HEDWIG DOHM P 1899. 426 Schickſale einer Seele Roman Berliner S. Fischer, Verlag 1899. Schickſale einer Seele. Drei Generationen: I. Schickſale einer Seele II. Sibilla Dalmar III. Anne Alarie Rubens Berlin S. Fiſcher, Verlag Schickſale einer Seele Roman von Hedwig Dohm Berlin S. Fischer, verlag 1899. Yx 28794-1 Alle Rechte vorbehalten Ex Biblioth.Regia Berolinenſi. Vorwort. In drei Romanen wollte ich drei Frauengene⸗ rationen des 19. Jahrhunderts ſchildern, deren Repräſen⸗ tantinnen, den Durchſchnitt zwar überragend, doch Typen ihrer Zeit ſein ſollten. Ich wollte ſie ſchildern, aufſteigend aus dem erſten Dämmer des Morgen⸗ grauens der Erkenntniß bis zum hellen, verheißungs⸗ vollem Frühlicht, das den Glanz der Mittagsſonne ahnen läßt, die erſt über den Frauen des 20. Jahr⸗ hunderts aufgehen wird. Der vorliegende Roman „Schickſale einer Seele, hätte der erſte in der Reihenfolge ſein müſſen. Er erzählt das Leben einer Frau, die heut in den Sechs⸗ ziger Jahren ſtehen würde. Er will ihr anfangs noch dunkles, inſtinktives Ringen um Sein oder Nicht⸗ ſein ihrer Seele veranſchaulichen, und er endet mit einer theoretiſchen, fruchtloſen Erkenntniß. Fruchtlos, weil der Weg zum Ziel: Befreiung der ureigenen Individualität aus der Vergewaltigung der Jahr⸗ hunderte, noch in dämmernde Nebel gehüllt bleibt, weil die Zeit für die Verwirklichung ihrer Ideen noch nicht erfüllt iſt. Dohm, Schickſal einer Seele. 1 In dem zweiten Roman: „Sibilla Dalmar (er iſt bereits vor zwei Jahren erſchienen) hatte ich das Lebensbild einer Frau, die heut etwa 40 Jahr alt ſein würde, gezeichnet. Der Weg, der zum Ziel führt, liegt ſchon klar vor den Augen der Heldin, er iſt aber uneben, dornig, gefahrvoll, beſchreitbar nur für energiſche Charaktere, denen Schwierigkeiten ein Sporn zum Vorwärtsdringen ſind. Dieſen ſonnen⸗ loſen Weg zu gehen war über Sibilla Dalmär's Kraft. Der dritte Roman „Anne Marie Rubens“ wird der eben aufblühenden jungen Generation gewidmet ſein. Es würden demnach meine drei Frauengenerationen die Lebensbilder von Großmutter, Tochter und Enkelin entrollen. Alle drei Romane dienen der Illuſtrirung des Pindar'ſchen Spruches: „Werde, die du biſt. 2 Monatelang nun ohne Dich geliebteſter Freund! Freund! Das Wort klingt faſt hart, deckt ſich nicht mit dem Begriff. Starkes und Zartes, eine ganze Milchſtraße von Sternen iſt in dem Begriff. Freund⸗ ſchaft! Labſal ohne Schaum und Bodenſatz. Alles iſt Inhalt. Zuerſt war ich betrübt, daß ich Dir ſo ewig lange nicht ſchreiben ſollte; die gelegentlichen poſt⸗ lagernden Briefchen und Karten in die Ferne hinaus, von Ort zu Ort, in denen nichts intimes ſtehen durfte, zählen ja nicht. Nun habe ich das Betrübtſein über⸗ wunden, da Du ja die Olympierfahrt nach Griechen⸗ land — und gewiß gehts bis nach Indien — als ein ſo großes Glück empfindeſt, lieber, lieber Idealiſt Du! Eine Tempelfahrt zu heiligen Gräbern! Da dürften nur Gebete Dich begleiten. Sie ſollen's auch. Aber nicht wahr, die leiſe Wehmuth in mir, die Dir nachzieht von Ort zu Ort, weil ich nicht mit Dir ziehen konnte, begreifſt Du? Wegen meines Katarrhs brauchſt Du nicht ängſt⸗ lich zu ſein. Die liebe Julie und die gute Philomele, die pflegen mich und ſorgen ſich um das bischen Huſten, als ob er lebensgefährlich wäre. Ein wenig 1* greift er mich wohl an, nicht allzu ſehr. Ich bin oft müde, eine angenehme Müdigkeit, in der das Da⸗ ſein mich wie milde Luft umfließt, lind, einſchläfernd. Die Müdigkeit wird mich nicht hindern, mein Verſprechen zu halten. Ich werde fleißig ſein müſſen, ſehr fleißig, hurtig, hurtig ſchreiben! Drei Monate nur um meine ganze Lebensgeſchichte zu Papier zu bringen! Recht ſchlicht und einfach ſoll ich erzählen, wie Du es liebſt. Verſuchen will ich's; und laufen mir zu viel Bilder in die Feder, ſo ſtreiche ich ſie wieder aus. Ich weiß wohl, Du haſt mir die Aufgabe geſtellt. damit ich vor lauter Beſchäftigung nicht Zeit haben ſoll, melancholiſch zu werden. Auch darin haſt du gewiß recht: das fehlte unſerer Intimität, daß Du meine Vergangenheit ſo wenig kennſt. Würdeſt Du nur nach allem gefragt haben, ich hätte ſchon geantwortet, aber wir zwei Beide ſind wirklich etwas zu diskret, zimperlich diskret. Und jetzt meinteſt Du, wäre der geeignetſte Zeit⸗ punkt für mich rückwärts zu ſchauen, da ich an einem Wendepunkt meines Lebens ſtände. Ja, ein Wendepunkt, das hoffe ich. Alles alles muß ſich nun wenden. Es wird mir nicht leicht werden dir mein treues Selbſtportrait zu zeichnen. Der Kontraſt zwiſchen dem was ich war und wie ich geworden bin, iſt zu groß: zwei Seelen, die kaum noch eine leichte Familien⸗ ähnlichkeit miteinander haben. Ich kann mich nicht 4 zurück denken zu der unſchuldigen, mit etwas Romantik verſetzten Naivetät meiner jungen Jahre. Du mußt mir nun ſchon glauben, was ich von mir berichten werde, auch wenn ſich meine Worte von heute mit der Marlene, die ich einſt war, nicht decken. Als wir uns kennen lernten, fandeſt Du ja auch noch ſo vieles in mir, daß Du Dir nicht zuſammen reimen konnteſt. Wenn Du zu Ende geleſen haben wirſt, was ich hier ſchreibe, wirſt Du es begreifen wie ich ſo verblödet, ſo jeder Individualität bar, ſo charakterlos und feig und geduckt werden konnte, und dabei ſo frechen Geiſtes, ſo ſchwer in meinem Denken und Fühlen zu beeinfluſſen, ſo ganz mein inneres Leben für mich lebend, ſelbſtändig und allein. Ich komme mir ſelber oft wie eine Schnecke mit Flügeln vor. Sie nützen mir nichts — die Flügel, das Schneckenhaus iſt zu ſchwer. Habe ich eigentlich viel zu erzählen? Ich werde mir den Kopf zerbrechen müſſen um aus der Tiefe meines Gedärhtniſſes herauszufiſchen, was etwa auf dem Grunde ruht, ſchwerlich Perlen — oder doch vielleicht Perlen, wenn es wahr iſt, daß ſie ein krank⸗ haftes Produkt geſunder Muſcheln ſind. Bin ich krankhaft? weiß ich denn ſo recht wie und wer ich bin? Vielleicht, wenn ich all meine Erinnerungen nieder geſchrieben habe, weißt Du es und Du ſagſt es mir dann wieder. Tagelang, wochenlang ſoll ich mich nun mit mir beſchäftigen, immerzu ich — ich! Müßte nicht Feiner⸗ gearteten eine Art pudeur — mir fehlt im Augenblick 5 das deutſche Wort — überkommen ſo die Seelenhüllen abzuſtreifen? Zu Hauſe in Berlin hätte ich's gewiß nicht gekonnt, hier aber, wo die Sonne in jeden Winkel hineinſtrahlt und in ihrem Licht marmorne Götter ihre ſtolze keuſche Nacktheit baden, geht es eher. Und wenn ſchon denn ſchon. Ich werde ſelbſt vor Eigenlob nicht zurückſchrecken, wenn ich auch nicht annähernd ſo brav bin wie Du es von mir denkſt. Anfangen! anfangen! Ja, gleich. Am Ende wird mein Geſchreibſel eine förmliche, Antobiographie werden. Du haſt's gewollt. Ganz am Schnürchen will ich erzählen und mit dem Anfang anfangen. Wir ſchreiben jetzt 66. Ich bin 33 Jahre alt. Rechne aus, wann ich geboren bin. Daß es zu Berlin war weißt Du. Daß mein Vater Inhaber einer Kattunfabrik iſt, daß ich unter acht Geſchwiſtern das älteſte Mädchen war, weißt Du auch. Ich erzählte Dir einmal von meinen Geſchwiſtern, erinnerſt Du Dich? Du ſagteſt ſchmeichleriſch: ein Schwan im Ententeich. Ach Du Lieber, eher ein Kukuksei, das im fremden Neſt ausgebrütet wurde. Ich bin mit einem rothen Mal auf der Stirn geboren, ob ein ſtern⸗ oder kreuzartiges, darüber ſind die Gelehrten nicht einig. Es entſtellt mich nicht, weil es nur ſichtbar wird, wenn ich ſehr erhitzt bin. Wahrſcheinlich haſt Du es nie bemerkt. Wie ich zu dem Namen Marlene komme, da doch meine Geſchwiſter alle ſo hausbackene Namen haben? Eins meiner Brüderchen erzählte der Mama eines Tages das Märchen vom Marlenechen. Und er ſoll 6 es ſo drollig erzählt haben, daß meine Mutter Thränen lachte, und faſt unter dieſen Lachthränen kam ich zur Welt. Zum Andenken an dieſe wunder⸗ bare Begebenheit wurde ich Marlene getauft. 7 Bis zu meinem ſechsten Jahr wohnten wir ſo gut wie auf dem Lande, in einer feldartigen, abge⸗ legenen Straße, der Hirſchelſtraße, die nur aus kleinen, weit auseinanderliegenden Gärtnerhäuschen beſtand. Jetzt iſt ſie ſtattlich bebaut. Alle dieſe Häuschen hatten große, primitive Gärten, an die ſich weite Wieſen ſchloſſen. Die Wieſen wurden durch einen lang ſich hinſchlängelnden Bach begrenzt, der für uns Kinder die Grenze der Welt bedeutete. Er hieß der Schafgraben. Eine Fülle von Vergiß⸗ meinnicht blühte an ſeinem Rand, und allerhand Bäume, hauptſächlich Pappeln und Weiden um⸗ ſäumten ihn. Meine Eltern waren auf das Gärtnerhäuschen verfallen der vielen Kinder wegen, die ſich da tüchtig tummeln konnten. Das Reiſen mit Kindern war damals noch nicht üblich. Meine erſten Kinderjahre haben nicht viel Spuren in meinem Gedächtnis hinterlaſſen. Nur hier und da, wenn ich nachſinne, tauchen vage Lichter aus dem Nebel auf, kleine Erlebniſſe, die beſonders ſtark auf mein Gemüth gewirkt haden müſſen. Ich erinnere mich nicht der Zimmer, die wir be⸗ wohnten, nicht wie meine Eltern, meine Geſchwiſter ausſahen, ich weiß nichts von all den Menſchen, die in meinen Geſichtskreis traten. Ich muß ein ſehr furchtſames, feiges, kleines Ge⸗ ſchöpf geweſen ſein (eigentlich bin ich es ja heute noch). Meine erſten Erinnerungen hängen mit Angſt und Furcht zuſammen. Ein Kettenhund auf dem Hof, der ſchwarze Nero, eine Frau in einem Laden, bei der das Dienſtmädchen, das mich an der Hand führte, einkaufte, und die mir meine ſchwarzen Kohlen von Augen aus dem Kopfe ſchneiden wollte, und — meine Mutter! ich fürchtete mich vor meiner Mutter. So lange ich zurück denken kann, lag dieſe Furcht wie ein Alpdruck auf meiner Bruſt. In dieſe Schatten fiel aber auch Licht, romantiſch angehauchtes. „Das rothe Glas — Meerfahrten — die Königbouquets — der Schafgraben“ wären paſſende Titel für dieſe Lichtſtrahlen. Damals kam noch in Zwiſchenräumen von 4 bis 6 Wochen der Lumpenmatz auf die Höfe, der für ein paar Pfennige (auch für die Gegenleiſtung von Lumpen) allerhand Kram und Trödel an Dienſtmädchen und Kinder verkaufte: Ringe, Perlenſchnüre, Tüchelchen und ähnliche Koſtbarkeiten. Unſer Kindermädchen hatte mir vom Lumpenmatz ein Stück rothes Glas gekauft. Eine Zauberwelt erſchloß es mir. Stunden⸗ lang konnte ich auf der Wieſe unter einem Baum liegen — merkwürdiger Weiſe habe ich behalten, daß es ein Quittenbaum war — und durch das rothe Glas hinausſchauen in die Welt — eine glühende, 8 brennende Märchenwelt von unerhörter Pracht. Selbſt die Miſtbeete, den Kettenhund, den ſchmutzigen Erd⸗ boden an regneriſchen Tagen verwandelte das Glas in flammende Viſionen. Rief man mich zu Tiſch oder zum Veſpern, ſo riß ich mich ungern von meiner Schwelgerei los, und mag dann wohl blöde und verwirrt drein geſchaut haben, und ich glaube ſchon damals entſtand die Mythe (es iſt doch eine Mythe — nicht?) von meiner Dummheit, eine Meinung, die meine Familie wahr⸗ ſcheinlich bis auf den heutigen Tag feſtgehalten hat. Und nicht nur meine Familie — — aber ich wollte ja am Schnürchen erzählen. Ich hütete meinen rothen Schatz wic ein köſt⸗ liches Geheimniß, beſonders vor den Geſchwiſtern. Eines Tages war meine Mutter böſe und ſchalt mich, ich weiß nicht mehr weßhalb. Ich konnte der Luſt nicht widerſtehen ſie durch das rothe Glas anzu⸗ ſchauen, das doch alles ſo wunderbar verſchönte. Die Mutter, die natürlich nicht wußte, daß es ein Zauberglas war, ſchlug es mir aus der Hand. Es zerbrach. Meine vermeintliche Frechheit wurde fürchter⸗ lich mit der Ruthe gerochen. Um mein zerrißenes kleines Herz kümmerte ſich niemand. Im Frühjahr waren häufig die Wieſen hinter unſerm Häuschen überſchwemmt. Da hatte nun mein älterer Bruder ſich etwas herrliches ausgedacht. Mit aller Anſtrengung, deren wir fähig waren, ſchleppten wir Kinder ein großes Waſchfaß auf die überſchwemmten Wieſen: das war der Kahn, ein paar 9 Wäſcheſtützen dienten als Ruder, und die Meerfahrt begann. Weit wie das Weltmeer erſchienen mir die überſchwemmten Wieſen, eine Fülle von Kuhblumen blühten daraus empor. Ich pflückte davon, und warf ſie dann wieder in's Waſſer zurück, damit wir den Rückweg fänden: eine Reminiscenz aus dem Märchen vom Däumling. Ich kannte ſchon viele Märchen im ſechſten Jahr. Columbus kann bei der Entdeckung von Amerika nicht mehr Entzücken empfunden haben, als wir es bei der Landung an einem benachbarten Grundſtück empfanden. Kinder die wir kannten, ſtanden da an der Hecke, und halfen uns beim Landen. Meine Brüder brachten den Kindern Gaſtgeſchenke mit: Schachteln mit Maikäfern. Und dazu ſangen ſie den populären Vers: „Maikäfer fliege, dein Vater iſt im Kriege, deine Mutter iſt im Pommerland, Pommerland iſt abgebrannt, Maikäfer fliege! So oft ich ſpäter dieſe ſinnloſen Verſe hörte, zog durch mein Gemüth ein wehmüthiges Singen und Klingen von einem verlornen Idyll, eine Sehnſucht nach Kuhblumen und Wieſen, nach Frühlingswinden und Abenteuern in die Ferne hinaus. Vor den Maikäfern aber fürchtete ich mich. Wie meine Brüder das merkten verfolgten ſie mich mit den Thieren, ſetzten ſie mir auf die Arme, in den Nacken und amüſirten ſich königlich über mein Schreien. Fürchter⸗ lich waren mir dieſe krabbligen, klebrigen, kleinen Käferpfötchen. Auch meine Brüder kamen mir ziemlich gräßlich und gefährlich vor, nur dazu da, mich zu quälen und zum weinen zu bringen; und hatten ſie 10 es erreicht, ſo trimuphirten ſie: „Die Pippe plinzt ſchon wieder. „Von ihnen ſtammt wohl dieſe Verun⸗ glimpfung meines Namens. Marlene war zu lang, man kürzte mich in Pippe ab. Unſere Kahnfahrten wiederholten ſich öfter, bis man bei der nächſten großen Wäſche das Waſchfaß vermißte, und mit Ach und Krach und Prügeln wurde den Meerfahrten ein Ziel geſetzt. Im Herbſt florirten die Königbouquets. Ich weiß nicht, ob dieſe Art von Bouquets eine Mode der Zeit oder ein Privateinfall unſeres Gärtners waren. Er nahm Spargelſtauden, die hoch in's Kraut geſchoſſen waren, — oft überragten ſie meine kleine Perſon — hier und da rupfte er von den zarten Stenglein das Grünzeug ab, ſpitzte die Stengel ſcharf zu, ſpießte Aſtern und Georginen daran, und ſtellte ſo farbenreiche, blühende Büſche her. Für mich gab's nichts ſchöneres als dieſe Bouquets. Er ſagte, ſie wären für den König und verwelkten nie. Ich glaubte ihm auf's Wort. Ich hielt ihm das Körbchen, in das hinein er die Blumen ſammelte, und durfte dann die blühenden Büſche bis an die Gartenthür tragen. Und von da blickte ich ihm nach mit ſcheuer Ehrfurcht, bis er meinen Blicken ent⸗ ſchwand. Er ging ja zum König. Und nun geſchah das Wunderbare, daß der Gärtner mir zu meinem Geburtstag ein ſolches Königbouquet ſchenkte — wenn auch nur ein kleines Miniaturding, mit kleinen Aſterchen und Georginchen beſteckt. Meine große Seligkeit dauerte aber nur bis 11 zum andern Tag. Da war die ganze Herrlichkeit verwelkt. käme daher, daß ich kein Prinzeßchen wäre. Kein Ja, ſagte er, als ich ihm mein Leid klagte, das Prinzeßchen ſein! wie traurig! Aber ich wollte eins werden, ich nahm es mir feſt vor. Wenn ich groß geworden, würde ich ſchon erfahren, wie man es macht um ein Prinzeßchen zu werden. Wir Kinder liefen meiſt unbeaufſichtigt in Garten und Wieſe umher; von einer Bonne oder einem Fräulein war keine Rede, das Kindermädchen hatte vollauf mit den ganz Kleinen zu thun. Da geſchah es einige Male, daß ich — was ſtreng verboten war — über die Wieſen bis hin zum Schafgraben lief, in meiner Vorſtellung eine uner⸗ meßlich weite Reiſe in ein fernes Märchenland; in Wirklichkeit mag die Entfernung von unſerm Garten bis zum Schafgraben 15 Minuten betragen haben. Vergißmeinnicht wollte ich dort pflücken, und wohl auch meinen älteren Brüdern imponiren, daß ich ſchon ſo weit in der Welt herumgekommen wäre. Und dann der Reiz des Verbotenen, Geheimnißvollen. Das Kindermädchen hatte uns gerade das Mährchen vom blonden Egbert vorgeleſen, vielleicht kam mir deßhalb an dem wildwüchſigen Ort alles ſo verzaubert vor, ſo gruslich ſchön. Einen kleinen Sperling, der herumhüpfte hielt ich geradezu für den Wundervogel, der im Märchen ſo lieblich von der Waldeinſamkeit ſingt, als ob Waldhorn und Schalmei ineinander ſpielten, der Wundervogel, der Eier legte von Gold 12 und Edelſtein. Edelſtein dachte ich mir immer unter der Form der funkelnden Ringe, wie ſie der Lumpen⸗ matz verkaufte. Ich ſuchte in den Büſchen nach den goldenen Eiern, bis allmählich das Unheimliche die Oberhand gewann, und ich der Waldeinſamkeit und den goldenen Eiern in raſendem Galopp entlief. Ich glaube mich zu erinnern, daß die unkind⸗ lichſten, gar nicht für Kinder geſchriebene Märchen, wie Elfriede und der blonde Egbert am ſtärkſten auf mich wirkten. Ich hörte wohl auch die Grimm⸗ ſchen Volksmärchen mit Andacht vorleſen, aber ſie gingen mir nicht nach, wie die Märchen in denen Stimmung vorherrſchend war, wo eine geheimnißvolle Pſyche, in nebelzarten Dämmerungen leiſe ihre Flügel regt und in endloſe Fernen hinausträumt. — Herr Gott mit der Pſyche in nebelzarten Dämmerungen habe ich gewiß ſchon die Grenze der Schlichtheit über⸗ ſchritten. Ich wills nicht wieder thun. Als ich ungefähr ſechs Jahre alt war, wurde unſer Gärtnerhäuschen niedergeriſſen. Die Hirſchel⸗ ſtraße ſammt dem Schafgraben ſollten der Kultur ge⸗ wonnen werden. Meine Eltern bezogen in der Nähe des Halle'ſchen Thores, in der Friedrichſtraße eine geräumige Bel⸗ Etage. In jener Zeit eine ſtille Gegend; hinter dem Halle'ſchen Thor war die Stadt zu Ende, und die weiten Wieſen und Sandflächen des Tempelhofer⸗ Feldes, aus denen der Kreuzberg emporragte, erſtreckten ſich weit ins Land hinaus. Ein Hauch feiner, patriciſcher Bürgerlichkeit 13 ruhte auf dem Stadttheil, der mit Vorliebe von Ge⸗ lehrten, Dichtern, Profeſſoren und höheren Beamten aufgeſucht wurde. Berlin W. war im Entſtehen. Es gab im Weſten ſchon Häuſer und Straßen. In einer Zeit aber, wo die Verkehrsmittel noch nicht einmal beim Omnibus angelangt waren, galt die Gegend für abgelegen. Unſer Haus hatte wie die meiſten Häuſer des Stadttheiles einen großen Garten. Kein Ziergarten. Ein paar Beete mit Levkoien, Nelken und Reſeda, dazwiſchen etwas Peterſilie, Salat, Himbeer⸗ und Johannisbeerſträucher, und für jeden Miether eine mit Gaisblatt berankte Laube. Nur der hintere Theil des Gartens mit ſtarken, alten Nußbäumen und vielen Veilchen war ſchön. Er gehörte uns ganz allein, und ſchloß mit einem Gartenhaus, das aus einem ziemlich großen Saal beſtand, ab. Und hier, in dieſer Bel⸗Etage der Friedrichſtraße ſpielte ſich ſeit meinem ſechsten Jahr mein Leben bis zu meiner Verheirathung ab. Von meinem 6.—9. Jahr iſt beinah eine Lücke in meinem Gedächtniß. Alles verſunken und ver⸗ geſſen. Selbſt die erſten verängſtigten Tage in der Schule ſchweben mir nur noch dunkel vor. Unſere Wohnung, wie ich mich ihrer zuerſt er⸗ innere (ſpäter wurde ſie eleganter) trug ganz den nüchternen Charakter der meiſten Einrichtungen wohl⸗ 14 habender Bürgerfamilien jener Zeit. Eine gute Stube mit rothen Plüſchmöbeln. An der Decke ein Glaskronenleuchter. An der Wand, zwiſchen den Fenſtern, ein Trümeau in ſchwerem broncenen Rahmen, darunter eine Marmorconſole, auf der eine Vaſe mit künſtlichen Blumen ſtand. Ein paar kleine Tiſche mit Marmorplatte und vergoldeten Füßen. Und das Prachtſtück: eine Servante mit den Familienkoſtbarkeiten: Silberne Becher, die Pathen⸗ geſchenke waren, ein halbes Dutzend große Taſſen, innen ganz vergoldet, auf der Außenſeite feine Minia⸗ turmalerei: einen Napoleon, einen König von Preußen im Schuuck des Lorbeerkranzes, Schäferſpiele in Watteau⸗Art. Eine chriſtallene Zuckerſchale, die auf einem ſilbernen Delphin ruhte, ſchön bemalte Tellerchen, intereſſante Gläſer mit goldenen Sprüchen u. ſ. w. Daß wir dieſe Herrlichkeiten immer nur durch die Glasthüren anſchauen durften, gab ihnen in unſern Augen einen beſonders vornehmen Charakter, und daß ſie nur bei den, in unſrer Familie ſo häufigen Taufen in Gebrauch genommen wurden, ſtärkte unſeren Glauben an die Heiligkeit der Tauf⸗ handlung. Der Kronenleuchter und die Polſtermöbel der guten Stube wurden Alltags durch Leinwandhüllen geſchützt. Gemüthlicher nahm ſich das Wohnzimmer aus mit den tüchtigen bequemen Möbeln und einigen Erb⸗ ſtücken vom Großvater oder Urgroßvater her: ein 15 paar dunkel gebeizte Eichenſchränke mit rothſeidenen Vorhängen hinter den Glasthürchen, eine altmodiſche Chiffonniere mit Meßingbeſchlägen und einige wirklich werthvolle Kupferſtiche. Beſonders Sontags hielt ich mich gern im Wohn⸗ zimmer auf, wenn der Papa mit den geſtickten Pan⸗ toffeln, dem Schlafrock von grauem Flauſch und dem leicht um den Hals geſchlungenen Tuch von gelb⸗ licher Seide zwiſchen den großblumig geſtickten Sopha⸗ kiſſen behaglich da ſaß, rauchend und vor ſich auf dem großen, runden Tiſch die Kaffeemaſchine, die ſo anheimelnd ſummte. Ganz häßlich war unſere Kinder⸗ und Arbeits⸗ ſtube mit dem unaustilgbaren Geruch von rinds⸗ ledernen Knabenſtiefeln. Ein großer, mit Wachstuch überzogener Tiſch ſtrozte von Tintenkleckſen. Ihr ein⸗ ziger Reiz war eine Reihe von Bildern, die die Ge⸗ ſchichte Benjamin's darſtellten. Oftmals kniete ich auf dem Sopha, über dem ſie hingen, und vertiefte mich in dieſe Geſchichten. Und ich war ſo böſe auf Pharao, daß er dem holden, blondlockigen Benjamin einen Diebſtahl zutraute, und immer von neuem ſo froh, als endlich auf dem letzten Bilde ſeine Unſchuld ſiegte. Später verſchwanden die Bilder, ich habe mich immer vergebens bemüht zu erfahren, wo ſie hingekommen ſind. Meine vier Brüder waren derbe, wilde, gewöhn⸗ liche Jungen, die gelegentlich, wenn ſie Schaden im 16 Haushalt ſtifteten, abgeprügelt wurden, was immer die Mutter beſorgte. Sonſt bekümmerte man ſich nicht um ſie, weder um ihr Fortkommen in der Schule, noch um ihre ſittliche Erziehung. Zwei von ihnen ſind als Jünglinge geſtorben, die beiden andern leben in ſubalternen Stellungen an kleinen Orten. Meine drei Schweſtern ſind ſämmtlich gut verheirathet. Ich hatte als Kind keine Fühlung mit meinen Geſchwiſtern. Seitdem ich das elterliche Haus ver⸗ laſſen habe, ſind ſie mir völlig fremd geworden. Ich glaube nicht, daß Geſchwiſterliebe ein Natur⸗ inſtinkt iſt; ich glaube vielmehr, daß ſie erſt in der gemüthvollen Atmoſphäre des elterlichen Hauſes groß⸗ gezogen wird. Eine ſolche Atmoſphäre gab es in unſerm Hauſe nicht. Es gab nur eine große, geräuſchvolle Haus⸗ haltung mit verſchiedenen Dienſtboten, mit Gezänk und Gepolter, mit viel Küche, Kohl und Rüben, mit ſchreienden, kleinen Kindern, und immer Lärm. Alles war derb hausbacken, nüchtern, tüchtig. Ich ſehe die Mutter noch vor mir Morgens in der Nachtjacke, mit fliegenden Haubenbändern und rothem Geſicht durch das Haus raſen. Ich ſehe ſie mit aufgeſtreiften Aermeln einen Teig einrühren, ich ſehe ſie bei der Entdeckung von Staub in einem Winkel dem Dienſtmädchen das corpus delicti zu Gemüth führen. Immer war ſie hinter den Dienſt⸗ mädchen her. Immer führte ſie mit ihnen Krieg bis auf's Meſſer. Daß ſie alle wie die Raben ſtahlen, war ſelbſtredend. Es gehörte zu ihren Lebensge⸗ 2 Dohm, Schickſal einer Seele. 17 nüſſen, die Auguſte oder die Lina mit ihrem Couſin oder Landsmann auf der Hintertreppe, oder beim widerrechtlichen Schmieren ihrer Morgenſchrippe zu ertappen. Und jedes Mal wenn ein Mädchen“ um ſich zu verändern“ fortzog, frohlockte ſie: Gott ſei Dank, daß ich das Geſchöpf los bin. Und ich denke mit einem Schauer zurück, wie ich immer auf der Flucht war vor ihr, vor ihrem Klapſen, ihrem Schelten, ihrem rothen Geſicht, ihrer grellen Stimme. Mit Schaudern denke ich auch an die Waſchtage zurück. Das ganze Haus wie mit Seifen⸗ ſchaum überſchwemmt. Meiner Mutter Haubenbänder flogen noch mehr als ſonſt, ihr Geſicht war noch röther, ihre Laune noch kriegeriſcher. An den Tagen gab es immer miſerables Eſſen, alles war für die Waſchfrauen berechnet, die wie es ſchien, feines nicht vertragen können. Und alles roch: die rieſigen Butterbröde mit Kuhkäſe oder ordinärer Leberwurſt, rochen, Mittags der Kohl, der Cichorien, der Kümmel rochen. Meine Mutter hatte eigens eine, wie ſie be⸗ hauptete ſehr wohlſchmeckende Waſchfrauenſuppe er⸗ ſonnen. In eine Caſſerolle kochenden Waſſers wurde eine kleine Quantität Zucker und Butter gethan, und eine größere Quantität in Scheiben geſchnittener Semmeln, wohlgemerkt alter Semmeln, und die Suppe war fertig. Als Muſterhausfrau war meine Mutter natürlich auch über die Maßen ſparſam. Jede alte Semmel ſchloß ſie in ihr Herz und in ihre Speiſekammer. Einen wahren Reſter⸗Cultus trieb ſie. Niemand ver⸗ 18 ſtand wie ſie, die Wurſt in ſo durchſichtig dünne Scheibchen zu ſchneiden, und in der ſchlauen Kunſt aus Fettſtückchen, Knorpel, Sehnen und Abfall ſchein⸗ bar appetitliche Fleiſchportionen — für die Dienſt⸗ boten — herzuſtellen, war ſie unnachahmlich. Sie ſtammte aus einer armen Familie, und blieb ganz kulturfremd. Gerade nur über Volksſchulbildung verfügte ſie. Das Schreiben iſt ihr zeitlebens ſchwer geworden. Aber raſch und reſolut war ſie, und ihr Haus hielt ſie in muſterhafter Ordnung. Außer an den Dienſtboten ließ ſie die ungeheure Lebhaftigkeit ihres Temperaments auch ein wenig an dem Vater aus. Ich glaube, daß meine Mutter Nachmittags eine ſehr hübſche Frau war. Sie ſelbſt behauptete bild⸗ hübſch geweſen zu ſein. Mein Vater beſtätigte es. Erſt zur Kaffeeſtunde gegen 4 Uhr machte ſie Toilette. Nach damaliger Mode friſirte ſie ihr röthlich licht⸗ braunes Haar über den Ohren in einer Fülle ge⸗ ringelter Löckchen. Im Sommer trug ſie meiſt weiß⸗ geſtickte Kleider, im Winter ſeidene. Ich habe meine Mutter nie in Wolle geſehen. Mit dem Negligée wechſelte ſie auch ihre Laune. Das Zanken und Poltern hörte auf. Und wenn ſie im Garten bei der Kaffeemaſchine mit einer Hand⸗ arbeit ſaß, nahm es ſich beinah gemüthlich aus, be⸗ ſonders wenn das Korbwägelchen mit einem Säugling neben ihr ſtand, und ſie mit einer ſchönen klaren Stimme eines ihr Lieder ſang, etwa: „Brüderlein fein, Brüderlein fein, ach es muß geſchieden ſein 2* 19 oder „was braucht man dann mehr um glücklich zu ſein oder: „wir winden Dir den Jungfernkranz von veilchenblauer Seide“. Dann verlor ſich auch meine Furcht einigermaßen, und ich wagte mich in ihre Nähe. Meine Eltern führten eine durchaus glückliche Ehe. Nach damaliger Sitte nannten ſie ſich Mama und Papa. Der Vater liebte ſeine Frau, wie ſie war. Nur wegen des Wirthſchaftsgeldes, mit dem die Mutter nie auskam, entbrannte zuweilen ein Streit, das heißt meine Mutter ſtritt, mein Vater brämelte nur vor ſich hin. Er war ein ſtiller, furchtſamer Mann, leicht ein⸗ geſchüchtert, gutmüthig fremden Menſchen gegenüber, unbeholfen, ängſtlich, eine Null im Hauſe, ganz von ſeiner Frau abhängig, gern abhängig. Ich erinnere mich nicht, daß er ſich jemals gegen das Joch auf⸗ bäumte. Er ging völlig in ſeiner Fabrik auf, deren Geſchäfte er, ohne jede Spur von Produktivität mechaniſch abwickelte. Er hatte die Fabrik ſchon von ſeinem Vater geerbt. Als 13 jähriges Bürſchchen hatte man ihn in das Comptoir geſteckt, ohne daß man ihn hätte etwas lernen laſſen. Und da iſt er bis jetzt geblieben. Und er wird hundert Jahr alt werden, unbekümmert um die ganze Welt, die ihn abſolut nichts angeht. Um nicht ungerecht zu ſein, will ich aber erwähnen, daß er in jungen Jahren künſtleriſche Anlagen vrrieth. Er zeichnete Portraits. Das Portrait meiner Mutter 20 als Braut, und ſein eigenes als Bräutigam, ſeine letzten künſtleriſchen Thaten, beweiſen ein nicht ge⸗ wöhnliches Talent. Er dichtete auch Knittelverſe, zu Geburtstagen, Taufen u. ſ. w. und wenn er dieſe Gelegenheitsge⸗ dichte vorlas erglänzten ſeine freundlichen grauen Augen und ſeine ſonſt apathiſchen Züge belebten ſich. Er ſah dann aus als wäre er jemand. Sein edel⸗ geſchnittenes Geſicht unterſtützte ihn dabei. Auch meine Mutter hatte eine Eigenſchaft, die mit ihrer ſonſt derbbürgerlichen Art ſonderbar con⸗ traſtirte. Das war ihr Sinn für Toilette. Dabei ſtreifte ſie alles Hausbackene ab; und ihre Toiletten⸗ paſſion war nicht etwa auf geſchmackloſen Putz ge⸗ richtet, im Gegentheil, auf raffinirte und originelle Eleganz. Alles was ihr etwa an Phantaſie, an höheren Aſpirationen innewohnte, kam in der Toiletten⸗ angelegenheit zum Ausdruck. Wir führten einen dürftigen Tiſch. Diätfragen waren böhmiſche Dörfer für meine Mutter. Wenn man nur ſatt wurde. Sie ſparte ſich und den Kindern am Munde ab, was ſie für Toiletten ausgab. Darum kam ſie auch nie mit dem Wirthſchaftsgeld aus. Sie hatte aber die Genug⸗ thuung, daß, wenn ſie mit uns Mädchen im Thiergarten ſpazieren ging, alle Welt ſich nach uns umſchaute. Der Vater meiner Mutter war ein Franzoſe ge⸗ weſen; auf dem Durchmarſch nach Rußland hatte er ſich mit der Großmutter trauen laſſen. Er fand wohl auf den ruſſiſchen Schneefeldern den Tod, denn ſie hat nie wieder etwas von ihm gehört. Ich habe von 21 der Großmutter nicht erfahren können, wer und was dieſer Franzoſe eigentlich war. Vielleicht wars ein Marquis oder er trug wenigſtens den Marſchallſtab im Torniſter, und daher der Inſtinkt meiner Mutter für Vornehmheit der Erſcheinung. Dazu paßten ihre ariſtokratiſch ſchöngeformten, blendend weißen Hände und Füße. Daß ihr der Sinn für Toilette angeboren war, iſt ſicher. Eine Anregung von irgend einer Seite her war ausgeſchloſſen. Meine Eltern lebten ganz abſeits von dem was man Welt oder Geſellſchaft nennt. Ihr ganzer Umgang beſtand, ſo weit ich zurückdenken kann, aus drei Ehepaaren: einem Baut⸗ inſpektor, dem Hausarzt und einem Polizeihauptmann mit ihren reſpektiven Gattinnen, einfache Leute, wenn auch an Bildung meinen Eltern überlegen. Uebrigens, wer weiß, vielleicht wäre meine Mutter mit ihrem Temperament, ihrer Luſt am Regieren, unter gänzlich andern Verhältniſſen eine bemerkens⸗ werthe Perſönlichkeit geworden. Da die Fabrik des Vaters ziemlich entfernt von der Privatwohnung lag, kam er Mittags nicht nach Hauſe. Bald nach acht Uhr Morgens ging er fort und erſt zwiſchen 7—8 Uhr Abends kehrte er wieder heim. Nur des Sonntags gehörte er der Familie. War das Wetter gut, ſo führte er uns größere Kinder in eine Conditorei, und ein jedes von uns durfte ein Stück Apfelkuchen eſſen, eine Schwelgerei, auf die wir uns die ganze Woche freuten. Und dieſer Apfelkuchen — ach Gott, es klingt ſo pietätlos, 22 und ich muß doch dabei in mich hineinlachen — war das einzige Gemüthsband zwiſchen uns und dem Vater. Und ſo ganz befriedigte mich der Apfelkuchen auch nicht. Gleich überbot ihn meine Phantaſie. Ich hätte gar gern zwei gegeſſen, oder wenigſtens den einen mit Schlagſahne. Herrlich, dachte ich müßte es ſein, wenn man einmal ſo viel Apfelkuchen eſſen könnte als man wollte. Mein Vater hat mich weder je geſcholten, noch je gelobt, noch je geliebkoſt. Ohnehin ſchweigſam, ſprach er mit ſeinen Kindern eigentlich niemals. Vielleicht wußte er nicht einmal wie wir ausſahen. Von unſerm innern Leben hat er ſicher nicht die leiſeſte Ahnung gehabt, etwas davon zu erfahren, trug er kein Verlangen. Vater und Mutter hatten für ihre Kinder nur Zärtlichkeit ſo lange ſie klein waren. Ehe mein Vater in die Fabrik ging pflegte er mit den Kleinſten ein Viertelſtündchen zu ſpielen, immer dieſelben ſtereo⸗ typen Spiele, mit der Tabaksdoſe, die er von ihnen auf⸗ und zuklappen ließ, mit der Taſchenuhr, die vor ihren Oehrchen Tick! Tick! machen mußte. Höchſtens brachte er es in ſeinen zärtlichſten Momenten bis zu einem „Kuckuck — Mummum“. Damit waren ſeine Vaterfreuden abgethan. Wenn er Abends nach Hauſe kam ſchliefen die Kinder ſchon. Und das waren wohl ſeine gemüth⸗ lichſten Stunden, in dem bequemen Schlafrock, mit Pantoffeln, bei warmen Abendbrot, mit ſeiner hübſchen, planderſamen Frau. 23 Sobald die Kinder ſchulpflichtig wurden, waren ſie für ihn nur Individuen, für die das Schulgeld pünktlich zu entrichten war, und deren ungeheurer Conſum an Stiefeln und Schulbüchern ihn in Er⸗ ſtaunen ſetzte. Kein Haushalt konnte regelmäßiger und korrekter geführt werden, als der unſrige. Alle ſechs Wochen große Wäſche, alle acht Tage kleine Wäſche, und natürlich alles immer im Hauſe. Alle drei Monate großes Reinmachen, bei dem das ganze Haus auf den Kopf geſtellt und die Kinder in allen Winkeln herumgeſtupſt wurden. Bis auf die Menüs erſtreckte ſich die Regelmäßig⸗ keit. Montags gabs Jahr ein Jahr aus Bouletten (von den Reſten des Sonntags) mit Milchreis, Donnerstags Erbſen mit Pökelfleiſch, Sonnabends Brühkartoffeln, Sonntags aber, da ging es hoch her, da aß der Papa zu Hauſe; aber auch an dieſen Sonntagen kehrten mit unverbrüchlicher Regelmäßig⸗ keit dieſelben Menüs wieder: Kalbsbraten, Plump⸗ pudding und Apfelmus, oder Rinderbraten, Bisquit⸗ Pudding und Apfelmus. Nur ab und zu lief ein Huhn oder eine Gans mit unter. Ich gehörte zu den Kindern, die ſich nicht be⸗ ſonders viel aus dem Eſſen machen. Den Bisquit⸗ pudding aber, den liebte ich mit Paſſion. Und da konnte ich recht abgünſtig auf den Teller meiner Schweſter Alice ſehen, die immer ein größeres Stück als ich bekam, und eins mit ſo ſchöner brauner Kruſte. 24 Meine Eltern führten ganz das halb vegetative Daſein, wie es wohl von jeher, beſonders in Zeiten politiſcher Stagnation, die Mehrzahl der Menſchen geführt hat. In eine ſolchen Periode fiel meine Jugend. Mir iſt nachträglich, als wären die Leute damals alle ſchon ältlich geboren worden. Ein goldenes Zeit⸗ alter für Philiſter und Spießbürger. Charakteriſtiſch dafür waren die gute Stube, das Weißbier, die lang⸗ jährigen Verlobungen, ſelten unter zwei Jahren, die nüchterne, dürftige Tracht des weiblichen Geſchlechts: lange Schneppentaillen, enge Aermel, kurz und glatt weggezogene Scheitel. Die Haustöchter nähten emſig in Wolle und Perlen, mit Vorliebe Tragbänder in Perlenſtickerei für Papa, Bruder oder Bräutigam. Es war die Zeit, wo an den Winterabenden die Mama's ſtrickten, während die Papa's im Schlafrock und geſtickten Pantoffeln die Voſſiſche oder die Spener'ſche Zeitung laſen, und wo im Sommer große Landparthieen auf gemeinſchaftliche Koſten in großen Kremſern unternommen wurden, hin an Orte, wo es zuletzt immer durch tiefen Sand ging, und wo Familien Kaffee kochen können. Der Kuchen wurde dazu mit⸗ gebracht. Und an Ort und Stelle ſpielte dann die Jugend mit ſo viel Vehemenz Fanchonzeck, Blinde⸗ kuh, Katz und Maus, pflückte Blumen, und die Ver⸗ liebten gaben ſich alle Mühe ſich ein bischen im Walde zu verlaufen, aus welchem Dickicht ſie dann durch Hornſignale zur Moral zurückgeblaſen wurden. Und zum Abendeſſen gab es immer Aale und Gurkenſalat. 25 Am ſchönſten war die Heimfahrt, wo man ſo grenzenlos traurige Lieder ſang, am liebſten mit Ade! Ade! und dabei ruckte man ſo nah aneinander und ſchwärmte den Mond und die Sterne an. Beſonders geiſtreich und vornehm waren ja dieſe Luſtbarkeiten nicht, aber anſpruchslos, billig und jung, ſo jung. Erſt das Jahr 48 ſchlug eine Breſche in die Zäune dieſer bequemen Weideplätze der Bourgeoiſie. Meine Eltern merkten auch davon kaum etwas. Genau in den Geleiſen, die ihnen die Verhält⸗ niſſe und die herrſchenden Anſchauungen vorzeichneten, bewegten ſie ſich, von kcines Gedankens Bläſſe an⸗ gekränkelt, keine erobernde Luſt im Gemüth, die von Seiten meiner Mutter über die Erwerbung eines Haus⸗ geräths oder eines Kleides, von Seiten meines Vaters über die eines neuen Kattunmuſters hinausgegangen wäre. An den Tod nicht denkend, kaum an ihn glaubend, immer geſund, waren ſie der Anſicht, daß auch inner⸗ halb des Hauſes alles von ſelbſt fein gerade gehen müſſe. Und es ging auch nicht allzuſchlecht. In Betref: der Kinder kannten ſie keine Vorſorge für die Zukunft, keine Aengſtlichkeit für die Gegenwart, keine Verant⸗ wortlichkeit für ihre geiſtige und moraliſche Erziehung. So viel Lärm und Arbeit es auch in unſerm Hauſe gab, es war nur Gekräuſel auf der Oberfläche. In der Tiefe — Stille, Unbewegtheit. Meine Eltern — ſoll ich ſagen die Glücklichen? — kannten eines 26 nicht, den Schmerz. Selbſt der Tod eines Kindchens, das bald nach ſeiner Geburt ſtarb, rief keine be⸗ merkenswerthe Erregung hervor. Ich war neugierig ob die Mutter weinen würde. Nein, ſie weinte nicht. Ich verſuchte aus dem Vorfall ein Gedicht zu machen: „Die Mutter die nicht weinen kann.“ Inhalt: das todte Kind, das (umgekehrt wie im Märchen von dem Thränenkrüglein) im Grabe nicht eher Ruhe findet, als bis die Mutter ſeinen Hügel mit Thränen begießt. Weſſen Erbe war ich denn? — Vielleicht des Großvaters? Der ſoll etwas beſonderes geweſen ſein. Im Wohnzimmer hing ein feines Paſtellbildchen von ihm, ein wundervoller alter Kopf, mit vollem weißen Haar und feurigen, ſchwarzen, geiſtſprühenden Augen. Die Paſtellbilder ſind aber ſo verlogen, ſie ideali⸗ ſiren ſo ſträflich. Ich war wohl ſchon acht Jahr, als er ſtarb, er hat aber nie den Fuß über unſere Schwelle geſetzt, weil er dem Sohn wegen ſeiner Heirath mit meiner Mutter zürnte. Fehlte in unſerer Familie das tiefere Gemüthsleben, ſo gab es aber auch keine Heuchelei, keine Lüge, keine Masken. Meine Mutter handelte ganz impulſiv und redete, wie ihr der Schnabel gewachſen war. Mein Vater konnte die Fabrik, die er blühend übernommen hatte nicht heben, weil er es nicht über ſich gewann, günſtige Conjekturen benutzend, Waaren auf Credit zu nehmen. 