife und reifſte Geiſter geſchrieben waren. Sehr früh erregte das Verhältnis der Geſchlechter zueinander ihren Er⸗ kenntnisdrang. Sie forſchte, und es blieb ihr nichts verborgen. Dabei bewahrte ſie zwar die Unſchuld der Sinne, hätte aber doch ſehr gern die Liebes⸗ wonnen, die ja in allen Romanen die Hauptrolle ſpielten, kennen gelernt. Als Kind hatte ſie einmal tiefe, tiefe Löcher in die Erde gegraben, tagelang immer gegraben, weil man ihr geſagt, im Innern der Erde wäre alles Feuer. Zu dem Feuer wollte ſie gelangen. Nun wollte ſie zu einem andern Feuer in ſich ſelber ge⸗ langen. Und ſie grub — grub. Der Hauslehrer ihres Brüderchens, ein junger 47 Philologe, hatte ſich in ſie verliebt. Das ſtille Schmachten des jungen Mannes, das ſie wohl be⸗ merkte, ſchmeichelte ihr und erregte ihr neugieriges Wohlgefallen. Das war der erſte, der das Weib in ihr ſah. Sie beobachtete mit Spannung, wie all⸗ mählich ſein ſtilles Glühen einen leidenſchaftlichen Charakter annahm. Dabei redeten ſie nie mitein⸗ ander, mit ſchweigendem Gruß gingen ſie aneinander vorüber. Ihre Haltung ihm gegenüber war nicht gerade ermutigend, aber noch weniger ablehnend. Unmerklich wurden die gegenſeitigen Grüße aus⸗ drucksvoller. Als ſie wieder einmal im Korridor Grüße austauſchten, wandte ſie ſich in der Thür noch einmal nach ihm um, ihre Blicke trafen ſich, er eilte auf ſie zu mit einer flehenden Gebärde — ſie ent⸗ ſchlüpfte. Gott, dachte ſie, wie bin ich kalt, und ich hielt mich doch für eine feurige Natur. Rulands hatten bald darauf ein Diner gegeben, zur Feier von Anne⸗Maries Hochzeitstag, eine etwas drollige Feier, denn Anne⸗Maries Gatte war nicht dabei. Der lag an einem Gichtanfall zu Bett. Anne Marie war eine halbe Stunde vor dem Diner ge⸗ kommen. Sie wollte noch mit Chriſta plaudern. Die Schweſtern liebten ſich, trotz der Grundverſchieden⸗ heit ihrer Naturen. Frau Harriet irrte ſich, wenn ſie Anne Maric ganz für ihr Werk hielt. Scheinbar aus demſelben Holz geſchnitzt wie ſie, wich ſie doch weſentlich von ihr ab. Sie verhielt ſich zur Mutter, wie ein fein ausgeführtes Kunſtwerk zu einer Fabrikware. Bei 48 der Mutter war alles gröber, auf den Effekt be⸗ rechnet. Der Tochter Intelligenz war höher, ſie ver⸗ band damit Witz, Findigkeit, Raffinement. Es war ſoviel urſprüngliche Natur in ihr, daß es ſelbſt der Dreſſur der Mutter nicht gelungen war, ſie auszu⸗ treiben. Anne Marie war reizend, mit dem kleinen, ſüßen Mund, durch den die Zähne ein wenig hin⸗ durchſchimmerten. Die Augen, ſchwarze, leuchtende Perlen, faſt liderlos: feines, ſchwarzes Gelock fiel ihr bis zu den Augen. Wie ſich das zarte, weiche Kinn am Halſe anſetzte, war berückend. Lebensfroh, klug, vornehm, weltlich der Ausdruck dieſes Kopfes. Ihre Toilette an dem Tage war wie immer reiz⸗ voll pikant. Ein lichtes Kleid von weicher changeant⸗ Seide, die in Regenbogenfarben ſpielte: blau, grün, rot, gelb; aber nur wie das zarte Echo eines Regen⸗ bogens floſſen die Farben ineinander, diskret, leiſe, ganz blaß getönt. Keine Blume, kein Schmuck, nur ſehr dekolletiert war ſie. Chriſtas hohes, geſticktes weißes Battiſtkleidchen fand ſie für eine Sechzehnjährige zu ſehr à la Baby. Und wenn ſchon — denn ſchon. Und ſie entflocht ihr die Zöpfe, ſo daß ihr das Haar in natürlichem Gelock über die Schulter fiel, ſtreifte ihre zu langen Aermel etwas auf, zupfte am Ausſchnitt des Kleides, bis das zarte Hälschen ein wenig frei wurde, und mit kleinen Sträußen roſenroter Mandelblüten, die ſie aus einer Vaſe nahm, putzte ſie das Kleid auf. „So, nun kannſt Du den Frühling vorſtellen, Dohm, Chriſta Ruland. 4 49 mit der Verpflichtung, drauflos zu blühen und Dich zu verlieben. „In wen denn, Anne Marie? Anne Marie riß drollig weit die Augen auf, er⸗ hob den Zeigefinger über den Kopf und flüſterte ge⸗ heimnisvoll: „Im Grund des Champagnerkelches (Kelch klingt beſſer als Glas) wirſt Du ſein Bild ſehen.“ „Giebt's heut' Champagner? „Selbſtverſtändlich. Alſo, frühlingshaft über⸗ mütig, unverfroren, naiv, beſonders naiv. Das ge⸗ fällt enorm.“ „Aber ich bin doch garnicht naiv. Ich bin doch ernſt.“ „Ernſt! Unſinn! Ernſt iſt ſchwer, eine Art milden Alpdrückens, ich muß dabei immer an den Erdball denken mit ſeinem Geſetz der Schwere, das mich ja eigentlich garnichts angeht. Leicht ſein! es giebt nichts Rentableres. Denke Dir einmal eine dünne Eisdecke oder eine ſumpfige Stelle, höchſt ge⸗ fährlich zu paſſieren. Du ſchreiteſt ganz langſam, bedächtig, zögernd, Schritt für Schritt darüber, — plumps, liegſt Du im Graben, da freſſen Dich die Raben. Ich aber, ich tanze darüber hin, kaum be⸗ rühren die Füße den Boden. Im Handumdrehen bin ich drüben. Ach, und es wimmelt ja im menſch⸗ lichen Leben von dünnen Eisdecken und ſumpfigen Stellen.“ Während ſie ſprach, hatte ſie ſich auf die Fuß⸗ 50 ſpitzen geſtellt. Sie pfiff eine Melodie und tanzte um das „langweilige Einſegnungsbaby“ herum. „Wie ſchön Du biſt!“ ſagte Chriſta, „daß Du aber Deinen kranken Mann am Hochzeitstage allein läßt, iſt garnicht ſchön. „Iſt erſt recht ſchön.“ Und immer noch tanzend, ſang ſie: „Mein Mann der hat das Zipperlein. Etſch! warum iſt er ſo alt! Lieblos, daß ich ihn allein laſſe? Er freut ſich ja wie ein Kiebitz, wenn ich nach Hauſe komme, mich an ſeine verbundene Zehe ſetze, und ihm erzähle, wie es war. Ich ſchmücke alles herrlich aus, beſonders meine Courmacher — er hat einen Bombenſpaß, und ich übe mich dabei im Eſprit Immer alles praktiſch ausnutzen — das habe ich von Mamachen geerbt.“ Die erſten Gäſte kamen. Frau Harriet hatte ausnahmsweiſe den jungen Hauslehrer eingeladen, zum Teil als Belohnung, weil er an ſeinem Zög⸗ ling mehr als ſeine Pflicht that, und dann paßte er der Hausfrau gerade als Tiſchherr für eine unerheb⸗ liche Nichte, die ſchwer unterzubringen war. Der Zufall wollte, daß er Chriſta zur Linken ſaß. Zur Rechten hatte ſie einen ebenſo berühmten wie ſchweig⸗ ſamen Maler. Sie langweilte ſich. Der Hauslehrer wurde von der unerheblichen Nichte im Geſpräch feſt⸗ gehalten. Nur ab und zu, wie von einer inneren Macht gezwungen, wendete der junge Mann den Kopf zu Chriſta hin, und ſie ſah die verhaltene, zit⸗ ternde Erregung in ſeinen Zügen. Der Diener machte mit dem Champagner zum 4* 51 zweiten Mal die Runde. Chriſta trank nicht. Ihr Blick ſchweifte über die Tafel. Wohin ihre Augen fielen, überall leuchtende Augen, rote Lippen und Wangen. Waren das dieſelben jungen Damen, die vor dem Diner ſo ausdruckslos umherſtanden, ab und zu wie auf Kommando ein paar konventionelle Worte wechſelnd. Alles ſchien nun aus dem kon⸗ ventionellen Geleiſe herauszuſtreben, die Damen wurden augenſcheinlich immer dekolletierter. Warum lachten ſie nur ſo? Es war wie eine Tiſchmuſik von Klarinetten und Trillern. Witzreden ſtiegen wie Leuchtkugeln auf, hier und da wurde auch mit Feuer über Kunſt, Theater, Gefühlsprobleme debattiert. Vor allem aber war es ein Fluidum von Zärtlichkeit, das die heiße, parfümierte Luft durchzitterte, noch latent, gebunden, man hatte aber den Eindruck, ein Zugwind — und Flammen würden entlodern. Der junge Philologe redete nicht mehr mit ſeiner Nachbarin. Er blickte Chriſta an, intenſiv. Sie fühlte es wie das Ausſtrahlen einer Wärme, die ſie beläſtigte. Ihre Augen ſuchten Anne Marie. Die hielt den Kopf ein wenig hintenüber, das Glas Champagner an den Lippen, mit einem Seitenblick, einem ſchmach⸗ tend liſtigen, ſtreifte ſie ihren Nachbar. Chriſta kannte ihn flüchtig. Ein oſtpreußiſcher Ariſtokrat: Adrian von Lützow. Er gefiel ihr. Sie konnte nicht ſagen, warum. Sie empfand ein leichtes Mißbehagen, daß er allzunah ſich zur Schweſter hinneigte. Er ſchien ihren Anblick in ſich zu trinken. 52 Und plötzlich wurde Chriſta von einer unge⸗ duldigen Neugierde erfaßt. Wie? wenn ſie nun auch Champagner tränke, ob ſie ſich dann aus dem lang⸗ weiligen Einſegnungsbaby in — ja, in was ver⸗ wandeln würde? Und ſic, die bis dahin den Wein gemieden, weil ſchon ein halbes Glas ſie betäubte, ſie trank ſchnell, in kleinen Pauſen, drei bis vier Glas Champagner, von einem Glas zum andern die Wirkung erſpähend. Und ſie kam, ſie kam — die Wirkung. Keine Lange⸗ weile, keine Abſpannung mehr. Sei fühlte förmlich, wie das Thermometer in ihrem Blut ſtieg, wie ihre Lippen heiß, ihre Augen leuchtend wurden. Es kam ihr eine Luſt zu reden, Kühnes, Begeiſtertes, — gleichgiltig was — zu lachen, gleichgiltig worüber. Ein ſtarkes, köſtliches, zärtliches Wohlgefühl durch⸗ ſtrömte ſie. Der verliebte Jüngling zu ihrer Linken empfand inſtinktiv die Veränderung, die mit ihr vor⸗ ging. Und nun redete er, leiſe, ſtammelnd, er redete von ſeiner Liebe. Wie den Champagner, ſo ſog ſie ſeine Worte ein, und blickte in ſeine ſchönen, blauen, ſchwärmeriſchen Augen. Als man vom Tiſch aufſtand, war ihr taumelig. Es wurde getanzt. Sie lag feſt in ſeinen Armen, er tanzte mit ihr in ein Nebenzimmer hinein. Er flüſterte. Sie verſtand die Worte nicht und wußte doch, was er ſagte. Sein ganzes Weſen redete die Sprache einer unbezähmbaren Leidenſchaft. Er um⸗ ſchlang ſie inniger. Ihr Köpfchen ſank zurück, und 53 ſie verging in einem ohnmächtigen Gefühl von ſchau⸗ dernder Süße. Ihre Lippen neigten zu einander ... Adrian von Lützow ſtand auf der Schwelle. Sein Blick traf das Paar mit einer kalten Verwunderung. Der Contretanz hatte begonnen, zu dem er mit Chriſta engagiert war. Sie verließ mit ihm das Zimmer. Bald darauf war das Feſt zu Ende. Chriſta war kaum imſtande, ſich auszukleiden: ſie ſank in die Kiſſen und ſchlief ſofort feſt ein. Am andern Morgen als ſie wach geworden, lag ſie noch eine Weile im Bett, dem Spiel der Sonnenſtrahlen auf dem Fußboden, auf den Möbeln folgend. Dabei hatte ſie die dumpfe Empfindung, daß etwas Be⸗ ſonderes, ſehr Wichtiges geſchehen ſei. Was denn? Sie brauchte einige Zeit, ehe ihre Erinnerung ganz wach wurde. Mit einem Ruck ſaß ſie aufrecht im Bett. Was da geſchehen, das war ja fürchterlich, lächerlich, nicht zu glauben! Sie, Chriſta, eine be⸗ trunkene Jungfrau! Pfui! Sie ſchüttelte ſich in hef⸗ tigem Widerwillen. Wie ſollte ſie das wieder los werden! Sie vermied ſeitdem jede Begegnung mit dem jungen Lehrer. Er ſchrieb ihr glühende Briefe. Die erſten beantwortete ſie nicht. Als er aber nicht auf⸗ hörte zu ſchreiben, fühlte ſie inſtinktmäßig, daß ſie etwas Entſcheidendes thun müſſe, um ihn gründlich zu ernüchtern. Und in großen, groben, beinahe un⸗ gezogenen Buchſtaben ſchrieb ſie: „Vergeſſen Sie doch die Kleine, die hatte ja einen Schwips!" Der junge Mann gab ſeine Stellung im Ruland⸗ 54 ſchen Hauſe auf. Sie ſah ihn nicht wieder und hätte das Erlebnis wohl mit der Zeit vergeſſen, wenn ... Das Schickſal ſorgte dafür, daß es eine blutige, unaustilgbare Spur in ihrer Seele hinterlaſſen ſollte. Ungefähr vier Wochen nach jenem Diner machte Chriſta, wie es oft geſchah, einen Spaziergang im Tiergarten. Die Jungfer ihrer Mutter begleitete ſie. In der Natur eine fahle, graue Stimmung. Die Bäume ſchon ziemlich kahl, die braunen, eingetrock⸗ neten Blätter muffig feucht. Ein ſtumpfes, ſtag⸗ nierendes Wäſſerchen, von dürren Blättern zugedeckt. Ein paar ſpäte Schwäne auf dem Waſſer, die langen Hälſe geſenkt. So gleichgiltig war alles, ſo müde. Die Farbe der Tannenſträucher verdroſſen und ver⸗ ſtaubt. Und Chriſta ging auch ſo gleichgiltig hin, weiter und weiter. Ein Wimmern drang an ihr Ohr. Sie gingen den Lauten nach und kamen an den freien Platz, auf dem die Bildſäule der Flora ſteht, die auf der Schulter einen Korb mit Blumen und Früchten trägt. Es ſah aus, als wollte ſie die Roſe in der ausgeſtreckten Hand dem Jammernden ſchenken, der da auf einer Bank ſich unter Qualen krümmte. Er hörte die Schritte der Nahenden, das Aechzen wurde ein herzzerreißendes Schreien: „Ein Arzt! Gift! leben! nicht ſterben! ich will nicht! leben!“ Er hob den Kopf ein wenig und ſtarrte mit ſeinen herausgequollenen Augen Chriſta an. Mit namenloſem Entſetzen erkannte ſie den jungen Lehrer. Die Jungfer ſtürzte auf ihren Wink fort, um Hilfe 55 zu holen. Chriſta ergriff ſeine Hände und verſuchte etwas zu ſtammeln. Plötzlich ſprang der Sterbende auf. Er riß ſie an ſich, wütend, raſend, und mit ſeinen vergifteten Lippen küßte er ſie. Dann fiel er hintenüber und röchelte nur noch. Eine halbe Stunde ſpäter wurde ein Toter fort⸗ geſchafft. Unmittelbar darauf fühlte Chriſta, wie ihre brennenden Lippen anſchwollen. Sie wurde krank, ſehr krank, tagelang lag ſie im Fieber. Als das Fieber gebrochen war, dachte und grübelte ſie über das, was geſchehen. Aus Liebe hat er ſich das Leben genommen. Was iſt denn das — dieſe Liebe, die in den Tod treibt? Er kannte ſie doch kaum. Sie fand keine Erklärung. Später, wenn ſie älter und klüger geworden, würde ſie es wohl finden. Sie wollte in keinen Spiegel ſehen, ſie glaubte beſtimmt, ihre Lippen müßten blau ſein — wie die ſeinen damals — entſetzlich anzuſehen. Und als ſich ſpäter der Spiegel nicht vermeiden ließ, ſah ſie, was kein Anderer bemerkte: ihre Lippen waren unnatürlich rot, vielleicht wirkten ſie auch nur ſo brennend in dem Geſichtchen, das ſo bleich ge⸗ wvorden war. Im Laufe der Jahre verblaßte zwar die Er⸗ innerung allmählich, aber bei irgend einer Gelegen⸗ heit tauchte ſie wieder auf. Sie wurde bewußter, nachdenklicher, grüb⸗ leriſcher. Auch ihre Geſundheit wurde nicht wieder 56 ſo blühend, wie ſie vordem geweſen. Sie war oft nervös. Als ſie geneſen war, trug ſie das Erlebnis ſchwermütig, wie ein Schuldbewußtſein, mit ſich her⸗ um. Nach etwas Stillem, Frommem, Entſagungs⸗ vollem ſtand ihr Sinn, nach einem Thun, als läſe ſie eine Meſſe für den unſeligen Selbſtmörder, als müßte ſie mit Gebeten ihre vergifteten Lippen ent⸗ ſühnen. Sie trug ſchwarze Kleider, von etwas phantaſtiſchem Schnitt allerdings, einen breiten, weißen Kragen, ein goldenes Kreuz auf der Bruſt, glattgeſcheiteltes Haar, ganz prieſterliche Jungfrau. Sie ſuchte den Vater in ſeinem Wohnzimmer auf. Es ſah nicht wie der Arbeitsraum eines prak⸗ tiſchen Juriſten aus, wenn man von einem großen, maſſiven geſchnitzten Eichentiſch abſah, der mit Schriften und Broſchüren bedeckt war. Eher war cs der Wohnraum eines Weltmannes, der Litteratur und Kunſt liebt. Die Bücher in den großen offenen Schränken waren ſämtlich elegant und in har⸗ moniſcher Farbenſtimmung eingebunden. Inmitten des größten der Schränke war eine Niſche eingelaſſen, in der die Büſte Bismarcks ſtand. Er verehrte ihn grenzenlos. Jedes einzelne Stück in dem Gemach (der Raum durfte das vornehme Wort für ſich in Anſpruch nehmen) war wertvoll. Die Oelgemälde, darunter wieder ein Bismarck, (Lenbach'ſches Original), die Broncen, alles war erſten Ranges. Seltſamerweiſe fanden ſich aber zwiſchen den Werken bewährter Meiſter, eines Schön⸗ 57 leber, Lenbach u. ſ. w., einige Bilder allermodernſten Gepräges, gewiſſermaßen eingeſchmuggelt: ein myſti⸗ ſches Waldleben von Lechter, eine Farbenſymphonie von Hofmann und ſogar ein kleines Bildchen von Heran lugte aus einem verſtohlenen Winkel. Ein Symptom ſeines dualiſtiſchen Weſens. Neben leichter Pedanterie, die ſich in der ſymmetriſchen Anordnung der Möbel zeigte, war etwas Feminines in der Aus⸗ ſtattung des zu eleganten Zimmers. Von Natur weichherzig, ſuchte er dieſer Weich⸗ herzigkeit, die ſeinem Egoismus in die Quere kam, Herr zu werden. Er ſtand gewiſſermaßen immer hinter ſich und hämmerte auf ſein Herz: „Landgraf, werde hart.“ Chriſta wollte ihren Vater um die Erlaubnis bitten, Krankenwärterin zu werden. Sie fiel gleich mit der Thür ins Haus. Gotthold Ruland ſchien von dem Entſchluß ſeines Töchterchens nicht ſehr im⸗ preſſioniert. Er lehnte ſich in den hochlehnigen alt⸗ deutſchen Lederſtuhl zurück und ſagte freundlich: „Ausgeſchloſſen.“ „Es iſt das einzig Richtige für mich, Vater, und wenn ich erkannt habe, was das Richtige iſt, ſo muß ich doch darnach handeln.“ Der Vater nahm die Brille ab und ſah ſie mit dem ſtarren, eigentümlich hypnotiſierenden Blick an, der den Brillenträgern eigen iſt. Er hatte merk⸗ würdige Augen, von derſelben lichten graugrünen Farbe, wie die Tochter. Sie ſchienen transparent, 58 und hatten lange aufgebogene Wimpern, berückende Frauenaugen. „Hm! richtig erkannt, das heißt bei Euch komiſchen kleinen Frauenzimmern, unrichtig geleſen. Ihr erleſt Euch ja Eure Anſichten aus Büchern und Zeitungen. Wie die Fliegen fallt Ihr auf jede Seelen⸗ anzapfung rein. Heut hypnotiſiert Euch Tolſtoi, morgen unterliegt Ihr Nietzſcheſcher Suggeſtion.“ „Aber die habe ich ja garnicht geleſen, Vater! „Eine Infektion, die Dir alſo noch bevorſteht. Was iſt es denn? Nachwehen der Konfir⸗ mation? Richtig. Zu Weihnachten hatteſt Du Dir ja einen Chriſtus — aber einen von Elfenbein mit Gold, — und eine Bibel, aber mit altem Meſſing⸗ beſchlag gewünſcht — war beides enorm teuer. Alſo: Pſalmen, Bergpredigt, Altruismus — Jeſus Chriſtus. Da ſitze ich und warte darauf, daß Deine Mutter ſich dieſer allerneueſten Mode bemächtigen ſoll, und da kommſt Du daher. Es iſt ja jetzt eine wahre Hauſſe in Chriſtuſſen. Aus Kirche und Bibel wandert er in die Romane und Feuilletons. Kaum ein Buch, wo er nicht der Held iſt oder wenigſtens im Hintergrund die Drähte zieht. Ein Jeſusrauſch — notabene ohne Konſequenzen für die Lebensführung.“ Chriſta hielt den Kopf geſenkt und hörte zu. Sie wußte, der Vater liebte es nicht, unterbrochen zu werden. Er ſprach gern, im Bewußtſein, daß er geiſt⸗ reich ſprach; es machte ihm nichts aus, wenn ſeine Reden für den vorliegenden Fall nicht paßten, er redete um der Rede willen. 59 Er hob ihr Köpfchen in die Höhe. „Du wirſt ja alle Tage magerer, willſt kein Fleiſch eſſen, nach Him⸗ beerwaſſer mit Milch ſchreit Deine Seele, werde Dir wohl diesmal zum Geburtstag eine Lilie — ſo eine millionäre doppelgefüllte Rieſenlilie ſchenken müſſen, und zu Mamas Geburtstag laſſe ich Dich als präraphaelitiſche Madonna malen. Chriſta drückte das Kreuz an ihre Lippen. — „Ich will Krankenwärterin werden, Vater!“ Die Thränen ſchoſſen ihr in die Augen. „Du willſt! So!“ er beſann ſich einen Augen⸗ blick. „Gebiete Deinen Thränen, teures Kind. Im Grunde, ich habe ja garnichts gegen die Kranken⸗ wärterin. Nimm vorläufig einen Kurſus in der Krankenpflege und ſammle Kräfte für Deinen ſchwärmeriſchen Beruf. Vorläufig biſt Du noch zu ſchwach, um etwa einen fetten Patienten im Bett umzudrehen oder bei einer ſchweren Operation, wo das Blut in Strömen fließt, das Waſchbecken zu halten.“ Chriſta wurde totenblaß, er gab ſich den An⸗ ſchein, es nicht zu bemerken. „Alſo — um Kräfte zu ſammeln, wirſt Du Reitſtunde nehmen.“ Er legte ſeine Hand auf ihren glatten Scheitel: „Nun, Madamchen Abſeits, bin ich ein moderner Vater? nicht immer den Herzens⸗ wünſchen meiner Kinder willfährig und gehorſam? Chriſta verließ den Vater in etwas deprimierter Stimmung. Anne Marie hatte recht. Der Vater, hatte ſie geſagt, verdünne und entzaubere mit ſeinen 60 ſtarren Porzellanaugen immer alles, ſie hüte ſich daher, ihm zu zeigen, was ſie für ſich behalten wolle. Chriſta ertappte ſich plötzlich darauf, daß ſie ſich auf die Reitſtunde freute. Es war eine kluge, wohlüberlegte Taktik Ru⸗ lands, ſeinen erwachſenen Kindern nie auf ſeine Autorität hin etwas zu unterſagen. Er begnügte ſich damit, Aſche auf ihr Feuer zu ſtreuen. Am nächſten Tage ſchon begann die Reitſtunde. Nach vier Wochen war Chriſta eine gute und an⸗ mutige Reiterin. Es machte ihr ſehr viel Vergnügen — das Reiten. Wenn das Wetter günſtig war, unter⸗ nahm der Vater mit ihr lange Spazierritte in den Grunewald. Sie nahm aber auch einen Kurſus in der Krankenpflege. Gotthold Ruland dachte: Doppelt angeſpannt reißt nicht, und er ſpann eine kleine Intrigue mit einem ihm befreundeten Arzt. Der bot Chriſta an, da ſie doch Krankenwärterin werden wolle — ſich die Sache in ſeiner Klinik einmal anzut⸗ ſehen und ihm dabei leichte Handreichungen zu leiſten. Freudig willigte Chriſta ein. Sie wurde ohnmächtig von der Wahlſtatt getragen. Zu einem zweiten Verſuch entſchloß ſie ſich nicht. Was nun? Sie hatte in der Schule zu den beſten Zeichnerinnen gehört. Warum ſollte ſie nicht Malerin werden? Aber nein, nicht Malerin — etwas Kühneres, Packenderes, noch nicht Abgeleiertes — alſo Bildhauerin. Da es dem Modeanſtand nicht wider⸗ 61 ſprach, erlaubte man ihr, in den Ateliers hervor⸗ ragender Künſtler ihre Studien zu machen. Hier lernte Chriſta Anſelma Sartorius kennen. Sie ſahen ſich täglich in den Ateliers, bis das Verbot des Aktzeichnens die ganze künſtleriſche Laufbahn Chriſtas wieder in Frage ſtellte. Es kam die Zeit, wo ſie mit wahrer Inbrunſt las. Am liebſten Tolſtoi und Nietzſche. Sie begrif ſelber kaum, wie ſie zu gleicher Zeit dieſe Beiden mit ihrer gegenſätzlichen Weltanſchauung in ſich auf⸗ nehmen konnte; Nietzſche, den abſoluteſten Indi⸗ vidualiſten, und Tolſtoi, den abſoluteſten Altruiſten. Aber es war ſo. Sie dachte darüber, ob es keine Verſöhnung zwiſchen dieſen beiden Menſchheits⸗ idealen geben könnte. Wer ein Apoſtel dieſer Ver⸗ ſöhnung ſein könnte! er wäre ein Meſſias der Zu⸗ kunft. Um in dieſem Gedankenkreis heimiſch zu werden, mußte ſie noch viel lernen, viel ſtudieren. Die Gym⸗ naſialkurſe ſollten die erſte Stufe ſein. Und von da zur Univerſität. Und auch dieſer Plan, den ſie ſo feſt im Auge gehabt, war am Widerſtand ihrer Mutter geſcheitert, die für alles und jedes, was ihre Töchter thaten, nur einen einzigen Geſichtspunkt hatte: Wird es ihrer Verheiratung nutzen? Während Chriſta ihren Erinnerungen nachhing, war es dämmerig geworden. Ihre Blicke flogen durch das Fenſter über die Telephondrähte hinweg, die vom Reflex der untergegangenen Sonne noch warm erglühten, hinauf zu dem roſig überhauchten Himmel. 62 Sie verſank in Träumerei. Im Zimmer, auf dem Bild der Toteninſel waren nur noch die dunklen Cypreſſen und die weiße Prieſtergeſtalt erkennbar. Sie träumte ſich dahin, wo die ſchwarzen Cypreſſen ſtehen und die weißen Prieſter gehen. Allmählich verblaßte das Roſenlicht. Es dunkelte. Drüben in der Reitbahn wurden die elek⸗ triſchen Bogenlampen entzündet. Sie raffte ſich em⸗ por. „Du haſt keine Zeit zum Träumen. Albernes Geſchmachte, dieſes Weben mondſcheiniger Gefühls⸗ fäden. Ich kenne Dich. Das Bogenlicht da im Reit⸗ ſtall — nur weil es ein Stall iſt — ſpinnſt Du zu⸗ ſammen mit dem Stern, der über dem Stall zu Bethlehem aufging, den Königen ein Leitſtern. Du biſt kein König, kaum mehr als eine höhere Tochter, und da drüben in der Krippe liegt gemeiner Hafer. Auf, Wurm! Zielbewußt werden! Etwas ſein! Vorher aber — Arbeit — Arbeit! Sie machte Licht und ſchleppte ſechs bis ſieben Bücher herbei. Welches zuerſt? Sie ſann — — Muſik in der Reitbahn. Leichte Schnee⸗ flocken wirbelten nieder, als bewegten ſie ſich rhyth⸗ miſch nach den melodiſchen Klängen, und die großen elektriſchen Flammen tauchten den weißen Schnee in Silbertöne. Der Winternachtstraum einer ſchönen Impreſſioniſten⸗Seele. Sie ſchaltete das Licht wieder aus. Das war zu ſchön. In dem jungen Mädchen kämpfte andauernd ihr künſtleriſches Schauen der Dinge mit ihrem Er⸗ 63 kenntnisdrang. Es fehlte ihr an Stätigkeit und Orientierungstalent, an feſter, ſtarker Wurzelung. Etwas kam hereingehuſcht, geräuſchlos wie der Wind ein Roſenblatt ins Zimmer weht. Das Etwas drückte auf den elektriſchen Knopf. Und da ſtand Anne Marie, ganz glitzernd und kniſternd von dem Schmelzbeſatz ihrer originellen Toilette. Sie wäre ſchon lange drüben bei Mama geweſen, hätte nur auf das Fortgehen der Freundinnen gewartet. Ob Papa ihr ſchon Raiſon von wegen der Heirat beigebracht? „Gott ſei Dank, nein!“ Na, dann käme ſie als Quverture zu dem Bra⸗ vourſtüick, das der Epikuräer loslaſſen würde. Sie warf ſich in den Schaukelſtuhl. Sie brauchte immer Bewegung, und wenn ſie nicht aktiv ſein konnte, wenigſtens eine paſſive. „Willſt Du mir wirklich zureden, jemanden zu heiraten, von dem ich nicht viel mehr weiß, als daß er ein netter Menſch iſt mit einigen gehörigen Schmiſſen auf der Wange und zu großen, knochigen Händen? „Vergiß ſeine Hauptzierde nicht: Reſerveleut⸗ nant in der Garde.“ „Und wäre er ein richtiger Leutnant, es bliebe ein gefährliches Hazardſpiel, das eigentlich, wie das am grünen Tiſch, verboten ſein ſollte. „Na ja, es iſt ja ſehr zu bedauern, daß es für die Ehe keine Verſuchskaninchen zum Experi⸗ mentieren giebt. Ich rate Dir, nimm ihn — vor⸗ läufig — den netten Aſſeſſor. „Vorläufig? 64 „Das Uebrige findet ſich — ſpäter. Möglicher⸗ weiſe ſogar die Liebe für ihn. Nämlich: die meiſten Frauen ſind ihren Männern gut, was Unbeteiligte in Betreff einzelner Exemplare oft garnicht begreifen. Und es muß ſchon — darf ich mich roh ausdrücken? — ein Patentekel ſein, oder er muß ſie mißhandeln, wenn ſie ihn nicht mögen ſoll, das bringt die Ehe ſo mit ſich. Siehſt Du, als ich Theodor nehmen ſollte, habe ich drei Nächte nicht ſchlafen können im Kampf mit meiner Liebe — die hieß, wenn ich mich recht erinnere, Willi — der hatte nichts und war nichts, und da ſiegte Mama und mein Verſtand, und jetzt ... „Liebſt Du Deinen Mann? „Nein, ich bin in einen Andern verliebt. Und dieſer geſegnete Theodor ſchenkt mir zu Weihnachten roſaſeidene Hemden — berauſchend, — die förmlich nach einem Abenteuer ſchreien.“ Sie rückte den Schaukelſtuhl ſo, daß ſie in den Spiegel ſehen konnte. Chriſta wurde in der Schweſter Seele hinein rot. „Ich bin nicht Deine Richterin, aber — wie kannſt Du nur — kannſt Du Anne Marie lachte. „Wenn mich jemand fragte, wie ſtehts mit Deiner Moral? ſo würde ich ant⸗ worten: mein Bruder bläſt die Flöte, mit welchem Bruder ich Dich meine. Ach Schweſterſeele, mir ſchwant, daß ich noch einmal als büßende Magdalene . ..“ Sie zog das Haar über die Stirn, ſchnitt eine Dohm, Chriſta Ruland. 5 65 fromme Grimaſſe und blickte dabei in den Spiegel. „Greulich ſteht mir die Zerknirſchung.“ Und ihr Spiegelbild apoſtrophierend: „Fürchten Sie nichts, Madamchen, vorläufig noch lange nicht. Ein Unwille ſtieg in Chriſta auf. Unwillkürlich griff ſie nach dem Album mit den Klingerſchen Ra⸗ dierungen. Anne Marie ſtrich das Haar wieder zurück, ſchlang ihre Arme rückwärts um die Stuhllehne und ſtreckte tief aufatmend die Bruſt heraus. „Siehſt Du, Chriſta, ich habe meine köſtlichen Weibinſtinkte bewahrt — Gott, ſind die jetzt Mode, beſonders in den Schriften gegen die Frauen⸗ emanzipation. Dein Nietzſche ſchwärmt ja auch vom Inſrinktweib. Ich bin ſtark und geſund wie ein junger Eichbaum, dem thun ein paar Schmarotzer⸗ chen — damit meine ich natürlich meine Faibles für das Ewig⸗Männliche — nichts. So ein Baum ſchüt⸗ telt ſich, und immer in gleicher Pracht ſteht er da. Iſt er hoch gewachſen, weiß ſeine Krone garnichts von dem bischen Gekrabbele um ſeinen Stamm herltm.“ Sie nickte zum Spiegel: „Habe ich recht, Madamchen? Du freilich, mit Deinem pauvren Blut ... nimm Eiſen, das hilft zwar nichts ... Dlt, ich habe neulich in der Schrift eines berühmten Medi⸗ ziners geleſen: Das Weib wäre tierähnlich, und der liebe Gott habe es in ſeiner Weisheit zum Nutzen und Frommen der Menſchheit alſo geſchaffen, und die Schrift ſchließt mit den Worten: „Fort mit dem 66 Intellektualismus des Weibes.“ Ich ſchließe mich dem Vorredner an: Fort mit dem Intellektualis⸗ mus! Sie blinzelte die Schweſter von der Seite an, machte ein ſüßes Kindergeſicht und ſagte: „Aber ein ſo arges Tier bin ich doch garnicht! Sie konnte nicht anders, als kokett ſein, ſelbſt mit der Schweſter war ſie's. Sie reckte den Hals, um in Chriſtas Album zu ſehen. „Was beguckſt Du denn da? Ach die Bilder des Todes! Gott, wohl als Gegengift gegen meine lebendige Verworfenheit? Totenklänge!“ Sie lehnte ſich hintenüber in den Schaukelſtuhl und ließ ihre Schuhchen auf den Zehenſpitzen balan⸗ cieren. „Du weißt, ich bin tanzwütig. Spielt kein höheres Inſtrument auf, tanze ich auch nach einem Leierkaſten; und mir ſchwant — zum zweiten Mal, ſeitdem ich hier ſitze, ſchwant mir etwas — ſelbſt mit dem Tod mache ich noch ein Tänzchen.“ „Würdeſt Du auch tanzen, wenn ich einen Choral ſpielte? „Das weiß ich nicht. Siehſt Du, als ich noch nicht ganz erwachſen war, da wollte ich immer ge⸗ rade das, was ich nicht durfte. Heut iſt meine De⸗ viſe — wenn auch Deviſen nur noch auf alten Wappen vorkommen —: Ich darf, was ich will. Chriſta wollte etwas ſagen. Anne Marie ſprang vom Stuhl und hielt ihr den Mund zu: „Tugendprotz! Still! Weißt Du, Chriſtel, ich glaube, Du wärſt ſo recht etwas für den 5* 67 Gaumen eines Pſychologen; man liebt jetzt das Rätſelaufgeben; ſie zu löſen, verſucht man gar nicht, dann wären es ja keine Rätſel mehr und hätten weiter keinen Reiz. Du willſt eine Ausnahme ſein? „Ich will nichts ſein. „Na gut, Du biſt eine Ausnahme. Du denkſt und denkſt! Du liebe Güte, es giebt ſchon ſo viele ewige Ideen und tiefe Gedanken in der Welt, ob Du noch einige hinzufügſt iſt dem Weltall — ich ſage ja nicht ſchnuppe, ſondern einfach egal. Und wer weiß auch, ob ſie ſo beſonders ſind, Deine Ideen? ſo unzeitgemäß, ſo übermenſchenhaft, wie Du ſie möchteſt.“ „Mit den Wölfen heulen, das ſollte ich nicht? „Als ob es immer Geheul und Wölfe ſein müß⸗ ten! Im Gegenteil. Es geht meiſtens dabei ganz ſanft und melodiſch zu. Du verſtehſt nur nicht, zwiſchen den Zeilen zu leſen. Weißt Du, Chriſtel, Du mit Deinem Allesdurchbohrenwollenden und im Grunde Nichts durchbohrenden Gefühlen biſt eine Plebejerin, unvornehm bis in die Knochen. Immer nörgelſt Du an Dir herum, horchſt in Dich hinein und giebſt Dir eine Zenſur. Sie ſah nach der Uhr. „Ich gehe und hinterlaſſe Dir drei Sinnſprüche — bitte zu bemerken, nicht Deviſen — Erſtens: Abwarten, es kommt ja doch immer ganz anders. Zweitens: Lies zwiſchen den Zeilen. Drittens: Das Dritte habe ich im Augen⸗ blick vergeſſen, wird mir ſchon wieder einfallen. 68 Findeſt Du nicht, ich ſpreche ja förmlich in Glühlichtern. Eigentlich eine recht komiſche Art, um Dir Raiſon in Betreff des netten Aſſeſſors bei⸗ zubringen. Schluß: Nimm ihn! Nimm ihn!" Die Wiederholung des „Nimm ihn“ ſprach ſie mit feierlichem Accent. Und langſam, mit pathe⸗ tiſcher Gebärde, die Hand gegen Chriſta ausſtreckend. ſchritt ſie langſam, mit auf burleske Wirkung ab⸗ zielenden Schritten zur Thür hinaus. Von draußen erklang ihr ſilbernes Lachen. Chriſtas Blick hing noch an der Radierung in ihrer Hand. „Zeit und Ruhm.“ Ueberwältigend die ſymboliſche Geſtalt der Zeit, das Antlitz wie von Blitzen gemeißelt, das Auge weit hinausſchweifend, abgrundtief, wie geſättigt von des Weltalls Jammer, und von grandioſer Fühlloſigkeit der eherne Fuß, der zertritt. Chriſta fühlte ſich mit kräftig zärtlichem Grif von hinten umfaßt. Es war Anne Marie. Kätzchenhaft wvar ſie wieder hereingeſchlichen. „Mir iſt der dritte Sinnſpruch eingefallen: Die Erde ſtürzt ja doch ein⸗ mal in die Sonne. Chriſta, wenn ich Dich nicht ſo gräßlich lieb hätte! Ich möchte Dich zerbrechen — zerbrechen, Du Spiegel, in dem ich meine Häßlichkeit ſehe.“ Und fort war ſie. 69 Der Auseinanderſetzung mit ihrem Vater ſah Chriſta mit Ruhe entgegen. Sie wußte ja: alle ſeine Reden — wenn ſie etwas von ihm wollte, — fingen immer an mit den Worten: „Ausgeſchloſſen“, und endigten mit dem Satz: „Uebrigens habe ich nichts dagegen.“ Sie kannte ihren Vater gut, auch in ſeinen Schwächen. Gotthold Ruland benutzte mit Vorliebe ſowohl zu ſeinen gemütlichen Plaudereien, wie zu ſeinen ernſteren Auseinanderſetzungen mit Chriſta, ihre gemeinſchaftlichen Spazierritte. Daher kam es, daß ſie im Sommer intimer zueinander ſtanden als im Winter. Man konnte beim Reiten beliebige wün⸗ ſchenswerte Pauſen eintreten laſſen, jenachdem die Gangart von Wotan und Brunhild — ſo hießen die Pferde — wechſelte. Es war an einem Morgen des Vorfrühlings, als ſie durch die Alleen des Tiergartens trabten, ſchweigend, bis ſie den Grunewald erreichten. Da draußen war alles ganz wach und morgenfriſch. Die kleinen Waſſer, an denen ſie vorüberkamen, von kryſtallener Durchſichtigkeit. Auf dem Gras noch der weißſilbrige Glanz des Morgennebels. Von den Bäumen leiſes, melodiſches Tröpfeln. In langen Zügen atmeten ſie die ozonreiche Luft. „Der Morgen iſt eigentlich zu ſchön,“ ſagte der Vater, „um Dir, — Mama hat es mir eingeſchärft - Raiſon beizubringen. Ein Vogel hob ſich trillernd in die Lüfte. „Und ſieh, Vater, da hätten wir auch ſchon die 70 Lerche im Aetherblau. Behelfen wir uns auch mit Jubilieren.“ „Erſt das Geſchäft, und dann das Vergnügen. Gotthold Ruland nahm augenſcheinlich die Sache nicht mit dem gehörigen väterlichen Ernſt. „Na, Chriſtelchen, heiraten wir, oder heiraten wir nicht?“ „Wir heiraten nicht.“ „Haſt Du Dir überlegt, daß Du den Korb mög⸗ licherweiſe einem künftigen Finanzminiſter giebſt?" „Hat er das Zeug dazu? „Das hat er.“ „Gräßlich, Vater. Da käme ich am Ende zu Hofe und würde mich benehmen wie das Lorle in Dorf und Stadt, wofür die heutige Menſchheit keinen Geſchmack hat.“ Der Vater machte ſeiner Mißbilligung durch einen ſcharfen Trab Luft und nahm dann das Ge⸗ ſpräch mit der Miene des überlegenen, wohlwvollenden und weiſen Weltmannes wieder auf. „Man wartet wohl auf die große Liebe? „Vielleicht.“ „Ich will ihr ja ihren momentanen Seelen⸗ zauber nicht abſprechen. Schillers: „O, daß ſie ewig grünen bliebe“ u.ſ.w., hat uns allen einmal in den Gliedern geſteckt, aber — ich bin ein Mann der Realitäten. Du biſt ein ſtarker Geiſt, Chriſtel, ſo was man strong mindedl nennt. Du weißt Beſcheid, und ich kann mit Dir reden, wie mit meinesgleichen. Siehſt Du, Kind, Liebe oder Verliebtheit — es 71 kommt auf eins heraus — hat — weil Du es biſt, will ich mich poetiſch ausdrücken — eine kurze Blüte. Hat einmal Amor — um bei der Poeſie zu bleiben — Hymen die Fackel gereicht, ſo — nun ſo —“ Er konnte nun doch nicht mit der Tochter wie mit ſeines⸗ gleichen reden und ſuchte nach ſubtilen Worten, um ihr die Derbheit ſeiner Meinung zu inſuinieren. „Nun, ſo magert Pſyche, der man vorher alles in die Schuhe geſchoben, zuſehends ab, und die Sache nimmt mehr — — u. ſ. w.“ Er wurde wieder verlegen. „Mit einem Worte — wen Du liebſt, kannſt Du vor der Ehe garnicht wiſſen. Es kommt nachher meiſt ganz anders u. ſ.w. Er gab dem Pferde einen leichten Gertenſchlag: „Pegaſus hop! „Na, lieb Väterchen, weiter. Die Liebe alſo ⸗ „Die verhält ſich zu den ſonſtigen Gemüts⸗ und Geiſtesbethätigungen wie der Geſang zu dem ge⸗ ſprochenen Wort. Geſang kann ja wunderſchön ſein, aber immer Triſtan und Iſolde? und meiſtens iſt es auch nur Operettengeſang. Ihr Kindsköpfe haltet nun dieſe blühenden Seelenſchauer für das Eſſentielle. Man heiratet aber nicht auf Wochen und Monate, ſondern fürs Leben. Für das Eheglück ſpielt die Liebe eine unbeträchtliche Nebenrolle, die Hauptrolle: der Charakter des Erwählten. In jüngeren Jahren war ich als Richter im Departement der Scheidungen be⸗ ſchäftigt. Es ſteht mir alſo umfaſſendſtes Material zu Gebote. Dreiviertel aller Scheidungen kamen unter ſolchen vor, die ſich aus Liebe geheiratet, ja 72 es waren unter dieſen Scheidungskandidatinnen zwei, die ſich ihre Gatten erſt durch Selbſtmordverſuche er⸗ obert hatten.“ „Möglich, daß Du recht haſt, Vater. Ich heirate aber doch lieber nicht. In der Ehe iſt man immer wie Obſt am Spalier, ich aber . . . „Du möchteſt Dich ausleben. Ich kenne das Stichwort.“ „Ja — ausleben, auswachſen, hochwvachſen, ſo hoch es immer geht, bis in den Aether hinein — Aufſtieg zum Mars. „Und möchteſt etwas Bedeutendes werden? „Natürlich.“ „Was denn? eine Kaſſandra, Pythia, oder min⸗ deſtens — Aerztin? „Fehlgeſchoſſen, da noch eher eine Hypatia. Sie bog ſich ſoweit vom Sattel ab, zu ihm hin, daß ſie beinah vom Pferd fiel, und flüſterte ihm ins Ohr: „Eine prieſterliche Jungfrau will ich werden. Sie trabte darnach eine kurze Strecke voraus. Während er ihr langſam folgte, dachte er: wunder⸗ lich, wie ſich dieſe kleinen unbeträchtlichen Dinger jetzt herausmachen mit Lebensanſchauungen und Weltauffaſſungen. Als ſie wieder nebeneinander ritten, betonte er etwas ironiſch: „Prieſterliche Jungfrau! Du haſt „Frederique“ von Marcel Prevoſt geleſen.“ Chriſta rümpfte geringſchätzig das Näschen: „Du wirſt nicht glauben, Vater, daß dieſes Buch mich beeinflußt hat. Nein, höheren Orts habe ich mich 73 mit den Ideen inficiert, nach denen ich leben will. Du fragteſt mich einmal, ob ich Nietzſche geleſen. Ich ſagte nein. Jetzt, Vater, habe ich ihn geleſen. Vor⸗ her war ich, wie wir Mädchen faſt alle: eine Art Spieluhr, die nur die bekannten Stücke ableiert. „Ich denke: Obſt am Spalier? „Iſt dasſelbe. Da erbrauſten über mich ſeine Schriften wie Orgelton und Glockenklang, und die Glocken läuteten zu dem Gebet: Herr, erlöſe mich von dem Spieluhr⸗Gebimmle und Gewimmre. Ich lebte bis dahin im Dunſtkreis derer, die da waren, ſeitdem leben wir Jungen in der Morgenröte der Kommen⸗ den. Schopenhauer war der Erzieher Nietzſches, Nietzſche iſt unſer aller Erzieher, er hat uns ein geiſtiges Neuland entdeckt. Ich liebe ihn — ich liebe ihn!“ Und in der Vorahnung eines fürchterlichen rhe⸗ toriſchen Ausbruchs von Seiten des Vaters gab ſie dem Pferde einen ſtarken Schlag: „Fliege, Wotan, fliege!“ Und im Galopp ſauſte ſie davon. Als der Vater ſie einholte, befand er ſich in der That in hochgradiger Erregung. „Dein Nietzſche! Euer Nietzſche! Ein geiſtiger Obergigerl. Er zieht ſich eine grüne Hoſe an, eine rote Weſte und einen blauen Rock und dekretiert: Das iſt die Zukunfts⸗ mode. Und Ihr Abſeitigen, Querköpfigen, Ihr ſperrt Augen und Ohren auf und ruft: Heil dem Ober⸗ gigerl der Zukunft! Gift iſt er! Gift! Auf die Teufelsinſel mit ihm und allen ſeinen Jüngern und Apoſteln! Moderne Geiſter wollt Ihr ſein? Eure 74 Modernität beſteht darin, daß Ihr eine Gänſehaut kriegt, wenn von Glauben, Kirche, Autorität die Rede iſt. Geflügelte Hanswürſte ſeid Ihr, Unter⸗ weltsaſpiranten, Sumpftaucher, Hefenſammler!“ Im Eifer ſchlug er auf Chriſtas Pferd los, daß es einen Seitenſprung machte. „Aber ich liebe doch auch Tolſtoi, Vater, der iſt der reinſte Gegenſatz von Nietzſche, nehmen wir den mit auf die Teufelsinſel?" „Ja, ſamt allen Altruiſten à la Tolſtoi. Kranke ſind es. Weil ſie nur noch Waſſerſuppen vertragen 7¹ können, würzen ſie ſie mit Menſchenliebe, Hyper⸗ Edelſinn, ſterilen Allgemeinheiten. Mich entnerven ſchon die Worte: moderner Geiſt, moderne Richtung. Erlöſung, Auferſtehung — auch Schlagwörter. Komet ſein, neblige Dunſthülle, nur kein Kern.“ Chriſta gab Brunhild eins mit der Reitpeitſche. „Was erlaubſt Du Dir? „Schlägſt Du meinen Wotan, ſchlage ich Deine Brunhild.“ „Und beſonders Ihr Frauenzimmer mit dem Vogelgehirn, Ihr panſcht ein bischen Chriſtus, Budha, Sozialismus zuſammen, eine Doſis Myſtik, einen Gran Morphium, ein paar heilige Parſival⸗ klänge, aber dazu ein Kleid für 800 Mark und Geſichtsmaſſage, die Sitzung à 7 Mark! „Wenn Du ſo ſchimpfſt, Vater, kommſt Du nicht in den Himmel.“ „Wenn ich Petrus vorſtelle, daß ich weder die Kreuzerſonate geleſen, noch die „Weber“ geſehen, noch 75 mich für Zarathuſtra begeiſtert habe, ſchließt er ſchon auf.“ Chriſta war es lieb, daß das Geſpräch eine humoriſtiſche Wendung nahm. „Es fehlte Dir wirklich nur noch, Chriſtel, daß Du „Genoſſin“ würdeſt.“ „Iſt ſchon im Anzuge. Bin eben dabei, Marr, Engels und Laſſalle zu ſtudieren und zu finden, daß Du zu viel verdienſt, Vater.“ Das war für den gefeierten Rechtsanwalt zu viel. Er zog ſo heftig die Kandare an, daß das Pferd ſich bäumte und er Mühe hatte, es zu be⸗ ruhigen. Er ſchäumte wie Brunhild. „Bleibt mir vom Hals mit Eurem Sozialismus. Willſt Du wiſſen, was der ſozialiſtiſche Arbeiter iſt? Der Proletarier, der ſtolz darauf iſt, daß ſeine Stiefel Löcher haben und nicht geputzt ſind, der ſich ſeine Pauverté für eine Tugend anrechnet und innerlich darüber erboſt iſt. Sozialiſtiſche Einrichtungen! Natürlich in jeder Werkſtatt eine Chaiſelongue und Kaminfeuer, und jeder Arbeiter nicht nur Sonntags ſein Huhn im Topf, nein auch ſeinen Aal in Aſpik und ſeine Gänſeleberpaſtete ... „Und vergiß das Trüffelmus nicht,“ ergänzte Chriſtel ſeine Rede. „Aber Vater, Du ſprichſt ja wic der ſatte Bourgeois, und glaubſt doch ſelber nicht an die Gänſeleberpaſtete.“ Sie wußte, der Vater wurde um ſo heftiger und lauter bei ſolchen Anläſſen, je nötiger er es hatte, eine innere Stimme, die ſich wider ihn erhob, zu be⸗ 76 täuben. Sie hatte die Empfindung, er litt in ſolchen Augenblicken. Sie drängte liebevoll ihr Pferd an das ſeine, zog ein Stückchen Zucker aus der Taſche und gab es Brunhild. Wehmütig und ſchelmiſch zu⸗ gleich ſah ſie dem Vater dabei in die Augen. Es war, als habe er ſelbſt den Zucker erhalten, er wurde ruhiger. „Du biſt und bleibſt eine kleine Libelle. „Wieſo Libelle? „Die beſteht eigentlich nur aus Flügeln, großen, glitzernden, transparenten Flügeln. Das Körperchen dünn, ganz dünn, ein Fädchen nur. Um aber auf unſer Geſpräch zurückzukommen, iſt es nicht wirklich traurig, daß dieſe Leute, die Proletarier, immer nur an Beſitz, an Geld denken? Das Gemüts⸗ und Geiſtesleben iſt doch von ganz anderen Faktoren ab⸗ hängig als von der materiellen Grundlage, nämlich von der inneren Zufriedenheit, die die Urſache der wahren Harmonie und des Glückes der Menſch⸗ heit iſt.“ Chriſta lachte auf. „Aber Vater, ein Plagiat. Das hat ja neulich ein hoher Beamter — ich glaube der Poſtdirektor — ſeinen Untergebenen geſagt, als ſie eine Zulage verlangten.“ Gotthold Ruland wurde etwas verlegen. „Mag ſein, es iſt deshalb nicht weniger wahr. Ich ſage Dir, Kind, es giebt nur zweierlei wahre Werte im menſchlichen Daſein: Der Glaube, vor dem ich mich in Ehrfurcht beuge, und die Wiſſenſchaft, für die ich die höchſte Schätzung habe. Alles andere — ent⸗ 77 wveder ſuchen die Menſchen dabei ihren Vorteil — es ſind Geſchäftsmachenſchaften, oder — Puſchel. Ob Anarchiſt, Sozialiſt, ob Menſchheitsbruder, von Gut⸗ zeit und Dieffenbach bis zu Tolſtoi — Poſeure ſind's, Gift. Ihr Alle, die Ihr für das Abſeitige, Ver⸗ ſtiegene, Genialiſch⸗mnyſtiſch⸗ephebiſche Euch ins Zeug legt — Ihr wollt mit dem Kopf durch die Wand. Die Wand iſt aber feſtgemauert. Die Löcher kriegt Euer Kopf. Und nun gar Ihr Weibchen, Ihr habt Euch aufſcheuchen laſſen aus Euren hübſchen, be⸗ quemen Neſtern und flattert nun umher und ſucht den Weg zu den Gipfeln und Adlerhorſten. Sperlinge Ihr! Schwarmgeiſter! Brunhild ſchien beleidigt und legte zu einem eigenmächtigen Galopp aus. Wotan folgte. Sie galoppierten eine Weile ſchweigend. Dann aus der wohligen Wärme und einem Kraftgefühl heraus ſagte Gotthold Ruland: „Uebrigens im Grunde, ich habe nichts gegen die prieſterliche Jungfrau. Ich warne Dich aber. Von Deinem 25. Jahre ab nenne ich Dich, anſtatt Madame Abſeits, Altjüngferchen Abſeits!" „Einverſtanden, Vater.“ Verſöhnt und vergnügt langten ſie zu Hauſe an, Frau Harriet bei dem Glauben laſſend, daß der Vater der Tochter Raiſon beigebracht habe. 78 Chriſta war kein ſtarker Charakter, der Ueber⸗ redung anderer nicht unzugänglich. Aber mehr noch wurde ihr der Eigenwille durch die Unzufriedenheit der Anderen vergällt. Selbſt Dietrich fiel dabei ins Gewicht. Die vergrollte Stimmung ihrer Umgebung ertrug ſie ſchwer. Der junge Mann gefiel ihr ja auch ganz gut. Eine große Liebe wollte ſie garnicht. Seit⸗ dem — ſeitdem verband ſie damit immer die Vor⸗ ſtellung von Selbſtmord und Betrunkenheit. Chriſta neigte zum Jawort. Da hörte ſie — die Mutter erzählte es ihr in der Vorausſetzung, daß es ihr Intereſſe ſteigern würde — daß der junge Mann ein ſehr ernſtes Duell gehabt und den Gegner ſchwer verwundet habe. „Warum?“ fragte Chriſta kalt. Das wiſſe ſie nicht. Jedenfalls hätte ihn der Ehrenkodex dazu gezwungen, weil er Reſerveleutnant ſei — bei der Garde. Als er am andern Tage im Hauſe erſchien, fragte ſie gleich: „Sie haben ſich duelliert?“ Er verneigte ſich ſchweigend. „Haben Sie Ihren Gegner zur Strecke gebracht? „Nicht ganz,“ ſagte er und lächelte dabei ſelbſt⸗ gefällig. Dieſes Lächeln — wahrſcheinlich ein Lächeln der Verlegenheit — empörte Chriſta. Sie ſah mit Widerwillen auf ſeine großen, knochigen Hände. „Ich kondoliere Ihnen, Herr Reſerveleutnant. „Wozu? „Daß Sie bei dem Totſchlag nicht geſchickter verfahren ſind. 79 „Chriſta!“ rief die Mutter entſetzt. Der junge Mann war totenblaß geworden. Grußlos verließ er das Zimmer. Frau Harriet trug der Tochter das Geſchehene nach. Ihr Verhältnis zu ihr wurde ſeitdem ſchroffer, liebloſer. War ſie wirklich feig? Sie wollte ſich auf⸗ raffen, um nicht ſchief zu werden, wie Julia es vor⸗ aus ſah. Auch ohne Gymnaſialkurſe würde ſie Mittel und Wege finden, die Univerſität zu beſuchen. Sie ergriff die erſte günſtige Gelegenheit, der Mutter ihren Plan auseinanderzuſetzen. Frau Harriet wollte in einem Warenhauſe Ein⸗ käufe machen. Chriſta erbot ſich — was ſie ſonſt nicht that — ſie zu begleiten. Sie wußte, die Mutter war nie zugänglicher, als wenn ſie hübſche und preiswerte Anſchaffungen in Ausſicht hatte. Auch würde ſie ſelbſt im Gewühl der Straßen unbe⸗ fangener, mutiger mit der Mutter reden können, als im etténà téte im Salon. Die Mutter nahm die Sache nicht ernſt. Sie glaubte nicht daran, daß es einem jungen Mädchen aus diſtinguierter Familie „Spaß“ machen könne, ſich mit Hunderten von männlichen Kretis und Metis ſtundenlang in ſchlechter Luft zuſammenzu⸗ pferchen. 80 Was die Mama denn fürchte, etwa daß ſie mit einem dieſer Kretis oder Pletis davonlaufen würde? Sie fürchte nichts, halte aber die Sache für in⸗ diskutabel. Wer ihr denn die verſchrobenen Ideen eingeblaſen habe? Chriſta zwang ſich zu einem ſchelmiſchen Ton. Ob ſie etwa wieder mit der erblichen Belaſtung von der Großmutter her kommen ſolle? (Die ſpukte in der Familientradition als eine pſychologiſche Ab⸗ normität.) In der Theoſophie nenne man ſolche ererbte Sündenſchuld „Karma“. Ob Mamachen einen Vortrag über „Karma“ hören wolle? Mamachen dankte für Karma. Karma wäre Blödſinn. Anne Marie, die doch ſoviel Eſprit habe, wvürde nie auf die Univerſität verfallen ſein. „Es thut mir ja leid, Mama, daß ich nicht Anne Marie bin. Was wollteſt Du denn auch mit zwei Anne Marieen? „Heirate doch, dann kannſt Du thun, was Du willſt.