27 Wir Kinder hatten von der Weſensart unſerer Eltern den Vortheil, daß bei unſerer Erziehung (eigent⸗ lich Nichterziehung) jede Dreſſur fehlte. Auch den Vortheil, daß wir uns körperlich abhärteten. Winter und Sommer gingen wir mit denſelben Fähnchen und Röckchen, wir Mädchen kurzärmlich, den Hals frei. Ob wir mit naſſen Füßen durch Schnee und Regen patſchten, oder uns von der Sonne braten ließen, niemand fragte darnach. War auch nicht nöthig. Wir verdankten unſern kerngeſunden Eltern ein unſchätzbares Gut: den widerſtandsfähigen Körper. Warum meine Brüder nichts lernten, weiß ich nicht. Sie beſuchten gute Gymnaſien oder Real⸗ ſchulen. Der Begabteſte kam glücklich bis Tertia. Warum wir Mädchen nichts lernten, weiß ich. Es wurde eben in den damaligen Mädchenſchulen kaum etwas gelehrt, was über die Elementarkenntniſſe hinaus ging. Die Knaben hatten es gut. Sie turnten, ſie exercirten. Sie durften ſich auf Straßen und Plätzen in Freiheit tummmeln. Ihnen gehörte Schnee und Eis im Winter, das Waſſer im Sommer. Wir Mädchen turnten nicht, wir ſchwammen nicht und ruderten nicht. Wir durften uns nicht mit Schneebällen werfen, ja, nicht einmal ſchlittern. Denke doch, der Strickſtrumpf florirte noch. Die be⸗ neidenswerthen Jungen, die brauchten auch bei der großen Wäſche nicht die Strümpfe umzukehren, nicht auf die kleinen Geſchwiſter aufzupaſſen, nicht nähen 28 zu lernen. Nichts brauchten ſie, ſie thaten immer wozu ſie Luſt hatten. Von Knaben hatte ich damals die Vorſtellung, daß ſie rechte Rüpel ſeien, und ſich nicht wuſchen, und daß ihnen das Lernen in der Schule furchtbar ſauer würde. Erzähle ich ſchlicht genug? Schläfſt Du dabei vor Langerweile ein? es geſchieht Dir recht. Du haſts gewollt. Ich war gewiß noch ganz klein, etwa 4—5 Jahr, als die Mutter mir das Amt übertrug, die kleinen Brüderchen oder Schweſterchen zu wiegen. Das Wiegen der Kinder, das heut für ſchädlich gilt, war damals etwas Selbſtverſtändliches. Die Wiege ſtand im Schlafzimmer der Eltern. Abends wurde das Zimmer von einer Nachtlampe ſchwach erhellt. In der erſten Zeit faßte ich dieſes Amt als eine Strafe auf, und weinte ſtill in mich hinein. Ich glaube ſelbſt ein Kind fröhlichen Temperaments wäre bei dieſem ſtundenlangen einförmigen Wiegen im Halbdunkel, kopfhängeriſch geworden, wie viel mehr ich, die ich allem Anſchein nach ſchon als Traum⸗ bündel zur Welt kam. Allmählich aber gewöhnte ich mich an das Wiegen, und nahm es als etwas Unabänderliches hin. Und dann kam die Zeit, wo ich mit Ungeduld darauf wartete, daß man mich zum Wiegen rufen ſollte. Warum die Mutter gerade mir dieſes Amt 29 übertrug? — weil ſie es für ein ſehr unangenehmes hielt. Meine Mutter — Du haſt es wohl ſchon zwiſchen den Zeilen geleſen — konnte mich nicht leiden. Alles an dieſer Frau war impulſiv. Sie folgte nur ihren Inſtinkten, und ihre Inſtinkte waren gegen mich, ja ihre Liebloſigkeit mir gegenüber ſteigerte ſich oft bis zu einem an Haß grenzendem Gefühl. Ich merkte bald, daß ſie eine geheime Luſt empfand, wenn ſie mir weh thun konnte. Und doch war ſie weder boshaft noch grauſam. Ich wüßte nicht, daß ſie je⸗ mals irgend einem Menſcheu poſitiv Böſes zugefügt hätte. Sie hatte wohl auch kaum ein Bewußtſein von dem bitteren Leid, daß mir durch ſie geſchah. Da ich ein ſehr hübſches und ſehr artiges Kind war, (nach dem eigenen ſpäteren Zeugniß meiner Mutter) würde ich mir vielleicht heute noch den Kopf über die Urſache ihrer Abneigung zerbrechen, wenn ſie ſelbft. mich nicht darüber aufgeklärt hätte. Eines Tages war eine Dame bei ihr zum Be⸗ ſuch, als ich aus irgend einem Grund ins Zimmer trat. Der Dame gefiel ich augenſcheinlich. „Die Kleine iſt gewiß Ihr Liebling“ — ſagte ſie zu meiner Mutter. Meine Mutter lachte. „Aber nein im Gegen⸗ theil“. Die Dame wunderte ſich, weil ich doch gar ſo niedlich wäre. Nun erklärte ihr die Mutter, daß ich — ihr drittes Kind — das erſte geweſen wäre, das ſie nicht ſelbſt nähren konnte. Und da hätte nun der kleine liebloſe Balg nichts von ihr wiſſen 30 wollen, hätte in ſeiner Gier immer nur nach der Amme verlangt, und wie am Spieß geſchrieen, wenn ſie, die Mutter, mich hätte nehmen wollen. „Und da kann man denn natürlich — ſchloß ſie ihre Er⸗ klärung — ſo ein kleines Ekelbieſt (ſie nannte mich oft ſo) nicht leiden. Meine Mutter ſagte das ganz einfach und laut vor mir. Es kam ihr nicht in den Sinn, daß ſie damit dem zehnjährigen Kind bitterweh that. Daß die Anhänglichkeit des Säuglings an die Amme naturgemäß iſt, begriff ſie nicht. Mein Ab⸗ wenden von ihr ſchien ihr etwas durchaus Böſes. Die erſten Eindrücke zu überwinden war ſie außer⸗ ſtande, von Selbſtbeherrſchung und Selbſtverantwort⸗ lichkeit wußte ſie nichts. Es gab aber noch andere Gründe für ihre Ab⸗ neigung. Meine Schweſter Alice, ihr Ebenbild äußer⸗ lich und in der Weſensart, war ihr Liebling. Und um dieſer Alice willen, war ſie eiferſüchtig auf mich. Ich war ſehr viel hübſcher als die Schweſter und kam in der Schule ſchneller vorwärts. Noch maßgebender aber für ihre Abneigung mag der Antagonismus unſerer Naturen geweſen ſein. Größere Gegenſätze als zwiſchen meiner Mutter und mir ſind kaum denkbar. Dazu kam meine offenbare Scheu und Furcht vor ihr, die ſie beleidigten. Sie dichtete mir Fehler an, die ich nicht hatte, vielleicht um ihre ungerechte Härte vor ſich ſelber zu beſchönigen. War von einer Leckerei etwas genaſcht worden, ſo wurde ich der That beſchuldigt und 31 leugnete ich, ſo war ich eine Lügnerin. Ich wurde geſchlagen, damit ich geſtehen ſollte. In den Familien iſt die Folter noch nicht abgeſchafft. In gut bürger⸗ lichen Häuſern wurde damals viel geprügelt. Jedenfalls haftete mir als Kind der Ruf an eine verſtockte Lügnerin zu ſein, ſo daß ich ſpäter oft darüber ſann, ob ich nicht wirklich gelogen, und es nur dann vergeſſen hätte. Wir hatten eine alte, grimmig häßliche, unan⸗ genehme Tante. Es verging kaum ein Tag, ohne daß ich hören mußte: „die Pippe wird der Tante Berthel von Tag zu Tag ähnlicher.“ Und ich glaubte es, und ich weinte heimliche Thränen über meine Scheußlichkeit. Hätte ich nicht mit der Zeit eine ſo große Virtuoſität erlangt meiner Mutter aus dem Wege zu gehen, ich wäre eins der meiſtgeprügelten Kinder geweſen. Meine bloße Anweſenheit ſchon reizte die Mutter zu Aeußerungen der Abneigung. „Glotze mich nicht ſo impertinent an,“ fuhr ſie mich an. Ich hatte natürlich keine Ahnung, daß ich impertinent glotzte. Saß ich ſtill mit nieder⸗ geſchlagenen Augen da, ſo ſah ich blödſinnig dumm aus. Sie brauchte grobe Ausdrücke. Wenn ſie mich anſchrie: „Halts Maul!“ oder: „Dumme Gans!“ ſo zog ich unwillkürlich den Kopf zwiſchen die Schultern als ſchlüge man mich, und ich ſchämte mich, daß es meine Mutter war, die ſo redete. Ich zitterte, ſobald ich nur ihren Schritt oder ihre 32 Stimme im Corridor hörte, und oft zog ich dann hurtig die Schuhe aus, und tappte leiſe die Hintertreppe herab, um in den Garten zu entkommen. Hatte ich dazu nicht mehr Zeit, ſo lauſchte ich geſpannt, wohin ſie ihre Schritte lenken würde, und ging ſie an meiner Thür vorbei, ſo athmete ich befreit auf. Eine ihrer Härten beſtand darin, daß ſie mich zu eſſen zwang, was ich nicht mochte, während ſie bei den Idioſynkraſien meiner Geſchwiſter ein Auge zu⸗ drückte. Bis zum Rand füllte ſie mir den Teller mit Speiſen, die mir verhaßt waren. Ach ihr guten Erbſen und ebenſo guten Brühkartoffeln, mit wie viel Thränen habe ich euch heruntergewürgt! Die wohlhabendſten Bürgerfrauen gingen damals ſelbſt auf den Markt, auch wohl mit einem Fiſchnetz und einem Körbchen für Obſt. Eines Tages hatte meine Mutter mich mit auf den Markt genommen. Sie hatte Aale gekauft, und ich ſollte ſie im Netz nach Hauſe tragen. Andromache kann, als ſich ihr der Drachen nahte um ſie zu verſchlingen nicht mehr Entſetzen empfunden haben, als ich bei der Vor⸗ ſtellung, daß ich dieſe glibbrigen, eklen Thieren be⸗ rühren ſollte. Ich, ſonſt der Gehorſam ſelbſt, weigerte mich die Aale zu tragen, und als meine Mutter darauf beſtand, gerieth ich ſo außer mir, und ſtieß einen ſo wilden Schrei aus, daß ſie einen Auf⸗ lauf befürchtend, das Netz ſelbſt in die Hand nahm. Ich wäre eher ins Waſſer geſprungen, als daß ich die Aale getragen hätte, und die Prügel, die ich zu Hauſe für meine Renitenz erhielt, und daß ich von 3 Dohm, Schickſal einer Seele. 33 den gekochten Aalen nicht eſſen durfte, hat die Thier⸗ liebe in mir nicht großziehen können. Sonderbar meine Abneigung gegen Thiere, nicht? Ich weiß ſelbſt keine Erklärung dafür. Jede, auch die geringfügigſte Quälerei eines Thieres kann mich zu hellem Zorn reizen, ich mag mich aber ſelbſt mit dem niedlichſten Thierchen nicht abgeben, vor der Berührung einer kalten Hundeſchnauze ſchaudere ich zurück. Vielleicht wirkt bei dieſer Antipathie mein feiner Geruchſinn mit, der ſchon durch den Dunſt⸗ kreis eines Vogelkäfigs unangenehm afficirt wird. Du kannſt es glauben, Arnold, ich litt herz⸗ zerreißendes in meinen Kinderjahren. Der Schmerz des Kindes iſt oft tiefer, troſtloſer als der des Er⸗ wachſenen. Es iſt immer gleich ganz Nacht in der kleinen Seele, ohne Hoffnung auf Morgenröthe. Man ſagt wohl, daß ſo ein Kinderſchmerz nur ein Moment⸗ bild ſei. Iſt aber ein Kind beſonders weich und eindrucksfähig, und wiederholen ſich unabläſſig die ſchmerzlichen Einwirkungen, ſo ſchließen ſich die Wunden nie ganz und bluten bei der leiſeſten Be⸗ rührung. Es giebt Kinder, die gleichſam gepanzert zur Welt kommen, Dickhäuter, von denen alle Pfeile ab⸗ prallen, Kinder mit ſtarken Inſtinkten der Selbſter⸗ haltung. Andere aber ſind wehrlos geboren mit ſo dünner Seelenhaut, daß ſchon ein Hauch ſie verletzt. Ich war ein geiſtiger Bluter. Man ſpricht ſo viel von dem großen Glück des Kindes, das die Mutterliebe ihm giebt, man ſpricht 34 von dem trauervollen Geſchick der Kinder, die früh die Mutter verloren. Aber man ſpricht nicht von dem viel größeren Unglück des Kindes, das eine Mutter hat, die keine Mutter iſt. Ich weiß nicht ob mein Schickſal ein Ausnahme⸗ ſchickſal war. Ich glaube kaum. Ich errinnere mich mit abſoluter Sicherheit, daß in meiner Kindheit kein einziger Tag verging, ohne daß ich weinte. Es waren keine kindiſchen Thränen, ich weinte mit Bewußtſein, wie ein Erwachſener, über das was mir geſchah, Thränen, die vergiften, Thränen, die für immer Spuren in der Seele hinterlaſſen. Daß mein Gedächtniß ſo wenig Thatſächliches aus den Kinderjahren feſtgehalten hat, liegt wohl daran, daß ich mich immer vor der Wirklichkeit zu verkriechen ſuchte, daß mein eigentliches Weſen durch die rauhe Verſtändnißloſigkeit meiner Umgebung er⸗ ſtickt wurde, oder doch nur latent in mir fortlebte. Nur nicht bemerkt werden. Bemerkt werden und verwundet werden, war eins für mich. Ungeliebt, un⸗ gehegt und gepflegt ſchmachtete ich nach Liebkoſungen, und da ich in der Wirklichkeit keine fand, erträumte ich ſie mir, wie der Hungrige im Traum in leckern Speiſen ſchwelgt. In inſtinktiver Schlauheit erzwang ich mir einen außergewöhnlichen Zugang zum Lebens⸗ genuß, da mir die gewöhnliche Thür verſchloſſen wurde. Es war eine völlige Umkehrung des realen Daſeins. 3* 35 Der Traum war das Leben, das Leben ein weſenloſes Hindämmern. Meine Mutter ſah ich im Licht einer Märchen⸗ Stiefmutter. Bis in meine Backfiſchjahre hinein trug ich mich mit der Hoffnung, daß ich ein angenommenes, ein Findelkind ſei, und ich wartete eigentlich immer auf die eigentliche Mutter. Darauf hin ſpann ich lange Romane, die immer damit endigten, daß ich endlich, endlich meine Mutter entdeckte, die mich nun natürlich ganz unſinnig liebte. Ich hätte ſo ſehr gern meine Mutter „Sie genannt. Eine kleine Wohnung auf der andern Seite unſers Flur's hatte ein altes Fräulein mit ihrer Jungfer inne. Das alte Fräulein war eine Dichterin, eine berühmte, ſagte man mir. Man ſprach von ihr im Hauſe mit einer gewiſſen neugierigen Ehrerbietung. Daß ſie von altem Adel war, erhöhte das Intereſſe für ſie. Schon ihr Vorname „Elfriede“ übte eine geheimnißvolle Anziehung auf mich aus. Die Stimmung des Tiek'ſchen Märchens „Die Elfen“, war noch in meinem Gemüth lebendig, ein Abglanz davon fiel auf die Dichterin. Sie war ſehr lang und ſehr dünn, und kleidete ſich eigenthümlich, mit weiten dunklen Umhängen, und nie habe ich ſie ohne einen langen, wehenden, grünen Schleier und ohne Halbhandſchuh geſehen. So 36 wandelte ſie im Garten auf und ab, in der Hand ein Büchelchen und einen Bleiſtift haltend. Ein Duft wie von Lawendel und Veilchen ging von ihr aus. Oft ſtand ich am Fenſter des Berliner⸗Hinterzimmers, und wartete bis die Liebliche ſich zeigte und mit ihren zarten Fingern den Vorhang zurückſchob; er war auch grün. Wie früher der verſchloſſene Bücherſchrank, ſo zog mich jetzt dieſes vergilbte Fräulein an. Sah ich ſie in den Garten gehen, ſo lief ich auch ſchnell hinab, und herzklopfend ſtrich ich ſo nah wie möglich an ihr vorüber, damit ſie mich be⸗ merken ſollte. Allgemach ſpielte ſie eine Rolle in meinen wachen Träumen. Ich erſann eine phantaſtiſche Combination: Sie war meine leibliche Mutter. Eine magiſche Ver⸗ kettung hatte uns in demſelben Haus zuſammen ge⸗ führt, und eines Tages entdeckte ſie an einem geheimen Mal, — etwa an dem kreuzartigen rothen Mal auf meiner Stirn — ihre Mutterſchaft mir gegenüber. Von dem Augenblick an liebte ſie mich raſend, mußte es aber vor der Welt geheim halten. Ueber das Warum dieſer Geheimhaltung ließ ich mir keine grauen Haare wachſen. Im Gartenſaal gaben wir uns zahlreiche Rendez⸗vous, und zerfloſſen dabei in Zärtlichlichkeit und Thränen. So zur fixen Idee wurde dieſe Vorſtellung, daß ich ein paar Mal, wenn ſie im Garten war, mich durch ſchnelles Laufen in der Sonne zu erhitzen ſuchte, damit das Mal zum Vorſchein kommen ſollte. Meiſt 37 aber, wenn ich an ihr vorüberging war ſie ſo in ſich verſunken, daß ſie mich gar nicht bemerkte. Nur ein einziges Mal ſprach ſie mich an, ſtreichelte mich, und gab mir aus einer eleganten Bonboniere ein Chokoladenplätzchen. Als ſie nach einem Jahr auszog, empfand ich es wie einen Schickſalsſchlag, die Stimmung des Tiek'ſchen Märchens, nachdem die Elfen ihren Wohnort verlaſſen kam über mich. Zwar winſelten keine Klagetöne durch die Luft, noch zitterte der Erboden unter den Rädern des Möbelwagens, der ihr Haus⸗ geräth davon trug, der Garten aber kam mir doch eine Zeitlang entzaubert vor. Nicht mehr wehte der grüne Schleier durch das dürre braune Herbſtlaub, und nicht mehr ſtand ich im Berliner⸗Zimmer bis die Liebliche ſich zeigte. Mit Elfriede war mir ein Stück Romantik entſchwunden, eine meiner heißerſehnten Mütter zu Waſſer geworden. Uebrigens war meine gequälte Kinderſeele durch⸗ aus nicht frei von Rachegefühlen meiner Mutter gegenüber. Aber nie hätte ich ihr ein Leid an⸗ wünſchen, geſchweige denn ihr eins anthun mögen. Im Märchen muß die böſe Stiefmutter auf glühen⸗ den Pantoffeln ſich zu Tode tanzen. Glühende Kohlen ſpielten auch in meinen Rachegedanken eine Rolle, aber ich wollte ſie auf das Haupt meiner Mutter ſammeln, ſie mit Beſchämung ſtrafen. In 38 beſonders trübſeligen Stimmungen nahm ich mir feſt vor ſchmerzlich zu Grunde zu gehen, um das Herz meiner Mutter durch mein tragiſches Geſchick mit Reue zu zerfleiſchen. ¹ Immer war ich in meinen Traumphantaſien zuerſt ein verelendetes, geknicktes Geſchöpf, bis ein Zauber oder ein großes Schickſal etwas außerordent⸗ liches aus mir machten. Immer hatte meine Mutter mich aus dem Hauſe geſtoßen, oder ich war davon gelaufen. Mich hungerte. Ich war in Lumpen ge⸗ kleidet. Da ging ich auf die Höfe und ſang. Irgend jemand hörte meine herrliche Stimme, war entzückt davon, ließ mich zur Sängerin ausbilden. Und ich wurde die erſte Sängerin der Welt. Und eines Tages fuhr ich in der Friedrichſtraße bei meiner Mutter in einem vergoldeten Wagen mit vier Pferden — nein mit 6 weißen Roßen — vor, ſo daß die ganze Friedrichſtraße Kopf ſtand. Und neben mir im Wagen ſaß ein Prinz. Das war mein hoher Ge⸗ mahl. Und zu ſpät ſah meine Mutter ein wie ſehr ſie mich verkannt hatte. Die „dumme Gans“ kam als Schwan daher, wohnte in einem Palaſt und war weltberühmt. Furchtbar wars, wenn meine Mutter mich mit einem Rohrſtock ſchlug, was ab und zu vorkam. In eine wilde tödtliche Aufregung gerieth ich dann. Die glühende Kohlen der Beſchämung genügten mir nicht mehr, nicht mehr die Traumbeſtrafungen. In düſterem Pathos miſchte ich Traum und Wirklichkeit. An eiſigen Winterabenden, ehe ich ins Bett ging, 39 ſtellte ich mich im Hemde ans offene Fenſter, und entblößte meine Bruſt, ſie der Kälte preisgebend. Ja, ich wollte mir eine tödtliche Krankheit zuziehen, und auf dem Todtenbett, im Fieberparoxismus, wollte ich der unnatürlichen Mutter zurufen — nein nicht zurufen — dazu war ich zu ſchwach, mit einem Finger wollte ich ihr das Kainszeichen auf die Stirn malen: Mörderin! Und mit wahrer Wolluſt malte ich mir ihre Gewiſſensqualen aus. Oder ich ſiechte langſam an gebrochenem Herzen dahin. Ich lag auf der Todtenbahre, (Bett ein zu proſaiſches Wort) ein Kranz von weißen Roſen auf dem gelöſten rabenſchwarzen Haar, marmorweiß das Geſicht. Ich ſah ſo wunderſchön aus und ſo furcht⸗ bar traurig, daß ich über mich ſelbſt laut weinte. Und mein Bild als Todte, würde fortan das Leben meiner Mutter vergiften. Kindskopf, der ich war. In Wirklichkeit würde die robuſte Frau mich in wenigen Wochen vergeſſen haben. Aber die eiſigſte Kälte ſchadete mir nicht. Gott! war ich geſund! Meine Phantaſie feierte wahre Orgien der Traurig⸗ keit, in denen Tod und Wahnſinn, weiße Lilien und rothes Blut und nächtliche Kirchhöfe wild durchein⸗ ander ſpukten. Nichts konnte mir ſchaurig genug ſein. Mit Vorliebe ſah ich mich als Waſſerleiche im rauſchenden Strom dahintreiben, meine Rabenlocken das Bahrtuch, das mich einhüllte. Und Goldfiſche (die ja eigentlich in rauſchenden Strömen ſelten vor⸗ 40 kommen) und Delphine zogen mir nach auf der dunklen Spur. Ueber mir große Vögel, die Flügel ausgebreitet, lautlos ſchwebend — ein feierlicher Leichencondukt. Und auf meiner Stirn brannte in myſtiſchem Licht das rothe Mal. Eine Zeitlang ſtand ein gutes und kluges älteres Kindermädchen bei uns im Dienſt, die mich lieb hatte. Das war die erſte Perſon, die überhaupt merkte, daß ich zu meiner Mutter niemals Mutter, oder wie meine Geſchwiſter „Mama“ ſagte. Das gute Mädchen redete mir ins Gewiſſen. Sie ſtellte mir eindringlich vor, daß eine Mutter kein Herz zu einem Kinde faſſen könne, daß ſo hals⸗ ſtarrig wäre, ſie nicht Mama nennen zu wollen, und gewiß hielte ſie mich darum für bös und trotzig. Und mit ſo klugen, liebevollen Worten drang ſie in mich, daß ich ihr verſprach meinen Trotz (es war ja kein Trotz) abzulegen. Aber ach, vom Entſchluß zur That war noch ein weiter Weg. Ich hatte mir das „Mutterſagen nicht ſo ſchwer gedacht. Ich wollte nämlich gar nicht erſt Mama, ſondern gleich Mutter ſagen. Das gefiel mir beſſer. In keinem meiner Märchen oder Träume gab es Mama's. Tagelang, wochenlang kämpfte ich mit meiner Schüchternheit und einer herzbeklemmenden Angſt, die mich jedesmal überfiel, wenn ich einen Anlauf zu der 41 heroiſchen That nahm, und ich hätte ſicher den Mut dazu verloren, wenn das Kindermädchen nicht anf ihren Schein beſtanden hätte. Sobald ich in dieſer Zeit meine Mutter nur zu Geſicht bekam, ſtieg mir alles Blut ins Geſicht. Im Garten ſtellte ich Vorübungen an: „Mutter! liebe Mutter!“ und es klang ſo zärtlich, ſo überwältigend, es rührte mich tief. Inzwiſchen phantaſirte ich wieder eine bewegliche Geſchichte zuſammen, über das, was nach vollbrachter That geſchehen würde. Zuerſt würde die Mutter, ſo⸗ bald das inhaltsſchwere Wort gefallen, wie von einem elektriſchen Schlag getroffen, ſprachlos daſtehen. Dann würde ſie in Thränen ausbrechen, mich in ihre Arme preſſen und mit Liebkoſungen überſchütten. Und von dem Augenblick an war ich ihr erklärter Liebling. Ich würde eine Mutter haben, eine Mutter! mein Herz jauchzte. An einem Nachmittag mußte der verwegene Plan ins Werk geſetzt werden. Vormitttags, da war die Mama ja nicht angezogen und ſchlechter Laune und ganz Wirthſchaftsdrachen. Die erſten Anläufe, die ich in einer Aufregung nahm als handle es ſich um Tod und Leben, ver⸗ liefen reſultatlos. Einmal traf ich Alice bei ihr. Ein ander mal fuhr ſie mich gleich, als ich eintrat, unſanft an. Endlich kam ein günſtiger Moment. Sie war im Schlafzimmer bei dem kleinen Brüderchen, und ich hörte ſie mit ihrer hellen Stimme eines ihrer hübſchen Lieder ſingen: „Brüderlein fein, Brüderlein 42 fein, ach es muß geſchieden ſein.“ So lange meine Mutter ſang, vergaß ich das Stiefmütterliche in ihr. Und nun wußte ich auch einen Vorwand um ein⸗ zutreten. Ich begreife heute noch nicht, daß ſie nicht an meinem glühenden Geſicht, an meiner bebenden Stimme merkte, daß etwas Außerordentliches geſchehen ſollte. „Mama, ſagte ich mit fliegendem Athem (ganz gegen meinen Vorſatz hatte ich das Wort „Mutter nun doch nicht über die Lippen gebracht) Mama ſoll ich nicht Fritzchen wiegen?“ Eine Bergeslaſt fiel mir von der Bruſt. Es war vollbracht. „Komm in einer halben Stunde wieder“ ſagte meine Mutter nicht unfreundlich, aber ganz gleich⸗ gültig. Sie ſpielte mit dem Kinde weiter. Ich ſtand noch ein paar Minuten und wartete — wartete! Es mußte doch etwas geſchehen! es mußte doch. Als ſie ſich nach einiger Zeit umwendete, und mich noch immer daſtehen ſah, ſagte ſie ſchon etwas ſchärfer: „Aber ſo geh doch „Ja Mama.“ Und ich ging langſam, ganz lang⸗ ſam, zögernd hinaus, immer noch hoffend — immer noch hoffend! Nichts geſchah. Nichts. O Gott, meine Mutter hatte es gar nicht bemerkt, daß ich nie Mama zu ihr geſagt und ſie hatte auch jetzt nicht bemerkt, daß ich es that. Ich legte dieſe tiefe, bitterſte Enttäuſchung zu den übrigen und weinte mich am Halſe des Kinder⸗ mädchens aus. 43 Seitdem habe ich oft Mama geſagt, aber ohne Hoffnung und Erregung. Wie wenige Eltern wiſſen etwas von der Pſyche ihrer Kinder. Wer hat ſich je um das, was in mir vorging, gekümmert? Weil ich verblödet war, mußte ich dumm ſein. Meine Wortkargheit war Trotz. Mein Fernſtehen von den Geſchwiſtern — Herzloſig⸗ keit. Die Mama war ja ſelbſt in ihrer Jugend von ihrer Mutter tüchtig geknufft worden, und ſie hatte ſich nichts daraus gemacht, und nicht im entfernteſten daran gedacht es ihr nachzutragen. Unſere Großmutter. Wie ſich meine Eltern dieſer Großmutter gegenüber verhielten, iſt auch eine Illuſtration zu ihrer naiven, culturfremden Art und Weiſe. Die Mutter meiner Mutter, eine ſehr einfache arme Frau, bewohnte im Norden Berlins vier Treppen hoch, ein kleines Stübchen, Sie webte und ſtrickte für Geld. Der Zuſchuß, den ſie von meinen Eltern erhielt — zehn Thaler monatlich — reichte nicht ganz für ihre Exiſtenz aus. Sie war ein kleines, behäbiges, runzliches Alt⸗ chen mit freundlichen blauen Augen und einer ſchwarzen Hornbrille. Meine Mutter hatte ihr ein ſchönes Kleid ge⸗ ſchenkt von blaugrüner Changeant⸗Seide. Das blieb aber bei uns im Schrank hängen, und wenn ſie uns 44 beſuchte — es geſchah alle vier Wochen — ſo zog ſie das dürftige Wollenkleid, mit dem ſie kam, aus, und das ſeidene an, und wenn ſie ging fand ein abermaliger Kleideraustauſch ſtatt. Ebenſo wurde es mit einer ſtattlichen Haube gehalten. Großmutter ſaß bei uns den ganzen Tag ſtrickend, und behaglich auf einem Lehnſtuhl, und Mittags gab es jedes Mal Gänſebraten, weil ſie den ſo gern aß, und Abends wurde ihr das Gerippe von der Gans mit einem Töpfchen Gänſeſchmalz in einem Korbe mit⸗ gegeben, weil ſie das zu gern aß. Und ſie freute ſich ſo über das Gerippe, beſonders wenn noch viel daran war. Einmal im Jahr, zu ihrem Geburtstag im De⸗ zember, beſuchte meine Mutter ſie und nahm uns ältere Kinder mit. Wir freuten uns immer ſehr auf dieſen Ausflug, einmal weil unſer Weg uns über den Weihnachtsmarkt führte, und dann — es war eine ſo neue, fremde Welt für uns, das Stübchen in der entlegenen Gegend mit dem Blick auf irgend einen verwilderten Garten, und die Hühnerſtiege, die hinauf⸗ führte. Es war ein richtiges Abenteuer. Und rieſig nett war der große ſchwarze Kachelofen und die Bunzlauerkanne mit dem heißen Kaffee, der für uns in der Röhre bereit ſtand. Und der Webſtuhl! Wir brachten immer einen großen, eigengebackenen Napfkuchen mit, und ohne den kleinſten Skrupel aßen wir ſelber dieſen Kuchen bis auf das letzte Krümchen zum Kaffee auf. Heute noch könnte ich darüber weinen, wie wehmüthig nach unſerm Fortgehen, 45 die alte Frau auf den leeren Teller geblickt haben mag. Du mußt nun nicht etwa glauben, daß meine Eltern aus Geiz oder Hartherzigkeit das Altchen in ſo dürftiger Lage ließen. Meine Mutter gab ſogar ſehr gern. Ich bin überzeugt, ſie glaubten vollauf ihrer Pflicht zu genügen. Hätte die alte Frau mehr verlangt, ſie würden es ihr ſicher gegeben haben. Und die Großmutter ſelbſt habe ich nie anders als heiter nnd roſig geſehen, dankbar für das kleinſte Geſchenk und völlig zufrieden mit ihrem Schickſal. Von der Zeit an, wo ich fließend leſen konnte, las ich mit Leidenſchaft. Ich verſchlang jedes Buch, deſſen ich habhaft werden konnte, gleichviel ob Schauerroman und Räubergeſchichte, ob Schiller oder Goethe, ob eine Nieritz'ſche Erzählung für die Jugend, oder ein lüſterner Liebesroman. Leider befanden ſich im Bücherſchrank Wieland's Werke. Ich glaube ich habe die meiſten davon vor meinem elften Jahr geleſen. Daß ich dieſer Leidenſchaft nur verſtohlenerweiſe nachgehen durfte, ſteigerte ſie ins Krankhafte. Mit völligem Unverſtand hatte mir meine Mutter das Leſen ein für allemal verboten, wahrſcheinlich nur, weil es mir Freude machte. Ein erzieheriſcher Gedanke hat bei dem Verbot nicht mitgewirkt. Von Erziehung hatte die Mutter keinen andern Begriff, als daß die Kinder für begangene Unarten 46 abzuprügeln ſeien, je nach der Schwere der Unart mit leichten Streichen bis zu einer herzhaften Rohr⸗ ſtock⸗Exekution. Wenn meine Eltern, was nicht allzuoft geſchah, Sonntags in's Theater gingen, freute ich mich un⸗ unſinnig darüber. Unvergeſſen bleibt mir einer dieſer Abende. Ich hatte ein Buch angefangen, ein himm⸗ liſches. Es hieß „Veronika oder der Blutſchleier“. Wahrſcheinlich ſtammte es von einem unſrer Dienſt⸗ mädchen. Den Inhalt hab ich vergeſſen. Dem Titel nach muß es etwas ganz blutrünſtig myſteriöſes ge⸗ weſen ſein. In erwartungsvollem Entzücken ſchlug mein Herz, als meine Eltern ſich zum Ausgang rüſteten. Kaum hatte die Thür ſich hinter ihnen geſchloſſen, ſo ſtürzte ich auf das Buch, jedes Wort mit grenzen⸗ loſer Gier verſchlingend. Ich ſah nichts, ich hörte nichts, ich empfand nicht die Flucht der Stunden, bis ich plötzlich mit einem Schrei aufſprang. Jemand hatte mir das Buch aus der Hand geriſſen, und ſchlug es mir um die Ohren: meine Mutter. Ich habe das Buch geſucht, tagelang, wochen⸗ lang, mit dem Heißhunger einer Verſchmachtenden. Es blieb verſchwunden. Lange, lange hat der Gram um Veronika mit dem Blutſchleier an mir genagt, bis allmählich andere Bücher die Erinnerung an den Blut⸗ ſchleier verdrängten. Im Wohnzimmer ſtand der mit Glasthüren ver⸗ ſehene Bücherſchrank, auch ein Erbſtück vom Groß⸗ vater; meine Eltern hätten ſich ſchwerlich jemals 47 Bücher angeſchafft. Gewöhnlich war der Schrank ver⸗ ſchloſſen. Eines Tages aber hatte man den Schlüſſel ſtecken laſſen. Durch die Thüren hatte ich längſt die Titel der Bücher geleſen. Zwölf Bände, in blauen Pappedeckeln geheftet, hatten meine Neugierde ge⸗ reizt: „Tauſend und eine Nacht.“ Es waren die Originalmärchen, nicht eine für die Ingend be⸗ arbeitete Ausgabe. Ich nahm eins der Bücher her⸗ aus, zog den Schlüſſel ab, und verſteckte ihn, ebenſo erfolgreich wie das Buch ſelbſt. Das Abenteuer mit Veronika hatte mich gewitzigt. Ich las drauf los, in den Zwiſchenſtunden in der Schule, im Haus, im Garten, ſobald ich nur vor den Arqusaugen meiner Mutter ſicher zu ſein glaubte. Die Kindermädchen, die mich immer gern hatten, leiſteten mir Vorſchub dabei. Mehr und mehr verſank die wirkliche Welt vor mir. Und das war die Zeit, wo ich mit Ungeduld darauf wartete, daß man mich zum Wiegen der kleinen Geſchwiſter rufen ſollte. Leſen konnte ich da freilich nicht, aber ſchwelgen im Nachgefühl der ſüßen Märchen voll ſchimmern⸗ der Pracht, und Variationen dazu konnte ich er⸗ ſinnen. Ich trug die Nachtlampe ins Nebenzimmer, ſo daß es im Schlafzimmer geheimnißvoll ſchummrig wurde, und nur der Laternenſchein von der Straße her zitternde Schatten an Decken und Wände malte. Es iſt ein Inſtinkt der menſchlichen Natur den Schmerz abzuſtoßen. Ich ſuchte und fand das Heil⸗ 48 mittel in meiner Einbildungskraft, eine glühende, blühende, nie raſtende, immer ſchaffende. Je rauher die Wirklichkeit, je intenſiver je leidenſchaftlicher meine Träume. Sie ſaugten meine ohnedies ſchwache Willens⸗ kraft ganz auf. Ich wurde läſſig, träge. Ich konnte ſtundenlang auf dem Rücken liegen, zur Zimmerdecke emporſtarrend, am liebſten im Dunkeln. Im Sommer, wenn wir Kinder zum Zubettgehen gerufen wurden, verſteckte ich mich, und lag dann auf einer Gartenbank, unter dem Sternenhimmel, träumend — träumend — träumend! Ich habe vor einiger Zeit einen engliſchen Roman geleſen, in dem, vermittelſt eines Zaubertrank's, ein und derſelbe Menſch in zweierlei Geſtalt auf Erden wandelt: als kleiner, krüppelhafter Böſewicht und als ſchöner, edelgeſinnter Jüngling. So beſtand ich eigent⸗ lich auch aus zwei Hälften. Mit dem Zaubertrank der Traumwelt war ich ein wundervolles Geſchöpf, ohne den Trank ein armſeliges Aſchenputtel, das Erbſen leſen mußte — unter Thränen. Vor allen Lebendigen, Menſchen und Thieren, hatte ich Scheu und Furcht. Nie vor Naturvor⸗ gängen, auch vor den wildeſten nicht. Ich liebte den Sturm, der durch die Bäume rauſcht und raſt, Donner und Blitz liebte ich und Wolkenbrüche und blutrothe Sonnenuntergänge. Das waren ja Märchen in Bildern, in Tönen, in Farben. Dohm, Schickſal einer Seele. 4 49 Ich liebte aber auch den Mond, ihn vor allem. Mit dem hatte ich ein intimes Verhältniß. Oft wenn er ſchien, ſtand ich auf aus dem Bett, um zu ſchauen, wie er ſo eilig, eilig durch die Wolken da⸗ hinfuhr, Wolken, die als formloſe phantaſtiſche Un⸗ geheuer ſich über ihn hinwälzten; und wenn er dann aus all dem wilden Spuk in großer, ſtiller Silber⸗ pracht wieder emportauchte, war ich förmlich ſtolz auf meinen lieben Mond. Ich wäre ſo ſehr gern mondſüchtig geweſen. Entzückend dachte ich es mir, ganz triefend von Mond⸗ licht mit geſchloſſenen Augen, über die Dächer, in einem langen weißen Nachthemd mit himmelblau ſeidenen Bändern, hinzugleiten. Keine Hoffnung. Ich war kerngeſund. Nur traumtrunken. Es gab Tage wo ich gar nicht nüchtern wurde. Ich verſuchte auch ab und zu meinen Traum⸗ geſchichten Form und Geſtalt zu geben. Im Garten wußte ich ein verſtecktes Plätzchen mit Bank und Tiſch. Dahin trug ich Blumen, Gräſer, Steine und Sand. Aus Sand und Steinen baute ich eine Burg, um die ich von Buchsbaum eine Mauer pflanzte. Drinnen hauſte ein böſer Zanberer, (eine haarige Diſtel) der hielt ein Königskind, die Prinzeſſin Ver⸗ gißmeinnicht, gefangen. Zwei Hofdamen, Nelke und Tulpe, bewachten ſie. Um die Burg herum grub ich einen Graben, den ich mit Waſſer füllte. Im Waſſer ſchwamm eine ausgehöhlte Kaſtanie, das war der Nachen. Im Nachen ſaß Prinz Ritterſporn. Der 50 wollte das Königskind befreien. Aus Gräſern hatte ich ein Leiterchen geflochten. Auf dem Leiterchen ſtieg kühnlich, nächtlicherweile, der Prinz hinauf zum Schloß am Meer, und leis und ſüß in der Nacht ſang er ein lockend Lied. Und ſchon wollte das Prinzeßchen in ſeine Arme fliegen, da erſchienen die Hofdamen mit dem böſen Zauberer, und der Zauberer berührte den Prinzen mit ſeinem Stab, und der Prinz rief: wehe! wehe! und ſtürzte hinab und ertrank. Und Prinzeßchen Vergißmeinnicht klomm hinauf in den höchſten Thurm, ſang hoch oben noch ein Schwanenlied, ſo furchtbar patetiſch, daß ich ganz heiſer davon wurde, und ſie rief auch wehe! und ſtürzte auch hinab und ertrank auch. War ich beſonders heiter geſtimmt, ſo ließ ich die Liebenden wohl auch, vermittelſt des Kaſtanien⸗ Kähnchens entkommen, und der Zauberer und die Hofdamen büßten ihre Unthat als Waſſerleichen. Das waren meine Sommer⸗ und Gartenmärchen, die immer in unendlichen Variationen dasſelbe Thema behandelten. Im Winter hatte ich ein anderes Spiel. Eine eiskalte Kammer, neben dem Zimmer wo ich mit meinen Schweſtern ſchlief, war der Schauplatz meiner Thaten. Ich ſchnitt mir die Figuren aus allerhand Bilderbogen aus, wie ſie gerade in meinen Beſitz gelangt waren, die Figuren aus Wilhelm Tell, den Hugenotten, Don Carlos, Egmont u. ſ. w. Ent⸗ weder waren es auch wieder Märchen, die ich mit ihnen aufführte, oder ich ſpielte Schule mit ihnen. 4* 51 Ich hatte Lieblinge unter ihnen, und auch ſolche die ich nicht leiden mochte. Ich hielt aber ſtreng auf Ge⸗ rechtigkeit. Ein höchſt albernes Spiel, das ich erſann, betrieb ich mit Leidenſchaft. Ich breitete in bunter Reihe die Figuren auf dem Tiſch aus, und dann nahm ich irgend ein Gedicht vor, etwa: „ich weiß nicht was ſoll es bedeuten, daß ich ſo traurig bin, und auf welche Figur ein Wort mit einem „a“ traf, die durfte ſich hinaufſetzen. „Ich weiß nicht was — Du Prinzeſſin Eboli⸗erſte! „ſoll es bedeuten, daß — — Du Egmont zweiter u. ſ. w. Und ich war ganz betrübt, wenn auf meine Lieblinge kein „a traf, und ſie immer tiefer bis zu den unterſten Plätzen herabrutſchten, mannhaft aber widerſtand ich der Luſt zu mogeln. Die Kammer war mein Tabernakel, nur lebte ich in ſteter Angſt, daß die Mama oder die Ge⸗ ſchwiſter hinter mein Geheimniß kommen könnten. Und richtig, der Verräther ſchlief nicht, vielleicht war meine Mutter auch von ſelbſt auf mein häufiges Verſchwinden in die Kammer aufmerkſam geworden. Eines Tages wurde plötzlich die Thür aufgeriſſen, und Mama ertappte mich en flagranti. Sie hatte einen Stock in der Hand, und ich glaube heute noch, daß es ihr leid that keinen Grund zu finden mich ab⸗ zuprügeln. Sie mochte geglaubt haben, daß ich heim⸗ lich entwendete Näſchereien in der Kammer verzehrte oder ſonſt einen verbotenen Schmuggel darin trieb. Eine peinliche Durchſuchung der Kammer fand ſtatt. Meine ſchönen Bilderbogen und Figuren wurden 52 als alter Plunder ins Feuer geworfen. Um den Herzog Alba oder den Tyrannenknecht Geßler hätte ich mich nicht ſonderlich gegrämt, dem Marquis Poſa aber, dem Clärchen und manchen Andern weinte ich bittere Thränen nach. Von der Kammer wurde der Schlüſſel abgezogen. Ach ja Arnold, ganz wie Mignon hatte ich oft genug mein Brot mit Thränen gegeſſen, ich hatte die kummervollen Nächte weinend auf meinem Bett geſeſſen! Ich machte ſogar ein Gedicht auf meine Thränen.