“ Chriſta zuckte nervös zuſammen. Ein böſes Wort, das ihr auf die Lippen kam, drängte ſie zu⸗ rück. Sie lief der Mutter davon. Laufe nur, dachte Frau Harriet. Sie fühlte ſich ihrer Sache ſicher. Vor dem Herbſt konnte von einem ernſthaften Studium Chriſtas nicht die Rede ſein. Zwiſchen Frühjahr und Herbſt lag die lange Sommerreiſe. Auf dieſe Reiſe baute die ſo eifrig auf ihre Schwiegermutterſchaft bedachte Dame ihren Plan. Des kleinen blutarmen Heinz wegen mußte Dohm, Chriſta Ruland. 6 81 man ſich auf ein Oſtſeebad beſchränken. Dahin würde dann auch Anne Marie mit ihrem kränkelnden Mann kommen. Die Juſtizrätin hatte eben wieder etwas in petto. In den Frühjahrsmonaten kam Chriſta oft mit ihren Freundinnen zuſammen. Nur Anſelma war wie verſchollen. Die arbeitete raſtlos. Julia ſaß ihr. Beide beobachteten unverbrüchliches Schweigen. Zu dem Freundinnenkreis gehörten auch Klariſſa Wendler und Maria Hill. Maria war eine ungemein ſympathiſche Erſcheinung. Ein liebes Kindergeſicht mit roſigen Wangen und lockigem, dunkelblonden Haar. Von der klaren, runden Stirn konnte man die guten Gedanken ableſen. Seit zwei Jahren hatte ſie ihre Studien in Zürich — Mathematik und Chemie — beendet. Lange hatte ſie vergebens nach einer Stellung geſucht, die ſie für ihre Exiſtenz brauchte. Endlich fand ſie, auf die Fürſprache eines Freundes der Familie hin, einen beſcheidenen Platz in einem Privat⸗Laboratorium. Sie war dort täglich 7 bis 8 Stunden beſchäftigt, vorwiegend mit mechaniſchen Arbeiten. Sie hatte auszuführen, was der Chef ihr auftrug. Bei denen, die ſie kannten, galt ſie für einen reinen und vollen Typus der „Neuen Frau“. Chriſta 82 hatte ſie lieb. Sie war klug wie der Tag, heiteren Temperaments, energiſch, klar, vielſeitig. Kunſt, Litteratur, ſoziale Fragen, alles intereſſierte ſie leb⸗ haft. Ihr Gemüt war ſo reich wie ihr Verſtand. Sie unterſtützte einen Bruder auf der Univerſität. Ein ganz leichter Flaum von Studentinnentum lag auf ihrem Weſen, die Art, wie ſie die Beine über⸗ einanderſchlug, wie ſie eintrat, keck und etwas ſchüch⸗ tern zugleich, wohl in dem Bewußtſein, als ein Fräulein Doktor noch immer als eine Rarität auf⸗ 8 fällig zu ſein. Offenbar hielt ihre äußere Sicher⸗ heit nicht Schritt mit der inneren. Wenn ſie denkend etwas auseinanderſetzte, hatte ſie einen eigentümlichen Blick: das Köpfchen ſeitwärts geneigt, ein wenig ſchielend nach oben blickend, als richte ſie ihre Worte an ein imaginäres Oberweſen in der Höhe. Das gab ihr etwas verlegen Schelmiſches. Es war aber nur eine Angewohnheit, die ihr gut ſtand. Ihre Kleidung ſvar einfach, geſchmackvoll, äußerſt ſorgfältig. Phan⸗ taſtiſches oder Auffallendes vermied ſie. Ganz anders Klariſſa, ein ſtilles, ſonderbares Mädchen, das auf Chriſta eine ſtarke Anziehung aus⸗ üibte. Ihr Denken und Empfinden gehörte einer myſtiſchen Welt. Die Senſitivität lag in ihrer Familie. Ihre Seele ſchien wie ſchwebend in einem Körper, von dem ſie am liebſten garnichts gewußt hätte. Merkwiirdigerweiſe war dieſer Körper von voll⸗ endetem Ebenmaß. Nur der Ausdruck der blauen Augen, die bald ſtarrten, bald wie aufgeſchreckt um⸗ herirrten, verrieten eine ungewöhnliche Seelenver⸗ 6* 83 faſſung. Chriſta ſah wohl, daß Klariſſa nicht normal war, wahrſcheinlich krank. Aber dieſe Senſitive mit ihren überſinnlichen Wahrnehmungen gab ihrem Nachdenken einen weiten Spielraum. Ihre rätſel⸗ haften phyſiſchen Abnormitäten erſchienen ihr wie Wegweiſer zu Ländern, die noch nicht entdeckt ſind. Julia hatte inzwiſchen mit Feuereifer die Schrift⸗ ſtellerei in Angriff genommen. Ein paar kleine No⸗ vellen waren zurückgewieſen worden. Sie war wii⸗ tend. Die Novellen wären ſpannend, großartig. Und ſie erzählte ihren Freundinnen den Inhalt. Sie verlor den Mut nicht. Man ſagte ihr, ſie müſſe ſelbſt in die Redaktionen gehen, durch ihre Perſönlichkeit wirken. Und ſie ging in die Redaktionen, und die Wirkungen, ſowohl litterariſche wie perſönliche, blie⸗ ben nicht aus . Freilich, einer der Redakteure ſchlug ihr vor, mit ihm zu ſoupieren. Dabei ließen ſich litterariſche Geſchäfte gemütlicher abwickeln. Ein anderer ſuchte ſie in ihrem Zimmer auf. Seitdem ſie ſchriftſtellerte, war ſie von einer glühenden Unraſt, ein wahrer kleiner Veſuv, der ab und zu ſeinen Ausbruch haben mußte. Abenteuer brauchte ſie wie das liebe Brot, und ſie floſſen ihr nur ſo zu. Sie hatte etwas von einer kleinbürger⸗ lichen Bacchantin. Statt des Pantherfells nahm ſie 84 auch mit einem Haſenfell fürlieb. Eine geborene Vagabundin, aber ſie vagabundierte lieber durch die Reſtaurants, Theater (der Wintergarten hatte einen beſonderen Charme für ſie) als durch die Natur, durch die Gedanken⸗ und Geiſterwelt. Trotzdem ſchwärmte ſie auch für Nietzſche, das heißt, ſie blätterte nur in ſeinen Schriften und ſchrieb ſich Stellen für ihren Gebrauch aus. Sie liebte es, ſchwungvoll zu ſein und hinterher Würſte mit Moſtrich zu eſſen. Neben all ihren Seelenbränden und ihrem Temperament bewahrte ſie viel nüchterne Berechnung. Sie erhielt einen böſen Brief von zu Hauſe. Sie ſolle ſofort heimkehren. Ihr zweiter Bruder habe ſich entſchloſſen Offizier zu werden. Eine Schweſter, die ſich in der Welt herumtreibe, ſei geeignet ſeiner Carriere zu ſchaden. Entweder habe ſie zu gehorchen, oder — — —— Die Gedankenſtriche, die auf das „oder“ folg⸗ ten, waren ſo dick unterſtrichen, daß Julia den Leut⸗ nant in spe im Verdacht dieſer Tintenverſchwendung hatte. Sie war außer ſich, redete ſich in einen förmlichen Haß gegen ihre Familie hinein. Alles wuchs bei ihr gleich ins Maßloſe: Zorn, Haß, Liebe. Immer war ſie bis zu den Zähnen gewappnet, um ſich zu wehren, zu rächen. Es war ein Glück für ihre Feinde, daß Blutrache höchſtens noch in Korſika und Sardinien vorkommt. Die wäre ihr Fall geweſen. Sie bäumte 85 ſich auf im Trotz gegen dieſe Familie, und die un⸗ mittelbare Folge war, daß ſie zum erſten Male die Einladung eines Redakteurs zu einem Souper an⸗ nahm. Dietrich Ruland hatte es von einem Kommi⸗ litonen, der Julia in dem Reſtaurant geſehen, er⸗ fahren. Er hinterbrachte es ſeiner Schweſter. Julia war mit dem Familienbrief zu Chriſta gelaufen. Sie traf dort Klariſſa Wendler. Ihre Anweſenheit hinderte ſie nicht, ihren Grimm gegen die Familienbande auszutoben. Familie! Familie! Um das Familienglück zu fördern, ſolle ſie einen älteren fremden Witwer hei⸗ raten. Und dieſer ältere fremde Witwer brauche ſie ebenfalls zur Förderung des Familienglücks, näm⸗ lich um ſeine Kinder zu erziehen. Der Elende! Ein⸗ fach verliebt war er in ſie. Warum heiratete er denn nicht die Kouſine, die jetzt bei den Kindern war, die ihn liebte und die das Zeug zu einer Muſtermutter hatte. „Ach Gott, ach Gott, Chriſta,“ ſchloß ſie ihre Jeremiade, „Du ſollſt ſehen, die Geſchichte endet mit einem regelrechten, wenn auch gänzlich aus der Zeit fallenden Familienfluch.“ Chriſta brachte die Sache mit dem Souper in Reſtaurant zur Sprache, in der Meinung, daß mög⸗ licherweiſe eine Verwechslung vorliege. Julia ſal ſie mit erkünſteltem Hochmut an. „Natürlich. Es iſt wahr. Unſittlich — nicht? 86 unfein? Wer findet das? Die Geſellſchaft. Welche Geſellſchaft? Dieſelbe, die nicht wie ich, bei offener Scene ein Glas Bier mit einem Kameraden trinkt — das ich notabene ſelbſt bezahlt habe, o nein, die in einem chambre séparée champagnert. Wo liegt denn die Unſittlichkeit? Sind die Stühle in einem Reſtaurant vom Teufel beſeſſen, iſt das Bier in der Hölle gebraut? . .. „Ich ſage ja nicht unſittlich, Julia,“ beſchwich⸗ tigte Chriſta— „aber es iſt ſo geſchmacklos. Du hatteſt neulich ein weißes Kleid an, ein paar Flecke waren und doch Flecke.“ „Mit Euren Bildern! Bilder! ein Hilferuf an die Phantaſie, wenn der Verſtand nicht langt. Und Geſchmack! Geſchmack! Ein Mauſeloch, in das feige Unnatur kriecht. Wenn man aber . . . „Ein Löwe iſt,“ unterbrach Chriſta ſie lächelnd. „Wenn man kein Eſel iſt, braucht man noch kein Löwe zu ſein. Ich gehöre doch nun einmal zu den Kommenden, Du aber — wenn ich offen ſein ſoll — zu den Hinkenden — ja — Du hinkſt, wahrſcheinlich auch blos in Mäuſelöcher.“ Sie warf mit einer ſchwungvollen Gebärde das Haar von der Stirn zurück. „Du und Deinesgleichen, Ihr lichtet nie die Anker, um hinauszuſchiffen in offene Meere — ins unermeßlich Uferloſe, in meer⸗ leuchtende Pracht, umhimmelt, umflogen — — giebt es Seeadler? ja? alſo von Seeadlern umflogen . . ." 87 darin, die waren vielleicht von gutem Himbeerſaft, Da war wieder der plötzliche Umſchlag ihrer Stimmung, aus dem ſchnoddrigen Berlinertum ins Nietzſchehafte hinein, Stimmungswechſel, die die Re⸗ dakteure und auch andere ſo pikant an ihr fanden. Derbe Schritte auf dem Korridor wurden hör⸗ bar. Anna Rötter trat ein, eine Kleinſtädterin, die ſchon ſeit Wochen bei ihrer Kouſine Klariſſa als Logierbeſuch hauſte. Anna Rötter war eine Sportsdame, das heißt, mehr Sportsmädel, denn ſie radelte in Pumphoſen, die die feinere Geſellſchaft längſt von der Tages⸗ ordnung geſtrichen hatte. Sie radelte übrigens nicht ganz zum Vergnügen, das Rad war ihr Beruf. Ge⸗ lernt hatte ſie nichts, anregenden Umgang fand ſie in dem kleinen Neſt nicht, aber — Hyſterie hatte ſich eingeſtellt. Das Rad war für ſie Rettung aus körper⸗ licher und geiſtiger Verſumpfung geworden. Sie trotzte in ihren Pumphoſen allen öffentlichen und privaten Verunglimpfungen, und ſtolz zu Rad durch⸗ querte ſie Deutſchland und ſchnupperte ſelbſt ins Ausland hinein. Sie trat in den Radlerbund und gehörte damit einer Gemeinſchaft an. An den ver⸗ wegenſten Wettfahrten nahm ſie Teil. Sie hatte eine großartige Auffaſſung vom Rade. Es war ihr Ge⸗ liebter. Als in einer Verſammlung einem Redner beleidigende Worte gegen Radlerinnen entſchlüpften, zwang ſie ihn zur Abbitte. Arbeiter, die ſich ihr höhnend in den Weg ſtellten, bedrohte ſie mit der Peitſche. 88 Julia nannte ſie die Lola Montez von Kyritz⸗ Pyritz. Sie konnte ſie nicht leiden und überließ ihr das Feld bei Chriſta. Mehrere Monate hatte Chriſta von Julia nichts gehört, Karten, die ſie ihr ſchrieb, waren unbeant⸗ wortet geblieben. Dann kam ſie plötzlich, kurz vor der Abreiſe der Familie Ruland ins Seebad. Sie kam hereingerauſcht, ſehr elegant, mit einem leichten Parfümduft. Anfangs blieb ſie, ganz gegen ihre Gewohnheit, wortkarg. Dann brach ſie unvermittelt los: Der Familienfluch wäre pünktlich eingetroffen, zu pünktlich, zu einer Zeit, wo außer dem harmloſen Glas Bier mit dem Redakteur noch garnichts ge⸗ ſchehen war. Da — alſo — man hatte ihr den Stuhl vor die Thür geſetzt. Nun wäre es ihnen recht, ganz recht. . . . Sie blieb vor der Toteninſel ſtehen: „Weiße Prieſter, ſchwarze Cypreſſen!“ Die zuſammenge⸗ falteten Hände gegen den Mund erhebend, mit dem Ausdruck einer etwas verunglückten büßenden Magdalena, ſtarrte ſie auf den Böcklin. Dann be⸗ ſann ſie ſich aber eines beſſeren, riß die Hände, als wären ſie eine Feſſel, auseinander und ſtreckte die frei⸗ gewordenen Arme faſt jauchzend empor. „Fort mit Geſpenſtern! Den Tod poetiſieren! Wieder ſo ein Mauſeloch, in dem Furcht und Grauen 89 ſich verſtecken. Der Tod iſt ja gerade der böſe Bube, der uns lockt, das Leben ſo gierig zu umklammern. Ueber allen ſchwarzen, toten welſchen Cypreſſen hoch die deutſche Linde, (unter Deutſch verſtehe ſie um Gotteswillen nicht alldeutſch). Nachtigallen in den Zweigen, in ſeinem Schatten eine Bank (braucht nicht weißer Marmor zu ſein), und auf der Bank — mit Lehne — er und ſie. Er aber kein prieſterlicher weißer Sargtransporteur, nein — ein lebensroter Jüngling — am liebſten „die blonde Beſtie“. Sie ließ ſich vor Chriſta auf ein orientaliſches Kiſſen nieder. „Zu Deinen Füßen laß mich ſitzen. Dich liebe ich. Erinnerſt Du Dich, Chriſta, wie ich einmal, Deiner Meinung entgegen, behauptete, wir könnten alles, auch ohne den Mann? Ich habe renom⸗ miert. Wir können nichts ohne ihn. Und dieſe Männer, ſie thun nichts umſonſt, nicht einmal die Redakteure. Wenn man ſpröde iſt, nehmen ſie es ſo gräßlich übel. Und ſo kommt es denn, ganz allmäh⸗ lich — ſachte — ſachtchen — —. Und man hat doch Blut, und wir ſind doch nicht alle Emilia Galotti's, die einen Vater mit dem Dolch im Gewande beſitzen, der ſich erbitten läßt, ſelbigen in unſeren entbrannten Buſen zu ſtoßen, um die Flamme zu löſchen. Wozit denn löſchen?! Sie war aufgeſprungen und lief im Zimmer um⸗ her, wie ein Tiger im Käfig. „Was, ich wäre un⸗ moraliſch? Aber unmoraliſch ſein, heißt ſich auf ſeine Menſchlichkeit beſinnen. Und Ihr ſeid die Moraliſchen? Ihr? O, Ihr intakten, unberührten 90 Jungfrauen, warum ſeid Ihr denn ſo rein, ſo keuſch? Aus Reinheit, aus Keuſchheit? Oho! Ihr ſchmachtet ja darnach — wenn Ihr Tem⸗ perament habt — Euch in die Arme eines ſüßen Knaben — klingt minniglich, nicht? — zu ſchmiegen und Euch von ihm mit Haut und Haaren verſpeiſen zu laſſen? Aber eine innere Stimme — eine roſtige — raunt: Thu's nicht! Deine Exiſtenz ſteht auf dem Spiel. Der Geliebte ſelbſt würde Dich mißachten. Die Moraliſchen, das ſind die Vorſich⸗ tigen, die Berechnenden oder die Kalten. Aus Rein⸗ heit und Keuſchheit? Und vom Tag des Ringwechſels an nicht mehr? Was iſt denn ſeitdem in Eurem Seelenzuſtand geändert?! O, Ihr — Ihr — —" Sie brach plötzlich in Thränen aus. „Daß ich auch vor Dir lüge, Chriſta! Ich hätte ja gern — vorher — geheiratet, aber — ſie — ſie wollen doch immer nicht. Und dann — Du kannſt es nicht be⸗ urteilen, Chriſta, aber glaube mir, es iſt für eine Schriftſtellerin abſolut notwendig, daß ſie Welt und Menſchen und die Liebe gründlich kennen lernt. Das Ergründen von — nicht blos Seelenzuſtänden iſt gewiſſermaßen das Handwerkszeug unſeres Metiers. In des Lebens Tiefen müſſen wir hinab und hinauf in ſeine Höhen.“ Und ſie citierte Nietzſche: „Den größten Genuß vom Daſein einzuernten, heißt: Gefährlich leben. Baut Eure Städte an den Veſuv.“ Die arme Julia. Für die Tiefen fand ſie Führer. Für die Höhen — vorläufig — nicht. 91 Beim Abſchied umarmte ſie Chriſta ſtürmiſch. „Bleib Du mir treu, Du zartlieber Veilchenduft in meinem Bouquet von Orangenblüten. Ein bischen freu? ja? „Ja. Aber parfümiere Dich nicht mehr. Julia ließ Chriſta traurig zurück. Da war ein Menſch mit heißem Temperament und großer Be⸗ gabung. Und er wird möglicherweiſe zu Grunde ge⸗ hen. Woran? Sie konnte es nicht definieren, ſie war nicht erfahren genug. Es fiel ihr nicht ein, Julia zu verdammen. Hatte ſie ein Recht dazu? War ſie nicht auch zuwveilen aus Träumen erwacht, die ihr das Blut ins Geſicht trieben? Und immer war es derſelbe junge Mann geweſen — ſie kannte ihn kaum — dem die Zärtlichkeit ihrer Träume galt. Vor ihrer Abreiſe ins Seebad ſah Chriſta doch noch einmal Anſelma. Man feierte den Geburtstag der Malerin im Atelier, wie es ſeit einigen Jahren üblich war. Maria Hill hatte eine Freundin, eine junge Aerztin, mitgebracht, die ſich auf der Durchreiſe flüchtig in Berlin aufhielt. Sie war Pſychiaterin und kam von England, wo ſie in den Hoſpitälern Studien gemacht hatte. Chriſta bewunderte die freie, elaſtiſche Kraft ihrer Bewegungen. Der Blick kühn, durch⸗ 92 dringend, als erſpähe er überall den Kern der Dinge. Zielbewußte Sicherheit war der Ausdruck ihres Weſens. Chriſta lauſchte jedem ihrer Worte. Sie ſprach in kurzen Sätzen, ſcharf pointiert, ganz Nerv. Man hätte denken ſollen, ſie müſſe abſtoßend auf Männer wirken. In der That aber verliebten ſich die Männer über Hals und Kopf in ſie, was nur zum Teil auf Conto ihrer äußeren Erſcheinung kam. Ein ſym⸗ pathiſches Geſicht, eine ſchöne, ebenmäßige Geſtalt, die Kleidung von flotter Grazie. Die Verliebtheit der Männer freilich war kurzlebig. Die ſouveräne Haltung, die ſüperbe Sicherheit und ſcharfe Logik der jungen Aerztin wurde ihnen bald unbequem. Dieſer Weibtypus war ihnen noch zu fremd. Anſelmas Atelier war klein. Die angefangenen, jetzt verhängten, großen Bilder nahmen ſeine ganze Breitſeite ein. Ein paar vertrocknete Palmen, halb⸗ welke Blumenſträuße in pompejaniſch getünchten Kübeln, und allerhand ſchönfarbiges Gelump, teil⸗ weiſe von Anſelma ſelbſt mit dämoniſch ſezeſſioniſti⸗ ſchen Arabesken bemalt; Kiſſen, Teppiche, alles mehr oder weniger verſchliſſen und zerriſſen, gaben dem Atelier den nötigen, etwas herausgequälten, phan⸗ taſtiſch⸗poetiſchen Charme. An der Wand hing die Kreidezeichnung und das Oelbild eines jungen Mannes. Ein häßlicher, aber geiſtvoller Kopf. Ein rieſiger Haarbuſch fiel in eine breite, vorſpringende Stirn, die die Augen über⸗ wölbte, ſo daß ſie dahinter wie aus einer Höhle 93 herausglühten. Er war Dichter — ein Sataniker. Alle wußten von ſeinen intimen Beziehungen zu Anſelmd. Ehe man ins Atelier kam, mußte man die übrigen Räume der Wohnung paſſieren. Es ſchien ſchier unglaublich, daß ſich ſo viel Sachen und Sächel⸗ chen in 4—5 kleine Löcher ſtopfen ließen: Möbelchen, Gypsfüße und Hände, Figürchen, meiſt defekte, Farbentiegel, alte verſchmierte Paletten, bunte Papierfetzen, vertrocknete Guirlanden, dazwiſchen ein friſcher Apfelblütenzweig, zerbrochenes Geſchirr, ein rotes Atlasmieder, ein japaniſches Gewand, zu irgend einem Koſtümfeſt von ihr ſelbſt bemalt. Auf einer alten Truhe hockte eine ſchwarze Katze mit fun⸗ kelnden, lichtgrünen Augen. Sie hieß Alberich und bewachte, wie Anſelma ſagte, ihren Nibelungenſchatz, der in der Truhe lag. Und mitten durch dieſen unentwirrbaren Krims⸗ krams — ein Chaos für entartete Proletarierpuppen nannte Julia die Räumchen — ſchritt Anſelma in einem langen, fließenden Gewand von lichtroſa Cachemir, in der Taille mit einem Band leicht zu⸗ ſammengehalten. Auf der Schulter eine weiße Taube, die gehörte ein für allemal zu ihr, wie der Adler zum Apoſtel Johannes, wie der Löwe und die Schlange zu Zarathuſtra. „Gott, Gott!“ rief Julia, „wo hat denn Dein Dämon hier Platz?“ Anſelmas Dämon war ein geflügeltes Wort. Die junge Aerztin fragte, wo ſie denn ſchlafe, 94 koche, eſſe und was ſie äße? Sie blickte etwas miß⸗ trauiſch auf die überſchlanke Geſtalt. Anſelma ſchob irgendwo einen löcherigen Vor⸗ hang zurück, da ſah man einen Kochherd und ein paar Kochgeräte; in einem ſchmorte noch ein Reſt⸗ chen von etwas Undefinierbarem. Ihre Schlafſtelle ſei auf der Truhe oder auf der Chaiſelongue im Atelier, je nachdem. „Warum werfen Sie den ganzen Krempel nicht in den Kehricht? Ihre Wohnung iſt ja ein Labo⸗ ratorium für Bazillenzüchtung.“ Man war inzwiſchen ins Atelier gelangt, wo Maria anfing, die Chokolade zu kochen. Anſelma meinte, die Chemikerin müßte das am beſten ver⸗ ſtehen. Anſelma klagte, ſie habe ja keine Zeit, zu ſondern und zu ordnen, aber wenn erſt eine Gallerie ihre Bilder gekauft haben würde — dann — ja dann — Aber ließe man ſie denn aufkommen? ſie müßte längſt berühmt ſein. Man arbeite gegen ſie. Als ſie im vorigen Jahr in Wien ausſtellte, habe man ſie in eine Linie mit den erſten Malern geſtellt. In Deutſchland aber müſſe es Nacht ſein, ehe ihre Sterne ſtrahlten. Nacht, das hieße natürlich, wenn ſie tot wäre. Die Freundinnen ſchwiegen. Das Schweigen irritierte die Malerin. „Natürlich, ich ſehe Euch ja an, was Euch auf den Lippen ſchwebt: Arme Anſelma Sartorius! Größenwahn!" 95 „Aber doch nicht heut an Deinem Geburtstage. beſchwichtigte Chriſta, „und wenn auch, im Größen⸗ wahn liegt Vornehmheit. Er ſetzt ein hohes Ziel, ein Ideal voraus, mit dem wir uns einfach identifi⸗ zieren.“ „Ja, ganz einfach,“ warf die Aerztin ein, „nur täuſcht ſich der Größenwahn über die Diſtance, die ihn von ſeinem Idealbild trennt. Uebrigens zuweilen iſt eine Einſpritzung von etwas Größenwahnſerun für Dünnknochige und Muskelſchwache — in Romanen heißen ſie müde Seelen, — ein gutes Heilmittel.“ Maria war der Anſicht, daß Größenwahn ſich ſo ziemlich mit der allſeitig gebilligten Lebenslüge decke, die vor Ibſen ſchon Nietzſche als eine Art Lebenselexir entdeckt habe. Und ſie ſchlug vor, einen gehäuften Löffel Schlagſahne auf das Wohl des Zwillingspaares Größenwahn und Lebenslüge in die Chokolade zu thun, wogegen Anſelma proteſtierte, da die Schlagſahne dann zur zweiten Taſſe Choko⸗ lade nicht reichen würde, was wiederum Julia ſehr kalt ließ, da es nicht darauf ankäme, lange, ſondern tüchtig drauflos zu leben, und ſie zöge eine Taſſe Chokolade mit zwei Löffel Schlagſahne zwei Taſſen mit je einem halben Löffel Sahne vor. Klariſſa Wendler, über deren Ausbleiben man ſich ſchon gewundert hatte, trat ein, haſtig, mit flackernden Augen. Es war ihr etwas Unheimliches paſſiert. Sie war durch die Leipzigerſtraße gegangen. Plötzlich verſchwamm alles vor ihren Augen, als wenn ein Nebeldunſt es allmählich einhüllte. Und 96 wie bei einer Wandeldekoration tauchte ein anderes Bild auf, eine Landſchaft, die ſie kennt, eine Allee von Edeltannen, die zu. einem epheuumrankten Wohnhaus führt — ihre Heimat. Und die Glocken der Dorfkirche läuten. Und ebenſo allmählich, wie das Bild aufgetaucht, verſchwindet es wieder, und ſie ſteht im hellen Sonnenlicht in der Leipzigerſtraße, vom ſchnurrenden Kreiſchen der elektriſchen Wagen umtoſt. Einem der Ihrigen drohe eine Gefahr, ganz ſicher. Sie habe gleich eine Depeſche geſchickt. Man ſuchte ſie zu beruhigen. Wahrſcheinlich wäre daheim Kuchen gebacken, und der Duft wäre ihr in die Naſe geſtiegen. Sie blieb aber verſtört. Man beſann ſich auf ein heiteres Geſprächsthema, teils wegen des Geburtstages, teils um Klariſſa zu erheitern. „Sprechen wir doch vom „Neuen Weibe“ oder von der alten Liebe, das iſt immer hübſch,“ rief Julia. Apropos, Liebe: Wie Chriſta mit dem Aſſeſſor ſtände, wollte man wiſſen. Sie erzählte das Vorgefallene. Wahrſcheinlich würde ſie garnicht heiraten. Die unentwegt radikale Julia legte ſich ſofort gegen die Ehe ins Zeug und fand es merkwürdig, daß die junge Generation, die mit allen möglichen Vorurteilen aufräumen möchte, mit Duell, Krieg, Kapital, Monarchie, ja ſogar mit den Krankheiten, denn je älter jetzt die Greiſe würden, je länger lebten ſie noch, der Ehe aber ginge man um den Bart. Ueber⸗ Dohm, Chriſta Ruland. 7 97 all Umſturz, Neubildung, die Eheſcheidungen er⸗ ſchwere man noch. Sie wandte ſich zu Maria: „Na, und Sie Chemikerin, die Sie ja ſo recht eigentlich die „Neue Frau“ repräſentieren, wie ſtehen Sie zu dieſem grauen, beim Volk meiſtenteils ein blau und grünes Elend? Maria gab zu, daß allerdings die meiſten Ehen entweder im Venusberg oder im Bureau eines Rechtsanwalts geſchloſſen würden, das heißt, aus Verliebtheit oder um materieller Vorteile willen. Julia nickte leidenſchaftlich. „O, wie wahr! „Und deshalb gerade,“ fuhr Maria fort, „braucht man das Standesamt, als Deckmantel für unlautere Mogelei, und das Religiöſe, um das Aller⸗ profanſte zu verheiligen. Eine echte Ehe, die iſt ja ganz von ſelbſt Ehe, auch ohne amtliche Treu⸗ ſchwüre. Aber man traut unſerm herzigen, ehrlich gemeinten „ich will!“ nicht, und pfropft ein ſchmiede⸗ eiſernes „Du mußt“ darauf. „Alſo auch Sie, kluge Maria,“ triumphierte Julia, „Sie pfeifen wie ich auf die Ehe? „Doch nicht,“ antwortete Maria kühl. „Im Gegenteil, ich ſehe keinen Grund, um einer Form willen die Welt vor den Kopf zu ſtoßen und meine Angehörigen tötlich zu kränken. Ich bin doch Chemikerin und nicht Reformatorin, und nicht leicht⸗ füßig genug, um in Weltriſſe zu ſpringen.“ Julia in ihrer Enttäuſchung ſchlang ein ſo gro⸗ ßes Stück Kuchen herunter, daß ſie ſich daran ver⸗ 98 ſchluckte, und würgend gluckſte ſie den chriſtlichen Wunſch hervor: Maria möchte in ganz gemeiner Wald⸗ und Wieſenverliebtheit mit einem Fatzke her⸗ einfallen, und ſich dann in einer Radauehe wie ein Froſch im Trocknen verzappeln. Und beim Aus⸗ ſprechen dieſes Wunſches ſah ſie ſo ſchadenfroh aus, als wäre ſie bereits Zeugin von Marias Ver⸗ zappelung. Die Chemikerin hielt ein ſolches Hereinfallen ihrerſeits für unwahrſcheinlich, aber nicht unmöglich, ſintemalen der Menſch ſich im Lauf des Lebens mehr als einmal häute und ein liebenswerter Jüngling ſich zu einem Rauhbein oder einem unangenehmen Philiſter auswachſen könne. In einer dürren, ſchlech⸗ ten Ehe würde ſie nicht einen Tag bleiben, wenigſtens — nicht ein Jahr. Solche Ehen möchten für einen Mann möglich ſein, für die Frau mit den ſubtileren Nerven — nicht. Es käme ihr kindiſch, degoutant, un⸗ ſittlich vor, einen verzeihlichen Jugendirrtum mit ſeinem ganzen Leben bezahlen zu wollen: eine narrenhäusleriſche Selbſtkreuzigung. „Ha! Selbſtkreuzigung!“ rief Julia. „Bleiſtift her, damit ich's niederſchreibe. (Sie trug den Blei⸗ ſtift immer bei ſich.) Es ſoll der Titel meines erſten Romans ſein, oder ſoll ich ihn „Die Märtyrer der Sitte“ nennen? Man lachte und mißbilligte, daß ſie auf einen Titel hin einen Roman fabrizieren wollte. „Ich ſehe ſchon,“ ſagte ſie ſchmollend, „ich bin hier die einzige Larve unter fühlenden Brüſten. 7* 99 „Klariſſa ſcheint auch keine fühlende Bruſt, bemerkte Maria. Klariſſa hatte nur ab und zu den Kopf ge⸗ ſchüttelt, ſonſt keinen Anteil an der Unterhaltung genommen. Was ſollte denn das alles? Liebe — Ehe — das ging ſie nichts an. Die junge Aerztin faßte Klariſſa ſcharf ins Auge. Das ſchwarze Kätzchen mit den grünen Augen kam ins Atelier geſchlichen, und mit einem Sprung ſaß es auf Klariſſas Schoß. Sie ſtreichelte das ſchnur⸗ rende Tier, freute ſich an den Funken, die aus dem Fell ſprühten, und wurde ganz böſe, als die Anderen die Funken nicht ſehen wollten. Als man die Aerztin fragte, ob ſie nicht doch, trotz ihres anſtrengenden Berufes, einmal heiraten würde, zuckte ſie hochmütig die Achſeln. Eine höchſt unwvichtige Angelegenheit für ſie. Vielleicht habe ſie, wie Julia König, die Ehe für ſich abgeſchafft. „Ach,“ murrte Julia, „wenn man das nur un⸗ geſtraft könnte. Sie richten einen ja immer gleich hin. Knurre nicht, Pudel!“ fuhr ſie die miauende Katze an. „Ja, wenn man berühmt wäre! Wer fragt eine große Künſtlerin nach ihrem Ehering? Faſt alle berühmten Liebespaare ſind unverheiratet geblieben. Sie, Maria, brauchten in Ihrer Chemie z. B. nur künſtliche Herſtellung von Lebensmitteln — etwa aus Holzfaſern — zu erfinden. . . ." „Und mir läge dann ob,“ fiel die Aerztin ſpöt⸗ tiſch ein, „die menſchlichen Verdauungsorgane für die Holzpillenernährung zurecht zu operieren. 100 „Lächerlich kann man alles machen. Faſſen wir eine Reſolution: Wir alle, die wir hier im Namen der Kunſt und Wiſſenſchaft — Chriſta, Du kannſt Dich weinend aus unſerem Bunde ſtehlen — ver⸗ ſammelt ſind: Unſere Loſung ſei fortan der Lor⸗ beer. . . . . „Und wir pfeifen auf die Myrte,“ ergänzte Maria lachend. „Beeile Dich nur recht mit Deiner Berühmtheit, Julia,“ ſagte Anſelma, „daß Du nicht zu alt für die Geliebte in einem berühmten Liebespaar wirſt. „Du weißt ja aus Erfahrung,“ gab Julia bos⸗ haft zurück, „wie ſchwer es einem weiblichen Genie wird, durchzudringen.“ Sie verſtand den ſtrafenden Blick Chriſtas und lenkte ein. Uebrigens habe ſie neulich in der Schrift einer berühmten Frau geleſen, warum das Weib es ſo ſelten zur Genialität bringe. Sie wiſſe die Stelle auswendig. „Hört!“ Und ſie zitierte: „Wenn der geniale Mann dazu getrieben wird, die Höhen und Tiefen des Lebens zu meſſen, geſchieht es ihm nicht ſelten, daß er auch jene Sphären tangiert, welche in der Strophe geſchildert werden: Hier liege ich im Rinnſtein und betrachte meine alten Schuh. Die weiblichen Genies werden ſelten in einer ähnlichen Situation getroffen.“ Und dann ſagt die Dame noch, daß nie einer groß geworden wäre als Religions⸗ ſtifter oder Denker, als Dichter und Prophet ohne ſeine Verwandtſchaft mit Luzifer und Prometheus, 101 ohne Abhängigkeit vom Teufel und ſeinem eigenen Fleiſch. „Da habt Ihr's! bändigen wir alſo unſere Ethik, damit die Hölle zu ihrem Recht kommt. Ueber⸗ haupt immer ethiſch ſein! das geht ja garnicht.“ Die jungen Damen wollten von der Höllen⸗ intimität nichts wiſſen. Uebrigens ſtimme die Sache nicht, meinte Maria; auf dem deutſchen Parnaß wenigſtens behelfen ſich die Genies meiſt ohne Rinn⸗ ſtein. Die Rauſch⸗ und Haſchiſchdichter, die Alko⸗ holiſten ſeien Ausnahmen. Sie hielt inne mit einem Blick auf Anſelma. Der Sataniker, deſſen Bild da hing, war ein ſolcher Haſchiſchdichter. Anſelma ſchnäbelte lächelnd mit der weißen Taube. Sie ließ das Tierchen erſt um ihren Kopf flattern, dann ſteckte ſie ihm eine Roſe in den Schna⸗ bel, und langſam ſchwebte die Taube, als wäre ſie ſich einer inhaltſchweren Miſſion bewußt, zu dem Bilde des Satanikers und ließ die Roſe auf den Rahmen fallen. Man klatſchte Beifall. „Ich weiß ſchon,“ ſagte Chriſta, „Du heirateſt doch noch Deinen Dichter.“ Klariſſa aber rief plötzlich: „Die Taube blutet! Sie blutete aber nicht. Wahrſcheinlich hatte der Re⸗ flex eines roten Lampenſchirms ſie getroffen. Julia, die hinter dem Vorhang verſchwunden war, trat mit einer Mandoline im Arm heraus: „Die Harfenjule 102 wünſcht ein Lied zu ſingen.“ Und ſie krähte luſtig eine flotte Ueberbrettl⸗Tollheit. Beim Abſchied teilte Anſelma den Freundinnen mit, daß ihre Bilder Anfang Winters vollendet ſein würden. Und ſie lud ſie jetzt ſchon zur Vorbeſichti⸗ gung ein. Im Hinausgehen flüſterte Klariſſa der Aerztin zu: „Und die Taube hat doch geblutet. Anfang Juli begab ſich die Familie Ruland ins Seebad. Theodor Stern ſaß den Tag über in der Sonne im Rollſtuhl und befand ſich beſſer als in der Stadt. Der kleine Heinz war glückſelig am Strand. Er machte aus Sand kleine Kähne und ver⸗ kaufte ſie für Bonbons an andere Kinder. Ungefähr 14 Tage ſpäter erſchien Adrian von Lützow, von Frau Harriet und Anne Marie freudig empfangen. Theodor verfiel ſeitdem ſichtlich. Sie machten zu Dreien weite Spaziergänge: Anne Marie, Chriſta und Adrian. Frau Harriet blieb lieber im Strandkorb und beaufſichtigte Heinz und Theodors Rollſtuhl. Adrian von Lützow gefiel Chriſta. Es ſchien ihr, als ginge eine angenehme, erfriſchende Kühle von ihm aus. In ihrem Geſchmack, ihren Eindrücken von Natur und Menſchen ſtimmten ſie überein, in ihren 103 ſozialen Anſchauungen, in ihren politiſchen und litte⸗ rariſchen Urteilen nicht. Die diskrete und anmutige Art ſeiner Ausdrucksweiſe aber überbrückte die Gegenſätze. War Adrian um Anne Maries willen gekom⸗ men? Liebte er ſie? Der Gedanke beſchäftigte Chriſta. So gut paßten die Beiden zuſammen. Anne Marie mit ihrer friſch⸗frohen Natürlichkeit, ihrem originellen Uebermut taute, was froſtig in ihm war, auf. Sie entband ihn von einer Ungeſchmeidigkeit, einer Gemeſſenheit, die mitunter an Steifheit grenzte. Chriſta lernte ihn von ſeinen liebenswürdigſten Seiten kennen. Anne Marie verſpottete ihn mit ſeiner unaus⸗ ſtehlichen, langweiligen, angeadelten Vornehmheit und nannte ihn „mein hoher Herr“. Ein Mann mlſſe auch den Mut haben, ſich einmal lächerlich oder unangenehm zu machen, und er würde ihr ſym⸗ pathiſcher ſein mit einem Loch im Strumpf und einem Purzelbaum, den er im Sande ſchöſſe, als mit ſeiner Graz—j—e. Sie legte den Accent auf i und e. Und wenn er nicht ab und zu die „blonde Beſtie“ heraus⸗ kehre, (Blondheit allein thäte es nicht) ſo glaube ſie nicht an ſeine Raubritterabkunft und zähle ihn zum Train in den Heerſcharen der Ariſtokratie. Er kehrte aber die blonde Beſtie nicht heraus, was ſich für einen Aſſeſſor im Auswärtigen Amt wohl auch nicht ſchickte. Er hatte eigentlich Natur⸗ 104 wiſſenſchaft ſtudieren wollen, ließ ſich dann aber von ſeiner Familie zur diplomatiſchen Carriere überreden. Anne Marie trieb allerhand Tollheiten und Schelmereien mit ihm. Anfangs wehrte er ſich gegen ihre Ausfälle, unterlag aber bald ihrem Zauber, nur die Purzelbäume ſchoß er nicht, und auch das Kneipp⸗ ſche Barfußgehen lehnte er ein⸗ für allemal ab. Im Schweiße ſeines Angeſichts aber und in Hemdärmeln mußte er graben, dem kleinen Heinz an ſeiner Sandburg bauen helfen. Einmal zwang ſie ihn ſo⸗ gar, Blaubeeren, nicht nur zu ſammeln, ſondern ſie auch zu eſſen. Auf die blauen Lippen war es abge⸗ ſehen. Er bekam aber keine blauen Lippen, was ſie für Taſchenſpielerei erklärte. Er ſaß im Strandkorb, und ſchwaps, ſtürzte ſie von hinten den Strandkorb über ihn; daß er auf allen Vieren darunter hervor⸗ kriechen mußte, war der Spaß dabei. Sie tanzte, wenn der Mond ſchien, am Strande: „die Birch⸗ pfeifferſche Grille rediviva!“ ſagte ſie. Theodor durfte in ſeinem Rollſtuhl zuſehen, und ſie zeigte ſich ängſtlich beſorgt um ihr Theochen, wickelte ihn in ihren Shawl, damit er ſich nicht er⸗ kälten ſollte, ſteckte ihm Chokoladen⸗Katzenzungen, die ſie immer bei ſich trug, in den Mund. „Theo iſt mein Kind,“ ſagte ſie, „das muß ich pflegen. Das alte Kind wurde fahl, ſah aber doch mit Entzücken auf ſeine Gattin, die wie ein leuchtender Nachtſchmetterling in ihrem weißen Kleide in der Mondglut über den Strand huſchte. Chriſta kam ſich ſo ſchwerfällig neben dieſer Fee 105 vor. Wie natürlich, wenn Adrian ſie liebte. Sie würde ſich wahrſcheinlich von Theochen ſcheiden laſſen und dann den Herrn von Lützow heiraten. Ein Wetterumſchlag. Es regnete und regnete. Tagelang. Theodor Stern konnte Regenwetter nicht vertragen. Er lag mit heftigen Schmerzen krank im Rollſtuhl und jammerte: „Wäre ich tot. Anne Marie rückte ihm die Kiſſen zurecht und that ihm dabei weh. Er ſah ſie böſe an. Sie wollte die Mutter rufen, die es beſſer verſtände. Das wollte er nicht. Er wurde ſanft und flehend: „Habe nur noch eine kleine Weile Geduld mit mir. Siehſt Du denn nicht — es iſt der Anfang vom Ende. Ich ſterbe.“ Sie wandte ſich blitzſchnell ihm zu. In den aufgeriſſenen Augen hatten ſich die Pupillen erweitert mit dem Ausdruck atemloſer Spannung. „Anne Marie! Anne Marie!“ Es war ein ſo ſchneidender Weheruf, daß ihr das Herz davor ſtille ſtand. Zu ihrem Entſetzen war er aufgeſprungen. Einen Augenblick ſtand er aufrecht, er, der ſeit Monaten an den Beinen gelähmt war. Drohend hob ſich ſeine Hand: „Du — Du!“ Hilflos brach er zuſammen. Er weinte. 106 Sie kniete vor ihm, legte ihren Kopf an ſeine Bruſt. „Theo, mein lieber armer Theo! denke nur das nicht, nur das nicht!“ Sie weinte mit ihm. „Ich verlaſſe Dich nicht — nie, ich liebe Dich. Sie trocknete ſeine Augen und küßte ihn auf den Mund. Eine ſtille, inbrünſtige Freude breitete ſich über ſeine Züge. Er ſchlummerte ein. Der arme Theodor liebte ſeine Frau leiden⸗ ſchaftlich. Der Todkranke begehrte das reizende Weib. Er rüttelte verzweifelt an der Kette, an die ſeine Krankheit ihn ſchmiedete, und ſie ſchnitt nur um ſo tiefer in ſein Fleiſch. Tantalusqualen! ſie zer⸗ ſtörten ihn. Als ſpäter der Arzt kam, hatte Anne Marie eine lange Unterredung mit ihm. Das Reſultat war: Bei Vermeidung aller Aufregungen und bei ſorgfältiger Pflege könne Theodor Stern noch viele Jahre leben. 107 Am nächſten Tage, als das Wetter ſich aufgehellt, machte Anne Marie einen langen, einſamen Spazier⸗ gang mit Adrian. Am Abend ſagte ſie zur Schweſter: „Wunderſt Du Dich über meine Intimität mit Adrian? Es iſt nicht, was Du denkſt. Ich habe nur ein Geheimnis mit ihm. Aber — ſie lächelte — ein wehes Lächeln — es iſt nichts ſo fein geſponnen, es kommt endlich an die Sonnen, oder auch an den⸗ Mond.“ Die Pflege Theodors gab ihr den Vorwand, es einzurichten, daß Chriſta jetzt oft allein mit Adrian Strand⸗ und Waldſpaziergänge unternahm. Sie ſprachen wenig, die Beiden. Sie empfand ein warmes Behagen, an ſeiner Seite zu gehen. Das gemeinſame innige Genießen der Natur ſchuf eine Intimität zwiſchen ihnen. Einmal verirrten ſie ſich im Walde. Er ging, um den Weg zu ſuchen. Sie ſetzte ſich auf einen abgeholzten Baumſtamm. Es war ſo ſtill, lautlos. Nur das leiſe Summen der Weſpen, der Duft des Haidekrauts und des Nadelholzes. Die Kiefern ragten an dieſer Stelle hoch und ſchlank in den Aether, beinah cypreſſenartig. Er blieb lange aus. Mit ſehnſüchtiger Angſt ſpähte ſie nach ihm. Da plötzlich ſtand er hinter ihr. Er war auf einem andern Weg zurückgekommen. Sie jauchzte auf, und erſchrak gleich darauf über dieſes Jauchzen. Liebte ſie ihn? Sie nahm ſeinen Arm nicht und blieb an dem Tage unruhig und in ſich ge⸗ kehrt. Einige Tage ſpäter gingen ſie durch den Wald, über hügliges Terrain, bis ſie zu einem kleinen freien Platz gelangten, von dem aus man weit über das Meer hinaus ſah. Er breitete ſeinen Plaid aus, und Chriſta ſetzte ſich auf den Boden. Er lehnte an einem Baum. In ſeidiger Schönheit rann das Meer. Licht⸗ funken glitzerten in ſpieleriſchem Gekräuſel darüber hin. Roſige Schleier am Himmel, am Saum des 108 Horizonts duftiges Violet. Und wie die Sonne tiefer ſank, wurde das Meer ein einziges golden bläulich ſeliges Schimmern von unausſprechlicher Zartheit. Ein Ausklingen der Farbe wie Geiſterhauch, wie ein weiches Fächeln mit Palmen, ein Singen des Meeres —. ſein Schwanenlied. Und die Sonne ſank tiefer noch. Ein kleines Schiff, vom letzten Sonnenſtrahl getroffen, glitt — ein leuchtender Rubin — über den bläulichen Atlas des Waſſers. Vom ſchlanken Maſt wehte weithin ein ſchwarzer Rauchſchleier. Eine wunderbare Stimmung kam über die Beiden. Unwillkürlich ſchlangen ſich ihre Hände in⸗ einander. Und dann war der Schleier verweht. Rubin und Gold erloſchen, und immer leiſer und zarter verklang die Farbe — ein Kindeslächeln, ehe der Schlaf es umfängt — ſüßeſtes Piano — ade! ade! Er kniete neben ihr, umſchlang ſie mit dem Arm und küßte ſie mit einer ſo leiſen Berührung ſeiner Lippen, wie das Abendlicht das Meer küßte. Eine tiefe, ihm ganz hingegebene Innigkeit durchdrang ſie. Aneinandergeſchmiegt gingen ſie durch die Wald⸗ dämmerung langſam nach Hauſe. Im Gärtchen vor der Villa ſtand Anne Marie. Ihr Blick ſtreifte Adrian. Er nickte unmerklich. Der Vater ſei angekommen, verkündete ſie, etwas Außerordentliches ſei ihm paſſiert, das heißt eigent⸗ lich mehr der Mama, bei Tiſch würde es ſich enthüllen. Chriſta müſſe ſich aber der Feſtſtimmung zuliebe in Wichs werfen, mindeſtens ein weißes Gewand. Chriſta ging ſich umzukleiden. 109 Als ſie eine halbe Stunde ſpäter in das Speiſe⸗ zimmer trat, ſah ſie nur ſtrahlende Geſichter. Der Vater umarmte ſie, gegen ſeine Gewohnheit, zärtlich. Theodor Stern hatte ſich im Rollſtuhl an den Tiſch fahren laſſen und drückte ihr die Hand mit einer Kraft, daß ſie faſt erſchrak. Auf dem Tiſch ſtand Champagner. Sie ſchauderte. Seit jenem tragiſchen Ereignis hatte ſie einen Widerwillen gegen Cham⸗ pagner. Nun erfuhr ſie es gleich: Der Vater war Geheimrat geworden. Die Mutter ſah ſo ſchön aus, wie ſie ſie außerhalb des Salons noch nicht geſehen hatte. Gegen Ende des Mahls erhob ſich Frau Harriet, hielt eine anmutige kleine Rede und brachte einen Toaſt aus auf den lieben funkelnagelneuen Geheimrat und — auf das Brautpaar. Chriſta ſah ſich unwillkürlich um. Welches Brauipaar? „Adrian und Chriſta! Ein Zittern überlief Chriſta. Wie einer Traum⸗ wvandelnden war ihr, die man zu laut anruft. Eine Blüte war entknoſpt, die zum Aufblühen noch nicht reif war. „Aber,“ ſtammelte ſie. Sie ſah hilflos, ge⸗ ängſtigt aus, blickte von einem zum andern — lauter glückliche Geſichter. Sie ſtand wie unter einem Bann, ſagte nichts. Alle umarmten ſie. Adrian küßte ihr die Hände. Sie ſah ihm gerade in die Augen. Ja — ein liebenswerter Menſch. Anne Marie war ſprühend, faſt zu ſprühend. 110 Sie trank viel Champagner und behauptete, ſie hätte ſich Adrian glühend zum Schwager gewünſcht. Als Chriſta ihr Zimmer betrat, ſtieg der Mond in halber Sichel rot aus dem Meere auf. Als er höher kam, floß ſein Licht in dunklem, matten Silber am Rand des Meeres hin. Das Meer rauſchte — ein Choral, und dazwiſchen ein leiſes Getön wie von fernen Flöten, oder war es ein Echo des Rauſchens? oder nur ein Vibrieren der Nacht? Sie blieb mitten im Zimmer ſtehen, in einer Flut von Mondlicht. Die Veranda vor dem Zimmer war durch eine Säule geſtützt. Immer höher ſtieg der Mond. Durch den Vorhang der Veranda blickte ſie auf ſeine breite Silberbahn im Waſſer. Könnte es am Meer in Venedig ſchöner, magiſch berückender ſein? Die Säule erglänzte wie von weißem Marmor. Ihr war, als ſtünde ſie in einem Palazzo an den Lagunen, und ſie wäre eine Renaiſſance⸗Fürſtin, die auf die Ruderſchläge der Gondel lauſcht, die den Geliebten zu ihr tragen. Unter dem Balkon ſtand eine dunkle Geſtalt und blickte empor, ob zu ihr, ob in den Sternen⸗ himmel? Es war Adrian. Ihre Seele rief ihn: Komm! Ein Süden, eine Glut durchzitterte die Nacht. Sie ſtreckte die Arme hinaus. Er ſieht ſie nicht. Er geht weiter — weiter. Er entſchwindet. Langſam beginnt ſie das Haar aufzulöſen, die Kleider abzulegen. Eine unwiderſtehliche Luſt kommt ihr, in der reinen, wehenden Nachtluft nackt ihre 111 Glieder zu baden. Kleider kommen ihr unnatürlich vor, dürftig, unfürſtlich zu dieſem Vermählungsfeſt von Nacht, Schönheit und Liebe. Aber — ſie ſcheut ſich vor dem Mond, vor dem großen, ſilberſtrahlenden Auge. Sie ſchlingt ihre Arme um die Säule, und an den weißleuchtenden, kalten Stein ſchmiegt ſie die feinen, zarten Glieder. „Adrian! Als Chriſta am andern Morgen unter einem grauen, bewölkten Himmel erwachte, fühlte ſie ſich beklommen, ernüchtert, verdroſſen. Warum war ſie verdroſſen? Sie liebte doch Adrian, oder — — Und plötzlich ging es wie ein elektriſcher Schlag durch ihr Gehirn: Wie? wenn all das Geſtrige auch nur eine Trunkenheit geweſen wäre wie damals — damals mit dem Champagner — nur eine andere Trunkenheit, eine intenſivere, feinere. Wenn die zärt⸗ lich holde Schönheit der Natur ſie berauſcht hätte! Schönheit und Liebe ſind verwandt und ſpinnen Fäden hinüber und herüber. Man kann ſich auch in Nektar berauſchen. Die Sonne geſtern im Untergehen ſang einen Pſalm der Liebe. Sie hatte eingeſtimmt. Und da war er da — Adrian. Was ſie jetzt fühlt, ſie weiß es nicht recht, ſicher aber nichts von dem jauchzenden Glück einer eben verlobten Braut. 112 Als ſie dann zum Frühſtück hinunterging und alle ſo froh waren, die Sonne durch das Gewölk brach und auf ihrem Platz die ſchönſten Roſen lagen, da kam eine Weichheit über ſie, etwas Stilles, Sanftes, Ergebenes. Und als ſie dann ſpäter an Adrians Arnt, am Strand entlang wandernd, in vollen Zügen die Seeluft einatmete, dachte ſie: ob ſanfte Hingebung, Unterordnung doch vielleicht des Weibes Glück ſind? Anne Marie war der Meinung, die Hochzeit müſſe in kürzeſter Zeit ſtattfinden, etwa in vier Wochen, und zwar in der kleinen Dorfkirche des Ortes. Ein paar Stunden ſpäter Beginn der Hoch⸗ zeitsreiſe — Dampferabfahrt nord⸗ oder ſüdwärts. Sie inſuinierte Chriſta: Wenn man der Mutter Zeit ließe, würde ſie einen rieſigen Hochzeitsſpektakel in Szene ſetzen, mit zwölf Gängen, unzähligen Toaſten und den weitläufigſten Tanten und Onkels, eine Vorſtellung, die Chriſta erſchreckte. Anne Marie ſetzte ihren Plan bei der Mutter durch. Die Ausſicht, während der Hochzeitsreiſe des jungen Paares Ausſtattung und Wohnungs⸗ einrichtung ohne jeden Einſpruch beſorgen zu können und dabei der Welt zu zeigen, daß ſie in ſechs Wochen zu leiſten im ſtande war, wozu andere viele Monate Dohm, Chriſta Ruland. 8 113 brauchten, trug zur Willfährigkeit Frau Harriets bei. Zwei Tage nach der Verlobung reiſte Adrian ab, um das Aufgebot und die nötigen Papiere zu be⸗ ſorgen. Als er fort war, geriet Chriſta in einen inneren Zwieſpalt mit ſich. Sie hatte doch nicht heiraten wollen. Die Schweſter hatte recht: es kommt doch immer alles ganz anders als man denkt. Anne Marie wich in dieſen Wochen kaum von Chriſtas Seite. Theodor war faſt immer dabei. Er war von rührender Weichheit und plante großartige Hochzeitsgeſchenke für ſeine Schwägerin. Anne Marie war zwar heiter — ja luſtig wie ſonſt, es war aber eine falſche Note in ihrer Heiterkeit. Das Wetter war wieder unfreundlich geworden. Ein feiner, rieſelnder Regen. Seit drei Tagen hatte Adrian keine Zeile geſchrieben. Und Chriſta brauchte das Gefühl, daß ſie ihn beglücke. War ſeine Neigung ſo lau, wozu dann das Ganze? Für die Fortſetzung ihrer Studien ſah ſie ohnedies Berge von Schwierig⸗ keiten voraus. Von Studien, die ſich auf das Volks⸗ leben bezogen, von ihrer Bethätigung als Volks⸗ rednerin konnte kaum noch die Rede ſein, für ſie, die Gattin des Freiherrn von Lützow! In der Ehe bilden Mann und Frau ja eine einzige Perſönlichkeit. 114 Während ſie trübe in die verregnete Landſchaft hinausblickte, trat Frau Harriet mit einem Brief in der Hand in die Veranda. „Von Adrian?“ fragte Chriſta ſchnell. Nein, vom Vater. Es handle ſich um das Geld für die Ausſtattung. Mit einem Mal wolle der Vater weniger herausrücken, als abgemacht worden ſei. Unter dieſen Umſtänden müßten die echten Spitzen an den Hemden wegfallen, es ſei denn, daß Anne Marie, die ja immer eine offene Hand habe, einſpränge. Ein heftiger Unwille ſtieg in Chriſta auf. „Wenn die Sache ſo viel Umſtände und Aerger macht, löſen wir doch die Verlobung wieder auf. Adrian iſt ge⸗ wiß einverſtanden damit, und ich auch.“ Frau Harriet wan empört; auf's gröbſte ließ ſie ihren Grimm an der Tochter aus. Ein Mädchen von 23 Jahren, (rachſüchtig machte ſie Chriſta um ein Jahr älter) die grundlos, aus Unvernunft und böſer Laune eine Verlobung zurückgehen läßt, würde keinen Zweiten finden, der das zweifelhafte Glück, ſie heimzuführen, erſtreben dürfte. Und eine Verlobung mnit dem Baron Lützow! die weit über die Anſprüche hinausginge, die ein Mädchen, das kaum hübſch und nicht einmal liebenswürdig wäre, zu machen be⸗ rechtigt ſei. Geradezu gottlos ſei ein ſolcher Treu⸗ bruch. „Du glaubſt ja garnicht an Gott,“ ſagte Chriſta mit eiſiger Kälte. „Was Dir nicht paßt, haſt Du abgeſchafft. 8* 115 „Wenigſtens halte ich das vierte Gebot. „Und die andern Gebote? Zu ihrem Erſtaunen ſah Chriſta, daß die Mutter rot und blaß wurde. Sie ſtanden ſich einen Augen⸗ blick ſchweigend, voll inneren Zornes gegenüber. Plötzlich verſtand Chriſta, was in der Mutter vor⸗ ging. Einiges von dem Gerede gelegentlich der Ver⸗ heiratung Anne Maries war zu ihren Ohren gekommen. Wie? Die Mutter hielt es für möglich, daß ſie, die Tochter, ſich in ſo brutaler Weiſe als ihre Rich⸗ terin aufſpielen könne? Eine dunkle Flamme rötete ihre Stirn. Ge⸗ ſenkten Hauptes verließ ſie das Zimmer. Sie dachte nicht mehr an eine Entlobung. Nur nicht länger im Hauſe bleiben, nicht bei der Mutter. Einige Tage vor der Hochzeit — Adrian war eben angekommen — reiſten Sterns ab. Der Arzt hatte Theodor jede Aufregung auf's ſtrengſte unter⸗ ſagt. Sie wollten erſt einige Wochen auf ſeinem Gut in Tirol zubringen und dann nach dem Süden gehen. Bei dem Abſchied war Anne Marie ergriffen, wie Chriſta ſie nie vorher geſehen, und zwiſchen Thränen und Lachen ſtammelte ſie Drolliges und 116 Trauriges durcheinander. Und Chriſta mußte ihr immer wieder verſichern, daß ſie Adrian liebe, ſehr liebe. Schließlich fand ſie einen ſchwachen Troſt da⸗ rin, daß die Erde ja doch einmal in die Sonne ſtürze. Chriſta an Anne Marie. „Liebe, liebe Anne Marie, bitte, bitte, nicht böſe ſein, daß ich Dir nicht aus den Flitterwochen heraus (dummes, leichtfertiges Wort) ausführlich, wie Du mich bateſt, geſchrieben habe. Ich wußte ja, was Du leſen wollteſt: „Adrian macht mich unausſprech⸗ lich glücklich.