“ Willſt Du es hören? Ach weh', ich arme kleine Marlene, Schuf denn der Herr für mich allein die Thräne? Was that ich, daß er nimmer mag vergeben, Daß immer — immerzu ich weinen mußte! Verweinen ſo ein ganzes, langes Leben. (Ich war 11 Jahre alt.) Als ich, ein Kind, in ſehnſuchtsvoller Liebe Die Arme nach den Mutterarmen ſtreckte, Da — nicht aus fremden, nein aus Mutteraugen Des Haſſes tödtlich kalter Blick mich ſchreckte. Da war vollbracht der große Riß im Herzen Geſunden kann ich nie von dieſen Schmerzen. Den Morgen grüßt ich ſtets mit feuchten Augen, Den Sternen ſagt ich Lebewohl in Thränen Und Nachts in düſtren Träumen wähnt ich An eiſ'gen Marmor meine Stirn zu lehnen. Ach keiner zählt ſie, meine heißen Thränen. Sie rinnen — rinnen bis zum Meer ſie ſchwellen Und in den bitt'ren Schmerzenswellen Ertrinkt mein Herz. 53 Mit den Reimen, da haperte es; immer ſind ſie mir ſchwer geworden. Die Versfüße aber floſſen mir wie Waſſer von den Lippen. In meinen Gedichten — komiſchen Angedenkens — ſchrack ich vor nichts zurück, ſelbſt nicht vor einem Prometheus, mit dem ich mich kühnlich verglich, unverzagt meine Leber dem Geier preisgebend. Lange Zeit hatte ich einen heißen Wunſch: ich wollte in eine Penſion kommen. Es war die Sehnſucht nach einem Zuhauſe, das ich im elterlichen Hauſe nicht fand. So leidenſchaftlich wurde mit der Zeit dieſer Wunſch, daß ich mir ein Herz faßte, und ihn meinem Vater vortrug, an einem Sonntag Vormittag bei dem Apfelkuchen ohne Schlagſahne. „Ja, warum denn nicht? ſagte er gleichmüthig, ich werde mit Mama darüber reden. Er redete auch wirklich mit Mama darüber, in meiner Gegenwart. „Die Marlene möchte gern in eine Penſion ſagte er ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen. Ihre einzige Antwort war: „Die Pippe iſt wohl ganz verdreht geworden. Damit war die Sache abgethan. Mit etwas Zähigkeit und Energie hätte ichs wahrſcheinlich durchgeſetzt, mit Schmeicheln ſicher. Alice ſetzte ja alles durch, was ſie wollte. Mir fehlte 54 gänzlich der Inſtinkt der Selbſterhaltung, der Inſtinkt mich durchzuſetzen. Ich ſenkte nur immer den Kopf, und „die Pippe plinzt ſchon wieder“, lachten meine Brüder. Hin und wieder gab es aber doch, ſelbſt in unſerm gemüthloſen Daheim freundlich ſtimmungs⸗ volle Momente. Wenn an Feſttagen der Duft des eigengebackenen Kuchens durch das Haus zog, wenn zu Pfingſten die friſchen Birkenreiſer über alle Räume ſonnige Heiterkeit verbreiteten. Und die erſten Veil⸗ chen im Garten! Und die Nußernte im Herbſt von unſern Nußbäumen. Und Sonntags die weißen Kleider, und der Bisquitpudding mit Apfelmus, Speiſen, die Niemand ſo zu bereiten verſtand wie meine Mutter. Und Weihnachten! Da wurde ja die Wirklichkeit mit ihren Ge⸗ heimniſſen, mit den ſeligen Schauern der Erwartung geradezu ein Märchen. Der Weihnachtszauber be⸗ währte ſich ſogar an meiner Mutter. Einkaufen, immer kaufen, das war ihre größte Luſt. Und darum war ihr Weſen in der Weihnachtszeit wie ausgetauſcht. Selbſt für ihre Feinde, die Dienſtboten kaufte ſie mit Luſt ein. Und wie ſie die Weihnachtstafel zu arrangieren verſtand! Mit einem Dekorationstalent ohne gleichen wußte ſie die billigſten Ausverkaufs⸗ ſtofſe zu Prachtgewändern aufzubauſchen. Und immer 55 war es in meiner Erinnerung weiß zu Weihnachten, weiß von Schnee. Ich meine es ſchneit jetzt nicht mehr ſo viel wie früher. Der Schnee gehörte dazu, und die Kurrendeſchüler auch. Jetzt iſt ja auch Weihnachtszeit, und während ich am offenen Fenſter ſitze und ſchreibe, flöten unten auf der Straße ein Paar Pifferari auf ihren ſelt⸗ ſamen Inſtrumenten. Wehmuth und Plaiſir iſt in ihren Tönen, viel Schelmerei und etwas Herzweh. Dazu die luſtige, enge Straße, auf der es von Menſchen und Fuhrwerk kribbelt und krabbelt, und auf dem Pflaſter der gleißende Sonnenſchein, und die mit Flitter, Lammfellen und Lumpen bunt ausſtaffirten Knaben. Wie anders die Kurrendeſchüler; die kamen meiſt in der Dämmerung, und zogen ſingend von Hof zu Hof, und in ihren weiten ſchwarzen Mänteln mit den großen Kragen, wirkten ſie fremdartig, ge⸗ heimnißvoll, als wären's Abgeſandte aus dem Stall von Bethlehem. Und der Schnee, der auf ſie nieder rieſelte — wenn es gerade ſchneite — ſchien ſie lang⸗ ſam einzuſaugen, während ihr: „Heilige Nacht! ſtille Nacht“ ferner und ferner erklang (von den Nachbar⸗ höfen her) bis es allmählig verhallte. Trotz der vielen Geſchwiſter und trotz der Schule war ich ein einſames Kind, krankhaft ſcheu, ob von Natur oder durch die Verhältniſſe ſo geworden, ich weiß es heut noch nicht. 56 Die Schule war es, die mich zeitweiſe aus meiner Verſunkenheit weckte, wenigſtens dann, wenn die Unterrichtsſtunden nur einige Anregung boten. Das Bewußtſein, dumm zu ſein, das man mir ſo energiſch beigebracht, hätte mich vielleicht noch tiefer deprimirt, wenn die Schule nicht geweſen wäre. Da galt ich merkwürdigerweiſe für ſehr begabt. Von Kindern, die ſpäter hervorragende Perſönlich⸗ keiten wurden, weiß man meiſt Excentriſches, Kampf⸗ luſtiges zu erzählen, und wie ſie über die Stränge ſchlugen. Ich ſchäme mich faſt zu geſtehen, daß ich kaum je über die Stränge ſchlug, daß ich im Ganzen ein kreuzbraves, kleines Mädchen war. Aber warte ein⸗ mal — einiger Frevel entſinn ich mich doch. An einem Abend, an der Wiege meines Brüder⸗ chens war's. Von der Straße her fiel der Laternen⸗ ſchein auf etwas Gelbes, daß in dem niſchenartigen Doppelfenſter des Schlafzimmers ſtand: der Reſt des ſonntäglichen Bisquitpuddings. Eine unwiderſtehliche Begierde nach dieſer Leckerei packte mich. Vielleicht war ich gerade hungrig. Hätte ich nur ein Meſſer oder einen Löffel gehabt, um etwas davon abzu⸗ ſchneiden, ſo fein glatt, damit die Mutter es nicht merken konnte. In die Küche gehen, und unter irgend einem Vorwand ein Meſſer holen, das wagte ich nicht. Da — eine teufliſche Einflüſterung. Ich zog eine Haarnadel aus meinem Zopf, und ritſch, ratſch, ein tüchtiges Stück fiel mir in die Hand. So köſtlich hat mir kaum je etwas gemundet, wie dieſes Stück 57 Pudding, das ich in der Mitte des Zimmers ſtehend, die Augen ſtarr auf die Thür gerichtet, in Angſt und Haſt, unter Gewiſſensbiſſen, verſchlang. Merk⸗ würdigerweiſe galten die Gewiſſensbiſſe mehr der Haarnadel, mit der ich ſo unäſthetiſch in den Pudding gefahren war, als der That ſelbſt. Mein Verbrechen blieb unbemerkt, aber nicht un⸗ gerochen. Einige Tage darauf hatte eine Schulbe⸗ kannte, Klärchen Buſchberg, mich zu einer Kinder⸗ geſellſchaft eingeladen. Klärchen hielten wir alle für ſehr vornehm, weil ſie ein goldenes Armband trug. In Wahrheit war ſie die Tochter eines Deſtillateurs. Zum Abendeſſen gab es eine ſüße Speiſe, die noch viel wunderbarer ſchmeckte als unſer Pudding, ſo prachtvoll wie ich nicht gedacht hätte, daß es irgend etwas in der Welt gäbe. Theils aus Schüchternheit, theils um den Genuß in die Länge zu ziehen, aß ich langſam, langſam, immer nur ein halbes Löffelchen in den Mund ſchiebend, und dabei ſchielte ich mit Begierde auf den zurückgeſchobenen Teller meiner Freundin Pauline, der die Speiſe zu ſüß war, und dachte: ach könnte ich doch nachher dieſen zweiten Teller auch haben. Da wendete ſich plötzlich die Hausfrau zu mir: „Quäle Dich doch nicht mit der Speife, Kleine, ich ſehe ja, ſie ſchmeckt Dir nicht, ſie iſt auch wirklich zu ſüß.“ Sagt's und zieht mir den Teller fort. Mit Mühe hielt ich meine Thränen zurück, wagte aber doch nicht den Irrthum aufzuklären. Im Leben iſt mir keine Speiſe zu ſüß geweſen. 58 Das war die Sühne für meine Genäſchigkeit. Und wenn ich gerade an dieſem Tage einen neuen Frevel verübte, ſo wirkte vielleicht ein inſtinktives Rachegefühl wegen der mir ſo grauſam entriſſenen Speiſe mit. Wir ſchwätzten von Schulangelegenheiten. Frau Buſchberg fragte halb ſcherzhaft wie viele Tadel wohl ihr Klärchen in der letzten Woche erhalten habe. Aus ihrem Ton hörte man heraus, daß ſie nur an Lobe dachte. „Die meiſten in der Klaſſe,“ antwortete ich, un⸗ beſonnen; und gleich einem Rad, das einmal ange⸗ ſtoßen nicht mehr aufzuhalten iſt, fuhr ich fort Klärchens ſämmtliche Schulſünden zu enthüllen, und es war eine hübſche Quantität. Ich ſchwelgte förmlich in ihrer Herzählung. Erſt das allgemeine Still⸗ ſchweigen, Klärchens Thränen, und daß mich meine Freundin Pauline unter dem Tiſch derb auf den Fuß trat, brachte mich zum Bewußtſein meiner Ab⸗ ſcheulichkeit, die ich heute noch nicht begreifen kann, denn das mit dem inſtinktiven Rachegefühl iſt Un⸗ ſinn. Eher hatte ich aus jener geiſtigen Schlaffheit herausgeſchwatzt, die ebenſowenig zur rechten Zeit ein Wort finden, als es zur rechten Zeit unterdrücken kann. Es war als gehorchte ich einem mechaniſch mich zwingenden Vorgang im Gehirn. Kann ich nicht auch heute noch plötzlich und un⸗ zeitig geſchwätzig werden, trotz meiner gewöhnlichen Schweigſamkeit? Die Erynien folgten meiner fluchwürdigen That 59 auf dem Fuße. Frau Buſchberg gab mir beim Ab⸗ ſchied nicht die Hand, Klärchen weinte immerfort, und Paulinchen war böſe mit mir. Ich kam mir entehrt, gemein vor. Ich hätte gern mit Blut die Schande abgewaſchen. Ich faßte darnach eine Abneigung gegen Klärchen. Es irritirte mich ſchon, wenn ihr Armband klirrte. Und daß ihr Vater nur Deſtillateur war, trug ich ihr auch hinterher nach. Dieſer Seitenſprung ins Böſe paßte ſo gar nicht zu meiner ſonſtigen Bravheit. Selbſt harmloſe Ungezogenheiten pflegten mir Gewiſſensbiſſe zuzuziehen. Da hatten wir einen affektirten Lehrer, der ein⸗ mal ſagte, die gelbe Farbe ſei ihm zuwider, weil gelb die Farbe des Neides ſei. Die Schülerinnen verabredeten, am andern Tag ſammt und ſonders mit einer großen, gelben Blume im Gürtel zu erſcheinen. In der einen Hand brachte ich nun zwar eine gelbe Georgine mit — ich kann ja nie nein ſagen — in der andern aber hatte ich ein heimliches Veilchen⸗ ſträußchen, das ich dem Lehrer aufs Pult legte. Und als er die Veilchen nahm, ſah er mich an. Er hatte errathen. Das machte mich froh. Ein anderer Lehrer, der den franzöſiſchen Unter⸗ richt gab, hatte eingeführt, daß bei der Verſetzung in eine höhere Klaſſe, die Verſetzten zum Abſchied ein beliebiges franzöſiſches Gedicht aufzuſagen hätten. Die argen Mädchen kamen überein, alle dasſelbe Ge⸗ 60 dicht zu deklamiren, ich glaube es hieß „Der Abſchied der Maria Stuart“ und endigte mit den Worten: „Te quitter (unter dem te war Frankreich verſtanden) c'st mourir“. Sämmtliche Schülerinnen betonten nun mit ver⸗ himmelnder Gebärde das „te“, es auf den Lehrer be⸗ ziehend! Ich zog mich aus der Affaire, indem ich zwar das „te“ betonte, das „quitter“ aber nicht minder, und überhaupt das ganze Gedicht mit tiefgefühltem Pathos vortrug. Nachher fragte mich der Lehrer, ob ich etwa Schauſpielerin werden wollte? Der Gedanke war mir noch nicht gekommen. Schauſpielerin werden! Herrlich wär's geweſen. Ich dachte aber in der Folge nicht ernſtlich daran. Die Mama würde es ja doch nie erlauben. Seitdem aber deklamirte ich alle möglichen klaſſiſchen Mono⸗ loge in Grund und Boden. Alles was in der Schule zu lernen war, lernte ich ſpielend. Es war ſo wenig. Die Lehrer waren zum größten Theil Seminariſten die ſelber nur über Elementarkenntniſſe verfügten. In den oberen Klaſſen gab es allerdings 2—3 ſtudierte Lehrer, meiſt alte Herren, die ich heut noch im Verdacht habe, daß man ſie — als eine Art Altersverſorgung und weil ſie unzulänglich für Knabenſchulen waren — den belang⸗ loſen Mädchenſchulen überwieſen hatte. Frei von Leiden war aber auch die Schule für mich nicht. Es gab da einige Lehrer, die ſich unge⸗ 61 bührlich betrugen, unter andern der Schreiblehrer, ein ältlicher, blaſſer, fetter Herr, den wir durch alle Klaſſen mitſchleppen mußten. Wenn er die Schrift der Schülerinnen verbeſſerte, oder ihnen auf die erſte Seite eines neuen Schreibheftes in ſchönen Schnörkeln einen Schwan zeichnete — die Schwäne waren wirk⸗ lich reizend — pflegte er ſich, da der Platz für zwei zu eng war, dicht an die Schülerin anzupreſſen, in⸗ dem er ſeinen linken Arm um ihre Taille ſchlang, und ſie dabei ſcherzhaft in die Seite kitzelte. Da ich einer ſeiner Lieblinge war, wurde ich beſonders oft und lebhaft gekitzelt, und ich ängſtigte mich ſchon immer, wenn er in meine Nähe kam. Eines anderen Gebahren war noch unziemlicher — und mein Klavierlehrer — und der alte Geheimrath, unſer Hausarzt — — widrige Bilder. Eine Ab⸗ wehr kam mir gar nicht in den Sinn, nur ein in⸗ ſtinktiver Schauder ließ mich vor frechen Berührungen zurückbeben. Viel, viel ſpäter erſt kam mir die Gewiſſen⸗ loſigkeit ſolcher Ungebühr zum Bewußtſein, und mit Staunen erinnerte ich mich, daß dieſe ältlichen Herren gute reſpektable Familienväter von beſtem Rufe waren. Die Geſittung unſerer Zeit iſt noch immer ſo barbariſch, daß ſelbſt die ſorgſamſte, zärtlichſte, wiſſendſte Mutter ihr Kind nicht vor derartigen Widrigkeiten ſchützen kann. Außer dem Unglück mit der nie ganz ver⸗ ſchmerzten, blutſchleierigen Veronika verdankte ich 62 meiner Leſepaſſion auch in der Schule ein böſes Abenteuer. Eugene Sue beherrſchte in jener Zeit die Lite⸗ ratur. Es war von nichts anderem als von den Geheimniſſen von Paris die Rede. Es ſcheint, daß ſelbſt meine Mutter ſie las. Den Märchen war ich, die Elfjährige, entwachſen. Die Geheimniſſe von Paris fielen mir in die Hände; ich las ſie, wo möglich mit noch brennenderer Leidenſchaft als früher Tauſend und eine Nacht. Wie der alte Profeſſor und Direktor unſerer Schule darauf verfiel, an die Schülerinnen die Frage zu richten, wer von ihnen die Geheimniſſe von Paris geleſen habe, iſt mir räthſelhaft. Aber er ſtellte die Frage und meine Bruſt ſchwoll vor Stolz, als ich — nach damaligem Brauch den Zeigefinger hoch emporhebend — mich meldete, die einzige aus der Klaſſe. Sehr ſonderbar ſah mich der Profeſſor an, und beſtellte mich nach Schulſchluß ins Conferenzzimmer. Ahnungslos betrat ich es. Und nun brach es los, das ſiedende Donnerwetter. Ich erfuhr, daß ich durch ein ſchweres, kaum ſühnbares Vergehen meine Seele beſchmutzt habe, und daß nur Gottes Gnade ſie wieder reinwaſchen könne. Er, der Profeſſor würde ſich eher beide Hände abhacken laſſen, als einem Kinde ein ſolches Schand⸗ werk in die Hände geben. Ich hatte nur Thränen und Schluchzen als Ant⸗ wort, muß aber doch zum Lobe meiner Inſtinkte ſagen, 63 daß ich keine beſondere Reue empfand, und mich auch nicht beſſerte. Dieſes brutale, gewiſſermaßen mit den Fäuſten moraliſieren, hatte mich nur betäubt. Der⸗ artige Romane warfen mir einen zu großen Genuß ab. Kurz darauf las ich den „ewigen Juden“ von Sue, mit der gleichen fieberhaften Spannung wie die Geheimniſſe, würde mich aber vorkommenden Falles wohl gehütet haben den Rückfall in mein Verbrecher⸗ thum dem Direktor zu melden. Gewiß waren dieſe Bücher ſo unangemeſſen wie möglich für Kinder. Ich war doch aber ſchuldlos daran, daß niemand ſich um meine Erziehung be⸗ kümmerte. Ich ſchöpfte aus dieſen Büchern weder Welt⸗ noch Menſchenkenntniß. Daß irgend ein Zuſammen⸗ hang beſtehen könne zwiſchen den Romanen und der Wirklichkeit kam mir nicht in den Sinn. Ich ſaugte nur Nahrung für mein Phantaſieleben daraus. Ich hatte auch gar keine Zeit das Geleſene auf mich wirken zu laſſen, darüber nachzudenken oder zu grübeln. Kaum war ein Buch zu Ende geleſen ſo hatte ich ſchon ein anderes beim Wickel, und immer noch las ich verſtohlen und in wilder Haſt. Siehſt Du, ſiehſt Du, und daher kommt es, was Du mir ſo oft vorgeworfen haſt, daß ich auch heut noch nicht zu leſen verſtehe; nichts halte ich feſt, nichts prägt ſich mir ein. 64 Was für ſonderbare Widerſprüche eine Menſchen⸗ ſeele birgt. Trotz meiner Verträumtheit und Welt⸗ fremdheit war ich ein ſo verliebtes kleines Geſchöpf. Eigentlich ſchwärmte ich jeden meiner Lehrer an, der mich nur einigermaßen für ſeinen Unterricht zu intereſſiren verſtand, vielleicht eine unbewußte Dankbar⸗ keit für die Stillung eines geiſtigen Hungers. Oder klang vielleicht doch eine kleine Note der erſten er⸗ wachenden jungen Sinnentriebe mit? Ein leiſes Sehnen war dabei, mich dem Angeſchwärmten anzu⸗ ſchmiegen, mich liebkoſen zu laſſen. Sicher hatte auch die Lektüre ſo zahlloſer Liebesgeſchichten, be⸗ ſonders Wielands, meine Phantaſie nach dieſer Richtung hin beeinflußt. Die Hauptſache aber war, daß all die zurückgeſtaute Zärtlichkeit meiner Kindheit in mir rumorte; die wollte an den Mann gebracht ſein, ja — an den Mann. Etwas beſchämt geſtehe ich, daß ich geradezu eine Abneigung gegen den Austauſch von Zärtlichkeiten mit meinen Schulfreundinnen hatte, und dieſe Abneigung gegen weibliche Liebkoſungen iſt mir geblieben. Meine erſte Verliebtheit — ich war gerade elf Jahre alt — galt unſerm Tanzlehrer. Ach Gott, der Tanzlehrer war ein armer Wurm vom Corps de Ballet, noch ganz jung, ſchlank und biegſam wie ein Rohr, mit langem ſchwarzem Gelock, ſchwarzen Augen und bleichem Geſicht, der reine Roman⸗Vampyr. Wahrſcheinlich wurde er auf der Bühne vorzugsweiſe für junge Teufel oder Erzengel verwandt. Er er⸗ ſchien ſtets im Frack, weißer Binde, Lackſchuhen Dohm, Schickſal einer Seele. 5 65 und geſtickten Strümpfen; unter dem Arm die Geige. Wunderſchön fand ich ihn, märchenprinzen⸗ haft. Und wenn er mit mir tanzte, mich mit dem einen Arm umſchlingend, mit dem andern die Geige hochhaltend, war mir ganz erzengelhaft zu Muthe. Unterhalten haben wir uns nicht miteinander. Nur einmal ſagte er: „Schade Fräulein Marlenchen, daß Sie ſchon ſo alt ſind.“ Er meinte zu alt um Tänzerin zu werden. Im Stillen wunderte ich mich, daß er nicht das kleinſte Wörtchen von Entführung fallen ließ. Ein Wink, ein Wort und ich wäre ihm bis ans Ende der Welt gefolgt. Meine Gefühle ſchweiften immer gleich ins Schrankenloſe, und ich bin überzeugt, es waren nur glückliche Zufälle, die mich vor nicht wieder gutzu⸗ machenden Thorheiten bewahrten. Ich meine noch heute, je unſchuldiger und phantaſievoller ein Mädchen iſt, je wehrloſer iſt es, nicht nur anderen gegenüber, ſondern auch gegen ſich ſelbſt. Nur ein Unrecht, das begriffen wird, vermeidet ſich leicht. Der Kinderball mit dem die Tanzſtunde ſchloß, koſtete mir wieder Thränen. Alice und ich, wir hatten weiße Mullkleider bekommen. Alice trug dazu eine roſenrothe Schärpe und Achſelſchleifen von derſelben Farbe, im Haar Roſenknöſpchen. Ich mußte mich mit einer Schärpe und mit Bändern von unbeſtimmter, murkliger Farbe begnügen, aufgefärbtes Zeug. Und richtig — der treuloſe Tanzlehrer tanzte 66 mehr mit Alice als mit mir, was ich natürlich auf ihre roſenrothe Garnitur ſchob. Als die Tanzſtunde aufgehört hatte, vergaß ich den jungen Corps de Ballet⸗Gott in wenigen Wochen. Meine zweite Liebſchaft fand kein ſo harmloſes Ende. Er hieß Wilhelm, war 15 Jahre alt, und der Freund des Bruders einer Schulbekannten. Ich hatte ihn einige Male im Hauſe der Schulfreundin getroffen. Er beſuchte das Gymnaſium, das in un⸗ mittelbarer Nähe unſerer Mädchenſchule lag. Wir begegneten uns täglich, er ſprach mich aber niemals an, beſtritt vielmehr ſeine Huldigungen mit tiefen Bücklingen und noch tieferen Blicken. Einmal waren wir zuſammen in einer Kinder⸗ geſellſchaft bei der Freundin. Die Pfänderſpiele mit der Auslöſung der Pfänder durch Küſſe, waren damals ungemein beliebt. Und wenn nun Wilhelm „Schinken ſchneiden“ mußte, und „winken wen er lieb hatte“ winkte er mir, und wenn er „in den Brunnen fallen mußte, ließ er ſich von mir erlöſen, wie es die Spiel⸗ pflicht gebot, immer durch Küſſe. Ich gab ſie mit völliger Gleichgültigkeit. Nämlich: ich konnte meinen Wilhelm eigentlich nicht leiden, aber gar nicht. Der Junge war ja noch blöder als ich ſelber. Daß er nie mit mir ſprach, war zu langweilig. Trotzdem nahm der Roman ſeinen Fortgang. Er bat mich um eine Locke. Ich konnte niemals „Nein“ ſagen. Einer meiner Brüder war mit dem Sohn eines Blumenfabrikanten befreundet; er hieß 5* 67 Eduard, und liebte mich auch.. Dieſem Eduard über⸗ gab ich ein Haarſträhnchen von mir mit der Bitte daraus eine Locke zu formen und ſie mit einem künſt⸗ lichen Vergißmeinnicht zu ſchließen. Es war ſo hübſch wie wir die Köpfe zuſammenſteckten und intriguirten und wisperten und geheim thaten. Und Eduard, der ſo großmüthig war, daß er ohne mit der Wimper zu zucken, die Vergißmeinnicht⸗Locke ſo wunderſchön für ſeinen Nebenbuhler herrichtete! In der Folge aber erwies er ſich doch nicht ganz ſo edel wie ich ihn taxiert hatte. Er hatte nämlich aus der Haarſträhne zwei Locken mit zwei Vergiß⸗ meinnicht verfertigt, und die größte Locke für ſich be⸗ halten. Mein Bruder verrieth es mir. Die Locke wurde Wilhelm durch die vermittelnde Freundin heimlich zugeſtellt, zugleich erbat ich mir eine Gegenlocke. Wieder ein feuriges Briefchen von ihm: er könne an ſein Glück gar nicht glauben, und bäte nur um eine einzige Zeile, die ihm ſagen ſolle, ob er daran glauben dürfe. Und flugs antwortete ich ihm, und die Antwort ſchrieb ich in einer Schulſtunde. Ein⸗ geäzt in meinem Gedächtniß ſtehen dieſe Zeilen: „Ich kann Ihnen verſichern, daß es mein innigſter Wunſch iſt eine Locke von Ihnen zu beſitzen, und wie glücklich Sie mich durch die Erfüllung meines Wunſches machen würden.“ Der ſchöne Brief gelangte nie in Wilhelm's Hände. Herr Schulze, der Lehrer trug uns gerade die franzöſiſche Revolution vor. Er war ſo loyal. 68 Jedesmal, wenn der Kopf der blonden Prinzeß Lam⸗ balle auf der Pike in Sicht kam, öffneten ſich die Schleuſen ſeines zornigen Schmerzes, und ſämmt⸗ liche Mädchen zogen ihre Taſchentücher heraus, um mitzuſchneutzen. An dieſem Tag aber ließ er plötzlich das fürſt⸗ liche Haupt mit der Picke im ſtich, und — ritſch, ratſch riß er mir das Papier aus der Hand. Er hatte gemerkt, daß ich Allotria trieb. Mir brach faſt das Herz vor Entſetzen. Mit zitterndem Zorn denke ich noch heut an die Art und Weiſe wie man dieſe Kinderei ahndete. Meine Mappe wurde einer Durchſuchung nach weiteren Schandthaten unterworfen. Man fand, außer einem Apfel, nichts als eine Copie des Göthe'ſchen Verſes: „Nur wer die Sehnſucht kennt, weiß was ich leide. „Mit einem „Aha!“ wurde es conficirt. Un⸗ glaublich aber wahr, Herr Schulze hielt mich für die Verfaſſerin des Gedichts, und bezog die Sehnſucht auf den Adreſſaten meines Briefes. Warum er auch den Apfel einzog weiß ich nicht. Wieder mußte ich in das Conferenzzimmer kommen, und wieder erging eine donnernde Rede über meine frühzeitige Verderbtheit, und der Lehrer legte mir Gedanken und Gefühle unter, von denen nicht der leiſeſte Hauch in mir war. O, dieſe Folterknechte, der Kinderſeele! Das Schlimmſte aber war, daß er mir drohte meine Eltern von dem Frevel in Kenntniß ſetzen zu 69 wollen. Meine Eltern, das hieß meine Mutter, denn mein Vater bekümmerte ſich um interne Angelegen⸗ heiten abſolut nicht. Die nächſten Tage verbrachte ich in nicht aus⸗ zudenkender Qual. Wird Schulze kommen? Wird er nicht kommen? Und dieſe Folter dauerte drei Tage. Ein junges Weib das Ehebruch verübt hat, und vor der Entdeckung ſteht, kann nicht verzweifelter ſein, als ich es war. Ich ſehe mich noch in den rauhen Herbſttagen ruhelos im Garten umherlaufen, mit gerungenen Händen: „Gott, Gott wenn es möglich iſt, laß dieſen Kelch an mir vorübergehen. Der Kelch ging nicht vorüber, Schulze kam. Eine furchtbare Viertelſtunde für mich, während er drinnen mit meiner Mutter ſprach. Im Garten war zum Glück kein Teich, ich hätte mich ſicher ertränkt. Was auf die Petzerei dieſes feinfühligen Päda⸗ gogen folgte, blieb hinter meinen blutrünſtigen Phan⸗ taſien zurück. Was waren die paar Püffe im Ver⸗ gleich zu der vorangegangenen Seelenqual. Und daß ich wirklich, wie meine Mutter behauptete, Schande über die Familie gebracht habe, leuchtete mir nicht ein. Die tragiſche Begebenheit befreite mich nebenbei von dem langweiligen Wilhelm, was ich einige Wochen ſpäter als eine Wohlthat empfand. Auf dem Heimweg von der Schule geſchah es daß ich mich abermals verliebte, an der Ecke der Friedrich⸗ und Kochſtraße. Ich ſchlenderte, mit der Schulmappe baumelnd, 70 gedankenlos dahin. Als ich einmal aufſah, ging eben ein hochgewachſener Mann an mir vorüber. Er trug einen weiten, grauen Mantel mit Kragen, hatte einen röthlich blonden Vollbart und blaue Augen, wunder⸗ bare, ſtrahlende. Sein Mantel ſtreifte mich, er ſah an mir vorüber in die Ferne hinaus. Ich blieb wie angewurzelt ſtehen, und ſtarrte ihm nach. Das war er ja, er, die Verkörperung all meiner Träume. Ich liebte ihn ſofort, ich liebte ihn unausſprechlich. In abergläubiſchen Momenten glaube ich auch heute noch, das war der mir von der Vorſehung be⸗ ſtimmte Gatte, meine Ergänzung. Und er war an mir vorübergegangen. Und ich habe ihn nicht wieder geſehen — nie. Viele Wochen blieb ich täglich auf dem Heim⸗ weg, an der Ecke der Koch⸗ und Friedrichſtraße ſtehen, und wartete, wartete — ich wartete eigentlich immer auf ihn, bis ich Dich fand. Und wer weiß, vielleicht habe ich mich ſpäter in meinen Mann verliebt, nur weil er, als ich ihn zum erſten Mal ſah, einen weiten, grauen Mantel trug, wie jener geheimnißvolle Fremde. Ich hatte nur über⸗ ſehn, daß dieſer Mantel über dem großen Kragen noch einen kleinen ſchwarzen Sammetkragen hatte — und daher vielleicht — — ach Unſinn — — In meinem elften Jahr war ich ganz erwachſen, und doch noch ganz ein Kind, ein weltfremdes. Ueber 71 die Entwicklungsjahre kam ich ohne jede phyſiſche Störung fort. Es gährte in mir von ſtrotzend friſcher Jugend⸗ kraft. Zuweilen ſpielte ich mit den Geſchwiſtern Räuber und Prinzeſſin, Blindekuh oder der Plump⸗ ſack geht herum, aber ohne rechte Luſt. Ich drückte mich immer ſo bald ichs konnte. Und blieb ich in der Dämmerung eine Weile im Garten allein, dann brach es los in mir, eine zitternde, brauſende, entzückende Daſeinsluſt. Ich raſte, tanzend, ſpringend. mit ausgebreiteten Armen durch den Garten bis ich über und über glühte. Ich ſtreifte die Aermel auf, warf das Halstuch ab, und mit meinen nackten Armen umſchlang ich die Bäume; und ſchien gar der Mond, mein ſüßer Mond, ſo ſchwebte und ſchwärmte ich ſommernachttraumtrunken, elfenreigenhaft, puck⸗ artig durch die Gartengefilde, obwohl Salatköpfe und Peterſilie ſich auf die „Gefilde“ nicht recht reimten. Immer mußte ich zu Aeußerungen meines Innen⸗ lebens allein ſein, ganz allein. Kam jemand dazu, verſtummte gleich alles in mir. In dieſer Zeit geſchah etwas Schreckliches, Schick⸗ ſalsvolles. In der zweiten Etage unſeres Hauſes wohnte eine Offiziersfamilie. Ein Verwandter oder Freund der Familie, ein Dragonerlieutenant kam öfter in den Garten. Ich bemerkte, daß er mich, wenn ich in ſeinen Geſichtskreis trat, auffallend fixirte. Warum thut er das nur? dachte ich. Ich fragte das Kinder⸗ 72 mädchen darnach. Wenn ich irgend etwas wiſſen wollte, waren es immer die Kindermädchen, an die ich mich wandte. „O Kind, Kind, ſagte ſie, nimm Dich in acht, das iſt ein Mädchenjäger. „Was iſt denn das ein Mädchenjäger? fragte ich geſpannt. Sie wollte nicht mit der Sprache heraus. Ich trug das Wort mit mir herum, grübelte darüber, und ſtellte mir allmählich unter einem Mädchenjäger eine Art Rattenfänger von Hameln vor — jedenfalls etwas wildſchreckliches, baſiliskenartiges, das arme Vögelchen ins Verderben lockt. Aber gerade das reizte mich. Ich ſetzte mich jetzt zuweilen abſichtlich den Blicken des Dragoners aus, in banger Neugierde auf irgend etwas romantiſch Schauriges, das ge⸗ ſchehen würde. Der Lieutenant pflegte immer nur Nachmittags in den Garten zu kommen. An einem Abend aber, in tiefer Dämmerung, als ich wie ein Nachtfalter umherſchwirrte, kam er mir entgegen. Ich — im vollen Lauf, hatte keine Zeit mehr ihm auszuweichen. Er fing mich in ſeinen Armen auf, und — küßte mich. Es muß ein abſcheulicher Kuß geweſen ſein. Er erſchütterte mich bis auf den Grund. Er nahm mir Die Unſchuld der Sinne. In wilder Flucht lief ich davon. Ich ſchlich mich oben ins Kinderzimmer, drehte die Lampe aus, wickelte mich, obgleich es warm war, in ein Tuch, und lag lange, lange, fiebernd im Dunkeln auf dem Sopha. 73 Nur im Dunkeln bleiben, nicht ins Helle kommen! Man rief mich zum Abendbrod. Ich wollte nichts eſſen, hätte ſolche Kopfſchmerzen. Was war mir denn geſchehen? Ein Unerhörtes! immer von neuem fühlte ich den Kuß auf meinen Lippen brennen, in einem Gemiſch von Entſetzen und wollüſtiger Widrigkeit. Kam Jemand durchs Zimmer, ſo drückte ich mein Geſicht ins Kiſſen, ich fühlte, daß es flammend roth war, und mich verrathen würde. Und nun wußte ich, was ein Mädchenjäger iſt. Und ſeltſam, ich empfand den Kuß als meine Sünde, mein Unrecht. Die Familie des Polizeihauptmanns, mit der meine Eltern verkehrten, beherbergte ſeit einiger Zeit eine Nichte, Frida Kraus, eine junge Dame, Mitte der Zwanziger Jahre, die ſich mir, der Zwölfjährigen, auf's innigſte anſchloß. Sie erzählte mir, ich weiß nicht was alles für dunkle Geſchichten aus ihrem Leben, die ich nicht ver⸗ ſtanden haben muß, da ich nichts davon behalten habe. Einmal aber, als wir gemüthlich Arm in Arm im Garten umherwandelten, fragte ſie mich, ob ich ihr denn gar nichts anzuvertrauen hätte? Ich kämpfte mit mir. Noch nie hatte ich mit einem Menſchen von dem, was in mir vorging, ge⸗ ſprochen. Jenes ſchreckliche Abenteuer im Garten war noch friſch in meiner Erinnerung. Schließlich gab ich dem Verlangen meine Seele von dem Ge⸗ 74 heimniß zu entlaſten, nach; möglicherweiſe hatte auch ein unbewußter Stolz etwas ſo ſchrecklich Intereſſantes erlebt zu haben, einen Antheil an meiner Mittheil⸗ ſamkeit. Hochaufathmend, dunkelroth, begann ich meine Beichte. Thränen ſchoſſen mir in die Augen, ich ſtotterte, kam vor Erregung nicht weiter. Noch heute ſehe ich Frieda's geſpannten Blick, der in einer geheimen Luſt brannte. „Wie? was iſts denn? was iſt's? Sprich mein Kind! ſprich, und wenn es das Aergſte wäre, mir kannſt Du's vertrauen, ich verſtehe alles, aber alles. Und ſie zog mich feſt an ſich, neigte ſich zu mir, und war ganz Ohr. Und da erfuhr ſie denn die grusliche Geſchichte vom Kuß des Mädchenjägers. Sie ſah mich ſehr merkwürdig an, ſo enttäuſcht. „Nun? weiter — weiter. „Weiter nichts! Sie ſchlug eine helle Lache auf. „Schäfchen Du, ſagte ſie, Dir ſcheint ja die Welt noch ein böhmiſches Dorf zu ſein. Und ſie ergriff die Gelegenheit mich über die Fortpflanzungsvorgänge aufzuklären. Sonderbarerweiſe machte mir die Mittheilung keinen tiefern Eindruck. Ich hörte nur halb hin, verſtand nur halb, glaubte ihr auch nicht recht, ſie log ja immer; vielleicht blieb die Aufklärung auch ſo wirkungslos, weil keine phyſiſche Ahnung meiner Natur ihr entgegenkam. 75 Nach einigen Tagen hatte ich das Mitgetheilte ziemlich vergeſſen. Frieda Kraus war mir aber doch verleidet. Viel ſpäter erfuhr ich, daß die junge Dame ſchon als verlornes Geſchöpf nach Berlin gekommen war, das zu beſſern Polizeihauptmanns übernommen hatten. Es ſoll ihnen nicht gelungen ſein. Und meine Eltern wußten davon, ließen aber, in ihrer naiven Welt⸗ unkenntniß, trotzdem ihren Verkehr mit mir zu; ein anders geartets Kind als ich wäre leicht durch ſie corrumpirt worden. In der Schule hatte ich eine Freundin. Es war eine ſonderbare Freundſchaft, intim und ganz hingegeben, und doch faſt unperſönlich, ohne eine Spur von Zärtlichkeit oder Antheilnahme an den perſönlichen Schickſalen der Kameradin. Mein Pau⸗ linchen war ein bitter armes Mädchen, das immer nur geflicktes Zeug trug und ſchwarzwollene Hoſen. Darum gingen die andern Kinder lieber nicht mit ihr um. Ich ſah die Flicken gar nicht, und aus den ſchwarzen Hoſen machte ich mir nichts. Wir gingen oft ſtundenlang, Hand in Hand im Thiergarten ſpazieren, und redeten und redeten, das heißt wir ſchwärmten von Schiller und Göthe, von Heine und George Sand, (ach Conſuelo!) von dem Grafen von Monte⸗Chriſto und dem Literaturlehrer Palm, und hätte es damals ſchon Pferdebahnen und Omnibuſſe gegeben, wir wären gewiß etliche Male 76 überfahren worden. Zuweilen entrüſteten wir uns aber auch, z. B. über den Religionslehrer, der in der Stunde geſagt hatte, daß dem lieben Gott der Bauch vor Lachen gewackelt, als er vernommen, daß es auf Erden Atheiſten gäbe. Und das war der vornehmſte Profeſſor der Schule geweſen, der mit den „Geheim⸗ niſſen von Paris.“ Von den kleinen Bosheiten, Intriguen, Klatſche⸗ reien und Kleiderfragen, wie ſie zwiſchen Schulmädchen üblich ſind, wußten wir abſolut nichts. Später gingen wir zuſammen in den Konfir⸗ mationsunterricht, und wir ſchwärmten wieder ge⸗ meinſchaftlich für den Prediger, einen alten Herrn mit weißen Haaren, einer Habichtnaſe und kleinen, funkelnden, ſchwarzen Augen. Mit Wonne hätte ich dieſen alten Herrn vom Fleck weg geheiratet, ebenſo wie den affektirten Lite⸗ raturlehrer, der immer unter geſenkten Augenlidern ſo kokett zu uns herunterblickte, und mit uns ſprach, als wären wir richtige Damen. Während des Confirmandenunterrichts kam zum erſtenmal ein religiöſes Element in mein Leben. Im Hauſe meiner Eltern war nie von Gott oder Religion die Rede. Man ging nicht in die Kirche. Hätte aber Jemand meinen Eltern vorgeworfen, daß ſie ohne Religion dahinlebten, ſie wären in die größte Verwunderung gerathen. Ohne Religion? waren ſie denn nicht evangeliſch getauft, confirmirt und getraut worden? Der liebe Gott und die Religion waren doch ganz ſelbſtverſtändliche Dinge. Sie ließen den 77 lieben Gott den lieben Gott ſein, und meine Mutter war ihm aufrichtig dankbar wenn er zu ihrer großen Wäſche die Sonne ſcheinen ließ. Das Diesſeits bot ihnen ſo vollauf zu thun, daß ſie für's Jenſeits nicht einen Augenblick Zeit hatten. Und ſo war wohl die Lebensführung eines großen Theils der bürgerlichen Kreiſe jener Zeit. Erſt ſpäter kam der Pietismus auf. Dieſe Stimmung abſoluter religiöſer Indifferenz theilte ſich auch der Kinderſchaar mit, bis der alte Herr mit der Habichtnaſe und den funkelnden, kleinen Augen eine intenſive Sehnſucht nach dem Verkehr mit Gott — lieber noch mit Jeſus Chriſtus, den ich vorzog — bei mir weckte. Ja, ich wollte gläubig werden. Die Lithographie eines dornengekrönten Chriſtus⸗ kopfes hing in unſerm Schulzimmer. In beſonders erregten Momenten warf ich mich auf die Kniee vor dieſer Lithographie. „Gott, lieber Gott, Du kannſt doch was Du willſt. Du ſiehſt, daß ich zweifle, kämpfe, mich quäle, gieb mir ein Zeichen, daß Du biſt. Mit Herzklopfen, mit verhaltenem Athem auf das Bild ſtarrend, wartete ich auf das Zeichen. Unter dem Zeichen verſtand ich, daß das Bild ſich regen, vielleicht ein Blutstropfen aus der Dornen⸗ krone abtröpfeln, der Heiligenſchein plötzlich aufſtrahlen ſollte. Das koſtete dem Herrn Jeſus doch nichts, und er gewann damit für immer eine von glühendem Gottesdurſt erfüllte Seele. Ich wartete — wartete. Nichts — immer nichts. 78 Mit der Zeit wurde ich der fruchtloſen Extaſen müde, war ſogar ein wenig böſe auf Jeſus, und all⸗ gemach fiel ich in die frühere Indifferenz zurück. Der Glaube ſcheint in der That ein Gnaden⸗ geſchenk Gottes. Ich hatte damals abſolut keine Gründe zum Nichtglauben. Ich erſehnte den Glauben — inbrünſtig. Umſonſt. Er kam nicht. Warum nicht? Ich weiß es nicht. Trotz all meiner Schwärmereien mit ihrem leichten Timbre von Sinnenzärtlichkeit iſt wohl ſelten ein Kind Unlauterem, Unerlaubtem abgeneigter geweſen als ich. Ja, meine Geſchwiſter verſpotteten mich als tugendſtolz. Beſonders eines Falles erinnere ich mich, wo man mich dieſes Fehlers zieh. Alice hatte, in Gemeinſchaft mit einigen andern Backfiſchen in unſerm Hauſe, über den Gartenzaun weg, eine kleine Intrigue mit einem jungen Mann angezettelt, der im Nach⸗ barhauſe wohnte. Daraus entwickelten ſich regel⸗ mäßige Zuſammenkünfte. Der junge Mann hinter dem Gartenzaun, auf einem Stuhl ſtehend, ſo daß er über den Zaun fortſehen konnte, die Mädchen vor dem Zaun. Man hielt dieſe Rendezvous ſorgfältig vor mir geheim, bis ich eines Tages den kleinen Harem überraſchte. Es ſcheint, daß ich mich darüber ſittlich entrüſtete, ganz uneingedenk meines verfloſſenen Wilhelm. Aber damals, im elften Jahr, wußte ich 79 doch nicht was ich that, jetzt aber im dreizehnten, wußte ich ſchon beſſer Beſcheid. Die kleine Bande machte ſich nicht viel aus meiner Entrüſtung, war ſie doch ſicher, daß das „prüde Madamchen“ nicht petzen würde. Als der betreffende junge Mann ſpäter eins der jungen Mädchen heimführte, und ich erfuhr, daß er ein Schriftſteller ſei, that es mir beinah leid, daß ich nicht dabei geweſen war. Der Schriftſteller kam mir doch eigentlich zu. Es ſoll junge Mädchen geben, die nur für Lieute⸗ nants ſchwärmen. Für mich exiſtirten eigentlich nur Dichter. Sobald nur einer in Sicht kam, wars um mich geſchehen. Und nun hatte ich die ſchöne Ge⸗ legenheit verpaßt. Einige Jahre ſpäter verpaßte ich die Gelegenheit noch einmal. Ich war zu einem Ball bei Verwandten meines Vaters eingeladen. Unter den Gäſten befand ſich ein Dichter, ein berühmter ſogar; nur ſein Vor⸗ name gefiel mir nicht: Moritz. Er war zugleich ein Typus männlicher Schönheit: hohe, ſchlanke Geſtalt. braungoldener Vollbart, feurige dunkle Augen. Er bemerkte mich gleich, ohne zugleich zu be⸗ merken, daß ich noch nicht erwachſen war. Das war der erſte Mann, der mir wahr und wahrhaftig den Hof machte. Ich war ihm grenzenlos dankbar. Im Umſehen war ich in ihn verliebt, mit der friſchen Wonne eines zwitſchernden Vogels, der ſich ſelig in den blauen Aether verliert. 80 Er tanzte an dem Abend faſt nur mit mir. Und einmal ſagte er: „Holde Mignon“. Ach ja, wie gern hätte ich durch die goldenen Saiten einer Harfe gemeiſtert, wie Mignon, und noch lieber hätte ich lange, fließende, weiße Kleider ge⸗ tragen. Daran war nicht zu denken. Als ich das weiße Kleid einmal meiner Mutter nahelegte, ſagte ſie: „wenn Du Dir die Kleider ſelbſt plätten und waſchen willſt — immerzu.“ Wir gaben uns ein paar Mal Rendezvous auf dem Eiſe, was durchaus erlaubt war. O, dieſe doppelte köſtliche Luſt! Das Schlittſchuh⸗ laufen in der reinen chriſtallklaren Luft im neuen pelzverbrämten Kleide, und er! Unter den flatternden bunten Fähnchen und der Militärmuſik ſchien mir die ganze Welt — die heißen Pfannkuchen, die wir in der Holzbude verzehrten mit eingerechnet — ſo jugendfriſch, ſo golden hell und froh geſund. Als wir uns das letzte Mal auf dem Eiſe trafen hing Raureif an den Bäumen, ein Geſpinnſt in fahlem Silberton von viſionärer Zartheit, wie hingehaucht. Er hing über uns wie ein Schleier der Maja, und durch dieſe weichduftige, magiſche Verträumtheit der Landſchaft ſchwebten wir ſauſend, Hand in Hand, ich ganz Lebensfreude. Da kam mein Bruder. Wir müßten nach Hauſe. Nach Hauſe! aber ich war ja eben zu Hauſe geweſen, und nun mußte ich fort, weit fort von dem ſeligſten Raureif, von dem herrlichen Dichter, dahin, wo ich nie zu Hauſe war. Dohm, Schickſal einer Seele. 