“ Gewiß, ich liebe ihn. Warum hätte ich ihn ſonſt geheiratet? obwohl man mitunter heiratet, weil man keinen Mut hat, nicht zu heiraten, oder weil es ſich eben ſo macht. Und Du, hinter⸗ liſtiges Schweſterchen, haſt Dein Händchen ja hübſch dabei im Spiel gehabt. Wie beſchreibe ich Dir nur mein Glück? Es iſt wohl unbeſchreiblich, nicht weil es ſo groß iſt, aber es iſt ſo vieles Komplizierte dabei. Du weißt ja, ich finde Adrian ſchön. Sein weiches, dunkel⸗ blondes Haar, ſeine zarten Mädchenlippen, ſeine ſchlanke Jünglingsgeſtalt. Und vor allem ſeine ro⸗ mantiſchen Augen, die blaublumenhaften, die wie aus der Ferne blicken. 117 Auf der Hochzeitsreiſe hatte ich ein ſo eigentüm⸗ liches Gefühl, als wäre, was ich da erlebte, nur eine erdichtete Geſchichte, die mich in — ja — in großer, herzbeklemmender Spannung erhielt, und wenn ich wieder nach Hauſe käme, würde das eigent⸗ liche Leben ſeinen Fortgang nehmen, und alles würde natürlicher und gemütlicher verlaufen. Er war während der Reiſe von zarteſter Auf⸗ merkſamkeit, vielleicht etwas zu kavaliermäßig. Er erſparte mir auch die kleinſte Anſtrengung. Ich hatte aber ab und zu das Bedürfnis mich anzuſtrengen. Verweichlichung macht nervös. Und als ich nun wieder daheim war — ſo ganz daheim war ich doch nicht. Mama hatte die Ein⸗ richtung durchaus im Rulandſtil beſorgt, nur weniger koſtſpielig, keine Gobelins und Kunſtwerke, aber ſehr hübſch alles, perſiſche Teppiche, Blumen, allerliebſte Sächelchen. Im Ganzen eine poetiſch zugeſtutzte, harmoniſche Wohlhabenheit. Der Vater hatte als ſpezielles Hochzeitsgeſchenk ein Harmonium geliefert, um, wie er ſagte, nach etwaigen Zankduetts ein purifizierendes Seelenſolo anzuſtimmen. Ein Har⸗ monium hatte ich mir vor Jahren einmal gewünſcht, den Wunſch ſeitdem aber vergeſſen. Die Wohnung ſieht ſehr nach etwas aus. Ob nach mir? Am beſten gefällt mir Adrians Zimmer. Er hat ſeine Junggeſellen⸗Möbel behalten, altmodiſch und kunſtreich geſchnitztes röt⸗ liches Mahagoni. Schön paſſen dazu ein paar feine Kupferſtiche und alte Porträts mit dem Parfüm von Ahnenſälen. Diſtinguierte Einfachheit. 118 Denke Dir, ich kann mich immer noch nicht ent⸗ ſchließen, meine eleganten Ausſtattungskleider zu tragen. Alle meine alten Sachen habe ich mitgenom⸗ men, und die trage ich am liebſten; ich komme mir dann weniger verheiratet vor, noch nicht ſo für alle Zeit an einen beſtimmten Ort eingepflanzt, und als könnte ich noch frei durch den Garten des Lebens ſtreifen. Unſinn! Als ob ich bei Mama frei geweſen wäre! Und doch hat die vage Vorſtellung von einer großen, neuen Freiheit zu meiner Ehebereitwilligkeit beigetragen. So — nun haſt Du wohl ſchon zwiſchen den Zeilen geleſen, daß ich mich noch ein wenig fremd mit Adrian fühle, ſo ein bischen wie verzaubert in eine Gegend, wo man Weg und Steg noch nicht kennt. Aber ſie wird ſchon kommen, die Vertrautheit, die anheimelnde Herzlichkeit. Vielleicht ſind es gerade die flacheren, die konventionellen Menſchen, die ſich leicht in eine ſo neute, vertrauteſte Vertrautheit finden. Am Tag vor der Hochzeit noch eine große Diſtance zwiſchen uns, eine Vorſicht in Wort und Gebärde, eine Scheu vor liebkoſender Berührung. Und nun plötzlich — — dieſes engſte Beieinanderſein, Tag und Nacht. Es fehlen da Uebergänge. Zuweilen läßt mich die Vorſtellung, daß er mich im Schlafe ſieht, nicht einſchlafen. Ich weiß nicht, wie ich im Schlaf ausſehe, vielleicht unangenehm. Es iſt, als gehörte mir mein Schlaf nicht mehr. Du weißt, ich ſchlief ſonſt nicht gern im Dunkeln. Jetzt muß es ganz, ganz dunkel ſein. 119 Alles, was ich da ſchreibe, iſt geſchraubt, ich weiß es. Das kommt, weil es ein Flitterwochenbrief ſein ſoll. Wenn unſere Wahrhaftigkeit in die Tinte gerät, ſo kommt ſie etwas verdunkelt wieder heraus. Ich ſuche aus der Tinte zu retten, was zu retten iſt. Ja, ja, ich liebe ihn, meine Gefühle aber haben ſo etwas Glimmendes, Anfachungsbedürftiges. Kein Zugwind. Die Luft iſt lau. O, Anne Marie! Anne Marie! es iſt oft eine ſo zornige Scham in mir — ich kann es nicht ſagen — Du mußt es erraten. Und ich trage es ihm nach, daß ich mich ſchäme. Siehſt Du, meine liebe, liebe Schweſter, an jenem Verlobungsabend, als der Mond ſo wunder⸗ bar erſchien — ich ſtand auf der Veranda — und er mir ſein ſchönes Geſicht zuwandte, da überkam mich ein raſendes Verlangen, mich an ſeine Bruſt zu wer⸗ fen, mich ihm ganz und gar zu vermählen. Aber das zwingend Natürliche geht ja immer nicht, es geht nicht. Und er kam ja auch nicht, er kam nicht. Aber warte nur, warte, es wird alles ſchon werden, denn eine große und ehrliche Luſt ihn zu lieben, hat Deine Chriſtel. 120 Und zwei Monate ſpäter ſchrieb ſie: „Anne Marie! Anne Marie! ſie ſind vorbei, die Flitterwochen. Gott ſei Dank! ſchon drei Monate verheiratet! Nun brauche ich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen, um ſo weniger, da Du mich doch ſo dringend erſuchſt, aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Alſo heraus! all ihr anti⸗ adrianiſchen Gefühle. Erſchrick nicht! ich liebe ihn. Ich faſſe meine Klagen gegen ihn in einen Satz zuſammen: Er iſt zu fein für mich, zu fein. Es iſt da etwas in ſeiner Art und Weiſe — ich kann es nicht genau definieren, das — ja, es ſchüchtert mich ein. Etwa ſeine angeborene Vornehmheit, der gegenüber ich mir ſo raſſelos vorkomme? Wir können es nicht leugnen, Anne Marie, unſere Eltern ſind doch eigent⸗ lich Parvenüs. Mama hat die guten, anmutigen Formen erſt erlernt. Sie fühlt ſie als Beſitz und iſt ſtolz darauf. Und der liebe Vater — zu einem Re⸗ ſerveleutnant reicht's bei ihm nicht. Ich bleibe immer in einer gewiſſen Diſtance von Adrian, was bei manchen häuslichen Angelegenheiten unbequem iſt. Zuweilen komme ich mit dem Wirt⸗ ſchaftsgeld nicht aus und bringe es doch nicht über die Lippen, mehr zu fordern. Und ich kann ihm doch nicht ſtatt Seezunge oder Steinbut einen Schellfiſch vorſetzen. Er würde es gleich merken und mit einer berückenden Liebenswürdigkeit ſagen: „Ah — Schell⸗ fiſch!" 121 Ach Anne Marie, ſo lange das Geld eine ſo große Rolle in der Welt ſpielt, gerät man mit ſeiner Adelsmenſchlichkeit in unangenehme Klemmen. Bringt die Köchin — es geſchieht ſelten — etwas Mißratenes auf den Tiſch, ſo ſieht er mich an, gleich⸗ gültig, vielleicht eine ganz kleine Nüance zu gleich⸗ gültig, und — ich verkrieche mich förmlich vor ſeinem Blick. Ich bin ſo leicht verzagt. Unſer Epikuräer hätte geſagt: „Aber Chriſtelchen, Chriſtelchen, was für ein Fraß.“ Und ich hätte ihm ſchnell einen hüb⸗ ſchen, braunen Eierkuchen backen laſſen, den er ſo gern mit Citronenſaft ißt. Der Adrian, der iſt über⸗ haupt zu vornehm für Eierkuchen. Neulich holte mich Maria Hill zu einer Volks⸗ verſammlung ab. Als ich nach Hauſe kam, wußte ich gleich, was das Zittern ſeiner Naſenflügel be⸗ deutete, und warum er — unmerklich zwar — von mir abrückte. Ich komme von der Vorſtellung nicht los, daß er mich mit ſeiner gelaſſenen Vornehmheit angreift, und ich müßte mich dagegen zur Wehr ſetzen. Und er thut doch eigentlich garnichts. Nur können ſeine ſtummen Lippen ſo beredt ſein, wenn ſie ein klein wenig zu geſchloſſen ſind oder leiſe zucken. Mißbilligt er etwas, ſo iſt es eine kaum wahrnehmbare Nüance in der Stimme, vielleicht ein zu leiſer, oder ein zu nachläſſiger Ton — und ich bin gekränkt. Ich habe den Eindruck, daß er mir weit überlegen iſt, und er ſagt doch nichts, was meine Beſcheiden⸗ heit rechtfertigt. Sein Wille beherrſcht mich, ein 122 ſtiller, zäher, paſſiver Wille, der mir immer, auch wenn er kein Wort ſagt, fühlbar iſt, wie die Prin⸗ zeſſin unter 12 Unterbetten die Erbſe fühlte. Wenn er ausgeht und mit dem Cylinder in der Hand in mein Zimmer tritt, habe ich im erſten Augen⸗ blick immer den Eindruck: da kommt jemand, Dich zit heſuchen. Und oft wenn ich an ihn denke, hat er in meiner Vorſtellung den chapeau claque unter dem Arm. Er iſt kein Errater von Stimmungen. Wenn meine Sinne wie in Harmoniumtönen vibrieren, in⸗ toniert er ein Scherzo, das zu leicht, oder eine Bachſche Fuge, die zu ſchwer für mich iſt. Er kommt nicht darauf, daß in mir etwas vorgehen könnte, was in mir nicht vorgehen ſollte. Sage ich etwas, was er in keiner ſeiner Denkrubriken unterbringen kann, ſo lächelt er fein und ſchickt mich auf den Mars. Anne Marie, wenn ich die Hand auf's Herz lege, — nein, ich bin bis jetzt „im Garten der Ehe nicht hinaufgewachſen“. Im Gegenteil, ich erwerbe ſogar einige ſchlechte Eigenſchaften, die ich früher nicht hatte. Ich werde trotzig, rachſüchtig, hinterliſtig, bos⸗ haft. Ich thue aus Trotz und Bosheit manches als Reaktion gegen ſeine oſtentative Nobleſſe. Und hinter⸗ her thut mir dann meine Ordinärheit ſo leid. So recht mit Abſicht brauche ich zuweilen ein vulgäres Wort wie: Fatzke, Mumpitz, Puſchel (hörſt Du Vater⸗ chen reden?). Neulich fehlte nicht viel, und ich hätte „Schweinerei“ geſagt, brachte es aber dann doch nicht fertig. 123 Der Vater hat uns ja an draſtiſche Ausdrucks⸗ weiſe und Kraftworte gewöhnt. Adrians ſubtile Art, ſich auszudrücken, gefällt mir eigentlich, aber manch⸗ mal auch nicht. Als der Vater neulich kam — der böſe Epikuräer kommt ſo ſelten — da hörte ich gern, was früher meinen zarten Ohren mißfiel. Er traf Julia bei mir, und als ſie fort war, ließ er wieder ſeinem Haß gegen Schriftſtellerinnen freien Lauf. Er mißbilligt meine Intimität mit ihr, nur weil ſie Schriftſtellerin iſt. (Habe ich Dir denn ſchon ge⸗ ſchrieben, daß Mama ſie jetzt — auf Konto ihrer möglichen ſpäteren Berühmtheit — in ihrem Salon empfängt?) Die Schriftſtellerinnen ſamt und ſonders wären Gift und nichts anderes als Wegelagerinnen, die einem bis in die geheimſten Winkel hinein auf⸗ lauern, um Honorar aus einem zu ſchinden. Da wären ihm die Schwiegermütter noch lieber. (Er hat gar keine.) Kein Weib, das ſich mit Druckerſchwärze ver⸗ unreinige, könne je wieder rein werden. Ein Schrift⸗ ſteller ſtudiere gründlich, was er ſchreiben wolle. Zola habe ſich wochenlang in Fabriken aufgehalten, ehe er über Induſtrielles ſchrieb. So arbeiteten Männer. Frauen, die ſchlügen im Konverſationslexikon nach. Könnten ſie durchaus ihren Thatendrängen nicht widerſtehen, ſo ſollten ſie Stuhlbeine drechſeln, Wände tünchen u.ſ.w. Vaterchen meint es natürlich nicht ſo ernſt, er iſt nur geiſtreich. In Bezug auf Julia hat er nicht ſo ganz unrecht. Sie könnte recht gut die Lücken ihrer Bildung noch 124 ausfüllen. Sie mag nicht. Immer noch lernen, ler⸗ nen, jetzt, da alles in ihr zur Produktion dränge. Inzwiſchen entſchwände ihr ja das Leben. Zuweilen ſtürmt ſie wie ein Wirbelwind in unſer lärmloſes, auf leiſe Töne geſtimmtes Haus. Adrian behandelt ſie mit einer konzentrierten, ich möchte bei⸗ nah ſagen, giftigen Höflichkeit. Er verbeugt ſich vor ihr eine kleine Linie zu tief. Die arme, ſonſt ſo rede⸗ befliſſene Julia wird ganz kleinlaut und verſchüchtert in ſeiner Gegenwart. Maria Hill dagegen iſt ihm ſympathiſch, haupt⸗ ſächlich wohl wegen ihrer Chemie, ein Zweig der Naturwiſſenſchaften, den er ſelbſt gern kultiviert hätte. Mich amüſieren Julias Tollheiten. Ich ſuche ſie aber zu dämpfen, aus Furcht, Adrian könnte etwas davon hören. Und richtig, neulich, als ſie gar zu arg tollte, ſchickte er den Diener: „Ob etwas geſchehen ſei?“ Ich wurde rot vor dem Diener. Das heiſchte Rache. Als er wie gewöhnlich vor ſeinem Gang ins Miniſterium in mein Zimmer trat, überraſchte ich ihn durch eine Cigarette, die ich ſo recht in flotter Halbweltsmanier rauchte, in einen Fauteuil geflegelt, den Kopf hintenüber, die Beine übereinander ge⸗ ſchlagen, den kokett chauſſierten Fuß von mir ge⸗ ſtreckt. Er ſah mich ironiſch an und wollte das Zimmer verlaſſen. „Bitte, ſchlage die Thür nicht hinter Dir zu,, ſagte ich, obwobl ich wußte, daß er nie dergleichen 125 that. Da kam er ſchnell zurück, riß mir die Cigarette fort, und — ich finde kein feineres Wort — küßte mich ab, ſo ganz wild und toll drauflos, wie im Lied der wilde Knabe ſein Mädchen küßt, und — er ſagte „Mädel“ zu mir, nicht einmal ſüßes Mädel. Ich war empört, aber nicht ſo ſehr, wie ich hätte denken ſollen. Beim Abendeſſen blinzelte ich ihn von der Seite an, ob er anders ſein würde als ſonſt, aber nein, vielleicht war er ein klein wenig liebenswürdiger, als hätte er ein Unrecht gut zu machen. Behalte mich lieb. Chriſta. „Du, Anne Marie, ich fange jetzt an, ernſthaft zu ſtudieren. Adrian iſt nicht ſo geſchmacklos, mir das Hören auf der Univerſität zu verbieten. Wenn ich aber im Fortgehen die Thür zu ſeinem Zimmer auf⸗ mache und ihm zunicke: „Adieu, lieber Adrian, ſo ruft er mir mit übertriebenem Ernſt nach: „Lerne nur brav.“ Und ich ziehe mit dem Gefühl eines ge⸗ ſcholtenen Schulmädchens ab. Neulich hatte die Vorleſung eine halbe Stunde länger als gewöhnlich gedauert. Ich kam zum Mit⸗ tageſſen zu ſpät nach Hauſe. Er ſaß im Speiſezimmer und las die Zeitung. „Gnädige Frau haben aus⸗ wärts geſpeiſt?“ Er ſagte es ſehr freundlich. „Nein, 126 ich habe einen Wolfshunger.“ „Du biſt vielleicht gegen gemeinſame Mahlzeiten?“ „Beinah. Wenig⸗ ſtens halte ich ſie nicht für eine ſittliche Notwendig⸗ keit. Du ſchickſt mich ja mit Vorliebe — wenn wir verſchiedener Meinung ſind — auf den Mars, als auf einen höheren Stern. Und ſiehſt Du, auf dem Mars — es ſteht in dem wunderhübſchen Buch „Zwiſchen zwei Welten“ — da gilt gemeinſchaftliches Eſſen für unanſtändig.“ „Ah — darum frühſtückſt Du ſeit einiger Zeit allein?“ „Nicht darum. Du ſtehſt ja viel ſpäter auf als ich. Bis vor kurzem habe ich mich 1—2 Stunden mit der Sehnſucht nach dem Frühſtück beholfen, nun eben nicht mehr.“ „Du fürchteſt, daß eine Plauderei am Morgen der Wichtigkeit Deines Tagewerks die Weihe nehmen könnte? Ich mochte nicht mehr eſſen. Kalten Spott kann ich nicht vertragen. Seine Korrektheit macht mich zuweilen unge⸗ duldig, und doch — ſonderbar, ich habe mich an ſeine äußerſte- Soigniertheit ſo gewöhnt, daß die leiſeſte Abweichung davon mich ſtört. Einmal waren in ſeinem blonden Bart ein paar Krümchen, oder was es ſonſt war, hängen geblieben; garſtig kam es mir vor. Es widerſtrebte mir ſogar, ihn darauf aufmerk⸗ ſam zu machen. Dem lieben Epikuräer hätte ich die Eindringlinge gleich herausgezupft. Ich meinte, ich könnte vertrauter mit ihm wer⸗ den, wenn er — wenigſtens im Hauſe — ſich etwas 127 legerer trüge. Da habe ich ihm zu Weihnachten einen Sammetrock geſchenkt. Er belächelte den hübſchen Braunen, zog ihn aber doch ab und zu aus Kourtoiſie an. Er ſtand ihm nicht. Und als er ihn bald wieder bei Seite legte, war es mir recht. Uebrigens, ſeit einiger Zeit leben wir ziemlich ge⸗ ſellig, auf Wunſch Adrians, der es ſeiner Stellung ſchuldig zu ſein glaubt, und dann machte es ſich auch ſo von ſelbſt. Geſellſchaften koſten ſo viel Zeit. Und mir bringen ſie weder Anregung noch Amüſement, noch Heiterkeit, nicht einmal Befriedigung der Eitel⸗ keit, denn eitel bin ich nicht und ich gefalle auch den Leuten nicht beſonders, ſchweigſam wie ich bin. Mir fehlt das Talent zu reden, wenn ich nichts zu ſagen habe. Es intereſſiert mich auch garnicht, wie mein Tiſchherr zur Rechten die Chinawirren löſen würde, und die Neugierde meines Nachbars zur Linken, wie der neue König von England ſich machen wird, teile ich auch nicht. Gewiß trifft man in den Geſellſchaften auch her⸗ vorragende Menſchen. Aber ſie ſchreiben ihre Bücher und malen ihre Bilder zu Hauſe, und bei Gänſe⸗ leberpaſtete und Faſanen in Schlagſahne erzählen ſie Anekdoten und ſagen Nichtigkeiten. Es iſt immer, als ſähe man in dieſen Menſchenanſammlungen den Wald vor Bäumen nicht. (Das Bild paßt garnicht.) Der Einzelne wird von der Maſſe aufgeſogen. Meine un⸗ geſellige Natur habe ich von Vaterchen geerbt, der ſich ja ſelbſt den Beinamen „Meidegaſt“ zugelegt hat. Alle Welt raiſonniert auf unſere Art der Ge⸗ 128 ſelligkeit mit ihrem umſtändlichen Apparat, und alle Welt hört nicht auf, Geſellſchaften zu geben und zu beſuchen, zu welcher „Allewelt“ ich auch gehöre. Freilich, das Bild, das ſolche Geſellſchaften bieten mit ihrer Lichtfülle, mit ſeltenen und ſchönen Blumen, den funkelnden Kryſtallen und Silbergeräten, iſt reiz⸗ voll. Die wunderſchönen modernen Damentoiletten tragen dazu bei, dieſe flittrigen, ſchillernden, ſchlangenhäutigen, glitzernden, duftigen, phantaſtiſch zerfahrenen Gewänder, leuchtend wie Sonne, Mond und Sterne. Sphinxhaft, als wollte das Weib noch zu guterletzt, ehe die realiſierte Emanzipation ſie als Vollmenſchen in das große Arbeitsfeld der Menſch⸗ heit eingliedert, ſich auf ihr intimes Nurweibtum konzentrieren. Viele dieſer ſchlanken Geſtalten — Unterkleider ſind ja ziemlich abgeſchafft — ſehen wie Blumen aus, die aus ſchlanken Stengeln emporgewachſen ſind, und man hat die Wahl zwiſchen weißen Lilien, roten Mohnblumen, ſeltſam verſchnörkelten Orchideen oder wildtollen Chryſanthemen. Ich hatte mich auch einmal entzückend phantaſtiſch blumenhaft angethan. Als aber Adrian fragte, ob ich mich für einen wohl⸗ thätigen Zweck verkleidet hätte, rüſtete ich wieder ab. Mama hält mich natürlich für namenlos glück⸗ lich im Beſitz des Barons von Lützow, um ſo mehr, da er Ausſicht hat, nächſtens Legationsrat zu werden. Der Vater aber, der ſchlaue Seelenſpäher, der feinc, feine Gedankenleſer, der findet, daß ich mehr melan⸗ choliſch als glücklich ausſehe, was wahrſcheinlich da⸗ Dohm, Chriſta Ruland. 9 129 her käme, daß ich noch immer auf Madamchen Ab⸗ ſeits poſiere, anſtatt mich einzureihen. Er gebrauchte ein Bild: Da iſt irgend ein Feſt. Lange Wagenreihen nähern ſich dem Feſthaus. Einige ungeduldige Roſſe⸗ lenker fahren aus der Reihe heraus, in der Meinung, daß ſie dann ſchneller ans Ziel gelangen. Aber das Auge des Poliziſten wacht. Die Vorwitzigen müſſen bis zuletzt warten. So ein Lämmchen, (was ich ſein ſoll), das Löwengedanken haben möchte und nur „Bäh“ machen könne! Die Löwengedanken wären dem Wolf ganz egal; ſo lange das Lamm nicht brüllen lerne und nur bäh mache, fräße er es doch. Adrian iſt ja nun zwar kein Wolf, aber er frißt mich doch — nicht ganz. Neulich im Theater ſahen wir das erſchütternde Drama eines Norwegers. Nach jedem Aktſchluß frenetiſches Händeklatſchen, und als die Begeiſterung ihren Höhepunkt erreicht hatte: Getrampel. Ich zuckte unter dem Lärm zuſammen. „Was iſt Dir?“ fragte Adrian. Haſt Du nicht, Anne Marie, bei tiefer Ergriffen⸗ heit im Theater ein Gefühl, als müßteſt Du Dich von Deinem Sitz erheben, ſchweigend, als ginge eine Majeſtät vorüber, oder wie bei einer kirchlichen Hand⸗ lung? Das ſagte ich ihm ungefähr. Und ſeine Ant⸗ wort: „Wie nannte Dich doch Dein Vater? Ach unſer lieber Epikuräer! Er nennt mich wohl Madame Abſeits, aber er verſteht mein Abſeitiges 130 ſo gut. Adrian verſteht überhaupt nichts Abſeitiges. Der wertet nie etwas um. Für ihn hat Nietzſche ver⸗ gebens gelebt und geſchrieben. So, nun habe ich mich ausgeklagt — vorläufig — bis er wieder etwas ausfrißt — ja — ich ſage abſichtlich ausfrißt. Zu meiner Erholung ſage ich's, nun gerade. Sei nicht böſe. Dein Chriſtelchen. „Liebe Anne Marie, eigentlich — ich knüpfe an die letzten Worte meines vorigen Briefes an — frißt er alle Tage etwas aus. Er zehrt an mir, damit, daß er mich im großen und ganzen verneint. Ich habe nicht zu ſein, wie ich bin — nein — ganz anders, nicht die alleinige, nur einmal in der Welt daſeiende Chriſta, ſondern die Frau Baronin Adrian von Lützow — eine Begleiterſcheinung des Herrn Barons. Und trotzdem — trotzdem, ich liebe ihn, und ich finde ſein Herz nicht! Weil es auch immer in Toilette iſt, wie er ſelbſt? Es giebt Menſchen, die kann man ſich ſo gut in all ihrer Schönheit nackt vorſtellen, andere dagegen nur wohlgekleidet, ihre Nacktheit käme einem unanſtändig vor. Zu den letz⸗ teren gehört Adrian, der immer aus⸗ und inwendig Wohlgekleidete, der glatte Aſſeſſor im Auswärtigen Amt. Ich gleite förmlich an ſeiner Glätte ab. 9* 131 Wie der Vater, ſo hält er auch alle, die anders denken wie er, für Kranke, mindeſtens für Sonder⸗ linge. Der Vater freilich dachte oft garnicht, wie er zu denken glaubte. Adrian aber, der denkt allemal mit unbeirrbarer unerſchütterlicher Sicherheit das, was er denkt; ſeine Ahnen helfen ihm dabei. Apropos Ahnen: Eine Großtante von ihm, die Gräfin Oertzen, hält ſich für einige Monate in Berlin auf, ſie iſt in Oſtpreußen begütert. Eine kokette Ur⸗ ahne: ſilberweißes, zierliches Gelock, Hörrohr unter roſenrotem Federfächer, ſchleppende Sammet⸗ oder Atlasgewänder. Ganz Anmut und Lächeln. Liebliche Worte auf der Zunge. Eine liebreizende Greiſin. Ihr Kammerdiener hat eine Art Tonſur, ſieht wie ein Abbé aus und trägt ein Sammetkäppchen. Die Kammerjungfer ſpricht nur franzöſiſch. Sie ſchüchtert mich ein, die liebreizende Greiſin. Sie iſt hauptſächlich ihrer Nichte wegen nach Berlin gekommen, der Geheimen Legationsrätin von Bracht, die nach dem Tode ihres Mannes — er ſtarb vor einigen Monaten — hierher gezogen iſt. Sehr fromm iſt Juſtine von Bracht. Sie hält alle für böswillig, die keinen Glauben haben. Sie wollen nicht glauben, die Schufte! Sie lechzt nach einem himmliſchen Jeruſalem und liebt eng⸗ liſch gebratenes, blutiges Beefſteak mit engliſchem Senf, und ſtarke Weine liebt ſie auch, beſonders Iquem und Burgunder. Und boshaft iſt ſie auch, hat aber nicht den Mut ihrer Bosheit. Nur was dieſer oder jener über dieſe oder jene geſagt hat, 132 bringt ſie zur Kenntnis des Nebenmenſchen, teils um die Schlechtigkeit der Geſellſchaft damit zu illuſtrieren, teils um ihre ſittliche Entrüſtung daran auszulaſſen. Und dabei kann ſie ihre ſchmunzelnde Luſt an den Geſchichten — beſonders an den erotiſchen — nicht verbergen. Und gewöhnlich ſchließt ſie ihre lüſternen Geſchichten, indem ſie die Hände faltet und ausruft: „Gott, Gott! was für Zuſtände!" Ich amüſiere mich über ſie. Sie hat Geiſt. Von einer etwas frech dekolletierten Dame ſagte ſie: „Sie hat Blößenwahn.“ Neu⸗ lich, in einer Geſellſchaft, ſei dieſer Dame eine Ohnmachtsanwandlung zugeſtoßen. Glücklicherweiſe war ein Arzt in der Geſellſchaft. Er riet der Gnä⸗ digen, ſchnell nach Hauſe zu fahren, ſich anzuziehen und zu Bett zu gehen. Man ſpricht von der Dame A. Frau von Bracht weiß aus authentiſcher Quelle: B., der angetraute Gatte von A., findet ſeine Gattin mit C. in einer Situation, in der er ſie nie hätte finden ſollen. (Frommer Augenaufſchlag der Berichterſtatterin.) B. erſucht C., das Lokal zu verlaſſen, und als er fort iſt, ſagt er zu A.: „Und Dir ſage ich, C. wird nie mehr zu kleinen Diners eingeladen, nur zu den großen Abfütterungen.“ „Gott! Gott! was für Zuſtände!" Dieſes Haus würde ſie natürlich nie mehr betre⸗ ten, um ſo weniger, da die Menüs dort nicht auf der Höhe ihrer Anſprüche ſtänden: Hecht, Kalbsbraten, Plinſen. Einmal wäre ſogar Mayonnaiſe von Büch⸗ ſen⸗Hummer vorgekommen. 133 Von den Diners pflegt ſie kleine Blumenſträuß⸗ chen mit nach Hauſe zu nehmen, für ihre leeren Vaſen; ſie ſagt aber, weil ſie weißen Flieder und gelbe Tulpen ſo ſehr liebe. Sie liebt aber auch goldbraune Chryſanthemen und roſenrote Anemonen. Auch nachmittags, zu meiner Theeſtunde, komme ich mit den zufälligen Gäſten auf keinen grünen Zweig. Man iſt dabei ſo durchaus in Gottes Hand, daß man nie weiß, wen einem die Theeſtunde be⸗ ſcheren wird. Man fährt zuſammen, wenn es klingelt. Geſtern z. B. ließ ich mich in einer An⸗ wandlung von Menſchenhaß und in Erwartung einiger Läſtigen verleugnen. Die Reue folgte dem Menſchenhaß auf dem Fuße, denn nun kamen gerade ſehr nette Leute. Wie ſoll man es einrichten? Dem Geſchmack des Dieners kann ich es doch nicht anheim geben, wen ich empfangen ſoll, da bleibt nur — entweder — oder, in welchem Fall ich mich immer lieber für das „oder“ entſcheide. Unter den netten Leuten, um die ich neu⸗ lich kam, war Jutta Engelhart. Erinnerſt Du Dich ihrer? In der Schule waren wir befreun⸗ det, ſpäter kam ſie mir aus dem Geſicht, ich hörte nur, ſie ſei ein arges Weltkind geworden. Nun habe ich ſie einige Male in Geſellſchaft getroffen, und wir haben uns wieder angefreundet. Den alten Adam aber — die Mondaine — hat ſie gänzlich ausge⸗ zogen und iſt in eine neue Haut geſchlüpft, eine der 134 alten diametral entgegengeſetzte. Sie ſcheint ſich immer nach einer Säule umzuſehen, an die ſie ſich lehnen, nach einem Grabmal, auf das ſie ſich ſetzen kann. Sie ſucht nach einer Erlöſeridee, aber einer ganz neuen. Da ſie bis jetzt keine gefunden, hält ſie Um⸗ ſchau nach einem Meiſter, dem ſie Jünger ſein kann. Ob es Nietzſche oder Buddha ſein wird — ſie iſt noch unſchlüſſig. Einen Sataniker à la Huysmans zöge ſie vielleicht vor, die aber gedeihen auf deutſchem Boden noch nicht. Anſelmas Sataniker, der einzige, den ich kenne, iſt auch kein gelernter, nur ein improvi⸗ ſierter. Und ſo in Zweifel verſunken, hat ſie ſich vorläufig zu Stephan George entſchloſſen und iſt Ephebin geworden. Du biſt ungebildet genug, um nicht zu wiſſen, was das iſt. Siehſt Du, Anne Marie, alle feineren und freieren Geiſter haben heut⸗ zutage ein fieberhaftes Verlangen, ſich aus der Menge herauszuheben, aus den Thälern des Schat⸗ tens hinauf zu den ſonnenbeglänzten (lieber noch mondſcheinverklärten) Gipfeln. Und da ſie als ein⸗ zelne meiſt zu ſchwach für ein ſolches Unternehmen ſind, ſo ſchließen ſie ſich in Gruppen oder Gemein⸗ ſchaften zuſammen, eine Art Stangenſcher Expe⸗ ditionen, ins Geiſtige übertragen. Die Epheben nun, die ſtehen im Zeichen der Seele, excluſive aller gröberen, materiellen Momente. Das heißt, Seele iſt noch ein zu beſtimmt umriſſener Begriff, ihre Seelen löſen in Farbe, Duft und Ton ſich auf wie eine Perle — aber eine echte — in Wein — aber feinſte Marke. Stimmung iſt Seele, Seele 135 iſt Stimmung. Sie dreſſieren ſich auf Körperloſig⸗ keit, um ihrem Aſtralleib näher zu kommen. Ich habe Landſchaften von Jutta geſehen — ſie iſt nämlich Malerin. Ihre Bäume, Berge, Waſſer, Wolkenmaſſen, nichts als in ſüßen Farbenharmonieen zerfließender Aether. Auf der Aſtralebene denke ich mir die Gegenſtände ſo. Die Farben gleichen Tönen, goldgedämpfte Lichter ſpielen hinein, nichts iſt feſt, greifbar, mit einem Wort: furchtbar apart. Jutta iſt ſo ſtolz darauf, daß ſie Nachts nicht ſchlafen kann, weil die Geſtalten ihrer ſchöpferiſchen Einbildungskraft in wildem Reigen nächtlings ihr Lager umkreiſen, bald Dämonen, bald Seraphiſches. Ihre Erſcheinung deckt ſich ungefähr mit ihrer Weſensart. Das kleine Geſichtchen, nett aber unbe⸗ trächtlich — Nebenſache. Aber der Rahmen! eine aſchblonde Mähne von phänomenaler Fülle. Hals, Arme, Hände lilienweiß, die Haut ſo dünn, man ſieht das Blut hindurchrinnen. Und ſchlank, ſchlank iſt ſie, und knochenlos auch. Das iſt eigentlich ſelbſtver⸗ ſtändlich bei den Epheben. Nahrhaft dürfen ſie nicht leben. Noblesse oblige. Vor beſtimmten Bildern, beſtimmten Dichtungen halten ſie Andachten ab. Ueber alle andersgearteten Kunſtleiſtungen lächeln ſie hinweg. Neulich, als Jutta nicht wußte, was ſie leſen ſollte, wollte ich ihr mit Bismarcks Memoiren aus⸗ jetzt alle Welt, Epheben leſen nur, was nicht alle Welt lieſt. 136 helfen. Nein — nicht dieſe Memoiren, die läſe ja Man erzählt, wenn ſie ſich irgendwo im Namen ihres Meiſters verſammeln, ſo ſtände vor jedem Platz in einem Kelchglas — einem Lechterſchen natürlich — eine weiße Lilie, aber einen langen Stengel muß ſie haben. Einmal fand eine ſolche Verſammlung bei Jutta ſtatt. Stephan George ſelbſt oder einer ſeiner Jünger las in tiefem Kirchenglockenton ſeine Verſe. Als ſich aber herausſtellte, daß Juttas bläu⸗ liches Kleid um einen Soupcon zu blau war, wurde die Vorleſung unterbrochen und erſt wieder aufge⸗ nommen, nachdem ſie durch einen Kleiderwechſel ſich der Umgebung angeſtimmt hatte. Ein andermal waren in dieſen Kreis profane Elemente geraten, die die Stimmung verdarben. Nach ihrer Entfernung verſuchte man durch eine poetiſche Vermummung die verlorene Stimmung wieder einzufangen. Requiſiten: Ausgedrehtes elek⸗ triſches Licht, ſchwarze Schleier, mit Kerzen — von Wachs — in den Händen, vom bleichen Mondlicht umfloſſen, ein Umzug durch die Gemächer. Epheben haben nur Gemächer, keine Zimmer, wie ſie auch nur Gewänder, aber keine Kleider tragen. Uebrigens fehlt es dieſer Gruppe nicht an Genie und Tiefe, nur etwas Poſe und viel Bewußtheit iſt dabei. Sie hat Geiſt, aber eigentlich mehr Geiſter, oder eigentlich nur die Schatten von Geiſtern. In ihren Farben iſt Glut und Zartheit, die Glut aber wie durch Milchglas ſchimmernd, die Zartheit florſchleier⸗ haft. Ihre Muſik: Aeolsharfen, womöglich in alten 137 Burgen über Ruinen geſpannt, oder Glockenläuten, aber wie aus weiten Fernen, oder von verſunkenen Glocken, oder Orgelklänge von geweihter Jenſeitig⸗ keit. Daß Bälge dabei getreten werden, iſt nicht an⸗ genehm. Sie kleiden ſich entzückend. Auch eine Re⸗ form der männlichen Trachten ſtreben ſie an. Du müßteſt den Vater über dieſe Richtung toben hören. Was? mit der Klangfarbe der Worte wolle man Stimmung, wolle man Hohes, Tiefes, Uner⸗ meßliches ausdrücken? Wäre ja Rückkehr zum Ur⸗ ſtand, zur Tierheit, wo der Löwe durch Brüllen ſchreckt, die Grille Sehnſucht zirpt, u.ſ.w. Er wundere ſich nur, daß dieſe Leute im gemeinen Sonnenlicht ſpazieren gehen anſtatt Mitternachtsſonnen abzu⸗ warten. Alle Extreme würden von Poſeurs oder Ein⸗ fältigen vertreten. Wenn ihm z. B. jemand ſagte, er dürfe keinen Tropfen Alkohol mehr trinken, der flöge zur Thür hinaus. Dietrichs Augen — er war bei Vaters Philippika zugegen — glänzten vor Ent⸗ zücken und er ſchenkte ſich das dritte Glas ſchweren Rotweins ein. Nachdem Epikuräerchen ſich aber weidlich ausge⸗ tobt, ließ er ſich aus der Buchhandlung Stephan Georges Gedichte holen. Und fürder habe ich ihn nie mehr ſchimpfen hören. Ich habe den Lieben im Ver⸗ dacht, daß ihm die Gedichte ausnehmend gut gefallen haben. Ich weiß es ja, er hat das feinſte Verſtändnis für ſeeliſche Subtilitäten, er will es nur nicht Wort haben, der Trotzkopf. Adrian iſt auch dieſer Poeſie⸗ 138 richtung abgeneigt, er läßt ſich aber Georges Ge⸗ dichte nicht aus der Buchhandlung holen. Wie ich dazu ſtehe? Mir ſind die Epheben ſympathiſch, ſehr ſogar. Sie ziehen mich unwider⸗ ſtehlich an mit ihrer konzentrierten Pſychenhaftigkeit. Ich möchte aus Herzensgrunde gern Ephebin ſein. Aber — ich kann nicht. Mir fehlt wieder einmal der Glaube. Es iſt ſo reiner, gedämpfter Glanz bei ihnen, ſo holde Dämmerung, ſo feierliche Stille; in die Niederungen vulgären Geſellſchaftstreibens ſteigen ſie niemals hinab, und niemals fahren ſie zweiter Klaſſe mit der Eiſenbahn, immer nur erſter, auch wenn ſie gar kein Geld haben. Aber auch in dieſer Gemeinſchaft wird man auf beſtimmte Ideen und Anſchauungen eingeſchworen. Immer Maſſen⸗ pſyche, wenn die Maſſe auch nur aus hundert Men⸗ ſchen beſteht. Und ich bin für abſolute Freiheit. Ach Adrian und Freiheit! Dabei fällt mir Julia ein. Ich kriege immer einen Schreck, wenn die lieb⸗ reizende Ahne bei mir iſt und Julia in meinen Salon platzt, denn platzen, praſſeln, ziſchen oder rauſchen, anders thut es dieſer Feuerbrand nicht. Die Gräfin, die gehört hat, daß ſie Schrift⸗ ſtellerin iſt, fragt natürlich, was ſie augenblicklich dichte? „Mich ſelbſt,“ antwortet ſie; Sie müſſe ſich wenigſtens ausſchreiben, da das Ausleben, — was der Schriftſteller doch eigentlich wie das liebe Brot brauche — leider immer noch auf Schwierigkeiten ſtoße. Bei der unbeträchtlichſten Flottigkeit hieße es gleich: unmoraliſch, womöglich lüderlich. „Das heißt, 139 wenn wir uns im lebendigen Zuſtand ausleben wvollen. Thun wir es als Romanheldinnen — ja Bauer, das iſt ganz was Anderes. Da raſt das Leſepublikum vor Entzücken über die Auslebedamen. Es geht ihm garnicht toll genug zu, und der Autor ſackt Geld und Ruhm ein. War nicht in dieſem Winter der Roman: „Renate Fuchs“ das Ereignis der Saiſon? und dieſes in der Erotik ſo flinke, flinke Mädchen, die Renate, wurde von den vornehmſten Kritikern als ein Ausbund ſchönſter, urſprünglichſter Weiblichkeit geprieſen; träfen die Herren aber im Leben mit dieſem Ausbund zuſammen, ſie würden ihren Frauen und Töchtern verbieten, ihr auf zehn Schritte nahe zu kommen.“ Ich machte Julia ein warnendes Zeichen und bemerkte, daß durchaus nicht jedermann von dem Roman entzückt wäre. Ich dachte dabei an den Vater, der von dem Buch ſagte: „es wäre das talent⸗ vollſte Blech, das er je geleſen.“ Die Gräfin hatte verwundert und verſtändnis⸗ los zugehört, unwillkürlich aber rückte ſie weiter von Julia fort. Die bemerkte es: „Warum rücken Sie denn von mir fort? die Diſtance zwiſchen uns iſt ſchon groß genug. Sie denken, wie man vor 150 Jah⸗ ren dachte; ich denke, wie man in 50 Jahren denken wird.“ Die liebreizende Ahne fragte trotz des ange⸗ legten Hörrohrs: „Was ſagten Sie? „Nichts, was Sie verſtehen könnten,“ antwortete Julia unartig. 140 Die Vorwürfe, die ich ihr ſpäter über ihre Rück⸗ ſichtsloſigkeit der alten Dame gegenüber machte, wehrte ſie mit ihrem unentwegten Radikalismus ab: Ach was — alt! ob alt oder jung, das wäre ihr ganz egal. „Ehrfurcht vor dem Alter! Unſinn! ſie haben doch kein Verdienſt, daß ſie alt geworden ſind. Und daß ihre etwaigen liebenswerten Gaben dabei flöten gegangen ſind, giebt ihnen doch auch keinen Anſpruch auf Ehrerbietung. Mitleid, na ja, weil ſie ja doch bald im Grabe ruhen! Hu! Julia ſchüttelte ſich. Sie hat eine nervöſe Angſt vor dem Tode. Julia intereſſiert Dich nicht beſonders, aber Adrian! Du! Du! (Neckton.) Du willſt immer von ihm hören — Gutes: Warte nur, im nächſten Brief. Addio. Chriſtelchen." „Dieſer Brief, Anne Marie, ſoll wirklich mit Adrian anfangen, aber — na lies nur. Es ſind fortwährend kleine Reizungen und Reibungen, die mich nervös machen, und da thue und ſage ich oft aus Trotz und übler Laune Manieriertes, Exzentriſches, über das mein beſſeres Ich ſich nach⸗ träglich ärgert, obwohl beſſere Ichs ſich nicht ärgern ſollten. Er mag mich nun gewiß erſt recht nicht. 141 Wenn er will, ich ſoll anders ſein als ich bin, ſo kann er ja auch anders ſein, als er iſt. Du fragſt ſo bänglich, ob ich etwa unglücklich bin? Aber nein. Du, Anne Marie, ich kriege jetzt einen Ehrgeiz, der ſich gewaſchen hat. Ich will auch ſchöner wer⸗ den, ſo ſchön, daß Adrian überraſcht ſein ſoll, ſo ſchön, wie Du es biſt, Du Prinzeſſin Immerſchön. Ich habe nur ſo eine Sonntagshübſchheit. Welke, kranke Frauen, die ich kenne, wenden Geſichtsmaſſage an, um blühender, friſcher auszuſehen. Ich bin klüger, ich weiß, die Schönheit muß von innen kommen, jeder Tropfen Blut hat Teil daran. Darum viele, viele rote Blutkörperchen, darum Geſundheit — erſte Bedingung, Geſichtsmaſſage kann nebenher laufen. Statt Nerven — Nerv. Mein ſchwaches Herz ſoll ſtark werden, mein Blut ſoll lernen zu ſtrömen wie ein Fluß, den der Wind peitſcht, es ſoll tanzen wie ein Waldbach. Ich unternehme weite Radfahrten, meiſt mit Maria Hill, ſeltener mit Julia, nie mit Anna Rötter — von wegen der Pumphoſen. Iſt das Wetter zu ſchlecht um auszuradeln, ſo laufe ich bei offenen Fenſtern im Sturmſchritt durch die — ſagen wir Gemächer und mache Lungen⸗ übungen dabei, u.ſ.w. u.ſ. w. O, ich bin klug und weiſe, oder — ſollteſt Du die Weiſe ſein und recht haben, wenn Du ſagſt, ich lebte wie in einer Hängematte, immer in Bewegung, hin und her, und käme dabei doch nicht vom Fleck? 142 Gott ſei Dank, die Stricke einer Hängematte zerſchneidet eine gewöhnliche Schere, die Parzen brauche ich darum nicht zu bemühen, und ich laufe vorwärts — wohin? Nietzſche ſagt (der muß ſchon heiſer vom vielen Zitiertwerden ſein), „am beſten läuft man, wenn man nicht weiß wohin.“ Es iſt nicht leicht, zu wiſſen, wohin man laufen möchte. Nietzſche ſagt: (ich ſage ja, er ſagt immer) „Wenn es einen Gott gäbe, wie könnte ich es aus⸗ halten, kein Gott zu ſein.“ Ich ſage: wie halte ich es aus, immer dieſelbe zu ſein, wenn es ſo viele herr⸗ liche Seelengegenden giebt, und man möchte ſich doch um keine bringen. „Zwei Seelen wohnen ach in neiner Bruſt.“ (Diesmal ſagt Goethe anſtatt Nietzſche, ich glaube, es giebt überhaupt außer Goethe und Nietzſche niemand.) Zwei Seelen? nein, in meiner Bruſt wohnen mindeſtens ein Dutzend, eine ganze Kollektion von Seelen. Die Männer, die haben höchſtens zwei, manchmal nur eine; das liegt daran, daß ſie von je⸗ her nur auf ein beſtimmtes Fach geaicht worden ſind. Entweder ſie hobeln immer, oder ſie machen immer Muſik, treiben immer Mathematik oder gucken immer durch Fernröhre in die Sterne. Die Einſeitigkeit iſt ihnen zur zweiten Natur geworden, ihre erſte iſt ge⸗ wiß auch ganz anders. Meine zwölf Seelen aber — ſiehſt Du, die eine will ins Metaphyſiſch⸗Transcen⸗ dental⸗Myſtiſche ſich verſteigen. Eine andere möchte renaiſſancefürſtinnenhaft in Brokatgewändern durch Paläſte rauſchen. Eine dritte ſchlüpfte gerne wohl 143 —ab und zu— in ein goldſträhniges, lilientragendes Engelsbild. Ach ja, ich möchte rein ſein, rein wie friſchgefallener Schnee, und dann möchte ich wieder garnicht ſo übermäßig rein ſein, weil Schnee mir ſo leblos, ſo tot vorkommt. Und Momente habe ich — freilich nur wenn kalter kalter Nord (ſiehe Adrian) mich anweht und ich friere — wo ich ſelbſt vor einer Bajadere nicht zurückſchrecke, die ein Gott mit in ſeinen Himmel reißt. (Gott! wenn Adrians Groß⸗ tante oder ſeine Kouſine dieſen Brief läſen!) In ſelbſtkenntnisreichen Stunden finde ich in mir etwas von Anſelma, von Julia, von Maria Hill, auch von Klariſſa. Dieſe Klariſſa mit ihren Nervenzuſtänden intereſſiert mich ausnehmend. Wie ich gern — wenig⸗ ſtens zeitweiſe — eine Ephebin geweſen wäre, ſo möchte ich auch eine Senſitive ſein, obwohl das eigentlich mehr Qual als Plaiſir zu machen ſcheint. Es iſt auch wohl nur, weil ich, wie Vaterchen ſagt, immer für das Abſeitige bin. Klariſſa iſt melancholiſch, träumeriſch, oft trau⸗ rig; traurig auch über ihre Gemütloſigkeit. Ihrer Familie ſteht ſie kühl gegenüber, durch ihr ſeltſames Weſen ihr ganz entfremdet. Sie hat Maria, der ſie ſich innig anſchließt, mit⸗ geteilt, ſie müſſe ſich oft beſinnen, wie ihre Mutter, ihre Geſchwiſter ausſähen, als wären es Menſchen, die ſie einmal gekannt und dann vergeſſen habe, ein Gefühl, das ſie zuweilen auch in betreff ihrer eigenen Perſon habe. Als Kind kam ſie ſich mitunter alt, ganz alt vor. Fragte man ſie, wie alt ſie ſei, ſo wußte 144 ſie nicht, wvar ſie hundert oder zehn Jahr alt? Vage und unbeſtimmt ſchwebte ihr vor, als hätte ſie ſchon Unendliches erlebt, könne ſich nur nicht darauf beſinnen. Zuweilen, wenn ſie gut und traumlos geſchlafen, erwacht ſie heiteren Sinnes, wachen Geiſtes. Friſch und froh geht ſie im Morgenglanz durch die betauten Alleen des Gartens hinaus auf die Dorfſtraße, Luft und Sonnenſchein trinkt ſie in vollen Zügen. Am Ende der Dorfſtraße ſteht ein ſtarker Eichbaum. Ein Specht hackt in den Stamm ſein eintöniges: tap, tap! Und plötzlich iſt ihr, als höre ſie Nägel in einen Sarg ſchlagen, die in die Höhe gereckten Zweige der Eiche ſcheinen ihr die ausgeſtreckten Arme eines Ver⸗ zweifelnden. Die Tautropfen Thränen, die von den Zweigen rieſeln. Alles umflort. Ihr Frohſinn er⸗ loſchen. So jähem Wechſel iſt ſie beſtändig unter⸗ worfen. „Mir iſt,“ ſagte ſie einmal, „als wäre ich auf einer Reiſe eingeſchlafen, und wo ich hatte ausſteigen wollen, bin ich vorbei gefahren. Und als ich endlich erwachte, war ich in einem fremden Lande — und nun weiß ich den Weg zurück nicht. Sie lernt und arbeitet in der Akademie ganz fleißig. Es intereſſiert ſie aber nicht. Lieber ſitzt ſie ſtundenlang auf einem Platz, ohne etwas zu thun. Sie macht ſich Gedankenſpiele, wie ich in meiner Kindheit. Es ſind aber eigentlich nur Schattenſpiele, Dohm, Chriſta Ruland. 10 145 Schatten, hinter denen das eigentliche Leben ſich ver⸗ birgt. Zuweilen ſieht ſie die Schatten leuchtend. Sie begreift nicht, was die Menſchen an dem Leben ſo intereſſant finden. Wenn es nichts Höheres, nichts Beſſeres giebt, was ſoll denn das ganze Leben? Ihre Nerven ſind von einer ganz unwahrſchein⸗ lichen Feinheit und Reizbarkeit. Sie reagieren auf Dinge, die andere nicht wahrnehmen. Sie fühlt unter anderem heraus, wenn Julia von ihrem Geliebten kommt. Sie rückt dann ſo weit als möglich von ihr fort. Immer aber ſchmiegt ſie ſich Maria an. Eines Tages aber hielt ſie ſich auch von ihr fern. Ob ſie ihr etwas übel genommen habe, fragte die Chemikerin. „Nein.“ Aber ſie bat Maria, nach Hauſe zu gehen und ſich ins Bett zu legen, ſie wäre ja krank. Maria proteſtierte lachend. Sie fühle ſich kern⸗ geſund. Am nächſten Tage erkrankte ſie an Influenza. Julia behauptet, Klariſſa hätte einen chroniſchen Scelenſchwips. Seelenſchwipſe mag ich. Du auch? Chriſtel. 146 „Ich ſchrieb Dir, Anne Marie, daß ich Geſell⸗ ſchaften nicht mag, aber große, prunkvolle Feſte, die mag ich, ab und zu wenigſtens; Feſte, wo — um mich banal auszudrücken — die Schönheit auf dem Thron ſitzt, wo ein ganzes Orcheſter von Tönen der Freude hohe Säle durchbrauſt. So ein Feſt gab unſer Kröſus, der Induſtrie⸗ könig Hammerfeld. Seine geiſtreiche Frau, die die Griechin — nein, die Helenin poſiert, mit einem Stich ins Decadence⸗Römerhafte, eignete ſich für dieſes Karnevalsfeſt, das im Zeichen des Dionyſos ſtehen ſollte. Ich hatte mir etwas ganz der Gelegenheit Ent⸗ ſprechendes ausgedacht. Als rote, aber feuerrote Bac⸗ chantin ſetzte ich die Menſchheit, die mich von der Seite nicht kannte, in Erſtaunen. An den epheu⸗ umwundenen Spazierſtock Adrians hatte ich meine langſtielige Lorgnette befeſtigt. Im Haar, um die Schultern Weinlaub. Die Frauen faſt alle waren ſchön. Jutta, Julia, Maria Hill. Anſelma prächtig — eine Meſſalina, gebändigt durch den Malberuf. Und ſchön war das Feſt, übermütig, förmlich orgiaſtiſch. Bunte Guirlanden elektriſchen Lichts zogen ſich vom Kronenleuchter durch den ganzen prachtvollen Saal. Schlangen, Confetti, rote Nelken ſchwirrten durch die Luft. Grazien, Muſen, Faune durchſchwirrten einen Lorbeerhain. 147 10* Der Geiſt des Koſtüms kam über mich. Ich denke mir, Du müßteſt ſo geweſen ſein, wie ich an dieſem Abend war. Auf einer zauberhaft geſchmückten kleinen Bühne wurde ein kurzes Feſtſpiel aufgeführt: Geſang, wie Walkürenrufe, aber aus dem Venusberge heraus⸗ geſchmetterte, entzückende Reigen halbnackter Ballet⸗ tänzerinnen, Bockſprünge der Faune. Wahrhaft dithyrambiſch der Moment, als Dio⸗ nyſos ſelbſt, auf goldſtrahlendem Wagen ſitzend, er⸗ ſchien, von jauchzenden Evoe⸗Rufen empfangen. Alle erhoben ſich von den Sitzen, Blumen und Lorbeerzweige regneten auf den Zug nieder, und ein Hauch antiker Lebensfreude bemächtigte ſich der Menſchheit. Dafür, daß die Bande frommer Scheu ſich einigermaßen löſten, ſorgten Faune, Silenen, Bacchanten. Ein berauſchendes Ganze. Ich ſtand einen Augenblick dicht an dem Triumphwagen und da — mänadenhaft, das Aben⸗ teuer, das ich hatte. War es Zufall oder beabſichtigte Schelmerei — der Thyrſusſtab eines der Bacchanten auf dem Triumphwagen verwickelte ſich in meiner gelöſten Mähne. Trotz der ſchmerzlich kläglichen Evoes, die ich ausſtieß, zog und zog mich der freche Bacchant an den Haaren zu ſich heran, ſchlang den Arm um mich und — da ſaß ich auf dem goldenen Gefährt neben ihm. Er war ſonderbar koſtümiert: Roter Frack, weiße Weſte, Puffärmel, Weinlaub um Haar und Schulter. Roſig geſchminkt. Ein Jüngling ſchien er mir, ähnlich dem Faun des Praxiteles. 148 Dunkles Gelock, das ihm in die weiße Stirn fiel. Tiefe kleine ſchwarzblaue Augen, die ab und zu auf⸗ funkelten. Und bartlos war er. Oder glich er mehr einem Tannhäuſer? Ein Zug leidvoller Leidenſchaft war in ſeinem Geſicht. Er heftete ſich für den ganzen Abend an meine Sandalen, mit niemand mehr ſprach er, auch mit mir wenig, nur ab und zu ein paar Worte, glühlicht⸗ ähnliche, luſtfunkelnde, und doch von einem tragiſchen Hauch geſtreifte, welcher Hauch ja auch bei den echten antiken Dionyſosfeſten mitvibrierte. Wir amüſierten uns aber ausgezeichnet in die⸗ ſem Gewoge von Luſt und Pracht, in dem vollen Verſtehen dieſes Dionyſiſchen Außerſichgeratens. Ob er ſich in mich verliebt hat? Ich hoffte es. Zwei Tage nach dem Feſt beſuchte er mich, ob⸗ wohl ich ihn garnicht dazu aufgefordert hatte. Er ſagte kein Wort der Erklärung oder Entſchuldigung. Er kam, als wäre das ſelbſtverſtändlich. Wir waren wohl Beide gleichermaßen erſtaunt, als wir uns wiederſahen. Der Sprung aus dem antiken Lorbeerhain in den modernen Salon, wo eine hübſche Frau eine Taſſe Thee ſervierte, war zu weit, obwohl ich ein reizvolles Empirekleid anhatte. Und er? dem Faun des Praxiteles ſah er kaum noch ähnlich, war zu alt dazu. Furchen in der Stirn. Bittere Falten um den Mund. Der Anzug etwas nachläſſig, aber den Augen angenehm. Kein fun⸗ kelnder Bacchantenblick mehr. Kalte, ſcharfe, zu⸗ 149 weilen eisſpitzenſcharfe Augen. Und verliebt ſchien er auch nicht mehr — der Treuloſe. Er heißt Frank Richter, iſt Schriftſteller, — ach Gott — Journaliſt ſogar! Hauptſächlich Kritiker. Er verhielt ſich bei dieſem erſten Beſuch ſchweig⸗ ſam. Wir waren auch kaum zehn Minuten allein. Jutta Engelhart kam. Auch bei den nächſten Beſuchen, die er in kurzen Zwiſchenräumen abſtattete, blieb er wortkarg. Ich hatte aber den Eindruck, daß er beobachtete, das Terrain rekognoszierte. Als er allmählich mitteilſamer wurde, beſtätigte er ausdrücklich meinen Eindruck. Hätte ich nicht ge⸗ halten, was ich auf dem Feſt verſprochen, er wäre einfach fortgeblieben. Es habe ſich nun aber heraus⸗ geſtellt, daß ich wie geſchaffen für ihn ſei. „Wozu?“ fragte ich neugierig. Erſtens als Schülerin zur Verwertung ſeines pädagogiſchen Talents, das eminent ſei. Zweitens als Buſenfreundin. Eine klaffende Gemütslücke bei ihm lechze nach Ausfüllung. Als Aequivalent wolle er mir gern Schutzgeiſt oder Seelenſchutzmann ſein, indem ich deſſen ſehr benötigt ſei, denn ich gehöre zu den thörichten Jungfrauen, die ihr Oel verbrennen, ehe der Bräutigam kommt. Auch zeigte ich eine fatale Neigung, die längſt abgethane und begrabene femme incomprise wieder aufleben zu laſſen. Er wäre auch geſpannt, zu ſehen, wie weit ich die Wahr⸗ heit vertrüge. ... 150 „Alſo ein Probekaninchen für Ihre Menſchen⸗ kenntnis? „Id. Wunderſt Du Dich über die ſchnelle Intimität mit dieſem Mann? Mit Frank Richter muß man entwveder ganz intim werden oder ihn völlig ab⸗ lehnen. Er ſagt Dinge — wenn Adrian ſie ſagte, würden ſie mich tief verletzen. Bei Frank Richter finde ich ſie natürlich. Beide ſind ganze Verſönlich⸗ keiten. Schlüge der eine oder der andere Töne an, die außerhalb ſeiner Perſönlichkeit lägen, ſo wäre es, als ob ein Fremder ſich bei mir eindrängen wollte. Wie Adrian zu meinem Journaliſten ſteht? Er kann ihn decidiert nicht leiden. Er nennt ihn den „Proleten.“ Ich weiß nicht warum, wahrſcheinlich weil er regelmäßig vergißt, den Fiſch mit dem Fiſch⸗ beſteck zu eſſen, oder weil er nie einen Cylinder trägt, auch bei Begräbniſſen nicht. Und der liebe Vater erſt, Du wveißt ja, wie er den Journalismus haßt. Um ſo recht ſeine Gering⸗ ſchätzung auszudrücken, ſagt er neuerdings immer „Schournalismus“, das „Sch“ zornig betonend. Warum das „Sch“ ſo verächtlich iſt, weiß ich nicht. Ja, ich wollte Dir doch von Adrian ſchreiben. Kommt im nächſten Brief. Heute Schluß. Deine Chriſtel. 151 „Liebſte Anne Marie, Du willſt mehr von meinem Buſenfreund wiſſen? kenne ich ihn denn ſchon au fond? Das nur weiß ich: er gehört zu den Unzu⸗ friedenen, die ein Hühnchen mit dem lieben Gott pflücken, daß er ſie gerade ſo geſchaffen, wie ſie ſind. Sie wollten doch ganz anders ſein. Und in harter Arbeit ſchaffen ſich dieſe Selbſtſchöpfer um, ſchaffen ſich neu, immer im Kampf mit ihrer Natur. Er iſt Jeſuit. Er lügt kalt, frech, wenn er es für zweckmäßig hält. Dem Pöbel nur die Wahrheit, die er verdient. Pathos iſt in ſeinem Hohn, ſeiner Ironie, brün⸗ ſtiger Weltſchmerz. Ein zorniger Menſch. Zorn in ſeiner Trauer, Zorn in ſeinen Melancholieen. Seine Nerven liegen gleichſam hautlos, ſchutzlos. Berührt Kaltes, Feindliches ſie, ſo zucken ſie jäh und elektriſch und entbinden einen Strom von Qual und Haß. Und dann ſind ſeine Worte eine Peitſche, die Wunden reißt. Ein andermal begleitet er mit Flöte und Harfe die Geſänge der Dichter. Und kommt ein König, ſo ſtößt er in die Poſaune, er meint aber, es käme gewöhnlich kein König. Seine Macht freut ihn, aber er übt ſie nicht mit gutem Gewiſſen. Er weiß es ſelbſt nicht, aber er leidet an den Wunden, die er ſchlägt. Möchteſt Du ein Kritiker ſein, Anne Marie? ich nicht. Man iſt ja da wie auf einem Schlachtfelde. 152 Die Feder ein Schwert, die Tinte Gift, das Papier das Blutgerüſt, und die zu Köpfenden meiſt fleißige, ſtrebſame, ehrbare Leute. Er bildet und feilt unabläſſig an ſeinem Stil. Ein ſchöpferiſcher Stil; er gleicht dem Netz einer Spinne, mit ihren kunſtvoll verſchlungenen, inein⸗ ander und durcheinander laufenden zarten und doch ſtarken Fäden. Die Opfer, die ſich darin verfangen, kommen nicht wieder los. Aber er ſelbſt hat nichts von einer Spinne. Er lauert nicht und wartet nicht ab. Er packt zu mit Blut⸗ und Geiſtesgier. Aber auch Stunden der Weihe hat er. Wenn er von Dichtern ſpricht, die er liebt — es ſind deren nicht viel. Dann wird er zum Pſalmiſten, und hohe Lieder quellen aus ſeiner Bruſt. Dann liebe ich ihn. Zu⸗ weilen iſt er auch naiv, kindlich. Er kann ſo fremd um ſich ſchauen und ſich ſo wundern. Dann liebe ich ihn auch. Du merkſt, ich liebe ihn zu zwei Dritteln. Mit dem letzten Drittel gehört dieſer Fauſt (nie hat es mehr Fauſte gegeben als in unſerem Zeitalter), irgend einem Böſen, ich weiß den Namen des Böſen noch nicht. Ich fragte ihn, wieſo er Journaliſt (beinah hätte ich auch Schournaliſt geſagt), geworden wäre. Er erklärte es ſehr einfach: „Als Jüngling ließ ich Gedichte drucken, umſtürzleriſche Dithyramben, meine tiefſten Ueberzeugungen, meine Religion. Ich kriegte nicht einmal Honorar dafür — und ich hungerte da⸗ mals — aber ſechs Wochen Gefängnis, wegen groben Unfugs. Schauerlich war's. Leben oder ſterben, aber 153 nicht die Marter eines Zwiſchenſtadiums. Ich hatte im Gefängnis das Gefühl, als hätte man mich an den Beinen aufgehängt. Wäre ich bei dem Idealismus und der Ueber⸗ zeugungstreue geblieben, glauben Sie, ich dürfte hier neben Ihnen ſitzen — was doch eine konzentrierte Lebensfreude für mich iſt — mit einem abgeſchabten Rock, weißen Nähten an den Ellenbogen und einem Loch im Stiefel? von den Strümpfen garnicht zu reden. Ihr Portier ſchon hätte mir nachgeſchrieen: „Hintertreppe.“ Und meinen Sie, ich könnte in einer gemeinen Kneipe bei Knackwurſt und Fuſel, wozu mein ideales Honorar allenfalls ausreichen würde, zur Hölle niederfahren, wiederauferſtehen und ins Paradies kommen, was doch zu den Requiſiten eines Dichters gehört? Er blieb ein paar Minuten ſchwer atmend, mit zuckenden Lippen, wie in ſich verſenkt. Dann ſchüttelte er die Schwere ab, griff nach meiner Hand und preßte ſie heftig, nicht liebkoſend, nein, um mir weh zu thun! Und mit ſpöttiſchem Pathos perorierte er: „Und da habe ich die Dichterkrone vergraben, meinen Purpurmantel verſetzt, und färbe nun mein billiges Fell mit dem Blut der dichtenden Nebenmenſchen — rot.“ Er ließ meine Hand los und ſtand auf: „Und nun gehöre ich zu denen, die dem Publikum ihr Denken liefern, wie ihnen der Schuhmacher die Schuhe macht. Wir Zeitungsſchreiber ſind die mo⸗ 154 dernen Rattenfänger. Wir pfeifen, und das Publi⸗ kum tanzt!“ Ein unglücklicher und ein bedeutender Menſch, der Frank Richter. Ein Prototyp der Zerfahrenheit unſerer Zeit und voll Heißhunger nach einem Manna und Ambroſia, das vom Himmel fällt. Liegt nicht in uns allen, die wir nicht zu den Dutzendmenſchen gehören, etwas von dieſen Seelen⸗ wirren? in mir und in Julia, in Anſelma? und nicht auch in Dir, Anne Marie? Nicht ein Zeitſymptom dieſes höhniſche Sich⸗ ſelbſtironiſieren, und das doch nur wie ein verzwei⸗ feltes Umſichſchlagen mit Flügeln iſt, die zornig den Staub aufwühlen, weil ſie die Schwungkraft verloren haben? Nicht ein Zeitſymptom dieſes praſſelnde Witzfeuer, das ein Weinen der Seele übertäubt? Läſterungen auf den Lippen, während unſer Auge nach dem Himmel ſchielt? Und dann plötzlich der graue, müde Widerwille vor dieſen blaſſen, cyniſchen Negationen. Fieber⸗ ſchauer mit Paroxysmen folgen, die ungeheure Sehn⸗ ſüchte entbinden, die Sehnſucht auch, den Weltgeiſt an einem Zipfel zu erfaſſen, hinter ein tiefes, tiefes Geheimnis zu kommen, es Gott zu entreißen, und in der höchſten Wolluſt des Erkennens zu vergeſſen — was? den Tod? Wie's Epikuräerchen ſo ſchön einmal ſagte: „Wenn Ihr den Tod nicht abſchaffen könnt, alles Andere iſt Blech! Blech!“ Das Wort Blech hat er gern. Wundere Dich nur nicht, wenn mein Stil ſich 155 ändern ſollte und ich nächſtens reden werde, wie mir der pathetiſche Schnabel gewachſen iſt. Darum bin ich oft ſchweigſam. Ich will geiſtreich ſein dürfen, in Bildern ſprechen, dabei ein bischen geſtikulieren ſich muß immer auf meine Hände achten, damit ſie nicht in die Höhe fahren) und das alles gilt doch für affektiert, lächerlich. Aber nein, Du willſt doch von Adrian hören, und nun iſt in dieſem langen Brief immer nur von dem Frank Richter die Rede. Aber im nächſten Brief. Theochen gehts nicht gut? Arme, arme Anne Marie. Ich umarme Dich zärtlich. Chriſtel. „Ich komme aus Anſelmas Atelier. O Anne Marie, ein Tag, der ſchrecklich zu Ende ging. Klariſſa war nicht gekommen. Es beunruhigte uns einiger⸗ maßen. Maria hatte ſie vor einigen Tagen auf der Straße getroffen, traurig und erregt, um einer Blume willen, zu der ſie myſtiſche Beziehungen unterhielt. Sie pflegte ihr Blaublümlein auf das ſorgfältigſte. Sie liebte es, flüſterte mit ihm. Sie glaubt an Pflanzenſeelen und daran, daß ihr Schickſal irgend⸗ wie gerade mit dieſer Pflanze verknüpft ſei. Seit einiger Zeit gefiel ihr das Ausſehen der Pflanze nicht. Sie mochte ihr noch ſo viel Waſſer 156 und Sonne geben, das Köpfchen ſank tiefer, und die Knoſpen neben der verblühenden Blume verküm⸗ merten. „Meine Blume iſt krank,“ hatte ſie zu Maria geſagt. „Stirbt ſie, ſo zieht ſie mich nach ſich.“ Ueber die Bilder vergaß man bald der myſtiſchen Klariſſa. Vier Bilder ſind es, durch eine ſchmale Holzleiſte miteinander verbunden. Ich beſchreibe ſie Dir, ſo gut ich kann. Erſtes Bild: In einem Roſengarten, vor einen klaren Teich, in dem Roſenblätter ſchwimmen, ſteht ein Liebespaar. Eine zarte Weide neigt ſich tief zum Waſſer nieder. Unter der Weide eine weiße Marmor⸗ bank. Die Jungfrau in fließendem Goldhaar, mit einem roſigen Gewand angethan, drückt das Geſicht in den Kelch der Roſe, die ſie in der Hand hält, und doch fühlt man, daß ſie lauſcht und mit dem Duft der Blume die Worte des Jünglings an ihrer Seite einſaugt. In Morgenlicht iſt das Bild getaucht. „Wie ein Minnelied mit Harfenbegleitung habe ich es empfunden,“ ſagte Anſelma. Jalia meinte, ſie hätte darunter ſchreiben ſollen: „O, daß ſie ewig grünen bliebe, die ſchöne Zeit der jungen Liebe.“ Anſelma zog den Vorhang vom zweiten Bilde fort. Die Sonne iſt eben untergegangen. Der Himmel gleicht einer Serpentindame, die die Falten ihres weiten Gewandes in brennend lachender Pracht weit 157 auseinander ſpreizt. Die Roſen glühen in dunklem Purpur. Das junge Weib — auf dieſem Bilde iſt es Julia ſprechend ähnlich — ſcheint vorwärts zu ſchreiten. Das Kleid iſt ihr von den Schultern ge⸗ glitten, oder vielmehr, ſie hat es heruntergeriſſen, denn noch krampft ſich ihre Hand in den Ausſchnitt des Kleides. Es muß windig ſein. Offenbar hat der Wind ihr hochgekämmtes Haar zerzauſt, daß eine Strähne ihr ins Geſicht fällt; er weht ihr Kleid nach hinten. Die brennend roten, wie gefärbten Lippen ſind halb geöffnet, die Zähne ſchimmern blitzend hin⸗ durch. Alles auf dem Bilde hat einen blutigen Ton, das Haar, das Gewand, das Innere der vibrierenden Naſenflügel. Selbſt die Augen erſcheinen rötlich, mit einer Flamme, die herauszüngelnd, in glühender Ge⸗ ſpanntheit jemandem entgegenwächſt. Sie rufen förmlich, ſie ſchreien — nach wem? Ganz in der Ferne das ſchwache Schattenbild einer männlichen Geſtalt. Das dritte Bild: Faſt Nacht. Das Gebüſch ſchwarz, durchſchimmert vom Licht der Johanniskäfer⸗ chen. Der Himmel voller Sterne. Auf üppigem Raſen liegt das Weib — nackt. In reiner Weiße leuchtet der Körper aus der tiefen Dämmerung. Krampfhaft hat ſie mit der einen Hand hinter ſich in einen Roſenbuſch gegriffen, ein Dorn iſt ihr in den Arm gedrungen, und ein Blutstropfen rinnt über den weißen Arm. Der zurückgeworfene Kopf trägt den Ausdruck höch⸗ ſter Wolluſt. Zur Leda kommt die zeugende Liebe als Schwan. Statt des Schwans hat Anſelma einen 158 Feuerſtrahl gewählt, der, aus der Höhe kommend, den Schoß des Weibes durchdringt. „Wenn Euer Blut im heißen Atem dieſer Som⸗ mernacht nicht entbrennt, ſo habe ich nicht erreicht, was ich wollte,“ flüſterte Anſelma. Das vierte Bild. Ein großes Waſſer. Es iſt das Meer, denn die Wellen wogen. Auf einer Düne, an einer breiten Kiefer lehnend, ſteht der Jüngling des erſten Bildes, ſatt, zufrieden lächelnd. Er raucht eine Cigarette. Er ſieht noch nicht, was wenige Schritte weiter aus wogenden Wellen auftaucht: Ein Kopf im letzten Stadium der Agonie. Die faſt weißen Augen er⸗ loſchen, die ſchweren triefenden Haare, die bläulichen Lippen ſchon von einem Hauch der Verweſung ge⸗ ſtreift, nicht mehr fähig, etwas Anderes auszudrücken als das Sterben, und ſterbend ſehen ſie noch den Jüngling. Der Ausdruck dieſer Sterbenden iſt ergreifend. Wir ſtanden alle eine Weile ſtumm vor den Bildern. Wir wußten nicht, was wir ſagen ſollten. Julia, die überhaupt wenig Intereſſe für die bildenden Künſte hat, ſah mich fragend an. Ich ſuchte in mir ein Urteil und fand es nicht. Ich wußte nur das Eine: ich wäre lieber geſtorben, als daß ich ſolche Bilder gemalt oder ſie gar ausgeſtellt hätte. Um keinen Preis hätte ich ſie zugleich mit einem Manne ſehen mögen. Und doch war ich nicht ſicher, ob es vielleicht nur die Fremdartigkeit, die unerhörte Kühnheit der Wahl eines ſolchen Stoffes waren, die mich abſtießen. Aber nein, das war es doch nicht. Ich dachte an 159 Tizians Bild: Jupiter und Semele, das ich immer wieder mit Entzücken ſehen kann, ohne eine Spur innerer Abwehr. Mit welcher höchſten künſtleriſchen Vollendung wird da der Vorgang dargeſtellt — ſchattenhaft nur, traumbildartig, ein Traum der Wolluſt, von Göttern geträumt. Dergleichen geht über Anſelmas Kraft. Und doch lag ihre ganze Seele in den Bildern. Eine beklommene Stimmung, eine ſchwüle Stille herrſchte in unſerem kleinen Kreis. Endlich ſtotterte ich etwas gezwungen, ſie müſſe wohl merken, daß wir ihre Kühnheit noch nicht verdaut hätten. Die Bilder ſeien zu bedeutend, um ſofort ein Ramſchurteil da⸗ rüber abzugeben. Sicher hätte vor zwanzig Jahren keine Frau derartige Bilder malen können, und ſicher wäre auch, daß ſie ſie hätte malen müſſen, da ſie in ihrer Seele lebten. Maria bemerkte, daß die Sterbende auf dem Bilde garnicht mehr Julia, wohl aber Klariſſa ähnlich ſähe. Mit einem ſonderbar ſchwülen Blick ſtreifte die Malerin ihr Modell. Die Julia paſſe nur für das Lebendigſte. Das Sterben überlaſſe ſie gern Anderen. Anſelma blickte düſter. Sie empfand den Miß⸗ erfolg. Wir zögerten, ſie zu verlaſſen. Der Maria Hill kam ein Einfall. Sie hatte ein Manuſkript bei ſich, das ſie eben in eine Redaktion tragen wollte. Ob ſie es vorleſen dürfe. Es ſtände in einem gewiſſen Zuſammenhange mit den Bildern. Nur ganz kurz, 160 wenige Schriftſeiten (Honorar fünf Mark), es finge ein bischen pathetiſch an — die Einleitung müſſe immer etwas knallen. „Und der Schluß auch,“ meinte Julia. „Abwarten.“ Man war wie erlöſt. Jawohl, man wollte es hören. Der Vorhang wurde über die Bilder gezogen. „Uebergangstypen“ hieß der Titel des Aufſatzes. Und Maria las: „Das Neue Weib,“ ein Stich⸗ und Schlagwort der Zeit. Es iſt noch nicht fertig — das neue Weib. Wohl ſeit einem halben Jahrhundert ſchon hat die unaufhaltſam vorwärts⸗aufwärtsdrängende Zeit die Funken einer neuen großen Erkenntnis nach allen Himmelsgegenden hin geſprüht, und wo ſie geeignetes Material fanden, da ſchwälten und glimmten ſie weiter, bis der günſtige Wind der letzten Jahrzehnte ſie zu einer roten Flamme entfacht hat, die ihren Schein über alle civiliſierten Länder wirft. Die große Erkenntnis iſt die Neuwvertung der Frau. Eine rote Flamme, eine flackernde, wie vom Sturm erfaßte, eine gierige, die überall Nahrung ſucht, weil ſie noch klein iſt, und ſie will wachſen, wachſen; zu einer weißen, reinen, großen Flamme will ſie werden, einer unauslöſchbaren. Marie hielt tiefaufatmend inne, uns an⸗ lächelnd, als wäre ſie froh, das Pathos hinter ſich zu haben. Dann fuhr ſie fort: „Ein hoffnungsfrohes Frühlingsregen iſt Dohm. Chriſta Ruland. 11 161 vorläufig noch dieſe Bewegung, mit allen Sym⸗ ptomen der Jugend, der Unruhe, der glühen⸗ den Ungeduld, der alles zu langſam, viel zu lang⸗ ſam geht. Wir, die junge Generation, wir ſtehen alle noch wie auf einer Brücke, die Brücke ruht nicht auf feſtgefügten Pfeilern, darum ſchwankt ſie, und ſie hat auch kein Geländer, und wir ſchwanken mit, und wer nicht ſicher auftritt und nicht ſchwindelfrei iſt, ſtürzt leicht hinab. Schon ſind die neuen Ideen leben⸗ dig, und die alten ſind noch nicht tot. Es iſt ein Zwieſpalt in uns Werdenden zwiſchen dem Altererbten und dem Neuer⸗ rungenen. Was ſeit ſo vielen Generationen Recht und Brauch war, hat ſich unſerer Geſinnung einver⸗ leibt, es iſt beinah Inſtinkt bei uns geworden. Wir haben noch die Nerven der alten Generation und die Intelligenz und den Willen der neuen. All die alten Anſchauungen und Vorurteile, ſie heften ſich an unſere Sohlen, eine Art ſanfter Furien oder Me⸗ duſen, die unſer Wollen zwar nicht verſteinern, aber doch lähmen. Mit einem Wort: wir ſind Uebergangs⸗ geſchöpfe. Von den neuen jungen Mädchen will ich reden. Es giebt unter dieſer vorwärtsdrängenden weib⸗ lichen Jugend ſehr verſchiedene Kategorieen. Die vor⸗ nehmſte Kategorie, das ſind die Stürmerinnen und Drängerinnen, denen die höchſten Aufgaben, die Löſungen von Lebens⸗ und Welträtſeln gerade nur gut genug ſind. Manche dieſer jungen Mädchen ſind Kometen, mit allen Anzeichen, ſich, anſtatt auszu⸗ 162 leben, auseinanderzuleben, mit den Symptomen nebelhafter Zerfahrenheit, willkürlicher Ausſtrah⸗ lungen und der Möglichkeit leuchtender Zerſplit⸗ terung.“ Chriſta errötete, als Marias Blick ſie flüchtig ſtreifte. „Eine zweite Kategorie iſt auf der Flucht vor dem Nichtleben. Es ſind diejenigen, die ſich um jeden Preis ausleben wollen, in fieberhafter Eile, als wollten ſie, was alle früheren Generationen ver⸗ ſäumt, nachholen. Das ſind die Entlaufenen, Ent⸗ ſtürzten, Dahinraſenden.“ Julia, die ſich getroffen fühlte, machte der Vor⸗ leſerin eine lange Naſe. „Bei dieſer Kategorie möchte ich eine, glücklicher⸗ weiſe nur kleine, Gruppe junger Mädchen erwähnen, eine Abart, die, von dem zündenden Funken der Freiheitsſchwärmerei erfaßt, auf ein taubes Gleiſe geraten ſind. Sie gehören meiſt zu den oberen Zehn⸗ tauſend und ſind durch irgend welche perverſe Ein⸗ flüſſe, ſei es durch die Atmoſphäre im elterlichen Hauſe, ſei es durch Bücher, oder — und das iſt die Hauptgefahr — durch einen Vetter außer Rand und Band geraten. (Habt Acht auf die Vettern, haltet dieſe allzu zärtlichen Verwandten von den Kouſinen fern.) Dieſe demi-vierges ſind zumeiſt unbegabte und ſinnlich veranlagte Naturen, junge Hexen, die kreuz und quer küſſen und ſich küſſen laſſen; zügel⸗ los, von naiver Frechheit in ihren Reden. Die Män⸗ ner amüſieren ſich königlich mit ihnen, ſagen aber 11* 163 hinter ihrem Rücken: „das ſind ja unmögliche Mäd⸗ chen,“ heiraten ſie aber, wenn ſie ein klingendes Aequivalent für ihre gefährliche Erotik bieten. Ihre geſellſchaftliche Stellung ſchützt ſie vor dem Aller⸗ ſchlimmſten. Eine andere bedeutſame Kategorie bilden die mit Energie, Thatkraft, Wirklichkeitsſinn Ausgeſtat⸗ teten, die erkannt haben, daß die Macht der Weg iſt, der zum Ziele führt. Das ſind die Agitatorinnen, das ſind die Rednerinnen auf den Tribünen, in Ver⸗ einen, Volksverſammlungen. Es ſind die Ruferinnen im Streit. Heut Kämpferinnen, werden ſie morgen Siegerinnen ſein. Wieder eine andere Kategorie junger Mädchen ringt nach Selbſtändigkeit, entweder weil ſie das Leben im elterlichen Hauſe nicht ertrugen, oder auch nur aus einem ſtarken, allgemeinen Unabhängigkeits⸗ drang. Aus irgend einem äußeren oder inneren Grunde rechnen ſie nicht auf die Eheverſorgung, ihre Bildung hat mit der höheren Töchterſchule ab⸗ geſchloſſen. Aus kleinen Städten oder vom Lande kommen ſie in die Großſtadt und ſuchen nun bald hier, bald da eine kleine Stellung auszufüllen, als Sekretärin bei einem Gelehrten, oder in einem Bureau, beim Ordnen einer Bibliothek, beim Unterrichten kleiner Kinder; beſcheiden nehmen ſie, was ſich ihnen bietet, ſich mit der Genugthuung begnügend, auf eigenen Füßen zu ſtehen. Bemerkenswerte innere und äußere Vorteile erwachſen ihnen aus ihrer Thätigkeit 164 kaum. Sie befinden ſich eben auf der Zwiſchenſtation von der Hörigen zur Freien. Wohin in der Frauenwelt unſer Blick fällt, über⸗ all ein ſehnſüchtiges Ringen, hinaus aus den ſtillen Binnenwäſſern in offene große Meere. Entſcheidende Schlachten ſtehen noch bevor. Jahrzehnte werden noch ins Meer der Ewigkeit rollen, ehe Minerva das Schwert aus der Hand legt, um der Viktoria die Palme zu reichen.“ „Ha! es knallt!“ flüſterte Julia Chriſta ins Ohr. „Wir alle, wir erleben nicht die Zeit, wo die Kometen ſich zu Sternen verdichten, wo die Schwarm⸗ geiſter ſich anſiedeln werden. Auf der Schwelle des gelobten Landes werden wir wie Moſes ſterben. Aber auch gleich dem Moſes haben wir hungernde Scharen durch die Wüſte bis an die Thore des Neulandes geführt. Ob Moſes zufrieden ſtarb? Maria faltete das Manuſkript zuſammen. Anſelma hatte der Vorleſung nur ein halbes Ohr geliehen. Ihre Gedanken waren augenſcheinlich bei ihren Bildern. Für ſie hatte die ganze Frauen⸗ bewegung kein Intereſſe. Kunſt und Liebe — nichts anderes gab es für ſie. Bei den anderen fand der Vortrag vollen Beifall, nur Chriſta meinte, Maria hätte erwähnen müſſen, daß es auch ſchon jetzt ſehr wohlgelungene Exemplare der „Neuen Frau“ gäbe. 3. B. Maria Hill ſelbſt. „Ach ja, das iſt wahr,“ ſagte Maria etwas ver⸗ 165 legen, mit dem ſchalkhaft lieben, ſeitlichen Blich nach oben. „Ich bin ſchon oft als ein Muſterknabe (pardon wegen des männlichen Bildes) dieſer Species dem Publikum vorgeführt worden. So recht ſtimmt es aber auch mit mir nicht. Die Studienzeit in Zürich, die war ja wunderſchön; das Lernen und Wachſen im Erkennen, die friſchfröh⸗ liche Kameradſchaft mit den Studenten! Das bißchen Verliebtheit, das hier und da mit unterlief, förderte nur die Studien. Aber nachher — die Trocken⸗ heit des Berufs, ſieben bis acht Stunden im Labo⸗ ratorium bei meiſt mechaniſchen Arbeiten, ohne Aus⸗ ſicht, in abſehbarer Zeit vorwärts zu kommen, Do⸗ centin an der Univerſität, oder ſonſtwie ſelbſtändig zu werden. Ueberall Riegel, Hinderniſſe, die einem Mut und Freudigkeit nehmen. Nein, ich bin nicht zufrieden, aber garnicht. Das war nicht ganz die Freiheit, die ich meinte, auch in mir iſt noch etwas vom betrübten Moſes. Bei der Mechanik dieſes Ar⸗ beitslebens geht etwas in mir zu Grunde ... „Geht es denn vielen Männern beſſer?“ warf Anſelma ein. „Was geht es mich an, wenn ſie es ertragen? Wahrſcheinlich ſind wir anders organiſiert wie ſie, wir ertragen es eben nicht. Glaubt mir, es iſt immer noch, als ruderten wir im Kahn hinter einem großen Dampfſchiff her, (Männer am Steuer), immer in Gefahr, in die Wellen des großen Schiffes zu ge⸗ raten und zu kentern. Leſt doch nur, wie die ab⸗ ſurdeſten Phraſen über die hehre Miſſion des Weibes 166 — die natürlich zwiſchen den vier Wänden Platz zu greifen hat — von Beifall umtoſt werden. Die ſonſt ſo ruhige Maria zerknitterte zornig das Manuſkript in ihrer Hand. Julia, die an dem ſeit einer halben Stunde zu⸗ rückgedrängten Redefluß halb erſtickte, rief jetzt, in⸗ dem ſie wie ein kleines Kind den Finger hochhob: „Bitte, bitte, erlaubt mir einen kleinen Epilog. Ueberſchrift: „Die Brüder“. Man lachte. Die Brüder waren ihre béte noir, das wußte man. „Sie haben gut lachen, Maria, in der Schweiz, wo das Rütli liegt, und die Freiheit nur ſelten durch Schutzmänner verhindert wird, auf den Bergen zu wohnen, da mögen die Brüder beſſer geraten, aber in Berlin und Umgegend bis nach Dresden ..." Man wollte keine Vorreden hören. Sie ſtellte ſich auf eine Fußbank, ſchüttelte ihre Löwenmähne und begann, anfangs mit rhetoriſchem Pathos: „Es ſtrebt der Mann nach Freiheit, das Weib nach Sitte.“ Aus dem Schatz ewiger Wahrheiten eine der citierteſten. Lebte Goethe heut, er müßte dieſe ewige Wahrheit umarbeiten — nein, umkehren. „Es ſtrebt das Weib nach Freiheit, der Mann nach Sitte,“ wenn wir von gewiſſen unſittlichen Divertiſſe⸗ ments abſehen. Seht den Jüngling auf der Univerſität. Sitten⸗ kodexe ſchreiben ihm ſeine Lebensführung vor, be⸗ ſtimmen, was er zu thun oder zu laſſen hat. Und er gehorcht — freudig. Der Kodex befiehlt ihm: 167 trinke! nein: ſaufe! ſaufe! ſaufe! Einer meiner Brüder, dem Bier nicht ſchmeckt und der es auch nicht verträgt, beklagte ſich bei mir bitter über dieſen Zwang. „Trinke Selterwaſſer in den Kneipen,“ riet ich ihm. Seine Antwort: eine gellende Lache. Der Kodex befiehlt ihm: pauke! pauke! pauke! und er ſchreibt ihm vor, wo er ſich beleidigt zu fühlen und ſeine Ehre mit den Prachtſchmiſſen, auf die er lebens⸗ länglich ſo ſtolz iſt, wieder einzulöſen hat. Er reicht auf eine ganz beſtimmte Art die Hand zum Gruß mit weitabſtehendem, rechtwinklig gebogenen Ellenbogen, die Hand verquer. So ziemt es ſich für edle Jüng⸗ linge. Sie ſind zum großen Teil konſervativ und antiſemitiſch, dieſe edlen Jünglinge, und — Gegner der Frauenbewegung. Aus den Tempeln der Wiſſenſchaft graulen ſie durch Strampeln und Tram⸗ peln (ſiehe Halle), die jungen Mädchen heraus, in den Tempeln der Venus huldigen ſie ihnen maſſen⸗ haft. So ziemt es dem edlen deutſchen Jüngling. Er durſtet nach Bier, die Jungfrau durſtet nach Freiheit. Er zwängt ſeinen Hals in einen Strangu⸗ lierapparat von Kragen, der ihm die Reſpiration hemmt, ſie ſchafft das Korſett ab und alles ſonſt Einſchnürende. „Es ſtrebt das Weib nach Freiheit, der Mann nach Sitte.“ Mit beifallheiſchendem Blick ſtieg Julia von der Fußbank nieder. Der Beifall aber blieb uns Allen in der Kehle ſtecken. Etwas Schreckliches geſchah. Totenbleich, irren Blickes ſtürzte Klariſſa herein. Man gab ihr ein Glas ſtarken Weins zu trinken, 168 und allmählich brachte man aus ihr heraus, was ge⸗ ſchehen war. Sie hatte einen Taxameter genommen, um zu Anſelma zu fahren. Auf dem Wege dahin raſten die Wagen der Feuerwehr an ihr vorüber. Als ſie an die Schillſtraße kam, konnte der Wagen nicht weiter. Unter dem düſter lodernden Feuer der Pechfackeln bewegte ſich ſeltſam lautlos eine Men⸗ ſchenmenge. Sie entlohnte den Kutſcher und wollte den Weg zu Fuß fortſetzen. Da teilte ſich die Menſchenmenge. Eine Tragbahre wurde ſichtbar. Ein Menſch, einer von der Feuerwehr, lag darauf, das Geſicht ſchwarz. Tot. Feuerwehrmänner im roten Dampf der Fackeln ſchritten der Bahre zur Seite. Ein Leichengepränge wie aus Dantes Hölle. Klariſſa wollte durch eine andere Straße zum Kurfürſtendamm gelangen. Die Füße verſagten ihr den Dienſt. Sie ſah eine Droſchke zweiter Klaſſe lang⸗ ſam daherkommen. Auf dem Bock ſaß merkwürdiger⸗ weiſe neben dem Kutſcher noch ein Mann in einem umgekehrten Schafspelz. Kein anderes Gefährt war zu ſehen. Sie ſtieg in die Droſchke. Das langſame Fahren ſteigerte ihre Nervoſität. Endlich war ſie zur Stelle. Sie hatte, um das Geldſtück zu ſuchen, den Handſchuh abgeſtreift. Indem ſie dem Kutſcher das Geld hinaufreichte, berührte ſie ſeine Hand. Sie war kalt wie Eis. Das Geld entrollte ſeiner Hand, fiel klirrend zu Boden. Nun erſt bemerkte Klariſſa, daß der Kutſcher feſtgebunden war. Die ſtarren Augen ſtanden offen. Der Kopf wackelte hin und her. Ein 169 Toter. Und der mit dem Schafspelz, der ihn wohl zur Unfallſtelle bringen ſollte, hatte ſich mit der Totenfahrt noch ſchnell die paar Groſchen verdienen wollen. Schauerlich! Die Toten drängten ſich um ſie. Und als ſie oben bei Anſelma die Klingel gezogen, da habe ſie bemerkt, daß ſie die Geſtalt eines Kreuzes hatte. Klariſſas Atem ging ſchnell, fieberhaft. Sie lehnte, während ſie ſprach, an der Staffelei, dabei hatte ſich die Hülle ein wenig verſchoben. Ihr Blick fiel auf die Sterbende im Waſſer, auf dieſen Kopf, der ihr ähnelte. Sie zuckte ein paar Mal wie in Krämpfen und ſtürzte dann mit einem markerſchüt⸗ ternden Schrei zu Boden. Wir bemühten uns, ſie wieder zum Bewußtſein zu bringen. Vergebens. Auch einem Arzt, der aus der Nachbarſchaft herbei⸗ geholt wurde, gelang es nicht. In einem Wagen mußte ſie endlich nach Hauſe geſchafft werden. O ſchrecklich, Anne Marie, vier Tage ſind ſeitdem ver⸗ floſſen. Der Hausarzt der Tante, bei der ſie wohnt, konſtatierte den Tod. Alle Vorbereitungen zum Be⸗ gräbnis wurden getroffen. Der junge Arzt aber, der ſie zuerſt behandelt, widerſetzte ſich. Die ſicheren Symptome des eingetretenen Todes fehlten. Mög⸗ licherweiſe läge ein langandauernder Starrkrampf, eine Art Scheintod, vor, wie er bei Senſitiven vor⸗ käme. Iſt es nicht ſonderbar, daß man meiſt die Er⸗ lebniſſe hat, die unſerer Geiſtesart entſprechen, förm⸗ 170 lich, als riefe unſere Seele ſie herbei. Mir wären ſicher dieſe Toten nicht begegnet. Maria, die immer kluge und helle, meint freilich, es wären nur Toten⸗ viſionen geweſen. Der Feuerwehrmann mit dem Leichengepränge wie aus Dantes Hölle, würde wohl nur betäubt und der tote Kutſcher nur ſchwer be⸗ trunken geweſen ſein. So etwas wie tote Kutſcher, mit denen man noch ſechzig Pfennige verdienen wolle, käme in Berlin nicht vor. Wir alle warten nun mit ſchmerzlicher Span⸗ nung auf die Löſung des Dramas. Im nächſten Brief erfährſt Du's. Chriſtel. „Denke, denke, liebe Anne Marie, der junge Pſychiater hat recht gehabt. Klariſſa iſt wieder zum Leben erwacht. Faſt eine Woche hat der ſtarrkrampf⸗ artige Zuſtand angedauert. Sie hat alles gehört, was während der Zeit um ſie herum geſprochen wurde. Sie hat den Vorbereitungen zu ihrem Be⸗ gräbnis beigewohnt. Ihr muß zu Mut geweſen ſein, wie einem, der zur Hinrichtung abgeführt wird. Sie iſt mit ihrer Tante und dem Arzt nach dem Süden abgereiſt. Er hofft ſie ganz geſund zu machen. Könnte ich doch mit nach dem Süden. Ich möchte auch von einer Krankheit geſund werden, einer 171 Krankheit ohne Namen. Es iſt etwas fiebrig Schleichendes, Nervenannagendes, eine intellektuelle Reizbarkeit, die mich verzehrt. Ein inbrünſtiges Her⸗ ausſehnen tief innerer Kräfte, ein ſtachelndes, hoch⸗ ſtüirmendes Wollen, mit dem das Können nicht Schritt hält, und dieſes Nichtkönnen — — ach, ich finde, ich bin eine lebendige Illuſtration zu Maria Hills Schilderung des heutigen Frauentums. Es iſt ein Kampf neuer Morgenröten gegen alte Däm⸗ merungen. Unſer Frühling iſt da, aber noch raſcheln an unſeren Bäumen ſo viele dürre Herbſtblätter. Die Frauenſeele hat noch ſo viel Reſtbeſtände aufzu⸗ arbeiten. Es iſt auch nicht wahr, es iſt falſch, ganz falſch, daß die Zeitſtrömung mit der neuen Frau wäre. Sie erringt wohl ein Recht nach dem andern, aber man gewährt es ihr notgedrungen, widerwillig, mit heimlichen Vorbehalten. Das gilt ſelbſt von den radikalſten Parteien, die auf ihr Programm die ab⸗ ſolute Freiheit der Frau ſchreiben, ein Programm, das Vernunft und Gerechtigkeit ihnen diktieren, ihr Herz aber proteſtiert heimlich. Ja, das Gemüt der Welt iſt noch immer auf Seiten der alten Frau. (Natürlich der alten jungen.) Und wer nicht ein Kraftmeier iſt, den lähmt dieſe Widerwilligkeit und Scheelheit, und da hat man — ich wenigſtens — immer das Gefühl, als zerränne, was wir thun, ins Leere. Uebrigens, wer weiß, vielleicht wachſe ich mich noch zu einem Kraftmeier aus. Vorläufig aber quält 172 mich das böſe Gewiſſen wegen meiner Weltüber⸗ flüſſigkeit. Vom Zeitcharakter bin ich natürlich auch ange⸗ kränkelt. Der iſt von einer ſo ungeheuren Ungeduld und Sehnſucht durchtränkt. Ein ſo leidenſchaftliches Tempo auf allen Gebieten. Die Maler ſtürzen ſich nur ſo in die Farbentöpfe, die Muſiker in die Ton⸗ maſſen. Und mancher, der beſtimmt war, auf Schal⸗ meien oder Flöten zu blaſen, ſtößt Walkürenrufe in die Welt. Die Schriftſteller thun es nicht unter Himmeln oder Höllen. (Letztere ziehen ſie vor.) Dieſe Ungeduld fiebert auch aus ihrem Stil heraus. Sie denken gleichſam ſtenographiſch. Kurze Sätze. Lauter Punkte. Die Prädikate laſſen ſie fort. Sie ſprechen wvie atemlos, in Glühlichtern, Schlagworten, Bildern. Nur keine langen Definitionen. Alles muß rauſchen, ſchäumen, fliegen, ſplittern, lodern oder wenigſtens radeln. Und wer keine Flügel hat und kein Auto⸗ mobil, und kein Geld, um in Luxuszügen die Welt zu durchraſen, der kann ſich begraben laſſen. Aber das thue ich noch lange nicht. Trotz dem, was ich vorhin ſagte, meine Flügelhoffnungen ſtehen in Blüte. Addio, Du Liebe. Chriſtel. 173 „In meinem vorigen Briefe, Anne Marie, er⸗ wähnte ich meine Weltüberflüſſigkeit. Im Hinblick auf dieſes ſoziale Malheur hatte ich ſchon daran ge⸗ dacht, mich mit Mama am blauen Kreuz zu be⸗ teiligen. Was das iſt? Es giebt jetzt blaue, grüne, gelbe Kreuze neben dem altbekannten roten, und alle ſind das Symbol irgend einer Wohlthätigkeits⸗ unternehmung. Du glaubſt garnicht, Anne Marie, wie das Volk jetzt Mode iſt. Jeder bekümmert ſich um ſein Wohlergehen. Die konſervativen Kreiſe ſorgen ſich beſonders um ſein Seelenheil, daß es gottesfürchtig werde und ablaſſe von der Roheit. Und wer ſoll dieſe Ethiſierung beſorgen? Der Volksſchullehrer. Und wie macht er das? Durch den Religionsunterricht. Die ſittliche Beſſerung wird mit Geſangbuchliedern und Bibelſprüchen auswendig ge⸗ lernt und den ſchwachen Gedächtniſſen eingebläut. Ach Gott, der arme, unwiſſende Wurm von Volks⸗ ſchullehrer, von Pädagogik und Erziehung hat der ja keinen Schimmer. Ei, Ihr lieben Leute, macht Humboldts, Schleiermachers oder Tolſtois zu Volksſchullehrern, oder wenigſtens die beſten der intelligenteſten Päda⸗ gogen, wenn Ihr Reſultate wollt. Aber Keile und Bibelſprüche! Ob ich wohl das Zeug zu einer ſolchen Lehrerin hätte! Ein ſchönes Amt wäre es. Ich würde nur die Luft in den Klaſſen nicht vertragen. Er⸗ innerſt Du Dich, wie wir immer ſchnell die Fenſter 174 aufriſſen, wenn Martha und Elſe Walter bei uns geweſen waren, ſo imprägniert waren ihre Kleider mit dem Armeleutedunſt aus den Schulen. Da alles möglich iſt, verfällt der Staat vielleicht mit der Zeit auf eine zweckentſprechende Klaſſenventilation. Wie ſehr das Volk jetzt Mode iſt, ſiehſt Du an Mama, die mitthut. Wenigſtens an einem Zipfel ihres tailor made-Kleides iſt ſie von der Zeit⸗ ſtrömung erfaßt. Sie hat mit einigen anderen Damen — Frau Thalheim iſt auch dabei — in Berlin O. in einer häßlichen Fabrikgegend einen Laden eröffnet, eine Art Konditorei oder Reſtaurant, wo für einen Minimalpreis eine Taſſe Kakao, Thee, Milch, Haferbrei oder Kaffee mit Schrippe verab⸗ reicht wird, um dem Alkoholgenuß der Arbeiter zu ſteuern. Die Damen ſelbſt übernehmen abwechſelnd die Bedienung, den Einkauf, Buchführung u.ſ.w. Du ſollteſt ſehen, wie ſeelenvergnügt die Mama in den Taxameter ſteigt, mit einem dunklen Wollenrock und einer beſcheidenen Blouſe angethan. Die umfang⸗ reiche Schürze, die dazu gehört, trägt ſie — nicht etwa verſchämt eingewickelt — nein, offen über dem Arm. Die Damen kommen ſich wie verkleidet vor. So was macht Spaß, und die Fünfpfennig⸗Schoko⸗ lade — mit Schrippe — brauchen ſie nicht zu trinken. Auch einem andern Verein iſt Mama beigetreten, der elegante, abgelegte, aber noch brauchbare Kleider ſammelt, um ſie — ebenfalls für einen Minimal⸗ preis — armen kleinen Provinzſchauſpielerinnen zu⸗ kommen zu laſſen, zum Stopfen der trüben Quellen, 175 aus denen ſonſt ihre Garderoben fließen. Und Mama durchforſcht und durchſtöbert nun ihre Garderoben⸗ ſchränke und giebt Sachen her, von denen ſie ſich früher um keinen Preis getrennt hätte, auch um unſertwillen nicht. Ja, ganz Berlin W. iſt von dem Ehrgeiz gepackt, an der ſozialen Arbeit teilzunehmen. Ethos ſelbſt wandelt durch die Villenſtraßen Berlins. Etliche gehen in die Blindenanſtalten und leſen den Kindern vor, wieder andere gründen Vereine für Hauspflege u.ſ.w. Und es iſt erlogen, wenn neulich jemand ſagte: Dieſe Wohlthätigkeitstanten thäten nichts als ſich verſammeln und Thee trinken. Epi⸗ kuräerchen gehört nicht zu den letzten, die Witze über das „Gethue“ reißen. Die Armen⸗Schokolade, ſagt er, kochten die Ritterinnen vom blauen Kreuz mit Men⸗ ſchenliebe, und ſie ſchmückten ihr Heim mit den Laſtern, die ſie dem Volk abgewöhnen wollten u.ſ.w. Völlig unangebrachte Witze. Gewiß, vielfach äußerliches Gethue, aber doch kein unfruchtbares. Ich meine, was der Menſch thut, aus welchen Motiven immer, es wirkt ſchließlich auf ſeine Geſinnung zurück. Bei Mama iſt es ganz augenſcheinlich. Denke, neulich hat das brave Mamachen zwei Volksſchullehrerin⸗ nen nicht nur eingeladen, ſie hat ihnen ſogar feinſte Theeküchelchen und Sandwichs — prima Qualität — vorgeſetzt, während ſie doch ſonſt Gäſten, die ſie für inferior hält, nur mit billigem, wenn auch nahr⸗ haftem Streußelkuchen aufwartete, in der Meinung, daß ſolche Leute immer Hunger hätten. 176 O Anne Marie, glaube, etwas Neues, Großes iſt im Werden. Ich habe Geſichte wie Klariſſa. Schlafende Pſychen wachen auf. Spatzenzeug kriegt Adlerflügel, die Haare der Simſons, der großen Rächer, wachſen, wachſen. Philiſter hütet Euch! Du brauchſt Dich nicht zu hüten, mein Aennchen Mariechen, Du biſt nicht philiſtrös. Ich habe Dich ſehr lieb. Deine Chriſtel. „Ich merke es wohl, Du — beinah mehr Schwä⸗ gerin als Schweſter, Du biſt für Adrian eiferſüchtig auf meinen Freund. Er iſt Dir ein Dorn im Auge. Keine Furcht, daß ich für dieſen Luchsäugigen, Gift⸗ züngigen mein Herz entdecke. Er iſt zu ſehr Dorn, er ſticht, aber beſticht nicht! (Arg witzig? nicht?) Der Vater mag ihn auch nicht. Seinen Geiſt ver⸗ gleicht er mit Windmühlenflügeln. Was eben noch oben iſt, wäre im nächſten Augenblick unten und um⸗ gekehrt. Viel Wind machten ſie ja, und wer ihnen zu nahe käme, den zermalmten ſie wohl auch ge⸗ legentlich, beſonders wenn es eine unbeſonnene kleine Frau wäre. Der arme Frank. Er zermalmt am eheſten noch ſich ſelbſt. Es liegt oft düſter, nachtſchwarz auf ihm. Er macht Andeutungen, als müßte er etwa das Dohm, Chriſta Ruland. 12 177 Rad des Siſyphos rollen. Der Grund ſeiner Seele birgt Sentimentalitäten. Ein Unglücklicher, Anne Marie, und für den habe ich doch am Ende mein Herz entdeckt. Ich kann ihm ja helfen. Auch mit meinen häuslichen Talenten. Die ſchießen mit einer Ueppigkeit ins Kraut, das ich ſelbſt darüber ſtaune. Der arme Frank hat nie einen Menſchen gehabt, der für ſeine Behaglichkeit geſorgt hätte. Ich bereite jetzt ſelbſt Thee und Kaffec. Das lernt zwar jeder im Umſehen, die gute Hausfrau aber weiß dabei zu individualiſieren und Thee und Kaffee auf den Men⸗ ſchen — reſpektive den Gaſt — zu ſtimmen. Mein Theetiſch iſt ein kleines Kunſtwerk. In Stimmungs⸗ effekten leiſte ich Außerordentliches. Requiſiten: Vorgeſchobene Butzenfenſter, Kaminfeuer, bräunlich gelbe oder bräunlich rote Vorhänge. Blumen ſelbſt⸗ verſtändlich. Und jeden Tag andere! Und meine Liebenswürdigkeit auch jeden Tag von anderer Kouleur. Das heißt, das kommt ganz von ſelbſt, von meiner Chamäleonnatur. Und wenn dann die Falten auf ſeiner Stirn ſich glätten, wenn ſo ein einfaches, menſchlich frohes Lächeln um ſeinen bittern Mund ſpielt und der Thee ihm ſo gut ſchmeckt, — er bringt es zuweilen auf fünf Taſſen (die Küchelchen dazu hole ich ſelbſt aus der Stadt), dann empfinde ich es warm, es thut gut, ſehr gut, für Andere zu ſorgen. Man verſchafft ſich einen ganz durchtriebenen Genuß mit dem Behagen und dem Glück, das man Anderen bereitet. 178 Siehſt Du, Anne Marie, ich meine, eine gute Hausfrau ſein, das heißt Verſtand, Güte, und Ge⸗ ſchmack haben. Das Können dabei iſt ganz minimal. Die gute Hausfrau kommt direkt aus dem Herzen. Dem Adrian kann ich auf dieſem Gebiete kaum etwas leiſten. Er iſt von jeher ſo verwöhnt worden, da auf dem fetten Gut in Oſtpreußen, wo ſeine Wiege ſtand. (Frau von Brachts ſtand auch da.) Ihm fehlt auch der Sinn für feine kleine Nüancen in der intimen Häuslichkeit. Ob der Samovar kupfrig golden ſtrahlt und ich ſelbſt, roſenfingrig, das ſie⸗ dende Waſſer auf den Thee gieße, oder ob der Diener ihn fix und fertig aus der Küche bringt, das iſt ihm gleich. Weißt Du, was mich bei meinem Freund am meiſtenanzieht ?DaßerAdrian ſoentgegengeſetzt iſt. Bei ihm, dem immer Wildbewegten (mit Pauſen ſchwüler Windſtille), ruhe ich förmlich von der glatten Stille meines Gatten aus. Tritt er ins Zimmer, ſo habe ich das Gefühl, als käme ich aus Stubenluft ins Freie; ein Freies freilich, wo keine Feld⸗ und Wieſenblumen blühen und keine Mittagsſonne glänzt, vielmehr ein Freies unter dem Nachthimmel, viel Sternſchnuppen, Wetterleuchten, Glühkäferchen in ſchwarzen Büſchen, überhaupt Phosphorescierendes. Und ein weiter, weiter Horizont. Ich brauche Frank Richter, ich brauche ihn. Er ſtöbert mich aus der Eingewiegtheit meiner Hangematten⸗Exiſtenz auf. Es iſt Dir gewiß auch 12* 179 ſchon paſſiert, Anne Marie, daß Du ſchlaff oder ge⸗ dankenlos durch die Leipziger⸗ oder Potsdamer Straße gingeſt. Da mußt Du über den Damm, mit⸗ ten durch das entſetzliche Gewühl von elektriſchen Bahnen, Omnibuſſen, Droſchken u.ſ.w. Und fort iſt alle Schlaffheit und Gedankenloſigkeit. Mit erregter intenſiver Wachheit ſpähſt Du nach allen Seiten hin, um der Gefahr des Ueberfahrenwerdens zu entgehen. Aehnliches geht bei mir vor, wenn Frank Richter da iſt. Ich werde, mag ich vorher matt und ſchläfrig ge⸗ weſen ſein, gleichſam elektriſch. Meine Gehirnnerven vibrieren, ſpannen ſich, um in dem Kreuzfeuer von Gedanken und Gefühlen, das er über mich hinſprüht, nicht zu unterliegen. O, mein Prolet packt mich derb an. Wenn ich ſo flau und banal daherrede, wie man es eben thut, gleich fordert er Gründe, warum ich dieſes oder jenes denke und ſage, und ſcheint es ihm thöricht, ſo fährt er auf: „Das haben Sie in der Agramer⸗Brille ge⸗ leſen.“ Ein von ihm erſonnenes Winkelblatt, als Symbol aller engen, krähwinkleriſchen Anſichten und Urteile. In ihm iſt ein Ueberlaufen, ein Elementares, und zugleich raffinierteſte Geiſtigkeit, ein Haß auch gegen den Pöbel, den vornehmſten nicht ausgenom⸗ men, auch wenn er in der erſten Fauteuilreihe im Parnaß ſitzt, auch gegen den Pöbel in ſeiner eigenen Bruſt. Ich fühle oft in ihm eine Glut, die wie Feuer unter einer Eisdecke ſchimmert. Und ich bin dann immer geſpannt, ob das Feuer durchbrechen wird. 180 Ob er mich liebt? Ich glaube: nein. Wundert mich eigentlich. Er weiß natürlich nicht, daß Adrian ihn den Proleten nennt. Er rächt ſich inſtinktiv dafür. Wenn er von Adrian zu mir ſpricht, ſagt er immer: „Ihr fremder Herr“, obgleich ich ihm doch erklärt habe, daß ich Adrian liebe. Er behauptet, es nicht zu glauben. Und unbe⸗ fugterweiſe zeichnete er neulich das Charakterbild meines Mannes. Nach ihm wäre Adrian ein Dutzend⸗ menſch. Nicht dumm und nicht intelligent, nicht kalt und nicht warm. Lau. Als ein Herr Müller oder Schulz würde er wahrſcheinlich ein angenehmer, liebenswürdiger, wohl auch beſcheidener Herr ſein, guter Durchſchnitt. Als Abkömmling hoher Ahnen ge⸗ nüge ihm das nicht, und wie die gräfliche Großtante ihr Hörrohr hinter roſenroten Straußenfedern, ſo verberge er ſeine Unbeträchtlichkeit hinter kühler Re⸗ ſerviertheit, hinter überlegenem Lächeln und einer ſterilen ungeſchmeidigen Feinheit. Seine Ahnen ſtänden immer hinter ihm und heiſchten etwas von ihm. Er litte unter ihnen, wie unbedeutende Söhne unter ihren berühmten Vätern leiden. Sein Ehrgeiz: Botſchaftsſekretär in Rom oder London. Nicht in Paris. Er wäre ein alter Herr, meine aufwärts⸗ drängende Jugend beſchäme ihn, irritiere ihn. Nicht wahr, Anne Marie, ſo ſchaut unſer Adrian doch nicht aus, wenn ich auch nicht beſtimmt ſagen kann, weß Art und Stamm er iſt, jedenfalls vom Stamme derer, die geliebt werden, ob auf Konto 181 ſeiner romantiſchen Augen und ſeiner ſchlanken, feinen Frauenhände, das weiß ich nicht. Seine Sphäre zieht mich an. In der Politik nennt man es Imponderabilien, mit denen gerechnet werden muß. Du — Du — ich ſage nicht, was ich denke. Deine Chriſtel. „Liebe Anne Marie, Du willſt wiſſen, wovon wir denn eigentlich immer miteinander reden, ich und mein Freund. Ach, von allem, was Menſchenherz erhebt, von allem, was Menſchenbruſt durchbebt, viel auch von der Zukunft, und in ſchwungvollen Mo⸗ menten vom Allerzukünftigſten. Was redeten wir z. B. geſtern. Ich melde, was mir gerade im Ge⸗ dächtnis geblieben iſt. Du mußt Dir aber dabei ſeine temperamentvollen Geſten denken, das jähe, wetter⸗ leuchtenartige Aufblitzen ſeiner ſchwarzen Augen, die Sturzwellen ſeiner Beredſamkeit, unter denen er nicht ſelten begräbt, was eben noch blühend lebte. Zuweilen ſteht er am Fenſter und muſchelt etwas in ſich hinein, als ob er zu ſich ſelber oder jemand da draußen ſpräche, ſo etwas Verfluchendes, Weltnieder⸗ ſchmetterndes. Und dann mit erſchreckender Plötzlich⸗ keit eilt er auf mich zu, ergreift meine Hand oder mein Kleid, meine Schärpe und ſchreit: „Widerſprechen Sie mir nicht. „Ich thue es ja nicht. 182 „Nicht antworten heißt widerſprechen. Einmal fragte ich ihn, wie ihm mein Kleid ge⸗ fiele. Ich hatte nämlich ein neues, wunderſchönes Kleid an. Facon Teagown. Weicher, dicker engliſcher Sammet. Eine Farbe, als wenn in einen Tau⸗ tropfen der letzte Schimmer der untergehenden Sonne fällt, und ganz unwahrſcheinliche, weiße, pelzartige Lichter hat es. „Ihr Kleid iſt wonnig, mild, herrlich.“ Und liebkoſend ſtrich ſeine Hand über den Sammet. „Ich falle doch damit aus der Mode.“ „Nicht ganz. Sie ſind vielmehr eine Toiletten⸗ kaſſandra. Sie ahnen die kommende Mode voraus. Sie inaugurieren ſie. Und das iſt das Geheimnis, billig, ganz billig, ſüperb, elegant, reizvoll, originell zu ſein. Sich aus der Menge herausheben, darauf kommt's überhaupt an. Ein feines, liſtiges Talent, oder ein Genie, das die Moden antecipiert, ob Kleider⸗, ob Geiſtes⸗ oder Seelenmoden. Es giebt auch Erdball⸗ und Weltallsmoden, die kosmiſchen Geſetze ſind's. Nach ewigen, ehernen Geſetzen durch⸗ läuft alles — Damenkleider ebenſo wie die Geſtirne — denſelben Kreislauf, und Anfang und Ende ſchließen ſich immer von neuem zuſammen.“ „Wenn doch nach ewigen Geſetzen alles ſo kommt, wie es kommen muß,“ bemerkte ich, „warum haben Sie denn neulich wieder den armen Dichterjüngling allerneueſter Richtung — noch dazu ein Protégé von Mama — in Ihrer Tinte erſäuft? Sie wiſſen doch, fügte ich ſchmeichleriſch hinzu, „Ihre Tinte iſt wie 183 das ſchwarze Meer, wer hineingerät, kommt da⸗ rin Un.“ Und er: „Nach demſelben ehernen Geſetz wie jener dichtet, kritiſiere ich ihn. Uebrigens, die neue Richtung iſt dabei gleichgiltig. Es giebt gegenwärtig gar keine beſtimmte Richtung. Alle Tonarten wirren durcheinander: Trompeten, Flöten (auch Radau⸗ flöten), Waldhorn, Harmonium, Orgel. Ich wünſchte, die nächſte Nouveauté auf dem litterariſchen Markt wäre tiefes Schweigen, Sturz der Preſſe, Erlöſung von den Zeitungen, auf daß der hirngeknebelte Menſch aufatmend ſagen kann: Ich denke wieder, darum bin ich.