6 81 Moritz war nur zum Beſuch in Berlin geweſen. Er lebte in Süddeutſchland. Als er mir entſchwand empfand ich keinen lebhaften Kummer. Gleich ver⸗ dichtete ſich wieder die Enttäuſchung zu einem Traum⸗ werk; diesmal aber war zur Abwechſelung er der Leidende, indem ihn die Qual der Reue verzehrte, daß er ſich nicht mit mir verlobt hatte. Sonderbarerweiſe galten meine Verliebtheiten faſt immer Menſchen, die ich kaum kannte. Was wußte ich denn von dieſem Dichter? was von dem alten Prediger mit den funkelnden, kleinen Augen, was von dem langweiligen Wilhelm, dem Tanzlehrer und vor allem von dem Unbekannten im grauen Mantel? Leute, die ich viel und oft ſah, waren ſicher vor meiner ſchwärmeriſchen Anſchlängelung. Es war förmlich eine Art Schamgefühl, die meine zärtlichen Gefühle intimen Bekannten gegenüber im Zaum hielt, ein Zug der einige Verwandtſchaft haben mag mit der Abneigung der Schweſter Liebkoſungen mit dem Bruder auszutauſchen. Unter allen Umſtänden aber wollte ich einen Dichter heirathen, ein Dichter gehörte doch zu einer Dichterin. Du weißt ja, daß ich von jeher, ſo lange ich zurückdenken kann, feſt entſchloſſen war Schrift⸗ ſtellerin zu werden. Nicht die geringſte Anregung von außen her beeinflußte mich dabei, weder die Schule, wo ich nur das Nothdürftigſte lernte, noch das elterliche Haus, wo man nichts begriff als was zu dem materiellen Apparat des Lebens gehört, und wo ſchon die Worte 82 „geiſtiges Intereſſe“ komiſch und affektirt wirkten. Und das Chokoladenplätzchen der Dichterin Elfride war doch auch nicht Hebel genug um eine literariſche Luſt in mir zu entbinden. Ich war alſo aus heiler Haut, aus reinem Inſtinkt Anwärterin auf die Dichtkunſt. In dem Gartenſaal, vor dem die großen Nuß⸗ bäume ſtanden, da hielt ich mich am liebſten auf. Vielleicht war es nur eine Legende, daß in dieſem Saal ein berühmter Dichter (Chamiſſo) ſeine beſten Werke geſchrieben habe. Ich glaubte daran. Dafür ſprachen auch die Gypsbüſten von Schiller von Göthe, die auf Konſolen ſich von den rothen, etwas abge⸗ bröckelten Wänden abhoben. In dieſem Saal las ich eines Tages Göthe's Briefwechſel mit einem Kinde. Bettina ſelbſt ſagt, daß ſie dieſe Briefe als elfjähriges Kind geſchrieben habe. Elf Jahr! und ich, ich war beinahe 13 Jahr alt, und hatte noch ſo gut wie nichts gedichtet. Nein, und wenn ich Tag und Nacht mein Hirn zergrübelte, ſolche Briefe wie Bettina brächte ich nicht zu Stande, nie, nie! In einem Gemiſch von Zorn, Schmerz und Selbſtverachtung krümmte ich mich auf dem Sopha zuſammen, und ſchluchzte, ſchluchzte in das Sopha⸗ kiſſen hinein. Ich würde am Ende doch keine Dichterin werden, ich — die Pippe! Meine Mutter hatte recht: eine dumme Gans war ich. 6* 83 Ich wußte noch nicht einmal mit den Versmaßen Beſcheid. Ich hatte mir zu Weihnachten ein Proſo⸗ diebuch gewünſcht, es aber nicht erhalten. Ich bekam nie, was ich mir wünſchte. Der 18. März 48. Er wirkte auf mich wie eine Offenbarung. Nie war in unſerm Hauſe von Politik die Rede, überhaupt nicht von irgend welchen öffentlichen An⸗ gelegenheiten. Man hielt zwar die Voſſiſche Zeitung, aber nur der Annoncen wegen. So kam es, daß ich von den Ereigniſſen, die den 18. März vorbereiteten, nicht viel mehr wußte, als daß einige Krawalle von Pöbelhaufen die Bevölkerung beunruhigten. Von der großen, internationalen revolutionären Bewegung, die die Kulturwelt durchzitterte war keine Kunde zu mir gedrungen. In der Schule hatte ich gelernt, daß die fran⸗ zöſiſche Revolution eine Reihe ſcheußlicher Verbrechen darſtelle, von elenden Mordbuben an wehrloſen Ariſto⸗ kraten verübt. Am Nachmittag jenes denkwürdigen Tages pflanzte ſich die mächtige Erſchütterung, von den Linden ausgehend, durch die ganze Stadt fort, in immer gewaltigerem Wellenſchlage. Eine Kugel ſauſte durch die Friedrichſtraße, dicht an unſern Fenſtern vorbei. Keinen Schatten von Furcht empfand ich, nichts 84 als eine ungeheure Aufregung, ein wahnſinniges Ver⸗ langen da unten zu ſein, zu ſehen, zu hören. Natür⸗ lich durfte ich weder auf die Straße noch ans Fenſter. Der Zorn eines Gefangenen, der an den Eiſen⸗ ſtäben ſeines Gitters rüttelt, brannte in mir. Am andern Vormittag aber entſchlüpfte ich. Ich lief die Friedrichſtraße entlang, ohne eigentlich etwas Bemerkenswerthes zu ſehen. Da — an der Leipziger⸗ ſtraßenecke ſtand eine Menſchenmenge. Auf dem Pflaſter eine Blutlache. Durch den Rinnſtein floß Blut. Ein Erſchoſſener hatte da gelegen. Ich kam an eine Kirche. Ich meine, es war die neue Kirche auf dem Gensdarmenmarkt. Vor dem Eingangsportal lagen 10 — 12 Todte. Die erſten Todten, die ich ſah. Das heißt, ich ſah eigentlich nur einen Todten. Ein kraftvoller, hochgewachſener Jüngling mußte es geweſen ſein. Mit nackter Bruſt lag er da. Das ſchwere wirre Blondhaar mit Blut an den Schläfen feſtgeklebt, blutig das Hemd. Die blauen Augen offen. Ver⸗ glaſt, drohend blickten ſie hin zu mir, wie mit einer verzweiflungsvollen Frage; und ich antwortete mit einem wilden Schluchzen. Die Menge wich auseinader. Man machte mir Platz. „Iſt's ihr Bruder?“ fragte eine ſanfte Stimme. Ich konnte vor Schluchzen nicht antworten. Ja — in dieſem Augenblick war er mein Bruder, der todte Jüngling da, der Held mit offener Bruſt, der für die Freiheit gefallen war, wie Arnold Winkelried. 85 Ein Weib aus dem Volk warf ein rothes Tuch auf ihn. Ueber ihm jubilirte eine Lerche, der erſte Frühlingsbote. Eine Antwort auf die ungeheure Frage in den entſetzten todten Augen? Man ſchob mich in die vorderſte Reihe. Ich fürchtete mich ſonſt vor jedem Gedränge. Hier wäre mir Furcht lächerlich vorgekommen. Kein Schutzmann, kein Militär weit und breit. Man ſprach leiſe wie in einer Kirche. Keine Thräne floß, keine Fauſt ballte ſich, kein Fluch wurde laut. Auf allen Ge⸗ ſichtern der Ausdruck einer ſtillen vornehmen Trauer. In jeder Bruſt ein Requiem. Man trug die Todten in die Kirche. Aller Häupter entblößten ſich. Ich ſchluchzte nicht mehr. Die Stimmung war Gebet, zu feierlich für Thränen. Seit jener Stunde, wo ich den Adel im Volk ge⸗ ſchaut, und wo zwei todte Augen mein Innerſtes durch⸗ ſchauert, war ich — man nannte es damals Demo⸗ kratin. Von der Sozialdemokratie war, ſo viel ich mich erinnere, noch gar nicht die Rede. Ja, ich wurde eine blutrothe Revolutionärin. Ich ſchwärmte maſſen⸗ haft — ſo ins Blaue hinein — für Freiheit und ſpeciell für die Herweg'ſche Revolutionshymne: „Die Todten an die Lebenden:“ „Reißt die Kreuze aus der Erden. Alle ſollen Schwerter werden“ . . . . . . . Und ich gab mir alle Mühe nach Tyrannenblut zu lechzen. Ich ſchloß mich jetzt in der Schule einem Mädchen an, von der man flüſterte, ihre Brüder hätten auf 86 den Barrikaden geſtanden, und in ihrem Hauſe fänden Zuſammenkünfte der Revolutionäre ſtatt. Helene Bucher — ſo hieß ſie — borgte mir Bücher und Broſchüren. Zwei Bücher beſonders machten auf mich einen tiefen Eindruck, beide von demſelben Verfaſſer. „Das hohe Lied“ und „Viktor“. Viktor der Freiheitsheld der mit ſo hinreißendem Zorn, in wundervollen Verſen die Tyrannei zerſchmetterte, die Tyrannei „die mit der Gewalt Batallionenſchritt die Fragenden kalt zu Boden tritt“ und wie es an einer andern Stelle hieß: „Wir nehmen was wir brauchen und ſoll's vom Blute rauchen.“ O, wie ich ihn liebte, dieſen Dichter — maßlos. Und nun geſchah das Wundervolle: Helene Bucher lud mich zu einer Geſellſchaft ein, in der ich den Dichter treffen ſollte. Und nun geſchah das Fürchter⸗ liche: meine Mutter erlaubte mir nicht die Einladung anzunehmen. Weiß Gott, woher ſie erfahren hatte, daß im Bucher'ſchen Hauſe Demokraten verkehrten, und daß es dort überhaupt recht flott zugehen ſollte. Heiße Thränen weinte ich über dieſe bitterſte Enttäuſchung. Viel ſpäter, als ich ſchon verheirathet war, lernte ich den Dichter wirklich kennen, ein ganz kleines, ſchüchternes, weltfremdes Männchen, mit un⸗ wahrſcheinlich feinen Zügen. Ich hätte ihn aber doch geliebt, und wenn er noch viel dürftiger ausgeſchaut hätte, und trotzdem er baumwollene Handſchuh trug, und Abends — aus Sparſamkeit wie ſeine Freunde ausſprengten — Thee aus Apfelſchaalen trank. Und 57 ich bin heute noch überzeugt, ich wäre ſeine Frau ge⸗ worden, und einen wie andern Verlauf würde mein Leben genommen haben. Nicht hier in Rom ſäße ich heut, ſondern wohl und geborgen in einer netten, kleinen Wohnung im Centrum Berlins, an der Seite eines pflichtgetreuen, peinlich gewiſſenhaften, ſelbſt⸗ loſen Beamten, denn das iſt dieſer Rufer im Streit geworden der „nehmen wollte was wir brauchen, und ſollt's vom Blute rauchen. In dieſen Monaten meines ſeeliſchen Aufſchwungs fühlte ich mich auch weniger unter dem Joch meiner Mutter. Ich hatte einem todten Helden ins Antlitz geſchaut. Ich war gefeit. Durch ein entzückendes Ereigniß erhielt meine Zuſammengehörigkeit mit der Revolution ein Relief. Es mochte gegen Ende März ſein, — die Contre⸗ revolution erhob ſchon ihr Haupt — als ein Verein, ich glaube er nannte ſich Volksklub — in einem langen feierlichen Zug, im Schmuck der ſchwarz⸗roth⸗ goldenen Fahnen und Schärpen, zum Templowerfelde hinauszog, um das heimkehrende Militär brüderlich zu empfangen. Der Zug kann aber auch einem anderen Zweck gegolten haben, ich erinnere mich nicht mehr. Ich hatte mir eine ſchwarz⸗roth⸗goldene Cravatten⸗ ſchleife zu verſchaffen gewußt, die ich ſorgfältig ver⸗ barg, bis zu dem Augenblick, wo der lange Zug in Sicht kam. Dann ſteckte ich ſie an und eilte ver⸗ 88 ſtohlen in die gute Stube. Meine Eltern und Ge⸗ ſchwiſter ſtanden an den wohlverſchloſſenen Fenſtern des Wohnzimmers. Der Schreck über die Kugel des 18. März ſteckte ihnen noch in den Gliedern. Ich öffnete in der guten Stube das Fenſter und lehnte mich hinaus. Und was nun geſchah — mir ſchlägt noch heute das Herz, wenn ich daran zurückdenke. War es ein Zufall, oder ſah ich auffallend aus — Leute aus dem Zuge blickten zu meinem Fenſter hinauf. Einer machte den andern auf mich aufmerkſam, und plötzlich erſcholl ein donnerndes Hurrah! und mir galt es oder meiner ſchwarz⸗roth⸗goldenen Schleife. Man ſchwenkte mit den Fahnen „Hoch! hoch! die deutſche Jungfrau“! und brauſend erklangs: „Reißt die Kreuze aus der Erden, alle ſollen Schwerter werden“ — — — — Ja, ein Schwert, ein Schwert wollte auch ich! Ich war ganz Freiheitsheldin, eine Charlotte Corday; der Marat dazu würde ſich ſchon ſinden! Meine Eltern ſtürzten entſetzt herein und riſſen mich vom Fenſter. Schwarz⸗roth⸗goldene Abzeichen fingen an für revolutionär zu gelten, und ſchon war das geflügelte Wort: „Ruhe iſt die erſte Bürger⸗ pflicht“ im Schwange, von guten Bügern wohl be⸗ herzigt. In Berlin wurden damals zahlreiche Vereine ins Leben gerufen, in denen zahlloſe begeiſterte Reden 89 gehalten wurden. Helene Bucher, die Beneidenswerthe ging zuweilen mit ihren Brüdern in dieſe Vereine. Sie lud mich dazu ein. Ach, ich wußte ja meine Mutter würde es nie erlauben, und Abends heimlich davonzulaufen, war rein unmöglich. Helene, die Schlaue ſpann eine Intrigue. Mein Paulinchen wurde ins Vertrauen gezogen. Sie mußte mir ſchreiben, ſie wäre krank, und hätte immer in den Abend⸗ ſtunden ſolche Sehnſucht nach mir. Ich erhielt die Erlaubniß ſie zu beſuchen. Sporn⸗ ſtreichs liefen wir drei richtige Abenteuerinnen nun in den demokratiſchen Verein. Erſtickende Luft. Gedränge. Wirres Durchein⸗ ander. Wir fanden es himmliſch. Ein großer junger Mann mit einem blonden Schnurrbart, umgürtet mit der ſchwarz⸗roth⸗goldenen Schärpe, hielt eine Rede, eine wunderbare, glutvolle. Vom Tode ſprach er, der am 18. März ein blutiges Sichelfeſt gehalten, von dem rothen Frühlingsthau, der da gefallen und die Erde neu geboren. Was lange im dumpfen Schlaf gelegen, ſei nun erwacht (ich auch, jubelte mein Herz und nun ginge ſtrahlend jeden Morgen die Sonne über einem freien Volke auf. Nicht in ewige Feſſeln ließe der Geiſt ſich ſchlagen, und einmal ſtürze jede Zwing⸗Uri zuſammen . . . . Und die herrlichen Schlußworte: „Mein Volk, dein iſt der Sieg und dein das Recht! Hoch flattern deine Fahnen. Und der ſo ſprach, war Helenens Bruder: Walter Bucher. Ich ſah ihn an jenem Abend zum erſten Mal. 90 Und er brachte uns nachher nach Hauſe, uns kleine Mädchen, er, der bezaubernde Cicero. Hinter allem was er ſagte, ahnte ich einen tiefen, verborgenen Sinn. Ich hing an ſeinem Munde, als er begeiſtert von den Kolbenſtößen erzählte, die er als Gefangener auf dem Transport von Berlin nach Spandau erduldet. Gern wäre ich dem edlen Märtyrer der Freiheit um den Hals gefallen. Beim Abſchied drückte er mir die Hand ſo recht herzhaft ſtark und ſagte: „Sie ſind ein reizender kleiner . . . .“ Er unterbrach ſich: „eine bildhübſche kleine Freiheitsgöttin.“ Heut weiß ich, er hatte ſagen wollen: ein reizender kleiner Käfer! Es war mein erſter und letzter Vereinsabend. Inzwiſchen war alles herausgekommen. Mein Bruder hatte mich von Paulinchen abholen wollen, und mich natürlich dort nicht gefunden. Meine Mutter war ſo arg böſe, daß ſie mich Knall und Fall aus der Schule nahm, um — wie ſie ſagte — meinem Verkehr mit Helene Bucher einen Riegel vorzuſchieben. Auf meinen Sturm und Drang, folgte bald wieder Windſtille. Um eine Flamme in mir anzu⸗ fachen, bedurfte es immer eines Zugwindes. Spürte ich den Wind nicht mehr — man verſchloß mir ja gleich wieder Thür und Fenſter — da hing ich wieder im Netz meiner Träume. Der Charakter dieſer Träume aber änderte ſich allmählich. Waren ſie früher gröb⸗ ſter Struktur geweſen, ſo à la tauſendundeine Nacht 91 und à la Monte Chriſto, ſo nahmen ſie jetzt einen höheren Schwung. Sie ſtellten ſich in den Dienſt eines Ideals, wurden zu einer Apotheoſe des Märtyrer⸗ thums. Seit dem 18. März ſtand das Geheirathetwerden von Prinzen und Grafen auf dem Ausſterbeetat bei mir, ich wurde im Gegentheil den hohen Herren ſpinnefeind, ſelbſt über das von mir früher ſo geliebte Kätchen von Heilbronn, zuckte ich meine demokratiſchen Achſeln. Ein ſchlichter Arbeiter (ſiehe Indiana von Georg Sand) wars jetzt, — er ähnelte immer dem Todten des 18. März — oder wenigſtens ein großer Volksredner, den ich meiner Hand würdigte. Auf die große Sängerin aber, da hatte ich mich nun einmal capricirt. Ich ſchwang mich zu einer Art weiblichen Maſſaniello auf. Ich ſang die Welt aus den Fugen. Ich ſang vor allem Volk —. ohne Entrée. Und der blutrothe Strom meiner Töne rauſchte mit ſo elementarer Gewalt — gratis — über das Volk dahin, daß es hinausſtürzte auf die Gaſſe, (bei Leibe nicht auf die Straße) und ſich unter dem Purpurbanner ſchaarte, auſ dem mit goldenen Lettern das Wort „Freiheit“ ſtand. Und: „wir nehmen was wir brauchen, und ſoll's vom Blute rauchen,“ und die Revolution war fertig, und ich — ich hatte ſie gemacht. 92 Keine Schule mehr. Keine Vereine. Keine Helene Bucher. Zu Hauſe! immer zu Hauſe, wo ich doch gar nicht zu Hauſe war. Was nun? Die kurze kindiſche Periode meines Seelenkampfes um Gott war abgelaufen. Meinen poetiſch revolutio⸗ nären Gelüſten war der Boden entgegen. Und ſo weit mein Auge reichte kein Gegenſtand zum An⸗ ſchwärmen. Zwar hatte ich Zeichnen⸗ Clavier⸗ und Näh⸗ ſtunden, ich mußte bei der großen Wäſche helfen, die Leinenſtücke für die Rolle ziehen und legen, die Strümpfe umkehren und ſtopfen. Wenn meine Mutter beſonders gegen mich gereizt war, mußte ich immer Strümpfe ſtopfen. Ach, ich hab es nie gelernt und bedaure noch heut die armen Opfer meiner dicken Prudel. Und Staub mußte ich wiſchen und auf die kleinen Geſchwiſter achtgeben. Mir blieb aber noch viel Zeit übrig. Und ich ſchaute ſuchend aus nach etwas Begehrenwerthem, einer blauen Blume, es durften auch ein paar feuerrothe dazwiſchen blühen. Ich fing an eifrig Aquarell zu malen, konnte mich aber nicht lange über meine völlige Talentloſigkeit auf dieſem Gebiete täuſchen. Ich griff zur Feder. Es war doch endlich an der Zeit in meinen eigentlichen Beruf einzutreten. Ich malte mir aus, was der ſüddeutſche Moritz für Augen machen würde, wenn ihm mein erſtes Bändchen lyriſcher Ge⸗ dichte zuging. Ich wollte es ihm widmen. Nur wußte ich nicht recht, wie man das Ding, 93 das Dichten heißt, angreift. Ich hatte, als ich noch klein war, das Kindermädchen einmal darnach gefragt. Die wußte es auch nicht, meinte aber, es ſtände ja ſchon alles in den Büchern, ich brauchte es nur ab⸗ zuſchreiben. Ich ſaß und ſaß, ich ſann und ſann. Mir fiel nichts ein. Daß ich über meinen dürren Geiſt in düſtere Verſtimmung gerieth, half auch nichts. Eines tröſtete mich. Meine Unfähigkeit kam gewiß nur von meiner Unwiſſenheit her. Ich mußte erſt etwas Ordentliches lernen. Im Bücherſchrank ſtanden die Klaſſiker. Schiller, Göthe, Wieland, Sheakspeare. Die kannte ich ja längſt, und ſie hatten mir doch nicht geholfen. Ach Gott, ich hatte die Klaſſiker geleſen, wie früher die Räuberromane, eilfertig, eilfertig, nur das Stoffliche verſchlingend. Im Bücherſchrank, in alten, ehrwürdigen Ein⸗ bänden, ſtanden auch Herder und Leſſing. Mit Herder war nichts anzufangen. Schon nach den erſten Seiten ſchweiften meine Gedanken abſeits; für den war ich wohl noch nicht reif. Alſo Leſſing, aber nicht etwa Emilia Galotti oder Minna Barnhelm, nein, etwas Lehrreiches. Der Laokoon, der ſollte ja ſehr tief und ſehr bildend ſein. Ich las ihn mit concentrirter Aufmerkſamkeit, Satz für Satz, ich machte mir Auszüge. Meine Mutter kam einmal dazu. Ich hätte mich nicht ſonderlich gegrämt, wenn ſie, wie vor Jahren die Veronika, diesmal den Laokoon con⸗ fieirt hätte. Ich wagte nicht mir zu geſtehen, daß 94 ich ihn langweilig fand. Von Kunſt hatte ich nicht den leiſeſten Schimmer. Ich war noch nicht einmal im Muſeum geweſen. Meine Mutter ſagte nur, Du thäteſt beſſer in die Küche zu gehen, und zu lernen wie man Kar⸗ toffeln kocht. Das meinte ſie aber nicht ernſt. Die Küche war ihre Domaine, da ließ ſie uns gar nicht hinein. Ich ſchob die lehrreiche Lektüre wieder bei Seite. Um ernſte Studien zu treiben, hätte ich eines Führers bedurft. Da war niemand. Ich war allein. Immer allein. Ich ſank zurück in das weiche, flaumige Neſt ſammtner Träumerei, und nährte ſie mit den Romanen der Gräfin Hahn⸗Hahn, der Paalzow, Friederike Bremer, und vor allem — Conſuelo! Für mich wirklich Conſuelo. Süßeſter Troſt in meines Herzens Einſamkeit. Es hätte ſich dabei ganz erträglich gelebt, wenn meine Mutter nicht — um das beinah erwachſene Mädchen nützlich zu beſchäftigen — auf eine diaboliſche Idee verfallen wäre. Mütter, ſelbſt liebevolle, ziehen gern Nutzen aus ihren erwachſenen Töchtern. Der Teppich in unſerer guten Stube war abge⸗ nutzt. Ich ſollte einen neuen ſticken: einen breiten, langen Teppich, mit lauter großen Roſenbouquets, die Füllung von weißer Wolle. O dieſer ſcheußliche, ſeelenmordende Teppich! Wohl anderthalb Jahr habe ich daran geſtickt. 95 Morgens, gleich nach dem Frühſtück fing die Qual an. Und kaum hatte ich Mittags das ausgekochte Rindfleiſch mit dem Kohl oder den Rüben überſtanden, ſo trieb mich die Mutter von neuem an die Arbeit. Erſt die Kaffeeſtunde erlöſte mich. Und das ſchreck⸗ lichſte war, die Stiche zu den Roſenbouquets mußten abgezählt werden, ich konnte alſo während der Arbeit nicht einmal in meiner Phantaſiewelt nach Belieben wirthſchaften. Und that ich's doch zuweilen, gleich war ein Prudel da, und ich arme Penelope mußte die Arbeit vieler Stunden wieder auftrennen. Wie ich mich Abends auf das Zubettgehen freute! da entſchädigte ich mich durch erdichtete Abenteuer à la Bulwer, à la George Sand, à la Hahn⸗Hahn für die Dürre des Tages. Nie hat ein Mädchen weniger Luſt und Geſchick zu Handarbeiten gehabt als ich. Meine Mutter hätte für eine verhältnißmäßig geringe Summe einen viel hübſcheren Teppich als den von mir geſtickten kaufen können. Aber das große, faule Mädchen ſollte doch nützlich beſchäftigt werden. Und immer, während ich ſtickte, war ein Warten in mir, ein banges, ſehnendes Warten auf etwas Außerordentliches. Zeitlebens in der Friedrichſtraße am Halle'ſchen Thor, immer ſticken, ſticken ohne Ende, das konnte doch nicht ſo weiter gehen. Etwas mußte doch kommen. Selbſt der Garten mit der Peterſilie, dem Salat und den Stachelbeerſträuchern fing an mir zu wider⸗ ſtehen, und die ſechs Gaisblattlauben erſt recht, und 96 doch — in einer dieſer Gaisblattlauben habe ich mich ſpäter verlobt. Wenn es klingelte;, horchte ich auf, ich wartete geſpannt, wer oder was da kommen würde, vielleicht ein Brief, oder ein Menſch, ein wildfremder, der mich auf der Straße geſehen, und der mich nun vom Fleck weg heirathen wollte. Die Klingelnden aber brachten Rechnungen oder Waaren, und von den Briefen, die kamen war kein einziger an mich gerichtet. Einmal aber kam doch etwas: Ein Beſuch von zwei unbekannten Couſinen und einem Couſin. Ihr Vater, der Geheimrath Birk, war mit einer Schweſter meines Vaters verheirathet geweſen, und kürzlich von Oſtpreußen nach Berlin an's Obertribunal verſetzt worden. In zweiter Ehe hatte er ein adliges Fräulein geheiratet, eine blaſſe, feine Dame, von ſtiller, aber prentenziöſer Vornehmheit. Die hübſchen Couſinen — ſie waren einige Jahre älter als ich — luden mich in der Folge ab und zu Sonntags zum Thee ein. Ich wäre ſo gerne nicht hingegangen, meine Mutter aber, die ſich durch dieſe Verwandtſchaft ungemein geehrt fühlte, obgleich die ge⸗ heimräthlichen Eltern uns keinen Beſuch machten — beſtand darauf, daß ich jede Einladung annahm. Der Ton dort, die ganze Atmoſphäre des Hauſes, wirkte beklemmend auf mich. Mit Scheu und Ehr⸗ erbietung betrat ich jedes Mal dieſe Räume von korrek⸗ teſter Eleganz. Alles war wie polirt. Die Möbel: ſchwarzes Ebenholz mit Goldleiſten. Fauteuils und Dohm, Schickſal einer Seele. 7 97 Sopha von gepreßtem dunklem Sammt, Alabaſtervaſen mit künſtlichen Blumen. Hohe Lampen, Oel⸗ nicht etwa Petroleumlampen. Die Falten der Plüſchpotieren ſymetriſch vertheilt. Reichgeſtickte, weiße Tüllgardinen an den Fenſtern. Einige unbeträchtliche Bilder an langen, rothſeidenen Schnüren. Hier hörte ich auch zum erſten Male das Wort Salon. Wir hatten zu Hauſe nur eine Wohnſtube. Die Familie Birk war ſehr fromm, pietiſtiſch fromm nach der damaligen Mode. Selbſt der ältliche Herr Geheimrath ging allſonntäglich mit einem Ge⸗ betbuch in der Hand zur Kirche. Die Couſinen waren ein Typus der höhern Be⸗ amtentochter damaliger Zeit, mit ihren glattgekämmten, in ſteifen Puffen auf dem Hinterkopf friſirten Haar, ihren ſeidenen Halbhandſchuhen und den feinen Näschen, die ſie gar leicht ein wenig rümpften. Sie waren wie auf Draht gezogen, ebenſo wie die andern jungen Mädchen, die ich in ihrem Kreiſe traf. Alle machten tiefe Hofknixe, und küßten den älteren Damen die Hand. Was ich hier über Birks ſchreibe, ſind nicht etwa die Eindrücke, die ich in jener Zeit von ihnen empfing. Im Gegentheil, damals erſchien mir dort alles unerreichbar vornehm und großartig, die Couſinen wie in leichte Wolkenſchleier gehüllt, der Geheimrath ſaß in meiner Vorſtellung gleich zur Rechten des Königs, und die Geheimräthin ſtand auf einem Piedeſtal. Viel ſpäter erſt übte ich an ihnen die Kritik, die ich hier niederſchreibe. 98 Frieda, die ältere und frömmere, legte — neben dem lieben Gott, auch großen Werth auf die Pflege ihrer roſigen Nägel und ihrer Feinſtickerei. An den Theeabenden waren die Couſinen mit der Stickerei zierlicher kleiner Kragen beſchäftigt, die ihnen, wie ſie mir mittheilten, eine große innere Be⸗ friedigung gewährte. Ein Diener — trotz meiner Achtzehnten⸗März⸗ Geſinnung imponirte er mir unſagbar — reichte Thee mit Gebäck umher. Die Haustöchter nahmen nur Waſſer mit etwas Milch, weil ihre Mama der Anſicht war, junge Mädchen bekämen vom Thee leicht rothe Naſen. Selbſtverſtändlich waren ſie ſtreng ſittlich, und wichen nicht einmal um die Breite des kleinen Finger⸗ chen, den Roſe ſo zierlich in die Höhe ſtreckte, von Gottes Wegen ab. Sie entrüſteten ſich über unächten Schmuck, falſches Haar oder gar Puder, und ich ver⸗ muthe, ſie fanden es auch nicht ganz comme il faut, ſtark brünet zu ſein. Die Demokratie war ihnen etwas blutrünſtig, rothhaarig Iſchariotartiges. Schwarz⸗ roth⸗Gold, wo es auch vorkam, gehörte vor den Staatsanwalt. Als einmal von der Civilehe — die man damals ſchon in Anregung brachte — die Rede war — hätten ſie beinah „Oho“ geſagt, thaten es aber nicht, weil ſie überhaupt niemals Oho ſagten. Preußiſch ſchwarz⸗ weiß, vom Scheitel bis zur Sohle, das waren ſie, obwohl ſie mit Vorliebe modfarbene Kleider trugen. Waſſer mit Milch — nicht etwa Milch mit 7* 99 Waſſer, das war die Signatur der damaligen höheren Beamtentochter. Und der Geheimrath ſelbſt? Er hatte Geiſt, verſtand fein zu ironiſiren, und junge Mädchen, wenn er ſie allein traf, etwa im Vorzimmer, durch kleine väterliche Liebkoſungen in Verlegenheit zu ſetzen. Der Vetter Erich — natürlich Refrendar — wäre ſo weit recht nett geweſen, wenn er nicht an der Waſſer⸗ mit Milch⸗Atmoſphäre participirt hätte. Er hatte etwas ſo unfreies, gedrücktes, linkiſches, ſchon büreaukratiſch Angegangenes. Er ſtammelte ein wenig beim Sprechen, weil er immer nach Ausdrücken ſuchte, nach gewählten Ausdrücken. Viel Verhaltenes war in ihm, und ich glaube ſeine Unbeholfenheit war mehr eine Folge des Zwieſpaltes zwiſchen der ihm an⸗ dreſſirten Wohlerzogenheit und Zurückhaltung, und einem heftigen Temperament. Er galt für ſehr be⸗ gabt, und dafür, daß er eine glänzende Carriere vor ſich habe. Der arme Jüngling, hätte er ſich nur zur rechten Zeit etwas auslüften können. Damals, da glitten all dieſe kleinen Erlebniſſe und die Menſchen, ich möchte beinahe ſagen lautlos an mir vorüber, wie man etwa eine eintönige Rede hört, deren einzelne Worte man deutlich verſteht. Das Ganze aber giebt keinen Sinn, darum hört man erſt gar nicht hin. Es kam mir alles nur ſo nebenbei vor. Wo ich auch war und was ich auch that, mir war immer, als könnte ich jeden Augenblick abberufen werden — wohin? ja, wohin: 100 Der hübſche ſtattliche Vetter Erich, der ein⸗ mal Inſtizminiſter werden wollte, gefiel mir recht gut, aber nicht ſehr gut; er erinnerte mich in ſeiner Steifheit ſogar zuweilen an Wilhelm. Da wir Beide ein wenig in einer Zwangsjacke ſteckten, hatten wir die Arme nicht frei und konnten uns gegenſeitig nicht helfen, nicht zueinander kommen. Ich ſah gleich, daß er ſich für mich intereſſirte. Und es kam ein Tag, wo ich erfuhr daß er mich liebte; ein denkwürdiger Tag, der in die graue Atmoſphäre meiner Jungenmädchenjahre ſternenhell hineinleuchtete. Mein ſechszehnter Geburtstag! Ende Auguſt wars. Meine Eltern hielten ſich für verpflichtet die vornehmen Verwandten einmal ein⸗ zuladen. Im Gartenſaal ſollte getanzt und der Nußbaumplatz mit bunten Lampions illuminirt werden. Und Kalbsbraten, Bowle und Punſchtorte ſollte es geben. Und als wir Abends die Lampions an die Bäume hängten, da war ich ganz ſechzehn Jahr, ganz helle, klingende, tanzende Freude am Daſein. Ich trug ein weißes Kleid und eine gelbe Georgine im Haar. Der Tante Berthel ſah ich an dem Tag gewiß nicht ähnlich. Vetter Erich machte mir raſend den Hof. Das „raſende“ drückte er dadurch aus, daß er bis zur Unverſtändlichkeit ſtammelte, daß er, als ich ihm anvertraute, daß mein herzförmiges Medaillon unächt ſei (ich that es um ihn auf die Probe zu ſtellen) darüber hinlächelte, und als ich mich ihm ſchließlich als 101 Demokratin zu erkennen gab, citirte er: „was uns Roſe heißt, wie es auch hieße würde lieblich duften.“ Und bei Tiſch zupfte er verſtohlen Blätter aus meiner Georgine, und legte ſie in ſein Taſchenbuch, und ein Krümchen Punſchtorte, das er von meinem Teller fortaß, nannte er Ambroſia. Vielleicht würde ich an jenem Tage eine ernſt⸗ haftere Neigung für ihn gefaßt haben, wenn nicht ein kleiner, unbedeutender Vorfall mich erkältet hätte. Einer meiner Brüder fand während einer Pauſe im Tanzſaal einen Stiefelabſatz, und das enfant terrible lief nun im Saal mit dem Abſatz in der Hand umher, und krabbelte an allen Herrenfüßen herum, um ausfindig zu machen wer den Abſatz ver⸗ loren habe. Niemand meldete ſich trotz Karlchens dreimaliger Aufforderung. Ich aber hatte bemerkt, daß der Abſatz an Erichs Stiefel fehlte, und ich bemerkte auch, wie ängſtlich er den betreffenden Fuß — gerade als fürchte er ſich durch einen Pferdefuß als Mephiſto zu verrathen — verſteckte. Das war komiſch, beinah lächerlich. Er hätte wirklich den Abſatz nicht ver⸗ lieren ſollen. Als wir dann ſpäter im Garten auf⸗ und ab⸗ gingen, da genoß ich in vollen Zügen die poetiſche Situation: Mondſchein, Lampions, Sterne, und einer, der mich liebte. Er war aber nur Staffage in dem fröhlichen Tanz meiner Lebensgeiſter, Staffage, wie die Sterne über uns, wie die leiſe kniſternden, bunt und warm glühenden Lampions, wie der koſend laue 102 Wind, der unſere Haare ineinander wehte, wenn er ſich zu mir neigte. Einmal fiel eine Nuß vom Baum und traf Erich am Kopf. „Au“ ſagte er, und kraute ſich in den Kopf. Hübſch war das nicht. Ich war durch Märchen und Romanromantik ſo verweichlicht in meinem Geſchmack, daß ſelbſt die harmloſeſten kleinen Natürlich⸗ keiten mich abſtießen. Er hätte wirklich den Stiefelabſatz nicht verlieren ſollen. Einmal fragte er mich flüſternd, wie der ſein müſſe, den ich einmal lieben würde? In meiner übermüthigen Laune ſchlug ich zum erſtenmal in meinem Leben einen ſcherzhaften Ton an, und ſagte ungefähr: „er müſſe auf einem blonden Lockenhaupt einen goldenen, allenfalls auch einen grünen Lorbeerkranz tragen; oder er müſſe dem lohengrinhaften Wetter von Strahl ähneln, mit der heimlichen Vehme im Hintergrund; auch ein Byron thäts, mit der Verpflichtung, jung und begeiſtert fern von der Heimath, zu ertrinken; (Erich merkte gar nicht, daß ich Byron mit Schelley verwechſelte) wenigſtens aber müſſe er durch einen rothen Schlips und einen braunen Sammtrock Idealität verrathen, auch dürfe er todt ſein. Aber einer mit einem Frack, weißer Binde und Lackſtiefeln (an denen ein Abſatz fehlt, unter⸗ drückte ich gnädig) der wäre nichts für ein poetiſches Gemüth. Erich, der ernſthafteſte Menſch, den ich je kennen gelernt habe, ſah betrübt aus. Er verſtand keinen Scherz. 103 In den nächſten Wochen kam er oft zu uns. Mütter pflegen im allgemeinen, wenn die Verlobung einer Tochter im Anzug iſt, mit kluger Fürſorge ein wenig helfend einzugreifen. Meiner Mutter lag ein ſolches Beginnen ganz fern. Sie verfiel nicht einmal darauf, daß Erich um meinetwillen kam. Oft ſchickte ſie mich fort, wenn er da war, um nach den Geſchwiſtern zu ſehen. Sie ließ mich in ſeiner Gegenwart Strümpfe ſtopfen, was mich immer in die ſchlechteſte Laune verſetzte. Das Strümpfe ſtopfen kam mir ſo ordinär vor, ſo wie der rechte Gegenſatz zum dichten. Und als ich mir einmal in unwillkürlicher Koket⸗ terie eine Blume in's Haar geſteckt hatte, fand ſie, daß ich mich wie ein Pfingſtochs herausgeputzt hätte. Ich ſchämte mich halb todt, und warf die Blume weg. Auch redete ſie mit Vorliebe von meinen Fehlern: daß ich zu nichts zu gebrauchen wäre, daß ſie den Mann bedaure, der mich einmal kriegen würde, und daß ich Tante Berthel ähnlich ſähe erfuhr er auch. Sie handelte geradezu, als wollte ſie die Ver⸗ lobung hintertreiben, und doch that ſie das alles völlig unabſichtlich. Und wir zwei Unbeholfenen hätten ſo ſehr der Hülfe bedurft. Schon, daß meine Mutter immer zugegen war, ließ es zu einer Intimität zwiſchen mir und Erich nicht kommen. Wo meine Mutter war, war ich nicht ich. Erich wurde als Referendar auf ein halbes Jahr nach Magdeburg geſchickt. Er kam um ſich zu ver⸗ abſchieden. Die Mutter trug mir Beſorgungen in 104 der Stadt auf. Er hielt meine Hand in der zittern⸗ den ſeinen, wollte etwas ſagen und brachte es nicht über die Lippen. Ob er mich nicht ein Stück Weges begleiten dürfe? Nein. Ich wußte wohl, ich wäre als Braut heimgekehrt. Auf der Straße nachher wurde mir beklommen zu Muth. War da vielleicht ein Stern untergegangen, der mich zu einem freundlichen Glück geleitet hätte? Als er nach einem halben Jahr zurückkam, war es zu ſpät. Ich war bereits heimlich verlobt. Er ſoll ſpäter, als Aſſeſſor in einer kleinen Stadt, ganz plötzlich über die Stränge geſchlagen ſein, zum Schaden ſeiner Carriere und ſeiner Geſundheit. Die Familie wendete ihren ganzen Einfluß auf, um ihn durch die Heirath mit einem hübſchen, adligen und wohlhaben⸗ den Fräulein zu rehablitiren, ihn wieder fromm und carrierefähig zu machen. Es gelang. Er verlobte ſich wirklich mit dem Fräulein. Am Tag aber vor der Hochzeit erſchoß er ſich. Von Vergnügungen war für uns junge Mädchen nur ansnahmsweiſe die Rede. Meine Eltern ſelbſt gingen ſelten ins Theater. Sie nahmen uns niemals dahin mit. Die Muſik wurde in der Familie durch einen Muſiklehrer beſorgt, der für fünf Groſchen die Stunde, etwaige muſikaliſche Begabungen ſeiner Schüler und Schülerinnen ſyſtematiſch zu Grunde richtete. Wie der Menſch beim Unterricht gähnte, 105 wenn er ſich nicht gerade zur Kurzweil kleine unge⸗ bührliche Handgreiflichkeiten gegen uns erlaubte. Auf Anregung unſeres Arztes und Familien⸗ freundes (man ſagte, er verdanke ſeinen Geheimraths⸗ titel ſeinem oſtentativen Patriotismus) war mein Vater Mitglied irgend eines patriotiſch conſervativen Vereins geworden. Dieſer Verein gab im Lauf des Winters einige Bälle. In dieſen Bällen gipfelten unſere Luſtbarkeiten. Wie die Birk'ſchen Thee's er⸗ ſchienen mir auch dieſe Bälle beklemmend vornehm und elegant, und ich fühlte mich als Kaufmannstocher mit meinem weißen Mullfähnchen, dieſen Geheimraths⸗ und Offizierstöchtern nicht ebenbürtig. Wirkliche Vor⸗ nehmheit herrſchte da wohl nicht, nur ſteif und ſchick⸗ lich war alles, und ſo kahl und ſchaal. Man tanzte in einem kahlen, viereckigen, hell⸗ getünchten Raum. Schwarz⸗weiße Fähnchen und Lorbeerkränze ſchmückten die Gipsbüſten der höchſten Herrſchaften. Ganz Geheimrath⸗Birk'ſche Atmoſphäre, preußiſch ſchwarz⸗weiß. Die Tänzer, meiſt Offiziere und Refrendare, nannten uns „gnädiges Fräulein“, und tanzten haupt⸗ ſächlich mit den Töchtern ihrer Vorgeſetzten. Dieſe Töchter, ſämmtlich in Tarlatan, roſa, grün, blau, weiß, ſahen in den uniformen, ſteifen Röcken wie ein Beet von Papierblumen aus, und die Unterhaltung der Herren war auch papierblumenhaft. — „Gnädiges Fräulein ſchon auf vielen Bällen geweſen?“ — „Laufen gnädiges Fräulein gern Schlittſchuh?“ Das gnädige Fräulein hatte wirklich nur ja und nein zu antworten. 