“ Als hörte ich Väterchen reden. Erinnerſt Du Dich, er behauptete immer, wenn er die politiſchen und ſozialen Anſichten der Leute kennen lernen wolle, erledigte er die Sache immer mit einer einzigen Frage: „Welche Zeitung leſen Sie? „Wir erleben dieſen Tag des Herrn nicht,“ ant⸗ wortete ich meinem Freund. „Nein. Vorläufig ſind die litterariſchen Schlaut⸗ köpfe, die Spekulanten, die mit ihrem Hirn wuchern, am Ruder. Die, die auf dem Anſtand ſtehen und nach Ideen pürſchen, die zünden, Ideen, die lukrativ ſind.“ „Warum hecken Sie denn nichts Neues aus, eine neue Moral zum Beiſpiel.“ „Aber Chriſta, Nietzſche iſt früher aufgeſtanden als ich.“ „Na dann kehren wir die Sache um: Rückwärts, 184 rückwärts, Don Rodrigo, zur Einfachheit der erſten Katakombenchriſten.“ „Der Roman „Ouo vadis“ iſt nicht nur ſchon geſchrieben, es ſind auch ſchon ein Dutzend Imi⸗ tationen im Druck. Und der Satanismus von Huysmans und Gefolgſchaft — abgethan, und die ſchaudernden Gefühle in heiligen Hainen, Griechen⸗ tum, Nirvanaverſunkenheit, alles ſchon dageweſen, um Ben Akibas unermeßlich weiſes Wort zu gebrauchen. „Auch auf dem Gebiet der Erotik nichts Neues?“ Er beſann ſich einen Augenblick. „Doch. Die Proſtituierte als das Weib an ſich, das eigentliche, echte Weib. Einige Schriftſteller ſtrecken ſchon, wenn auch verblümt, die Fühler nach dieſer Seite aus, ſoweit es die Polizei erlaubt. „Das glaube ich nicht.“ „Warum nicht? Sind alle, die die Harems⸗, die orientaliſche Auffaſſung vom Weibe haben, ſo ſehr weit von dieſer Weibauffaſſung entfernt? Ein Schopenhauer, ein Nietzſche? Und die Jungfrau, die um der lebenslänglichen Verſorgung willen die Ehe ohne Liebe eingeht, nimmt ſie nicht ein Pauſch⸗ quantum, anſtatt von Fall zu Fall zu verhandeln? „Brechen wir die Erotik ab,“ ſagte ich. Ich liebe nämlich ſolche Geſpräche nicht, man weiß nie, ob cs bei dem „parler d'amour“ bleiben wird. Tauſend Grüße Dir und Theo. Chriſtel. 185 „Anne Mariechen, ach — wirklich? Ich fange an Dir fürchterlich zu werden mit meinen trockenen Denkereien? Aber das liegt mir ja gar nicht. Neulich Abend konnte ich nicht einſchlafen. Die erſte Stunde war eigentlich wunderhübſch. Mein In⸗ neres quoll förmlich von hübſchen Einfällen über; nur daß ich ſie alle am anderen Morgen vergeſſen haben würde, that mir ſo ſehr leid. Eine drollige Beobachtung machte ich. Ich war ſchon im Ein⸗ ſchlafen, ſah ſchon die Traumgebilde, und wußte mich doch im Bett, und mit meinen wirklichen, nicht⸗ ſchlafenden Augen ſchielte ich in die Traumwelt hin⸗ ein, überliſtete ſie förmlich, wie jemand etwas ge⸗ nießt, das gar nicht für ihn beſtimmt iſt — und ich blickte von meinem Bett aus in einen wunderbaren Märchenſaal, wo auf einem Hintergrund von Feuer ſich weiße Marmorgeſtalten bewegten. Ach wie ſchade, dachte ich, nun ſchläfſt du gewiß gleich ein. Siehſt Du, ſo genußgierig bin ich, das helle Wachen des Geiſtes möchte ich und zugleich die Phantaſiegebilde einer Künſtlerſeele. Viel helles Wachen danke ich Frank Richter. An der Gemeinſamkeit unſeres Denkens und Fühlens wächſt unſere Intimität. Siehſt Du, Anne Marie, ich war zuweilen nahe daran, mich für verrückt zu halten, wenn ich mich für eine Sache begeiſterte oder ſie verabſcheute, und ich erfuhr von aller Welt eine kalte, oft höhniſche Ablehnung. Und da kommt einer, 186 der denkt und empfindet wie ich, und der befreit mich von der Pein geiſtiger Verlaſſenheit. Und beſonders iſt es die gemeinſame Entrüſtung, die uns verbindet, viel mehr als die Gemeinſamkeit der Begeiſterung. Für die Begeiſterung findet man eher Genoſſen, auch hat man ſeltener Gelegenheit, in ſie hineinzugeraten. Es geſchieht gar nicht ſo viel Herrliches in der Welt. Worüber wir uns denn immer ſo entrüſten? Aber, Anne Marie, hätten wir ſonſt keinen Stoff, wir leſen doch Zeitungen, die bieten eine Ueber⸗ fülle. Wenn wir fanden, daß einer unſchuldig ins Zuchthaus wandern mußte, wenn ein Bube aus Parteipolitik für ſchnöden Judaslohn alle Segel aufſpannte, um einen Unſchuldigen unter das Beil zu bringen, wenn ein Lehrer kleine Kinder miß⸗ handelte, wenn — — ich höre lieber auf, ich könnte Bogen mit dieſem Brennſtoff für unſer Entrüſtungs⸗ feuer füllen. Was uns nicht zum wenigſten empört, iſt die Lauheit der Menſchen den größten Schänd⸗ lichkeiten gegenüber. Ja, Mariannchen, wundervoll iſt eine ſolche Verſchwiſterung der — geſtatte mir das Wort — Seelen, die ja ein bischen Verliebtheit von ſeiner Seite nicht auszuſchließen brauchte, es auch vielleicht nicht thut. Trotz der Köſtlichkeit dieſes Geiſtesbündniſſes ſehne ich mich doch zuweilen nach intellektueller Un⸗ ſchuld. Mit Frank bin ich immer in anſtrengender 187 Höhenluft, und gern wiegt man ſich auch einmal zur Abwechſelung weich und mollig in Gefühlswellen. Warum ſollte ich nicht einmal in die Kirche gehen? Und ich ging in die Kirche. Unerfreuliches Wetter war's. Regen. Gleich wie ich eintrat, war's mir, als käme ich aus dem Regen in die Tkaufe. Vollgepfropft war die häßliche, kahle kleine Kirche, Menſch an Menſch, auf allen Geſichtern der ſtumpf ergebene Ausdruck von Leuten, die Sonntags in die Kirche gehen wie Alltags an die Arbeit. Sie ſaßen in feuchten Regenanzügen mit tröpfelnden Schirmen, eine muffige, dicke Luft verbreitend. An langen Meſ⸗ ſingſtangen, wie in untergeordneten Kneipen, hingen die Gaslampen. Spucknäpfe waren auch da, wenn ich nicht irre. Und mein Sinn ſtand nach hochge⸗ wölbten Kuppeln, geweihten Wachskerzen, ſchim⸗ mernden Säulen. Ein merkwürdig aſketiſcher Einfall, dieſe nüchterne Häßlichkeit der proteſtantiſchen Gottes⸗ häuſer, als ob es Nacht ſein müßte, wo Gottes Sterne ſtrahlen. Wir können an. den Sinnen nicht vorbei. Wir ſind nicht Buddha's, nicht Hei⸗ lige. Die Kirche iſt Gottes Kleid, ein feierlich er⸗ habener Faltenwurf ſtände ihr an, nicht bettelhafte Dürftigkeit. Die Katholiken verſtehen es beſſer. Nicht ſchön und ergreifend die Vorſtellung, daß eine feier⸗ liche Welt der Schönheit die Mühſeligſten und Aerm⸗ ſten aufnimmt, wenn ſie aus dem grauen Elend ihrer Kammern in die Tempel treten? Weißt Du, Anne Marie, ich bin überzeugt, giebt 188 es auf dem Mars noch Götter, ihre Tempel müßten von ſo unſagbarer Schönheit ſein, daß ſelbſt Wag⸗ ners kühnſte Dekorationsträume bloße Schemen da⸗ neben wären. Uebrigens die Spucknäpfe nehme ich zurück. Sie beruhen vielleicht auf einem Irrtum meinerſeits. Ich verließ gleich wieder die Kirche, nahm einen Wagen und fuhr ins Hoſpital, wo ich unſere alte, kranke Näherin beſuchen wollte. Der Regen hatte aufgehört. Warmer, ſchöner Sonnenſchein. Im Garten des Hoſpitals, den ich paſſieren mußte, war voller Frühling, alles friſch, maigrün. Die Sonne funkelte in den Tautropfen der knoſpenden Bäume. Auf einer Bank unter einem blühenden Apfelbaum ſaßen ein Mann und eine Frau. Sehr alte Leute. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet. Er las ihr aus der Bibel vor. Ich ſetzte mich neben ſie; ſie nickten mir freund⸗ lich zu und er las ruhig weiter, die Stelle aus dem Buch Daniel, die von der Wiederkunft des Meſſias handelt. Er war zu Ende und klappte die Bibel zu. Eine Weile ſaßen ſie ſtill in ſich verſunken. Dann ſagte die Greiſin: „Wir waren beide ſehr krank. Gott der Herr hat uns geſund gemacht, er will, daß wir den Meſſias noch ſehen. Wir ſind Adventiſten. Bei Gott, Anne Marie, ſie warteten auf den leibhaftigen Jeſus Chriſtus, der heute, morgen, über⸗ morgen, ſicher in der allernächſten Zeit kommen würde. Und nur deshalb hatte der liebe Gott ſie ge⸗ 189 ſund gemacht. Und aus jeder Furche dieſer alten Ge⸗ ſichter leuchtete Glückſeligkeit, förmlich ſeelenüber⸗ nährt ſahen ſie aus. Ja, das war intellektuelle Unſchuld, rührende, ergreifende. Aber nein, nicht rührend. Plötzlich kam es wie Wut über mich, und mit einem Gefühl des Haſſes blickte ich in dieſe fettgläubigen Geſichter. Wohnt denn das Glück immer nur in den engſten Gehirnen? Er drängte mich fort von dieſer intellektuellen Unſchuld. Ich vergaß die Kranke, die ich hatte be⸗ ſuchen wollen, und fuhr nach Hauſe. Er, der Frank, wartete ſchon auf mich. Ich ſchrie ihn gleich an: „Seien Sie geiſtreich, furchtbar geiſtreich. Be⸗ weiſen Sie mir, daß der Meſſias ſchon auf dem Wege nach Berlin iſt. . .. Ich erzählte ihm mein Glaubens⸗Abenteuer. Er revanchierte ſich mit der Anekdote von einem ſterben⸗ den Atheiſten der, als ein Geiſtlicher ihn eindring⸗ lich zu Jeſus Chriſtus bekehren wollte, die Hand ans Ohr legend, fragte: „Wie war doch der Vorname?" Ich fand die Anekdote geſchmacklos. Wie konnte er überhaupt wagen, mir Anekdoten zu erzählen! Er war mir für den Augenblick ver⸗ leidet, bis auf ſeinen Vornamen, durch ſeine Vor⸗ namen⸗Anekdote. Frank, warf ich ihm vor, klänge rauh, gebieteriſch, abſolut. Adrian dagegen — in dem Namen läge ein zärtliches Pathos, ein Flügelſchlag der Sehnſucht. Darauf machte er eine abfällige Bemerkung über 190 Adrian, und darauf hätte ich ihm beinahe geſagt: Sie ſind ja ganz dickfellig, wenn Sie nicht merken. daß Adrian Sie nicht ausſtehen kann. Ich ſagte aber nur, es thäte mir ſehr leid, daß mein Mann keine Sympathie für ihn habe, und ich fing an, Adrian herauszuſtreichen. Ich machte es wie die Mütter, die erſt über ihre Kinder klagen, ſtimmt aber der Zu⸗ hörer ein, ſo wverden ſie böſe auf ihn und verteidigen, was ſie eben erſt verklagt haben. Die meiſten Leute, mit denen wir verkehren, ſuchen ihren Ton ein wenig auf Adrians Art und Weiſe zu ſtimmen. Mein Journaliſt denkt nicht da⸗ ran. Er läßt ſich, wenn mein Gatte anweſend iſt, erſt recht in ſeiner Art gehen. Es irritiert mich in Aldrians Gegenwart. Ich bemühe mich, ihm ſeine Ungebührlichkeiten abzugewöhnen. Ohne Erfolg. 3. B. tritt jemand ein, den er nicht mag, ſo em⸗ pfiehlt er ſich mit einer unartigen Plötzlichkeit. Einem andern gegenüber hüllt er ſich in verletzendes Schwei⸗ gen, und zuwveilen — und das iſt das Schlimmſte — wird er höhniſch, zornig, wenn jemand etwas ſagt, das ſein Gefühl oder ſeinen Verſtand beleidigt. Und er iſt ſo oft beleidigt. Oft mag er nicht über die Straße gehen, weil ihn der Anblick häßlicher und plumper Menſchen verletzt. Bei der geringſten Be⸗ rührung zucken ſeine Nerven ſchmerzhaft. Wenn ich ihm Vorwürfe mache, lacht er mich aus. Er habe ſeine eigenen Sitten, nicht die des Barons von Lützow oder irgend eines Anderen. Er verlange ja auch nicht, daß Andere ſich nach ſeinen 191 Sitten richten. Das geſchmeidige Einknicken der Eigenheit zu Gunſten Anderer endige meiſtens bei Geßlers Hut. Seit einiger Zeit meidet Adrian den Salon, wenn der Prolet da iſt. Nur neulich, als einige Leute kamen, die ihn intereſſierten, blieb er. Frank Richter machte mir oſtentativ den Hof, was mir wohlthat, weil es in Adrians Gegenwart geſchah. Als die anderen Gäſte gingen, begleitete Adrian ſie hinaus und kam nicht wieder. Nun fand ich das Kourmachen fad. „Sprechen wir von etwas anderem,“ ſagte ich. „Beſſeres als die Liebe, im Notfall auch nur die geſprochene, giebt es nicht.“ „Das ſollen Sie mir crſt bewveiſen. Und plötzlich ergriff er meine beiden Hände und riß mich empor, ſo heftig, daß es mir weh that. In unwillkürlicher Abwehr ſchlug ich nach ihm. Er hatte mich ſchon losgelaſſen. Er verſchränkte die Arme feſt im Rücken, als wolle er ſich ſelbſt feſſeln. Eine leiſe Furcht beſchlich mich, die Feſſeln könnten nicht halten. Etwas verhalten Gewaltthätiges war in ſeinen Zügen. Seine Augen ſchwarz, bösflammig. Er at⸗ mete tief auf und trat ans Fenſter, abgekehrt von mir. Schweigend ſtarrte er eine Weile hinaus. In ſchwveren, langſamen, unaufhörlichen Flocken fiel — im April — der Schnee, ein weißblumiger, weicher Vorhang, der, allmählich vom Himmel niederrollend, die Welt da draußen begrub. 192 Als er ſich mir wieder zuwandte, trug ſein Ge⸗ ſicht einen ſchwermütigen Ausdruck. „Sehen Sie, Chriſta, wenn ich Sie vorhin in meine Arme genommen hätte, das wäre intellektuelle Unſchuld geweſen. Das heißt, wenn es Unſchuld geben könnte, ſo lange wir Eltern haben. Schon vor der Geburt ſind wir oft verurteilt.“ So bleich ſah er aus und ſo finſter blickte er, als er das ſagte. Es that mir weh. Ich reichte ihm die Hand. Da wurde er gleich wieder dreiſt. „Warten Sie nur, warten Sie, ich bete Sie doch noch an meine Bruſt, wie der Prediger Sang in „Ueber unſere Kraft“ ſein Weib vom Krankenlager aufbetete.“ „Aber ſie ſtarb an dem Wunder. „Ueber allen Wundern des Glaubens die Wunder der Liebe.“ Er ſagte beten. Höchſtens könnte er eine Frau an ſeine Bruſt reden. Es ſcheint aber, er liebt mich nun doch. Ich wvußte von Anfang an, daß es ſo kommen würde. Er ſtand ſchon in der Thür, kam aber noch einmal zurück. Uebrigens habe er ſich ſchon längſt vorgenom⸗ men, mir einmal eine Generalpauke zu halten. Hier die Pauke, ziemlich wortgetreu, — Gott ſei Dank — kurz: Ich wäre gerade ſo gewohnheitsblind und taub wie alle andern. Wie ſie, klammerte ich mich mit rührender Anhänglichkeit an die von Urvätern er⸗ Dohm, Chriſta Ruland. 13 193 erbten Denk⸗ und Gefühlsgewohnheiten, liebe, alte, bequeme Bekannte. Ich wollte ihm auseinanderſetzen, daß ich mich frei von Gewvohnheitsvorurteilen wüßte. Er ließ mich nicht zu Worte kommen. Er wiſſe, was ich ſagen wolle. Natürlich gehörte ich zu den kühnen Freidenkern, die ſich für ungeheuer fortge⸗ ſchritten halten, wenn ſie ein Mädchen, das ein Kind gekriegt hat, nicht ohne weiteres verdammen, und einen Dieb und Mörder mit der Unfreiheit des menſchlichen Willens und aus den ſozialen Zuſtänden heraus erklären, Dinge, die ſich eigentlich für jeden, deſſen Ethik nicht in den Kinderſchuhen ſtecke, von ſelbſt verſtänden. Zu unterſcheiden aber, was in un⸗ ſerem Empfinden, in unſeren ethiſchen Begriffen auf Gewohnheit und Tradition beruhe und was uns unſerer Natur und Eigenheit nach zukomme, ſei ſo ſchwer, als durch noch unbefahrene klippen⸗ und ſandbankreiche Meere ein eigenes Fahrzeug ſelbſt zu ſteuern. Wie viel bequemer, ſich von großen Schiffen, die ihre erprobten, klippenſicheren Bahnen ziehen, in's Schlepptau nehmen zu laſſen. Es gäbe in un⸗ ſerem Zeitalter nur zwei Genies, die ſo gefährliche Fahrten unternommen hätten. Der eine: Nietzſche. Der Andere — „ich bringe Ihnen ſein Buch, wenn Sie reif dazu ſind. Sie haben Geiſt, denken Sie über die Gewohnheitsblindheit nach. Glauben Sie, es war ein Ihrer Natur entſpringender, keuſcher Stolz, daß Sie mich ſchlugen? Sie ſchlugen nur aus Zorn, weil Sie „nein“ ſagen mußten. Mußten? Kindskopf." 194 Es machte mich böſe, was er ſagte. „Ich möchte Sie wieder ſchlagen.“ „Ob das die richtige Methode wäre, hinter die Wahrheit zu kommen? Ein Schlag ins Waſſer. Er löſcht kein Feuer.“ Ich werde wohl künftig vorſichtiger ſein müſſen, damit es gar nicht erſt zum Brennen kommt. Nicht, Anne Marielein? Laſſe nur in Deinem nächſten Brief Adrian grüßen. Das hat er ſo gern. Deine Chriſtel. „Anne Mariechen! Anne Mariechen! Franks Pauke hat auf mich gewirkt, ſehr ſogar. Ich bin in ein unſtätes, ganz wüſtes Experimentieren verfallen. Meine Seelenzuſtände intereſſieren Dich wahrſchein⸗ lich gar nicht? Ich muß ſie mir aber vom Halſe ſchreiben. (Seelenzuſtände vom Halſe ſchreiben — auch ein Bild.) Auf Monologe kriegt man keine Ant⸗ wort. Im Zwiegeſpräch mit Dir, Du meine aller⸗ liebſte, liebe Schweſter, fällt Dir — oder vielleicht auch mir — etwas ein. Kein ſchreckhaftes Bild von Sais entrolle ich Dir, und ob ich mich überhaupt ganz entrolle? Das iſt ſo'ne Sache. — Von Adrian nichts Neues. Ganz lieb und ein klein bischen ſteif, wie immer. Kinder werde ich, wie es ſcheint, nicht bekommen. Es käme mir auch beinah unnatürlich vor. Weiß 13* 195 nicht, warum. Ich wünſche mir auch keine. Sag's niemand, ſonſt heiße ich gleich ein Unweib. Für die Kinder, die ich nicht bekomme, iſt's eine gute Chance. Wie und wozu ſollte ich ſie erziehen? Sie würden geſviß ſo artig, ſo artig geraten wie Adrian. Alſo die erwähnten Seelenzuſtände datieren von dem Geſpräch über die Gewvohnheitsblindheit. Mit dieſer Blindheit ſcheint mein Prolet recht zu haben. Ich denke darüber nach und mache Entdeckungen — kleine Miniaturentdeckungen nur — und gerate doch darüber in ein wahres Entdeckungsfieber. Höre! ich glaube eine Methode gefunden zu haben, um die Binde von meinen Augen — wenigſtens zu lockern. Nämlich: ich verſuche Menſchen, Dinge, Zuſtände ſo zu ſehen, als ſähe ich ſie zum erſten Mal, ſo einiger⸗ maßen wie ein Wilder (aber ein Wilder mit Gym⸗ naſialbildung), der im Urwald einſchläft und in Berlin oder Paris aufwacht, gänzlich ohne Anem⸗ pfundenes und Angedachtes, ohne erworbene Ideen. Ich ſchaffe das „man“ ab. Statt „man ſagt — man iſt der Meinung“ ſage ich nun: „Ich.“ Und bei Gott, ich fange an, die Dinge — nicht alle zwar — zu ſehen, als ſähe ich ſie zum erſten Mal. Merk auf: da komme ich z. B. an einem Schläch⸗ terladen vorbei. Ein friſchgeſchlachteter Hammel hängt draußen an einem Haken. Das Blut träufelt noch aus dem Innern des Tieres auf die Steinflieſen der Ladenſchwelle. Daneben ſteht der Geſelle mit der weißen, blutigen Schürze. Ich bleibe wie ge⸗ bannt ſtehen. Ich ſah, was ich ziemlich gleichgiltig 196 hundert Mal ſchon geſehen, zum erſten Mal voll⸗ bewußt, und ich ſah es mit einem Schauder des Ab⸗ ſcheus. (Alm Ende würde der Wilde mit Gymnaſial⸗ bildung gar nicht geſchaudert haben, beſonders nicht, wenn es ein Kannibale geweſen wäre.) Und von ſolchen blutigen Leichnamen eſſen wir. Ich fühlte Ekel. Ich bin Vegetarierin geworden. Das heißt, bei Tiſch lege ich noch etwas Fleiſch auf meinen Teller. Ich habe nicht gern, wenn Adrian mich auf den Mars ſchickt. Zuwveilen eſſe ich auch noch ein paar Biſſen davon. Aus einem Kotelett einen casus belli zu machen, käme mir pedantiſch vor. Ja, Frank Richter hat Recht. Darum iſt das Reiſen in ferne, fremde Länder ſo nützlich und frucht⸗ bar. Da ſehen wir alles friſch, mit neuen Augen, hören mit neuen Ohren. Gewiß könnten wir auch zu Hauſe uns ebenſo bereichern. Die Gewohnheit aber, dieſelben Dinge immer wieder zu ſehen, hat unſere Sinne eben abgeſtumpft. Ich laufe nicht mehr gedankenlos durch die Straßen. Ich blicke aufmerkſam nach rechts und nach links, und nicht blos wegen der Gefahr, von der Elektriſchen überfahren zu werden. Ich ſehe die Prachtbauten der Warenhäuſer — königliche Paläſte. Sie ſollen der Berechnung ſchlauer Spekulanten ihre Exiſtenz verdanken, ſollen einen unlauteren Konkur⸗ renzkampf gegen die Kleinhändler bedeuten, die ſie zu Grunde richten. Ich dachte auch hier um und ich begriff, daß es wirklich Paläſte ſind, die eine Königin baute: die Induſtrie. Die jeweiligen Beſitzer ſind 197 nur ihre Handlanger, wenn ſie ſelbſt es auch nicht wiſſen. Gewiß, ſie werden die Kleinhändler auf⸗ ſaugen, wie die Maſchinen im Beginn ihres Zeit⸗ alters die erſte Arbeitergeneration zu Grunde rich⸗ teten. Mein Blick, der früher den ſauſenden Zügen der Elektriſchen gleichgiltig gefolgt war, ſah ihnen jetzt mit Ehrfurcht nach. Auch dieſer großartige Kul⸗ turbeſitz wird andere Erwerbszweige vernichten. Die überflüſſigen Kleinhändler werden ausſterben und auch die überflüſſigen Pferde. Gewiß war auch das Talglicht (vom Kien⸗ ſpan gar nicht zu reden) böſe, als das Oel aufkam, und das Oel war böſe auf das Petroleum, als es von ihm verdrängt wurde, und nun ſetzt das elek⸗ triſche Licht das Petroleum auf den Ausſterbeetat. Wir Menſchen werden ja auch, damit neues Leben Raum gewinne, vom Tod aufgeſogen. Wir murren zwar — ich ſehr — müſſen aber doch ſtill halten. Gedankenſpiele! Ihr habt mich ja ſchon aus⸗ gelacht, als ich, noch ein Kind, meine Spiele ſo nannte. Lache nur wieder. An einem andern Tag ſah ich einen Wagen mit Müllabfuhr vor einem Hauſe ſtehen. Männer in hohen Stiefeln, vor Schmutz ſtarrend, Mißduft um ſich verbreitend, trugen den Abhub aus den Woh⸗ nungen. Bisher war ich ihnen, mein Kleid zuſammen⸗ raffend, möglichſt aus dem Wege gegangen, ohne einen Blick oder einen Gedanken an die Sache zu verſchwenden. Ich ſah es nun zum erſten Mal. Mit 198 Neugierde blickte ich in dieſe ſtumpfen, grauen Ge⸗ ſichter. Und dieſe ſchwere, ſchauderhafte Arbeit ver⸗ richten ſie Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und ſie ertragen's? Und die Geſellſchaft hat den Mut, ſie ihnen aufzubürden, ohne ein Aequivalent? O ja, ſie findet es ſogar ſelbſtverſtändlich, wie es ſelbſtver⸗ ſtändlich iſt, daß der Froſch im Sumpf lebt. Von der Politik verſtehe ich rein gar nichts. Für einen Menſchen gäbe es da gewiß auch viel Erſtaun⸗ liches, Ungeheuerliches. Ich war neulich im Reichstag. Eine ſtürmiſche Sitzung. Wie redeten denn dieſe vom Volk Auser⸗ leſenen! Sie redeten mit Fäuſten. Sie ſpieen Gift und Galle gegeneinander, und ihre gegenſeitigen Be⸗ ſchimpfungen fanden nur an der Glocke des Präſi⸗ denten eine Schranke. Iſt das Volk wirklich ſo wahn⸗ ſinnig geweſen, ſolche Intereſſenpolitiker, ſolche Ver⸗ räter, Schufte u. ſ.w. zu wählen? Und ſind ſie es nicht, warum taxieren ſie ſich gegenſeitig ſo? Man hat mir geſagt, das wäre gar nicht ſo böſe gemeint, in den Frühſtückshallen drückten ſie ſich freundlichſt die Hände. Alles nur Parteimanöver. Zweck: die Wah⸗ rung der Heiligtümer der Nation. Warum wollen dieſe Jeſuiten denn die andern Jeſuiten nicht ins Land laſſen? Und die frommſten Parteien, ſie ſind nicht die faulſten im Schimpfen. Weißt Du, Anne Marie, was ich im Reichstag einführen würde? Vor jeder Sitzung müßte eine Stelle aus der Bibel geleſen werden, die eine Quint⸗ eſſenz von Chriſti Lehre von der Brüderlichkeit ent⸗ 199 hält. Oder: an den Wänden müßten ſolche Sprüche ſtehen — mattfarbig. Eine elektriſche Leitung könnte ſie mit dem Präſidentenſitz verbinden, und wenn einer der Auserwählten ſich ſo recht bruderfeindlich aufführte, zöge der Präſident die Strippe, und der paſſende, den Bruderfeind zur chriſtlichen Ordnung rufende Spruch müßte — ein flammendes Menetekel — an der Wand ſich zeigen. Zum Präſidenten aber wäre der Weiſeſte und Beſte der Parlamentarier zu wählen, einer, der Ethiker iſt vom Scheitel bis zur Sohle. Sollte ſich unter den 396 Abgeordneten nicht ein einziger wahrer Chriſt befinden? Ach — ich wäre es nicht. Im Gegenteil, wie oft, oft müßte auch einer für mich die Strippe ziehen und mir leuchtende Menetekels an die Wand malen. Ich ſehe mich ja auch ſelber neu. Die Gewohn⸗ heit hat uns auch gegen unſer eigenes Selbſt abge⸗ ſtumpft. Wir kennen uns ja von Geburt an. Wir ſind uns nicht mehr intereſſant. Wir ſind aber inter⸗ eſſant. Ich ſehe, daß ich dabei war, mich immer mehr dem Adrian anzupaſſen. Ich fing ſchon an, mich nach ſeinem Geſchmack zu kleiden, zuweilen war ich von Frau von Bracht nicht mehr zu unterſcheiden. Ich beobachte mich. Alle Augenblicke rufe ich mich an: „Du lügſt ja ſchon wieder! Da unterſchlägſt Du ja Deine Meinung, blos um nicht aus dem Rahmen zu fallen, Du redeſt ja immerzu, auch wenn Du nichts zu ſagen haſt, Sprechmaſchine Du, die von ſich giebt, was man in ſie hineingefüttert hat.“ Und oft über⸗ 200 raſche ich mich bei einer grinſenden, einladenden Liebenswvürdigkeit allen möglichen unangenehmen Leuten gegenüber. Und dieſe Baronin Adrian von Lützow nannte Vater einmal Madam Abſeits. O Vaterchen, Vater⸗ chen, ſie hat elend eingepackt. Sie war im begriff, in der Ehe zu verſimpeln. Und die Ehe ſehe ich nun auch neu. Verheiratet ſein! nach alter Denkgewohnheit heißt's: Zwei ſollen eins ſein! Seltſamſte, wunder⸗ gläubigſte Vorſtellung! Barer Unſinn wär's in der Mathematik, und iſt's auch ſonſt. Ja, mein Gott, warum ſollen denn zwei eins ſein, die vielleicht, wie Adrian und ich, ſo grundverſchieden von einander ſind? Siehſt Du, Anne Marie, ich glaube an dieſem Einsſeinſollen ſcheitern ſo viele Ehen, wenigſtens die⸗ jenigen, in denen die Frau eine Individualität iſt. Und iſt es nicht urkomiſch (ulkig würde Dietrich ſagen), daß die dezidierteſten Weiblichkeitsſchwärmer, diejenigen, die das Einsſein der Gatten als die vor⸗ nehmſte ſittliche Eheforderung aufſtellen, in dem⸗ ſelben Atem die weitgehendſte intellektuelle — und Seelenverſchiedenheit von Mann und Weib zu einem Naturgeſetz ſtempeln? Sage, warum verkünſtelt, verſchraubt und kom⸗ pliziert man Zuſtände und Beziehungen, die ſo ein⸗ fach ſein könnten? Ich kann mir vorſtellen, daß ich einen herzgüti⸗ gen, bibelfrommen, einfachen Landpaſtor lieben und 201 heiraten könnte, mit all meinem Radikalismus. Teilte ich auch ſeine Anſichten, ſeine Weltanſchauung nicht, es bliebe wohl noch ſo viel, ſo viel an ihm zu lieben. Aber eins mit ihm ſein! Das käme mir wie eine Mißgeburt vor, etwa wie ein Kalb mit einem Haſen⸗ kopf, das man für Geld zeigt, oder wenigſtens wie die ſiameſiſchen Zwillinge, bei denen ein phyſio⸗ logiſches Malheur zuſammenfügte, was Gott ge⸗ trennt haben wollte. Die Zweiheit in der Ehe wird die Parole der Zukunft ſein. Ueber der Pforte der „Neuen Ehe“, die die Heißſporne der Frauenbewegung ſo begeiſtert verkünden, werden die Worte ſtehen: Ich bin ich und Du biſt Du, eins ſind wir in der Liebe. Vielleicht wäre meine Ehe mit Adrian glücklich geworden, wenn er mich nicht durchaus ſo hätte haben wollen, wie ich nun einmal nicht war und nicht ſein konnte. Ich fühle immer den Zaum, mit dem er mich zügelt, und ſchiebe ich ihn bei Seite, ſo ſchmerzt die Stelle noch, wo er gedrückt. Sage, Anne Marie, iſt das nicht auch eine merk⸗ würdige Sitte, daß Mann und Frau ſo nah beiein⸗ ander ſchlafen, daß ihr Atem ſich berührt. In vielen Ländern ſogar in einem Bett. Selbſt in ganz ſchlech⸗ ten Ehen, die voll Hader und Zank ſind, iſt es ſo. Erinnert das nicht an die groteske mittelalterliche Strafe für alte, zänkiſche Weiber, deren Köpfe man in ein Doppelbrett klemmte, und zwar ſo, daß ſie ſich in nächſter Nähe immer in die Augen ſehen mußten? Adrian und ich, wir zanken und hadern nicht, 202 und ich habe mich doch an dieſe enge Gemeinſchaft nicht gewöhnen können. Ich benutzte einen Influenzaanfall, um mir ein anderes Schlafzimmer einzurichten. Und dabei blieb es denn. Ich wußte, daß er kein Wort darüber ver⸗ lieren würde. Habe ich nicht recht? Dein Chriſtelchen. „Na ja, Du herzliebe Kleine, habe ich's nicht gleich geſagt? meine Seelenzuſtände ſind Caviar für Dich. Ich leſe es ja zwiſchen den Zeilen aus Deinem letzten Brief heraus, daß Du ſo ein bischen heiteren Geſellſchaftsklatſch möchteſt, weil es Dir doch ſo trau⸗ rig geht. Aber Anne Mariechen, nehme ich das Ge⸗ ſellſchaftstreiben in die Feder, giebt's gleich Bos⸗ heiten, das heißt, eigentlich ſind's gar keine Bosheiten, eher das Höhnen eines Ernſthaften über Allzunärriſches. Ich überſehe das Wochenrepertoire meiner häus⸗ lichen und geſellſchaftlichen Verpflichtungen, und mir grauſt's. Jeder Tag iſt bis zum Rande gefüllt. Eine wahre Jagd, aber nicht nach dem Glück. Zu A.'s muß ich gehen, weil die Spitzen der Diplomatie dort ſind. Adrian will es. B.'s ſind nicht zu umgehen, weil wir da ſchon zweimal abgeſagt haben. Eine 203 dritte Abſage verbietet der Anſtand. In das Komité ſür Hauspflege muß ich eintreten, weil die hervor⸗ ragendſten Gemahlinnen aus den oberen Zehntauſend dabei ſind. Adrian will es. Dieſes oder jenes Kon⸗ zert, dieſes oder jenes Theater darf ich mir nicht ſchenken — na ja, eben weil alles da iſt, was ein bischen was iſt. Sogar bei Thalheim's muß ich ab und zu eine Einladung annehmen, Mama will es, weil der Herr, der durchaus nicht Kommerzienrat werden will, ein ſo nahrhafter Klient vom Vater iſt. Und ſchlage ich einen Schriftſtellerinnen⸗Kaffee bei Julia aus, ſo legt ſie es mir als Hochmut aus. Da läßt man hilf⸗ los die Arme ſinken. Die Sklavin der Welt, wie ſie leibt und lebt, das bin ich. Siehſt Du, Anne Marie, wenn ich mich frage, was iſt eigentlich der Kern dieſes Geſellſchaftslebens, ſo finde ich nur zweierlei: Eitelkeit und Erotik. Eitel⸗ keit, das iſt zwar ein gefräßiges, aber meiſt doch ein gutmütiges Ungehener, es frißt aus der Hand, nährt ſich beſcheiden wie die Flamme von allem, was man ihm hinwirft, auch von Unrat. Es beißt ſelten, was die Erotik oft thut. Die Vorſtellung, jahrein, jahraus, bis ich mit dem Kopf wackle (obwohl ich mir vorgenommen habe, nie damit zu wackeln), dieſen eleganten Schlen⸗ drian mitzumachen, kommt mir ganz verwunderlich vor. Zugeben muß ich freilich, daß ich mich zuweilen amüſiere, entweder wenn ich aus purer Langeweile mich verſtelle und kokett thue, wo man mir dann 204 raſend den Hof macht, oder wenn Geiſter à la Bracht oder Adelheid Thalheim ihre tiefſten Gedanken aus⸗ ſprechen. Das amüſiert, wie wenn man die Fliegen⸗ den Blätter oder den Simpliciſſimus lieſt. Die Bracht bringe ich gern — aus Bosheit — auf Litte⸗ ratur. Sie ſagt dann ſo hübſche Sachen. Einen ſehr guten Roman fand ſie miſerabel, weil ein Atheiſt darin vorkäme. Ueber Fontanes Effi Brieſt brach ſie gänzlich den Stab. Warum? darauf kommſt Du nicht. Weil doch keine Frau ſo dumm ſein würde, die Briefe ihres Liebhabers in ihrem Nähtiſchchen aufzubewahren. Und ihre Entrüſtung über Hauptmanns Fuhr⸗ mann Henſchel! Einem für einen ganzen Abend Fuhrknechte zuzumuten — dégoütant. Zu Thalheim's gehe ich übrigens nicht ungern. Als Tiſchherr iſt er mir geradezu angenehm. Er reißt ſo kindliche Witze und erſchrickt dann immer ſelbſt ſo drollig darüber, und kein Menſch hat Reſpekt vor ihm, ſelbſt die Diener nicht. Neulich, in einer Ge⸗ ſellſchaft, winkt er einem Lohndiener, der eine Languſte präſentiert: „Nur heran mit der langen Juſte,“ worauf der Lohndiener äußert: Gerade ſo habe er ſie eben auch in der Küche genannt. Und nachher, als er ihm den Braten reicht, ſagt er: „Faſan.“ Sein ſechzehnjähriges Töchterchen wetzte einigermaßen die Scharte des Papas aus, indem ſie einen anderen Diener, der Champagner eingoß, fragte: „Welche Marke? Frau Adelheid — Du weißt, ſie iſt Jüdin 205 iſt ſo ſtolz auf ihren Verkehr, weil nämlich faſt aus⸗ ſchließlich — Du denkſt: Chriſten bei ihr verkehren? nein, höher hinauf — faſt nur Antiſemiten. Die Sorte ſcheint ſie für noch viel vornehmer zu halten als den gemeinen Arier. Ach, ich vergaß, ſie ſind ja garnicht mehr Juden. Sie haben ſich kürzlich taufen laſſen, obwohl die boshafte Bracht meint, er mauſchele noch ſo mit Armen und Beinen, daß der proteſtantiſche Pfaffe, der ihn taufte, ein Stümper ge⸗ weſenſeinmüſſe. Bei ſolchen Witzgelegenheiten vergißt die fromme Dame ihre Frömmigkeit. Gelegentlich einer Komiteeſitzung zu einem Wohlthätigkeitskonzert ſtellte es ſich heraus, daß ſie ſich in das Komitee hatte aufnehmen laſſen, ohne zu wiſſen, wem die Wohl⸗ thätigkeit galt. Sie trat dann freilich wieder aus, aber nur, weil eine Breslauer Jüdin dabei war. Das „Breslau“ betonte ſie ſo ſtark, daß man an⸗ nehmen mußte, ſie hielt Breslau dabei für einen erſchwerenden Umſtand. Ueberhaupt bei jeder Ge⸗ legenheit ſtichelt ſie auf Jehova, als auf den perſön⸗ lichen Feind des einzigen und wahren, des „von Brachtſchen“ Gottes. Als ich am vorigen Montag ihren Jour be⸗ ſuchte, ſchämte ſie ſich ſo vor mir, daß ſonſt niemand kam, und war dann noch viel beſchämter, als zur ſpäten Stunde doch noch eine Dame erſchien, aber leider nur eine ganz nebenſächliche, einfache Kauf⸗ mannsgattin. Als die, durch den kühlen Empfang geniert, bald wieder ging, ſuchte Frau von Bracht ihr in meinen Augen dadurch ein Relief zu geben, 206 daß ſie von ihrem Sohn erzählte, der ſich unter tragiſchen Umſtänden erſchoſſen habe. Neulich auf einem glänzenden Rout bei dem amerikaniſchen Geſandten ſchenkte mir eine der fein⸗ ſten Excellenzen die Ehre einer Unterhaltung. Ganz alt war ſie, geweſene Beauté, grinſend, ſehr gefärbt, ſehr dekolletiert, hofdamenhaft. Die Unterhaltung verlief ungefähr ſo: „Ihr Gatte iſt Offizier?“ „Nein, Legationsrat.“ „Ah, das einzig mögliche Civil für uns. Die wegen ihrer Verdienſte in Kunſt und Wiſſenſchaft Geadelten zählen nicht.“ Sie teilte mir auch mit: auf das erſte Feſt der Künſtler⸗ und Schriftſtellervereinigung habe ſie nur ihren Mann geſchickt, der ſich überzeugen ſollte, ob „man“ hingehen könne. Auf dem zweiten war ſie dann. „Da war Graf Brucks mit Frau, wiſſen Sie, der Fredi, und auch zwei Miniſter waren da, ſonſt allerdings niemand.“ — Es waren 200 Menſchen anweſend. Nein, Anne Marie, daß es das noch giebt, zu amüſant oder zu deprimierend. So! mehr Klatſch weiß ich wirklich nicht. Werde wohl auch kaum mehr welchen anſammeln, da ich, Vaterchen nachſchlagend, entſchloſſen bin, mich zum Meidegaſt auszubilden. Nein, Anne Marie, im Ge⸗ ſellſchaftsleben kann man ſeinen Charakter nicht ver⸗ feinern, nicht ethiſieren. Und das möchte ich doch gern, ſehr gern. Fürchte nicht, daß ich gleich Ueber⸗ menſch werden will. In meinen Ethiſierungsbe⸗ ſtrebungen iſt feine Selbſt⸗ und Genußſucht. Miß⸗ mut, Gereiztheit, Aerger ſchadet uns ſelbſt ja am 207 meiſten. Merke ich, daß dieſe böſen Geiſter Beſitz von mir nehmen wollen, ſo leſe ich ſchnell Verſe von Stefan George, oder ich laſſe meine Hände in einem ſeidenweichen Wagalaweia über die Har⸗ moniumtaſten gleiten, und ſieh — da liegt meine Gereiztheit wie in goldenen Netzen eingewiegt, und über meine Zornwogen rinnt's wie Oel. Mitunter braucht's auch nur eine Blume zu ſein, die ich aus einer Vaſe nehme und deren ſtille Schön⸗ heit mich beſchämt. Meinſt Du, Baldriantropfen thäten's auch? Ja, ja, aber die wirken ſo phyſiſch (mir liegt das Pſychiſche mehr) und ſie riechen auch ſo giftig. Ich komme vielleicht heute gerade auf ſo etwas, weil ich geärgert worden bin — von Adrian. Erſtlich bin ich überhaupt böſe auf ihn, weil ich um ſeinet⸗ willen die Univerſität aufgegeben habe. Ich hätte es Dir ſchon geſchrieben, ich ſchämte mich aber. An ſeinem paſſiven, zähen Widerſtand bin ich geſcheitert. Etwas thun, wozu ein Anderer immer ſcheel ſieht, das geht über meine feinen Nerven. Und noch etwas — geſtern ereignete es ſich. Daß die liebreizende Urahne — Adrians Großtante — ganz leer iſt, hatte ich längſt gemerkt; ihre ſo graziös hin⸗ ſchleppenden Atlasgewänder aber hatten mich fas⸗ ziniert, ihre ſchlanke Anmut auch. Zu allen Nichtig⸗ keiten, die ſie vorbrachte, hatte ich ſtets verbindlich gelächelt und „Ja“ geſagt. Als ſie aber nun geſtern wieder einmal ſo recht foſſil Ähnenhaftes, ärgerlich Thörichtes vorbrachte, da lächelte ich nicht verbind⸗ 208 lich und ſagte nicht ja, ſondern nein. Und als ſie ging, küßte ich ihr nicht die Hand, was ich um ſo lieber unterließ, da ich mir ſchon einigemal an ihren blitzenden Ringen die Lippen verletzte. Ich hatte aber ein unbehagliches Gefühl, als ſie ſo erſtaunt ausſah und mich etwas eilig verließ. Adrian ſagte mir nachher, ſeine verehrungs⸗ würdige Großtante fände mich überreizt und riete mir, etwas für meine Nerven zu thun. Er bäte mich, nie die Rückſicht, die ich ihrem Alter und ihrem Stand ſchulde, aus den Augen zu laſſen. „Ach, ſie iſt ſo langweilig und ſo leer. Und er, mit dem feinen, leiſen Lächeln, wie er es lächeln kann: „Dein Prolet (das „Dein“ be⸗ tonend) hat Dich verwöhnt. Bei Tiſch ſprach er kein Wort. Er war böſe. Er blickte nur beim Eſſen mit einem eigentümlichen Ausdruck auf meine Hände. Ich wußte gleich, er fand etwas in meiner Handhabung von Meſſer und Gabel, das auf den Mangel hoher Ahnen ſchließen ließ. Das reizte mich. Und ich ſagte in einem leb⸗ haften Ton irgend etwas, das ihn auch reizen konnte. Darauf er, auffallend leiſe: „Sprich nicht ſo laut. Es war, als hätte mir jemand zugerufen: „Pöbel. Thränen ſchoſſen mir in die Augen. Ich ließ das Eſſen im Stich und ging aus dem Zimmer. Anne Marie, wenn ich nun wirklich ein gräß⸗ licher Plebejer wäre! Kann ich's wiſſen? Er hat ſo ſpitze kleine Dolche. Ich hätte wohl keinen Ariſtokraten heiraten ſollen. Die bringen zu Dohm, Chriſta Ruland. 14 209 viel Vergangenheit mit, und ich und meinesgleichen, wir tragen zu viel Zukunft in der Bruſt. Um meiner Zornwallung Herr zu werden, hätte einer Blume ſtille Schönheit nicht genügt. Ich nahm einen Wagen und fuhr zum Nationalmuſeum. Zu den Böcklins wollte ich. Aus der unſeligen Ver⸗ ärgertheit heraus zum „Gefilde der Seligen“. Als ich an's Muſeum kam, war es — ich hätte es wiſſen können — längſt geſchloſſen. Es fing an zu tröpfeln. Ich trat unter den bedeckten Säulengang, der das Muſeumterrain nach der Spree zu abſchließt. Ich wvar dort nie geweſen. Du gewiß auch nicht. Ein ganz verwunderliches, wie verſchollenes Klein⸗ und Stillleben bot ſich meinen Augen. Jenſeits der Spree ſah es aus, als wäre die Welt dort mit Brettern ver⸗ nagelt. Schwärzliche, invalide Kähne ruhten träge auf dem Waſſer, mit Stricken, Steinen und allerhand Handwerkszeug angefüllt. Am Ufer ſchüchterne, halb ſchon im Keim erſtickte Verſuche von Vegetation: ein wvenig vertretenes Gras, trockenes, verſtaubtes Ge⸗ ſträuch. Dazwiſchen kleine, ſonderbare, barackenartige Häuschen, der Putz abgebröckelt, mit plumpen, kleinen Holzthüren. Einige hatten einen Giebel, der von vier Säulchen getragen wurde, als hätte die Muſeumsnachbarſchaft ſie zu etwas Künſtleriſchem angeſtachelt. Hinter einem lückenhaften Bretterzaun ein kleiner Platz für Ablagerung von Steinen. Auch ein paar häßliche Hinterhäuſer lagen in meinem Ge⸗ ſichtskreis, und ein ſchmutziges, verwittertes Höfchen 210 mit einem Durcheinander von Trottoirplatten, Schuppen, Brettern, Steinen, Gipsſcherben. Alles verärgert wie ich ſelbſt, eingeroſtet, verſchollen, als wväre dieſe große Rumpelkammer unter Gottes freient Himmel ſeit Hunderten von Jahren hier vergeſſen worden. Mit den Böcklins war es alſo nichts. Vielleicht das Theater? Sieben Uhr. Noch reichlich Zeit. Das Reſidenztheater iſt nicht weit. „Die Dame von Maxim“, das äußerſt frivole Stück paßte mir gerade. Es war Adrian ganz recht. Ich fuhr hin. Es war ſchon dämmerig. Laternen und Bogenlampen brannten noch nicht. Gewöhnlich fährt man, ſich ausruhend, gedankenlos durch die Stadt. An dem Tage frap⸗ pierten mich die Bilder von ſinnverwirrender Bunt⸗ heit, die in dieſem geräuſchvollen Stadtteil an mir vorüberglitten, wo das Aelteſte und Neuſte in Bau⸗ art und Straßenlinien zuſammenſtoßen. Neben palaſtartigen Gebäuden Baugerüſte und ärmliche Häuschen, die an das einſtige Schifferdorf erinnerten. Graue, ernſte, altertümliche Häuſer und neue, häß⸗ liche, lange Fabrikgebäude, denen man es von außen ablieſt: „Hier wird geſchuftet.“ Könnte man den Fagaden dieſer Häuſer nicht einen, wenn auch noch ſo billigen Schein des Schönen geben, den Adel der Arbeit zu ſymboliſieren? Neben Schnapsbutiken Läden voll prangender Blumen. Schwerfällige Laſtwagen, Omnibuſſe, Pferdebahnen, elegante Equipagen. Von der Brücke aus blickte ich auf die Spree mit ihrem emſigen 14* 211 Schiffstreiben. Und im Zwielicht erſchien mir dieſe ungeheure Menſchenmenge, die da in den Straßen auf⸗ und abrannte, faſt ſpukhaft, ſinnlos, ein Füllſel der Großſtadt. Und über dem Häuſer⸗ und Menſchen⸗ gewirr ſtieg die roſige Mond empor, und die leuch⸗ tende Vornehmheit des ſtillen Geſtirns über dem durch⸗ und ineinanderhaſtenden Ameiſengewimmel war wie eine wundermilde Gebärde Gottes, die all meine Verärgertheit, das Kribbeln und Krab⸗ beln im Gehirnchen fortzauberte. Wirklich, Anne Marie, man ſollte nur öfter in den Himmel ſehen, die Seele folgte wohl den Augen. Noch ehe ich an die Blumenſtraße gelangte, ließ ich den Wagen umkehren. Wie kleinlich, Adrian kränken zu wollen. Und aufrichtig geſagt, es wäre mir auch wahrſcheinlich ſehr ungemütlich geweſen, ſo allein — in der Dame von Maxim. Addio, Schweſterchen. Chriſta erhielt einen Brief von Anne Marie. „Liebſte Chriſtel! Ein Unwohlſein — nicht der Rede wert — feſ⸗ ſelt mich ein paar Tage an's Bett. Bei dieſer Thaten⸗ loſigkeit am hellen lichten Tage im Bett kriegt auch der Geſundeſte Teſtamentsgedanken. Bin ich wieder die Geſundeſte, ſo komme ich zu Euch. Ich käme ſo 212 gern, ſo gern, wenn — — Ach, Ihr ſeid ja nicht glücklich, Ihr Böſen. Zwiſchen Euch ſteht ein Schat⸗ ten. Ich kenne ihn, ein blaſſer, dünner Schatten nur. Er ſoll fort. Es muß klar werden zwiſchen Euch. Glücklich ſollt Ihr ſein (womöglich ſelig). Daß meine Hände, die ich ſegnend über Euch ſtrecke, ein bischen mager geworden ſind, wird dem Segen nichts ſchaden. Zeige Adrian dieſe Zeilen. Er ſoll Dir alles, aber alles ſagen. Ich will's. Chriſta, nachdem ſie den Brief geleſen, ſtützte den Kopf in die Hände und ſtarrte auf das Papier. Sie zweifelte nicht, Adrian liebte Anne Marie. Hatte ſie es nicht immer gewußt? es vielleicht nur nicht wiſſen wollen? Mit dem Brief in der Hand ging ſie in ſein Zimmer. Das Fenſter ſtand offen. Im Kamin brannte ein Feuer. Ein kühler Frühlingstag war's. Sie gab ihm den Brief. Sie beobachtete ihn, während er las. Er blieb ſcheinbar ruhig, nur las er viel zu lange an den wenigen Zeilen. Er ſinnt über das, was er ſagen ſoll, dachte ſie. Langſam legte er den Brief bei Seite. Dann 213 ging er im Zimmer auf und ab, und im Gehen ſagte er zögernd, unſicher, mit unterdrückter Bewegung: „Frage! „Du haſt Anne Marie geliebt? „Id. „Du liebſt ſie noch? „Id. Er blieb am Fenſter ſtehen mit verfinſtertem Geſicht. Dieſe Scene war ihm entſetzlich. Er zer⸗ knitterte mit einer zornigen Gebärde den Brief in ſeiner Hand. „Du warſt ihr Geliebter? „Nein. Niemals.“ Chriſta zweifelte nicht einen Augenblick. Sie wußte, er log nicht. „Ich weiß, wie Anne Marie auf dieſem Gebiet denkt, und — Theodor. Du hätteſt es ſein können. Adrian ſchwieg. „Du, Du wollteſt es nicht.“ „Es liegt nicht in den Traditionen unſerer Familie, durch Hinterthüren fremdes Gehöft zu be⸗ ſchleichen und zu ſtehlen.“ „Warum ließ ſich Anne Marie nicht ſcheiden? „Aus Güte. Es wäre der Tod ihres Gatten ge⸗ weſen. Sie hat es oft genug ausgeſprochen: Sie liebt Theodor wie ihr Kind. „Warum haſt Dit mich geheiratet? Adrian zuckte zuſammen. Er ertrug dieſes Examen nicht länger. Er ſuchte nach ſeinem Hut, fand ihn nicht gleich. 214 Chriſtas Herz begann wild zu ſchlagen. Ihre tiefe Erregung gab ihrer Stimme einen ſtarken, ge⸗ bieteriſchen Ton: „Warum haſt Du mich geheiratet? Und wie ermattet antwortete er, wider Willen, leiſe: „Sie wollte es. „Ohne Liebe, aus Gefälligkeit gegen Anne Marie haſt Du mich zu Deinem Weibe gemacht. Alles Blut ſchoß ihr in's Gehirn. „Du — Du Sie wollte ſagen: Du haſt mich proſtituiert, aber nur ſtammelnde Laute kamen von ihren Lippen. Er ſtand dicht vor dem Kamin, ſie fühlte ein wildes, ſchier unbezähmbares Verlangen, ihn hineinzuſtoßen in die Flammen. Mit geballten Händen trat ſie einige Schritte zu ihm heran und — — plötzlich lag ſie in ſeinen Armen, ſchluchzend, ſich auflöſend in einem namenloſen Weh. Er preßte ſie an ſich, und ſeine Lippen erſtickten ihr Schluchzen. Der Sturm in ihrer. Bruſt wehte ſie zuſammen. Durch das Fenſter rieſelten roſenrote Mandelblüten auf ſie nieder. War das Anne Maries Teſtament? 215 Später in ihrem Zimmer blieb ſie lange wie betäubt. Wie? das war die Antwort geweſen auf eine tötliche Kränkung? War ſie wie die ruſſiſchen Bäuerinnen, deren Zärtlichkeit durch die Knute des Gatten angefeuert wird? Sagt man nicht, daß Grauſamkeit und Wolluſt verwandt ſind! Ja, in der Wolluſt iſt auch etwas Zerreißendes, ein Ver⸗ nichtenwollen. Ihr war, als wäre an irgend jemand ein Ehe⸗ bruch oder ein Liebesbruch begangen worden. Von Adrian an Anne Marie? oder von ihr an — ihre Gedanken huſchten an dem Namen vorbei. Im Augenblick der Leidenſchaft hatte er ein Wort geflüſtert. Sie hatte es nicht verſtanden. Wie eine heiße Liebkoſung war's geweſen. Sie ſann. Ihre Augen wurden ſtarr. Mit einem Mal wußte ſie das Wort: „Anne Marie!“ Die Glut, die in ihr noch nachgezittert, erloſch. Sie fröſtelte. Ihre Lippen fingen an zu brennen. Die Erinnerung an den Vergifteten im Tiergarten wvurde wach. Sie hüllte ſich in ihren Mantel und ging hinaus in den erleuchteten Tiergarten. Es war ſchon ganz einſam dort. Durch den Schleier bildeten all die elektriſchen Bogenlampen flimmernde Kreuze. Sie wandelte durch eine Kreuzallee. Schlug ſie den Schleier zu⸗ rück, ſo verſchwanden die Kreuze und verwandelten ſich in große ſtille Monde, die von allen Seiten den Dahinwvandelnden mit ſanfter Feierlichkeit grüßten. Ueber der breiten Bellevue⸗Allee hingen die Lampen quer über dem Weg in der Luft — Rieſenperlen. ſchnüre. 216 Die vornehme Villenſtraße begrenzt auf der einen Seite den Park. Die elektriſchen Birnen in den Zimmern und die Laternen vor den Portalen durch⸗ glühten mit ihrem rötlichen Licht die ſchwarzen Baummaſſen und ſchufen einen Zauberwald aus dem bei Tageslicht ſo korrekten Tiergarten. Das Standbild der Königin Luiſe mit der ſteinernen Roſe an der Bruſt war faſt taghell be⸗ leuchtet. Der Raſen davor ſah unnatürlich grün aus, giftig grün. Auf der kleinen Brücke nahe dem Denkmal blieb Chriſta ſtehen und ſah hinab in den ſchwarzen Teich. Gerade in die Mitte des Teichs fällt der Reflex einer jenſeits aufgehängten Flamme — ein Stern, der aus der dunklen Tiefe heraufſchimmernd ge⸗ heimnisvoll lockt. Und immer gleiten über den Teich zwei Schwäne, lautlos — ſtolz. Sie neigte ſich über das Gitter, und die ganze Melancholie der Welt ſtarrte ſie an aus dem ſchwarzen Waſſer mit den zwei weißen Schwänen. Und der Chor der ſtillen Monde begleitete die Elegie in ihrem Herzen. Mit Bitterkeit, faſt mit Ekel ſann ſie: was iſt die Liebe! Niemand hat ſie je definieren können. Der Vater nannte ſie „das pſychologiſche Zentral⸗ myſterium“. Adrian liebte ſie aus Gefälligkeit gegen Anne Marie, ſie ihn in eiferſüchtigem Haß. Unmeßbar, unwägbar, die erotiſchen Attrak⸗ tionen. Vielleicht iſt ihre Erklärung ſo einfach, daß 217 der Stolz auf unſer hohes Menſchentum ſich gegen dieſe nüchterne Einfachheit ſträubt. Vielleicht ſind ſie nichts, als die magnetiſche, zaubergewaltſame Wirkung phyſiſcher Emanationen — Ausſtrömungen — des einen Menſchen auf den andern. Reichenbach hat das „Od“ entdeckt. Od nennt er dieſe Aus⸗ ſtrömungen, und er beweiſt an zahlloſen Senſitiven ihre anziehende oder abſtoßende Wirkung. Es ſchien ihr durchaus möglich, daß man einen Menſchen, dem man eigentlich gar nicht gut iſt, in einer gegebenen Stunde raſend lieben kann. Eine kopf⸗ und herzloſe Liebe, geboren aus der Werdekraft drängender Früh⸗ lingsſäfte. Kein Singen und Sagen — ein Schrei der Liebe. In Frühlingsſchauern der Natur umarmt Semele einen Schatten. Das vielleicht ein Symbol der Liebe? Ja — nie möchte ſie ein Kind anders als in der Ekſtaſe des Frühlingsrauſches empfangen. Und der, der die Liebe beſchränken will, be⸗ ſchränkt er nicht die Entwickelung der Menſchheit? Und plötzlich fiel ihr etwas ſchwer auf's Herz. Ein dumpfes Ahnen. Sie lief, lief, als wollte ſie einer beängſtigenden Vorſtellung entrinnen. 218 Als ſie nach Hauſe kam, war eben eine Depeſche eingetroffen: Theodor Stern war tot. Gotthold Ru⸗ land konnte wegen eines wichtigen Prozeſſes nicht abkommen. So verſtand's ſich faſt von ſelbſt, daß Adrian Frau Harriet nach Tirol begleitete. Noch am Abend reiſten ſie ab. In der großen Erregtheit, die das Ereignis und das vorausſichtliche Wieder⸗ ſehen mit Anne Marie mit ſich brachte, nahm er nur einen flüchtigen und befangenen Abſchied von Chriſta. Faſt unmittelbar nach dem Begräbnis kehrte er mit Frau Harriet zurück. Die Mutter hatte bei ihrer Tochter bleiben wollen. Anne Marie hatte es nicht gelitten. Sie brauche vorläufig abſolute Einſamkeit. Sie wolle auch keine Briefe von zu Hauſe, auch von Chriſta nicht, nichts, nichts, nur Ruhe. Sie hatte ſich geweigert, Adrian zu ſehen. Er kam verdüſtert zurück, in tiefer Trauer, als käme er vom Begräbnis einer geliebten Perſon. Er hatte auch etwas begraben. Chriſta ahnte, was in ihm vorging. Anne Marie war frei, er nicht. Die Brücke, die ſich zwiſchen ihr und ihm zu bilden ſchien, war wieder abgebrochen. Es giebt wenig Verhältniſſe im Leben, dachte ſie, die einen Stillſtand vertragen. Vorwärts oder rück⸗ wärts. In unſerer Ehe hätten wir uns allmählich näher kommen müſſen, oder wir mußten uns mehr und mehr voneinander entfernen. Das letztere iſt geſchehen. Er merkt es wohl kaum. Und merkt er es 219 endlich, und er ruft mich vielleicht zurück, ſo bin ich möglicherweiſe ſchon zu weit von ihm fort und ich höre ſeinen Ruf nicht mehr. Daß es Frank war, der ſie weiter und weiter von Adrian fortlockte, geſtand ſie ſich nicht ein. Frank kam nun faſt täglich. Meiſt in der Dämmerſtunde zum Thee. Er ſuchte Chriſta in politiſche Gedankengänge einzuführen und für ſeine ehrgeizigen Pläne zu intereſſieren. Bald war ſie ganz bei der Sache. Er wollte ſich in den Reichstag wählen laſſen. Seine politiſchen Aufſätze machten ſeit einiger Zeit Aufſehen, erregten, je nachdem, be⸗ geiſterte Zuſtimmung oder Entrüſtung. Hervor⸗ ragende Perſönlichkeiten erkannten ſeine ungewöhn⸗ liche politiſche Capacität, waren aber weit entfernt, ihm als Politiker Geburtshilfe zu leiſten. Er hatte kein geſchloſſenes Parteiprogramm. Er ſah ſich als Führer einer Partei, die erſt noch zu gründen war. Eine radikale Partei mit Hinzuziehung des rechten Flügels der Sozialdemokratie. Der linke ſtieß ihn ab. Nicht weil er zu radikal war, aber wegen ſeiner ſtarren Dogmatik und weil er ab und zu noch mit Schlagwörtern und Phraſen operierte. Das haßte er. Daß ſeine Chancen gering waren, wußte er. Weder 220 Talent zur Intrigue, noch Geſchmeidigkeit, noch Freunde, noch Konnexionen ſtanden dem Einſamen zu Gebot. Reüſſierte er nicht, ſo ſollte der zweite Plan zur Ausführung kommen. Die Gründung eines großen politiſchen Blattes. Eine Zeitung, rein, vor⸗ nehm gehalten wie eine Tempelhalle, aus der er das ſchachernde Geſindel fortgeißeln würde. „Ha, ich verſtehe, Herkules reinigt den Augias⸗ ſtall der Preſſe.“ Sie liebte es, Frank ein wenig zu ironiſieren. Er ließ es ſich gern gefallen, wie der Löwe das Spiel eines Kätzchens, und rächte ſich dann dafür durch irgend eine heimlichleiſe Liebkoſung. Er ſetzte ihr auseinander, welch eminenten Ein⸗ fluß eine ſolche Zeitung auf die Kulturwelt gewinnen könne, in einem Zeitalter, wo die Preſſe eine kaiſer⸗ liche Macht ſei. Chriſta blinzelte ihn ſchelmiſch an. „Hm! eine Kaiſerin abſolut, wenn — u.ſ.w. Wofür mußten denn Euer Gnaden brummen? Er zuckte zuſammen. „Wir werden die Kunſt lernen, den Dolch unter Blumen zu verbergen.“ „Gott! ich glaube, Sie denken ſich ſchon ver⸗ ſchiedene Dolche aus und vergiften ſie noch obendrein. Ihr Temperament iſt Ihr Feind. Immer gleich wollen Sie unter Säulen Philiſter begraben — Simſon Sie! „Den liebte Dalila. 221 Seine Augen waren blau geworden und weich ihr Blick. „Aber Frank, wir reden doch Politik. Sie erwogen gemeinſam, ob ſie beide vielleicht als Redner auf einem Wanderzug durch Deutſchland Propaganda für ihre Ideen machen ſollten, was gleichbedeutend geweſen wäre mit den vorbereitenden Schritten zu einer Reichstagskandidatur. Chriſta war Feuer und Flamme für den Plan. Die Idee der Volksrednerin tauchte in ihr wieder auf. Bald aber ließ ſie den Kopf hängen. Ihr Wiſſen würde nicht ausreichen. Sie hatte ja ſo bald die Studien wieder aufgegeben. Und dann — ſie ſagte es nicht ganz ernſthaft — müßte ſie nicht vorher ihrem Mann und der Ehe entlaufen? Na, vielleicht thäte ſie es auch. Etwas lag in ihrem Ausdruck, das dem Ernſt des Gegenſtandes nicht entſprach. Er ſah ſie an. Sie lag hintenüber in einem Fauteuil, das ganze zartgliedrige Perſönchen im weißen, fließenden Gewand, in den dunklen Sammet hineingeſchmiegt. Ein holdes Tanagrafigürchen mit dem entzückend geiſtreichen Profil, dem weichen Mund und den träumeriſchen Augen. Eher eine aſketiſch angehauchte Muſe als eine draufgängeriſche Agitatorin, dachte er. Er nahm ihre Hand, küßte die feinen Finger an dem einen trug ſie einen Ring mit einem Rubin⸗ und ſchüttelte langſam und lächelnd den Kopf. 222 „Sie ermachen's nicht, Tanagrapüppchen! Wer ſich das Morphium abgewöhnen will, ſtirbt leicht an der Entziehungskur. Unſere Einkapſelung in die Geſell⸗ ſchaftsordnung mit ihrem Zubehör von Geſetzen und Kodexen iſt eine Art Narkotiſierung. Ja, wenn Sie ein Herkules von Charakter, oder ein halbtotgepeinig⸗ ter, rachedürſtender Simſon wären (mit dem mich zu vergleichen Sie eine ſo ausgeſprochene Neigung haben), dann ließe ſich über die Sache reden. Alſo — lieber auf die Eſelsbrücken! zu den Kompromiſſen! Die Geſellſchaft ſelbſt ſcheint ja die Geſetzesbande, in die ſie z. B. die Liebe, die freiheitſüchtigſte und beflügeltſte aller Weſenheiten, hineingeknechtet hat, als ein Naturwidriges zu empfinden. Drückt ſie nicht beide Augen zu, wenn wir auf Schleichwegen, durch Hinterthüren ins Freie gelangen wollen? Eine große Schmuggelgeſellſchaft, die Kulturwelt.“ „Schmuggeln die Adelsmenſchen auch, Frank? Die Frage reizte ihn ſichtbar. Mit einer ſou⸗ veränen Gebärde, als wäre, mit der Erdkugel Ball zu ſpielen, ihm eine Kleinigkeit, ſagte er voll Hohn: „Um dieſer Welt willen ein Martyrium auf ſich nehmen! Wer iſt ſie denn, dieſe Welt! die Menſchheit hat ihren Größenwahn wie der Einzelne, den Wahn, daß ſie um jeden Preis exiſtieren muß. Warum muß ſie denn? Sie hält ſich für das enfant gäté des Weltalls, und iſt vielleicht nur ihr enfant terrible.“ „Mit einem Wort,“ ſagte ſie ſpöttelnd, „die Welt iſt eine Art Ueberbrettl. 223 Und ſie duckte ſich in ihren Armſeſſel, als fürchte ſie, von ihm geſcholten zu werden. Er ſtrich ſanft über ihren Scheitel. „Nun, Chriſta, ſind wir ein bischen Herkules oder Simſon?“ „Ach nein.“ Es kam kleinlaut heraus. „Die Luſt zum Davonlaufen iſt mir ſchon vergangen, ob⸗ wohl ich gar nicht ſo viel dabei riskierte wie andere. Die ſinken gewöhnlich von Stufe zu Stufe, meiſtens weil ſie kein Geld haben. Mir bliebe immer noch mein Vater. Der ließe mich nicht im Stich. Was mich ſchreckt, das ſind die Gefährten, die man da draußen träfe, wüſte Geſellen mit der Poſe der Genialität, aber gänzlich ohne dieſe; und ſie nennen ihre Wüſtheit Loslöſung von Vorurteilen. Meinen Sie nicht, Frank, es müßten gerade die Vornehmſten, die Adelsmenſchen ſein, die Seelenariſtokraten, die ſich zuerſt in ſouveränem Stolz von der Geſellſchafts⸗ knechtung emanzipierten, vorausgeſetzt natürlich, daß ſie die „Umwertung aller Werte“ in ihrem Denken bereits vollzogen haben. Aber dieſe Vollwüchſigen — es fällt ihnen nicht ein, ihr Leben und Denken in Einklang zu bringen. Wozu der Zukunft die Kaſtanien aus dem Feuer holen? Sie haben die Zwangsehe mit der Vernunft abgeſchafft, denken aber nicht da⸗ ran, in einer freien Ehe zu leben. Sie ſind Atheiſten, bleiben aber in der Kirchengemeinſchaft, bleiben, ob⸗ wohl ſie auf die Kirchenſteuer fürchterlich ſchimpfen. Und ſo auf allen Gebieten. Und da ſollte ich — ach 224 Gott, ich glaube, ich habe nicht einmal zum Ibſen⸗ ſchen Menſchenfeind Talent.“ Frank ſah ſie mit leuchtenden Blicken an. „Ich bringe Ihnen das Buch, von dem ich ſprach. Ein Verwandter Adrians war zum Botſchafter in Konſtantinopel ernannt worden. Man bot Baron Lützow eine hervorragende Stellung in der Geſandt⸗ ſchaft an. Er teilte Chriſta nur die Thatſache des Anerbietens mit. Er hatte ſich Bedenkzeit erbeten. Er hoffte Chriſtas Zuſtimmung zu gewinnen, die eine Löſung ihrer Beziehungen zu Frank Richter bedeuten würde. In einer ganz neuen Umgebung, unter neuen Lebensbedingungen würde ſie vielleicht eher vergeſſen und — vergeben. Die Vorſtellung, daß Chriſta eines Ehebruchs fähig ſei, war für ihn ausgeſchloſſen. Aber die Miß⸗ deutung, die ihr Verhältnis zu Frank in der Geſell⸗ ſchaft erfahren mußte, peinigte ihn. Dazu kam, daß dieſer Mann ihm perſönlich widerwärtig war. Eine ſtolze Scheu hatte ihn gehindert, jemals mit ihr über ihre Beziehungen zu Frank zu ſprechen. Die Ausſprache in der Botſchaftsangelegenheit verſchob er von einem Tage zum andern. Er war Dohm, Chriſta Ruland. 15 225 nicht einig mit ſich, was er thun ſollte, wenn ſie „nein“ ſagte. Inzwiſchen geſchah etwas für ihn Schickſal⸗ volles. Monate waren verſtrichen, ſeit Chriſta den letzten Brief an Anne Marie geſchrieben. Ab und zu war eine nichtsſagende Karte der Schweſter an die Mutter eingelaufen, die nichts Beunruhigendes enthielt. Chriſta war überzeugt, daß Anne Marie ſich in einer tiefen Gemütsdepreſſion befände. Sie ſelbſt hatte ein großes inneres Erlebnis gehabt, vielleicht konnte ſie ein Echo davon in der geliebten Schweſter er⸗ wecken und ihr damit neuen Lebensmut geben. Und ſie ſchrieb ihr: „Du meine traurige Schweſter, meine Vielge⸗ liebte; lange, lange habe ich geſchwiegen. Ich wußte wohl, Du wollteſt keine Briefe, ich hätte aber doch geſchrieben, wenn nicht — — O Anne Marie, meine Gedanken gingen andere Wege. Ein Stern iſt über mir aufgegangen. Der Stern iſt ein Buch. Frank Richter hat es mir gegeben. Stirners: „Der Einzige und ſein Eigentum.“ Und nun ſchreibe ich Dir. Ich will Dich mit emporreißen auf meinem Flug, heraus aus Deinem Grabgewölbe, hinein in den Ozon, der um meine Berggipfel weht. Es war für mich, die 226 philoſophiſch Ungeſchulte, nicht leicht, das Buch zu leſen. Als ich es bei Seite legte, fiel mir eines Dichters Wort ein: „Ein jeder iſt geboren, König zu ſein und Prieſter der eigenen Gottesnatur.“ Von wenigen Stellen abgeſehen, iſt es kalt, nüchtern geſchrieben, und iſt doch wie ein Leuchtturm, der weithin über Weltmeere und Wüſten ſein großes ſtilles Licht ergießt. Ein gewaltiges Buch. Ein Jungbrunnen für Zeitalte, eine Majeſtät ohne Purpur und Krone, die alle Pſeudoherrſcher in den Staub zwingt. Ein Titane, der nicht nur einen Himmel ſtürmen will, der hundert Himmel wirklich ſtürmt. Das Gefühl einer immenſen geiſtigen Kraft durchdringt mich nun. Aus dieſem Buch iſt mein Wille und mein Wollen geboren und mein Stolz, mein frohlockender Stolz. Bin ich heute noch keine Eigene, ich werde es ſein. Ich grüble nicht mehr. Ich ſtehe in vollſtrömendem Tageslicht. Ich werde ſchöner, elaſtiſcher. Ich habe das Gefühl, reich zu ſein, immens reich, ich möchte ſchenken, ſchenken. Mir ſcheint, nicht darauf kommt es an, daß man die letzten, ich möchte ſagen kindiſche Konſequenzen aus Stirners Weltanſchauung zieht, nicht auf ſeine Irrtümer kommt es an, ſondern auf die Kraft der Wahrhaftigkeit, mit der dieſer Seher eines neuen Jahrhunderts mit Sonnenpfeilen die herrſchenden falſchen Götter durchbohrt. Die Ideen Stirners, ſie waren ja alle ſchon in mir latent. Wie hätte das Buch ſonſt ſo auf mich wirken können. 15* 227 Höre nur nicht auf das, was die Andern ſagen: daß er ein Prediger ſchamloſer Selbſtſucht ſei, ein Entfeßler der béte humaine. Ein Schurke handelt ſchurkiſch mit oder ohne Weltanſchauung. Und wer nicht gemein iſt, kann nicht gemein handeln. Ein Wecker iſt Stirner, der mit einer Glocke läutet, aus der die Schreie aller Märtyrer aller Zeiten tönen. Und auch ein großer Entlarver iſt er. Vom Angeſicht der Welt reißt er die eiſerne Maske. Die Taſtenden, Tappenden ſtellt er feſt auf die Füße. Er hat das Wunder fertig gebracht, einen Sumpf zu bewegen. Von nun an höre ich auf, das Opfer unnützer Seelennöte zu ſein, der Spielball von Spuk und Ge⸗ ſpenſtern. Um es ganz einfach zu ſagen: ich höre auf, zu den Eſeln zu gehören, die ſich geduldig das Rückgrat brechen laſſen. Meine ſchlummernde Pſyche iſt erwacht. Sie lärmt ſogar ein bischen. Ob ich es aber bis zum „lachenden Löwen“ bringen werde? glaubſt Du? Mir iſt, als wäre ich jetzt erſt flügge ge⸗ worden, und ich fliege, fliege hinaus aus dem alten, engen Neſt unten im Schattenthal, wo es von ewigen Requiems wiederhallt, hinauf zu Bergeshöhen, zu einem neuen Neſt aus purem Gold und Sonnen⸗ ſtrahlen (bildlich, denn Glanz iſt gar nicht mein Ge⸗ ſchmack), wo über Lerchenjubel ſtumme Adler in der Höhe ihre Kreiſe ziehen. (Denke, denke, ich empfinde ſo verſtiegenes Zeug wirklich.) Die rhythmiſchen Chor⸗ 228 litaneien von ewigen Wahrheiten und heiligen Pflich⸗ ten weichen dem Solo ſelbſtherrlicher Individuen. Jemand nannte Stirner einen hohnlachenden Luzifer mit weißen, toten Augen. Aber er iſt ja der Märtyrer ſeiner Weltanſchauung geworden. Er iſt daran verhungert. Hätte er ſich irgend einem Teufel verſchrieben, an den reichſten Tafeln hätte er mit ſeinem Genie ſchwelgen können. Er und Nietzſche und noch wenige andere, ſie gehören zu den Ganzgroßen, die ſich in ihrem eigenen Licht verzehren. Intelligenz⸗ heilige, die zeugend ſterben. Schriebe ich Dir aus dem Zuſammenhang ge⸗ riſſen eine Reihe ſeiner Ausſprüche hin, ſo würde brutal klingen, was in ſeiner pfeilſcharfen, logiſchen Begründung ſo machtvoll überzeugend wirkt. Die Quinteſſenz ſeiner Menſchheitsauffaſſung iſt, daß der Einzelne, das „Ich“, der Zweck, die Geſellſchaft nur das Mittel zur Erreichung dieſes Zweckes iſt, daß der Glaube an irgend welche Autoritäten, die mir heilig ſein ſollen (Staat, Familie, Kirche, der Menſch), ein Spuk, ein Sparren, ein Geſpenſt iſt. Daß jede Wahr⸗ heit einer Zeit die fixe Idee derſelben iſt, daß wir nicht blos am Profanen rütteln ſollen — wagen ſollen wir den Sprung hinein durch die Pforte des Heilig⸗ tums ſelber. — „Wenn Du das Heilige verzehrſt. haſt Du's zum Eigenen gemacht. Verdaue die Hoſtie, und Du biſt ſie los.“ Du mußt das Buch ſelbſt leſen, und es wird Dir ſein, als hätteſt Du den Hals aus einer Schlinge 229 gezogen. Ich ſchicke Dir den „Einzigen und ſein Eigen⸗ tum. Chriſta kam nicht dazu, den Brief abzuſchicken. Zugleich mit der Nachricht vom Hinſcheiden Anne Maries gelangten die letzten Aufzeichnungen der ge⸗ liebten Schweſter in ihre Hände. „Mein Chriſtelchen, ich liege im Bett, ich habe Euch hintergangen. Ich werde nicht wieder aufſtehen. Ich komme nie mehr zu Euch. In der Einſamkeit auf Theos Gut habe ich angefangen, ein Tagebuch zu ſchreiben. Denke nur, ich, die ich immer ſo viel lieber die Füße tanzen ließ als die Feder! nun mußte doch die Feder dran. Vor einigen Tagen habe ich das Büchelchen verbrannt, bis auf die wenigen Blätter, die ich Dir nun ſchicke — mein Schwanenlied — das heißt, ein Singen iſt es nicht, auch nicht wie der Schrei des wilden Schwans, nur abgeriſſene Töne, eine Leier, an der eine Saite nach der andern ſpringt. — Ach Gott, zu guterletzt kriege ich noch eine poetiſche Ader — das iſt vielleicht immer ſo beim Verbluten. Addio, Du meine Schweſter, Vielgeliebte Du! Komme ich in den Himmel, ſchicke ich Dir von da oben Engelsgrüße. Thue die Blätter, wenn Du ſie geleſen und verbrannt haſt, in Deine Aſchenurne. 230 In tiefer Bewegung las Chriſta die folgenden Blätter. „Sonderbar, daß ich ſo jung von hinnen mltß. Ich hätte doch hundert Jahre alt werden müſſen. So geſund wie ich immer war und ſo lebenslieb. Das Sterben fing vielleicht ſchon damit an, daß ich nicht Tänzerin werden durfte, weil Tänzerinnen ſo leicht über die Stränge ſchlagen ſollen. Ach Gott, was das anbelangt — — keine Selbſtvorwürfe, Anne Marie, Du warſt eben, wie Du ſein konnteſt. Ich trug beim Tanzen immer nur ein diinnes, langes, faltiges Gewand, eine Art Lufthemd. Schau⸗ derhaft, die breiten wüſten Maſſen von Tüll und Seide, die den Körper der Berufstänzerinnen zu einem lächerlichen Monſtrum aufblähen. Alle Künſte fielen für mich in der einen zu⸗ ſammen. Ich dichtete mit den Füßen. Meine kleinen, roſenroten Flügelfüße (Theo nannte ſie immer ſo), ſie waren das Schönſte an mir. Schade, ſchade, daß ſie mit begraben werden müſſen. Mein Gebärden⸗ ſpiel war die Muſik dazu und die Plaſtik — oft ſtellte ich mich in kühnen oder neckiſchen oder ſchmachtenden Poſen vor den Spiegel, und war dann ſelbſt entzückt über das Bild im Spiegel. Wie ich die Kunſt des Tanzens verſtand und liebte! Mir ſchien, ſie war wie ein Los von der Erdenſchwere. Tanzend fühlte ich mich faſt als ein Luftgeſchöpf. Ich begreife, daß für die Alten ein 231 religiöſes Element im Tanze lag. Gewiß, wenn ich lange tot bin, vielleicht erſt in hundert Jahren, wird man die weihevolle Schönheit in der Tanzkunſt von neutem entdecken. Und weil ich nicht Tänzerin werden durfte, da ſchlug das Tänzerliche nach innen. Mein Leichtſinn, der war nicht böſe gemeint. Ein paar Luftſprünge der Ausgelaſſenheit, ein Verſchenken aus Ueberfülle. Es giebt ſo viel Darbende. Und dann — den Theo konnte ich doch nicht ſo lieben, nicht ſo. Und wir Frauen gehören doch nun einmal zu der Vogelſorte, die man Inſsparables nennt. Es müſſen immer zwei ſein. Und ſtirbt das eine, geht das andere ein. Und da gehe ich ja nun auch ein. Und den Theo nahm ich auch nur aus Leicht fertigkeit und weil Mama es ſo wünſchte, und weil er ſo mächtig reich war, und hauptſächlich, weil er die Tänzerin in mir ſo gut verſtand und ſo ſehr liebte. Und ich, ich liebte ihn als mein Publikum, ein ſo raſend dankbares Publikum, und als er dann ſo elend wurde, da hatte ich ihn lieb, weil er meine Liebe und Pflege ſo ſehr brauchte. Aber das Kindchen — es machte ſich gleich wieder davon — das hätte ich nicht haben ſollen. Ein paar Jahre habe ich mich himmliſch amü⸗ ſiert, bis er — bis Adrian kam. Alles was ich an Seele und Sinnen hatte, konzentrierte ſich auf ihn. Und als Chriſta — ich wollte es ja — ihn heiratete, da habe ich etwas Frevelhaftes gethan. Mit einer Diamantnadel habe ich ſeinem Bilde die Augen aus⸗ 232 geſtochen, es war ſo eine ſpiritiſtiſch⸗myſtiſche, geiſter⸗ weltliche Anwandlung. Blind ſein ſollte er, nicht ſehen, daß Chriſta mehr war, als ich, viel, viel mehr. Ich glaubte ja natürlich nicht daran, ſonſt hätte ich's wohl nicht gethan, aber in einem geheimen Winkel meines Herzens glaubte ich doch daran. Und es iſt doch ſo geworden, wie ich wollte. Wollte? aber ich wollte es doch auch wieder nicht, war ſo böſe auf Chriſtel, daß ſie meinen Adrian nicht glücklich gemacht hat. Und ich glaubte, ſie liebte ihn, und nun thut ſie es gar nicht. Und ich gab ihn ihr doch in einer ſo guten, beinah edlen Regung, ob⸗ gleich Paſſionsblumen mir nicht ſtehen. Anne Marie! Anne Marie! bleibſt Du bei der Stange der Wahr⸗ heit? Dachteſt Du nicht — ſo ganz nebenbei nur — als Chriſtas Gatte bliebe er Dir nahe? Und — — ach, ich weiß es nicht mehr. Wäre ich doch ſeine Geliebte geworden! Ich würde jetzt nicht ſterben, nie ſterben, und Theo lebte auch noch, und Chriſta hätte wohl den Philoſophie⸗ profeſſor gefunden, um Welträtſelideen mit ihm aus⸗ zutauſchen. Meinen Adrian, den verſteht ſie ja doch nicht, verſteht nicht, daß man den lieb haben muß, nur weil er es iſt, aus ſonſt gar keinem anderen Grunde. Die Winterszeit in Florenz mit dem kranken Theo, die war traurig. Seine Blicke ruhten immer auf mir, und ſie flehten: Sei doch luſtig! Ich ver⸗ ſuchte es ja. Ich hüpfte wie ein verrücktes Eichhörn⸗ chen, ich lachte mit ſilbernem Lachen, ach nein, blechern 233 war's. Ich ſah, wie er ein paar Mal ſchauderte, wenn ich lachte. Und einmal ſagte er: „Es thut mir ſo leid, ſo ſehr leid, daß es Dir nun nichts mehr nüitzt, wenn ich gehe.“ Ach Gott, ich grämte ihn, grämte ihn aus dem Leben heraus, den armen Theo. Und immer mußte ich mich licht und farbig kleiden. Das wollte er, und ich trug ein Kleid — er hatte es mir kommen laſſen — von ſeidigem indiſchen Muſſelin, von zarteſter Perlmutterbuntheit. Einen feingegliederten, metalliſch glänzenden Gürtel dazu, mit Edelſteinen beſetzt, und ebenſolche Achſelbänder. Mein ſchwarzes Haar tief im Nacken loſe geſchürzt. Er fand, ich ſähe wie eine morgenländiſche Prinzeſſin aus. Im Garten von Florenz! Wie da alles in Urſchönheit durcheinander quirlte und tollte, ſtrotzend in lachender Pracht. Es quoll über die Mauern, drängte ſich aus dem Schoß der Erde, überwucherte die Steinfiguren. Und der Raſen voll von Anemonen, und darüber ſprühte die Fon⸗ taine funkelnde Tropfen. Und da vertrocknete er und ich ein bischen mit ihm, in meinem morgenländiſchen Prinzeſſinnenkleid. Und an einem Tag war er ſo ſchwach, ſo ſchwach. Ich durfte nicht von ſeiner Seite weichen. Seine Hand lag ſchwer auf meinem Kopf. Seine ge⸗ ſprungenen, kranken Lippen ſuchten meinen Mund. Und ich — ich wendete das Geſicht fort. Da ſchob er mich ſanft von ſich. Er hat kein Wort mehr ge⸗ ſprochen. Er nickte nur immer mechaniſch mit dem 234 Kopf vor ſich hin. Am andern Tag ſtarb er. Ich hatte ihm die letzte Liebkoſung geweigert. Auf ſeinem ſchönen Gute in Tirol, da habe ich ihm ein fürſtliches Grabmal errichten laſſen. Und täglich in der Morgenfrühe und bei Son⸗ nenuntergang liege ich in der kleinen Kapelle zu Füßen des Sarges, eine verzweifelte, verſtörte Witwe. Und die Leute wundern ſich darüber, weil Theo doch ſo ein alter Herr war und ſeine Pflege ſo mühſam. Ach ſie wiſſen nicht — wiſſen nicht — niemand weiß es. Ein Schlangenneſt iſt in meiner Bruſt, und die Giftſchleichen trinken mein Blut. Und ſie ziſchen, ziſchen. Was ſie ziſchen — zum Wahnſinnigwerden. Der arme Theo, ich habe ihn ſo gepeinigt. Er hat mich ſo grenzenlos lieb gehabt, und nun fehlen mir ſeine entzückten, dankbaren Blicke. Theo, das Kind, das ich pflegte und in der Pflege ſo lieb hatte. Und dann wieder war ich böſe auf den Toten. Wenn er doch ſo bald ſterben mußte, warum nicht zwei kleine Jahre früher. Oft iſt mir, als läge Adrian im Sarge, nicht Theo, und ich wäre ſeine Witwe. Ich bin es auch. Ich habe ihn jetzt erſt ganz verloren. O, das Gefühl des Haſſes gegen Alles und Alle. Haß gegen den Arzt, der mich betrog, als er ſagte, daß Theo noch zehn oder zwvölf Jahre leben könne. Haß gegen Chriſtel, die meinen Adrian nicht lieben will, und Haß auch gegen Dich, Du Geliebter, daß Du Dich zu Chriſta überreden ließeſt. Wer weiß, am Ende liebteſt Du ſie heimlich, die kluge Schweſter. Hätteſt 235 Du mich ſonſt verlaſſen? Du haſt mich verlaſſen! haſt mich verlaſſen! Warum haben wir denn nicht gewartet! Warum nicht! Und vergebens habe ich das Opfer gebracht. Das frißt mir das Herz. Ein wilder, zäher Trotz iſt in mir. Recht iſt's, recht, daß ich ſo in der Blüte — — ich bin ja noch ſo ſehr hübſch, ſo leuchtend die Augen, die Lippen ſo rot! Ich will ja ſterben, ich habe den Tod zu mir gezwungen. Leben! wie denn? wovon denn? Ich fühle, wie mir täglich die Kälte der Steine durch die Glieder kriecht. Sie ſoll höher kriechen, höher, bis zum Herzen hinauf. Ich habe mir eine Neuralgie geholt. Ich nehme Morphium. Und an einem Tag — ich lag im Morphium⸗ fieber am Fuß des Sarges. Die letzten Sonnen⸗ ſtrahlen tauchten die Kapelle in eine Glorie. Etwas Unheimliches, zwiſchen Grauen und Süße, atmete in der zitternden Luft, ſchwebte aus der Säule rot⸗ ſchimmernden Staubes zu mir nieder. Fieberphantaſieen! Aus dem roten Sonnenſtaub kamen ſie. Es glühte mich an, es brannte in mir. Und die Blumen dufteten — ſüßgiftig dufteten ſie. Und es war, als ob all ſeine tote Liebe aus dem Sarge quölle — Adrians. Mein Herz klopfte! klopfte! Und es rief ihn! rief ihn! Und er kam — er kam — er war da. Ich lag an ſeiner Bruſt. Ich trank ſeine Küſſe . . . an Theos Sarg. Und er ſah es — er — Theo — er ſah mich mit Adrian. Heiße Tropfen fielen auf mein Geſicht. Er weinte — Theo. Ich kroch in eine Ecke und ſtarrte 236 auf den Sarg. Und da — da hob ſich der Deckel — was würde kommen? — — Und es kam — ein Ge⸗ ſicht — — Adrian! Adrian! Ich ſank bewußtlos auf die kalten Steine. Ich weiß nicht, wie lange ich da gelegen. Seitdem bin ich krank. Erſt Influenza, dann ein ſchleichender Lungenkatarrh. Ich habe es gewollt. Später erfuhr ich, das Dach der Kapelle wäre ſchadhaft. Die Trop⸗ fen auf meinem Geſicht waren Regentropfen. Theo hat nicht geweint. Nun liege ich ſo, und in kurzen, kleinen Atem⸗ zügen geht das Leben fort. Nach den Schauern der letzten Zeit thut die Ruhe wohl. Ob ich Ruhe neben Theo finden werde? Wenn ich Atem genug hätte zum Lachen, ſo würde ich lachen bei der Vorſtellung, daß meine kleinen, roſenroten Flügelfüße, die nie zu ihrem Recht gekommen, nun vielleicht nächtlicherweile, wenn der Mond ſcheint, umgehen könnten. Darum ſoll man mich ins Grab legen mit ſilberflimmernden Gewändern angethan, aber meine Füße ſollen nackt aus dem Flimmerkleide hervorſehen. Auf dem Kopf einen Kranz von Cypreſſen und Roſen. Einer holden Geiſtererſcheinung will ich gleichen, wenn doch etwa — ich weiß ja, daß es nicht ſein wird. Aber man kann nicht wiſſen. Und manchmal glaube ich, daß es viel ernſthaftere Dinge geben muß, als wir im Leben erleben. Ob ich in dem wunderſchönen Grab⸗ mal mit der Taube und dem bunten Kirchenfenſter dahinter kommen werde? Ich ahne — — —." 237 Die Blätter waren zu Ende. Schwermütige Vorſtellungen umflorten Chriſtas Seele. Ihre Thränen floſſen unaufhaltſam. War nicht auch in dieſem leuchtenden Schmetter⸗ ling, in dieſem ſchwebenden, ſonnigen Geſchöpf ein Zug von Genialität geweſen? Eine Eigene, nur daß ſie ſich ihrer Eigenheit nicht bewußt war. Und doch keine Eigene. So verklammert war ſie mit allem Allzumenſchlichen. Und wurzellos war ſie, darum mußte ſie ſo bald verblühen. Warum konnten ſie nicht zu einander kommen, Adrian und Anne Marie? Weil nur ſtarke Schwimmer über die breiten, trennenden Meere der Vorurteile kommen? Chriſtas Hand fiel ſchwer auf ein Buch, das neben ihr lag. Ihre Finger zuckten. Es war der Stirner. Sie atmete tief auf. Sie ſuchte ihrer Thränen Herr zu werden. Hatte nur ihr Verſtand die Größe der Stirnerſchen Weltauffaſſung erfaßt, und ihr Gemüt war unberührt davon geblieben? Wozu denn der Lärm in ihrem Innern? Der Schmerz fällt uns an wie ein Feind. Er zehrt an unſerm Mark. Auch er iſt ein Herr, der uns in ſeinen Dienſt zwingen will. Was iſt der Gram um einen, der ſtarb? Der Gram um ein Bild in unſerm Ge⸗ dächtnis. Und ſie ruft ſich an: Löſch aus! vergiß! Und ſie löſcht Anne Maries Bild in ihrem Gedächtnis ſo gut ſie kann. 238 Adrian trat ein, bleich, verſtört. Er wußte, daß Anne Marie geſtorben und daß ihr letzter Brief in ſeiner Gattin Händen war. Vergebens rang er nach Faſſung. Er bewegte die Lippen, ohne reden zu können. Sein umherirrender Blick fiel auf die Tagebuchblätter. Mit einem flehenden Blick auf Chriſta berührten ſeine bebenden Finger die Aufzeich⸗ nungen. Ein häßliches Gefühl gewann einen Augenblick Macht über Chriſta: Rachſucht. Sie nickte und ver⸗ ließ das Zimmer. Als ſie zurückkam, war Adrian fort. Am andern Tag war er abgereiſt. Er hinter⸗ ließ einen kurzen Brief. Aus der Handſchrift erſah ſie, daß er die wenigen Zeilen in maßloſer Aufregung geſchrieben haben mußte. Anne Maries Aufzeich⸗ nungen hätten ihn tötlich erſchüttert. Er habe die ihm angebotene Stellung angenommen und ſei auf dem Wege nach Konſtantinopel. Den Zeitpunkt ihrer Wiedervereinigung habe ſie — ſie allein zu beſtimmen. Und er bat ſie, ihm ſeinen tiefen Schmerz zu ver⸗ zeihen. Das Leben lag wie neu vor Chriſta. Sie knüpfte das Band zwiſchen ſich und Stirner immer feſter, dieſem philoſophiſchen Meſſias, auf den in umge⸗ kehrter Ordnung der Johannes Nietzſche folgte. Nietzſche, zum Teil derſelben Ideen Verkünder, die 239 er wie eine geiſtige Wandeldekoration vor unſeren entzückten Blicken entrollt. Mit ihm ſind wir wie auf einem hochbewimpelten Schiff, das an immer wechſelnden, herrlichen Ufern entlang ſegelt. Aber wir bleiben auf dem Meer, immer auf der Weltreiſe. Zu keinem Hafen führt er uns. Das thut Stirner mit der diamantharten Konſequenz ſeiner Weltan⸗ ſchauung. Sie erkannte, daß wir ein Zwangsleben führen, daß wir in traditionellen Dogmen einge⸗ klammert, aus längſt vermoderten Gehirnen heraus denken und fühlen — Leichenideen. Die geiſtig Sen⸗ ſitiven ſpüren an ihnen den Duft der Verweſung. Ein Dogma, daß wir uns der Autorität der Eltern zu unterwerfen haben, wenn unſere Vernunft ſie längſt nicht mehr anerkennt. Ein Dogma, daß der Lebenskreis des Weibes ſich auf die Familie zu be⸗ ſchränken hat. Ein Dogma der Ehezwang. Man hatte ſie durchaus nicht zur Ehe gezwungen. Der Ehezwang aber war — falls einem die prieſterliche Jungfrau nicht anſtand — in der Geſellſchaftsord⸗ nung mit einbegriffen. Ihr ſchien, als wäre nie etwas Schamloſeres erfunden worden, als die ehe⸗ liche Liebespflicht. Sie klügelte und grübelte nicht mehr darüber, ob ſie dieſes oder jenes thun und ſagen dürfe oder laſſen müſſe. Ungeheuerlich erſchien ihr nun, daß wir nicht denken, nicht fühlen dürfen, was wir denken, was wir fühlen. Warum nicht? weil es nicht das Sitt⸗ liche, nicht das Wahre iſt: 240 „Die Wahrheit,“ — ſo ſpricht Stirner — „wo exiſtiert ſie? in Deinem Kopf. Wo exiſtiert der Herr? wo anders, als in Deinem Kopf? Er iſt nur Geiſt. und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubſt, da iſt er ein Geſpenſt. Du allein biſt die Wahrheit, oder vielmehr Du biſt mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts iſt. ... Man wähnt bis auf den heutigen Tag, heilige Bande brauche der Menſch. Die Weltgeſchichte zeigt, noch kein Band blieb un⸗ zerriſſen. ... Jede Wahrheit einer Zeit iſt die fixe Idee derſelben.“ Ja, ſagte Chriſta zu ſich ſelbſt, ich brauche ja nur mit einem flüchtigen Blick Länder, Völker, Zeitalter zu ſtreifen, um zu erkennen, daß Wahrheiten und Heiligkeiten von Ort zu Ort, von einem Zeitraum zum andern wechſeln, und daß die Heiligkeiten und Wahrheiten des einen Volkes dem andern als bar⸗ bariſcher Aberglaube erſcheinen. Nun, andere Menſchen ſind für mich wie ein anderes Volk mit anderen Heiligtümern, einem andern Gott, andern Tempeln. Dieſem iſt die Ehe heilig. Mir iſt ſie unſittlich, unkeuſch. Jenes Buſen ſchwillt von Patriotismus. Mir gilt ein Land ſo viel wie das andere. Und ein Chineſe kann mir lieber ſein als ein Deutſcher. Ob ich recht habe oder nicht, darüber giebt es keinen anderen Richter als mich. Sie hörte auf, Sklavin einer unfruchtbaren Gutmütigkeit zu ſein, und ſie that von ſich, was nicht mehr zu ihr gehörte. Die meiſten Menſchen, mit denen ſie bis jetzt Dohm, Chriſta Ruland. 16 241 verkehrt hatte, erſchienen ihr ſubaltern, als könnten ſie nicht denken, was ſie dachte. Sie brach den Um⸗ gang mit ihnen ab. Nur mit Maria Hill nicht, die wvar echt. Der Vater, mit dem ſie über ihre neue Weltweis⸗ heit ſprach, ſchüttelte den Kopf. „Hüte Dich, Chriſtel, daß die Geſellſchaft Dich nicht in die Ecke ſtellt oder auf die Strafbank ſetzt.“ „O,“ ſagte ſie heiter, „in dem Fall bin ich wenigſtens ſicher, daß ich ihnen nicht gleiche, nicht zu den Gehirnautomaten gehöre. Denen thut man fertige Begriffe in den Kopf, und heraus kommen alle die bemooſten, feierlichen Widerſinnigkeiten. „Immer noch beſſer Köpfe mit fertigen Be⸗ griffen, als Strohköpfe und ... Reſpektwidrig hielt Chriſta dem Vater den Mund zu. „Man kennt Dich, Epikuräerlein. Die Verwandten ihres Mannes hatte ſie bei ihrem letzten Zuſammenſein mit ihnen tötlich ge⸗ kränkt. In dem kleinen weltlichen Kreis brach Frau von Bracht wieder einmal den Stab über ein junges Mädchen aus feiner Familie, die mit dem Mann ihres Herzens auf und davon gegangen war, weil ihre Eltern die Einwilligung zu der Ehe mit dem Mittel⸗ loſen verſagt hatten. „Gott! Gott! was. für Zuſtände.“ ſchloß die fromme Dame ihre Mitteilung. „Sonderbar,“ ſagte Chriſta trocken, „daß die Eltern ihre Einwilligung nie verſagen, wenn ihre 242 junge Tochter einen reichen Wüſtling oder einen kaputen Fürſten heiraten will.“ Frau von Bracht lächelte gezwungen. „Man kennt ja Ihre paradoxen Pikanterieen, teure Kouſine. Sogar meine Jungfer haben Sie neulich verteidigt, als ich ſie etwas ſchleunig, Um⸗ ſtände halber, vor die Thür ſetzen mußte. Man hat mir ſogar mitgeteilt, Sie hätten die — junge Mutter in Ihren Dienſt genommen, was ich ſelbſtverſtänd⸗ lich nicht glaube.“ Chriſta lächelte malitiös. „O, ich that es ſehr gern. Ich halte ſogar die junge Mutter an, mütterlich für ihr Kind zu ſorgen. Der „von Brachtſche Gott“ im Buſen von Adrians Kouſine empörte ſich. Aber nur ein immenſer Augenaufſchlag klapperte: „Gott! Gott! was für Zuſtände. Sie ging, und Roß und Reiter ſah man niemals wieder. Mit Chriſta ging allmählich eine Wandlung vor. Eine kühle Vornehmheit kam in ihr Weſen. Ihre Worte, ihre Urteile wurden klar, kalt, kurz, überhebend. Sie begriff nicht, daß ſie Adrian ſo ernſt genommen. Ungeſcheut ſprach ſie ihre Meinung aus und 16* 243 ſeltſam, man ſetzte ſie nicht auf die Strafbank. Ihre radikalſten Paradoxe, ihre tollſten Umſturzeinfälle trugen ihr keine Mißachtung ein, ſie erregte bei den Leuten eine gewiſſe Scheu. Selbſt ihr Verhältnis zu Frank wurde kaum noch gloſſiert. Man zuckte nur die Achſeln über die Phantaſtin. Man fühlte den Adel ihrer Geſinnung durch und hielt für graue Theorie, was in grüne Praxis zu überſetzen, ſie keinen Anſtand genommen hätte. Ihr geiſtiger Uebermut, ihre hochfahrende Haltung hatten etwas Bezwingendes. Sie fühlte ſich ganz als Renaiſſancefürſtin. Auch an ihrer äußeren Erſcheinung modelte ſie. Die herkömmliche Kleidung mit dem ſtraffen Mar⸗ kieren der Körperformen erſchien ihr läſtig und wenig decent. Nur loſe Gewänder trug ſie, phan⸗ taſtiſche oder prächtige, oder ganz einfache, wie ihr gerade der Sinn ſtand. Sie war auch entſchloſſen, früher oder ſpäter nach Italien überzuſiedeln. Allein? das wußte ſie noch nicht. Warum im Norden leben, der ihr unſym⸗ pathiſch war? Der Süden war unendlich viel ſchöner. Sie hatte nie beſondere Heimatsliebe gehabt. Was iſt denn dieſe Heimatsliebe? fragte ſie ſich. Nichts als das Vorziehen des Bekannten. Sie erinnerte ſich an eine Scheuerfrau ihrer Eltern, die einmal, während ſie verreiſt waren, das Haus hüten ſollte. Ein ſonniges Zimmer war ihr als Wohnung ange⸗ wieſen worden. Sie hielt es darin nur ein paar Tage aus, weil ſie ſich nach dem elenden, menſchen⸗ 244 unwvürdigen Loch zurückſehnte, das ſie ihr Zuhauſe nannte. Ab und zu pflegte Chriſta, je nachdem die Laune ſie anwandelte, ein paar Tage in der Villa ihrer Eltern in Wannſee zuzubringen, die Rulands nur wenige Sommermonate bewohnten. Sie nahm dann nur ihre Jungfer mit. Die Gärtnersleute kochten für ſie. Frank durfte ſie dort nicht beſuchen, der Leute wegen. An einem ſchönen Herbſttage war ſie hinausge⸗ fahren. In der Nacht träumte ihr, ſie ſchwebe in einem blütenweißen Kleide, mit durchſichtigen Flügeln an den Schultern, durch einen Garten voller Blumen. Und die Blumen wuchſen und wuchſen. Die Stengel wurden ſtark wie Baumſtämme und die Blüten⸗ dolden wie prangende Rieſenſchalen von un⸗ ſinnigen Farben, exotiſch glühenden. Die Staub⸗ 27 fäden blendende Sonnenſtrahlen. Sie ſah den Him⸗ mel nicht mehr. Eine Angſt packte ſie. Sie flog empor und wollte über die Wunderblumen hinaus ins Freie. Aber an den Stämmen zerbrachen die dünnen Flügel. Und ſie fiel — fiel. Von ihrem eigenen Angſtſchrei erwachte ſie. Und da lag auf ihrem Bett ein Strauß von Roſen und Orangeblüten. Ihr Duft war betäubend. Er würde kommen, trotz ihres Verbots, ſie wußte es. Und er kam, am Nachmittag, nur auf eine Stunde. Mit dem nächſten Zuge wollte er zurück Sie hatten nur gerade ſoviel Zeit, um einen ſchönen Spaziergang zu machen. Der Himmel war bewölkt. 245 Sie gingen aufs Geratewohl quer durch den Wald. Durch die Bäume ſahen ſie Waſſer aufblitzen. Sie kamen an einen kleinen, von Schilf umrahmten See. Ein grüner Hügel begrenzte ihn jenſeits. Auf weichem Moos, unter einer breitaſtigen Buche ließen ſie ſich nieder. Am Rand des Horizonts hob ſich das Gewölk, und ſeinem Schoß entrollte rotfeurig der Sonnenball. Das Gewölk wurde transparent, in Golddunſt er⸗ ſchimmernd, und allmählich ergoß ein Goldſtrom ſich über die Weite des Himmels. Die Schönheit des Naturſchauſpiels unterbrach das Geſpräch der beiden. Nach einer Weile ſagte er: „Es iſt ein Gemeinplatz, daß die Natur überall Analogieen mit dem Menſchenweſen bietet. Es iſt aber richtig. Und nichts iſt natürlicher. Die „Mutter Erde“ ſagen wir. Und in der That ſind wir ihres lebendigen Leibes ein winziges Teilchen. Jede ihrer Erſchütterungen fühlen wir mit. Und zuweilen ſind es Offenbarungen.“ Er zeigte in die Landſchaft hinaus. „Sehen Sie, Chriſta, wie dieſer See von einem ſo ſeligen Grün den erglühenden Hügel umſchlingt. Und das Waſſer, das ſich leiſe erſchauernd kräuſelt, ſein Gluckſen — Seufzer. Sehen Sie die bläulich ſchmachtenden Weidenbäume, die ſich über die ſonnen⸗ getränkten Waldhütten neigen, das rötliche Strauch⸗ werk, das ſich in die knorrigen Wurzeln hinein⸗ ſchmiegt. Und im Hintergrund das Firmament in hochzeitlichem Roſenfeuer. Brauch' ich Ihnen die 246 Analogie zwiſchen dieſer Natur und — Uns zu deuten? Chriſta fühlte eine leichte Bangigkeit bei ſeinen Worten, und mehr noch bei ſeinen Blicken, in denen es hochzeitlich brannte. Sie beherrſchte ſich und ſagte ablenkend, ziem⸗ lich trocken: „Und doch iſt das Tier uns näher ver⸗ wandt als die lebloſe Natur.“ In ihrem Gedanken⸗ gang war eine leiſe Nüance von Hohn. „Eine Verwandtſchaft, an der wir leiden,“ ant⸗ wortete er ausweichend, „das heißt, eigentlich nur die Geiſtigſten unter uns, und die leiden auch weniger unter dem Zwieſpalt zwiſchen Tier und Menſch als an dem zwiſchen Tier und Uebermenſch. Unter Ueber⸗ menſch den verſtanden, der in ſeinen höchſten Mo⸗ menten gewiſſermaßen als ſein eigener Gott über den Niederungen ſeiner Alltagsmenſchlichkeit ſchwebt. Die indiſchen Brahmanen ſtreiften das Tier ab, aber damit zugleich den Menſchen. In dem Ausgelöſcht⸗ ſein ihrer Sinne verſtummte das Leben überhaupt. Nur ein einziger Nerv vibrierte noch in ihnen, und auch der nur, wenn ein Gott daran rührte. Bei den Intellektuellſten unter uns, da laufen Tier und Uebermenſch nebeneinander her. Bald in der primitiven Derbheit ſinnlicher Genüſſe — das Tier; bald in den Regionen reinſten Denkens und Schauens — der Uebermenſch. „Und keine Harmonie iſt zwiſchen ihnen möglich? Er ſah ihr tief in die Augen. 247 „Wie ſchön Du biſt, Holdeſte. — Ja, es giebt eine Stunde der Harmonie zwiſchen Tier und Ueber⸗ menſch. Siehſt Du dieſe Liebesekſtaſe zwiſchen Him⸗ mel und Erde? Sie merkte die veränderte Anrede nicht. Es machte ſich ſo ſelbſtverſtändlich. „Die hymniſche Schönheit zweier Elitemenſchen in der Umarmung, das iſt die Harmonie, die Kon⸗ zentration aller Natur⸗ und Seelenkräfte in trunkener Schöpferwonne, das iſt die goldene Brücke, auf der das Allzumenſchliche mit dem Uebermenſchlichen ſich begegnet.“ Er umfing ſie mit ſtarker Leidenſchaft. Er hob ihren Kopf zu ſich empor und küßte ſie. Das Firmament ſtand in Flammen. Und Raum und Zeit ſchien ihr in dieſem einen langen Kuß in einer Senſation unvergleichlich ſinnlich ſeeliſcher Schönheit zuſammenzufließen. Ein Juchhe und ein Kichern klang durch den Wald. Einen jungen Burſchen mit ſeinem Mädchen ſahen ſie durch die Bäume herankommen. Sie erhoben ſich haſtig. Seine Zeit war auch um. Sie brachte ihn zur Bahn. Beide ſchwiegen. Goldene Herbſtblätter rieſelten auf ſie nieder. Ein ſchimmernder Dunſt, wie ſtillen Abendſegen, ver⸗ ſchwebte am weſtlichen Himmel. Natur⸗ und Seelen⸗ pracht war in ihnen. 248 Julia hatte ſich in der letzten Zeit ſelten bei Chriſta ſehen laſſen, aus Scheu vor Adrian und Frank Richter. Beide begegneten ihr nicht freund⸗ lich. Den Kritiker hatte ſie anfangs aus naheliegen⸗ den Gründen umſchmeichelt. Er kränkte ſie aber dauernd durch gröbliche, auf ſie gemünzte Wahr⸗ heiten. Als ſie einmal in eine ihrer üblichen Frei⸗ heitsſchwärmereien ausbrach, dämpfte er ihren Enthuſiasmus mit der Aeußerung: ſie bräche ihre Ketten, wie ein Sklave ſie bricht, der ſich dann an ſeiner Tingeltangelfreiheit berauſche. Denkfreiheit müſſe der Freiheit der That vorausgehen. Er habe ſie aber im Verdacht, daß ſie mit böſem Gewiſſen über die Stränge der Sitte ſchlage, immer mit dem Poſſenrefrain im Sinn: „Papa ſieht's ja nicht.“ Ein andermal ſtichelte er auf Schriftſtellerinnen, die mit einem bischen Inſtinkt für Zeitgefühle ſich als Sybillen und Pythias aufſpielten; oft nur ſchlaue Horcherinnen, Späherinnen und geſchickte Abſchreibe⸗ rinnen. Nun war ſie doch wieder gekommen, aber nur um Abſchied zu nehmen. Sie ſtand im begriff, eine längere Reiſe anzutreten, und machte allerhand An⸗ deutungen von einem kühnen, bevorſtehenden Er⸗ eignis. Und wie ſah ſie aus! Vernachläſſigt, verwildert. Das bekannte weiße Kleid grauſchwärzlich geworden, mit noch mehr Flecken als früher, ein gelbes Band um den Hals, deſſen Ränder ſchwärzlich und klebrig 249 ſchimmerten. Ueber dem zottligen Haar ein zu großer Rembrandthut mit viel zu viel Federn. Glühend rote Backen, und um dem Ganzen ein Relief zu geben, einen herrlichen Strauß friſcher gelber Roſen und Veilchen am Buſen. Chriſta ſah immer nach der Thür, ob Frank nicht etwa eintreten würde. Sie hätte ſich ihrer Freundin — ihrer einſtigen Freundin geſchämt. Erſt dachte ſie daran, ihr ernſthafte Vorſtellungen zu machen. Wo⸗ zu? Sie kann ja doch nicht aus ihrer Haut fahren. Mit dem Blick aber auf das klebrige gelbe Band und das abgetragene Kleid kam doch Mitleid über ſie und die Neigung, ihr ein ſauberes, hübſches Kleid zu ſchenken. Julia nahm gern Geſchenke, und ſicher, ſie hatte auf das Geſchenk eines Kleides ge⸗ rechnet; warum hätte ſie ſonſt mit einem ſo weh⸗ mütigen Ton von einem zweckmäßigen Reiſekoſtüm geſprochen, das anzuſchaffen ihre Mittel nicht er⸗ laubten? Chriſta unterdrückte ihre mitleidige Regung. Julia war auf abſchüſſiger Bahn. Kein Reiſekoſtüm würde ſie aufhalten. Sie zu beſchenken, kam ihr vor, als wollte man einem Bettelnden, der nach Schnaps riecht, Geld geben, obwohl man weiß, daß er ſich neuen Schnaps dafür kaufen wird. Julia nahm einen ſtürmiſchen Abſchied von Chriſta. Vielleicht würden ſie ſich nie wiederſehen. Auf der Schwelle ſchon ſagte ſie: „Verlaß Anſelma nicht.“ Und ſie zog ein paar Veilchen aus ihrem Strauß und reichte ſie Chriſta. Die that, als ſähe ſie 250 es nicht. Die Veilchen fielen zu Boden. Als Julia fort war, nahm ſie unwillkürlich die Veilchen auf und warf ſie in die Aſchenurne. „Warum thue ich das nur ſo heftig?“ dachte ſie. „Verlaß Anſelma nicht!“ ſie hatte es mit einer ſo eigentümlichen Betonung geſagt. Am Abend deſſelben Tages erfuhr ſie von Frank Richter, daß Julia König, die ſo lange nach der blonden Beſtie geſucht hatte, mit Anſelmas ſchwarzen Sataniker davongegangen war. Die arme Anſelma! die Allzuleidenſchaftliche! Wie würde ſie's tragen? Chriſta ſuchte Anſelma in ihrem Atelier auf. Als ſie eintrat, ſtand die Malerin vor dem Kamin mit einem Bild in der Hand. Sie ſah ſich kaum nach Chriſta um. „Du kommſt gerade zu einem Autodafé ſagte ſie mit höhniſch verzerrten Lippen. Und das Bild flog ins Feuer. Chriſta erſchrak über Anſelmas Ausſehen. Schön und furchtbar war ſie. Sie hatte ein Atlaskleid von verblichenem Weiß an, das in ſchweren Falten an ihr niederglänzte. Der Knoten des nachtſchwarzen Haars lag ihr tief im Nacken. Ein welker Lorbeer⸗ kranz hing ihr im Haar. 251 „Es iſt das Hochzeitskleid meiner Mutter aus der Truhe,“ ſagte ſie erklärend, „meine anderen Kleider ſind alle verbraucht, und man will doch nach was ausſehen, nach was Berühmtem. Hältſt Du den Lorbeerkranz für größenwahnig? er iſt ja welk, er hat mir nie geblüht. Ich bin berühmt, berühmt von Anſelma Sartorius Gnaden.“ Sie drückte ihre Nägel tief in die Handflächen, als wolle ſie einen körper⸗ lichen Schmerz. Wie ſie ſo daſtand, von Glut übergoſſen, hatte Chriſta die Viſion, als ſtände ſie inmitten der Flam⸗ men: ein Dämon der Rache oder des Haſſes, eine ſchöne Furie. Mit dem Ausdruck gierig bitterer Wolluſt ſtarrte ſie in das Feuer, bis das Bild verkohlt wär. „Du weißt's wohl ſchon, das von Julia und dem, der da brennt? Chriſta nickte. Sie hätte ihr gern etwas Tröſt⸗ liches geſagt. Auf der Staffelei ſtand ein neues Bild, noch nicht ganz fertig. Ein nacktes Weib mit einer Krone auf dem Kopf, das durch öde Stoppelfelder ſchreitet. Ueber der leuchtenden Krone ein ſchwarzer Rabe. Chriſta fand es beſſer gemalt als irgend eins ihrer früheren Bilder. Sie ſagte es ihr, das Lob ein wenig über die Wahrheit hinaus ſteigernd. Ein krampfhaftes Zucken flog durch Anſelmas Glieder, und die Worte, die ſie hervorſtieß, ſchienen auch zu zucken und zu ſchluchzen. „Ich habe mich da ſelbſt gemalt. Schön bin ich, 252 nicht? Und der Rabe bedeutet was. Er ſpürt den Duft der Verweſung an dieſer Stoppelfeldkönigin. Ich mache das Bild nicht fertig. — Haſt Du die Rezenſionen über meine Bilder geleſen? Chriſta verneinte. „Willſt Du die Quinteſſenz wiſſen? Seht! Die neue Frau in der Kunſt! Augen fort! ſchauderhaft! höchſt ſchauderhaft! Hyſteriſch übergeſchnappt. Eine freche Dilettanten⸗Jeremiade in Oel, in Schmieröl. Kein Können!