106 Beim Souper ſaßen ſämmtliche Mitglieder einer Familie zuſammen, und immer gabs Kalbsbraten und Backpflaumen, und ſo ſehr viel Kellner, die das Souper ſervirten. Und „mit Gott für König und Vaterland wurden lange Toaſte gehalten, in denen es patriotiſch wie von vertrocknetem Eichenlaub raſchelte. Die Mütter ſaßen reihenweis hinter den Tanzen⸗ den, in Seide und Sammt und mit Federn auf dem Kopf. Und ſie ſpähten immer nur nach ihren Töchter⸗ chen aus, und waren voll Groll, wenn etwa ein fremder roſa Tarlatan dem himmelblauen Tarlatan des eigenen Töchterchens den Rang ablief. Mich traf jedenfalls ihr Groll nicht. Ich wun⸗ derte mich eigentlich ſelbſt, daß ich ſo wenig Bouquets im Cottillon erhielt, und auch nicht viel tanzte, viel weniger als Alice. Wie kam das nur? ich war doch hübſcher als Alice und auch klüger. In der Schule hatte ich ihr immer die Aufſätze machen müſſen. Freilich, ich war gar nicht munter, und Alice war ſehr munter. Und ich ängſtigte mich immer, ich würde viel⸗ leicht gar kein Bouquet bekommen, nicht meinetwegen, nur weil meine Mutter immer ſo ſehr vergnügt war, wenn Alice mehr Bouquets nach Hauſe brachte als ich. Auch hier auf den Bällen ſah ich mich zuweilen um, ob nicht etwas Außergewöhnliches käme und mich abriefe. Wohin? in Weites, Fernes, Unbekanntes, das nicht die geringſte Aehnlichkeit mit Berlin hatte, mit dieſem Saal, mit dieſen Tänzern, die mit ſo ſchnarrender Stimme ſo langweilig fragten, dahin, 107 wo es gar nicht ſchaal und kahl war, und nicht ſteif und nicht ſchicklich. Ich wollte immer Außergewöhnliches, ſtarke zaube⸗ riſche Eindrücke, und war enttäuſcht, wenn alles ſo alltäglich verlief. Oder amüſirte ich mich auf den Bällen nur ſo mittelmäßig, weil ich heimlich verlobt war? Nein, ich weiß beſtimmt, das war's nicht. Meine heimliche Verlobung! Eines Tages kam Walter Bucher in unſer Haus um mir einen Brief von ſeiner Schweſter Helene zu bringen, die als Erzieherin ins Ausland ge⸗ gangen war. Du weißt ja, wie amüſant und übermüthig er ſein kann. Und damals erſt! Er bezauberte gleich meine Mutter, die ſeine ſchwarz⸗roth⸗goldene Schärpe aus den Märztagen mit dem revolutionären Zubehör längſt vergeſſen hatte. Kein Wunder, er hatte ſie ja ſelbſt vergeſſen. Sie lnd ihn dringend ein wiederzukommen. Und er kam oft, gegen Abend auf eine halbe Stunde, zu⸗ weilen blieb er auch zum Abendeſſen. Er war eigentlich Philologe, und hatte eine Lehrerſtelle an einem Gymnaſium inne gehabt, ſie aber nach einigen Jahren wieder aufgegeben. Jetzt gab er Privatunterricht und ſchriftſtellerte daneben. So allmählig, wie es gewöhnlich geht, verliehten 108 wir uns ineinander. Das war eine ſchöne Zeit, dieſes Werden der Liebe. Eine Zeit, wo ein Jugend⸗ feuer in uns überall hin Funken ſprüht, ſo daß ſelbſt auf das Kleinſte und Unſcheinbarſte goldene Reflexe fallen: Ein Vielliebchen das man ißt, ein Glüh⸗ würmchen, das man im Gebüſch findet, eine Nuß, die man zuſammen ſchält, ein Sonnenſtrahl, der durch das Zimmer tanzt. Man weiß nicht, was man ißt, ob Brühkartoffeln ob Bisquitpudding, ganz dasſelbe. Man geht nicht, man tanzt, der Körper hat kein Gewicht mehr. Das Sehen ein Trinken von Licht, das Ohr hört nur Muſik, die Blicke hinüber und herüber ſelige Botſchaften, das Berühren der Hände ein magnetiſches Ineinanderglühen. Und immer im Herzen der ſüße ahnungsvolle Schauer: ich werde lieben. So ganz in Poeſie verſchwommen war ich, daß ich glaubte in die Erde ſinken zu müſſen, als einmal mein Magen laut knurrte, und wenn ab und zu mein kleines Brüderchen ſich allzu natürlich äußerte, glaubte ich auch in die Erde ſinken zu müſſen. Dann aber war es am allerſchönſten, wenn er gegangen war, und ich lag auf der Bank unter dem Sternenhimmel ſund den Nußbäumen und berauſchte mich an dem Frühling in meinem Herzen: Ich werde lieben! Ich hatte niemals Geſangſtunden gehabt. Ich war auch nicht beſonders muſikaliſch veranlagt. Ich 109 ſang aber doch, wenn ich ſicher war daß niemand mich hörte. Regelloſe, wilde Improviſationen ſang ich. Hohe A's der Begeiſterung und tiefe C's ab⸗ gründiger Melancholie, und ich ſchwelgte in den eigenen Tönen. Ich erlebte immer alles allein. Ich war der perſonificirte Monolag. Man ſpricht nicht laut mit ſich ſelbſt, das würde einem ganz verrückt vorkommen, aber ſingen — ja. Du hätteſt ſehen ſollen, wie ich durch den Garten raſte, — einmal ſtolperte ich dabei über ein Miſtbeet und zerbrach eine Scheibe. Ich wand mir einen Zweig rother Bohnenblüten um's Haupt — rother Mohn wäre mir lieber geweſen, aber es gab keinen im Garten. Und die Roſen hatte die Wirtin alle gezählt. In meinen Geſangs⸗Improviſationen nannte ich Walter meiſt Oswald — ich weiß nicht recht warum. Walter war ein gar zu braver Name, ſo ganz ohne Schwung. In allem wollte ich Ueberſchwang. Bei Gott, ich glaube ich war eine platoniſche Bacchantin. Und dann kam ein Abend — wir jagten uns, und ich floh in eine Gaisblattlaube, er fand mich und — da lag ich in ſeinen Armen, da hing ich an ſeinem Munde. Da waren wir nun verlobt, ich wenigſtens, ob er, das weiß ich nicht ſo genau; es iſt aber wahrſcheinlich, er war ja, man nennt es ſterblich verliebt, unſterblich jedenfalls nicht. Einen ganzen Sommer dauerte dieſe heimliche Verlobung. Schon das Geheimniß an und für ſich 110 war beglückend. Uud wenn ich mich in verſtohlenen Augenblicken an ihn ſchmiegte, wenn ich ſeine Lieb⸗ koſende Hand auf meinem Scheitel, an meiner Wange fühlte, ſo erfüllte dieſe Liebe ohne Leidenſchaftlichkeit meine ganze Seele mit weichem Glanz. Wir ſchrieben uns ab und zu Briefe, die wir uns verſtohlen zu⸗ ſteckten. Dieſe Briefe, — ich ſchrieb ſie als Sechzehn⸗ jährige — ſind mir ſpäter wieder in die Hände ge⸗ fallen. Wie, iſt ja gleichgültig. Die Röthe der Scham ſtieg mir ins Geſicht, als ich ſie nach Jahren noch einmal las. Das hatte ich geſchrieben! dieſe abgeſchmackten, gefühlsarmen, ganz thörichten Verlogenheiten! Und ich erinnere mich gut, ich kritzelte ſie nicht etwa flüchtig hin, nein, ich hatte über Stil und Inhalt nachgedacht, mich förmlich in's Feuer der Gefühle hineincommandirt. Ich hatte mir auch ſo viel Mühe mit der Handſchrift gegeben. Sie war wie geſtochen. Und Du weißt ja, daß ich eine ziemlich ſchlechte Handſchrift habe. Was meinſt Du zu Wendungen wie dieſe: „O (das „o“ war ſtereotyp) mein Geliebter, möchte doch Deine Liebe etwas anderes ſein als ein matter Stern zwiſchen Dämmerung und Nacht, eine Stunde zwiſchen zwei Ewigkeiten — der Vergangenheit und Zukunft, möchte ſie nicht den Waſſerroſen gleichen, die über einem Abgrunde blühen.“ Oder, aus einem andern Brief: „Spät iſt's, faſt Mitternacht, (es war höchſtens halbzehn, man hätte mir nie erlaubt bis Mitternacht die Lampe zu brennen) 111 geheimnißvolle Stille umgiebt mich; ich bin allein mit meinen Gedanken an Dich, meiner Sehnſucht nach Dir. Zwiſchen unſern Herzen hat die wunderbare Macht der Sympathie eine Brücke geſpannt, die von keinem Sturm, von keiner irdiſchen Gewalt gebrochen werden kann. Ja, mein Walter, es giebt eine Liebe, wo Seele ſich in Seele verliert, ſo daß Gedanke mit Gedanke zu⸗ ſammenklingt, und das unſichtbare Feuer der Gefühle zu⸗ ſammenglüht, ohne daß Auge dem Auge zu begegnen braucht, ohne daß wir uns anders denu als Geiſter faſſen. — Wenn ich in Dein Auge ſehe und ſeine Strahlen in mich trinke, (er hatte kleine, braune, glanz⸗ loſe Aeuglein) dann leſe ich in ſeiner Sternenſchrift mein Schickſal, ein glückſeliges. Ja! in Deinem Herzen habe ich meine ſüßeſten Gefühle erfahren, in Deiner Seele meine beſten Gedanken gedacht, Deine Gegenwart iſt meinem Herzen eine athmende Athmoſphäre der Poeſie und ich fühle, aus Deinem Weſen entſpringt mein Daſein.“ Als ich einmal einige Wochen mit einer Tante auf dem Lande zubrachte, ſchrieb ich: „Ich habe hier Augenblicke, wo ich ergriffen werde von jener ruhigen, ſüßen Fülle der Zufriedenheit, von jenem himmliſchen und ſtillen Entzücken, in welchem das Herz bei dem Uebermaß ſeines Wonnegefühls wie in ſanftem Schlummer ruht. Jede Empfindung in mir iſt der Spiegel eines lieblichen, wolkenreinen Himmels. Gött⸗ liche Andacht iſt in dieſer Stille der Natur, wie wenn aus dem odemloſen Herzen aller Dinge Gebete empor⸗ ſtiegen. Alles um mich her wird Nahrung für meine 112 Liebe, das Schweigen des Mittags, die heilige, beredte Ruhe der Dämmerung, ihr Roſenhimmel, ihr Schatten und ihr Thau wirken meinem Herzen leiſen Liebes⸗ zauber. Die bleichen Sterne, der geheimnißvolle Mond, die Winde, welche die ungemeſſene Luft bewegen — Pilger aus einer ewigen Heimat nach einer uner⸗ forſchten Grenze — der ſchrankenloſe Himmel, zu dem niemand emporblickt ohne unbeſtimmte Sehnſucht nach Etwas, das die Erde nicht hat, ohne die Empfindung eines früheren Daſein's, in welchem wir dieſes Etwas beſaßen; die heilige Nacht, der feierliche, alles um⸗ faſſende Schlaf, der in ſeiner Ruhe den Tod anzu⸗ deuten ſcheint — das alles redet für mich eine deutungsvolle Sprache der Liebe. Nicht die reine Paula Erbswurſt aus dem Kladderadatſch? Und einige Tage ſpäter: „In der Liebe werden tauſend Fäden aus allem, was hart und ſelbſtiſch iſt, gelöſt, um ſich in eine einzige heilige Schleife neu zu verknüpfen. Was für ein Abend heut! Mit Deinem Brief an den Lippen eilte ich in's Freie, die Sterne, die Kinder des Himmels, blühten eben in ihrem nächtigen Daſein auf. Ihr Widerſchein er⸗ zitterte im Waſſer; heilig und rein ſchwebte ihr ſtilles Licht zu mir nieder. Nie ſank ein Abend mit ſüßerer Luſt, mit beruhigenderem Balſam auf mein leiſe er⸗ ſchauerndes Herz nieder. Die Luft ſtill, odemlos, zart leuchtend, der Mond in die Bäume hineinglänzend, die Hügel wachſend im Schatten der Nacht, das Rinnen des Waſſers, all die unnennbaren Laute im Dohm, Schickſal einer Seele. 8 113 Nachttraum der Natur, ſie ſchmolzen zu einem Ein⸗ klang zuſammen, einer tiefen, ſtillen, unerſchöpflichen Wonne. Du warſt mir unausſprechlich nahe. Den Preis aber verdient ein Brief, den ich ſchrieb, als er mir von einem ſtarken Schnupfen be⸗ richtet hatte. Er ſchließt mit den Worten: „ich bin zu ſchmerzlich aufgeregt, um Dir weiter ſchreiben zu können. O Geliebter, laß die Thränen, die dieſen Brief begleiten meine Bitte unterſtützen: Schone Dich! Keine Ahnung haſt Du von dem unendlichen Schmerz, der mein ganzes Weſen durchbebt, ſeitdem ich Deinen Brief in meinen Händen, auf meinem Herzen habe. Ich kenne ja Deine hohe Begeiſterung für alles Große und Schöne, ich weiß wie die Zuſtände des Vater⸗ landes Dich ergreifen, um meinetwillen, Du tauſend⸗ mal Geliebter, zügle Deine Leidenſchaftlichkeit, nie habe ich mehr gefühlt, wie unausſprechlich ich Dich liebe.“ Ich hörte förmlich, wie er nach der Lektüre dieſes Briefs, kräftig und fidel nieſte, und Proſit ſagte. Nichts als eine Feder⸗ und Tinten⸗Erregung war's; ich war mir aber meiner Verlogenheit durch⸗ aus nicht bewußt. Ich meinte, eine Braut müſſe ſchöne Briefe ſchreiben, und gerade ſolche Briefe. Und dieſes alberne Wortgeklingel, dieſe Briefe an einen Walter Bucher! Er muß ſich ja vor Lachen über den übergeſchnappten Backfiſch geſchüttelt haben. Und er hat mich doch geheiratet. Sonderbar! 114 Meine Mutter ſorgte dafür, daß die Bäume unſeres Glück's nicht in den Himmel wuchſen. Sie fühlte wieder einmal das Bedürfniß mit mir ins Gericht zu gehen. Unter allen möglichen Fehlern ſchrieb ſie mir auch den der Unordnung zu. Meine Kommode wurde einer Reviſion unterworfen. In der Kommode lagen Walter's Briefe, wohlverborgen in den Falten eines — pardon — Hemdes. Mein bebender Griff nach dem Hemde verriethen der Mutter die Contrebande. Die Briefe wurden confiscirt, verbrannt. Walter, der nicht in der Lage war zu heirathen, aus dem Hauſe verbannt. Er ſchrieb mir noch einmal ein paar Zeilen, die für die Eltern mit berechnet waren. Ich möchte auf die Zukunft vertrauen. Dann verſchwand er aus meinem Geſichtskreis. Nach dieſem ſchrecklichen Ereigniß bemühte ich mich redlich — die Lektüre von Bulver's „Pilgrim am Rhein“ gab mir vielleicht die Anregung — die Schwindſucht zu bekommen, theils zu Ehren meines zerriſſenen Herzens, das ich Walter ſchuldig zu ſein glaubte, theils weil ich überhaupt die Schwindſucht poetiſch fand. Ich machte Gedichte auf die Poeſie meines frühen Todes, hüſtelte immerfort (was keiner in der Familie bemerkte), aß wenig, wurde von dem Wenigeſſen immer magerer, und arbeitete bereits nach Herzensluſt an der Ausmalung meines Sterbens 8* 115 und Begrabenwerdens, auch an Walter's Verzweif⸗ lung. Letztere ſchien indeſſen ebenſo heilbar wie mein zerriſſenes Herz. Er machte keinerlei Anſtrengungen die Beziehungen zu mir aufrecht zu erhalten, und ich ſtellte das Hüſteln allmählich ein, und gab die Schwindſucht auf, der doch mehr ein Situations⸗ und Stimmungsreiz zugrunde gelegen, als das Herzens⸗ bedürfniß aus Liebe zu ſterben. Stimmung war von jeher ein Hauptfaktor in meinen Erlebniſſen geweſen, wie es ja auch Land⸗ ſchaften giebt, gemalte, bei denen Zeichnung, Com⸗ poſition, Wahrheit der Farbe kaum in Betracht kommen. Stimmung iſt alles. In einem engen, engen Raum ſpielte ſich mein inneres Leben ab. Ich könnte es mit einem jener kleinen Gärtchen im Süden vergleichen; ſie ſind kaum größer als eine Stube, eine hohe Mauer ſchließt ſie ein. Aber drinnen blühen Feuerlilien und Granaten, und eine Palme und ein Limonenbaum, der duftet be⸗ rauſchend, und an der Mauer ranken ſich wilde Roſen empor, viel wilde Roſen, und ein Brünnlein rauſcht und ſprudelt dazwiſchen. Was jenſeits der hohen Mauer iſt — eigentlich doch faſt alles — exiſtirte für mich nicht. Meine Mutter hatte es endlich aufgegeben mich mit Handarbeiten zu martern. Ich erhielt jetzt die Erlaubniß das Lehrerinnen⸗Seminar zu beſuchen. 116 Ein ganzes Jahr meines Lebens wurde dabei ge⸗ opfert. Wer nennt die Leitfäden alle, die in dieſem Seminar zuſammenkamen, um einen lebendigen Geiſt in eine mechaniſche Lernmaſchine zu verwandeln. Ich lernte das ganze Linné'ſche Syſtem der Botanik aus⸗ wendig, die ganze Zoologie, von den kleinſten Am⸗ phibien bis zu den größten Säugethieren, lernte ich auswendig, alle Flüſſe Eurapa's mit ihren Neben⸗ flüſſen, alle Geſchichtstabellen von den alten Griechen und Römern bis zur neuſten Zeit. Dreißig Geſang⸗ buchlieder ſaßen niet⸗ und nagelfeſt in meinem Hirn, und unzählige Bibelſprüche auch. Es war fürchterlich. Ein reines Flügelknicken. Ob es jetzt anders geworden iſt, weiß ich nicht. Walter hatte ich beinah vergeſſen. Da erhielten meine Eltern eines Tages einen Brief von ihm, in dem er regelrecht um meine Hand anhielt. Eine Anſtellung in der Redaktion einer größeren Zeitung gab ihm die Möglichkeit zu heirathen. Meine Eltern gaben gern ihre Einwilligung. Anfangs war ich eigentlich mehr verwundert als glücklich. Sonderbar, daß er mich noch liebte. Warum war er ein ganzes Jahr verſtummt? Aus Ge⸗ wiſſenhaftigkeit? So wenig Menſchenkenntniß ich be⸗ ſaß, das glaubte ich doch nicht. Ich war ſogar etwas enttäuſcht. Ich hatte ja nach beſtandenem Examen als Lehrerin in's Ausland gehen wollen, nach Paris, London, Rom, ja haupt⸗ 117 ſächlich nach Rom. Daraufhin hatte ich ſchon wieder die ſchönſten Luftſchlöſſer gebaut, in denen Gondeln, die ſich auf blauen Wogen ſüdlicher Meere ſchaukeln, Palmen, Marmorſäulen um die ſich Roſen winden, die bekannten, durch dunkles Laub glühenden Gold⸗ orangen, und überhaupt lauter Sachen, die in Berlin nie vorkommen eine Rolle ſpielten. Damals war der Gouvernanten⸗Roman in Flor. Jede Gouver⸗ nante trug in ihrer Mappe eine Gräfinnenkrone, jede war eine Jane Eyre. Dieſe Luftſchlöſſer fielen zuſammen, da ich nun verlobt war — viel zu lange, beinahe ein Jahr. Etwas in mir war gegen die Verlobung. Ach, ich bin noch nie meiner innern Stimme gefolgt. Wind und Wellen überließ ich mein Lebensſchifflein, es dahin zu treiben, wohin es dem Wind und den Wellen eben beliebte. Während der Brautſchaft — wie anders war ſie als die heimliche Verlobung — ſpielte ſich mein Seelenleben ſo ziemlich nach der Schablone der meiſten andern jungen Mädchen ab. Wir betrugen uns ganz wie ein Durchſchnittsbrautpaar. Er wollte mich lehren eine Cigarette zu rauchen, ich ſteckte ihm Süßigkeiten in den Mund, und er biß mich in den Finger. Wir zankten und verſöhnten uns in einem Athem. Es war wohl die einzige Zeit meines Lebens wo ich launenhaft war und zum Widerſpruch geneigt. Ich ſtand oft vor dem Spiegel, und ärgerte mich über die damalige häßliche Tracht: eine wahre Diako⸗ niſſinnentracht. 118 Ich verſuchte durch kleine Verſchönerungen, von denen ich hoffen durfte, daß ſie dem Luchsauge meiner Mutter entgehen würden, der Nüchternheit der Tracht etwas abzuhelfen. Beſonders in Betreff der Kragen zeigte ich mich erfinderiſch, indem ich ſie durch Friſuren, oder ſonſt eine phantaſtiſche Zuthat poetiſirte. Ich riskirte ſogar einige Löckchen an den Schläfen. Eigentlich verbrachte ich den ganzen Tag in ruheloſer Erwartung Walter's. Kam er dann, ſo blieb alles hinter meiner Er⸗ wartung zurück. Und war er gegangen, und ich lag auf der Bank unter den Nußbäumen, und wollte in ſtillem Nachglück mir zurückrufen, was er geſagt, wie er ausgeſehen, ſo gings nicht recht. Irgend ein Hinderniß war da. Walter iſt eine ſo poſitive Perſönlichkeit, ſchwer in Träumen und Extaſen unter⸗ zubringen. Und da war es plötzlich der Fremde im grauen Mantel, den meine Träume einfingen. Ich hatte in den Begriff eines Verlobten, wenigſtens meines Verlobten, etwas von Lohengrin, Danton oder Romeo hineinphantaſirt. Walter etwas von Lohengrin oder Danton! Er hatte nicht einmal mehr einen Schimmer von dem einſtigen Schwarz⸗roth⸗ gold an ſich. Er ſchillerte, ja — in welchen Farben wußte ich nicht recht, aber er ſchillerte. Ich correſpondirte ab und zu mit Paulinchen, meiner Schulfreundin, die mit ihren Eltern in eine kleine Stadt gezogen war. Sie wollte wiſſen wie Walter ausſähe. Wie ich mich hinſetze um darüber zu berichten, weiß ich nicht was ich ſchreiben ſoll. 119 Wie ſieht er denn aus? Ich ſchrieb: „er ſieht gut aus, iſt lang und ſchlank, den Kopf etwas vorgeſtreckt, die Arme etwas ſchlenkernd. Sein lockiges, flattriges Haar fällt in einer Byronlocke über eine hohe Stirn die weißer iſt als ſein übriges Geſicht. Er hat — wie ſoll ich ſagen — ſo nebenſächliche Augen, Augen die können nicht fragen und nicht forſchen, die wiſſen ſchon immer alles. Er lächelt nicht, es iſt immer gleich ein Lachen, und das Lachen klingt etwas heiſer. Beſondere Kennzeichen fehlen. Klang das nicht beinahe lieblos? Aber mau kann doch jemand ſehr, ſehr lieb haben, auch wenn er Schwächen hat. Einmal, auf einem Spaziergang, ſprach er von ſeinem beſcheidenen Einkommen, und ob mir das auch genügen würde u. ſ. w. Ich war entrüſtet. Ein Verlobter von Geld ſprechen! Es kam mir ziemlich ſo unmöglich vor, als wenn Lohengrin und Elſa ſich vor der Hochzeit in einem Duett über die Höhe des Wirthſchaftsgeldes hätten auseinanderſetzen wollen. Von Geld hatte ich überhaupt keine rechte Vorſtellung. Es intereſſirte mich gar nicht. Eine Wohnung hat man ja doch immer, und auch genug zu eſſen. Wenn man ſich nur liebt! Walter lachte über meine Entrüſtung, und meinte, daß ſelbſt eine Heilige ſich am ſchönſten von einem Goldgrund abhöbe, wenn ich aber als Hintergrund eine grau⸗ oder grüngetünchte Hinterſtube vorzöge, ſo würde er mich auch in grau und grün anbeten. Er lachte immer, wenn er Schmeichleriſches ſagte. 120 Das verletzte mich beinah. Man weiß doch auch ohnedies, daß ſolche Schmeicheleien nicht ernſt ge⸗ meint ſind. Ich lernte Walter erſt jetzt ein wenig kennen, nicht ſehr. Daß er flott war, ſehr flott, lebendig wie Queckſilber, oft wirblig, mißfiel mir nicht. Aber ich weiß nicht, wir kamen uns nicht näher. Er erzählte auch jetzt wieder mehr als einmal von ſeinen Abenteuern am 18. und 19. März, aber anders als früher, übertriebener und zugleich komiſcher. Er ſprach faſt davon wie von einer Jugendeſelei. Trotz des Springenden, Haſtenden in ſeiner Art fanden ihn alle urgemüthlich. Meine Mutter im⸗ ponierte ihm nicht im geringſten. „Mamachen, ſagte er, ich eſſe Fiſch gern, koche heut Karpfen in Bier, mir zu Liebe!“ Und ſie kochte Karpfen in Bier, ihm zu Liebe. Er konnte meine Mutter um den Finger wickeln, eigentlich die Andern auch, beſonders meine dritte Schweſter, das Engelsköpfchen ſchwärmte für ihn. Wir nannten ſie Engelsköpfchen wegen ihrer gold⸗ blonden Locken und weil ſie ſo zart und blau⸗ äugig war. Wenn wir alle im Wohnzimmer beiſammen ſaßen, war Walter von ſprudelnder Laune. Unter vier Augen mit mir, wußte er nicht recht, was er reden ſollte. Alle Augenblicke ſtockte die Unterhaltung. Und dann wiederholte er immer dieſelben Liebesbe⸗ teuerungen, ſo daß mich zuweilen eine leiſe Ungeduld beſchlich, oder er füllte die Pauſen mit überwallender 121 Zärtlichkeit aus. Wirklich Zärtlichkeit? Seine Lieb⸗ koſungen thaten der Seele weh. Ich hatte ſo lange nach Liebkoſungen geſchmachtet, und nun — — ſeine Art — flattrig und robuſt zugleich, ſpannte mich ab, höhlte mich aus, reizte mich zur Abwehr. Ich wußte nicht was ihr fehlte, jetzt weiß ich's. Seiner Zärtlichkeit fehlte — ich. Mit dem Engelsköpfchen wäre er gewiß noch zärtlicher geweſen. Sie gefiel ihm ſehr, er ſcherzte mit ihr, zuweilen ſaßen ſie Hand in Hand. Das ließ mich ruhig. Er war ja mein Verlobter. Wenn er mich nicht liebte, würde er ſich doch nicht mit mir verlobt haben. Der Begriff der Untreue exiſtierte für mich noch nicht. Ich vermied gern mit ihm längere Zeit allein zu ſein. Ich hatte ihn viel lieber im Beiſein der Anderen. Später begriff ich erſt, daß er ein Publi⸗ kum brauchte. Er war wohl nie mit ſich allein, kaum gern zu zweien. Viele — das war ihm das liebſte. Je mehr, je beſſer. Ich war mir meiner Unbildung voll bewußt. Ich dürſtete nach Kultur. Es kommt mir jetzt beinah unglaublich, lächerlich vor, daß ein Menſch — das iſt ein junges Mädchen doch auch — in der Metropole der Intelligenz leben kann, faſt ohne Berührung mit allem, was die Welt bewegt. Gerade nur ein wenig Literatur und Kunſt ſickerte durch. Einer ſtrengen Schulung hätte ich bedurft, um meinen vagabundirenden, zielloſen Geiſt irgendwo an⸗ zuſiedeln. 122 Eine unbeſtimmte Hoffnung hatte ich auf Walter geſetzt, daß er etwas in mir wecken ſollte was ſchlief. Ach, Walter war kein Wecker, nein, nicht im mindeſten. Ein Menſch mit Augen, die nicht fragen können, die immer alles ſchon wiſſen. Und Küſſe, die weckten nichts in mir — nichts. Mich beſchlich zuweilen, wenn ich längere Zeit mit ihm allein war, etwas wie — warum nach einer Umſchreibung ſuchen — es war geradezu Langeweile. Wir ſaßen oft lange, Hand in Hand, ſteif auf dem Sopha. Es ſcheint, es war damals üblich, daß Brautpaare Hand in Hand ſteif auf Sopha's ſaßen. Es ermüdete ſo. In einer Nacht geſchah mir etwas Merkwürdiges, was ich mir bis heute nicht erklären kann. Ich war mit Walter einige Male in der Oper geweſen. Wir ſaßen immer in der erſten Reihe des Parquets's. Im Orcheſter dicht vor mir hatte ein Geiger ſeinen Platz. Er fixirte mich oft, während er ſpielte. Er hatte eigentümlich grünlich braune, ſprühende Augen, und ſein Blick — tief, tief ſaugend, als wüßte er etwas geheimnißvolles, daß ich errathen ſollte. Der Blick hatte ſich förmlich bei mir eingebohrt. Einmal fanden wir im Parquet keinen Platz mehr, und ſaßen wo anders. Ich ſah den Blick des Geigers umherirren. Er ſuchte mich, er fand mich 123 nicht, und ich glaubte aus dem Orcheſter heraus ſeinen Bogenſtrich zu hören, als riefe er mich. In der Nacht träumte ich von ihm. Das heißt ich ſah ihn nicht, ich hörte nur ſeine Geige. Aus einem tollen Cancert kreiſchender Inſtrumente heraus hörte ich ſie; anfangs langgezogene Töne aus der Ferne, einſchmeichelnd, mich umkoſend, dann wurden ſie immer ſtärker, lockender, drängender, dann war's keine Geige mehr, eine Glocke war's, und die Glocke war in meiner Bruſt, und läutete — läutete — als wollte ſie mir die Bruſt ſprengen. Ich erſtickte — — Mit einem wilden Schrei erwachte ich. Mein Herz klopfte hämmernd. Etwas unheimlich ſtarkes, über das ich keine Gewalt hatte durchdrang mich, eine unbezwingliche Sehnſucht hin zu dem Geiger. Ich ſprang aus dem Bett. Ich griff nach meinen Kleidern. Ich ſtürzte zur Thür. Ich wollte zu ihm, ich mußte. Wie denn? ich wußte ja gar nicht, wo er wohnte. Ich riß das Fenſter auf. Im lichten Ocean ſchwamm der Mond. Der Wind wehte kalt. Von der Kälte erloſch die Hallucination. Ich kroch zurück in's Bett, Seitdem bin ich während meiner Brautzeit nicht mehr in's Theater gegangen Meine Mutter konnte es ſich nicht verſagen, Walter auf meine Hausfrauenmänge“ vorzubereiten; 124 den Speiſekammerſchlüſſel würde ich ſicher immer ſtecken laſſen, in der Küche würde es drüber und drunter gehen, da ich ja kaum imſtande wäre Pfeffer von Inſektenpulver zu unterſcheiden, na — und die Löcher in ſeinen Strümpfen! Walter pflegte auf ſolche Reden mit Scherzen zu antworten, ſpäter aber merkte ich doch, daß die Worte in ſeinem Gedächtniß haften geblieben waren. Beim Nähen der Ausſtattung brauchte ich glück⸗ licherweiſe nicht zu helfen. Der Mutter machte es viel zu viel Vergnügen, ſelbſt jeden einzelnen Gegen⸗ ſtand zu beſtellen und zu beſtimmen. Sie nahm mich auch bei der Beſorgung der Ausſtattungsgegenſtände nicht ein einziges Mal mit, weil ich ja doch nichts davon verſtände. Ich wäre aber ſehr gern mitgegangen, beſonders beim Aus⸗ wählen der Möbel und Kleiderſtoffe. Später erfuhr ich, daß die Mama von dem Geld, das der Papa für die Ausſtattung ausgeſetzt, einen Theil bei Seite gelegt hatte, um ihr eigenes Schlafzimmer neu einzurichten. Anfang März war die Hochzeit. Sie warf einen Schatten voraus. Am Abend vorher — ich war eben eingeſchlafen — weckte mich ein dröhnendes Krachen. Meine Brüder, in Gemein⸗ ſchaft mit dem Dienſtmädchen hatten alte Töpfe und ſonſtiges Geſchirr gegen meine Thür geſchleudert. 125 Die Köchin ſoll für den Zweck auch ganz gutes, kaum ſchadhaftes Geſchirr verwandt haben. Das nannte man Polterabend machen, war aber, ſo viel ich weiß, in gebildeten Kreiſen kaum noch üblich. Ich fühlte mich erniedrigt, gemißhandelt. Ich bebte vor Zorn. Kein glücklicher Stern leuchtete über meinem Hoch⸗ zeitstag. Froſtiges, häßliches Wetter. Es ſchneite. Damit das Wohnzimmer beim Hochzeitsmahl nicht zu heiß ſein ſollte, hatte man nicht eingeheizt. Und da ſtand ich nun fröſtelnd, in dem weißen, decolle⸗ tirten Atlaskeid. Ich wollte kein ausgeſchnittenes Kleid, ich war doch zu mager. Es wäre eleganter dekretirte meine Mutter und damit baſta. Der hohe, ſteife Myrthenkranz auf dem glatten Scheitel ſtand mir nicht, der lange Schleier war zu ſchwer, er zog mir den Hinterkopf herunter. Ich meine, mein Blick muß trübe geweſen ſein, als ich mich in den Räumen umblickte, die ich nun für immer verlaſſen ſollte. Kein Schatten von Weh⸗ muth oder Rührung zog durch mein Gemüth. Da war kein Winkel, kein Menſch, an den ſich liebe Er⸗ innerungen für mich knüpften. Mit überquellender Bitterkeit empfand ich, daß ich kein Zuhauſe gehabt. Mein Blick fiel auf die Hochzeitsgeſchenke, die eine lange Tafel bedeckten, Geſchenke wie ſie damals 126 üblich waren: Eine Lampe, noch eine Lampe und noch eine. Und kleine Löffel und große Löffel und Meſſer und Gabel, und ein Cognacſervice, und noch ein Cognacſervice, und eine Bowle. Ein Scherz⸗ bold hatte einen mit einem Damenſchuhanzieher zu⸗ ſammengebundenen Stiefelknecht geſtiftet, u. ſ. w. Von Herzen kam nichts, zu Herzen ging nichts. Um 1 Uhr ſollte die Trauung ſein. Von elf Uhr an mußte ich fix und fertig in vollem Staat da⸗ ſtehen, zur Brautſchau. Und das Hausperſonal, und all die Leute, die ab und zu in unſerm Haushalt beſchäftigt waren, traten an: Die Dienſtmädchen, die Näherin, die Plätterin, die Friſeurin, die Waſchfrauen, ſogar die Hökerfrau. Und die Näherin brachte ihre Tochter mit und die Plätterin ihre Nichte. Und die Freundinnen meiner Schweſtern kamen auch. Und alle waren in Extaſe über mein weißes Atlaskleid mit der Schleppe, und ſie ſagten alle nichts, und ich ſagte auch nichts, und ich fühlte wie von der Kälte meine Naſe roth wurde. Und zuletzt kam die Großmutter in dem grün⸗ blauen Changeant, mit einer rieſigen neuen Haube, und ihr Geſchenk beſtand in einem ſinnigen Scherz: Ein Futteral, und wie ich es aufmachte, purzelten aneinander gereiht, ein Dutzend ganz kleiner Püppchen heraus. Das war zu viel. Bebend lief ich aus dem Zimmer, und meine Hand taſtete an dem Myrthen⸗ kranz mit der Luſt ihn abzureißen. Und nun das Schrecklichſte. 127 Die Gäſte waren verſammelt. Der Brautwagen ſtand vor der Thür. Walter war nicht da. Eine Viertelſtunde nach der andern verrann', er kam nicht. Mein Vater ſah fortwährend zum Fenſter heraus, meine Mutter war böſe. Die Gäſte flüſterten und ſahen geſpannt und neugierig zu mir herüber. Mir ſtand das Herz beinah ſtill. Ich glaubte beſtimmt, die Hochzeit wäre Walter in der zwölften Stunde leid geworden, und er würde gar nicht kommen. Er kam aber doch, als es faſt ſchon zu ſpät war. Ungeheuer vergnügt kam er. Er hatte ſich bei einem Abſchiedsfrühſtück mit Freunden (Abſchied vom Jung⸗ geſellenſtande) einfach verſpätet. Unſagbar wie vergnügt er ausſah. Meine Stimmung ſank immer tiefer. Die Trauung: Der Schnee hatte ſich in feinen Regen gelöſt. Naßkalt und trübe war's draußen. Naßkalt und trübe die Atmoſphäre in der kahlen Kirche. Eine Menge fremder Leute waren gekommen, der feierlichen Handlung beizuwohnen, darunter die Näherin mit der Tochter, die Plätterin mit der Nichte, und die Freundinnen meiner Schweſtern, die immerzu kicherten. Sie kamen mit triefenden Schirmen und Regenmänteln, und theilten der ganzen Kirche die muffige Atmoſphäre von abgeſtandener Näſſe mit. Ein halbes Dutzen Kerzen vor dem Altar tauchten das Emporinm in trübe Dämmerung. Gemeſſen, faſt wie zu einer Trauerfeier, ſchritt der Brautzug aus der Sakriſtei zu den Plätzen vor dem Altar. Ueber die Steinflieſen rauſchten die 128 ſeidenen Kleider der Damen. Und alle hatten ſo ſtrenge, wichtige Geſichter, als wäre ihre Gegenwart bei der Hochzeit maßgebend. Ich war Nebenſache. Die kleinen Geſchwiſter mit Blumenſträußen. Der Küſter ordnete meine Schleppe. Mich fror. Die Traurede: Die herkömmlichen Phraſen von Liebe und Treue, von heiligen Pflichten, Gehorſam, Demuth, Ewigkeit und Gottvertranen. Warum ſingen die Prediger nicht ihre Trau⸗ und Trauerreden? etwa im Recitativton eines Opern⸗Wotan? es würde viel eindrucksvoller ſein. War das meine Hochzeit? Stand ich da vor dem Altar? Ich war nicht dabei. Und als es zum Jaſagen kam, ängſtigte ich mich ſo, Walter könne in ſeiner unbezähmbaren Heiterkeit anſtatt „Ja“ „Na ob“ — oder „I wo“ — oder etwas ähnliches ſagen. Er ſprach ſo gern berliniſch Nur in den Orgeltönen am Anfang und am Schluß der Feier, da war etwas von weicher, mit⸗ leidiger Menſchenliebe, und wären nur Walter, ich und die Orgel in der Kirche geweſen, es wäre wohl echte Hochzeitsſtimmung über mich gekommen. Wo es in der Seele der Braut feierlich ſingt und klingt, wären gerade nur die Chöre von Lohen⸗ grin's Brautgeſang gut genug. Während der Trauung mußte ich daran denken, wie ich früher mit ſolcher Seligkeit empfunden: ich werde lieben. Liebte ich jetzt? Vielleicht, wenn die Kirche nicht ſo häßlich, die Dohm, Schickſal einer Seele. 9 129 Rede nicht ſo hohl, Walter nicht ſo vergnügt, und überhaupt alles anders geweſen wäre. Mein Phantaſie⸗ leben hatte mich in gewiſſeu Sinn veräußerlicht. Das Hochzeitsmahl: Zehn bis zwölf beim Koch beſtellte Gänge. Am Anfang des Mahls Stille, Steifheit. All⸗ mählich aber ſchmolz das Eis, und mit jedem weiteren Glas Champagner ein Creſcendo von Heiterkeit, die ſchließlich zu einem toll luſtigen Spektakel ausartete. Und all die rothen, erhitzten Geſichter, die oft zwei⸗ deutigen Scherze, das Knattern der Knallbonbons, das ausgelaſſene Gelächter, die Toaſte mit donnern⸗ den Hoch's und klirrenden Gläſern — es gemahnte beinah an ein kleines Bacchusfeſt, Bacchus aber nicht als dyoniſiſcher Jüngling gedacht, viel eher Bacchus mit dem Schmeerbäuchlein und der rothen Naſe, auf einer Tonne reitend. War das meine Hochzeit? Saß ich an dieſer Tafel und aß und trank mechaniſch? Ich war nicht dabei. Und Walter? Der hatte mir gleich nach der Trauung Vorwürfe gemacht, (halbſcherzend) daß meine Schweſtern hübſcher ausſähen als ich. Er hatte ja recht. Eine verſtimmte Braut mit einer rothen Naſe. Während des Mahl's war er ganz der liebens⸗ würdige und geſchmeidige Weltmann. Keine zehn Minuten blieb er an meiner Seite. Ich war ihm ſo dankbar dafür. Ich war immer in Angſt man könnte mich an⸗ ſehen. Da man ſich aber für Walter mehr inter⸗ 130 eſſirte als für mich, zog er die Aufmerkſamkeit von mir ab. Er ging von einem zum andern, plauderte aufs lebhafteſte, ſtieß mit den Großen und den Kleinen an, aß ein Vielliebchen mit dem Engelsköpfchen, küßte meine Schweſtern durch die Bank, und entzückte alle. Entſchieden — ich war nicht dabei. Walter war mir wie in eine weite Ferne entrückt. Siehſt du Arnold, ſo wurden in gut bürgerlichen Familien die Hochzeiten begangen. Und man feiert ſie noch immer, dieſe Hochzeitsfeſte, die nicht geſchmack⸗ voller ſind, als es früher die Leichenſchmäuſe waren, und ſie bilden einen ſo ſchreienden Contraſt zu dem Seelenbild eines jungfräulichen Mädchens, das mit dem geliebten Mann vor den Altar tritt: Ein Pſalm in Knittelverſen. Ich meine, ein Mädchen muß ſehr tief und ſehr innig lieben, wenn ſolche Feſte mit ihrem vulgären Trara nicht bis in die junge Ehe hinein ihre Schatten werfen ſollen. Auch ſpäter, als Walter mit mir im Wagen ſaß, blieb er noch immer für mich in eine Ferne entrückt wie an der Hochzeitstafel. Ich empfand im eigent⸗ lichſten Sinne nichts — gar nichts, abſolut nichts. Ich war nicht dabei. Und als er meine Hand in der ſeinen hielt, und ſo laut und übermütig von dem Glück ſprach, daß ich nun ganz ſein wäre, ſein geliebtes Weib — ſchwieg ich. Ich war wie eine Uhr, die man vergeſſen hat aufzuziehen. Dieſer inneren Eingefrorenheit lag nicht etwa 9* 131 eine Abwehr gegen Walter, oder ſonſt irgend etwas ihm unfreundliches zu Grunde. Durchaus nicht. Die Schneeflocken, die ſo einſchläfernd niederrieſelten, trugen zu der Hypnoſe bei, und daß er ſo laut ſprach, und der Reflex der Laternen auf ſeinen neuen Lack⸗ ſtiefeln und daß er Wein getrunken hatte, und daß ich von all dem Ungemach der Hochzeitsfeier körper⸗ lich erſchöpft war. Die Hauptſache aber: meine Seele hatte ſich wieder in ihr Schneckenhaus verkrochen. Das that ſie immer, wenn ſie die Fühlhörner herausſtreckte, und die Atmoſphäre nicht warm und rein genug fand. Daß dieſe Fahrt je ein Ende nehmen, daß ich aus dieſer Starrheit je wieder zu mir kommen würde, konnte ich mir gar nicht vorſtellen. Zu Hauſe! — In jedem der drei Zimmer brannte eine Lampe, die eine roch ein wenig nach Petroleum. Auf dem Tiſch im Wohnzimmer ein großes, buntes Bouquet in einer Papiermanſchette. Die Möbel ſtan⸗ den alle am richtigen Platz. Der Schreibtiſch am Fenſter. An der großen Mittelwand das Sopha mit grünem Rips bezogen, davor der Tiſch mit einer grünen Ripsdecke, zu beiden Seiten je ein Fauteuil, auch mit grünem Rips bezogen. Vor den Fenſtern broſchirte weiße Gardinen. Und noch ein paar Stühle, und ein Schränkchen und ein — Nähtiſch. Am zweiten Fenſter ſtand er, mein Feind. Und ein Spieltiſch. Sollte ich denn Karten ſpielen? Das aber muß ich zum Lobe der Wohnung ſagen, es hingen keine Oeldruckbilder an den Wänden, überhaupt 132 gar nichts; dagegen — das merkte ich erſt in den nächſten Tagen — kam nie ein Sonuenſtrahl in dieſe Nordzimmer. Ein Kanarienvogel und ein Blumentiſch, das wäre ſo nett geweſen. Ein Blumentopf mit recht viel blühenden Roſenknospen hätt's auch gethan, oder ein rother Schirm über einer der drei Petroleumlampen, oder gar keine Lampe, und nur der Mond. Aber ein Mädchen war da, das Mädchen für Alles. Sie ſtand auf der Schwelle, und ſchmunzelte ſo komiſch, und hatte ſo runde neugierige Augen, und mit den dicken rothen Händen wollte ſie mir den Myrthenkranz abnehmen. Und ſie nannte mich Madame (das „Gnädige Frau“ war noch nicht Mode) Ich eine Madame! Gräßlich. Daß man noch nicht einmal darauf gekommen iſt an Hochzeitsabenden das Mädchen für Alles ein⸗ zuſperren. Und überhaupt — ach! Ueber das, was ich für Walter empfand, war ich mir damals nicht klar. Jetzt bin ich klar. Ich liebte ihn eigentlich nicht. Aber ich hatte ihn lieb, ſicher keinen andern auf der Welt lieber als ihn. Keinen Menſchen lieb zu haben geht doch nicht. Und ich wollte ihn immer mehr lieben, recht aus Herzens⸗ grund. Es ſcheint, daß gewiſſe uns anerzogene Begriffe auch ganz beſtimmte Gefühlsregiſter in uns aufziehen. 133 Daß ich nun ſein Weib war, ſchon dieſe Vorſtellung allein entband einen Strom herzlicher Empfindungen in mir. In den erſten Wochen meiner jungen Ehe hatte ich oft Thränen in den Augen. Thränen des Glücks? Nein. Thränen einer reinen, ich möchte ſagen frommen Rührung. Ein Orgelton war in meiner Stimmung, auch etwas Harfe. Es rührten mich auch meine eigenen ſo ſehr edlen Grundſätze. Die beſte, pflicht⸗ getreueſte aller Frauen wollte ich werden. Und daß der Alpdruck des elterlichen Hauſes von mir genommen, daß ein neues Leben vor mir lag, und daß der Früh⸗ ling da war. Auch Kindiſches, Grünjunges lief dabei mitunter: Der weißſeidene Hut mit dem Hyacinthenzweig, und das feine, bläuliche ſeidene Kleid, das ich nun alle Tage tragen durfte. Und der Stolz darauf, daß ich eine junge Frau war. Ich ging ſogar damit um, kleine Häubchen zu tragen, damit jeder gleich merken ſollte, daß ich eine junge Frau war. Und daß ich ſo hübſch war, das freute mich auch. Ich ſchwöre Dir Arnold, nie hat eine Frau mehr Talent zur Gattin gehabt als ich. Schade nur, daß zwei dazu gehören, um ein ſolches Talent aus⸗ zuüben. Es hätte ſo wenig bedurft eine Muſtergattin aus mir zu machen. So viel quellende Demuth und Zärtlichkeit war in mir. Ich fühlte mich als ſeine Sache. Mich an ſeine Bruſt zu ſchmiegen, ihm zu folgen, immer zu folgen, weiter wollte ich nichts. 134 Sinnliches war kaum dabei. Das war nicht gut ſeinetwegen. Ich war ein Kind, ein unbeſchriebenes Blatt. Und doch ganz fraulich geſtimmt, mit einem Stich ins Kleinbürgerliche. Denn auch Küche und Speiſe⸗ kammer, Walters Oberhemden, die Suche nach den billigſten Einkaufsquellen, und ob die Wäſche beſſer außer dem Hauſe oder im Hauſe zu waſchen ſei, das alles fand Raum in meiner hochgeſtimmten Bruſt. Ich wünſchte mir lebhaft einen Bouillontopf und einen Fiſchkeſſel, die meine Mutter natürlich vergeſſen hatte. Allzu lange hielt die feiertägliche Stimmung nicht an. Eine herbe Wirklichkeit rüttelte mich auf. Das Ziel von Walters Ehrgeiz war die Er⸗ oberung der Bühne. Sein erſtes Stück war ſchon vor unſrer Verlobung aufgeführt, aber vom Publikum abgelehnt worden. Die Vorbereitungen zur Auf⸗ führung des zweiten — er verſprach ſich einen außer⸗ ordentlichen Erfolg davon — nahmen, faſt unmittel⸗ bar nach unſrer Verheirathung, ſeine ganze Zeit und ſein ganzes Intereſſe in Anſpruch. Nicht nur leitete er alle Proben, er ſchrieb auch, wie er ſelbſt ſagte, ſeine Stücke zur Hälfte auf der Probe ſelbſt. Die größeren Rollen ſtudirte er den Schauſpielern und Schauſpielerinnen ein. Schon in den erſten Wochen unſrer Ehe kam er 135 unregelmäßig nach Hauſe. Oft wartete ich ſtunden⸗ lang mit dem Mittageſſen auf ihn. Ich hätte es für eine Verletzung meiner Hausfrauenpflicht gehalten, mich ohne ihn zu Tiſch zu ſetzen. So hungerte ich mich ab, und kam er gar nicht, würgte ich ſpäter das verpruzelte Zeug trübſelig allein herunter. Sein zweites Schauſpiel hatte einen großen Er⸗ folg. Damit hoben ſich nicht nur ſeine Finanzen, ſondern auch ſeine geſellſchaftliche Stellung. Walter hatte, ungefähr bis zum Zeitpunkt unſerer Verheirathung, in einer gewiſſen Enge und Unfreiheit gelebt, die teils durch ſeine Lehrerſtellung, theils durch ſein ſchmales Einkommen bedingt wurden. Dieſe Beſchränkungen fielen nun fort, und ſein eigentliches Weſen entwickelte ſich mit überraſchender Schnelligkeit, ſowohl in ſeinen Vorzügen wie in ſeinen Schwächen. Er wurde außerordentlich nervös, bis zur Krankhaftigkeit nervös, und dieſe Nervoſität kehrte ſich hauptſächlich gegen mich. Ich fing an mich vor ihm zu fürchten, wie ich mich vor meiner Mutter ge⸗ fürchtet hatte. Nervöſe Menſchen ſind ſo unberechenbar. Was ſie heut freut, ärgert ſie morgen. Ich ängſtigte mich wenn eine ſchlechte Kritik über ihn in der Zeitung ſtand. Er war dann immer ſo böſe auf mich. Ich wußte nie, was ich in einem gegebenen Augenblick zu thun oder zu laſſen hatte, ob ich heiter ſein ſollte oder ernſt, ob reden oder ſchweigen. Ich plauderte etwa bei Tiſch von kleinen, wirt⸗ ſchaftlichen Vorfällen. „Du willſt wohl Converſation 136 machen?“ ſagte er, „bitte incommodir dich nicht. Ich brach jäh ab. Schwieg ich, ſo fragte er, ob wir bei einem Leichenſchmaus ſäßen. Einmal, als er mir aufgeräumt vorkam, erzählte ich ihm ein kleines Abenteuer, das mir auf der Straße paſſirt war: ein juuger Mann, der mich verfolgte U. ſ. w. Walter ſah ſpöttiſch drein. Und erzählte mir nun ſeinerſeits ein Abenteuer, das er an dem ſelben Tage erlebt: eine königliche Prinzeſſin, die im Vorüber⸗ fahren, ihm die Roſe, die ſie in der Hand hielt, zu⸗ geworfen u. ſ. w., eine völlig unmögliche Geſchichte. Ich war ganz verdutzt, und brauchte einige Mi⸗ nuten, ehe ich verſtand, daß er meine Mittheilung geſchmacklos gefunden, und mir eine Lektion hatte geben wollen. Seitdem hütete ich mich, ähnliche kleine Erlebniſſe zu ſeiner Kenntniß zu bringen. Walter iſt einer der lauteſten Menſchen. Auch in ſeinem Zimmer ſchrie alles. Bücher, Stöcke, Ciga⸗ retten, Aſche, Zeitungen, Briefcouverts, Handſchuh, bunt durcheinander geworfen, auf Stühlen, Tiſchen, dem Fußboden, machten den Eindruck von Lärm. Je ſtiller es um ihn her war, je nervöſer fühlte er ſich. Getöſe beruhigte ihn förmlich, er brauchte es. Darum fiel ihm meine Schweigſamkeit oft auf die Nerven. Auch alle ſeine Erlebniſſe hatten etwas Lärmendes, Aeußerliches. Nichts ging in der Stille vor ſich. Alle Welt wußte davon. In den erſten Monaten unſerer Ehe bewies mir 137 Walter eine paſſionirte Zuneigung. Das änderte ſich raſch. Daß wir ſo wenig zuſammenſtimmten, ich eine der Stillſten im Lande, er einer der Lauteſten — dieſer Gegenſatz wäre zu überbrücken geweſen, wenn er mich einfach und ehrlich lieb gehabt hätte. Ich wartete immer darauf, daß er ſagen würde: „meine liebe, liebe Marlene.“ Und ich wäre ſein geweſen mit Leib und Seele. Er liebte mich wohl in einer Art, aber es war nicht meine Art. In den meiſten Fällen, wo die Ehe zwei nicht zuſammengehörige Menſchen vereint, gehören wohl Jahre dazu, ehe ihr Verhältniß, nach mancherlei Schwan⸗ kungen, Experimenten und Kämpfen eine dauernde Geſtalt annimmt, ſei es eine freundliche oder feindliche. So war es nicht bei uns. Von Kämpfen und Experimenten konnte nicht die Rede ſein, aus dem einfachen Grunde nicht, weil Walter auf gar keinen Widerſtand ſtieß, weil ich mich völlig paſſiv verhielt. Nach kaum ſechs Monaten hatten unſere Bezieh⸗ ungen ſich ſo herausgebildet, wie ſie dreizehn Jahr hindurch, bis zu meiner Abreiſe von Berlin, im weſent⸗ lichen geblieben ſind, Beziehungen, wie er ſie ſchuf, er ſie wollte, nicht ich. Ich wollte nichts als ſeine liebe, pflichtgetreuſte Frau ſein. Ach, wäre ich es auch geworden, er hätte für ſolch eine Perle gar keine Verwendung gehabt. Ein funkelnder, falſcher Rubin wäre ihm lieber geweſen. 138 Wenn er zu irgend einer beliebigen Nachtſtunde nach Hauſe kam, und er fand mich, zuſammengekauert in einem Fauteuil oder auf der Chaiſelongue, wartend, immer wartend, ſo ſah er mich zuweilen ſo ſonderbar an, als müßte er ſich beſinnen, wer ich eigentlich wäre, und was ich da wollte in ſeiner Wohnung, und ich las in ſeinen Blicken: ja, mein Gott, was ſoll ich denn nun lebenslang mit dieſer kleinen Perſon da! Ein ander Mal erſchreckte er mich durch einen plötzlichen Ausbruch verliebter Launen. Und ich wußte doch, daß er mich nicht liebte, ja mehr, daß er mich nie geliebt hatte, die kurze Zeit halber Verliebtheit, während unſrer heimlichen Verlobung, abgerechnet. Warum hatte er mich geheirathet? Ja warum? Ich habe eine feine, feine Witterung für das, was ein Menſch denkt; hier aber ſtand ich vor einem Räthſel. Ich grübelte darüber, womit ich ihm läſtig fiel. Woran hinderte ich ihn? Ich fand nichts. Es ver⸗ droß ihn wohl nur die Thatſache, daß er verheirathet war. Er wäre ſo ſehr gern unverheirathet geweſen. Aber war er denn verheirathet? Ich war's; er — kaum. Er war ja frei, frei wie der Vogel in der Luft. Ich habe nie den leiſeſten Verſuch gemacht, ihn in ſeiner Freiheit zu beſchränken. Was er auch gegen mich thun mochte, kein Vor⸗ wurf iſt je über meine Lippen gekommen. Ich merkte, er wollte eine tüchtige, wirtſchaftliche Frau. Er hatte die Anſicht, ich verſtände nichts. 139 Ich wollte ihm das Gegentheil beweiſen, und wurde eminent wirthſchaftlich. Wie es bei meiner Mutter üblich geweſen, verhängte ich alle 4 Wochen ein großes Reinmachen über das Haus. Und ich klopfte und ſcheuerte und rieb und ſeifte aus Leibeskräften, um die Wette mit unſerm Mädchen für Alles. Ich meinte, das wäre wirthſchaftlich, wenn man ſich ſo recht abarbeite. Hinterher konnte ich dann vor Ueber⸗ anſtrengung und Nervenerregung nicht ſchlafen. Einmal, als ich in einer derben Küchenſchürze, hochroth im Geſicht, gerade einen Beſen gegen ein Spinngewebe ſchwang, klingelte es. Ich öffnete. Ein elegant gekleideter Herr wünſchte der Herrſchaft ge⸗ meldet zu werden. Er hielt mich für das Dienſt⸗ mädchen. Ich ließ ihn zu Walter herein, hoffend, daß mein Gatte mich nicht bemerken würde. Aber er bemerkte mich und warf mir einen Blick zu, einen böſen, geringſchätzigen. Der Beſen fiel mir aus der Hand. Wenn ich recht nachdenke, ja — meine Tugenden haben mir mehr Leid gebracht, als alles Unrecht, das ich mir ſpäter zuſchulden kommen ließ. Als Ehemann hatte Walter eine ſtark tyranniſche Ader. Zwar befahl er ſelten direkt: „Thu dies oder laß jenes.“ Oft ſogar wenn ich ihn um ſeine Meinung fragte antwortete er: „thu was du willſt.“ Dann aber, das wußte ich genau, durfte ich am allerwenigſten thun, wozu ich Luſt hatte. Ich ſpähte immer in ſeinen Zügen nach ſeinem Willen, ſeinen Wünſchen, und bald wußte ich, auch 140 in Betreff der geringfügigſten Dinge, was ich in einem gegebenen Augenblicke zu thun oder zu laſſen hatte. Z. B. wenn Walter gelegentlich eines be⸗ ſonders ehrenvollen Beſuches irgend welche Delikateſſen beſorgt hatte, Caviar oder eine ſehr teure Weinſorte, ſo hütete ich mich wohl, bei Tiſch davon zu nehmen. Es hätte ihn geärgert. Delikateſſen waren nicht für mich. Daß ich Caviar unvernünftig gern aß, war eben eine Anmaßung meinerſeits. Ich wollte auch durchaus kochen lernen, vertiefte mich in Kochbücher und brütete über Menüs. Was ſo ein Kochbuch complicirt iſt! Wie ſollte ich denn nun den Reis machen? à la milanese oder auf franzöſiſche Art? Und die Klopſe? Königsberger oder mit einer Sardellenſauce? Und wenn ich dann mein Erlerntes in der Küche auf die Feuerprobe ſtellen wollte, ſo warf die Köchin die Kaſſerollen durch⸗ einander, und zeigte ganz unverholen, daß Madams nicht in die Küche gehören. Und einmal verſteckte ſie einen gefüllten Hecht vor mir, den ich ihr abſehen wollte. Sie ließ ſich eben nichts abſehen. Darnach faßte ich einen Widerwillen gegen alle Wirthſchaftsangelegenheiten, und ein paar Wochen ließ ich alles gehen, wie es gehen wollte bis ein Zorn⸗ ausbruch Walters über eine zu ſpät angerichtete oder angebrannte Speiſe mich wieder in's Geſchirr trieb. Ueberhaupt, für alle Verſäumniſſe in Küche und Haushalt machte er mich verantwortlich. Ich hatte doch aber nicht Köchin gelernt. Schien ihm ein Gericht nicht reichlich genug, ſo aß er ganz tückiſch 141 nichts davon, fragte, ob ich etwa wie der Heiland mit einem Brot Tauſende ſpeiſen wollte, und ging — in ein Reſtaurant. Einmal waren Motten in einen ſeiner Röcke ge⸗ kommen. Darüber wurde er ganz wild, und um mich zu ſtrafen, ſprach er einige Tage kein Wort mit mir. Er ſtrafte mich immer wie man Kinder ſtraft! Ich erkundigte mich in einer Drogueriehandlung nach dem beſten Mittel zur Vertreibung der Motten. Naphtalin rieht man mir. Alſo verſah ich das corpus delicti mit Naphtalin. So wüthend wie an dieſem Tage habe ich Walter ſelten geſehen. Ob Naphtalin die Motten vertriebe, wiſſe er nicht, die Menſchen vertriebe es ſicher. Ich ging zu meiner Mutter und fragte ſie um Rath. Ich ſollte die Sachen täglich tüchtig klopfen und lüften laſſen, war ihre verſtändige Meinung. Als ich zu Hauſe der Auguſte mit dem Klopfen kam, wurde die auch böſe, wegen der Scheererei mit dem Klopfen. Immer waren alle Menſchen böſe auf mich. Meine Mutter — nein, die war nicht mehr böſe auf mich. Die verſorgte Tochter, ging ſie nicht mehr viel an. Seit dem Tage der Hochzeit war ihr Verhältniß zu mir ein freundliches geworden, wenn ſie auch nicht die geringſte Theilnahme für mein in⸗ timeres Schickſal an den Tag legte. Wie ſollte ſie auch? Sie erfuhr ja nichts davon, und war jeden⸗ falls der Meinung, daß wie in ihrer Ehe, ſo auch in der meinigen alles von ſelbſt gehen würde. Ich 142 beſuchte ſie ab und zu, und war ihr immer will⸗ kommen. Zu mir kam ſie nur, um mir nach meinen Entbindungen, wie andere Bekannte auch, einen pflicht⸗ ſchuldigen Beſuch zu machen. In Betreff der Dienſtboten konnte auch ſie mir keinen Rath geben, wenigſtens waren ihre Rathſchläge nicht ausführbar für mich. Sie war für heilige Donnerwetter; noch mit dem borſtigſten dieſer Bieſter (das Wort Bieſt muß damals im Schwange geweſen ſein) wäre ſie fertig geworden. Die Donnerwetter lagen mir nun einmal nicht. Ach, und überhaupt, dieſe ſchreckliche, unabſehbare Reihe von Lina's, Anna's, Auguſten, Jetten, an denen all meine Hausfrauentugenden ſcheiterten. Sehr Wohlwollende verglichen mich wohl mit der kleinen Dora aus David Copperfield, der ſo ganz Wirthſchaftsunkundigen, die dabei ſo kindlich und ahnungslos war. Ich ähnelte ihr aber in Wirklichkeit nicht im ge⸗ ringſten. Mag ſein, daß ich keine beſondere Hausfrau war, aber ich empfand meinen Mangel tief und litt darunter. Ich hatte Verſtändniß und Intereſſe für einen wohlgeordneten Haushalt, für gut zubereitete Speiſen, für Zierlichkeit und Eleganz. Alle meine Hausfrauenmängel hatten eine einzige Quelle: meinen Charakter, meine feige Schwäche. 143 Ich, ſelber Magd, mehr als die Dienſtmädchen, ich ſollte nun plötzlich robuſten, ramaſſirten Frauens⸗ perſonen gegenüber ein Herrſchertalent entfalten! Ich habe bis auf den heutigen Tag nicht gelernt, Untergebene zu ihren Pflichten anzuhalten. Mäßig gute Mädchen, die bei andern Hausfrauen vielleicht Perlen geworden wären, bei mir verwahrloſten ſie in kurzer Zeit. Sie fühlten, da war kein Zügel. Unſere erſte, die Auguſte, war eine Trauerweide. „Ach Gott, ne, ich bin nu mal ſo weichlich,“ ſagte ſie, und ſie weinte, wenn der Pudding nicht aufging, ſie weinte wenn Walter auf ein paar Tage verreiſte, oder wenn es an ihrem Ausgehtag regnete, und ſie war ſchon immer auf der Lauer mit ihren Thränen, wenn wir einen Brief mit ſchwarzem Rand bekamen, und ſichtlich enttäuſcht, wenn nichts rechts geſtorben war. Kochen aber konnte ſie weniger; war das Fleiſch zähe, und ich murmelte einen leiſen Vorwurf, ſo be⸗ teuerte ſie ihre Unſchuld damit, daß ſie doch nicht in dem Fleiſch drin ſtecke. Walter aber ſchien ent⸗ ſchieden zu verlangen, daß ich darin ſtecken ſollte. Wie ja auch im Leben Luſt und Trauer wechſeln, ſo fügte es ſich, daß auf die triſte Auguſte die luſtige Anna folgte, der es ſo gänzlich an herrſchaftlicher Servierkunſt fehlte, daß Walter mich für die ſchlechteſte aller Hausfrauen erklärte. Und ich hatte ihr doch ſo oft vorgehalten, daß man die Sardellen nicht unge⸗ wäſſert, den Haſenrücken nicht ungebrochen, und die Radieschen nicht in einem Seifennäpfchen auf den Tiſch bringen dürfe. Die Beafſteaks richtete ſie auf 144 einem Deſertteller mit blauem Rand an, die geriebenen Kartoffeln, in einem Klumpen zuſammengeballt, auf einem Teller mit einem grünen Rand. Und ſie ließ ſich ſo gar nichts ſagen, weil ſie ſich doch gute Be⸗ handlung ausgemacht hätte. Wenn ich beſcheiden tadelte, wurde ſie gleich grob. Walter hielt es für eine glückliche Schickſals⸗ fügung, als ſie ſich beim Anheizen der Maſchine mit Petroleum, arg verbrannte, und in's Krankenhaus mußte. Sehr viel Glück kam dabei nicht für uns heraus, denn ihre Nachfolgerin, die Jette, huldigte der An⸗ ſicht, ein Menſch, der etwas auf ſich hielte, müſſe eine Deviſe haben, ſo eine, wie immer in den Knall⸗ bonbons ſtände. Und ihre Deviſe wäre: „Man immer propper!“ Erſt ſagte ſie, müſſe alles vor Sauberkeit blinken, eher eſſe ſie nicht; ſo wäre ſie nu mal, und das ſagten Alle von ihr. Und ſie wuſch und ſcheuerte wirklich den ganzen Tag, aber ihr Beſen, ihre Scheuerlappen, ihr Spül⸗ waſſer, alles war ſchmutzig und das ganze Haus roch nach Schmierſeife nnd ſchmutzigem Waſſer. Sie wuſch ſich auch ſehr oft die Hände, aber mit Petroleum, weil ſie aufgeſprungen waren. Und als Walter eines Tages dazu kam, wie ſie in unſerm Wohnzimmer mit ihren Petroleumhänden ſämmtliche Semmeln an⸗ knackte, bis ſie die braunſte und knusperigſte gefunden, die ſie dann gegen ihre blonde, lappige umtauſchte, ließ Walter ihre Entſchuldigung, daß ſie die braunen und knusperigen eben lieber äße, um ſo weniger gelten, Dohm, Schickſal einer Seele. 10 145 als er ſie auch eben lieber aß, und ich mußte ihr kündigen. Die Dienſtmädchen, die ſahen mich auch mit Walters Augen. Sie warteten immer wie weit ſie gehen könnten, gerade wie die andern Menſchen auch. Keine Spur von Reſpekt. Mußte es mich nicht kränken, daß die eine — ſie hieß Bertha — ſich ruhig in Erwartung ihres Nachmittagſchläfchens auf ihrem Bett weiter räkelte, wenn ich zufällig an ihrer Kammer vorbeikam. Und daß ſich Toni heimlich in ihre Kemenate ein eiſernes Oefchen ſetzen ließ, für den Landsmann wahrſcheinlich, der ſie häufig beſuchte — war auch nicht ſchön. Bis die Schäferſtunde ſchlug verſteckte ſie ihn bei einer Flurnachbarin, der ſie ſich dann durch kleine Geſchenke an Kohlen, Petroleum, Butter, Zucker erkenntlich zeigte. Einen Couſin oder Landsmann hatten ſie alle, alle, und ich lebte in beſtändiger Furcht, daß ich ſie einmal mit einem der lieben Verwandten über⸗ raſchen könnte. Jemanden zu ertappen iſt mir von jeher gräßlich geweſen. Die Fürchterlichſten aber waren die Unehrlichen, und es gab ihrer ſo viele. O Emilie! o Lina! und vor allem o Lene! die hatte mir beim Miethen mit ſolchem Feuer ihre Ehrlichkeit gerühmt. An ihren Fingern bliebe nichts kleben! Ihr könne man alles anvertrauen. Und ich vertraute ihr alles an. Es 146 fiel mir wohl auf, daß ſie fortwährend größere und kleinere Kiſten in die Heimath ſchickte, ich dachte aber nichts Böſes dabei. Und ſie hätte uns wohl ruinirt, wenn nicht eines Tages ein Schutzmann ſie abgeholt hätte wegen Diebſtähle, die ſie in einem Laden verübt. Mußte ich einem Mädchen kündigen, ſo ſchlug mir immer im Moment der That das Herz bis zum Halſe hinauf, als ob ich einen hinterliſtigen Ueber⸗ fall beabſichtigte. Wunderſt Du Dich, daß ich all dieſe kleinen Miſeren des Auſſchreibens für werth halte? Du weißt ja nicht Arnold, daß für den Frieden oder den Un⸗ frieden eines Hausſtandes, ja für das Glück einer bürgerlichen Ehe, die Dienſtboten einen der wichtigſten Faktoren abgeben. Identificirte mich doch Walter immer mit ihnen. Er ſagte nie anders als: „Ihr.“ Ihr verſteht nicht zu kochen, Ihr verſteht nicht ein⸗ zukaufen u. ſ. w. Meine ſo ſehr wirthſchaftliche, praktiſche Mutter hatte nie an die hauswirthſchaftliche Ausbildung ihrer Töchter gedacht. Wir mußten im Haushalt das thun, was ihr im Augenblick bequem war: Strümpfe um⸗ kehren, ſticken, Schoten aushülſen, Bohnen brechen, lauter Dinge, bei denen nichts zu lernen war. Man legt oft unerfahrenen jungen Frauen zur Laſt, was von den überkommenen Gewohnheiten des Elternhauſes an ihnen haften geblieben iſt. Mir hafteten unter andern die Menüs der Mama an. Einmal hatte Walter einen Vetter von außer⸗ halb zu Tiſch geladen. Ich ſtellte meiner Meinung 10* 147 nach ein köſtliches Mahl zuſammen: Apfelſuppe, Bouletten (vom Rindfleiſch des vorhergehenden Tages mit geriebenen Kartoffeln und Eierkuchen mit Mus⸗ ſauce. Ich aß das alles ſehr gern. Und an die Apfelſuppe hatte ich ſogar Rum gegoſſen. Walter aber ſchämte ſich dieſes Menü's vor ſeinem Vetter, beſonders der Musſauce, nnd nannte es ſcheußlich. Er behauptete ſogar, die Bouletten wären ſchlecht gebraten geweſen, was durchaus nicht der Fall war. Daß die Köchinnen ſo oft ſchlecht kochten war doch nicht meine Schuld. Mit einem andern Menü, zu Ehren eines andern Gaſtes erntete ich auch kein Lob, und ich hatte damit doch gerade die Scharte der Musſauce auswetzen wollen. Hätteſt Du das ſo arg gefunden: Eine kräftige Bouillon — wirklich kräftig. Maccaroni mit Schinken. Konnte ich darauf kommen, daß Auguſte auch in die Bouillon Nudeln thun würde, obwohl es nur ganz dünne Fadennudelchen waren, die doch nur eine entfernte Aehnlichkeit mit Maccaroni haben. Walter fand aber dieſe Aehnlichkeit frappant, und goß die ganze Laune ſeines Spottes über dieſe Univerſal⸗ Vernudlung aus, ein Spott, der nach Jahren noch Nachläufer zeitigte. Ich ſah den Mahlzeiten meiſt ſorgenvoll ent⸗ gegen, immer auf den Augenblick wartend, wo Walter Meſſer und Gabel niederlegen, und nach dem Mädchen klingeln würde. Ich wußte was nun kam. „Auguſte, 148 das Zeug iſt ungenießbar, bringen Sie mir ſechs rohe Eier.“ Und er trank ſie ſo recht boshaft vor meinen Augen aus und ſagte: „Das hat die Natur herrlich eingerichtet, daß die Liebe zweier Geſchöpfe (er meinte Henne und Hahn) ſo angenehm ſein kann — für einen Dritten. Es ſcheint, das einzige, wozu ich als Hausfrau taugte, war andern Hausfrauen als Folie zu dienen. Nach Walter's Behauptung brauchten ſämmtliche Frauen ſeiner Bekanntſchaft weniger Wirthſchaftsgeld als ich, und leiſteten dafür das doppelte. In manchen Dingen war er naiver als ich. Daß dieſe Damen einfach die Unwahrheit ſagten, da⸗ rauf kam er nicht. Als ich in ſpäteren Jahren eine recht paſſable Hausfrau geworden war, z. B. in der Kunſt Menü's zuſammenzuſtellen, geradezu hervorragendes leiſtete, ſtand mein Ruf als ſchlechte Hausfrau ſchon ſo feſt, daß nichts ihn mehr zu erſchüttern vermochte. Unter allen möglichen Hausfrauentugenden ſtrebte ich auch die Sparſamkeit an. Mühſelig, pfennigweis ſparte ich, ſo recht klein⸗ bürgerlich, hausfrauenhaft. Ich verſagte mir Zucker zum Thee und Kaffee, auch ein Kleid, an dem meine Phantaſie, um nicht zu ſagen mein Herz hing, oder eine Droſchke wenn ich totmüde war. Ich hatte eine wahre Luſt an jedem Groſchen, der in die thönerne Sparbüchſe klapperte. Und als aus den Pfennigen Thaler geworden waren, da kaufte ich Walter zu ſeinem Geburtstag eine Statuette, die er ſehr bewundert 149 hatte. Was er wohl ſagen würde? Ach, er ſagte gar nichts, ſah aber verdrießlich aus. Und ich las ſeine Gedanken: Er wollte mir kein freundliches Ge⸗ fühl verdanken, ſich von mir keine Verpflichtung auf⸗ erlegen laſſen. Ich ſparte von neuem. Diesmal galt es einer Wiener Kaffeemaſchine, die ich mir ſchon lange, bei⸗ nah leidenſchaftlich gewünſcht hatte, ſo eine von blinkendem Meſſing. Nach Jahr und Tag hatte ich die erforderliche Summe beiſammen. Und als ich ſie nun wirklich beſaß, die blinkende Kaffeemaſchine, da bemerkte ich mit betrübter Verwunderung, daß der Wunſch eigent⸗ lich ſchon verjährt war. Ich machte mir gar nichts mehr aus dem Ding. Sie galt auch nicht mehr für zweckmäßig. Nicht das Schickſal der meiſten Wünſche? Auch von Wünſchen gilt: heute roth, morgen todt. Ich kam ſelten mit dem Wirthſchaftsgeld aus, darum ſuchte ich immer nach billigen Quellen. Ich erinnere mich, wie glücklich ich eines Tages nach Hauſe kam, als ich auf dem Markt, im Schweiß meines Angeſichtes, eine Faſanenhenne für einen Thaler erhandelt hatte. Die Lina — ſie war der Auguſte auf den Fuß gefolgt, die neben mir ſtand, hatte bei dem Handel ſo verbiſſen geſchwiegen, als wollte ſie ſagen: handle Du nur, da wird was Schönes herauskommen. Sie briet die Henne aber doch ſchön braun. Ich war geſpannt auf Walters freudige Ueberraſchung. An einem Wochentag Faſan! Und in meinem 150 Eifer ſagte ich gleich: „Und denke Dir nur, der ganze Faſan hat nur einen Thaler gekoſtet.“ Er ließ die Gabel, mit der er eben den erſten Biſſen zum Mund geführt hatte, fallen, „Natürlich, ſagte er höhniſch, für einen Thaler hat ſie auch das Recht, ein bischen zu ſtinken.“ Ich war wie vom Donner gerührt, und würgte mit meinen Thränen große Stücke der ſo ſchwer verdächtigten Henne herunter. Es war gar nicht ſo arg, ſie hatte nur einen kleinen Stich, und ich habe heute noch die Lina im Verdacht, daß ſie ſie abſichtlich in die Sonne gelegt, um ihr und mir den Stich beizubringen. Ein andrer Sparverſuch trug mir auch nicht viel ein. Im Hinterhaus bei uus wohnte eine arme Schneiderfrau, die ſchwärmte mir von einem ſo billigen Mehl vor, das ſie in Steglitz (ein Vorort Berlin's) in einer Mühle kaufe, und wenn ich davon profitiren wolle, würde ſie mir gern ihren kleinen Jungen mit einem Wägelchen mitgeben. Die Vorſtellung des billigen Mehls ließ mir keine Ruhe, und eines Morgens in aller Frühe ſah ich mich mit dem Schneiderjungen und dem Wägelchen auf dem Wege nach Steglitz. Die Mühle lag vor dem Oertchen. Der Hinweg in der Morgenfrühe war angenehm. Wanderluſt und Frühlingsluft belebten mich, und daß das achtjährige Jüngelchen immerzu allerhand Wünſche und Bedürfniſſe hatte, ging ſo hin. Ich fand die Mühle und kaufte 10 Pfund Mehl wobei ich ganze 10 Silbergroſchen erſparte; nicht ganz ſo 151 viel, wenn ich die Taſſe Milch und die Butterbrote abziehe, die ich dem Jungen, der ſo ſehr hungerte, geben ließ. — Dann der Rückweg. Ein Dornenweg war's. Dornen: die Sonne die immer heißer brannte, Dornen: meine wunden Füße, Dornen: das Gewicht des Mehl's. Oft mußte ich unterwegs auf einem Stein raſten, weil ich nicht weiter konnte; der Schweiß rann mir von der Stirn, der Staub der in⸗ zwiſchen belebten Chauſſee trocknete mir die Kehle aus. Halb todt kam ich nach Hauſe. Am Thorweg ſtand die Schneidersfrau und bat mich, ihr doch das billige Mehl abzulaſſen; ſie hätte augenblicklich kein Körnchen im Hauſe. Gleich am andern Morgen wolle ſie nach Steglitz, ſie würde mir dann das volle Gewicht retour geben. Und ich gab ihr das Mehl, und ſie hat es mir nie retour gegeben. In den erſten beiden Jahren unſrer Ehe blieb ich faſt ganz einſam. Ich ſchwor auf jedes Wort, das Walter mir ſagte. Und er ſagte, ich paſſe nicht für die Kreiſe, die er im Intereſſe ſeines Berufs frequentiren müſſe, und dabei ließ er durchblicken, daß dieſe Kreiſe zu locker, zu frivol, daß ſie nicht gut genug für mich wären. In den Vormittagſtunden pflegte Walter zu arbeiten. Wenn er dann ausging, verſprach er zum Mittageſſen zu Hauſe zu ſein. Er hielt ſelten Wort. 152 Die Abende verbrachte er regelmäßig außer dem Hauſe. Ich wartete jeden Abend auf ihn. Ich blieb auf bis ein Uhr, zwei Uhr, oder noch ſpäter in der Nacht, auf jedes Geräuſch lauſchend. Und hörte ich dann die Hausthür gehen, ſo ſchlüpfte ich eilig in's Bett, damit er nicht merken ſollte, daß ich auf ihn gewartet. Er hatte es mir ja verboten. Jeden Abend deckte ich zierlich den Tiſch für ihn, ſtellte ein Glas mit Blumen hin und Wein, kalten Aufſchnitt, und eine Lampe mit buntent Schirm. Ich glaube, er hat dieſe Herrlichkeiten nie bemerkt, nie den Aufſchnitt berührt, ich aß ihn dann immer am andern Abend. Ich hatte viel Zeit. Handarbeiten brauchte ich nicht mehr zu machen. Da hätte ich ja nun ernſthaft an meine Geiſtescultur gehen können. Ein wahres Bildungsfieber erfaßte mich. Walter hatte eine gute Bibliothek. Ich griff hinein à la fortune du pauvre, und langte mir abwechſelnd hiſtoriſche, naturwiſſen⸗ ſchaftliche, philoſophiſche Bücher. Ein Allzuhungriger, der ſich eilig vollſtopft, er⸗ nährt ſich ſchlecht. So ging es mir. Es war ein unſtätes Hin und Her. Ich hätte jetzt meine Bücher nicht mehr zu ver⸗ ſtecken brauchen. Und doch that ich es oft, zum Theil aus alter Gewohnheit, aber auch weil ich Walters Spott fürchtete. Ich höre immer noch ſein „Ah“ oder „Na ja“ dem er ſo verſchiedene Nüancen zu geben wußte, geringſchätzig mitleidige, oder mali⸗ 153 ciöſe, je nachdem er einen faden Roman oder ein philoſophiſches Buch in meinen Händen fand. Mit ſeinem Spott über die philoſophiſchen Bücher, die ich zu leſen verſuchte, hatte er nicht ganz unrecht. Aus dieſer ascetiſchen Sprache eines Kant oder Hegel ſtarrten die Ideen mich ſo ſkeletartig an. Mochte das Knochengefüge bewunderungswürdig ſein, es mit Fleiſch und Blut zu bekleiden war zu mühevoll für die Unbefugte, die ohne Vorſtufen in das Allerheiligſte dieſer Gedankentempel dringen wollte. Könnte es nicht Philoſophen geben, die ihre Gedanken gewiſſermaßen dichteten? Sollte nicht, wer in die lichteſten Höhen ſteigt, leichtbeſchwingt ſein? Sie aber ſind alle Taucher, die mit ſchwerem, compli⸗ cirtem Rüſtzeug ſich wuchtig in die Tieſe ſenken, wohin nur wieder Taucher ihnen folgen können. Was für ein Entzücken müßte es ſein große Gedanken zu empfangen wie Muſik, die ſich in unſer Hirn ſchmeichelt, wie Wogen des Licht's, die unſere Finſter⸗ niſſe hinwegfluten. Mir fehlte es auch für ernſte Lektüre an Ruhe. Immer war mein Sinnen und Trachten auf Walter gerichtet, und auf meine Hausfrauenpflichten. Datauchte vielleicht plötzlich mitten in einem ſchwierigen philoſo⸗ phiſchen Syſtem, ein Stück Käſe vor meinem inneren Auge auf, das ich vergeſſen hatte unter die Glasglocke zu ſtellen, oder der Schreck über das Bier, das wieder einmal nicht auf Eis lag, überwog das Intereſſe an Kant's Zeit⸗ und Raumproblemen. Da griff ich dann immer bald wieder zu meinen lieben Schmökern zurück, 154 zur Hahn⸗Hahn, der Marlit, die eben aufkam, und ähnlich Gearteten. Wie mollig waren dieſe Damen, wie köſtlich und weich bettete man ſich in dieſer nie exiſtirenden Welt voll reizender Abenteuer, die immer in lauter Seligkeiten endeten. Ach ja, Arnold, es iſt ſchon in meiner Natur eine Note Colportage⸗Roman. Haſt Du das nicht bemerkt? Auf die Dauer aber bewirkte die Ueberladung mit dieſem ſchalen ſüßen Zeug das Verlangen nach Starkem, Kräftigem, nach einer geiſtigen Gymnaſtik. In Ermanglung von etwas anderm, ſuchte ich Zuflucht bei meinem mimiſchen Talent. Ich weiß beſtimmt, ich wäre eine hervorragende Schauſpielerin geworden. Ich improviſirte pantomi⸗ niſche Tänze, oder Soloſcenen, wo nicht nur meine Augen in ſchönem Wahnſinn rollten, ſondern auch — um im Jargon meiner Liebesbriefe zu reden — ewige Ge⸗ fühle, wie der Geſang wilder Schwäne, durch meine Seele rauſchten. Die ganze Stufenleiter menſchlicher Gemüthsaffekte brachte ich zum Ausdruck. Süßes und Leiſes, koſend Schmeichelndes, Verzückung, Verzweiflung, Wahnſinn, Tod. Wahnſinn, oder ein ſchmerzlich poetiſches Hinſterben gelangen mir am beſten. Wenn ich dabei zufällig in den Spiegel blickte, erſchrak ich zuweilen buchſtäblich über die Dämonie meiner Ge⸗ bärde, oder über die Agonie in meinen brechenden Augen. Einmal, als ich wohl meinen Gefühlen zu ſehr die Zügel ſchießen ließ, kam plötzlich die Lina (Nachfolgerin 155 von Auguſte) in's Zimmer geſtürzt: „Gott, Gott, was is denn los?“ Seitdem dämpfte ich die Aus⸗ brüche meiner Seelenbrände einigermaßen. Ich war noch ſo jung. Ich hätte noch Schau⸗ ſpielerin werden können. Walter's etwaiger Wider⸗ ſtand hätte ſich leicht beſeitigen laſſen. Wäre nur jemand dageweſen, der die Sache in die Hand ge⸗ nommen, der ihn von meinem Genie überzeugt hätte! Ich ſelbſt? Ach nein. Die leichteſte Gegenrede ent⸗ muthigte mich ja gleich. Wenn man auf eine Schnecke Zucker ſtreut, ſo fließt ſie auseinander. So war ich. Nur brauchte es gerade nicht Zucker zu ſein. Uebrigens nahm ich es mir nicht ſehr zu Herzen, daß ich dieſen Beruf verfehlte, ich wollte ja mehr werden als Schau⸗ ſpielerin — Dichterin. Bei allem was ich that und nicht that, verlor ich dieſes Ziel keinen Angenblick aus den Augen. Es würde ſchon kommen. Vor⸗ läufig freilich — ich fabulirte zwar endlos, ſobald ich aber die Feder in die Hand nahm war alles ver⸗ flogen. Die Tinte war der ſchwarze Mann, vor dem meine Gedanken davonliefen. In die erſten Monate meiner Ehe fiel ein kleines Ereigniß, das ich damals abſolut nicht ver⸗ ſtand. Ich ſchreibe es hin, ſo unbedeutend es iſt, weil es einen Zug zu Walters Charakterbild liefert. Er kam eines Abends ganz überraſchend, ſchon gegen zehn Uhr nach Hauſe, mit einem ſonderbaren, 156 etwas verlegenem Weſen. Ich ſolle mich ſo ſchnell und ſo hübſch als möglich anziehen. Er habe draußen die Droſchke warten laſſen. Ein kleiner Kreis ſeiner Bekannten wolle mich kennen lernen. In zehn Minuten war ich fertig. Ein am Halſe geſchloſſenes ſchwarzes Seidenkleid, mein ge⸗ liebtes, herzförmiges Medaillon, und dazu noch eine Uhr mit goldener Kette. Kleine Spießbürgereien liefen immer bei mir mit unter. In der Droſchke war Walter gegen ſeine Ge⸗ wohnheit ſehr geſprächig. Ich würde einige reizende Künſtlerinnen und ſehr liebenswürdige Kavaliere kennen lernen, und er erwarte, daß ich mich nicht wie ein kleines Penſionsmädchen benehmen werde. Die Droſchke hielt vor einem eleganten Reſtau⸗ rant unter den Linden. Walter führte mich in ein behagliches, kleines Cabinet, wo auf Sopha's und Fauteuil's fünf Perſonen, drei Damen und zwei Herren, um einen zierlich ſervirten Tiſch ſaßen. Die Atmoſphäre war ſtark parfümirt. In Eiskübeln Champagner. Die ſehr hübſchen Damen hatten duf⸗ tende Sträuße in den Händen. Zwei kannte ich von der Bühne her, die dritte, Fräulein Claus, war Ge⸗ ſangsſoubrette. Die Herren wurden mir als Graf A. und Baron B. vorgeſtellt. Mein Erſcheinen erregte Senſation. Ich fühlte wie alle dieſe Augen mich durchbohrten, mich taxirten, und ich fühlte auch, daß ich bei dem Examen gut be⸗ ſtand. Es war etwas in dem Verhalten der Geſell⸗ ſchaft mir gegenüber, das mit ihrem Geſichtsausdruck 157 contraſtirte. Sie ſahen aus wie Leute, die man in einer Feſtſtimmung jäh unterbrochen. Die Damen, in faſt ſteifer Reſervirtheit blieben ſchweigſam, in einer Weiſe, als wüßten ſie nicht, was ſie ſagen ſollten, während die Herren in faſt übertriebener Wohlerzogenheit die liebenswürdigſten Worte und Fragen an mich richteten. Mein Platz war neben Fräulein Claus, die mich von Anfang an mit einer an Zärtlichkeit grenzenden Aufmerkſamkeit behandelte. Sie hatte ein feines bleiches Geſicht, eine Nymphengeſtalt, ſüße Veilchen⸗ augen, und ſtrömte einen ſtarken Jasmingeruch aus. Ihre Toilette war ein indefinirbares Etwas von Buntem, Glitzerndem, Flatterndem; man hätte dabei an einen geplatzten Regenbogen denken können. Ich nahm mich auf's äußerſte zuſammen, um nicht Walters Mißfallen zu erregen, und antwortete degagirter und gewandter als es ſonſt meine Art war. Ich weiß nicht wie es kam, aber dieſe Leute ſchüchterten mich nicht ein. Vielleicht weil ich in ihren Blicken ſo viel Wohlgefallen las. Allmählich aber wurde das Intereſſe für mich ſchwächer, und ſchließlich ſchien man mich beinah zu vergeſſen. Man ſprach von Perſonen, von Verhält⸗ niſſen, die mir ganz unbekannt waren, in einem Wirrwarr von Lachen, Anſpielungen, Geſten, deren Sinn ich nicht faßte. Die Damen wurden ſehr aus⸗ gelaſſen, die Herren immer läſſiger in ihrer Haltung. Sie neigten ſich ſo ſonderbar und vertraut zu den Damen nieder. Fräulein Claus ſang franzöſiſche Couplets, von 158 denen ich keine Silbe verſtand. Ich fühlte in dieſer Atmo⸗ ſphäre etwas Fremdes, Betäubendes, das mich beklommen und zugleich neugierig machte. Der Graf ließ ſeine Serviette fallen, und als er ſie auflangte, fühlte ich einen Augenblick ſeine Hand auf meinem Knie. Er war ungeſchickt, der Herr Graf, denn bald darauf be⸗ läſtigte er mich mit ſeinem Fuß. „Herr Graf das war mein Fuß, nicht der Tiſchfuß,“ ſagte ich ohne Arg. Er wurde ſehr roth. Die andern lachten. Walter ſtand mit einer gewiſſen Heftigkeit auf. Er müſſe fort. Fräulein Claus ſchloß ſich uns an. Das ſchien Walter augenſcheinlich nicht recht. Ich weiß nicht, warum ich Fräulein Claus ſo ſehr gefiel. Mit ihren Händen ſtrich ſie liebkoſend an meinem Kleid entlang, und lehnte ihre Wange an die meine. Walter fuhr ſie ein paar mal grob an: ſie ſolle mich in Ruhe laſſen. Als die Droſchke vor unſerer Thür hielt fragte ſie, ob Walter, nachdem er mich hinaufbegleitet, ſie nicht nach Hauſe fahren wolle. Er ſchlug es kurz ab. „Glaub's ſchon“ lachte ſie. Und zu mir gewendet: „Wie lange ſind Sie denn verheirathet! „Sechs Wochen. „Ach ſo — na — viel Vergnügen,“ Sie lachte wie ein Kobold. Zum erſten Mal ſah ich Walter mir gegenüber verlegen, und ſeit langer Zeit zum erſten Mal ſagte er mir ſogar etwas Schmeichelhaftes: ich wäre ihm wie ein Stern unter Irrlichtern vorgekommen. Es war in ſeiner Zuneigung an dieſem Abend ein 159 Körnchen wahrer Zärtlichkeit. Ich empfand mich als ſeine Gattin. Es iſt ſo leicht für den Mann die Liebe ſeiner Frau zu gewinnen. Ihn zu lieben hat ſie ſo nöthig — — ach Du weißt ja, was ich nicht ſagen mag. Nach Jahren erſt verſtand ich den Sinn dieſes kleinen Soupers, und wie ich da hineingerieth. Wahr⸗ ſcheinlich hatte man Walter mit ſeiner Frau geneckt, die ein Scheuſal ſein müſſe, weil er ſie verſtecke. Und als er das Scheuſal beſtritt, war man in ihn gedrungen mich in figura vorzuführen. Und er hatte mich dieſen Courtiſanen nnd ihren Liebhabern vor⸗ geführt. Und Frl. Claus — — höre nur: Einige Monate nach dieſem Souper erhielt ich einen ano⸗ nymen Brief. Darin ſtand, daß mein Gatte ſeine Abende bei ſeiner Geliebten zubringe. Straße und Nummer des Hauſes, in dem ſie wohnte, waren be⸗ zeichnet. In meiner Vorſtelluug waren Roman und Wirk⸗ lichkeit etwas ganz getrenntes, beinah Gegenſätze. In Romanen, — ja — da gab's Treu⸗ und Ehe⸗ brüche, die ja dann auch in der Regel an den Sündern fürchterlich gerochen wurden. Dafür waren es eben Romane. Aber im wirklichen Leben — undenkbar! Und nun gar in meine beſcheidene Exiſtenz hinein ſollte ein Ehebruch ſpielen! Unſinn! der Brief war eine Myſtifikation, die Rache eines verſchmähten Lieb⸗ habers der Dame, oder dergleichen. Der Prozeß, der ſich nun in meiner Seele ab⸗ ſpielte, iſt gewiß nicht neu. Ich zerriß den Brie; 160 verächtlich, in der Ueberzeugung, damit auch jeden Gedanken an ſeinen Inhalt beſeitigt zu haben. Aber der Keim des Mißtrauens war geſät. Er wuchs, und eines Abends lenkte ich unwillkürlich meine Schritte in die Friedrichſtraße. Ich ging an dem bezeichneten Haus vorüber, kehrte aber gleich wieder um. Nein — ſo weit war ich denn doch noch nicht geſunken — Spionage! Pfui! Eine Woche ſpäter war ich ſo tief geſunken. Dem Haus gegenüber ſchritt ich in der Friedrichſtraße wohl zwei Stunden auf und ab. Nichts. Beruhigt und reuig wollte ich den Heimweg antreten. Eine Droſchke hielt vor dem Hauſe. Walter ſtieg aus mit — Frl Claus. Alsbald verſchwanden ſie im Haus⸗ flur. Ich wartete eine lange Weile. Vielleicht hatte er ſie nur nach Hauſe begleitet. Er kam nicht wieder heraus. Ich entfernte mich mit dem Gefühl etwas Außerordentliches, Unglaubliches erlebt zu haben. Der⸗ gleichen geſchah alſo wirklich: Ehebruch! Es war meine erſte Lektion in Welt⸗ und Menſchen⸗ kenntniß. Ich war über alle Maßen aufgeregt. Grämte ich mich? wenn ich ehrlich ſein will — nein. Das Romanhafte des Erlebniſſes beſchäftigte mich vorzugsweiſe. Mit Spannung erwartete ich an dem Abend Walter's Nachhauſekommen. Ich meinte, er würde mit ſeinem böſen Gewiſſen ſich gleichſam in die Wohnung hineinſchleichen, ganz leiſe, damit ich ihn nicht höre. Dohm, Schickſal einer Seele. 