“ „Und keine Stimme, keine einzige hat ſich für mich erhoben. Und am Schluß der mildeſten Kritik ſtand: „Die neuen Frauen, die ſind wie Vögel, die, aus dem offenſtehenden Bauer entſchlüpft, ins Freie wollen. Sie halten aber eine Glasſcheibe für das Freie, fliegen mit Vehemenz dagegen und zerſchmet⸗ tern ſich den Kopf. „Zerſchmettern ſich den Kopf — ja. Morgen kommen meine Bilder zurück. Sie ſind ſchon aviſiert. In raſendem Zorn riß ſie den welken Lorbeer⸗ kranz vom Kopf und warf ihn ins Feuer. „Brennt, ihr Lorbeerbäume! brennt! „Ich liebe das Feuer. Ich bin ihm verwandt. Den Sardanapal, den verſtehe ich. Ein rieſiges Stück Holz ſtieß ſie in den Kamin. Ihre Augen waren leicht entzündet. Das gab ihren Blicken etwas Blutiges. Die züngelnden Flämmchen zuckten erſt zaghaft auf und nieder, bis ſie plötzlich, wie in jähe Wut ausbrechend, das Holzſcheit flam⸗ 253 mend umklammerten und praſſelnd in den Kamin⸗ ſchlot fuhren. „Nicht eine Raſerei der Leidenſchaft das! Das Erdinnere iſt Feuer, die Sonne iſt Feuer, Licht iſt Feuer, alles Feuer — Feuer, und meine Seele auch. Feuerrauſch! Ich bin feuerberauſcht. Alles muß brennen, brennen!“ Sie ergriff das Bild auf der Staffelei. Im nächſten Augenblick war es umlodert. „Und fällt der Mantel, muß der Herzog mit! Todesrauſch. Brennen! brennen! Sie ſah ſich um, wild, als ſuche ſie noch etwas zum Verbrennen. Die ſchwarze Katze ſchlich, geduckt, flüchtend aus der Thür. Die Taube aber um⸗ flatterte ängſtlich ihr Haupt. Eins ihrer Füßchen hatte ſich in das zerzauſte Haar Anſelmas verkrallt. Sie fühlte einen Schmerz. Und gewaltſam riß ſie ſich das zappelnde Tierchen vom Kopf herunter, zu⸗ ſammen mit einem Büſchel ihres Haares, und ſie ſchleuderte die Taube in die Flammen. Entſetzt ſtürzte Chriſta fort. 254 Ihr erſter Impuls am andern Morgen war: Hin zu Anſelma. Es galt vielleicht einen Selbſtmord zu verhüten. Sie ſann. Nein. Anſelma hatte ihr ganzes Sein auf Ruhm und Liebe geſtellt. Und nun war alles, was ſie ſein und haben wollte, in nichts zerfallen. Nie würde dieſes Weib mit dem Temperament eines Tigers überleben, daß ſie zugleich Liebe und Ruhm verloren. Ihre Tröſtungen und Mahnungen würden nur wie ein Mißton in ein düſteres Requiem klingen. Und ungehört bleiben. Der Tod war Anſelmas Recht. Am Nachmittag erhielt ſie die erſchütternde Nach⸗ richt von Anſelmas Tod. In dem ausgebrannten Atelier hatte man ihre verkohlte Leiche gefunden. Man nahm an, daß ſie in Verzweiflung über ihren eklatanten künſtleriſchen Mißerfolg ihre Bilder ver⸗ brannt und ein Funken des Feuers ihre Kleider in Brand geſteckt hätte. Um Hilfe zu rufen, war ihr wohl keine Zeit geblieben. So ſtand es in den Zei⸗ tungen. Chriſta ſah ein anderes Bild. „Und wenn der Mantel fällt, ſo muß der Herzog mit!“ All ihre Werke waren Aſche. Sie ſah, wie Anſelma das bren⸗ nende Holz ins Atelier zerrte. Und gleich der Brünn⸗ hilde, ſich Scheite richtend, feuerberauſcht in den Scheiterhaufen ſprang, in ſchauerlicher Schönheit den leuchtenden Tod ſterbend, nach dem die Inbrunſt ihres Herzens lechzte. Weihnachten kam heran. Chriſta wollte dem Feſt mit ſeinem lärmenden Gewirr, ſeinem Suggeſtionsjubel aus dem Wege gehen. Wieviel 255 Stunden der Oedigkeit und Langeweile hatten ihr von jeher die Feſttage bereitet, auch die Weihnachts⸗ zeit mit ihrem profanen Treiben auf Grund der Geburt Chriſti. Das aus denFugen gegangene Alltagsleben, das ſinnloſe Umhertaſten, das Geben und Nehmen der Geſchenke und die pflichtſchuldige Bewunderung der⸗ ſelben, Geſchenke, die Gegengeſchenke heiſchten und die nicht einem ſpontanen Herzensbedürfnis, ſondern einem alten Brauch entſprangen. Sie meinte, es käme auf eins heraus, wenn jeder ſich ſelbſt ſeine Geſchenke ſchenkte. Das alles empfand ſie als läſtig, beinahe als kindiſch, inkluſive der Karpfen mit Bier, die unbedingt zur Weihe des Chriſtabends gehörten. Und am erſten Feiertag das üppige Diner bei den Eltern, am zweiten dieſelbe Pudding⸗ und Trink⸗ angelegenheit bei der Großtante. Und am Neujahrs⸗ tag hatten Lützows ſich dafür zu revanchieren. Sie fühlte keine Spur von Weihnachtsſenti⸗ mentalität. Sie fuhr hinaus nach Wannſee. Sie wollte ſich ſelbſt ein Weihnachtsgeſchenk machen: Eine ſchöne Schneelandſchaft und eine weihevolle Ein⸗ ſamkeit. Frank war zu ſeiner kranken Mutter gereiſt, die in einem Sanatorium lebte. Draußen in Wannſee war es ureinſam. Im Winter beſtand die Einwohnerſchaft nur aus den Gärtnerfamilien. Sie trat auf den Balkon ihres Zimmers und ſah über den Garten in die Landſchaft hinaus. Der 256 ganze Horizont weiß. Weiß ſchimmerte die Sonne durch weißliches Gewölk. Faſt weiß erſchien der See zerfließendes Alumin. Ueber Ufer, Bäume und Häuſer hin wallender Nebeldunſt — die weiße Sonne wie ein Stern auf dem Schleier einer Braut. Ein Bild zarter Melancholie. Sie nahm ein einfaches Mahl ein. Als ſie am Nachmittag wieder hinaustrat, war das Naturbild völlig verändert. Kein Dunſt und Nebel mehr. Sie ging durch die beſchneiten Villenſtraßen über das nahegelegene Dorf hinaus bis an den Stolper See. Eine dünne Eisdecke lag darüber. Roſige Schim⸗ mer der untergehenden Sonne überhauchten den See mit einem geheimnisvollen Glanz, als käme er aus der Tiefe. Aus den weiten Schneeflächen ragten die dunkelgrünen Tannen⸗Weihnachtsbäume, ſo weit das Auge reichte. Rings lautloſe Stille. Auf dem Rückweg — es dämmerte ſchon, be⸗ gegnete ſie Kindern, die Holz aus dem Walde ſchlepp⸗ ten. Ihre Händchen waren blau gefroren. Eine leb⸗ hafte Regung kam ihr: Wie, wenn ſie dieſe Kinder mit in ihr warmes Zimmer nähme und ſie feſtlich mit Kaffee und Kuchen bewirtete? Nein. Sie gab ihnen etwas Geld und ging dann ſchnell an ihnen vorüber. Als ſie eine Strecke weiter gegangen war, ſah ſie ſich noch einmal nach ihnen um. Die Kinder ſchienen ängſtlich etwas im Schnee zu ſuchen. Das Geld war wohl den ſteifgefrorenen Händchen ent⸗ fallen. In ihrem Zimmer legte ſie ſich auf die Chaiſe⸗ Dohm, Chriſta Ruland. 17 257 longue, um zu leſen. Die Jungfer brachte ihr den Thee, zog die Vorhänge zu und ſchürte das Feuer im Kamin an. Chriſta erlaubte ihr, den Weihnachts⸗ abend bei den Gärtnersleuten zuzubringen. Sie wunderte ſich, daß ſie unruhig war, ohne Luſt zu leſen. Der ſtarke Thee hatte ſie wohl erregt. Sie ging noch einmal in den parkartigen Garten hinunter. Unwillkürlich lenkte ſie die Schritte zum Gärtnerhäuschen. Kinderjubel tönte heraus. Sie ſah durch die unverhängten Fenſter die Lichter am Weihnachtsbaum brennen. Ihr Schein fiel warm auf den Schnee. Sie ſtand eine Weile und wartete auf etwas, vielleicht auf ein Weihnachtslied. Es wurde nicht geſungen. Die Kinder waren wohl noch zu klein. Da — ein quietſchendes Geraſſel von Trom⸗ meln und Trompeten und — richtig, der Duft von Karpfen in Bier. Er ſtieg ihr appetitlich in die Naſe. Sie lachte in ſich hinein und klopfte ſich an die Stirn: Bei Gott, in ihrem Kopf zappelten zwiſchen dem feierlichen: „Stille Nacht, heilige Nacht“ die Weih⸗ nachtskarpfen. Sie ging langſam zurück. Am blaſſen Himmel ſtanden die Sterne; einen wählte ſie, einen großen, leuchtenden, das war der Stern, der zum Stall zu Bethlehem führte. Einſamkeit in der Natur hat etwas Feierliches. Die Monotonie weiter Schneeflächen vertieft ſie, und die Lautloſigkeit über ihnen. Und aus dieſer tiefen Einſamkeit ſang es in ihr Herz: „Stille Nacht, heilige Nacht!“ Wunderſchöne Weihnachtsſtimmung. 258 In ihrem Zimmer nahm ſie den Zarathuſtra und vertiefte ſich in dieſe Bibel des großen, einſamen Sehers. Es war ihr, als rauſchten Weltſtröme darin. Nach einer Weile erhob ſie ſich. Sie zog die Vorhänge vom Fenſter zurück und ſchaltete das elektriſche Licht aus. Flimmernde Sterne, weißer Schnee und die roten Flammen des Kamins — eine Farbenſymphonie von feierlich ſüßer Myſtik — Weihenacht. Die Thür ging langſam auf. Ganz weiß von Schnee, ſtand eine Geſtalt im Rahmen der Thür Frank. Er ſah krank aus. Er zitterte wie im Froſt. Er kam vom Totenbett ſeiner Mutter. Sie nahm ſeine kalten Hände in die ihrigen und ſagte ihm liebevolle Worte. Sie half ihm den Mantel abthun und drückte ihn ſanft in einen Fauteuil nahe dem Kamin. „Frank, Deine Mutter war ſo lange krank. War es nicht eine Erlöſung, daß ſie ſtarb? „Das war es. Aber ihr Geiſt war in den letzten Tagen nicht mehr umnachtet. Aus ihren brechenden Augen ſprach der ganze Jammer ihres Lebens zu mir, mit einer Tragik, die mich zerriß. „Willſt Du es mir nicht ſagen, Frank? Er wehrte ab. „Laß! Es iſt wie ein ſchauer⸗ licher Hintertreppenroman, und doch — Wirklichkeit, gräßliche! Ich fahre gleich zurück. Nur einen Augen⸗ blick wollte ich in eines Menſchen Auge ſehen, den ich liebe. . ." 259 17* „Und der Dich liebt, Frank,“ ſagte ſie mit tiefem Ernſt. Ein Schauer ging durch ſeine Glieder. Sie bat ſchmeichelnd: „Bleib! Eine Taſſe heißen Thee mußt Du nehmen.“ Sie rückte das Tiſchchen zum Kamin heran und bereitete mit der ihr eigenen Anmut den Thee, nur etwas haſtiger als ſonſt, dann warf ſie Holz in den Kamin und fachte mit dem Blaſebalg das verglim⸗ mende Feuer wieder an. Sie beugte ſich über die Lehne ſeines Stuhls und ſah ihm in die Augen. „Sage mir alles, Frank. „Wenn ich Deine Hand in der meinen halten darf. Sie nickte. Er atmete tief auf. Mit erweiterten Pupillen ſtarrte er in die Flammen und begann mit leiſer Stimme, als läſe er eine alte Chronik. Was ſie er⸗ fuhr, war in der That von tiefer Tragik. Seine Mutter hatte kurz vor der Hochzeit mit ſeinem Vater eines unbedeutenden Leidens wegen einen renommierten Arzt konſultiert. Sie war ein ſehr ſchönes Mädchen. Der Niederträchtige betäubte und vergewaltigte ſie. Der Verlobte war vor Schmerz dem Wahnſinn nahe. Nur, daß er all ſeine Kraft anwenden mußte, um ſeine Braut vor einer verzweifelten That zu ſchützen, hielt ihn aufrecht. Und vielleicht hätte ſich, trotzalledem, in der liebevollen Ehe der beiden braven Menſchen die Wunde ge⸗ ſchloſſen, aber — nach neun Monaten wurde ein 260 Knabe geboren. Und die unſelige Mutter wußte nicht, war er der Sohn des Schurken oder ihres Gatten. Und bald merkte ſie, daß auch er darüber grübelte, daß er zweifelte, daß ſein Sinn ſich verdüſterte. Sie ſah, daß er den Liebkoſungen des Kindes auswich. Und ſie liebte den Knaben. Mit einer inſtinktiven Regung ſuchte ſie ihn jedesmal, wenn ihr Gatte ein⸗ trat, in den Falten ihres Kleides zu verbergen. Die fortwährenden Aufregungen verzehrten ſie. Sie wurde ſchwermütig, zuletzt gemütskrank. Und der Knabe wuchs neben der geiſteskranken Mutter auf, die ihm in einem Augenblick der Unbewußtheit ſelbſt ihre Geſchichte erzählte. Des Mannes Herz hing an ſeinem Weibe. Ihren Sohn aber miß⸗ handelte er heimlich. Er freute ſich, wenn er weinte. Und als der Knabe es merkte, weinte er nicht mehr, und von den unterdrückten Thränen brannten ſeine Augen, und ſie haben ſein Blut vergiftet. Und als er zum Jüngling herangewachſen war, trug er die⸗ ſelbe ſchwere Laſt wie die Eltern, immer die ver⸗ zweifelte Frage auf den Lippen: Bin ich der Sohn jenes Elenden, oder der des Gatten meiner Mutter? Und er beobachtete ſich, belauerte ſeine Inſtinkte, ſeine Handlungen. Bei jedem ausgelaſſenen Streich, oder wenn ein Jähzorn in ihm aufwallte, ſchrie er in ſich hinein: „Habe ich Dich endlich, Du Sohn des Verbrechers! Er hatte ein heißes Temperament. Wollte er in der Liebeskraft der Jünglingsjahre ein Weib in ſeine 261 Arme ziehen — da plötzlich — ein kalter Schauder, der alle Glut löſchte. „Da biſt Du ja, Sohn des Schurken!“ Frank war aufgeſprungen. Er bebte vom Kopf bis zu den Füßen. Mit einer Gebärde der Ver⸗ zweiflung drückte er die geballten Hände gegen die Schläfe. — „Und nie — nie ... Und träfe ich ihn, und erſchlüge ich ihn, nicht meinen Vater erſchlüge ich — — — einen Zuchthäusler! Und Unſchuldige, Unſchuldige ſitzen im Zuchthaus. Chriſta legte beide Hände auf ſeine Schulter und ſah zu ihm auf, die Augen voll von Thränen: „Sei nur fein ſtill, Geliebter! Die Hölle, die Du Dir ſchaffſt, iſt ja ein Spuk.“ Sie ſagte es mit einer zärtlich lächelnden Ironie. Und ſie legte ihren Kopf an ſeine klopfende Bruſt. Er hob ſie in ſeinen Armen hoch empor. Er küßte ihre Augen, trank ihre Thränen, und ſie fühlte, wie die ſeinen ihr Geſicht überſtrömten. „Entſühne mich,“ flüſterte er, „Geliebte! Am nächſten Tage ſchrieb Chriſta an Adrian in einem ſanften, beinah liebevollen Ton. Sie würde nie nach Konſtantinopel kommen. Und ſie bot ihm an, ſich von ihr ſcheiden zu laſſen, mehr um ſeinet⸗ 262 als um ihretwillen. Sie hätte ſich ihre Freiheit ſelbſt genommen und bedürfe keiner andern. Sie wiſſe aber, daß er ſich, ſo lange die Ehe nicht gelöſt wäre, für gebunden halten würde. Er antwortete: Nein. Vorläufig würde er die Ehe nicht löſen. So lange er die geringſte Hoffnung habe, ihr auf irgend einem Gebiet etwas leiſten zu können, weiſe er die Scheidung von ſich. Chriſta ahnte die zarte Rückſicht, die ſeine Hand⸗ lungsweiſe beſtimmte. Als ſeine Gattin war die be⸗ trächtliche Revenüe, die er ihr ausgeſetzt hatte, ihr Recht. Geſchieden von ihm, wurde ſie zu einem Gnadengehalt. Sie war einem Pflichtgefühl gefolgt, als ſie ihm die Scheidung anbot. Unter der Weigerung litt ſie keinen Augenblick. Sie dachte aber, wie ſeltſam es doch ſei, daß ein Menſch den andern gegen ſeinen Willen feſſeln könne. Fraglos eine Form der Sklaverei. Wie? es iſt meine Pflicht, weil ich einmal den Gatten geliebt habe, ihm anzugehören, auch, da ich ihn nicht mehr liebe? Warum iſt es nicht meine Pflicht, wenn ich einen Mann liebe, zu erfüllen, was die Liebe heiſcht? Ihr fiel das Ungeheuerliche ein, daß Frauen ihre Männer vergiften, daß Männer ihre Frauen erſchlagen, um ſie los zu werden. Und ſie brauchten doch einfach auseinander zu gehen. Warum thun ſie es nicht? Weil die Scheidung ſo umſtändlich und ſo koſtſpielig 263 iſt? und weil ſie ſo viel boshaftes Geſchwätz auf⸗ wirbelt und enthüllt, was Scham und Ehre verletzt? Chriſta hatte mit Frank eine Wanderung durch die Muſeen gemacht. Um eine Erfriſchung einzu⸗ nehmen, waren ſie in das Cafe Bellevue am Pots⸗ damer Platz eingetreten. Das roſige Licht der untergehenden Sonne, das über das Gewühl der Menſchen und Wagen hin⸗ flutete, ſchuf ein Bild voll maleriſchen Reizes und blühender Heiterkeit. Ein Lindenbaum vor dem Café überduftete das farbige Bild. Ein Sprengwagen fuhr quer über den Platz. Hinter ihm her wirbelte eine Säule Staubes auf. Und mitten in dieſer goldroſigen Staubſäule ſtand einen Augenblick ein Menſch. Wie ein Heiligenbild, von Glorie umſtrahlt ſtand er da. Chriſtas Blick hing gebannt an der wunderbaren Erſcheinung. Als er aus der Staubſäule heraustrat und ſich ihnen näherte, grüßte er Frank. Er hatte ein bleiches, ſchönes Prieſtergeſicht. Das Haar ein wenig länger als man es zu tragen pflegt. Der Ausdruck ſeines Geſichts von unvergleichlicher Vornehmheit und tiefer Ruhe. Chriſta ſah Frank fragend und geſpannt an. „Er heißt Daniel Rainer,“ ſagte er. „Ein Theo⸗ loge, der nicht Prediger werden konnte und wollte. 264 Er iſt auf ein Jahr nach Berlin gekommen, un orientaliſche Sprachen zu ſtudieren. Im Uebrigen ein direkter, unverfälſchter Chriſtusjünger — zur Hälfte. Die andere Hälfte hält er geheim. Ein rechter Seelenbräutigam für ſehnſüchtige Mars⸗ bräute, keuſch wie friſchgefallener Schnee. Halb Prieſter, halb Erzengel, in jedem Fall Uebermenſch. Dabei naiver Kindskopf. Ein Einſamer, wenn ich von einigen Jüngern abſehe, die ihn anbeten.“ „Woher kennſt Du ihn? Wie kommſt Du in dieſe heilige Gemeinde? „Ich bin ihm vielleicht Luzifer, den er, der Erz⸗ engel, braucht, um ihn zu bekämpfen. Soll ich ihn Dir bringen? „Er wird nicht kommen wollen. „Wer weiß! Einige Tage ſpäter brachte Frank wirklich den jungen Mann. Chriſta wollte mit ihm in der üblichen weltlichen Weiſe eine Unterhaltung über Kunſt, Lit⸗ teratur, Politik führen. Es zeigte ſich, daß ihm dieſe Dinge entweder fremd waren oder ihn nicht inter⸗ eſſierten. Er ging niemals ins Theater, las keine Zeitungen und wenig Bücher. Chriſta ſah, daß eine Plauderei mit ihm nicht möglich war. Er vertiefte gleich jeden Gegenſtand, 265 ſuchte immer die Seele der Dinge. Nie hatte ſie einen Menſchen von ſo heiligem Ernſt kennen gelernt. Die Politik und alles, was damit zuſammenhing, ſah er im Bild eines Waſſertropfens, den man durch ein Vergrößerungsglas betrachtet: Unzählige Geſchöpf⸗ chen, die ſich in allen möglichen Variationen gegen⸗ ſeitig verſchlingen. Er verſtehe Goethe, der, während der Kanonendonner von Jena an ſein Ohr ſchlug, ſich ruhig und ſachlich über die Urpflanze unterhielt. „Vergeſſen Sie nicht,“ warf Chriſta ein, „daß es mit einem Prinzen Reuß war.“ Er ſah ſie groß an. Er verſtand die Malice ihrer Worte gar nicht. Und er fuhr fort: „Alles, was geſtern war und heute iſt, wird morgen nicht mehr ſein. Nur Dinge, die einen Geſchmack der Ewigkeit haben, gehen mich an. Nie hat ſich Chriſtus um Politik gekümmert.“ „Und wurde doch gekreuzigt,“ ſagte Frank. Bibliſche Hoheit war in Daniels Augen, als er antwortete: „Sie ſahen die Krone auf dem Haupt des Leuchtenden und meinten, mit dem Blut, das von den Dornen rieſelte, den Glanz zu erſticken. Sie wußten nicht, daß erſt der tote Chriſtus die Welt erobern würde.“ Chriſta war bei dieſer Unterhaltung nicht ganz bei der Sache. Die äußere Erſcheinung Daniel Rainers nahm ihre Aufmerkſamkeit zu ſehr in An⸗ ſpruch. Auch irritierte es ſie, daß Frank kein Auge von ihr wandte. Und nur damit die Unterhaltung nicht ſtocke, ſagte ſie ſchließlich: „Man könnte Sie um 266 Ihre Weltabgewandtheit beneiden. Mich erregen politiſche und künſtleriſche Dinge oft bis zur Leiden⸗ ſchaft. Frank, der ſchlechter Laune war, bemerkte: „Auch für Herrn Rainer wird es Dinge geben, die ſeine Leidenſchaft erregen, wenn es auch nur eine transcendentale Wollüſtigkeit für ein metaphyſiſches Ideal ſein ſollte.“ Der junge Mann bewegte verneinend den Kopf. „Der Sturm reicht nicht bis in die Tiefe des Meeres. Die Tiefe weiß von dem Sturm nur durch die Schiffstrümmer, die ſich in den Grund bohren, und die Leichen, die da ruhen. Einen Augenblick flog ein Schatten über ſein Geſicht. Er ſenkte die Augen. Gleich aber öffnete er ſie wieder groß und klar: „Wir leiden nicht mit den großen Schmerzen und Verzweiflungen der Natur, mit ihren Sturmfluten und Erdbeben, weil ihre Leiden nicht unſere Leiden ſind. Vielleicht ſind ſie zu groß für uns. Auch die Leiden meiner Mit⸗ menſchen ſind nicht meine Leiden — vielleicht ſind ſie zu klein für mich. Glauben Sie, daß Brutus ſeine Söhne beweinte, als er ſie ſeinen Ideen geopfert hatte?“ „Ja,“ ſagte Chriſta. „Nein,“ ſagte er. Er ging, ohne eine Erfriſchung angenommen zu haben. Frank ſchwieg lange, nachdem der junge Philo⸗ ſoph gegangen war. Das Schweigen wurde Chriſta 267 ſchließlich peinlich, und ſie fragte: „Was denkſt Di von ihm? „Ich denke, daß nur eine ſchmale Kluft ihn vom Wahnſinn trennt. Ich ſtelle ihm das Prognoſtikon, daß er als religiöſer Schwärmer endet. Kloſterſüch⸗ tig iſt er ſchon. Nicht unmöglich, daß er ſich für den Heiland ſelbſt hält. Vielleicht iſt er der Meſſias, den die Adventiſten erwarten. Uebrigens hat er ja drei bis vier Jünger, die ihn verkünden ſollen. Gieb Acht, Chriſta, daß er Dich nicht zu ſeinem Johannes wählt, der ja bekanntlich an ſeinem Herzen ruhte. Die ironiſche Biſſigkeit ſeines Tones beleidigte Chriſta, und ſie ſagte ſcharf: „Irrſinnig erſcheint oft nur, wer anders⸗ ſinnig iſt. Wochen vergingen. Daniel Rainer kam nicht wieder. Frank brachte ihr aber eine myſtiſch⸗religiöſe Dichtung von ihm, als Beleg — wie er ſpöttiſch be⸗ tonte — für ſeine Andersſinnigkeit. Sie war nicht im Buchhandel erſchienen, nur in wenigen Exemplaren für Freunde gedruckt worden. Sie las ſie in ſteigender Erregung, verſtand zwar oft nicht, was er meinte, geriet aber ganz in den Bann der dunklen Gewalten, die, wie Frank glaubte, ihn in die Nacht des Wahnſinns treiben würden. 268 Sie fand Klänge darin von Manfred, von der Bibel, von Zarathuſtra, von alten indiſchen Ge⸗ ſängen. Und ſie ſchrieb an ihn: „Ich habe Ihre Dich⸗ tung geleſen. Und mir war's, als träte ich in eine Kathedrale, wo durch die farbige Glasmalerei hoher gothiſcher Fenſter glühende Streifen auf ein Grab⸗ denkmal von klaſſiſcher Schönheit fallen. Und als töne aus dem Grabmal heraus in leiſen, feierlichen Akkorden Muſik. Aber viele Kapellen in der Kathe⸗ drale ſind mir verſchloſſen geblieben. Sie haben die Schlüſſel. Wollen Sie ſie mir nicht bringen? Sie ſchickte den Brief nicht ab. Es hätte Frank, deſſen zornige Eiferſucht ſie fühlte, verletzt. Es heim⸗ lich zu thun, war ſie zu ſtolz. „Wie denkſt Du über Frauen, Frank?“ fragte Chriſta ihn einmal. „Und Du?“ gab er lächelnd zurück. „Radikal, nicht? Alles den Frauen! vom Fahrrad bis zum Pegaſus. „Ich will Dir ſehr gebildet antworten, Frank, ſogar mit einem Anſtrich milder Weisheit, da ich doch ab und zu — leider nur allzu flüchtig — Kultur⸗ ſtudien getrieben habe. Siehſt Du Frank, ich denke, wenn eine Zeit überreif geworden iſt und ſich Sym⸗ 269 ptome der Entartung (ich ſage nicht Fäulnis) zeigen, ſo muß zur Auffriſchung des Abgeſtandenen, des Abgewirtſchafteten ein neues Element hinzukommen. Z. B.: bedeuteten nicht in Italien die Borgias die Ueberreife? Und die neue, läuternde Kulturquelle war der Neuplatonismus. (Sollte hier meinerſeits ein Geſchichtsirrtum vorliegen, korrigiere mich.) Sage Frank, ſind nicht auch in der heutigen Geſellſchaft Spuren der Ueberreife? und könnten nicht gerade die Frauen das neue Element ſein, das die Zeit braucht? Siehſt Du, das glaube ich, wir ſind da, weil man uns braucht. Giebſt Du mir recht! Ja? Frank zog ſie zärtlich an ſich und ſagte mehr heiter als ernſt: „Jedenfalls braucht man Euch liebe Frauen nicht ſo eilig, als man nach der Ungeduld glauben ſollte, mit der Ihr auf dem Plan erſcheint.“ Und er murmelte, immer lächelnd, noch etwas von Amazonenſchlachten, von Brunhildens Ringen mit Siegfried, vom Charme des Doktorhuts, von der Entweiblichung durch die Emanzipation, bis er ſchließlich glücklich bei der unveräußerlichen Natur des Weibes als Gebärerin anlangte. Chriſta ſah ihn fremd, erſtaunt an. Wie? war das möglich? Auch dieſer geiſtvolle, kühndenkende Mann ſagte, wenn vom Weibe die Rede war, Platt⸗ heiten wie der erſte beſte Philiſter oder berühmte Arzt oder — Kultusminiſter! Sie fühlte ſich entmutigt, gedemütigt. Frank verſtand ja nicht einmal, daß ihr die Sache tief ernſt war. 270 Er ſah, daß er ſie gekränkt, flüſterte ihr leiden⸗ ſchaftliche Schmeichelworte ins Ohr und ſuchte ihre Lippen. Sie entzog ſich ihm und ſagte ſchroff: „Der Zweck der Liebe iſt die Fortpflanzung des Menſchengeſchlechts. So will's die Natur. Mir ver⸗ ſagt die Natur das Kind. So muß ich mir nun die Liebe verſagen. Du aber — geh zu den ſüßen Mädels. Halb lachend, halb zornig verließ ſie das Zimmer. Allmählich aber, ihr nicht ganz bewußt, wirkte nach, was er über die Frauen geſagt. Er wurde ihr fremder. Das alte Gewiſſen abzuſchaffen, wurde Chriſta nicht immer leicht, und zuweilen zeigte es ſich ſpröde, gerade da, wo Kleines und Unbedeutendes in Frage kam. Bisher war es für ſie undenkbar geweſen, mehr Geld auszugeben, als ſie beſaß. Sie hatte in einem Schaufenſter einen Kragen von weißem, großflockigen Tibetpelz geſehen, der ſie entzückte. Er war enorm teuer, zu teuer für ſie. Sie ging an dem Schaufenſter vorüber. Zu Hauſe meditierte ſie: „Soll ich ihn kaufen? Ich würde 271 reizend darin ausſehen, und reizend auszuſehen, iſt eine Wonne für mich. Warum ſoll ich ſie mir ver⸗ ſagen?“ Das alte Gewiſſen ſagte nein, die neue Philoſophie ſagte ja. Am andern Tag ging ſie hin und kaufte den Pelz — auf Kredit. Im Notfalle würde Vaterchen die Rechnung begleichen. Der Pelz ſtand ihr wirklich reizend. Frank fand es auch, als er am Abend kam. Sie erzählte ihm lachend von ihren Skrupeln, die dem Kauf voran⸗ gingen. Er fixierte ſie ſcharf und ſagte: „Gieb mir die Rechnung. Ich bezahle den Pelz. Sie ſah ihn groß an, dunkle Röte auf der Stirn. Sie fand den Scherz geſchmacklos. In ſeinen Mienen las ſie unvergleichlichen Spott. „Gieb mir den Stirner wieder. Bete ruhig Deinen ethiſchen Spuk weiter an, und ſchreibe nach Konſtantinopel, Dein Mann ſoll Dir den Pelz ſchen⸗ ken, wozu er ja ſtandesamtlich berufen iſt. Er hatte ſich erhoben, um zu gehen. Sie hielt ihn zurück. „Ich gebe Dir die Rechnung.“ Sie ſuchte lange. Endlich fand ſie ſie und gab ſie ihm — zögernd. Er küßte ihre Hände. Und ſie plauderten. Ihre Schultern zuckten nervös unter dem weißen Pelz. Er wurde ihr zu heiß. Sie warf ihn ab. In unwillkürlicher Be⸗ wegung hatte ſie die Schere vom Schreibtiſch genom⸗ men, und — plötzlich in einem raſchen Impuls, zer⸗ ſchnitt ſie den Kragen. Er ſprang auf, jähzornig. 272 Er umſchlang ſie und preßte ſie in einer brutalen Liebkoſung an ſich. Faſt war Haß in ſeiner Um⸗ armung. Er hätte ſie ebenſogut ſchlagen können. Und wie ein Blitz fuhr es ihr durch den Sinn: Er iſt der Sohn des Verbrechers! Von dieſem Augenblick an geriet ſie in den Bannkreis des Fluches, der auf ſeiner Familie laſtete. Sie fing an, ihn zu belauern, wie er ſich ſelbſt belauert hatte, und immer in der Furcht, er könnte merken, was in ihr vorging. Warum mußte er ihr die Geſchichte ſeiner Geburt erzählen! Er hätte das Geheimnis bewahren ſollen. Und allmählich erkannte ſie traurig, es lag Frank nicht mehr ſo viel daran, daß ſie an ſeinen ſozialen und politiſchen Beſtrebungen teinahm. Er achtete kaum noch auf das, was ſie ſagte, ging auf ihre Ideen nicht mehr ein. Er konnte lächeln, wenn ſie ernſthaft redete, eben weil er ihre Worte gar nicht hörte. Er verfolgte mit den Augen ihre Bewegungen. Sie fühlte im Nacken ſeine liebkoſende Hand und ſein Entzücken an ihrer ſammtnen Haut. Und kam es doch wieder vor, daß er in großen und kühnen Strichen die Grundzüge einer neuen Geſellſchaft vor ihr entwickelte und ſie — ihre Hand in der ſeinen — ganz mitfühlend und mitdenkend an ſeinen Lippen hing, ſo zog er ſie plötzlich mit einer jähen Leiden⸗ ſchaftlichkeit an ſeine Bruſt, und ſie hatte die zornige Empfindung, er fruktifiziere ihre ſeeliſche Erregung für ſeine Sinnlichkeit. Dohm, Chriſta Ruland. 18 273 Sie waren nicht mehr eins in der Liebe. Ihre ſeidene Zärtlichkeit hielt nicht Schritt mit dem Tem⸗ perament dieſes Glühenden, der an ſich ſelber ver⸗ brannte. Etwas Schwüles, Beklommenes kam in ihre Be⸗ ziehungen. Es war wie ein intermittierendes Fieber. Froſt und Hitze wechſelten. Und zuweilen, wenn er ihr heimliches Wider⸗ ſtreben fühlte, ſtieß er ſie von ſich: „Geh, geh, Dein Anblick thut mir weh. Schauerlich, wenn das Weib die Sinnenfreude und ihre Schönheit mit dem Mann nicht teilt.“ Sie ging, aber ſie kam immer wieder. Solche Scenen wiederholten ſich. Es war ein Gehen von ihm fort, und ein Zurückkehren zu ihm. Das Widerſtreben aber wurde größer. Sie brachten wieder einen Tag in Wannſee zu, einen herrlichen Maitag. Sie waren weit in den Wald hineingegangen. Ein ſchweres Gewitter zog auf. Unaufhörlich rollte der Donner. Chriſta wollte heim. Frank nicht. Er liebte Gewitterſtimmungen. Sie blieben. Weiße, drohende Wolkenberge türmten ſich höher und höher. Am unteren Rande öffneten ſich die weißen Berge, und Flammenbündel ſchoſſen heraus. 274 Eine dämoniſch grandioſe Pracht. Man konnte dabei an den nordiſchen Thor denken, der mit ſeinem Ham⸗ mer krachend das Himmelsgewölbe ſpaltet. Der Himmel aber wehrte ſich. Er ſchickte ſeine Wirbel⸗ winde. Die ſtießen wie mit Poſaunen in die Wolken⸗ berge, und ſie barſten. Sturm! Ein Sturm, in dem Verzweiflung war und zugleich wilde jauchzende Luſt, gellendes Lachen und verzehrendes Schluchzen. Er peitſchte die Zweige der Bäume, daß ſie ächzend ſich wanden und krümmten. Alle Blumen entblätterte er, daß ſie wie fliegende Schmetterlinge durch die Lüfte jagten, um die Wette mit den klagend kreiſchen⸗ den, flüchtenden Vögeln. Es ziſchte und praſſelte wie bei Feuersbrünſten, es heulte, wie von Orkanen, die über das Meer donnern. Frank hüllte ſorglich ſein zitterndes, zartes Weib in ihren Shawl. Wie ein verängſtigtes Vögelein barg ſie ihren Kopf an ſeiner Schulter. Den Arm um ſie geſchlungen, blickte er hochaufgerichtet in den Sturm, in dieſes Antlitz der Natur von meduſenhaft furchtbarer Schönheit. Die Lippen geöffnet, als tränke er der Windsbraut wollüſtiges Schluchzen. Alles Blau war aus ſeinen Augen entwichen. Nachtſchwarz funkelten ſie, wie von Blitzen durch⸗ zuckt. Und weit über Chriſta weg flogen ſie empor, zu den Blitzen, die wie ungeheure Fragezeichen Gottes über das Firmament flammten. Chriſta begann wie ein Kind zu weinen, und wie ein Kind klagte ſie: „Ich will nach Hauſe. Er ſah an ihr nieder mit einem harten, drohend 18* 275 wilden Blick. Sie fürchtete ſich vor ihm. Wie ein Echo der meduſenhaften Schrecklichkeit des Sturmes erſchien er ihr. Sie wich vor ihm zurück bis in die offene Lichtung hinaus. Da packte ſie ein Wirbel⸗ wind und wehte ſie um wie einen Halm. Sie lag am Boden. Einen Augenblick beugte er ſich über ſie. Und ſie hatte das entſetzliche Gefühl, er würde über ſie hinwegſchreiten, oder — in Bacchantenwut ſie zer⸗ reißen. Er ſah ihr Entſetzen. Ein Schauder überflog ihn. Und er ging fort von ihr, immer in derſelben Haltung, das Haupt hoch emporgerichtet. Und er ging weiter und weiter. Sie ſah ihn nicht mehr. Ein wolkenbruchartiger Regen praſſelte nieder. Töt⸗ liche Angſt ergriff ſie. Sie wußte ja, er würde ſie nicht allein im Walde laſſen. Er mußte gleich wieder da ſein. Wie aber, wenn er ſie nun doch in ſeiner ekſtatiſchen Stimmung vergäße! Sie ſchnellte empor. Wahnſinnige Furcht gab ihr die Kraft, gegen Sturm und Regen anzukämpfen. Eine halbe Stunde Wegs hatte ſie vor ſich. Mehr tot als lebendig langte ſie in der Villa an. Sie ließ ſich umkleiden und fuhr ſofort, fiebernd, nach Berlin zurück. Sie erkrankte an einem Lungen⸗ katarrh und mußte eine Woche das Bett hüten. Sie hatte Muße, über das Geſchehene und über Frank nachzudenken. Frank — ja — er war ein Eigner im Stirner⸗Sinn. Und es ſchien ihr, als ob jeder Eigene geheimnisvoll und unberechenbar wäre. Jeder eine Welt für ſich, ganz verſchieden von der Welt des andern Eigenen. 276 Nein, ſie kannte Frank, dieſen leidenden und heißen Menſchen, noch nicht, ein Menſch, in deſſen himmelhohem Jauchzen noch etwas von dem düſtern Trommelwirbel einer Leichenfeier war und der in ſeine tiefſten Schmerzen ein ironiſches Gift miſchte. Und ſein Lachen war ein verkapptes, herzzerreißendes Weinen. Als Frank wieder zu ihr durfte und ſo bewegt war und von ſeiner Verzweiflung ſprechen wollte, als er ſie im Walde nicht mehr gefunden, legte ſie ihre Hand auf ſeinen Mund. „Sei ſtill, Frank. Ich trage Dir nichts nach. Ich habe Dir nichts zu verzeihen. Du brauchteſt in jenem Moment eine Mänade und fandeſt ein weinen⸗ des Püppchen.“ Chriſta lag auf einem Ruhebett, ſah ſehr blaß und ſehr ſchön aus, und die Blumen, die er ge⸗ ſchickt, ſtanden neben ihr. Er küßte ihre Hände. Sie ſah ihm feſt und klar in die Augen und ſagte dann ſehr ſanft: „Frank, ich liebe Dich nicht mehr. Die Liebe zu Dir iſt gekommen ohne meinen Willen. Und nun iſt ſie ebenſo gegangen. Schön war es. Du haſt mich reicher gemacht. Wir ſind nicht mehr eins in der Liebe.“ Er ſenkte den Kopf und bedeckte eine Weile die Augen mit der Hand. Als er wieder aufſah, ſchim⸗ merten ſie feucht. „Du ſagſt, was Du ſagen mußt. Ich liebe Dich 277 mit immer gleicher Kraft. Wir ſind nicht mehr eins in der Liebe. Es iſt wahr. Sieh, Chriſta, man hat Euch Frauen ſo oft und ſo lange als immaterielle Weſen behandelt, bis die Edlen und Keuſchen unter Euch ſich ihrer Sinne geſchämt haben und ſie ver⸗ kümmern ließen.“ Und mit traurigem Spott fügte er hinzu: „Nun muß ich meine Mänade ſuchen. — Noch eins, Chriſta — ſage, iſt es, weil eine neue Liebe — Sie wußte, er dachte an Daniel Rainer. „Keine neue Liebe, Frank, vielleicht ein neuer Glaube. Ich weiß es noch nicht. Er ließ ſich auf ein Kiſſen vor ihr nieder und blickte ſie an, wie man eine geliebte Tote anſieht, ehe der Sargdeckel ſich über ihr ſchließt, tötlich ſehnſüchtig. „Du Holde, Du Feine — noch einmal gieb mir Deine Lippen. Ich ſcheide nun auf immer von Deinem ſüßen Leib.“ Und ſie neigte ſich über ihn. Und mit tiefer Inbrunſt zog er ſie in ſeinen Schoß. Als er gegangen war, nahm ſie ſeine letzten Blumen und that ſie in die Aſchenurne. Sie atmete tief auf. Sie hatte von ſich gethan, was nicht mehr zu ihr gehörte. — 278 Chriſta, von Frank losgelöſt, glaubte nun ganz eine Eigene zu ſein, ſelbſtherrlich, königlich, nie⸗ mandem unterthan, eine nur ſich ſelbſt Gehorchende. Zuweilen nur war ihr, als laure in einer verborgenen Falte ihres Innern irgend etwas, das ihr Denken und Thun leiſe umfloren wollte, etwas wie das Vor⸗ gefühl einer Krankheit, die in uns ſteckt und die wir mit Willenskraft niederzwingen. Vor einiger Zeit hatte ſie einem Anſpruch ihres Vaters widerſtanden. Der Vater kränkelte. Er hätte ſie gern mit ins Bad genommen. Seine geräuſchvolle Gattin eignete ſich wenig zur Geſellſchaft eines Leidenden. Sie hatte ſeine Andeutungen nicht ver⸗ ſtehen wollen. Der Vater war ihr fremd geworden. Sie gehörten nicht mehr zu einander. Von Adrian erhielt ſie ab und zu kurze Briefe. Zwiſchen den Zeilen las ſie eine Bitte. Er litt am Klimafieber und konnte vorläufig an Rückkehr nicht denken. Einen Augenblick ſchwankte ſie. Ihre reflek⸗ tierende Vernunft ſiegte über den erſten Impuls. Er hatte nie zu ihr, ſie nie zu ihm gehört. Der Vater, Adrian, ſie hätten ein Recht an ihr? „Recht iſt ein Sparren, erteilt von einem Spuk! 279 An einem Märzvormittag hatte ſich Chriſta auf⸗ gemacht, um Maria Hill in der Hohenzollernſtraße zu beſuchen. Die Freundin ſtand am Vorabend einer großen Reiſe. Sie wollte einen ſechswöchentlichen Urlaub benutzen, um ſich einer Orientfahrt der Stangen⸗ ſchen Expedition anzuſchließen. Im Tiergarten, in der Nähe der Hohenzollern⸗ ſtraße, bot ſich Chriſta ein ſchrecklicher Anblick. Ein Wagenpferd war aufs unglücklichſte geſtürzt. Keine Decke war ihm untergebreitet. Und es war kalt, ſehr kalt, ein Rückſchlag in den Winter. Der Schnee auf den Wegen hart gefroren. Das Tier lag da, mit dem Dampf ſeiner Nüſtern das Eis tauend. Sein Blut färbte weithin den Schnee. Blutiger Schaum ſtand ihm vor dem Maul. Der Ausdruck dieſes Pferdekopfes mit dem weitentblößten rieſigen Gebiß und den blutunterlaufenen, ſtierglotzenden Augen war gräßlich. Und daß es ſtumm war, ſtumm in ſeiner Qual! Der Kutſcher ſtand mit einigen Leuten in der Nähe und fluchte über das Beeſt, das durchaus ver⸗ recken wolle. Niemand bekümmerte ſich um das ver⸗ röchelnde Pferd. Ein peinlich nervöſes Gefühl ſchnürte Chriſta die Kehle zu. Schnell ging ſie weiter. Hinweg mit dem Bild. Sie verſucht an alles mögliche andere zu denken. 280 Sie traf Maria Hill frohgeſtimmt, ganz erfüllt von ihrer Reiſe. Chriſta hörte ihr mit geringer Teil⸗ nahme zu, ſie wußte ſelbſt nicht, warum. Da war in ihrem Gemüt irgend ein Hindernis. Nur als Maria erwähnte, daß ſie auf der Reiſe Konſtantin⸗ opel berühren würde, fiel ihr Adrian ein. Sie bat Maria, ihn aufzuſuchen, da er krank ſei. Sie gab ihr ſeine Adreſſe. „Ihr ſeid ja eigentlich Wahlverwandte, durch die Chemie. Er wäre gewiß ein guter Chemiker ge⸗ worden. Die Diplomatie liegt ihm nicht. Aber — wie eine alte Excellenz mir neulich ſagte: Die Diplo⸗ matie wäre das einzig mögliche Civil für einen Ariſtokraten.“ „Er iſt kein Ariſtokrat,“ ſagte Maria, „er iſt eine fein bürgerliche Natur.“ „So? das wußte ich gar nicht.“ Sie nahmen in alter liebevoller Weiſe Abſchied voneinander. Als Chriſta wieder in den Tiergarten einbog, ſah ſie zu ihrem Entſetzen, daß das Pferd noch immer röchelnd, ſterbend auf derſelben Stelle lag, nur daß es jetzt in beinah rhythmiſcher Regelmäßig⸗ keit immer mit dem Kopf auf den harten Boden aufſchlug. Und da kam es plötzlich mit elementarer Gewalt über ſie. Sie ſtürzte fort, in die nächſte einſame Allee des Tiergartens, und brach in krampfhaftes Weinen aus. Das Wetter war inzwiſchen umgeſchlagen, die 281 Luft weich geworden. Graue Schatten zogen über den Park, ſeltſam dichte, phänomenale Nebel. Der ganze Park war wie in weichen, grauen Dampf ge⸗ hüllt. Um die Mittagsſtunde herrſchte eine tiefe, gleichförmige Dämmerung, als neige ſich der Tag zum Abend. Menſchen, die in den Alleen vor ihr hergingen, ſchienen in ein graues Spinnennetz geraten, ihre Be⸗ wegungen zeichneten ſich noch eine Weile ſchattenhaft in der Luft ab, dann wurden ſie von dem grauen Dampf eingeſogen. Die phänomenale Naturerſcheinung gab Chriſta einen Ruck. Sie raffte ſich auf, unterdrückte das Weinen, langſam ſchritt ſie in der Allee durch den grauen Dampf auf und ab. War ſie denn toll? ein blutendes, verendendes Tier hatte ſie bis ins Mark erſchüttert. Oder — ſie grübelte — war dieſes ſchreckliche Bild nur wie der letzte Tropfen, der einen Becher überlaufen ließ? Und was in einer verborgenen Falte ihres Innern gelauert, die Schatten, die an ihr vorüber⸗ gehuſcht, ſie gewannen Geſtalt, verwundete klagende Schatten. In dem traumhaften Dämmer ſchwebten ſie um ſie her. Dem Schmerz um Anne Marie hatte ſie ihr Herz verſchloſſen. Nun ſprang es auf, wie von un⸗ ſichtbarer Kraft berührt. Sie ſah die geliebte Schweſter auf den kalten Steinen knieend, ringend mit ihrer Qual und ſich langſam, langſam töten. Sie ſah Anſelma mit den blutigen Augen, wie 282 ſie in die Flammen ſtürzte — vielleicht, wer weiß, ſie hätte ſie doch noch retten können. Und der Vater! ſein Lieblingskind hatte ihn verlaſſen, als er es rief. Und daß ſie Julia damals nicht das Kleid gegeben. Auch die armen Kinder im Walde ſieht ſie, die ihr Geldſtück im Schnee verloren. Und Adrian! Sie ſieht die kleine Dorfkirche, in der ſie mit ihm ge⸗ traut wurde, ganz mit Blumen geſchmückt, lauter große Sonnenblumen, weil es im Dörfchen nicht mehr viel andere Blumen gab. Und die Tannen⸗ zwveige auf dem Kirchplatz und auf den Steinen der Kirche, ſie dufteten ſo friſch und urwüchſig. Und ſein „Ja“ klang ſo tief und klar. Ob er ſie vielleicht doch in jenem Augenblick geliebt hat? Und Frank! Sein letzter Blick, als ſähe er in das Antlitz einer geliebten Toten, ehe der Sargdeckel ſich über ihr ſchließt! Und ſie weint, weint unaufhaltſam. Sie weint um Anne Marie. Sie weint um Anſelma, um Adrian, um das Kleid, das ſie Julia nicht gegeben, um Frank. Und während ſie auf und ab wandelt, grübelt ſie weiter. Stirner hatte ſie gelehrt, alles, was nicht zu ihr gehört, abzuſtoßen, als Totes zu begraben. Wie, wenn ſie nun mit dem Toten auch Leben⸗ diges oder Scheintotes begraben hätte? Fühlt ſie ſich nicht noch immer mit Adrian verflochten durch das eheliche Leben? Zittert nicht die Glut Franks noch in ihrem Blut? Und ſie fragt ſich, ob ſie nicht, befreit von allen Rückſichten, an den Verletzungen, die ſie andern 283 zugefügt, mehr gelitten, als an der früheren Un⸗ freiheit, an ihren nachgiebigen Schwächen und ihrer Selbſtentäußerung? Hat ſie nicht die Selbſtbefreiung zu teuer be⸗ zahlt? Und war nicht Stirner auch wieder für ſie eine Macht geweſen, die ſie „in Dienſt und Pflicht" nahm? ein neuer Spuk, ein neues Geſpenſt? Stirner hat den Einzelnen entdeckt. „Der Ein⸗ zelne iſt allein der Menſch ... Du biſt nicht ein Ich neben andern Ichen, ſondern das alleinige Ich .. . Du biſt Deine Gattung, biſt ohne Norm, ohne Geſetz, ohne Muſter. ..“ Und wenn es nun gar keinen Einzelnen gäbe, wenn mein Kern, mein Ich, das aus allen Verhül⸗ lungen gelöſt werden ſoll, ſich untrennbar mit dieſen Verhüllungen (Sitte, Land, Zeit u.ſ.w.) verwachſen zeigte, und der Einzelne wäre nichts. als ein Philo⸗ ſophentraum?! Und nun erſchien ihr plötzlich dieſe Philoſophie kalt, ſcharf wie ein Schwert, das Geſpenſter köpft und unverſehens unſern lebendigen Kopf dabei mittrifft. Wenn ſie ihr Ich aus allen Hüllen befreit hat, wenn in all ihren Beziehungen zur Geſellſchaft kein Wert und keine Wahrheit ſteckt, was fängt ſie denn nun mit ihrem nackten Ich an! wo und wie ſoll ſie ſich aus⸗ leben! Und ſie muß an Anſelmas letztes Bild denken: Das nackte Weib, das mit der Krone auf dem Kopf durch Stoppelfelder ſchreitet. Ueber ihr der 284 Rabe. Felder, über denen kein Vogel ſingt, aus denen keine Blume ſprießt. Das ganze Aufſichſelbſtgeſtelltſein, was nutzt es ihr? was hat es Frank genutzt? Sie liebt ihn nicht mehr. Er aber liebt ſie noch. Und ſein Wille war ohnmächtig ihr gegenüber. Und hatte er es nicht ſelbſt geſagt, ſchon vor der Geburt war er verurteilt und mußte die Galeerenkette tragen, die ſein Vater hätte tragen ſollen. Frei! Doch nur, ſo weit unſere Natur es zuläßt. Aber die Grenzen unſerer Natur ſind ſo eng. Und können wir wirklich — wenn auch von Spuk und Sparren befreit, die Wege gehen, die wir gehen wollen? Und wenn Raubtiere (Verleumdung, Haß, Bosheit) uns verfolgen und uns in andere Bahnen zwingen? Julia glaubte auch frei zu ſein, da packte ſie das Raubtier der männlichen Begehrlichkeit und zwang ſie auf den ſchlüpfrigen Weg, den ſie anfangs garnicht gehen wollte. Und kämen wir ſelbſt auf einen hohen, hohen Gipfel, wohin kein Raubtier uns folgt — da oben aber weht vielleicht Eisluft, und auch die Einſamkeit kann wie ein Raubtier ſein, das uns anfällt. Sie grübelt weiter: Und bin ich ſo ganz ſicher, daß der Gipfel, zu dem ich hinauf will, nicht etwa nur ein Gipfel iſt, der ſich in einem Abgrund ſpiegelt?! Einen Spuk zu bannen hat Stirner gar nicht verſucht: das Geſpenſt von der Unfreiheit des Willens. Alle Philoſophen haben dieſe Unfreiheit 285 konſtatiert. Bin ich gleichſam nur ein chemiſches Pro⸗ dukt von Subſtanzen und Kräften, über die ich keinc Macht habe, willenlos ſouveränen Schickſalsgewalten überantwortet, ſo bin und bleibe ich ein Wurm, und ſelbſt der kühnſte Aufſtieg der inſpirierteſten Geiſt⸗ ſeher iſt Titanentrotz, der ſich an granitenen Un⸗ möglichkeiten brechen muß. Das heißt — wenn die Philoſophen für alle Ewigkeit recht behalten. Und Stirner — ſeine Weltauffaſſung ein gefähr⸗ licher Irrtum? Lug und Trug? Nein. Und das war das beinah Tragiſche in ihrem inneren Erlebnis. Nach wie vor erſchien ſie ihr grandios, einzig, von einer Wahrheit ohnegleichen, aber — ſie, Chriſta, iſt zu klein für ſeine große Lehre. Wer dieſe Lehre in Thaten umſetzen will, muß biegſam wie Stahl oder hart wie Diamant ſein. Sie aber war von ſprödem Material, das leicht bricht, oder auch von zu weichem, das bald auseinanderfließt. Wenn man Kanarien⸗ vögeln das Futter reich mit geſtoßenem Pfeffer ver⸗ mengt, gehen ſie meiſtens an Magenentzündung zu Grunde, die Starken aber, die die Koſt vertragen, er⸗ halten purpurrote Federn von herrlichem Glanz. Sie vertrug die Stirnerſche Koſt nicht. Keine Purpur⸗ federn von herrlichem Glanz waren ihr gewachſen, nein — —. Ein Lichtſtrahl traf ihre geſenkten Augen. Sie blickte auf. Die Sonne! ſie hatte den Dampf auf⸗ geſogen. Der Park hatte das graue, unheimliche Ge⸗ wand abgeworfen und einen königlichen Hermelin angethan. Im Sonnenlicht der Schnee. Weißer 286 Glanz. Da wurde auch ihr Auge heller, ihr Gemüt freier. Und war es eine Gedankenverbindung, die aus dieſem weißen Glanz ein anderes Bild von weißem Glanz in ihre Seele rief, oder eine ſpontane Eingebung: Sie dachte an Daniel Rainer. War nicht vielleicht ſchon in ihrem Abwenden von Stirner und Frank ein neues Element wirkſam gelveſen, ein neuer Menſch, und gerade dieſer? Sie wußte noch wenig von ihm. Das aber wußte ſie: er war ein Menſch von höchſter Intellek⸗ tualität und von kryſtallener Reinheit. Aber auch dunkle Tiefen barg er, in denen Sterne ſich myſtiſch ſpiegelten. Mit Frank war ihr Geiſt gewachſen. Mit ihm würde Tieferes wachſen. Es war, als hätte ſie Eile nach Hauſe zu kommen. Den Brief, den ſie an ihn geſchrieben und nicht abgeſchickt, jetzt ſchickte ſie ihn ab. Daniel Rainer kam. Aber er brachte den Schlüſ⸗ ſel zu ſeiner Dichtung nicht mit. Es verlohne ſich nicht, davon zu ſprechen. Was in der Schrift ſtände, läge hinter ihm. Alle Exemplare, die er noch vor⸗ gefunden, habe er verbrannt. „Das Buch,“ ſagte ſie, „erſchien mir wie die Wanderung einer Seele, die, von allem Materiellen losgelöſt, ihre eigentliche Heimat ſucht. Haben Sie Ihre Träume von der Unabhängigkeit des Geiſtes vom Körper aufgegeben? „Nein, es giebt Menſchen, die ſterben können, wenn ſie ſterben wollen. Und ich ſollte zu dem, was 287 niedriger Inſtinkt in mir iſt, nicht ſagen können: ſtirb! Ich fühle michoft wie ein in meinem Leibe Gefangener. Ein Gefängnis, wo ich nur durch ein Guckloch in paradieſiſche Gegenden ſchaue. Und nichts iſt natür⸗ licher, als daß ich die Thür zu erbrechen oder wenig⸗ ſtens das Guckloch zu einem großen, hohen Fenſter zu erweitern verſuche.“ „Iſt nicht,“ warf Chriſta ſchüchtern ein, „wie die Menſchheit auf den Stern Erde, ſo auch jeder Einzelne in ſein Land, in ſeine Zeit, in ſeinen Leib hineingebannt?“ „Gebannt?“ wiederholte er, „vielleicht ver⸗ bannt! Aus Verbannungen kann man heimkehren. Sie ſah ihn verſtändnislos an. „Sie denken Un⸗ möglichkeiten.“ „Unmöglichkeiten!“ wiederholte er, „es giebt un⸗ ermeßliche Möglichkeiten. Im menſchlichen Embryo ſind alle Tierſtufen bis zum menſchlichen Geſchöpf enthalten. Könnten nicht ſo im fertigen Menſchen alle Stufen enthalten ſein von dem tieriſchen Element bis zu einem Geſchöpf . . . . Da er einen Augenblick innehielt, ergänzte ſie ſeinen Satz: „das Züge der Ewigkeit trägt. „Ewigkeit!“ In ſeinen Zügen war prieſterlicher Glanz, als er ſagte: „Spüren nicht alle Auserwähl⸗ ten unter den Menſchen die Wehen einer Neugeburt? Nur der Geburtshelfer fehlt. Vielleicht iſt er nicht fern.“ Und er wiederholte: „Es giebt unermeßliche Möglichkeiten. 288 „Darf ich Ihre Schülerin werden?“ fragte Chriſta zaghaft. Er ſah ſie hell an. „Ja, Chriſte, ſo ſei es. Sie ſahen ſich nun oft. Selten blieb er in ihrem Salon. Er liebte es, mit ihr hinauszuwandern in den Park oder weiter in den Grunewald. Und ſie lauſchte ſeinen Worten, die oft dunkel waren. Vieles verſtand ſie nicht. An ihrem ver⸗ flachten Geiſt mußte es liegen. War er da, ſo war ihr immer, als wäre Sonn⸗ tag, mehr noch — Feiertag. Sie begriff nicht, daß ſie je einen Mann ſchön gefunden. Nur dieſer war's. Aber nein — kein ſchöner Mann, ein Typus reiner Menſchenſchönheit. Aus ſeinen Augen leuchtete Genie. Ihre Farbe war unbeſtimmbar, am eheſten noch ein tiefes, durchſichtiges Grau, von hellen, grünlichen Lichtern durchſchoſſen. Oft, auf ihren Spaziergängen ſprachen ſie lange, lange kein Wort. Aber er ſprach doch zu ihr. Er ſelbſt war eine Dichtung, die ſie mit der Seele las. Alle Thüren ihrer Seele ſtanden offen, weit offen, feſt⸗ lich geſchmückt mit Maien. Wie Pfingſten. Früh⸗ lingswinde wehten durch heilige Haine. Dohm, Chriſta Ruland. 