11 161 Es mochte gegen drei Uhr in der Nacht ſein, als er kam, wie immer mit vielem Geräuſch, eine heitere Melodie ſummend; und wie immer warf er mit Gepolter ſeine Stiefel auf die Dielen. Am andern Tag betrachtete ich ihn mit einem Gemiſch von Schrecken und Neugierde, wie eine Roman⸗ figur. So alſo ſieht ein Menſch aus, der die Ehe bricht. Ach Arnold, zehn Jahre ſpäter hätte ich eher Neugierde empfunden, wie ein Mann ausſieht, der ſie nicht bricht. Ich war anderthalb Jahr verheirathet als mein erſtes Kindchen geboren wurde. Dabei geſchah etwas Schauerliches. Ob es wirklich war, oder nur ein Gebilde meiner kranken Phantaſie, weiß ich heut noch nicht. Meine Entbindung war eine ſchwere geweſen. Fieber ſtellte ſich ein. Eines Morgens war das Fieber verſchwunden. Ein leichter Schlummer umfing mich. Irgend ein Geräuſch weckte mich. Ich hörte wie der Arzt zu Walter ſagte, er hoffe ſeine liebe Frau ſei jetzt über dem Berg, käme aber das Fieber wieder, ſo ſtände er für nichts. Jede auch die kleinſte Aufregung müſſe vermieden werden, beſonders Abends. Er machte Walter dafür verantwortlich. Ich wußte, daß ein Kindbettfieber gefährlich iſt. Ich wollte nicht ſterben, und ich nahm mir feſt vor, mich durch nichts aufregen zu laſſen. 162 Es war der fünfte Tag. An den vorangegangenen Abenden war Walter ſehr ſpät, und lärmend, wie es ſeine Gewohnheit war, nach Hauſe gekommen. Dieſe Liebloſigkeit hatte mich aufgeregt. Ich bat ihn in⸗ ſtändig in den nächſten 2—3 Tagen nicht ſpäter als um neun Uhr heim zu kommen. Er verſprach's. Der Tag verging gut. Am Nachmittag war Walter ausgegangen. Sobald die Dunkelheit einbrach, wurde ich unruhig. Man brachte mir die Abendſuppe nicht zur rechten Zeit, und als ſie endlich kam, war ſie angebrannt; eine ſolche Kleinigkeit, aber ſie erregte mich. Mit aller Anſtrengung ſuchte ich der Erregung Herr zu werden. Es ſchlug neun. Walter war nicht da. Ich verſuchte krampfhaft an etwas anderes zu denken, an das kleine Geſchöpfchen da in der Wiege, und wie es heißen ſollte, und was ich anziehen würde, wenn ich zum erſten Mal wieder aufſtehen durfte. Hätten die Uhren nur nicht geſchlagen: Halb zehn, zehn, halb elf — — Ich konnte nicht mehr. Das Fieber! es kam, ſtärker, viel ſtärker als am Abend vorher. Um zwölf hörte ich ihn kommen. Ich ſetzte mich im Bett auf. Ob er noch zu mir eintreten würde? Ja, er trat ein. Wie es mir ginge? Gut ſagte ich. Sonderbar, er ſchien gar nicht erfreut darüber. Nur eine kleine Nachtlampe brannte. Ich ſah aber ſo deutlich ſeine Züge, als ob es heller Tag geweſen wäre. Ich las darin eine kalte, grauſame Neugierde. Und er hob an zu ſprechen. Er ſprach lange; mir war's als ſpräche er eine halbe Ewigkeit. In ſeinen Worten war Bohrendes, wie Meſſerſtiche oder wie 11* 163 ziſchende Flammen, die gierige Zungen nach mir ſtreckten, aber das Bohrende und Ziſchende prallte immer von etwas ab, ich wußte nicht was es war. Später wußte ich's, das Fieber war's, das mich be⸗ täubte. So viel ich auch ſpäter darüber ſann, ich konnte mich ſeiner Worte nicht mehr erinnern. Ich meine aber, er ſprach unaufhörlich von unſrer unglücklichen Ehe. Ich hatte die Empfindung, er ſtände gar nicht im Zimmer, ſondern auf dem Hof, vor dem offenen Fenſter, und von da ſpräche er hinein zu mir, und zwar in Verſen. Zuweilen klopfte es an mein Ohr wie Trommelwirbel bei einem Leichenbegängniß. Ein ander mal ſchienen die Worte langſam wie ein Laſt⸗ wagen durch mein Gehirn zu fahren. Dazwiſchen aber hatte ich Momente völligen Wachſeins. Dann war etwas diaboliſch ſchadenfrohes in meiner Vor⸗ ſtellung; ich hatte förmlich einen Spaß an ſeinen zweckloſen Bemühungen, und ich dachte: rede Du nur, rede, es macht mir ja nicht den geringſten Eindruck. Ich ſterbe nicht daran, nun gerade nicht! Ich wußte beſtimmt, ich würde nicht ſterben. Und ich ſtarb ja auch nicht. Wollte er mich tödten? war Mord in ſeinen Gedanken? oder war er nur angeheitert, und darum ſo betrübſam redſelig, ohne zu wiſſen was er redete? — Ich überwand das Fieber. Ich hatte eine zu gute Conſtitution. Aber meine Geneſung ging ſehr langſam von Statten. Walter ſchien zu glauben, daß ich meine Schwäche fingirte. Das kränkte mich, und 164 ich zwang mich zu Anſtrengungen, denen ich nicht gewachſen war. Von dieſem Mangel an Schonung datirt der Verfall meiner Geſundheit, die nie wieder blühend geworden iſt. Aber ich hatte ja das Kind, das geliebte! Noch jahrelang nach meiner Verheirathung freute ich mich wie in meinen Mädchenjahren auf die Schlafenszeit, um im Bett ungeſtört an den Traum⸗ bildern künftigen Glücks zu ſchaffen, die ſich ſo leuchtend von dem dunklen Grund der Wirklichkeit ab⸗ hoben. Aber ich träumte nicht mehr ſo ausſchließlich wie früher. Ich hatte ſogar Tage, wo ich dieſer nebligen Hirngeſpinſte überdrüſſig wurde, wo ich begriff, daß ſolche imaginären Luſtbarkeiten doch nur Zwiſchen⸗ ſpiele ſein konnten, und der Vorhang vor dem eigent⸗ lichen Stück noch gar nicht aufgezogen war. Und ein jäher Schreck durchzuckte mich, ich könnte am Ende zu ſpät zur Aufführung kommen, oder wenigſtens den beſten Akt verſäumen. Allmählich änderte ſich wirklich mein Leben. Die Stille um mich her hörte auf. Den erſten Anlaß dazu gab ein Studiengenoſſe und Corpsbruder Walters, der aus einer kleinen Stadt an das Amtsgericht in 165 Berlin verſetzt worden war, und der uns mit ſeiner jungen Frau beſuchte. Die Frau Amtsrichter Worms nahm mich unter ihre Protektion. Wir luden uns gegenſeitig ein. In ihrem Haus trafen wir viele Menſchen, darunter inter⸗ eſſante, liebenswürdige. Einige Familien kamen mir mit großem Wohlwollen entgegen. Daß Walter mich nirgend eingeführt, hatte zu dem Gerücht Anlaß ge⸗ geben, ich ſei nicht präſentabel, und es ſcheint, man fand mich nun doch präſentabel. Als das Eis einmal gebrochen war, lud Walter alle möglichen Leute zu uns ein. Es freute ihn augenſcheinlich, ein Haus zu machen, und ich war weit entfernt ihm zu widerſtreben. Da er die Leute nach ſeinem Geſchmack auswählte, waren es elegante, routinirte, in allen Tagesfragen bewanderte Geſell⸗ ſchaftsmenſchen, unter denen ich mich als Fremde fühlte. In anſpruchsloſere, weniger weltliche Kreiſe hätte ich mich vielleicht eher hineingefunden. Mit einer Art Fieber ging ich in den erſten Jahren in jede Geſellſchaft, immer mit der kindiſchen Erwartung, daß da irgend etwas Schönes, Aufregen⸗ des, Auserleſenes ſich begeben würde. Kaum aber umfing mich das Geräuſch und die Lichtfülle der Ge⸗ ſellſchaftsräume, ſo gerieth ich in Verwirrung. Meine Gedanken ſchwirrten umher wie aufgeſcheuchte Vögel. Ich wußte ja kaum etwas von den Intereſſen, die dieſe Kreiſe bewegten, nichts von Politik, von Theater, Klatſch, Perſönlichkeiten. Wendete ſich ausnahms⸗ 166 weiſe das Geſpräch abſtrakten Gegenſtänden zu, ſo nahm ich gleich lebhaften Antheil daran — in Ge⸗ danken. Selber reden? nein. Es erſchreckte mich ſchon, wenn die andern ſchwiegen, plötzlich meine laute Stimme zu hören. Meine Schüchternheit war die Klippe, an der all meine etwaigen, geſelligen Talente ſcheiterten. Ich wollte mich gar nicht verſtecken. Nur ſchüchtern war ich, ſo über alle Maßen, ſo unſinnig ſchüchtern. Mein Gott, was war denn dieſe Schüchternheit? Furcht anzuſtoßen? Nein. Auch die lange Gewohnheit des Michverkriechens wäre keine ausreichende Erklärung für dieſe Schüchternheit geweſen, die grundloſeſte, ſchrecklichſte, lächerlichſte aller Eigenſchaften, die je einen Menſchen unglücklich gemacht haben. Eine Nervenlähmung oder Nervenüberſpannung iſt ſie, eine Art Scheintod der geiſtigen Fähigkeiten. Ich höre, ſehe, verſtehe, und kann keinen Laut über die Lippen bringen; eine Geiſtesverfaſſung, verwandt mit dem ſcheinbaren Trotz der Kinder, die, wenn ſie um ein erſehntes Stück Kuchen zu erlangen, ſagen ſollen „bitt ſchön“, die zwei kleinen Worte nicht ſagen, und wenn man ſie halb todt ſchlüge. Schüchterten mich etwa die Menſchen ein, weil ich ſie ſo hoch über mir ſah? Durchaus nicht. Ich muß lächeln, wenn ich an viele Leute denke, die mir ſo ſehr imponirten, und die doch ſo ſehr belang⸗ los waren, Leute wie unter andern eine Frau Bronowski. Sie war nichts weniger als vornehmen Herkommens, ſtammte aus einem kleinen Neſt in 167 Poſen, und hatte, die Allüren, wenn nicht einer Prin⸗ zeſſin, ſo doch einer principessa. Sie war wunder⸗ ſchön, aber ſteif und einfältig, trug auserleſene Toiletten, und ſtrahlte in Perlen und Diamanten⸗ pracht. Steife Gebundenheit macht uns im allgemeinen leicht befangen, weil ſie ſich uns mittheilt. Mehr aber noch ſetzen uns die Prätenſionen ſo vieler Menſchen in Verlegenheit, wenn ſie im grellen Mißverhältniß zu ihrem wirklichen Werth ſtehen. Es iſt peinlich, ihnen den Zoll der Bewunderung, den zu fordern ſie ſich berechtigt glauben, nicht entrichten zu können; und entrichten wir ihn aus feiger Höflichkeit, ſo leiden wir unter dem malaise der uns aufgezwungenen Heuchelei. Vor einem Jeſus von Nazareth, oder ſonſt einem Abgeſandten aus einer Welt, die jenſeits aller Conven⸗ tion liegt, wäre ich ſicher nicht ſchüchtern geweſen. Wo wir ganz Glauben, Begeiſterung, ehrfürchtige Liebe ſind, beſinnen wir uns gar nicht auf uns ſelber. Es ſchüchterte mich auch ein, daß ich mich in der geiſtigen Luft unſrer Kreiſe nicht orien⸗ tiren konnte, daß ich nicht an. meinem Platz ſtand, daß man mich für etwas anderes nahm, als ich war Hätte ich mich plötzlich in meiner Eigenart gegeben, man würde mir gar nicht geglaubt haben. Ein Fein⸗ fühliger kann nicht reden, wenn man ihn nicht hören mag. Halte jemand für einfältig, und du hinderſt ihn anders zu erſcheinen. 168 Da waren herzlich unbedeutende junge Mädchen, die traten ſo keck und ſicher auf, und man fand die Nichtigkeiten, die ſie vorbrachten, reizend. Sie hatten eben Chik, Routine und Selbſtvertrauen, die mir fehlten. Und daß in dieſen Geſellſchaften alles ſo laut, ſo ſchwül, ſo durcheinander war. Wie eine compakte Maſſe drang die Atmoſphäre auf mich ein, ein Nebel⸗ meer, indem alles ineinander wogte und ſchwamm, ſo daß ich einzelnes nicht unterſcheiden konnte. Schon eine Anſprache verwirrte mich. Wie eingemauert war ich in meiner Schüchternheit, und ich litt unſagbar darunter. Da verdammte man vielleicht in Grund und Boden etwas, das mich be⸗ geiſterte — ein Buch, eine Meinung, eine That; mein Herz erglühte, meine Lippen brannten zu ſagen, was ich dachte und — ich blieb ſtumm — aus Schüchternheit. Ganz einfachen anſpruchsloſen Leuten gegenüber verlor ſich meine Befangenheit einigermaßen. Darum war ich froh, wenn ich mich in Geſellſchaft zu einer alten halbtauben Tante, oder ſonſt zu einer unſcheinbaren kümmerlichen Dame ſetzen konnte, nur um untergebracht zu ſein. Es genirte mich wegen der Hausfrau, wenn niemand ſich um mich bekümmerte. Es iſt der Gaſtgeberin immer unangenehm, wenn ein Gaſt nicht ſelbſt für ſeine Unterhaltung ſorgt, und ihr die Pflicht auferlegt ſich um ihn zu bemühen. Einſamkeit unter Menſchen iſt die drückenſte Einſamkeit. Ohne die andern habe ich wenigſtens mich ſelbſt. Im Gewühl verliere ich auch mich. 169 Oft, wenn ich von meiner Sophaecke aus in das bunte Treiben blickte, dachte ich: Wunderlich, wunder⸗ lich, daß die Leute ſo viel eſſen und trinken, und wie ſie lachen, und ihre Geſichter roth und heiß werden, und die Männer ſich die Schweißperlen von der Stirn wiſchen. Und wunderlich, wunderlich dünkte mich dieſes Flattern und Schwirren, und Sichblähen, dieſe gierig ſuchende Blicke, dieſes ſpielerige, tändelnde Plänkeln um die Liebe herum, als ſpielten ſie wie die Kinder Katz und Maus und Blindekuh und Mokirſtuhl. Aber ſie amüſirten ſich, Alle, Alle. Ich hätte mich auch gern amüſirt, und zuweilen packte mich eine brennende Ungeduld, wie ſie etwa über einen bedeutenden Schauſpieler kommen mag, der unter den Zuſchauern ſitzt, während auf der Bühne ein ſchlechter Schauſpieler ſeine Rolle verhunzt. Oder iſt das Beiſpiel von dem Prinzen im Märchen beſſer, der in ein Ungeheuer verwandelt wurde, und der doch weiß, er iſt gar kein Ungeheuer, ſondern ein lieber, guter Prinz, und der denen, die vor ihm davonlaufen, gern zuriefe: Ich bin ja gar nicht, was Ihr glaubt, ſprecht doch das erlöſende Wort, und ich verwandle mich in den Prinzen. Ach zu mir ſprach niemand das erlöſende Wort. Ich ſelbſt wußte das Wort noch nicht. Später erfuhr ich's. Für ein Ungeheuer hielt man mich nun gerade nicht. Im Gegentheil, Schmeichelworte über meine Schönheit hörte ich bis zum Ueberdruß. Hätteſt Du mich damals in Berlin gekannt, an 170 der kleinen linkiſchen Perſon wärſt Du ſicher auch vorübergegangen. Siehſt Du, häufig, wenn Leute, die mich noch nicht kannten, in eine Geſellſchaft traten, erregte ich ſofort ihre Aufmerkſamkeit. Sie näherten ſich mir mit Befliſſenheit. In meiner Verwirrung ſagte ich dann irgend etwas ganz Banales, Herkömmliches, das gar nicht meine Meinung war, nur um über⸗ haupt etwas zu ſagen, und ehe ich mich noch ſammeln konnte, waren ſie ſchon wieder fort. Die Leute hatten es immer ſo eilig, wollten ſofort eine glänzende Re⸗ plik oder etwas das verſprach. Hätten ſie nur Geduld gehabt, ich würde mich ſchon zurecht gefunden haben, aber während ſie mit mir ſprachen, blickten ſie ſchon immer von mir fort, zu Anderen hinüber. Oft war die Anſprache auch nur eine konventio⸗ nelle Höflichkeit, oder eine flüchtige Huldigung, die meiner äußeren Erſcheinung galt. Und die meiſten hatten auch eine ſo wenig geſchickte ganz ſtereotype Form der Anrede: „Gnädige Frau ſind wirklich be⸗ neidenswerth. „Wie ſo7 „Im Beſitz eines ſolchen Gatten“ — Folgte eine Lobeshymne auf Walter und ſein neueſtes Stück. „O gewiß,“ antwortete ich ebenſo ſtereotyp, und dieſes „gewiß“ mag ja kaum verſprechend ge⸗ weſen ſein. Ich konnte doch aber fremden Menſchen nicht auseinanderſetzen, warum ich, trotzdem man Walter bei der Premiére ſeines letzten Stückes ſechs⸗ mal herausgerufen hatte, gar nicht ſo beneidenswerth 171 war. Da ſich ſolche Erfahrungen oft wiederholten, empfand ich ſchließlich Unbehagen, wenn ſich mir überhaupt jemand näherte, dem ich anſah, das er etwas von mir erwartete, und ich athmete erleichtert auf, wenn der Kelch einer Annäherung an mir vorüberging. Ich merkte es bald, alle Welt ſah mich, wie Walter mich ſah, oder mich geſehen haben wollte. Eine Frau wird auch von Anderen gering taxirt, wenn ihr Mann mit ſeinem Beiſpiel vorangeht. Die Leute denken, der muß doch am beſten wiſſen, was an ihr iſt. Ich kannte einen Schriftſteller, den man einmal (noch dazu ungerechterweiſe) eines Plagiats beſchuldigt hatte. Seitdem ſpähte man in allen ſeinen Schriften nur nach Plagiaten. Mir hatte man Dummheit nachgeſagt. Nun deutete man alles, was ich ſagte, auf Dummheit. Ich verglich im ſtillen, was ich gedacht und nicht ausgeſprochen, mit den ausgeſprochenen Meinungen vieler Anderen. Und meine Waage ſtieg. Ich war überhaupt erſtaunt, wie wenig Bedeutendes und An⸗ regendes in unſern Kreiſen zur Sprache kam, und wie beifällig Oberflächliches aufgenommen wurde. Viel Anekdoten und Geſchichten wurden erzählt. Künſtler und Schriftſteller verhandelten mit wichtiger Breite die geſchäftlichen Seiten ihres Berufs; daneben be⸗ herrſchten Theater, Flirt, Perſönliches, die Unter⸗ haltung. Und kam einmal Wiſſenſchaftliches, Politiſches, Künſtleriſches zur Discuſſion, gleich platzten die Geiſter 172 aufeinander mit Schlachtrufen, Verwundungen, Er⸗ bitterungen, bis zur Luſt moraliſcher Todtſchläge. Dieſe Art der Geſelligkeit hätte mir mißfallen, auch wenn ich nicht ſchüchtern geweſen wäre. Auch Walters Gegenwart beirrte mich. Daß er immer hinhörte wenn ich redete, (warum weiß ich nicht) nahm mir den letzten Reſt von Freiheit. Er war etwas Spitzes, an dem ich mich verwundete, etwas Umfangreiches, das mir Raum und Licht nahm, zu⸗ weilen eine Peitſche, unter der ich zuſammenzuckte. Ich fürchtete mich auch beinah in ſeiner Gegenwart Originelleres, Geiſtreichklingendes vorzubringen. Ich wußte, es würde ihn reizen, vielleicht nur, weil es nicht zuſammenſtimmte mit ſeiner Meinung über mich und er es wie einen Widerſpruch empfunden hätte. Und Widerſpruch konnte er nicht vertragen, am aller⸗ wenigſten von meiner Seite. Riskirte ich aber ein⸗ mal, in einem kleineren Kreis und in einem Augen⸗ bick, wo ich meinte, er achte nicht auf mich, zu ſagen was der Augenblick mir eingab, ſo hatte er es doch gehört, und durch ein ſarkaſtiſches Lächeln oder einen Augenaufſchlag zur Zimmerdecke, als wolle er Gott zum Zeugen meiner Einfalt anrufen, verſchloß er mir gleich wieder die Lippen. Ich litt unter dieſer Geringſchätzung, aber noch mehr unter dem eigenen grenzenloſen Mißtrauen gegen mich, die Folge der Geringſchätzung der Andern. Ich wvar am Ende wirklich eine Gans, nur, daß ich nicht ſchnattern konnte wie die andern Gänſe. Es war doch unmöglich, daß alle, alle blind waren. In 173 meiner Kindheit bildete wenigſtens die Schule, in der ich für ein Licht galt, ein Gegengewicht zu der un⸗ freundlichen Beurtheilung, die ich im Hauſe erfuhr. Zeigte mir einmal jemand wirkliches Intereſſe, ſo flüſterte mir mein Mißtrauen zu: der weiß noch nichts von Dir. Er wird ſchon erfahren, daß nichts mit Dir los iſt und dann — — Oder ich dachte, er kommt nur zu Dir, weil er von Deinem Mann eine Gefälligkeit will, etwa die Beſprechung eines Buches, und er wünſcht Deine Ver⸗ mittlung. Ja, ich ging in meinem Mißtrauen noch weiter. Ich ertappte mich darauf, daß ich gegen die, die mir liebenswürdig entgegenkamen, den Verdacht hegte, daß mit ihnen auch nichts los ſei, und daß ſie ſich nur faute de mieux mit mir abgaben, weil die Andern von ihnen nichts wiſſen wollten. Allgemach aber, je mehr ich ſah und hörte und verſtand, ſtiegen doch wieder Zweifel an meiner Dumm⸗ heit in mir auf. War ich dumm? war ich klug? ich mußte dahinterkommen. Ich ſtellte Experimente an. Ich erſann Liſten; z. B. ich merkte mir beſonders geiſtreiche und tiefſinnige Ausſprüche von Göthe, Schopenhauer, und andern erlauchten Geiſtern, in deren Bücher ich eigens zu dieſem Zweck blätterte. Und wenn ſich im Geſpräch Gelegenheit dazu bot, ſo wendete ich dieſe Ausſprüche an, möglich, daß es in etwas zaghafter Manier geſchah. Und ſieh da — dasſelbe Reſultat, als wenn ich eigene Weisheit pro⸗ ducirte. Man überhörte meine Worte oder lächelte darüber hin, und Walter ſchlug gerade ſo über Göthe'ſche 174 oder Shakeſpeare'ſche Ausſprüche, wie über meine eigenen, die Augen zur Zimmerdecke auf. Aha, dachte ich, es kommt alſo gar nicht darauf an, was geſagt wird, ſondern nur darauf, wer es ſagt, höchſtens kommt noch das wie in Betracht. Es gab noch anderes, das den Glauben an meine Dummheit ins Wanken brachte. Nicht allzu ſelten fand ich in Büchern, in anerkannt guten, Auf⸗ faſſungen, Ideen, Empfindungen, die den meinigen ſo ſehr glichen, daß ich vor Vergnügen dunkelroth wurde. Da konnte ich doch nicht gar ſo einfältig ſein. Nur unwiſſend war ich, unglaublich unwiſſend. Dieſer Unwiſſenheit durch ernſte Arbeit abzuhelfen, war ich zu träge, zu verträumt, zu energielos. Ich hätte ja auch ſelbſt die Wege zur Abhülfe finden müſſen. Ich? ich fand nie etwas. Weder im Hauſe, noch auf der Straße, noch in der Welt habe ich mich je orientiren können. Und weiter: In Charlottens Kreiſe (ach ſo, Du weißt noch nichts von Charlotte, gleich erfährſt du von ihr,) hatte ich meine Redeſcheuheit ſo ziemlich überwunden. Was mir an Ideen, Einfällen, Ur⸗ theilen durch den Kopf fuhr, äußerte ich frank und frei. Man gab mir zu verſtehen oder ſagte es mir unverholen ins Geſicht, daß ich ja doch nur meinem Mann nachſpräche. Ei, dachte ich, ich bin alſo durch⸗ aus nicht dumm. Den Walter haltet Ihr doch für geiſtreich. Meint ihr, ich ſpräche ihm nach, ſo muß euch doch geiſtreich vorkommen was ich ſage. Aber das alles wäre vielleicht nicht hinreichend 175 geweſen, mich in meinen Augen ganz von der Dumm⸗ heit zu entlaſten, wenn Charlotte nicht in mein Schickſal eingegriffen hätte. Du haſt ſie nicht kennen gelernt. Zu deiner Zeit war ſie ſchon meinem Geſichtskreis entſchwunden. Allmählich kam ich mit mir in's Reine. Nein, ich war nicht dumm, eher das Gegentheil. Mochte man mich nun immerhin für einfältig halten, mir lag nicht mehr ſo viel daran. Wenn ich uur wußte, daß ichs nicht war. Und wenn mir nun Kluges oder Originelles einfiel, ſo behielt ich es für mich, ohne jedes Verlangen, es an die große Glocke zu hängen. Ich freute mich über den Erfolg, den ich damit bei mir hatte und dachte nebenher, wenn ich erſt eine berühmte Schriftſtellerin geworden bin, dann werdet Ihr ſchon merken, weß Geiſtes Kind ich bin. Dann aber, und das ſollte meine Rache an der Geſellſchaft ſein — gehe ich in die tiefſte, tiefſte Einſamkeit, den „Beifall des ſchnöden Pöbels (ich citire Platen) ganz verachtend. Es entwickelte ſich bei mir ein geradezu glänzen⸗ der esfiirt de l'escalier. Kam ich von einer Geſellſchaft, in der ich ein ſtummer Zuhörer anregender Geſpräche geweſen war, nach Hauſe, ſo ſetzte ich die Geſpräche in Gedanken fort, und eine ſolche Fülle von Bildern, Argumenten, Worten drang auf mich ein, daß es mich ergriff, auf⸗ regte. Ich genoß mich ſelbſt ſchwelgeriſch. Glaubt man wirklich, daß es nur eine Eitelkeit giebt den Andern gegenüber? Ich weiß es beſſer. 176 Es giebt eine Eitelkeit vor ſich ſelber. Eine witzige Replik, die mir einfiel, und die ich nicht ausſprach, machte mir ebenſo viel Vergnügen, als hätte ich vor einem großen Publikum Beifall damit geerntet. Von der gewöhnlichen Eitelkeit bin ich immer völlig frei geweſen. Es iſt kein Verdienſt dabei. Wie ſollte ich eitel ſein? die ich ſein möchte, kann ich ja doch niemals ſein. Das mir erreichbare lockte mich nicht. Zu wenig wars, viel zu wenig. Während einiger Monate wurde die Geſelligkeit für mich durch die Geburt meines zweiten Kindes unterbrochen: ein kleines Mädchen. Edeltraut nannte ich es. Edel ſollte es werden und doch mir traut. Und ſo wurde es, gerade ſo. Vom Augenblick ſeiner Geburt an liebte ich dieſes Kind unſinnig, mehr als ſein pfiffiges, krausköpfiges, blondes Brüderchen. O Arnold, es giebt eine intime berauſchende Seligkeit, die nie ein Mann kennen lernt, die Selig⸗ keit einer Mutter, die ihren Säugling an der Bruſt hält. Ich habe oft darüber nachgedacht, was eigent⸗ lich dieſe Liebe ſei? Eine Tugend? Nein. Die leidenſchaftliche Zärtlichkeit für dieſes Stückchen leben⸗ diger, noch unbeſeelter Materie hat mit der Tugend nichts gemein. Eher noch iſts eine Sinnenliebe, eine beſeligende Trunkenheit. Man kann ſich auch in Nektar berauſchen. Oder meint man, dieſe Liebe ſei der Samariter⸗ Dohm, Schickſal einer Seele. 12 177 zug im weiblichen Gemüth, der ſich des Hülfloſen ſo zärtlich annimmt? Nein. Bethätigt ſich auch das Mitgefühl der Frau fremden hülfloſen Kindern gegenüber noch ſo gütig und energiſch, bis zur Liebe ſteigert es ſich ſelten. Eitelkeit vielleicht die Quelle der Mutterzärt⸗ lichkeit? Nein. Auch die häßlichen, unbegabten Kinder, Krüppel und Schwachſinnige werden geliebt. Oder Selbſtſucht? Die Mutter iſt jeden Augenblick bereit, ihr Leben für das Kind hinzugeben. Iſt das Selbſtſucht? Viel eher iſt es die Liebe des Schöpfers für ſein Geſchöpf. Warum liebt Gott den Menſchen? nicht auch, weil er ſein Geſchöpf iſt? Dem Kind gegenüber ſpielt die Mutter ein wenig den lieben Gott. Sie iſt ſeine Vorſehung, von ihr empfängt es Nahrung. In der Mutter fängt die Welt des Kindes an, und hört ſie auf. Jede zärliche Mutter fühlt die inbrünſtige Wonne eines Pygmalion, der ſeiner Galatea Leben giebt und Seele. Oder iſt dieſe Liebe doch vielleicht ein über⸗ ſinnlicher Inſtinkt, der die Mutter naturgewaltig zwingt, des Funkens zu hüten, damit es der Zu⸗ kunft nicht an Flammen fehle! Wozu darüber grübeln? Mag es ein ſüßes Myſterium des Weibes bleiben. Dir, Arnold, will ich geſtehen, daß an meiner Mutterliebe die Schönheit der Kinder einigen Antheil hatte. Bildhübſch war das krausköpfige Walterchen. 178 Und nun gar das Engelsantlitz meiner Traut, mit Augen von ſo geheimnißvoller Tiefe, ſo wunderbaren, als hätten ſie die Erinnerung bewahrt von etwas, was ſie vor ihrer Geburt geſchaut. Oft füllten ſich meine Augen mit Thränen inniger Rührung, dieſer Holdſeligkeit gegenüber. Wenn des Knaben goldene Locken oder Trauts metalliſch glänzende Mähne durch meine liebkoſenden Finger glitten, das war mir ebenſo ſehr ein Schön⸗ heits⸗ als ein Liebesgenuß. Zuweilen empfand ich meine überquellende Zärtlich⸗ keit faſt wie eine Unkeuſchheit. Wolluſt war in dieſem Entzücken, mit dem meine Hand an der ſammt⸗ weichen Haut der Kinder taſtete, mit dem ich die girrenden Tönen von ihren roſigen Lippen küßte. Ich hielt dann wohl inne in meinen Liebkoſungen und kniete vor dem Kinde, — meinem Heiligthum. Ich meine, man müßte ſich über die Maßen wundern, wenn die Legende von Engeln nicht ent⸗ ſtanden wäre, da es doch Mütter giebt. Und doch, auch dieſe geliebten Kinder hatten mir ein Leid heraufbeſchworen. Die böſe alte Kinder⸗ frau, die uns nach des Knaben Geburt eine von Walters Freundinnen ſo dringend empfohlen hatte. Ich meine heut noch, daß ſie ihre Sache nicht verſtand. Aber Walter glaubte an ſie. Streng war ſie und willensſtark. Mich überſah ſie völlig. Ihre lang⸗ jährigen Erfahrungen und brillanten Zeugniſſe wurden, wenn ich mich einmal bei der Kinderpflege betheiligen wollte, meiner Unerfahrenheit entgegengeſtellt. 12* 179 Sie allein beſtimmte die Ernährung, den Schlaf, die Ausgänge des Knaben. Verſuchte ich irgend eine Annäherung an den Kleinen, wollte ich ihn tragen, wiegen, ſo fand ſie, daß ich alles verkehrt mache. Du wirſt es kaum glauben Arnold, aber wenn ich mein Kind haben wollte, mußte ich mich heimlich und verſtohlenerweiſe ſeiner bemächtigen. Ich ſah voll Neid, wie die Alte den Kleinen in ſeinem Wägelchen im Garten umherkutſchirte. Einmal hatte ſie einen nothwendigen Gang in die Stadt. Das Kind ſchlief, als ſie ging. Durch einen Zufall wachte es vor der Zeit auf. Schnell ließ ich mir von dem Mädchen das Wägelchen in den Garten tragen. Das war eine Fahrt! Wir jauchzten, ich und das Kind. Wir wagten uns ſogar ein bischen auf die Straße hinaus. Das Gärtchen war zu klein für unſer großes Glück. O weh, da attrapirte uns die Alte, zornroth war ſie. Das wäre ihre Sache das Kind zu fahren; und wenn man ſie nicht brauche, könne ſie ja gehen, und in ihrer Verärgertheit ſtieß ſie mit den zittrigen alten Händen, dem Kind ſo heſtig das Fläſchchen in den Mund, daß es laut aufſchrie! Daß ich ſie nicht würgte in dieſem Augenblick! Ich wollte ſie gehen laſſen. Walter erlaubte es nicht. Die Alte hätte recht gehabt. Meine geſuchte Origi⸗ nalität, mich mit einem Kinderwagen öffentlich zu produciren, wäre abſurd. Und ich und das Kind, wir weinten. Ich heimlich, das Kind laut. 180 Zuweilen hörte ſie in der Nacht nicht, wenn der Kleine weinte. Leiſe, leiſe ſtand ich dann auf, hob ihn behutſam aus dem Bettchen, immer ängſtlich hinhorchend, ob der Cerberus nicht erwachen würde. Und wiegend und leiſe ſummend, trug ich mein Kind, und ſchien der Mond durchs Fenſter, war das Stell⸗ dichein um ſo ſüßer und zärtlicher. Und der kleine Schelm girrte und lachte, als wüßte er, daß wir die Alte überliſtet hatten. Als mein zweites Kind geboren wurde, da war ich ſchon muthiger, vielleicht, weil ich das kleine Mädchen noch mehr liebte, als ſein Brüderchen. Die Alte war wohl auch ſchwächer geworden, und daß ich ihr einen Theil der Kinderpflege abnahm, entſprach ihrem Behagen. Meine Traut, ſie gehörte mir, mir allein. Als das Kind noch nicht zwei Jahr alt war, ſchlug die Alte es eines Tages mit einer Leine, die ſie gerade in der Hand hielt, auf die Fingerchen, weil ſie ſich dieſe roſigen Fingerchen mit Butter beſchmiert hatte. Da erwachte die Löwin in mir, der man ihr Junges antaſten will. Ich jagte ſie auf der Stell fort. Walter verhielt ſich einem fait accompli gegen⸗ über immer merkwürdig gefügig. Meine Mutterliebe trug einige ſonderbare Blüten. Das Nähen war mir von jeher verhaßt geweſen. Ich brauchte jetzt nicht mehr zu nähen. Und nun nähte 181 ich freiwillig. Mit mühſamen Fleiß ſtickte ich halbe Tage lang Kinderkleidchen und Schürzchen. So ſchön wie möglich ſollten meine Kinder ſein. Angſt und Sorge brachten ſie mir auch wenn ſie krank wurden. Dazu ſchuf mir die Phantaſie ein⸗ gebildete Schreckniſſe. Oft plötzlich, auf der Straße, oder Abends in Geſellſchaften, oder im Theater durchzuckte es mich: den Kindern zu Hauſe iſt etwas geſchehen! In ſchau⸗ riger Ahnung ſah ich Walterchen aus dem Bett ge⸗ fallen, oder Traut weinte und niemand hörte es, oder die Lampe war umgefallen, das Zimmer brannte, ich würde zu ſpät kommen. Solche Vorſtellungen ſteigerten ſich oft bis zu Halucinationen. Und ich verließ das Theater oder die Geſellſchaft, wo ich mich gerade be⸗ fand, warf mich in eine Droſchke, verſprach dem Kutſcher ein doppeltes Trinkgeld, nur ſchnell ſollte er fahren, raſend ſchnell. Athemlos keuchte ich die Treppe herauf, ſtürzte ins Kinderzimmer und — da lagen ſie, meine Kinder, in ihren Bettchen, roſig. ſanft ſchlummernd. Walter ließ mir ſo ziemlich freie Hand bei der Erziehung der Kinder. Er hatte gar keine Zeit ſich um ſie zu bekümmern. Er erzog nur in Anfällen. Griff er aber einmal ein, ſo verſetzte er mich damit jedesmal in Schrecken. Wenn die Kinder in Streit geriethen, und das jähzornige Bübchen über das 182 Schweſterchen herfiel, das ſich dann mit Kratzen wehrte, ſo amüſirte er ſich darüber königlich und reizte und hetzte die Kinder zu immer hitzigerem Kampf. „Zu! los! drauf! Laß Dir nichts gefallen Mädel! Huſſa! Hei! Er ſteckte den Kindern Cigaretten in den Mund, gab ihnen Wein zu trinken, wollte ſich dann über ihre luſtigen Capriolen halbtodt lachen, und nannte Walterchen ſein kleines Corpsbrüderchen. Die Kinder ſollten ihm eben, wie alles übrige, Plaiſir machen. Walterchen artete ganz nach dem Vater. Er wußte alle Dinge zu ſeinem Vortheil oder ſeinem Ver⸗ gnügen auszubeuten. Und ſchlau war das Bübchen, viel ſchlauer als Traut. Einmal war er ſehr unartig geweſen, und ich ſchalt ihn heftig. Er will ſich vor Lachen kugeln. — „Wie, Du lachſt, wenn ich ſchelter „Ja, weil ich mir nichts daraus mache.“ — „Du machſt Dir nichts daraus?“ — „Weil Du doch gar nicht wirklich böſe biſt, Dich kennt man ſchon." Ich erzählte ihm von einer Familie, die so arm war, daß ſie Mittags nichts zu eſſen hatte. Ob er ihr nicht von ſeinem Mittagsbrot etwas abgeben wollte. „Ja, ja," rief er gleich, „bitte Muttchen, gieb ihnen meine Suppe, daraus mache ich mir nichts.“ Sie ſtritten ſich einmal, wer mich am liebſten hätte. „ich," ſagte Walterchen, „habe Dich ſo lieb, wie der Teufel bös iſt. Und Traut: „ich habe Dich ſo lieb, wie der Gott gut iſt." 183 An dem größten Kummer aber, den ich um des Knaben willen litt, war er ſchuldlos. Ich lief ab und zu Schlittſchuh. Die Eisbahn war kaum zehn Minuten von unſerm Hauſe entfernt. Walterchen — er war gerade vier Jahre alt — quälte mich immer ich ſollte ihn mitnehmen. Einmal that ich ihm den Willen. Nun mußte ich immer im Kreis um ihn herum⸗ laufen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Eine Dame meiner Bekanntſchaft bot mir an, den Kleinen eine Weile in ihre Obhut zu nehmen. In⸗ zwiſchen ſollte ich tüchtig auslaufen. Ich nahm das Anerbieten an. Als ich nach kaum fünf Minuten zurückkam, fand ich die Hüterin meines Schatzes in lebhaftem Geſpräch mit einer anderen Dame. Das Bübchen war fort. Der Schrecken der Dame und ihre Beteuerung, daß ſie das Kind eben noch an der Hand gehalten, änderten nichts an der Thatſache. Zuerſt ſuchten wir ruhig und umſichtig die ganze Eisbahn ab, und fragten Bekannte und Unbekannte nach dem Kinde. Allmählig aber wurde mein Suchen angſtvoller, bis ich zuletzt nur noch heiſer, in Todes⸗ angſt, nach ihm rief. So oft und ſo laut wir auch ſeinen Namen über das Eis ſchrien — keine Ant⸗ wort. Ich dachte, wenn er in eins der tiefen Löcher 184 gefallen wäre, die man hier und da in's Eis gehauen! Einige dieſer Löcher befanden ſich an Stellen, wohin kein Schlittſchuhläufer kam. Ohne das Kind würde ich mein Haus nicht wieder betreten, das ſtand feſt bei mir. Es war dämmerig geworden. Mir fiel ein, der Eisbahn gegenüber wohnten Bekannte. Mit den Kindern dieſer Famlie hatte Walter oft geſpielt. Dahin würde er gelaufen ſein — natürlich. Ich ſtürzte hin. Er war nicht dageweſen; wieder zurück. Ich zweifelte kaum noch: er war blindlings in den Thier⸗ garten hineingelaufen, und er würde ſich nicht zurück⸗ finden, in der Nacht vor Angſt und Schrecken ſterben — erfrieren. Ich war halb von Sinnen. Niemand war mehr auf der Eisbahn. Die fahrläſſige Dame war auf das nächſte Polizeiamt ge⸗ laufen die Meldung von dem verlaufenen Kinde zu machen. Ich ſtand eine Weile vor einem tiefen ſchwarzen Loch. Das wählte ich mir gewißermaßen. Ehe ich da hinab tauchte, wollte ich einen letzten Verſuch machen. Daß das kleine Bübchen den Weg nach Hauſe gefunden haben ſollte, war ſo unwahrſcheinlich wie möglich, aber nicht völlig ausgeſchloſſen. Ich würde in der Wohnung anklingeln, und ganz ruhig fragen, ob die Dame mit Walterchen nach Hauſe ge⸗ kommen wäre. Lautete die Antwort verneinend, ſo würde ich umkehren. Ich zog die Klingel; der Ton durchſchauerte mich. Mit bebenden Lippen that ich die Frage. 185 Ja wohl, Walterchen wäre ſchon ſeit drei Stunden zu Hauſe, aber er wäre ganz allein gekommen, und als der Papa gefragt, wie er ſo ganz allein daher⸗ käme, da hätte er geantwortet: er wäre ſo unter die Menſchen gekommen. Der Herr Doktor wäre ganz außer ſich vor Erſtaunen geweſen, daß der Kleine den Weg gefunden. Ich empfand zu gleicher Zeit jauchzende Frende und brennenden Schwerz. Warum Niemand auf die Eisbahn gekommen wäre, mich zu benachrichtigen? Der Herr Doktor hättens verboten. Ich trat ins Zimmer, Walterchen ſprang mir luſtig entgegen. Als ich ihn leidenſchaftlich an mich preßte, ſagte er ſchelmiſch liſtig: „Haſt Du auch rechte Angſt gehabt Muttchen?“ - „Ja - ja." „Siehſt Du, das iſt Dir ganz recht. Warum haſt Du nicht auf mich aufgepaßt! Papa hat's geſagt.“ Papa kam dazu. Er hatte des Knaben letzte Worte gehört. „Und Du haſt niemand an die Eisbahn ge⸗ ſchickt? mich in Todesangſt vergehen laſſen!“ — „Der Junge hats ſchon geſagt: Strafe muß ſein.“ Er ſagte das ungeheuer gemüthlich. Die Sache kam ihm offenbar ſehr vergnüglich vor. Ich ſtürzte in mein Schlafzimmer. Traut lag im Bettchen und ſchlief. Durch die langen dunklen Wimper wurde ein wenig von dem untern Rand des Augapfels ſichtbar, ein zartes Licht wie aus einer 186 anderen Welt. In dieſe andere Welt zog's mich hin⸗ über. Das ſüße Bild, es wirkte auf mich wie ein Pſalm des Friedens. All meine zornige Erregung ſchwand dahin. Und ich, ich hatte daran gedacht zu ſterben, und das holde Geſchöpf da lebte. Ich war nicht mehr zornig, betrübt nur, betrübt bis zum Tode, daß ich eines Mannes Gattin ge⸗ worden, der mich in aller Gemüthsruhe drei Stunden auf die Folter ſpannen konnte. Wer und was war denn dieſer Mann? Jetzt, da er mir in weite Ferne entrückt iſt, tritt mir ſein Charakterbild immer klarer vor Augen. Eitelkeit und Lebensluſt, eine derbe, zupackende, waren vorherrſchend in ihm. Eigentlich ein beneidens⸗ werther Menſch. Gleich phänomenal ſeine Arbeits⸗ und ſeine Genußkraft. Ein toller Lebenswandel, den er führte. Dabei ärgerte er ſich täglich mehrere Male halb todt; jede ſchlechte Kritik zog ihm einen Nerven⸗ anfall zu. Der Erfolg iſt ſein Gott. Erfolg auf der Bühne, Erfolg bei den Frauen, in der Geſellſchaft. Ich wunderte mich oft im Stillen über die begeiſterte Schätzung, die ihm von aller Welt zu theil wurde. Er hat Geiſt, ja, quantitativ ſogar viel, aber es iſt ein ſpieleriger Geiſt, ein zappelnder, raſtloſer, an der Oberfläche tänzelnder Geiſt. Er denkt nur für Honorar, zu 187 ganz beſtimmten Zwecken; z. B. darüber, wie eine Scene wirkſam zu geſtalten, oder wie eine verfängliche Moral, etwa durch geſchickt lancirte Patriotismen zu übertünchen ſei. Er iſt findig, wo es gilt eine gute Kritik, einen Titel oder Orden, eine Einladung zu einem Miniſter oder eine hübſche Frau zu erhaſchen. Er kennt keine geiſtigen, keine Seelenſchmerzen, nur literariſche, wenn z. B. eins ſeiner Stücke abfällt. Er iſt immer derſelbe. Fix und fertig ſcheint er von Hauſe aus. Ich habe nie bemerkt, daß er über irgend einen Gegenſtand im Laufe der Jahre ſeine Anſicht geändert hätte. Ich meine, er muß als Knabe geweſen ſein, wie er als Jüngling war, als Mann iſt, und wie er als Greis ſein wird. Praſſelnd lebendig iſt er, und hat doch etwas Todtes an ſich. Nichts iſt an ihm geheim, räthſelhaft; aus ſeinen ärgſten Gedanken macht er kein Hehl, aber ſie ſind eigentlich gar nicht ſo arg, nicht einmal Original⸗ Satanismen, und er ſchleudert ſie ſo nett und lachend heraus, daß man ſich der Pflicht, dagegen Front zu machen, überhoben glaubt. Vorwürfen über ſeine Leichtfertigkeiten pflegte er mit einem ſeiner Lieblingsausſprüche berliniſchen Ge⸗ präges zu begegnen: Grüne Sachen! Abſtraktes Denken gehörte für ihn auch in die Rubrik der grünen Sachen. Seine Intelligenz verſaate. wo ihm eine greifbare Unterlage fehlte. Perſönlich⸗ keiten, für ſeinen Spott geeignete, bildeten zumeiſt dieſe Unterlage. Waren ſie nicht zur Stelle, ſo war ich ja da. Daß die Pfeile, mit denen er mich zum 188 Amüſement ſeiner Gäſte ſpickte, wehethaten, machte nichts, wenn ich nur ſtill hielt, und ich hielt ſtill. Und ich hatte nun doch keinen Dichter ge⸗ heirathet. Trotz alledem hatte ich Walter eigentlich perſön⸗ lich gern. Wenn ich ſeine Schritte auf dem Corridor hörte, wurde mir heiter zu Sinn. Und trat er dann ins Zimmer, elegant und doch flott gekleidet, den Hut in der Hand, die dunkle Locke auf der weißen Stirn, lachend, ſich den Schnurrbart nach oben drehend, hatte ich immer ein herzliches Gefallen an ihm. Sobald ich ihn aber Morgens im Schlafrock ſah, oder mit irgend einer Nachläſſigkeit im Anzug, unraſirt, un⸗ gekämmt, oder wenn er ſo unangenehm gähnte, war er mir beinah widerwärtig. Begegnete mir Walter einmal freundlich und liebenswürdig, gleich flog ihm mein ganzes dummes Herz entgegen. Ich erinnere mich, daß ich ihn eines Tages etwas gleichgültiges fragte. „Ja doch liebes Kind,“ antwortete er freundlich. Thränen der Rüh⸗ rung ſchoſſen mir in die Augen. „Liebes Kind!