19 289 Sie unterlag ganz dem Zauber ſeiner Perſön⸗ lichkeit, ein dämoniſch transcendentaler Zauber. Während dieſer Zeit war ſie wie ein junger, männ⸗ licher Pilger anzuſehen. Sie trug ein dunkles, talar⸗ artiges Gewand, kragenlos, frei der zarte ſchlanke Hals, auf dem der kleine Kopf wie auf einem Blumen⸗ ſtengel zu ſchwanken ſchien. Daniel verſtand gut ihre feine Schönheit. Er liebte die Schönheit, weil ſie mit allem Großen und Tiefen verſchwiſtert ſei. „Du haſt einen feinen Einfluß auf meinen Geiſt, auf meine Ideen,“ ſagte er zu ihr. „Darum habe ich Dich lieb.“ Es war ihr, als ob ein König gnadenreich ſich zu ihr neigte. Daß ein ſolcher Menſch durch die Straßen Berlins wandelte, erſchien ihr faſt komiſch. Ein Stern in einer Laterne. Wäre er in einen Berliner Salon geraten, man hätte ihn als Narren behandelt oder ihn als Merkwürdigkeit „herumgereicht“. Und ſelbſt in den vielen freien Gemeinſchaften, wo ſich die kühnen und radikalen Denker zuſammenfanden, hätte man den Kopf über ihn geſchüttelt. Daniel Rainer hatte etwas vom Gralsritter oder auch von einem Brahmanen. Von beiden das geheimnisvoll Tiefe, und daß er immer im Feierkleid der Seele wandelte. Zuweilen war's ihr, als ſähe ſie ihn wie ſchwe⸗ bend auf einer Weltkugel. Durchſichtig rein war er und undurchſichtig tief. Und ſo ganz fern vom All⸗ 290 tagsleben, daß es ſie mitunter irritierte, daß er ge⸗ wichſte Stiefel trug. Sie hätte ſich dieſen Jüngling, der ſo pſalmenhaft redete, nicht mit einem Bart denken können. Und völlig weltfremd war er. Oft kindlich naiv. Und doch — war er nicht bis zu einem gewiſſen Grade auch ein Jünger Stirners? Wie Frank hatte er ſein Ich aus allen Be⸗ ziehungen zurückgerufen, die ihn „in Dienſt und Pflicht“ nehmen wollten. Frank aber that es, um mit Leib, Seele und Geiſt ſchrankenlos des Lebens Inhalt auszuſchöpfen. Der Stirnerſche Egoismus nimmt viel und giebt wenig. Daniels Selbſtbefreiung galt den Hemmniſſen, die ihm den Weg zu ſeinen idealen Zielen erſchwerten oder ſperrten, galt dem, was ſeine Flügel band. Obwohl in der vollkomenen Reinheit ſeines Lebens einer Chriſtusgeſtalt gleichend, war er doch weit entfernt, ſeine Aufgabe im Altruis⸗ mus zu ſuchen. Mit Stirner teilte er die abſolute Nichtachtung von Kirche, Staat, Familie. Ja, er war von größerer Rückſichtsloſigkeit, von härterem Stoff als Frank. Der litt unter dem Jammer ſeiner Familie. Daniel hatte gewiſſermaßen ſeine Familie abgeſchafft. „Meine Mutter,“ ſagte er, „wird vielleicht an meinen Plänen zu Grunde gehen. Ich kann's nicht ändern. Wer noch vor etwas zittert, iſt nicht frei. Dieſelbe Entäußerung alles nebenſächlichen Denkens und Fühlens forderte er von ſeinen Freun⸗ den und Jüngern. Ein rein geiſtiges Band verband 19* 291 ihn mit ihnen. Irrten ſie von ſeinen Wegen und Zielen ab, ſo zerriß er das Band. Einer ſeiner Jünger teilte ihm mit, er habe ſeine Mutter wieder⸗ geſehen. Was er ihr auch angethan, ſie hinge mit unverbrüchlicher Zärtlichkeit an ihm. Es habe ihn tief gerührt. „Geh zu Deiner Mutter,“ ſagte er ihm, „aber geh von mir.“ Zuweilen fragte ſich Chriſta, ob es ihm nicht an einfacher, menſchlicher Güte fehle. Völlig wich er von Stirner in ſeiner Lebens⸗ führung ab. Er lebte beinah als Asket. Das Zim⸗ mer, das er bewohnte, war kahl. Im Hintergrund ſtand ein ſchwarz gedeckter Tiſch mit vielen Wachs⸗ kerzen. Bücher in alten, meſſingbeſchlagenen Ein⸗ bänden lagen auf dem Tiſch, unter ihnen eine Bibel. Er nährte ſich von Milch, Honig und Früchten. Zuweilen aber trank er Wein. Und er liebte es, wenn die Farbe des Weins von dunklem Purpur oder goldenem Gelb war. Und er aß feines, weißes Brot dazu. Weißes Brot und roter Wein. Er faſtete oft und ſchlief wenig. Er empfand den Leib als läſtige Hülle und ſuchte ihn zu ver⸗ feinern, gewiſſermaßen durchläſſig zu machen. Unabläſſig warf er Ballaſt aus dem Luftſchif ſeines Lebens aus, damit es ſteige, ſteige! Es war etwas in ſeinem Weſen, das an Poſc ſtreifte oder wenigſtens dafür gehalten werden konnte. In der Feinheit ſeines äſthetiſchen Em⸗ pfindens, in ſeiner dunklen, dichteriſchen, oft ge⸗ 292 heimnisreichen Sprache erinnerte er an die Epheben⸗ gruppe. Chriſta war bisher kein großes Schickſal be⸗ ſchieden geweſen. Selbſt die Konflikte mit ihrem Gatten, bei denen ſie nur einen paſſiven Widerſtand zu überwinden gehabt, hatten ihre Thatkraft nicht angeſpornt. Und nun ſtand ſie mit Ehrfurcht vor der eiſernen Willenskraft dieſes Sichſelbſtſchaffenden, der an die Möglichkeit der Ueberwindung aller niederen Menſcheninſtinkte glaubte. Frank litt an ſich ſelbſt, wurde von ſeiner Skepſis aufgerieben, er glaubte an nichts, auch an ſich ſelbſt nicht. Er war ein Zerſtörer. Daniel war oder wollte ein Schöpfer ſein. Und er glaubte an ſich mit der unbeirrbaren Sicherheit großer Menſchen. Ohne Geld, ohne Konnexionen, ohne nur die Sprache zu kennen, war er nach Rom gegangen. Er war in Paris geweſen, war in die hohen Sierras Spaniens geſtiegen, wo die Hirten ihn wie einen Heiligen verehrt und Mönche und Nonnen ihn be⸗ wirtet hatten. Und er würde nach Jeruſalem gehen, nach Syrakus, nach Island, an den Nordpol. Die Klöſter waren ſeine Zufluchtsſtätten. Seinen Lieblingsſchüler — er war reich und hieß eigentlich Cohn, er nannte ihn aber Parſifal — ſchickte er in der Welt umher, um einen erhabenen Punkt am Meer ausfindig zu machen, wo er ein Kloſter gründen ſollte. Ein Kloſter mit den ſtrengſten Trappiſten⸗Regeln, nicht um der Gottgläubigkeit 293 willen — denn er war glaubenslos — aber er brauchte Schweigen und Stille. Einen andern Schüler hatte er nach Jeruſalem in ein Kloſter geſandt. Er kam nicht wieder. Er war verſchollen. „Chriſte, willſt Du hingehen, ihn zu holen? Frauen erſetzen an Feinheit, was ihnen an Kraft fehlt.“ Chriſta erſchrak. Aber ſie ſagte nichts. Einer ſeiner Schüler war plötzlich unter ſeinen Augen wahnſinnig geworden. Wunderſchön wär's geweſen, ſagte er, wie er, ſeines Leibes nicht mehr eingedenk, wie in einem ſublimen Haſchiſchrauſch durch Paradieſe flog. Daniel Rainer ſchien einzig in ſeiner Art. Er ſelber wähnte, völlig frei vom Geiſt der Zeit ein ewvig geltendes Geſchöpf zu ſein. Trotzdem erkannte Chriſta in ihm einen Typus der Zeit. Er ſtellte nur die Reinzucht dieſes Typus dar, gewiſſermaßen ſeinen Idealextrakt. Der Kern dieſes Typus: Die fiebernde Sehnſucht nach einer vierten Dimenſion. Eine anar⸗ chiſtiſche Geſinnung liegt ihm zu Grunde, die ſelbſt vor den Naturgeſetzen nicht Halt macht. Stirner machte Halt davor und erkannte an, daß niemand aus einem Kreis herauskäme. Jene modernen, kühnen, ganz vergeiſtigten Anarchiſten aber wagen mit ihren Gedanken den Salto mortale heraus aus dem Kreiſe, und ſie ſpringen — ins Leere, oder — in die vierte Dimen⸗ 294 ſion, in eine Ueberwelt, an die ſie mit religiöſer Brunſt glauben oder glauben möchten. Ab und zu verſchwand Daniel auf einige Tage. Einmal blieb er wochenlang fort. Chriſta war in Sorge um ihn. Er hatte ſich in Süddeutſchland in einem Kloſter als Novize aufnehmen laſſen, das Noviziat aber nur kurze Zeit ausgehalten. Kleinlich und elend wäre es geweſen. „Warum wanderſt Du ſo viel in der Welt um⸗ * her? Er blickte zu Boden. Nach einer Weile ſagte er: „Drei Stationen muß ich zurücklegen, ehe ich in das wirkende Leben treten kann.“ (Unwillkürlich mußte Chriſta an die Leidensſtationen Chriſti den⸗ ken.) „In der erſten Station muß ich immer fort von da, wo ich anfange, heimiſch zu werden. Wo das Leben mich feſſeln will, darf ich nicht bleiben. Jeder Anſiedelung widerſtehen. Abſchied nehmen können. Darum meine Wanderungen von Land zu Land, von Meer zu Meer.“ Er ſchwieg in ſich verſunken. „Und die zweite Station?“ fragte Chriſta. Er ſah auf mit einem Blick ſiegenden Mutes. „Wer in die Werkſtatt Gottes (er hatte ihr noch nie geſagt, was er unter Gott verſtand) ſchauen will, muß bis an den Eingang der Werkſtatt gelangt ſein. Der Weg dahin iſt weit. Auf der zweiten Station heißt's: Schreiten! vorwärts, aufwärts, unaufhalt⸗ ſam ſchreiten! Mein Fuß muß ehern werden. Ueber 295 Ruhm, Liebe, Wohlleben hinwegſchreiten, ebenſo ſicher durch den Sand der Wüſte wie hinauf zu ſteilen Höhen, unbeirrt — meinem Ziel entgegen. Auf dieſer Station bin ich jetzt. Noch kann ich ſtraucheln oder ermüden. Iſt aber mein Fuß ehern geworden, ſicher ſchreitend durch den Sand der Wüſte, hinauf zu ſteilen Höhen, gefeit gegen Sonnenbrand und Sturm, dann bin ich zu der dritten Station gekommen, zu dem Punkt, wo ich bleiben werde, von wo aus mein Wirken beginnt. Etliche Jahre zur Vorbereitung habe ich noch vor mir. Entweder ich werde, was ich werden will, oder ich gehe zu Grunde, ohne Klage, ſchweigend, vornehm, wie der Stern, der im Aether zerrinnt.“ Oft ſchon hatte Chriſta ihn nach dieſem Wirken, nach ſeinem Ziel gefragt. Er hatte ähnlich geant⸗ wortet wie Lohengrin der Elſa: Nie ſollſt Du mich befragen u. ſ.w. „Das Allerheiligſte darf nur ein Ge⸗ weihter betreten. Du, Chriſte, biſt noch im Noviziat. Die Zeit wird kommen, wo ich es Dir künden werde. Und Chriſta ahnte — nein, ſie wußte —, Daniel ſuchte, oder er glaubte ſie ſchon gefunden zu haben — die Sternenbahn, die hinweg über die Unfreiheit des Willens in das Sonnenland führt, wo der menſch⸗ liche Wille ſeiner Feſſelung ledig iſt. Unter Daniels Einfluß verfeinerte ſich Chriſta immer mehr. Sie wurde nervenzart wie nur Frank es geweſen, die kleinſte Roheit, die ſie auf der Straße ſah oder in den Zeitungen las, entſetzte ſie. Ihr Ge⸗ ruchsſinn wurde ſo empfindlich, daß ſie eine ver⸗ 296 blühende Blume im Zimmer nicht ertrug. Ihr ganzes Zeitalter empfand ſie als grob. Und Daniel wurde immer bleicher und as⸗ ketiſcher. Einmal kamen ſie etwas erſchöpft von einem Spaziergang nach Hauſe. Er nahm Thee, aß Kuchen und rauchte eine Cigarette. Chriſta war erſtaunt und gerührt. Das war ſo einfach menſchlich. Sie lächelte ihm zu wie einem Kinde, das ſich in liebenswürdiger Weiſe gehen läßt. Er plauderte ſogar von ſeiner Kindheit. Nie bis jetzt hatte er geplaudert. Ihre Jungfer brachte ihr einen Brief. Sie las ihn und wurde nachdenklich. Er ſah den Poſtſtempel: Konſtantinopel. „Trauriges, Chriſte? „Adrian von Lützow geht es nicht gut. Er be⸗ darf ſorgfältiger Pflege. Maria Hill ſchreibt es mir. Sie wird bei ihm bleiben, bis — ich kommen werde. „Und Du, Chriſte? „Ich bin ſchwankend. Er legte die Cigarette beiſeite, und das lieb Menſchliche ſchwand aus ſeinen Zügen. „Ich weiß, Herr von Lützow hat Deinem in⸗ neren Leben fern geſtanden. Mir ſcheint, Du irrſt auch noch in meiner Welt wie in einem Labyrinth umher. Und klug haſt Du Dir einen Ariadnefaden mit hineingenommen. Wirſt Du mit mir ſcheu oder müde, ſo leitet er Dich in die alte Mechanik Deines Lebens zurück. Geh nur, geh, man wird der Heim⸗ kehrenden ein Kalb ſchlachten." 297 Und ſie zerriß den Ariadnefaden. Sie ſchrieb „nein“ an Maria Hill. Es war Sommer geworden. Daniel gedachte ſich auf einige Zeit, wie er es ſchon oft gethan, in ein ſüddeutſches Kloſter zurückzuziehen, um eine Ar⸗ beit zu vollenden. Eine Schrift religiös myſtiſchen Inhalts. Vorher wollte er ſich einige Wochen der Erholung in dem idylliſch gelegenen Oertchen gön⸗ nen, das unterhalb des Kloſters liegt. Mit Chriſta. Ein Unwohlſein hielt ſie in Berlin zurück. Sie konnte ſich erſt zehn Tage ſpäter mit ihm vereinigen. Die Trennung und daß ſie krank geweſen, hatte ihre gegenſeitige Freude an dem Wiederſehen geſteigert. Es war ein herrlicher Sommertag, als er ſie vom Bahnhof abholte. Sie hatte nie reizender aus⸗ geſehen. Nach einem einfachen Mahl unternahmen ſie gleich eine Wanderung ins Freie. Er wollte ihr ein altes, romantiſches Schloß zeigen und auch ſein Kloſter. Auf dem Rückwege würde der Mond ſcheinen. Er war nicht ganz wie ſonſt, ſie ſpürte eine leichte Unruthe in ſeinem Weſen. Die Sonne war eben untergegangen, als ſie auf den Hügel kamen, von dem aus man das Kloſter ſah. 298 Wie damals, als Chriſta mit Frank am See ſtand, war das Firmament wie eine Transfiguration des Feuergottes. Aber mitten aus dieſem brennen⸗ den Wahnſinn ragte ein dunkel dämmrig graublauer Hügel. Er hatte die Form eines Sarkophags. Auf einem kleinen Waſſer vor dem Hügel ruhte ein mild⸗ leuchtender Reflex des Farbenrauſchs. „Wie eine Rieſenthräne,“ ſagte Daniel, „die aus dem flammenden Aether gefallen. Seltſam, dieſe Feiterflut, die den dunklen Sarkophag umſchließt. Es iſt wie die Raſerei eines purpurnen Schmerzes, als ränne das Herzblut eines Cherubs durch das All. Wer iſt geſtorben, oder wer ſtirbt? Daniel war traurig geworden vor dieſer flam⸗ menden Maßloſigkeit. Sie gingen weiter über eine einſame Haide. Am Ende der Haide ſtand das alte Schloß. Ein halb zerfallener, romantiſcher Bau, von einem morſchen Gitter eingezäunt. Es ſtand inmitten eines wüſten, verwitterten Parks. Am Eingang ein kahler Baum, vom Blitz geſpalten, der weithin ſeine Aeſte breitete „Spukhaft,“ ſagte Chriſta. „Wollen wir nicht lieber umkehren? Sie gingen aber hinein. Der Boden war modrig feucht. Die Dünſte bildeten in der Dämmerung Ge⸗ ſtalten: einen Greis mit einem Silberbart, ein flie⸗ hendes Weib in weißen Schleiern. Auf einer morſchen Holzbrücke ein Adler von Stein mit einem abge⸗ 299 — ein düſterer, geſpenſtiſcher Wächter. brochenen Flügel. Urnen, in denen Unkraut wucherte. Rings tiefſtes Schweigen. Die Dämmerung war eingebrochen. Daniel be⸗ gann zu reden, mehr und ſchneller, als es ſonſt ſeine Art war, und noch dunkler und myſtiſcher als ſonſt war auch, was er ſagte. Ueber ihr Verſtändnis ging es hinaus. Ihre Lippen begannen zu brennen. Die Dämmerung war tiefer geworden. Sie ging un⸗ ſicher auf dem unebenen Erdreich. Er nahm ihre Hand, um ſie zu führen. Sie fühlte, daß ſeine Finger leiſe bebten. Leuchtkäfer durchſchwirrten die Luft. Plötzlich ließ er ihre Hand los und eilte einige Schritte voraus. „Wir wollen hinaus aus dieſem wilden, ver⸗ zauberten Park.“ Er ſtolperte über einen Gegenſtand, der hinge⸗ ſtreckt am Boden lag. Er fiel, fiel auf den weißen Leib einer umgeſtürzten Statue. Er verletzte ſich dabei die Hand, und Blutstropfen rieſelten über den Marmor. Seine Lippen lagen auf der Bruſt des Marmorbildes. Er wollte ſich erheben, konnte nicht, umklan⸗ merte wild die weiße Göttin. Krampfhaftes Zucken erſchütterte ſeinen Körper. Sie neigte ſich zu ihm nieder: „Biſt Du verletzt, Daniel? Ihre Stimme brachte ihn zur Beſinnung. Er ſprang empor. Zum erſtenmal ſah ſie ſein Geſicht verſtört, von Leidenſchaft durchwühlt. Sie wollte ſeine Hand nehmen. Er wehrte ab. 300 Auf ihre Frage antwortete er nicht. So ſchnell ſchritt er aus, daß ſie kaum folgen konnte. Der Mond jagte über die Wolken. Als ſie vor dem Hauſe, in dem ſie wohnte, angelangt waren, ſagte er leiſe: „Sieh die Schatten im Mond. Haben ſie nicht die Form einer menſchlichen Geſtalt mit einer Dor⸗ nenkrone auf dem Haupt? Ja! Sie ſah es auch. „O Chriſte! Chriſte!“ den Blick dem Mond zugewandt, ging er ohne Gruß von ihr. Etwas Verhängnisvolles war geſchehen. Sie wußte es, und ſie ahnte, was es war. Am anderen Tage wartete ſie vergebens auf ihn. Am Nachmittag kam ein Brief. Er war aus demi Kloſter datiert. Sie las ihn nicht gleich. Sie fürch⸗ tete ſich vor dem, war darin ſtehen würde. Sie ging hinaus bis auf den Hügel, von dem aus man das Kloſter ſieht. Und ſie ſtarrte hinüber auf die Eingangspforte, als müſſe ihr Blick eine magiſche Gewalt haben, vor dem die Pforte ſich öff⸗ nete und ihn herauszwänge, her zu ihr. Erſt als es faſt dunkel war, riß ſie den Brief auf. „Ich liebe Dich, Chriſte. Und ich glaubte mich 301 frei von Sinnlichkeit. Ein halb vollendetes Werk muß ich von neuem beginnen. In ſtrenger Askeſe will ich verſuchen, wvieder rein zu werden. Ich ſehe Dich nicht wieder.“ Das Papier fiel zu Boden. Ein Luftzug nahm es mit und wehte es fort, weit fort. Ihre weitoffenen Augen ſchweiften umher, er⸗ faßten nichts. Und ohne vermittelnde Vorſtellung, wie in einer Viſion, ſieht ſie ſich plötzlich im elterlichen Hauſe. Sie ſieht, wie das Bogenlicht aus der Reit⸗ bahn die weißen, dichten Schneeflocken magiſch durch⸗ leuchtet. Und ſie ſieht die Toteninſel, die ſchwarzen Cypreſſen und den weißen Prieſter. Der weiße Prieſter, der den Sarg begleitet, iſt Daniel, und in dem Sarge liegt ſie ſelbſt. Sie iſt tot. Sie hört den Totengeſang. Im Kloſter drüben ſpielt jemand die Orgel: Daniel. Er ſpielt für ſie, Eine Seele weint aus der Orgel. Langſam geht ſie nach Hauſe. Sie liebt Daniel. Sie liebt ihn ſeit dem Augenblick, wo er in der gold⸗ roſigen Staubſäule wie ein Heiliger geſtanden. Sie hat Adrian geliebt mit einer blumenhaften Sinnlichkeit. Ein Rauſch des Geiſtes war in ihrer Liebe zu Frank geweſen, ihre Sinne hatten ſich erſt langſam an ſeiner Glut entzündet. Immer nur ein Teil ihres Weſens hatte ihnen gehört. Daniel er⸗ füllte und durchdrang ſie ganz und gar. Wie ſie in Daniels Geſicht nicht die Schönheit des Mannes, ſondern eine vergeiſtigte Menſchenſchön⸗ heit bewundert hatte, ſo war auch in ihrer Liebe für 302 ihn der Mann wie ausgeſchaltet. Dieſen Menſchen liebte ſie, der in ſeiner geheimnisvollen Hoheit wie eine bibliſche Verheißung war, und der Erfüllung dieſer Verheißung galt ihr leidenſchaftliches Begehren. Zeugung und Empfängnis war darin. Und doch war in ihrer Empfindung auch zarte Zärtlichkeit und leidenſchaftliche weibliche Hingabe. Und auch ſeine äußere Erſcheinung gehörte dazu: ſein bleiches, ſchönes Prieſtergeſicht, ſeine durch⸗ ſichtigen Hände, ſeine tiefgrauen, von grünlichen Lichtern erglänzenden Augen. Es giebt eine ſolche Liebe nicht, ohne daß die Sinne dabei ſind? Hoch und ſtolz — die Augen groß und madonnenhaft aufgeſchlagen — richtet ſie ſich empor. Es giebt eine ſolche Liebe, denn ich habe ſie. Läßt die Natur nicht auf allen Gebieten un⸗ endliche, immer neue Variationen zu? Auch in der Bruſt des Menſchen liegen goldene Felder brach für neue pſychiſche Entdeckungen. Jene königliche Blume, die bisher nur alle hundert Jahre einmal blühte, ob ſie unter anderen Bedingungen, bei einer anderen Kultur nicht alljährlich blühen wird? Und nun iſt der ſo Geliebte von ihr gegangen, und das Geheimnis ſeines Werkes hat er mit ins Kloſter genommen. Und nie wird ſie erfahren, wo⸗ rauf ſie ſo lange mit ſeeliſcher Spannung gewartet. Liebeverlaſſen, gottverlaſſen — wer und was iſt ſie nun ohne ihn? 303 Ohnmächtige, zehrende Sehnſucht zerreißt ihr das Herz. Mit Zorn und Widerwillen denkt ſie daran, daß es immer das erotiſche Element iſt, das Mann und Weib trennt, wenn ſie als Menſch zum Menſchen kommen wollen. Bei dem Mann iſt's immer ſo. Aber auch das Weib iſt in dieſe Gefühlsweiſe ver⸗ ſtrickt. Frank ſchied ſich von ihr, als ſie ihn nicht mehr liebte! Und Daniel geht von ihr, weil er ſie liebt. Gegen Sonnenuntergang irrt ſie nun Tag für Tag in Herzens⸗ und Seelennot um das Kloſter her⸗ um. Sie weiß, um dieſe Zeit ſpielt er die Orgel. In den erſten Tagen ſang aus der Orgel ein tiefes, tiefes Heimwveh, eine kranke, irdiſche Sehn⸗ ſucht. Dann wurde das Spiel frommer, ergebener. Feierliche Töne miſchten ſich hinein. Sie weiß, er be⸗ gräbt ſeine Liebe. Und mit jedem Tag wurden die Orgelklänge heiliger, asketiſcher, und mehr und mehr entrückte er ihr. Ein Gehölz lag auf dem Weg zum Kloſterhügel. An einem Tag brach eine ſo wunderſame Goldflut der untergehenden Sonne durch die Bäume, daß Chriſta eilig durch das Wäldchen lief, um die ganze 304 unverhüllte Schönheit des Naturſpiels zu genießen. Es war eine Enttäuſchung. Die Sonne lag reizlos wie eine große, überreife Orange auf dem matten, grauvioletten Himmel. Es war eine Ideenaſſociation, als ſie dachte: Wie — wenn nun die Enthüllung ſeines Ziels auch eine Enttäuſchung geweſen, die geheimnisvollen, ver⸗ heißenden Durchblicke das Beſte daran wären, und die Entſchleierung nur grauviolette Möglichkeiten zeigte?! Das Bild von dem verflogenen Vogel, mit dem jener Kritiker Anſelma ſo tötlich verwundet, kam ihr in den Sinn. Trennte auch ihn eine Glasſcheibe von dem goldenen Aether, dem entgegen er ſeine morgen⸗ rötlichen Schwingen entfaltete, und er ſah das Glas nicht und würde ſich daran zerſchmettern? Und je mehr ſie nachdachte, je ſkeptiſcher wurde ſie. Am Ende war er ſelbſt über ſeine Ziele im Un⸗ klaren und tappte durch Nebel und Wolken einer imaginären Sonne entgegen, die er durch das Rieſen⸗ fernrohr brünſtiger Ahnungen zu ſchauen wähnte. Oder lag, was er wollte, in der ſchmalen Kluft, die ihn vom Wahnſinn trennte?! Und ſein Orgelſpiel war an dem Tage, als läſe er ihre Gedanken: leiſe, zerrinnende, verſchwimmende, in Mondlicht getauchte Klänge. Aller Stolz fiel von Chriſta ab. Sie wurde demütig. War ſie wirklich mit Stirner, mit Frank, mit Daniel ſo viel gewachſen? Oder hatte ſie nur Stelzen beſtiegen? Auf denen hält man ſich nicht Dohm, Chriſta Ruland 20 305 lange. Was quält ſie ihr Gehirn ab? Es iſt wie ein Rad. Sie bringt es ins Rollen, es rollt — rollt — ins Unbekannte, ins Nichts. Und wieder er⸗ hob ſich vor ihr das Geſpenſt der Unfreiheit des Willens. Ein müder Trübſinn zehrt an ihr. Alles, was auf Erden geſchieht, iſt ſo ſchrecklich. Es erregt ihr Schauder. Ein Schauder, gemiſcht aus Widerwillen, Schwermut, Verwunderung. Hat man nicht erſt kürz⸗ lich auf Tolſtoi, einen Menſchen, rein und groß, den Bannfluch der Kirche geſchleudert? Und ein ver⸗ dummtes Volk ſpuckt vor ihm aus. Kann man eine blutigere Satire auf die Menſchheit ſchreiben? Was ſollte ſie denn jetzt thun, damit ihre Lebens⸗ ſäfte nicht ganz ins Leere rinnen? Sie wird an Maria Hill ſchreiben: Sie käme, um Adrians Pflege zu übernehnten. Zu ſpät. Briefe von Maria und Adrian trafen ein. Die beiden hatten ſich lieb gewonnen. Adrian willigte jetzt in die Scheidung, unter einer Bedingung — einer unerläßlichen — daß er ihr einen beſtimmten Teil ſeines Vermögens überlaſſen dürfe. Er war reich geworden. Seine Großtante, die Gräfin Oertzen, war geſtorben und hatte ihm ihr Gut in Mecklenburg hinterlaſſen. Auf dieſem Gute würden ſie leben und dort ein chemiſches Laboratorium grün⸗ den. Adrian hatte ſeinen Abſchied genommen. Viel Herzliches und Gutes ſtand noch in den Briefen. Adrian nahm einen zarten und liebevollen Abſchied von ihr. Chriſta war von Herzen froh, daß die beiden ſich 306 gefunden. Allmählich aber wurde ſie traurig. Wa⸗ rum fehlte gerade ihr das Talent zum Glück! Selbſt Klariſſa, die den Arzt, der ſie geheilt, geheiratet, hatte es gefunden. Vielleicht fand ſie es nur deshalb nicht, weil ſie immer an der unrechten Stelle geſucht. Oder — ja — das wars — weil ſie ein Uebergangsgeſchöpf ſar. Wie ſagte Maria? „Wir begabten Frauen von heute, wir ſtehen alle auf einer ſchwankenden Brücke ohne Geländer, wer nicht ſchwindelfrei iſt, ſtürzt leicht hinab ... Die neuen Ideen ſind ſchon lebendig, die alten in uns noch nicht tot . ... Wir haben die Nerven der alten Generation und die Intelligenz und das Wollen der neuen. Und gleich dem Moſes, werden wir an der Schwelle des gelobten Landes ſterben.“ Hätte ſie nicht hinzufügen ſollen: und am Ende der Brücke iſt eine Sphinx? Das Rätſel „Weib“ iſt noch nicht gelöſt. Chriſta iſt an das Waſſer gegangen, das Daniel eine Rieſenthräne genannt, die aus dem flammenden Aether gefallen. Wie — wenn ſie ſich in dieſer Thräne auflöſte? Sie ſetzt ſich an den Rand des Waſſers. Die Orgel hört ſie nur aus weiter Ferne wie das Echo einer Geiſterklage. 20* 307 Selbſtmord! Das Daſein ablehnen! Hat gerade ſie ein Recht dazu? Iſt ſie nicht eine von den Frauen, über die man die Achſeln zuckt und ſagt: Was will ſie denn eigent⸗ lich? Ja, was will ſie denn? Sie iſt geliebt worden. Nie hat ſie des Lebens Not kennen gelernt, kein tragiſches Schickſal hat ſie gehabt. Und doch — — ſind nur Hunger und Not und Tod, und daß der Geliebte von uns geht, tragiſche Schickſale? Frank war ja auch ein Unglücklicher. Er war ſein eigener Feind, ſein eigenes finſteres Schickſal. Und Nietzſche? Wenig hat er erfahren, wenig ge⸗ lebt, und iſt doch eine tragiſche Perſönlichkeit ge⸗ weſen, wie kaum ein anderer. Früher wurden die Ketzer verbrannt, jetzt verbrennen ſie ſich ſelbſt. Leidende, an ſich Vergehende ſind alle diejenigen, die — ſie hat es ja ſchon geſagt — in die vierte Dimenſion wollen und die, wie Daniel, der ſich von Gott und Religion losgeſagt, mit frommer Gier in ſich ein neues höchſtes Weſen ſuchen. Sie haben „die Hoſtic nicht verdaut“. Und Chriſta fühlt ſich dieſem Typus verwandt, in ihrem innerſten Weſen ihm zugehörig. Freilich, ſie iſt nur ein dürftiges Reis jenes ſtarken Stammes verwegen phantaſtiſcher Denker. Es fehlt ihr an Verſönlichkeit, Geiſteskraft. Sie iſt und bleibt eine Berlinerin, eine kluge (vielleicht auch das nicht ein⸗ mal), und möchte es doch ſo leidenſchaftlich gern nicht ſein. 308 Ach, ſie iſt es müde, zur Menſchheit zu gehören, müde, zu ſich ſelbſt zu gehören. Sie verſinkt in grenzenloſe Melancholie. Die dürren Herbſtblätter raſcheln. Das ganze Leben ſieht ſie im Bild jenes Men⸗ ſchen, der durch eine endloſe Prairie reitet und den Ausweg nicht findet. Endlich glaubt er am Ziel zu ſein. Da ſieht er zu ſeinem Entſetzen, daß er ſich an der Stelle befindet, von der er ausgeritten iſt. Sie neigt ſich über den kleinen See. Ihr Spiegel⸗ bild, verzerrt, zitternd, ſtarrt ihr entgegen. Sie glaubt ſonderbare Töne zu hören wie das Echo eines Lachens. Lachte das Spiegelbild? Lachte ſie ſelber? Und nun lacht ſie wirklich. Sie lacht über ihre Selbſtmordidec. Größenwvahn! als ob es für ſie ſo wichtig wäre, ob ſie iſt oder nicht iſt. Es kann ihr ja noch ganz gut im Leben gehen. Sie iſt noch jung, von normaler Sinnlichkeit. Wahrſcheinlich, daß ſie noch einmal einen Mann lieb gewinnt, und möglich, daß ſie wieder aufhören wird, ihn zu lieben. Sie ſteigt wieder zum Hügel empor. Langſam ſchweben Wolkenmaſſen heran. Allmählich ſenken ſie ſich ins Thal im Kampf mit der Sonne. Zuckende Lichter fallen durch die ſchwarzen Schleier auf die Landſchaft; hier und da glänzt ein Streifen auf, ein goldenes Band auf dunklem Grunde. Die Wolken jagen die Sonne. Sie flieht auf die ferne Bergſpitze und ruht da als funkelnde Krone auf dem Berges⸗ haupt. Auf der Hügelwieſe eine leuchtende Schlange. 309 Sie hebt ſich, ſchwebt aufwärts: ein Regenbogen von grandioſer Pracht. Eine Schar Kinder kommt daher in Begleitung frommer Schweſtern. Sie hat die Kinder ſchon oft geſehen, und zuweilen mit den Schweſtern geſprochen. Kranke Kinder, von Skropheln verzehrte, die die Ferienkolonie aufs Land geſchickt hat. Einige dar⸗ unter hatten ſchon vom fünften Jahre an in Fabriken arbeiten müſſen. Und die Kinderſchar trippelt gerade unter dem Regenbogen dahin, der wie die Eingangspforte zu einem Paradieſe ſich über ihnen wölbt. Chriſta ſieht ihnen nach, erſchüttert von Mit⸗ leid. Und an dieſes Gefühl reiht ſich Gedanke an Gedanke. Und ſie kommt zu einem Entſchluß. Die Eigenheit ruft Dir zu: „Komm zu Dir.“ Wie aber, wenn es nun das Beſte wäre, nicht zu ſich ſelber zu kommen, ſich gar nicht auf ſich zu beſinnen? An einem beſtimmten Platz eine beſtimmte Aufgabe er⸗ füllen und Nachts die traumloſe Ruhe — den Schlaf. Thäte ſie ſo, würde ſie wenigſtens nicht ganz über⸗ flüſſig ſein. Auch feine und duftende Stoffe wie die Lupinen werden als Dünger für neue Ernten in den Boden gepflügt. Sie würde ſich mit ihnen ver⸗ gleichen, hätte ſie je ſo duftend geblüht wie ſie. Gedankenſpiele! Vor Jahren, als ſie öfter mit früheren Schul⸗ freundinnen, die Volksſchullehrerinnen geworden waren, zuſammenkam, und die jungen Mädchen ihr unendlich traurige Geſchichten aus dem Elend dieſer 310 Kinder erzählten, hatte ſie einen Augenblick an den Beruf der Volksſchullehrerin für ſich gedacht. Ein vorübergehender Einfall. Sie dachte auch jetzt nicht daran, Volksſchul⸗ lehrerin zu werden. Aber an dem Teil der ſozialen Arbeit wollte ſie ſich beteiligen, der den Kindern galt. In welcher Art und Weiſe, wußte ſie noch nicht. Mög⸗ licherweiſe würde ſie ein Kinderheim gründen, mit Adrians Geld, das ſie nicht zurückweiſen konnte und das für ſich zu gebrauchen ihr widerſtand. Ueber die Möglichkeit einer Verſöhnung zwiſchen Individualismus und Altruismus hatte ſie ſchon als junges Mädchen nachgedacht. Mit dem Stirnerſchen Individualismus war ſie nicht ausgekommen. Nun würde ſie es mit dem Altruismus verſuchen. Das harmoniſche Menſchengeſchlecht, das die goldene Brücke finden würde zwiſchen Chriſtus und Stirner, war ein fernes Zukunftsideal. Sie faßt ihren Entſchluß mit aller Energie, deren ſie fähig iſt, aber ohne Freudigkeit, und doch ſieht ſie voraus, daß mit der Thätigkeit Freudig⸗ keit und Liebe zum Werk kommen wird. Sollte ſie ſchon einen Beruf ergreifen (die Vorſtellung eines beſtimmten Berufes war ihr von jeher antipatiſch geweſen), dieſer war der ſchönſte, vornehmſte, ſchaffendſte. Das Kind iſt das vornehmſte Geſchöpf unter den Menſchen, denn es bedeutet die Zukunft, und die Gegenwart iſt im Vergleich zur Zukunft immer Pöbel. Das Recht des Kindes hat das Herz der Welt 311 noch nicht erobert. Sie hielt es für wahrſcheinlich, daß das neue Jahrhundert, an deſſen Schwelle ſie ſtand, das Jahrhundert des Kindes ſein würde. Und wer, weiß, vielleicht würde ſie nun mit den Kindern gleich einem Kinde ſein, das ſich noch erſt entwickeln ſoll. Wie aber, wenn ſie nun ſelbſt Kinder gehabt hätte? Nicht eine ewige Wahrheit, daß in der Mutterſchaft des Weibes Daſein wurzle? Mit einer Gebärde ſouveränen Stolzes warf ſie das Haupt zurück: „die Wahrheiten einer Zeit ſind die fixen Ideen derſelben.“ Das Kind hätte mir ein Mehr von Freuden und Sorgen gebracht. An meiner inneren Entwicklung hätte es nicht viel geändert. Nun und nimmer wäre ich nur ein Durchgang geweſen für Andere, nur dazu da, den Begriff der Mutter, der Familie zu illuſtrieren. Nach Begriffsgeſetzen zu leben, hätte ich nie mich zwingen laſſen. „Als Ich entwickele Ich — Mich. Am Nachmittag vor ihrer Abreiſe — in den erſten Tagen des November — ſtieg Chriſta zum letzten Male den Kloſterhügel hinan. Das Gehölz war ſchon kahl. Nur eine kleine Gruppe von Bäu⸗ men brannte noch in der roten Pracht des Herbſtes. 312 Vom Wind bewegt, von der Sonne durchleuchtet, glichen ſie lodernden Fackeln. Der Himmel in ſeinem klaren Blau erſchien bleich neben dieſer Glut. Chriſta mußte an den feurigen Buſch denken, aus dem Gottes Stimme zu Moſes redete. Zu wem redet heute noch Gott? Und wir verſchmachten doch danach, die Stimme eines neuen Gottes zu hören. Und die Orgel tönte, tönte, anders als ſonſt. Immer ſchneller wurde das Tempo. Die Töne ſchwollen an, brauſten wie eine wilde Geiſterjagd durch die erzitternden Lüfte, bald jauchzende Halle⸗ lujas, bald wie das Miſerere eines Erzengels, der in die Tiefe ſtürzt. Die Orgel war raſend geworden. Erſchauernd ſenkte Chriſta den Kopf. Unwillkürlich faltete ſie die Hände. Ob er ſchon die ſchmale Kluft überſchritten, die ihn vom Wahnſinn trennte? Sein Wahnſinn aber würde ſchön ſein wie der ſeines Freundes, der, ſeines Leibes nicht mehr ein⸗ gedenk, in ſublimem geiſtigen Haſchiſchrauſch durch Paradieſe flog. Setzmaſchinenſatz und Druck von A. Sefdel & Cie., G. m. b. H. Berlin SW. 313 Im gleichen Verlag erſchienen: Hedwig Dohm: Schickſale einer Seele. Roman. . . . . Es iſt ein intimes, verſchloſſenes Seelenleben, das eine verheiratete Frau hier in Briefen einem Freunde rückhaltlos darlegt. Sie leitet ihr unmitteilſames, ſcheues Weſen, das nur in ſich allein Entfaltung hat, ab aus ihrer Stellung im Eltern⸗ hauſe, von ihren Geſchwiſtern verſpottet, von der Mutter beiſeite geſchoben in einer ſpießbürgerlichen Atmoſphäre, der zur Gemütlich⸗ keit das Gefühlsleben fehlte. Sie verkriecht ſich ſcheu vor der Wirklichkeit, der Traum iſt für ſie das Leben Ihre naiven Sinnesäußerungen werden als Verderbtheit gebrandmarkt, der freche Kuß eines alten Wüſtlings nimmt ihr die Unſchuld der Sinne. In eine Backfiſchverlobung trägt ſie all ihre Sehnſucht nach Poeſie hinein und ſchreibt rührend⸗groteske Liebesbriefe in einer ſpäter verſpotteten „Feder⸗ und Tintenerregung“. Die Geſchichte iſt ſchon beinahe vergeſſen, da hält ihr erſtes Ideal zu ihrer Verwunderung um ſie an, ſie iſt verlobt, ohne ein rechtes Glück zu empfinden, denn ſie fühlt bald, daß ihr Zukünftiger, der junge, vielverſprechende Schriftſteller Walter Bucher, ein „Charmeur“ iſt, der das große Publikum braucht, um zu wirken, dagegen in ſeiner traulichen Zärtlichkeit das perſönliche Element ganz vermiſſen läßt. Aus einem gelangweilten Brautſtand treten ſie in die Ehe, ſie bleibt innerlich eingefroren, er vermag es nicht, wieder ihren Geiſt noch ihre Sinne zu wecken. Ihre Ehe, mit leiſen, aber ungemein beſtimmenden Zügen des Behagens und Unbehagens geſchildert, illuſtriert wieder ein Wort der genannten Ellen Key Ihre kleinen wirtſchaftlichen Anfangsſünden werden von ihm teils mit Ironie, teils mit heftiger Nervoſität an den Pranger geſtellt, ſie verliert jedes Vertrauen in ſich, jede Autorität gegen ihre Umgebung, ihre Paſſivität raubt ihr ſeine Achtung und dieſe verſagt er ihr auch, wenn er ſie in Geſellſchaft führt. So wird ſie für dumm gehalten, während ſie für ſich ſelbſt ein Gefühl der Eitelkeit behält, da ſie genau weiß, ſie könne ebenſo ſprechen wie andere, die man bewundert. Von den zwei Kindern, die ſie geboren hat, iſt ihr das jüngere, ein Mädchen, beſonders ans Herz gewachſen. Mit ihm geht ſie nach Tegernſee, wo ſie mit dem Adreſſaten der Briefe, einem Menſchen von beruhigender Klarheit und Einfachheit, in wohlthuende Freundſchaftsbeziehungen tritt, die ihr wie die echteſte Form des Verhältniſſes zwiſchen Mann und Weib erſcheinen. Der ungeheure Schmerz, den ſie durch den Tod ihres kleinen Lieblings erfährt, macht ſie mutig, ſie bricht mit ihrem Heim und zieht nach Rom. Lange bleibt ihrer leeren, unſicheren Seele die Herrlichkeit der Stadt verſchloſſen, die Liebe lehrt ſie, wie ſchon Goethes römiſche Elegien geſungen haben, ſehen und fühlen, geleitet von einem Geiſt voll reiner Schönheit. So lernt ſie nun die echte Liebe kennen, die für ſie darin zu erkennen iſt, „wenn man ein Kind von dem Mann will, den man liebt,“ ein faſt wörtlich an einen Satz Zolas an⸗ klingender Ausſpruch. Auch hier muß ſich nach lautem Jubel die Enttäuſchung einſtellen: er iſt eine weibliche, durchaus äſthetiſche Natur, er verläßt ſie und ſie ſteht wieder vor der Qual ihres Lebens, der Unechtheit in jeder ihrer Empfindungen zu be⸗ gegnen. Sie lernt erfahren, was ſie oft ſich vorgeſagt hat: „Ohne Liebe was wäre Rom.“ Ihr iſt die Stadt entgeiſtert, die ihr nur die Leidenſchaft ſuggeriert und ſinnliche Erregungen gegeben hat, die nicht wert ſind, zu dauern. Sie ſucht Ruhe in einem religiöſen Orden, der ihr reines Menſchentum predigt, ſie berauſcht ſich an der Myſtik, aber ihre Zweifel bleiben und kehren wieder, die ſehnſüchtige Lotosblume grüßt ſie als Schweſter. So klingt das Werk, das in feſt umriſſenem Leben begonnen hat, dämmerhaft aus. Es büßt in ſeinem zweiten Teil auch viel an Plaſtik ein, beſonders der römiſche Freund bleibt ſchattenhaft. Aber es bietet die hochbedeutſame Analyſe einer modernen ſuchenden Seele, es iſt ein „document humain“ in feinſter künſtleriſcher Ausgeſtaltung. Man darf es zu den Büchern rechnen, die nicht als Eintagsfliegen untergehen. Aus einem Feuilleton in der Münchener Allgemeinen Zeitung. Ferner: Sibilla Dalmar. Roman. 2. Auflage. . . . . Hedwig Dohm erfindet keine Geſchichte mit Anfang, Verwickelung, Kataſtrophe und Schluß, obwohl von dem allen doch dies und jenes zerſtreut in dem Romane vorkommt. Nur Bekenntniſſe einer nervöſen Seele will die Verfaſſerin geben. Eine Menge Menſchen zieht in den unerhört offenherzigen Briefen Sibillas an uns vorüber, närriſche Weiber, die im Philiſterium ſtecken, angekränkelte Weiber, die förmlich platzen von der überreizten Koſt, mit der das Jahrhundertende die hungernde Hyſterie der Unbeſchäftigten und Zweckloſen füttert, liebestolle Weiber, deren Sinne beinahe wahllos ſich erſättigen und denen die Geſellſchaft, das decadente Ungeheuer, ſchlaff ver⸗ zeiht, edle Weiberſeelen, die etwas leiſten möchten und denen der Sozialismus als Salonmode zu Kopfe geſtiegen iſt; dann Männer aller Sorten, der blaſierte, konſervative Parlamen⸗ tarier, der ſteife, livländiſche Edelmann, der ſozialdemokratiſche Agitator, der Dümmling, der mit ſeiner Schönheit die Weiber verrückt macht, der Dichter mit ſeinem verſchollenen Pathos von geſtern, mit der Deutſchtümelei und dem Bruſtton der Über⸗ zeugung, den die Modernen ärgern. Eine ſtickige, parfümierte Luft zittert durch das Buch, eine grenzenloſe Fähigkeit zu Ironie legt ſich über Geſtalten und Dinge, eine erſtaunliche Kraft des ſtets präſenten Wortes tändelt hier ſouverän und voll⸗ ſtändig reſpektlos mit dem Größten und Kleinſten und ſpielt Fangball mit den Stücken einer zerſchlagenen Welt. Die Gi⸗ gantenfigur eines Nietzſche als Boudoirſtatuette, das iſt Sibilla Dalmar, ein capriciöſer Tauſendſaſſa, der alles verſteht und nichts kann, alles Große ans Herz drückt und es in der Um⸗ armung zermürbt, zu einer Fratze zerdrückt und dann weg⸗ wirft . . . . Aus einem Feuilleton im Neuen Wiener Tagblatt. Ellen Key Eſſays. 3. Auflage. ¹. . . Ich kann es nicht warm genug empfehlen für den, der ſich mit den in den Vordergrund getretenen Fragen des modernen Lebens auseinanderſetzen will. Der hinreißende Stil, der freiflutende Enthuſasmus macht dies Buch des Glaubens zu einem modernen Erbauungsbuch. In den Eſſais „Weibliche Sittlichkeit“ und „Das Weib der Zukunft“ zeigt ſich wieder die große Liebe für ihr Geſchlecht, diesmal in kühneren und nie geſprochenen Worten; aber dann greift ſie weiter aus und gleich Emerſon mit dithyrambiſchem Schwunge ſingt ſie das Hohelied der Perſönlichkeit, der bewußten Seele in den Eſſais „Kultur⸗ veredlung“, „Stille“, „Mut“, „Die Freiheit der Perſönlichkeit“. Wenn man doch dergleichen in großen Maſſen unters Volk werfen könnte! Und noch mehr großes ſteht darin. Da füge ich wieder eins hinzu zu den wenigen Büchern, die ich ſtets mit Vorteil für meine Stimmung aufſchlagen werde. Es iſt be⸗ zeichnend, daß in dieſen Tagen ein ſolcher prophetiſcher Ton auf jener Seite ſich heraus wagt. Kein Mann redet heute ſo mutig und ſiegesgewiß. Ich denke, Ellen Key wird den Haß und die Verunglimpfung der Kleinen, Parteien ertragen können. Ich grüße ſie mit Hochachtung. Ernſtes Wollen. Die Wenigen und die Vielen. Neue Eſſays. Ellen Key, was für ein Name! Was für eine Summe von begeiſterter Arbeit, von nachhaltigen Erfolgen geht von ihm aus . . . . . . . . Eine mit blendendem Geiſte geſchriebene Be⸗ trachtung über das Verhalten des Sozialismus zum Nietzſche⸗ ſchen Individualismus leitet den geſchmackvoll handlich ausge⸗ ſtatteten Band ein. Es folgen tiefgedachte Betrachtungen über das Problem des Egoismus und Altruismus, über die Seelen⸗ kunſt Ibſens Als das Hervorragendſte des Werkes möchten wir die drei Eſſays bezeichnen, die mit bilderreicher Sprache tief⸗ gehende Fragen des Rechtes und Unrechtes der Frauen und ihrer Beſtrebungen behandeln. Sie enthalten eine Blütenleſe von Anſichten, die für Jahrzehnte, ja vielleicht für immer geltende Wahrheiten enthalten. Arbeiterwille. Romane von Gabriele Reuter, Frau Bürgelin und ihre Söhne. Roman. 4. Auflage. Daß Väter und Söhne einander nicht verſtehen, das iſt ſchon „Frau Bürgelin und ihre Söhne“ iſt ein Roman von Wert. hundertmal dageweſen. Aber daß eine liebevolle Mutter ihren Söhnen zur Tyrannin wird, daß eine Frau von hoher Bildung und hoher Geſinnung in der Erziehung ihrer Söhne das furcht⸗ barſte Fiasko erlebt, an dem ſie — und der ältere Sohn beinahe ebenfalls — zu Grunde geht, das in einem höchſt feſſelnden und die ganze Tragik eines ſolchen Verhältniſſes erſchöpfenden Romane darzuſtellen, war der talentvollen und künſtleriſch gewiſſenhaften Gabriele Reuter vorbehalten. Berner Bund. Ellen von der Weiden. Roman in Tagebuchaufzeichnungen. 4. Auflage. Zu den feinen Kennern der weiblichen Seele gehört un⸗ ſtreitig Gabriele Reuter, deren pſychologiſcher Roman „Aus guter Familie“ in wenigen Jahren zehn Auflagen erlebte. Auch ihr neueſter Roman „Ellen von der Weiden“ iſt in erſter Reihe ein Seelengemälde von ſchier unübertrefflicher Feinheit der Aus⸗ führung. Trotz des vorwiegend reflektierenden Inhalts iſt keine Zeile langweilig, überall begegnet man tiefen und wahren Ge⸗ danken und, was die Hauptſache iſt, auch wo die Verfaſſerin die heikelſten Themata berührt, bleibt ſie immer decent, ſo daß das Buch auch denkenden jungen Damen unbeſorgt in die Hände gelegt werden darf. Das Buch kann als ein geiſtvolles, durch keine Laszivität getrübtes Kompendium deſſen betrachtet werden, was von den Frauenrechtlerinnen über die Frauenfrage und alles, was mit ihr zuſammenhängt, geſchrieben worden iſt. St. Petersburger Zeitung. Frauenſeelen. Novellen. 3. Auflage. . . . Den Frauen, die im Zentrum des Berliner litterariſchen Lebens ſtehen, werden die Frauenſeelen ſchon bekannt ſein, denn ihre gefeierte Autorin laß die meiſten dieſer Novellen in verſchiedenen Vortragsabenden mit großem Beifall vor. Die ſchwere Reſignation, die ſich über dieſe Charaktere breitet, iſt das Typiſche dieſer hochintereſſanten Skizzenſammlung. Schade, daß das alles ſo unwiderleglich wahr iſt, was uns Gabriele Reuter darin unerbittlich entgegenhält. Mit unendlich feiner Sicherheit zeichnet die Autorin das Geheimnisvolle der Frauennatur, das in verzehrender Sehnſucht nach Eigenleben und Verſtändnis ringt. Deutſche Warte (Berlin). Thomas Mann: Buddenbrooks. Roman. 2 Bände. . . . Vier Generationen einer Lübecker Patrizier⸗Familie, vier Großkaufmanns⸗Generationen läßt der Dichter vor uns einander ablöſen. Wir ſehen Kinder heranwachſen, heiraten, und wieder Kinder in die Welt ſenden, wir ſehen dieſe ſcharf contourierten und mit frappanten Einzelzügen deutlich von ein⸗ ander abgeſetzten Menſchen eſſen, ſchlafen, ſich ſehnen, ſorgen, ſchaffen und erkranken. Und aus ihrem Weſen wächſt ihr Schickſal. Mit einer Technik, die nur ſtrengſte Selbſtzucht einer blut⸗ ſtrotzenden Phantaſie abringt, wird das Hinſiechen dieſes ge⸗ waltigen Baumes — Familie Buddenbrook — in Bildern von vehementer Regſamkeit entwickelt. Wie in den Kindern ſchon, die in die Tradition wachſen ſollen, der Keim des Niederganges treibt, wie ſich mühſam die eben ragenden Glieder oben zu halten ſuchen, wie unausweichlich das Ende naht, der pſychiſche und phyſiſche Zuſammenbruch, das im Blute gegebene, vor neidiſchen und hämiſchen Mitbürgern, die knirſchend ver⸗ ehren mußten, nicht mehr zu maskierende Abſterben. Ein Zug ins Ungemeſſene eignet allen Buddenbrooks. Und die Kraftloſig⸗ keit ihrer geſamten Konſtitution verdirbt dieſen nicht recht be⸗ griffenen, aber von einzelnen zäh bekämpften Trieb. Da iſt Thomas, der Konſul, das Haupt der Familie, der ſeiner Firma und ihrer Wucht nicht mehr gewachſen iſt, da iſt Toni, ſeine Schweſter, aufgewachſen in gläubiger Ehrfurcht vor dem Glanze ihres Vaternamens, da iſt Chriſtian, der Bruder, das wandelnde Symbol der Decadence ſeines Hauſes, begabt, ironiſch, cyniſch, marklos, da iſt der kleine Hanno, die bange Zukunftshoffnung des entwurzelten Machthabers, dem ſelbſt die Standarte des Hauſes aus den zitternden Händen ſinkt, Hanno, der langſam Sterbende, das ſcheue Kind, das nicht mehr Mann werden kann, weil es der Sohn der Ohnmacht iſt. Was iſt das Wunderbare an dieſem unbewegten, mit feſter Chroniſtenhand Zeile um Zeile ſorgfältig aufgebauten Buche? Warum erleben wir an der eigenen Seele alle dieſe ſo gleich⸗ giltigen Geſchehniſſe, dieſe Tagtäglichkeiten eines weltabgeſchiedenen Bürgerhauſes, warum iſt es uns, wenn wir den Band dann vor uns hinlegen, weh und wund ums Herz? Iſt es die unerhörte Meiſterſchaft der Darſtellung, dieſe kalte, ruhige Macht der Er⸗ zählung? Iſt es der helläugige, ſonore Dichter, in deſſen Schatten dieſe Menſchen wurden und verdarben? Rühren wir nicht an dieſes zarte Geheimnis. Es iſt das Märchen der Schöpfung. Auszug aus einem Feuilleton der Wiener Abendpoſt. John Henry Mackay: Der Schwimmer. Roman. So iſt auch dieſer Roman, die Geſchichte eines Meiſter⸗ ſchwimmers, in ſeiner Beherſchung des Stofflichen, in der exakten Kenntnis des Schwimmſports mit allen ſeinen Künſten, Fineſſen, Trics und Lockungen, faſt in der Manier eines Sportberichtes geſchrieben. Aber das Künſtleriſche daran iſt die Auffaſſung des Themas Gezeigt wird ein junger Menſch, der in dieſer Leiden⸗ ſchaft ſinnlichen, einzigen Genuß, Entwickelung und höchſtes Ge⸗ fühl der eigenen Körperkraft und Schönheit, dann Ehrgeiz, Ruhmſucht im ungemeſſenen Erfolg und ſchließlich die grauſame Tragödie der Einſamkeit und Enttäuſchung erlebt. Das Gleich⸗ nishafte jedes nach Ruhm greifenden Lebens wird eben in dieſem beſcheidenen Meiſterſchwimmer dargeſtellt, ganz mit unabſicht⸗ licher Ruhe und Sicherheit löſt es ſich aus, und ſo ergiebt ſich eine wahrhaft ſchöne, tragiſche Ironie. Die Wage (Wien). Jakob Wassermann. Die Geſchichte der jungen Renate Fuchs. Roman. 4. Auflage. . . . . Manche ſinnende Stirn wird ſich darüber beugen, manches Auge wird ſich feuchten und aus verſchütteten Tiefen wird eine wehmütige Bejahung aufſteigen. Ueber den Glanz ſeiner bildneriſchen Phantaſie, über die Pracht ſeiner Sprache will ich nicht weiter reden, nachdem ich ſchon einige Proben ge⸗ geben habe. Es kam mir auch nicht darauf an, das Buch nach⸗ zuerzählen oder zu analyſieren, ſondern ihm Freunde zu erwerben und dem Leſer zu ſagen, was ihn an äſthetiſcher Freude und menſchlichem Gewinn erwartet. Seitdem der alte Fontane tot iſt, der das Schickſal der kleinen Effi Brieſt in die verſtehende Milde der Alterserfahrung gehüllt hat, iſt in dieſem Frauen⸗ roman zum erſten Male wieder ein Kunſtwerk zu begrüßen und ein Künſtler, der menſchlich tief und reich genug ſcheint, um eine Entwickelung zu noch reiferen Werken zu verſprechen. Voſſiſche Zeitung (Berlin). 02.7639