“ So gute Worte. Wie Muſik. Darnach aber quoll es in mir von unausſprechlicher Bitterkeit auf. Wie? Dieſe zwei, in halber Zerſtreutheit geſprochenen Worte waren imſtande geweſen, mich zu rühren? Was für ein verächtlicher Wurm war ich denn! Der Wurm aber krümmte ſich zuweilen. Wenn Walter mich beſonders ſchimpflich verhöhnte, hatte ich Ausbrüche einer jäher Empörung. Ich erinnere mich beſonders an einen Abend. 189 Wolf Brant war da, an deſſen Meinung mir unend⸗ lich viel lag. Das Geſpräch kam auf einen Menſchen, den man in der Nacht erfroren auf dem Pflaſter ge⸗ funden hatte. Ich drückte mein Entſetzen über das Geſchehene aus. „Na Leneken, faſſe Dir nur“ ſagte Walter in ſeinem Berliner Jargon, und dann zu Wolf Brant gewendet: Meine Frau kriegt ab und zu eine tragiſche Gänſehaut, wobei ſie Gott ſei Dank nicht aus ihrer eigenen Haut zu fahren braucht Thränen ſchoſſen mir in die Augen. Ich ſtürzte fort in mein Schlafzimmer. Ich warf mich ſchluchzend aufs Bett. Ich rang die Hände. Walter mochte fühlen daß er zu weit gegangen war. Er kam mir nach. Ich ſollte mich durch alberne Empfindeleien nicht lächerlich machen und ſofort zurück⸗ kommen. Eine Blutwelle, über die ich keine Macht hatte, flutete über mein Herz hinauf ins Gehirn. Ein wüthendes Erbeben. Ich blickte wild umher — eine Scheere lag auf dem Tiſch — ich griff darnach. Ich ſtürzte auf ihn los. Wäre es ein flinker, ſpitzer Dolch geweſen, ich hätte ihn vielleicht im Ernſt umgebracht. Es giebt Morde, die keine Morde ſind, die nichts ſind als der salto mortale einer ſchmerztrunkenen Seele blindlings in eine Hölle hinein. Walter riß mir die harmloſe, ſtumpfe Scheere, ehe ich Unheil damit anrichten konnte, aus der Hand. Er lachte gezwungen auf. Einen Augenblick aber hatte ich in ſeinen Zügen Furcht geleſen, wahr und wahrhaftige Furcht. Das bewirkte einen plötzlichen 190 Umſchlag in meiner Stiumung. Ich ſchämte mich meines unſinnigen Ausfalles. Ich wuſch mir die Augen und kam ruhig zurück. Sonderbarerweiſe kam Walter weder im Spott noch im Ernſt je auf dieſe Scene zurück, er nahm ſich ſogar eine Zeitlang augenſcheinlich inacht, mich zu reizen. Ich verſtand dieſen Fingerzeig nicht, ver⸗ ſtand nicht was ich nun längſt weiß, daß der Wille des Einen nur ſo lange maßgebend iſt, bis er ſich an dem Widerſtand des Andern bricht. Von der Complicirtheit der Geſchlechtsverhält⸗ niſſe hatte ich, auch nachdem ich ſchon jahrelang ver⸗ heirathet war, keine Ahnung. Das war eine der guten Eigenſchaften Walters, daß er mich darin nicht unterrichtete. Doch verhalf er mir mittelbar zu Kennt⸗ niſſen auf dieſem Gebiet. Er pflegte im Bett vor dem Einſchlafen modernſte franzöſiſche Bücher ſchlüpf⸗ rigen Inhalts zu leſen, die er dann achtlos umher⸗ liegen ließ. Ich las darin, anfangs ohne zu ver⸗ ſtehen. Allmählich, unterſtützt von den Anſpielungen, Witzworten, Geſprächen, die ich überall hörte, ging mir das Verſtändniß auf, bis auf einen beträchtlichen Reſt, den ich nie verſtehen werde. Ich wußte zwar, daß Walter mir nicht treu war; wie ganz er aber I'homme à femmes war, das erfuhr ich erſt ſpäter. „Gott, ich bin nun einmal kein Cato“ war auch 191 eine ſeiner Lieblingsredensarten. Nein, ein Cato war er wirklich nicht. durcheinander, ob Verheirathete, ob Schauſpielerinnen, In ſeinen Beziehungen zu Frauen ging alles kleine Bürgermädchen, Dienſtmädchen, Dirnen, große Damen, Märchenprinzeſſinnen, alles war ihm recht. Dabei machte ich eine ſonderbare Beobachtung. Seine dreiſte, zu robuſten Vertraulichkeiten geneigte Art, gefiel vielen Frauen ausnehmend und nicht nur Grobgearteten. Einmal, als ich ſpät Abends über den Corridor ging, hörte ich von irgendwoher Walters Stimme und ſein etwas heiſeres Lachen, dazwiſchen ein Kichern. Ich blieb erſtaunt ſtehen. Ich begriff nicht. Da redete die Kichernde ein paar Worte. Ich erkannte die Stimme, ſie kam aus der Kammer des Mädchens. Walter und die Köchin! Einen Augenblick blieb ich wie gelähmt vor Ent⸗ ſetzen. Dann ſtürzte ich fliehend, ja fliehend davon, in Angſt, in Scham. Als ich ihn am andern Tage wiederſah, fühlte ich eine dunkle Röthe mir ins Geſicht ſteigen, in der Vorſtellung, er könnte wiſſen, daß ich wüßte. Das Wiſſen des Abſcheulichen belaſtete mich wie eine Schuld. Er ſah ein paar Mal prüfend zu mir herüber, da er aber nichts Verdächtiges wahrnahm, wurde er aus⸗ nehmend heiter, und ſchlug mir ſogar vor, Abends mit ihm ins Theater zu gehen. Später wunderte ich mich eigentlich, daß die Sache mich ſo aufgeregt hatte. Das kam mir beinah 192 gemein vor. Was ging es mich eigentlich an? Weil ich mit ihm verheiratet war? Das war doch von meiner Seite ein unglückliches Mißverſtändniß, von ſeiner Seite — ja, was wars von ſeiner Seite? Walter, mein Gatte? o nein, der Gatte jedes Weibes, das ihn haben wollte, nicht der meine. Mein Gatte wäre nur der, an deſſen Bruſt „zaubergewalt⸗ ſam, unaufhaltſam“ Sinne, Seele und Gemüth mich hinzwingen würden. Jede andere Hingabe iſt Schuld, bei der Satan lacht und Eros weint. (Satan iſt wohl zu ſtark, ich nehme ihn zurück.) Ob ich unrecht that, daß ich Walter gegenüber ſchwieg? Ich weiß es nicht. Selten war bis jetzt im wirklichen Leben Edles, Gemüthvolles, Bedeutſames an mich herangetreten, Nüchternes nur und Vulgäres, wenn ich von den be⸗ geiſterten Momenten des 18. März, und den kurzen Monaten meiner heimlichen Verlobung abſehe. Dieſe friſchen Quellen des Lebens aber, und was ſonſt noch hin und wieder mir zuſickerte und tröpfelte, verliefen ſich bald wieder in den grauen Sand meiner kümmer⸗ lichen Alltagsexiſtenz. Und ich ſchaute nach einem Strom aus, der mich an herrliche Geſtade tragen ſollte. So viele Menſchen verdanken Zufällen ihre Entwick⸗ lung. Mir begegnete keiner ſolcher Zufälle. Die verirren ſich nicht in Spießbürgerfamilien, zu kleinen Mädchen. Dohm, Schickſal einer Seele. 13 193 Du nannteſt mich einmal ſcherzhaft „kleiner Hamlet;“ wenigſtens noch feiger, grübleriſcher, paſſiver verzweifelter als Hamlet bin ich. Charlotte, (Du kennſt ſie noch immer nicht) nannte mich Mignon. Wenn ich mich überhaupt mit ſolchen klaſſiſchen Perſönlichkeiten vergleichen darf, ſollte die Wahrheit nicht in der Mitte liegen, und ich wäre eher ein Zwitterding von Hamlet und Mignon? Ich hatte über die Frauen der Schiller⸗ und Göthezeit geleſen. Dieſe Charlotten, Carolinen, Lilis, Bettinas Rahels, in welch vornehmer geiſtiger Atmo⸗ ſphäre durften ſie aufwachſen, wie Wunderblumen im Märchenwald. Ich konnte mir dieſe Frauen nur in langen weißen Kleidern — nein Gewändern — denken, einen Kranz von Mohnblumen oder Vergißmeinnicht auf goldenem oder dunklem Gelock. Alle, alle Muſen oder Elfen, Aspaſias, Saphos oder wenigſtens Sonntagskinder. Ich aber bin gewiß an einem Sonnabend geboren, an dem Scheuer⸗ und Waſchtag der Kleinbürgerfamilien. Raphael, ohne Hände geboren, wäre der größte aller Maler geweſen, ſagt Leſſing. Möglich; aber der größte Maler ſein und nicht den kleinſten Pinſel⸗ ſtrich machen können, ſcheint mir ein Loos von furcht⸗ barer Tragik. Geborener Schriftſteller oder Dichter ſein, und dabei unwiſſend bis an die Grenze ortho⸗ graphiſcher und grammatikaliſcher Fehler, iſt auch unter Brüdern keinen Deut werth. Ich beneidete jene begnadeten Frauen, aber doch war ihre Welt nicht ganz die meine, zu viel Klaſſiſches, 194 zu viel Götter, liefen da mit unter. Ich ſchwärmte mehr für Lotosblumen und Heine; die Götter ließen mich kalt. Ich habe ja nicht einmal die griechiſchen Klaſſiker geleſen; vielleicht muß der Sinn dafür erſt geweckt werden. Und wer hätte je in mir etwas ge⸗ weckt! Die romantiſche Seite aber an dieſen Frauen, die zog mich unwiderſtehlich an. Der Bettina fühlte ich mich beſonders wahlverwandt. Die Träumereien, mit denen ich ſo lange all meine Lebensfreuden beſtritten, verſanken jetzt zeitweiſe vor einer quäleriſchen Unraſt, einem grübleriſchen Sinnen. Ich wurde in dieſer Zeit oft von einem ſtarken, körperlichen Unbehagen heimgeſucht, vielleicht war ich hyſteriſch. So lange ich mich unter Menſchen befand, blieb mein Innenleben wie ſuspendirt. Sobald ich allein war, kam die gährende Unruhe, und ich ſchmachtete nach inneren und äußeren Erlebniſſen. Inzwiſchen verſuchte ich wenigſtens eine Stimmung oder eine Scenerie herzuſtellen, die einer romantiſchen Situation oder meinen Geiſtergelüſten entſprach. Aber ach, die Geiſter, die ich rief, ſie kamen alle, alle nicht. Sie laſſen ſich nicht zwingen — in Berlin ſchon gar nicht. Ich hatte mir allmählich verſchiedene reizvolle Gegenſtände angeſchafft, die ich in effektvoller Weiſe gruppirte. In einem hohen grünlichen Blumenglas, 13* 195 um das ſich eine goldene Schlange wand, ein Strauß von Gräſern und gelben Sonnenblumen, einen Keſſel von dunklem Kupfer, allerhand Tongefäße in gedämpften und doch leuchtenden Farben. Die Chaiſelonguedecke von bräunlich rothem Plüſch. Eine irdene Weißbier⸗ kruke pinſelte ich mit Goldfarbe an; auf ein Hänge⸗ ſchränkchen geſtellt, mit großen künſtlichen Mohn⸗ blumen gefüllt, nahm ſie ſich ganz urnenhaft aus. Getrocknete Palmen neigten über einen Spiegel ihre Spitzen ineinander. Beſonders ſtolz war ich auf den An⸗ kauf einer ausgeſtopften Eule mit rothen Glasaugen. Sie hockte auf dem vorſpringenden Sims einer Thür, für gewöhnlich ganz unſcheinbar, von niemand bemerkt. Stellte ich aber Abends ein Licht hinter die Glas⸗ augen, ſo wirkte ihr dunkles Glühen aus der Höhe zum Gruſeln dämoniſch, beſonders wenn ich alles andere Licht löſchte. Das rothe Glas meiner Kinderjahre beherrſchte noch immer meinen Geſchmack. Alle Dinge in Farbe tauchen. Und ſo gern hätte ich loderndes Kaminfeuer haben mögen. Von jeher hatte ich mir ſo ſehr einen Kamin gewünſcht, einen Kamin und ein Pferd. Den Kamin, den hätte ich ja nun hier in Rom. Und das Pferd — wer weiß — ruht vielleicht auch noch im Schoß der Zukunft. Mit Vorliebe trieb ich in Sylveſternächten das Spiel des Geiſterrufens. Gewiß, der 31. Dezember iſt ein Tag wie jeder andere, die Tradition aber giebt ihm eine myſteriös ſchickſalsvolle Bedeutung, als 196 ſtänden wir in dieſer Nacht auf einer Brücke, wo die Geſpenſter der Vergangenheit mit den Geiſtern der Zukunft ſich begegnen. Ich ſuchte an Sylveſterabenden zu Hauſe zu bleiben, auf myſtiſche Schauer, auf irgend eine Magie wartend, die mir eine Viſion, eine Offenbarung bringen ſollte. Einmal hatte ich ſogar, um mich zu begeiſtern, einen Reſt Champagner, den ich heimlich aufbewahrt, getrunken. Ach, ich wurde nur ſchläfrig davon und verſchlief die geheimnißvolle Mitternacht. An einem andern Sylveſterabend wollte ich mein erſtes poetiſches Werk ſchreiben — ein ſymboliſches. Nur die erſten Seiten dieſer Dichtung ſchrieb ich wirklich nieder. Ich wollte doch etwas ganz be⸗ ſonderes ſchreiben, Tiefes, Sehnſüchtiges, Mond⸗ ſcheintrunkenes. Mondſcheintrunkene Sehnſucht war doch in mir. Ich fand meinen Stil nicht. Die Worte kamen mir ſo armſelig, ſo beſchämend nackt vor. Ach Arnold, ich möchte ſchreiben können wie man flüſtert, pianiſſimo, verklingende Orgeltöne, oder ſtark, gewaltig — Poſaunenklänge, vor denen verſchloſſene Himmel aufſpringen. Als ich einmal mit Traut durch den Thiergarten ging, der ganz im Schnee begraben lag, ſagte ſie: „Nicht wahr, Muttchen, der liebe Gott hat all den Zucker geſtreut, für die kleinen Sperlinge?“ Ich nickte. „Aber,“ fuhr ſie nachdenklich fort, „ſie haben doch nichts, worauf ſie den Zucker ſtreuen können. Mir hat der liebe Gott auch Zucker geſtreut, 197 aber ich habe doch auch nichts, worauf ich ihn ſtreuen könnte. beſonders ſtarken Drang fühlte, mich körperlich und Ich erinnere mich an einen Abend, wo ich einen geiſtig durchrütteln zu laſſen. Ich pflegte Abends an den Bettchen der Kinder zu ſitzen, bis ſie eingeſchlafen waren. Dann ging ich ins Wohnzimmer. Ich nahm ein Buch. Ich hatte mir vorgenommen, das Griechenthum zu ſtudiren. Meinen beſten Vorſätzen ſtellte ſich immer dasſelbe Hinderniß entgegen: Der Mangel an Schulung, an Vorbildung. Ich hatte nicht einmal gelernt gut zu leſen. Eine Viertelſtunde feſſelte mich das Buch. Dann ſchweiften meine Gedanken abſeits. Ich horchte hinaus. Wagen auf Wagen rollte vorüber. Es war Theaterzeit. Ich riß das Fenſter auf. Ich ſchloß es wieder. So wie ich jetzt exiſtirte, das konnte doch nicht das Leben ſein. Wann würde es kommen? Ich ging umher, und rückte all meine Herrlich⸗ keiten in das rechte Licht, das Blumenglas mit der goldenen Schlange, eine Schale mit Apfelſinen, und hinter die Eulenaugen das Lichtchen. Obwohl ich gar kein Verlangen nach Thee hatte, bereitete ich mir Thee, weil ſich die Flamme unter dem Kupferkeſſel und das Summen des Waſſers, und das Theegeräth mit den durchſichtigen japaniſchen Taſſen unter dem röthlichen Schimmer des Lampen⸗ ſchirms reizend ausnahmen. Wir hatten einen kleinen Balkon. Ich trat hin⸗ 198 aus und ſah durch das Fenſter zurück ins Zimmer; um mich an dem Farbeneffekt zu freuen. Vom Balkon aus ſah ich, daß die Apfelſinen in der bemalten Porcellanſchale keinen Effekt machten. Porcellan über⸗ haupt — wenn es nicht altes Meißner iſt — wirkt zwiſchen edlen Metallen (wozu ich auch Kupfer und goldbemalte Weißbierkrüge rechnete) wie Gips neben Marmor. Ich trat ins Zimmer zurück, wickelte ein Stückchen lachsfarbenen Sammet um die Schale, und nannte die Apfelſinen in Gedanken Orangen, was vornehmer klingt. Ich ſtreckte mich auf der Chaiſelongue aus, faltete die Hände über dem Kopf, nachdem ich die Aermel bis zum Ellenbogen zurückgeſtreift, und die Falten meines weichen Wollenkleides ſo maleriſch wie möglich drappirt hatte. Dann blickte ich mit einem romanheldenhaften Ausdruck zur Zimmerdecke empor. Ich bemerkte, daß die Zimmerdecke in der Nähe des Ofens ganz verräuchert ausſah. Garſtig. Ich ſprang auf. Die Einſaukeit fing an, mich zu beklemmen. Ich liebte ſie wohl, aber nicht immer. Warum war ich nur immer ſo einſam? Ich grübelte darüber. Ich hatte doch mit meinem anſchmiegſamen, zärtlichen Naturell entſchiedenes Talent zur Epheu⸗ ranke. Eine Schuld aber mußte ich haben. Habe ich je Böſes gethan? nein. Böſes gedacht? nein. Selbſt denen, die mir Böſes thaten, habe ich gewünſcht, daß es ihnen gut gehen möge. In den Augenblicken meiner tiefſten Erbitterung gegen Walter dachte ich höchſtens: 199 Wenn man ihm doch eine Stellung, etwa in Amerika, gäbe, eine recht glänzende, und er ginge von mir fort und käme nie wieder. Die Vorſtellung, daß er jung ſterben könne machte mich ſchaudern. Jemandem weh zu thun, auch wenn das Wehthun für ihn heilſam, ja nothwendig geweſen wäre, war mir unleidlich. Wo lag meine Schuld? Etwa in meiner Ver⸗ ſchloſſenheit? meiner Stummheit? Wußte denn jemand, daß ich des Mitgefühls bedurfte? Nie hatte ich zu irgend einem Menſchen über meine Mutter geſprochen, nie über meine Ehe. Der ſchlaue Antonius, in der Sheakſpare'ſchen Tragödie, legt Cäſars blutige Wunden blos und weckt damit das ungeheure Mitleiden. Wem hätte ich auch mein Leid klagen ſollen! Wie Touriſten auf einer Reiſe zogen die Menſchen an mir vorüber, mein nicht achtend, mich nicht an⸗ lockend; und die ſtehen blieben, und mir gern ihre Gefährtſchaft angeboten hätten, die mochte ich nicht. Diejenigen aber, zu denen meine Seele hindrängte, die ſah ich kleiner Menſchling in ſolcher Höhe über mir, daß ich gar nicht den Verſuch machte, zu ihnen zu gelangen. Ich vergaß, daß man durch Anbetung ſelbſt die Götter gewinnt, um wieviel mehr Sterbliche, die ſich nur für Götter halten. Die Pflanze auf trocknem Boden, die Feuchtigkeit braucht, ſtreckt ihre Wurzeln weiter und weiter, bis ſie an eine feuchte Stelle kommt, aus der ſie Nahrung zieht. So klug wie die Pflanze war ich nicht. Ich ſtreckte keine Wurzeln aus. 200 An jenem Abend hielt ich es nicht länger im Zimmer aus. Ich brauchte Luft, Bewegung, Kälte, nach dem ſchwülen Grübeln und dem heißen Thee. Ich wußte ſelten, wo Walter ſeine Abende zu⸗ brachte. Zuweilen aber ſagte er es mir. An dem Abend wollte er ein Concert in der Singakademie beſuchen. Ob ich mitgehen wolle, hatte er ſo obenhin gefragt, er habe zwei Billets. — „Nein,“ antwortete ich, „ich bleibe lieber zu Hauſe. Und ich wäre doch ſo gern mitgegangen. Aus ſeinem Ton aber hatte ich herausgehört, daß er lieber allein ging, — er ging faſt immer lieber allein — und nichts in der Welt hätte mich dazu gebracht, mich jemandem aufzudrängen. Ich ging hinaus in den ſchneelichten Abend. Es beruhigte mich, wie der Schnee unter meinen Füßen knirſchte. Die Kälte war ſo erfriſchend, hell, geſund, und der Glanz aus den erleuchteten Schaufenſtern unter den Linden, der auf das weiße Trottoir fiel, hatte etwas fröhlich warmes. Ich ging ſchnell, damit mich niemand anſprechen ſollte. Eine unwiderſtehliche Luſt wandelte mich an, Walter aus der Singakademie herauskommen zu ſehen. Da ſtand ich nun unter Lakaien und Dienſt⸗ mädchen, die auf ihre Herrſchaft warteten, auf der Freitreppe. Mein Herz klopfte. Was ich da that war doch eingentlich unwürdig, ganz ziel⸗ und zweck⸗ los. Warum fror ich jetzt? warum wartete ich auf ihn? Ach Gott, ich glaube nur weil meine Verlaſſen⸗ 201 heit mich dauerte, weil ich jemand ſehen mußte, der zu mir gehörte. Als der erſte Schwarm der Concertbeſucher die Treppe herunterkam, verkroch ich mich ängſtlich, immer aber nach ihm ausſpähend. Ob er überhaupt im Concert geweſen war? Die Vorſtellung, daß er mich bemerken könne, erſchreckte mich. Entſetzlich böſe würde er ſein, und glauben, ich hätte ihn ausſpioniren wollen, und nichts lag mir doch ferner. Endlich kam er. Er führte eime Dame in einem hermelinbeſetzten rothen Mantel am Arm. Ich kannte ſie: eine junge Schauſpielerin, die Gaſtrollen in Berlin gab. Ich verſteckte mich noch tiefer unter der Menge. Er lachte und plauderte lebhaft mit der Dame und einigen anderen Bekannten, die an ihn herantraten. Meine Augen folgten ihnen, wie ſie die Allee hinab⸗ ſchritten bis ſie in eine Equipage ſtiegen, die augen⸗ ſcheinlich auf ſie wartete. Wie er ſich noch einmal herausbog, um den Schlag zuzumachen, ſah ich im Schein der Laterne ſein glückliches, lachendes Geſicht. Warum der Mann nur immer lachte! Es war doch nur Grimaſſe. Umd warum weinte ich denn immer? auch Grimaſſe? Meine Gedanken gingen ihnen nicht nach. So, nun war mir wohler. Die nervöſe Ungeduld fort. Inzwiſchen war das leichte Schneegeſtöber dichter und dichter geworden. Der Wind, der vorher ſchon friſch genug blies, hatte ſich ſturmartig verſtärkt. Ein Schneewehen, ein wahrer Schneeſturm brach los. Und dazu wurde es glatt. Ich ſuchte eine Droſchke. 202 Da alle Welt ſich vor dem Unwetter in Droſchken geflüchtet hatte, gab es keine mehr. Der Weg, ob⸗ gleich es noch nicht zehn Uhr war, war unheimlich menſchenleer. Nur mühſam keuchend kam ich Schritt vor Schritt vorwärts. Eine ſinnloſe Angſt überfiel mich. Ich würde nicht nach Hauſe kommen, ich würde ohnmächtig zuſammenbrechen. Und nun geſchah, wovor ich mich geängſtigt hatte. Jemand ſprach mich an. Aber ſchon beim Ton ſeiner Stimme verſchwand meine Angſt. Eine weiche, tiefe, gedämpfte Stimme. Schüchterne Höflichkeit war in ſeiner Art. Er habe bemerkt, wie ich gegen den Sturm ankämpfe, ob er mir ſeine Dienſte anbieten dürfe, bis ich einen Wagen fände. Ach wie gern nahm ich ſeinen Arm. Während wir uns mühſam vorwärts kämpften, benahm er ſich discret und ritterlich. Bei heftigen Windſtößen ſchob er mich ein wenig hinter ſich, da⸗ mit ſein Mantel mich decke; riß mir der Sturm den Schleier vom Geſicht, ſo brachte er ihn wieder in Ordnung. Sprechen konnten wir nicht miteinander, des Sturmes wegen. So oft er ſich auch zu mir wendete, ich konnte ſeine Züge nicht ſehen. Ich mußte mich an ihn ſchmiegen, um einen Halt zu haben. Ich fror nicht mehr. Ich fühlte mich ſicher in ſeinem Schutz. Der Schneeſturm kam mir beinah ſchön vor, von wilder Romantik. Ich fühlte inſtinktmäßig, ein guter Menſch ſchritt da an meiner Seite. Ich glaube, ich habe ihn zehn 203 Minuten lang geliebt, zehn Minuten gehörte ich zu ihm, er zu mir. So impulſiv für eine Sache oder einen Menſchen plötzlich aufzuflammen, geſchah mir zuweilen. Am Pariſerplatz ſtiegen Leute aus einer Droſchke. Er rief die Droſchke, und half mir ſorglich hinein. Dann fragte er mit ſchüchterner Bitte: „Darf ich mitfahren? ich wohne in Ihrer Nähe.“ „Nein,“ ſagte ich beinahe heftig, damit er merken ſollte, wie unziemlich ſeine Frage war. Durch das Wagenfenſter ſah ich noch, wie er daſtand im Sturm, ein dunkler Schatten, der zu drohen ſchien, zu wachſen, den der Schnee verwehen würde und begraben. Ich fröſtelte unter einem unerträglichen Malaiſe Warum ließ ich ihn im Unwetter da ſtehen? weil es unanſtändig geweſen wäre mit einem fremden Menſchen Nachts in einer Droſchke zu fahren? War es nicht viel unanſtändiger, daß ich den, der mich aus einer gefährlichen Situation befreit, dem Unwetter preis⸗ gab? und war es etwa anſtändig, daß Walter jetzt mit der hermelinbeſetzten Dame — freilich, ſie gehörte wohl auch zu ihm — behaglich im Wagen ſaß, und dahin fuhr — wo es noch behaglicher war! Erloſch da vielleicht zum dritten Mal ein Stern, der für mich aufgegangen war? An den Fremden im grauen Mantel dachte ich, und an den armen Vetter Erich. Sonderbar, ſehr ſonderbar, daß uns nicht ſelten ein Inſtinkt, (wie viele unter dem „uns“ zu verſtehen ſind, weiß ich nicht) eine überwallende, zitternde Zärt⸗ lichkeit an die Bruſt eines Menſchen zieht, den wir 204 kaum kennen? (ſelbſtverſtändlich folgen wir dem Zuge nicht,) während oft genug unſere Natur einer legi⸗ timen Umarmung widerſtrebt. Und dieſem Zuge, hin zu einem kaum Gekannten liegt nicht etwa verwilderte Sinnlichkeit zu grunde. Selbſt ſanfte, gute, normale Seelen werden zu ihrem eigenen Schrecken zuweilen davon ergriffen. Nur hüten ſie ſich es zu bekennen. Oder könnte dieſe ſcheinbar zügelloſe Verirrung nicht einen anderen tieferen Grund haben? Vielleicht ein myſtiſches Hineinſpielen von noch ungeborenen, körperloſen Seelen in das menſchliche Liebesleben? von Seelen, die gerade von dieſer Mutter, von dieſem Vater ihren Leib empfangen wollen? Es giebt wohl noch viele Naturgeſetze, phyſio⸗ logiſche und pſychologiſche, von denen wir uns nichts träumen laſſen. Ganz normal iſt es wohl auch nicht, daß ich niemals eine Spur von Eiferſucht empfunden habe, nur immer Mitleid mit meiner Verlaſſenheit. Ich bin ſelbſt erſtaunt, wie objektiv ich nicht nur in meinem Denken, ſondern auch in meinem Fühlen war. Ich wollte nicht, daß Walter auch nur einen Augen⸗ blick die Ehe als Feſſel empfinden ſollte, aus Stolz wollte ich es nicht. Mochte er ſein Leben leben nach ſeinem Geſchmack. Möglich, daß unfeine Nebengedanken dabei mitwirkten. Damen in hermelinbeſetzten rotheu Mänteln entlaſteten mich vielleicht ein wenig von dem Mangel an — ſagen wir Liebe — den ich Walter gegenüber als Schuld empfand. 205 Mir fehlt überhaupt das Verſtändnis für Eifer⸗ ſucht. Ich glaube, ſelbſt wenn ich jemand leiden⸗ ſchaftlich liebte, und er bräche mir Liebe und Treue, wohl könnte ich klagen, weinen, ſterben. Aber Neid und Groll nähren gegen die Frau, die beſäße, was das Schickſal mir verſagt? warum? Den anklagen, der ſein Herz nicht zu mir zwingen kann! Er⸗ zwungene Treue, ich möchte ſie gar nicht! ich will ſie nicht! ich brauche ſie nicht. Verächtlich käme ich mir vor im Genuß erzwungener Treue und Liebe. Mir ſcheint, in der Eiferſucht iſt Eitelkeit und Unkeuſch⸗ heit, und vulgär iſt ſie, und — ſo überflüſſig. Und nun gar eiferſüchtig auf Walters Liebe! Aber ich beſaß ſie ja nie, dieſe Liebe, und die Andern beſaßen ſie auch nicht. Merkwürdig, ich liebte ihn ſicher nicht. Sobald ich aber fühlte, daß ich Marlene für ihn war, ſein Weib, nicht ein Weib ſchlechthin, gleichviel welches, erwachte die Zärtlichkeit meines Gemüths. Ich mußte doch jemand lieb haben, es wäre ſo natürlich geweſen, wenn er es geweſen wäre. Er machte es mir nicht leicht, ihn lieb zu haben. Ein Tages ſpielte Walterchen im Wohnzimmer um mich herum. Er fragte mich etwas. Ich las gerade und überhörte es. Da kam er zu mir ge⸗ ſprungen, packte das Buch und ſagte: „Du Henne, über was gluckſt Du denn ſchon wieder?“ Ich war tief erſchrocken. Und als ich ihn ernſthaft ſchalt, ſagte er trotzig: „Aber Vatchen hat doch geſagt, Du biſt eine Henne, die immer über etwas gluckt, 206 und verbohrt biſt Du auch, Vatchen hats doch ge⸗ ſagt. Ich brauche Dir nicht zu ſchilderu, was ich bei dieſen Worten empfand. Das eine wurde mir klar: die Meinung über mich, die Walter allen Anderen beigebracht hatte, allmählig würde ſie ſich auch den Kindern mittheilen. Ich hatte keine Mutter gehabt, keine Geſchwiſter, keinen Gatten. Sollte ich auch keine Kinder haben! Ein Schauder überlief mich. Ernſt, eindringlich wollte ich mit Walter reden. Es ging nicht. Ich konnte eben nicht. Da ſchrieb ich an ihn. Ich glaubte damals rührende Töne gefunden zu haben, ach Gott, es waren nur klägliche Miaus einer ſpäten Griſeldis. Es lief ungefähr darauf hinaus, daß ich ihn — wie Dienſtmädchen es bei der Vermiethung zu thun pflegen — um gute Behandlung bat. Ich glaube, ich ſprach es wirklich aus, daß ich ſchon zufrieden wäre, wenn er ſich mir ſo freundlich erweiſen wolle wie unſrer Auguſte. In lyriſcher Zerfloſſenheit erſuchte ich ihn um das Conto meiner Sünden, und verſprach, es nie wieder zu thun, (ich kann dir nicht ernſthaft und ohne Selbſtironie über den ſo albernen Brief berichten.) Wenn es ihm aber beſſer paſſe, ſo ſollte er mir tündigen, und ich würde gehen — ganz wie unſer Mädchen für Alles. Und wenn ich jetzt erſt meine bleichen Lippen öffnete, nachdem ich fo lange aus meinem Herzen eine Mördergrube gemacht, ſo geſchähe 207 es der Kinder wegen, die nicht in Seufzeralleen, unter Erisäpfeln aufwachſen dürften — — — Der Erfolg des Briefes war wie es ſein Inhalt verdiente. Walter nahm nicht die geringſte Notiz davon, weder mündlich noch ſchriftlich. Durch keine Miene zeigte er, daß er ihn nur geleſen hatte. Ich fand ihn einige Tage ſpäter offen auf ſeinem Pult liegen. Das Mädchen hätte ihn leſen können und darüber lachen — wie er. Alles blieb beim alten. Trotzdem ich von keiner Eiferſucht wußte, be⸗ obachtete ich doch mit einer Art pſychologiſcher Neugierde Walters Verkehr mit Frauen. Seine Viel⸗ ſeitigkeit auf dieſem Gebiet ſchloß ſelbſt platoniſche Beziehungen nicht aus. An eine beſtimmte Frau denke ich dabei. Während einiger Zeit war ſie Walters Gottheit, dieſe ſüperbe Gräfin Virginia Dürer. Cine jener hochmüthigen, geiſtigen Ariſtokratinnen, die ſich ſelbſt auf ein Piede⸗ ſtal ſtellen, und huldreich der gläubigen Gemeinde ſich neigen, die zu ihnen betet, und nicht merkt, daß die Heldin ſich ſelbſt in die Heiligenniſche placirt hat. Es gab viele, die dieſe Frau mit dem großen Mund und der langen Naſe häßlich fanden. Ich fand ſie wunderſchön. Dieſe lange Naſe war ſo fein profilirt, wie gemeißelt, der vornehme große Mund mit den ſchmalen blaßroſa Lippen wie geſchaffen für 208 den Kuß der Muſe. Nie habe ich einen Schimmer von Farbe auf ihrem reinen, mattweißen Geſicht geſehen. Nicht wie Frau Bronowski hatte ſie die Allüren einer Prinzeſſin, eher die einer Iphigenia, Hypatia, Aspaſia, mit einem kleinen Zuſatz von Veſtalin. Ihr dichtes, ſeidiges Haar, das ſie an den Schläfen glatt geſcheitelt trug, fiel ihr hinter den Ohren in zwei langen Locken bis zur Schulter. Aus ihrem ganz durchgeiſtigten Geſicht blickten zwei klare, unergründlich tiefe, graue Augen, faſt wimperloſe, Böcklin'ſche Sphinxaugen. Ihrer großen, ſchlanken beinahe dürren Geſtalt fehlte es an Anmuth. Sie beſaß einen brennenden, auf große Ziele ge⸗ richteten Ehrgeiz. In einem früheren Zeitalter wäre ſie vielleicht eine Katharina von Medicis, eine Eliſabeth von England, eine Eleonore d'Eſte, eine Lady Macbeth geworden, und in einem noch früheren eine Pythia, eine Antigone, oder ſonſt irgend etwas Blutiges oder Hohes, mit Prieſterthum oder Walhalla Verwandtes. Auf alle Fälle wollte ſie irgendwo an der Spitze ſtehen. Und da ſie zu ihrem Kummer keine eigenen hervorragenden Talente beſaß, wollte ſie ſich wenigſtens mit einem Genie oder einer Majeſtät aſſocieren. Der Graf Dürer ſpielte, als ſie ihn heirathete eine hervorragende Rolle in der Kammer. Er galt für den kommenden Miniſter. Es war ein Irrthum geweſen. Er hatte bereits ſein beſcheidenes geiſtiges Maß erreicht, als Virginia ſeine Gattin wurde. Sie verzieh ihm dieſe Enttäuſchung nicht. Entſchloſſen nicht an ſeiner Seite zu bleiben hielt ſie Dohm, Schickſal einer Seele. 14 209 Umſchau nach einer Krone oder einem Lorber. Sie hätte getroſt die Geliebte eines Königs werden dürfen. Ihr Ruf wäre intakt geblieben; ihr hoher Stolz war ein Schild vor erniedrigenden Deutungen. Und ſie wird ihr Ziel erreichen, denn ſie iſt von jener zähen rückſichtsloſen Energie, jenem überſtarken Glauben an ſich ſelbſt, der mit faſt myſtiſcher Gewalt das Schickſal zwingt. Wo ihr Platz wirklich iſt, weiß ich heute noch nicht. Keins der Räthſel dieſer nordiſchen Sphinx habe ich errathen. Und ich liebte ſie heimlich. Wes⸗ halb? ich weiß es nicht. Gräfin Virginia wäre noch viel ſchöner geweſen, wenn ſie verſtanden hätte, ſich zu kleiden. Gräßlich, ihre grünen, kornblumenfarbenen und ſchwarz und weißgeſtreiften ſeidenen Kleider. Und die Hüte, die ſie über ihren unergründlichen Seherinnenaugen trug! Madam⸗Hüte! Wirſt Dus glauben Arnold, wegen dieſer Ge⸗ ſchmackloſigkeiten zweifelte ich an der Tiefe ihres Geiſtes, und an dem Schwung ihrer Seele. Sammet von dunkelflammendem Purpur, Her⸗ melin, nächtliches Schwarz mit oder ohne Sterne, Brokat, ſchweren elfenbeinfarbenen Atlas hätte ſie zu ihrer Kleidung wählen müſſen. Aber kniſtriger, ſeidener Plunder! Und Hüte durfte ſie überhaupt nicht tragen. Nur Schleier, oder etwas reizvoll⸗phan⸗ taſtiſches aus dem cinque cento, allenfalls einen Minervahelm. Noch einen andern plebeſiſchen Zug hatte dieſe 210 königliche Perſönlichkeit. Sie verſtand aus ihren Vaſallen Nutzen zu ziehen. Ich glaube, daß ihre Beziehungen zu Walter nur um dieſes Nutzens willen beſtanden. Sie ſah damals noch in ihrem Gatten den künftigen Miniſter. Sie bedurfte der Preſſe. Walter ſollte ihr litterariſcher Helfer ſein; vielleicht auch forderte ſie dieſe Dienſtleiſtungen nur in dem ſouveränen Stolz ihrer Herrſchernatur. Zuweilen kam ſie zu uns. Walter gerieth bei jedem dieſer Beſuche in ſo große Erregung, als wenn unſerm Hauſe eine hohe Ehre wiederführe. Mir bereiteten dieſe Beſuche eine tödtliche Ver⸗ legenheit. Sie ſprach mit Walter von Perſonen. Büchern, Dingen, die mir völlig unbekannt waren, und nicht ein einziges Mal richtete ſie ein erklärendes oder entſchuldigendes Wort an mich. Sie richtete überhaupt kein Wort an mich. Sie ignorirte mich völlig. Ich exiſtirte für ſie nicht. Ich fühlte, wie ich roth wurde, nicht etwa aus verletzter Eitelkeit, nein, ich wurde roth in die Seele dieſer Frau hinein, die, jedes Taktes und jeder Höflichkeit baar, mich in eine lächerliche, unmögliche Situation zwang, mich gewiſſermaßen aus meinem eigenen Hauſe hinaus warf. Ich verließ ab und zu das Zimmer, ſcheinbar um Erfriſchungen zu beſtellen, in Wahrheit aber um wenigſtens für eine Viertelſtunde dieſer peinlichen Situation zu entrinnen. Draußen zu bleiben wagte ich nicht, aus Furcht einen Gaſt zu beleidigen. Ach, ich hätte ruhig draußen bleiben können. Sie würde meine Abweſenheit nicht bemerkt haben. 14* 211 Wenn wir eine Geſellſchaft gaben, lud ich jedes Mal Virginia Dürer ein, oft ohne es Walter vorher mitzutheilen. Ich wollte mich an ſeiner freudigen Ueber⸗ raſchung weiden, und meinte, er müſſe mir für meine Selbſtloſigkeit ein wenig dankbar ſein. Die Ueber⸗ raſchung gelang zwar, aber zu meinem Erſtaunen ſchien ſie nicht ganz ſo freudig zu wirken, als ich erwartet hatte; und doch war Walter's Anbetung ächt. Mit der Zeit fand ich die Erklärung dafür. Wer in's Theater geht, um ſich in einem Luſtſpiel zu amüſiren, wird ſich leicht enttäuſcht fühlen, wenn das Repertoire geändert, und ſtatt des harmloſen Luſt⸗ ſpiels ein klaſſiſches Drama gegeben wird. Auf hohen Ernſt muß man eben vorbereitet ſein. Der geiſtige Appetit iſt ebenſo wenig immer rege wie der leibliche. Virginia Dürer war nicht bequem Sie ſchlug einen zu hohen Ton in der Unterhaltung an. Es giebt Frauen, die jedem Salon zur Zierde gereichen, aber die Leute ſprechen lieber nicht mit ihnen. Walter ging nach wie vor viel allein in Geſell⸗ ſchaft. In die eleganteſten maßgebenſten Kreiſe, in denen die Spitzen der Kunſt, Wiſſenſchaft nnd Ariſtokratie vertreten waren, lud man mich entweder gar nicht ein, oder doch nur zu den großen Pflicht⸗Geſellſchaften, nicht zu den intimen kleinen Diner's und Soupers. Solche Gattentrennungen kamen nicht häufig vor. In den meiſten Fällen würden ſie eine ſchroffe Zurückweiſung 212 erfahren haben. Das war bei uns nicht zu fürchten. Die Zurückſetzungen beleidigten mich nicht, ſie waren mir nur ein Beweis, wie gering man mich taxirte. Aber weh thaten ſie mir doch. Durch meine Schüchternheit, die mich wie im Schraubſtock hielt, ſammelte ſich Exploſivſtoff in mir auf, ſo daß ich mich hüten mußte, nicht gelegentlich in's Gegentheil umſchlagend, in irgend eine thörichte Excentricität zu verfallen. Ich hatte Augenblicke con⸗ centrirten Zorn's gegen mich. Mit den gröbſten Monologen traktirte ich mich: Aber das iſt ja ekelhaft idiot, deine Blödigkeit, auf der Stelle thu ſie ab! Und einige Male ſchüttelte ich ſie wirklich mit einem gewaltſamen Ruck ab, und — ſchwups — ſaß ich — es war noch dazu bei der Gräfin Virginia — auf einer Sophalehne — von gelblichem Atlas war ſie — ſteckte eine unternehmende Miene auf, und wollte etwas ganz originelles ſagen. Die mir zunächſt Stehenden ſahen mich unendlich erſtaunt an. Und da rutſchte ich ganz ſänftiglich von meiner Sophalehne wieder herunter, zurück bis in die tiefſten Tiefen meiner Schüchternheit. Ich glaube, eigentlich war es mir natürlich, excentriſch zu ſein. Immer riß eine Ungeduld an mir, mich über Hergebrachtes hinweg zu ſetzen. Ich kämpfte mit der Luſt, mich originell und maleriſch zu kleiden. Vor dem Spiegel ſteckte ich mir mit Nadeln ein phantaſtiſches, halbgriechiſches Gewand zu⸗ ſammen. Das Haar ließ ich in Locken auf die Schulter wallen und durchflocht es mit goldenen Bändern. Im 213 letzten Augenblick aber verſagte mein Muth, und ich zog verdrießlich ein langweiliges, correktes Seiden⸗ kleid an. einen pantomimiſchen Tanz aufzuführen, was ich ſo Oder ich nahm mir vor, in einer Geſellſchaft gut konnte wenn ich allein war, Tänze, an denen ich mich, gleich jenen indiſchen Derwiſchen, bis zur Extaſe berauſchte. Auch die Tänze blieben ungetanzt. Nicht nur gegen Dummheit, auch gegen Schüchternheit kämpfen Götter ſelbſt vergebens. Oft hatte ich die Empfindung, als hätte ich einen heimlichen Feind, der gegen mich wirke. Und ich hatte doch niemandem etwas zu leide gethan, niemandem machte ich Concurrenz. Wir waren bei einem berühmten Künſtler zum Diner eingeladen. Ich erſchrak immer über ſolche Ein⸗ ladungen. Warum lud man mich ein? doch nur aus Höflichkeit; man wollte mich doch gar nicht haben. Walter hatte mir anempfohlen möglichſt elegante Toilette zu machen. Und ich machte ſie. Ein weites, faltiges Mullkleid mit weiten Aermeln, eine breite Schärpe von weißem Atlas, eine weiße Roſe im Haar, drei Reihen weiße Wachsperlen um den Hals. Alles weiß, ſchneeweiß. Das reine Schneewittchen, dachte ich, als ich mich im Spiegel ſah. Nur meine ſchwarz lackirten Schuh — ich beſaß keine andern — genirten mich, und ſpäter, in der Geſellſchaft konnte ich mich der Vorſtellung nicht entſchlagen, daß alle Welt nach meinen Füßen ſähe. 214 Als ich mit Walter in den Salon trat, fing ich einen erſtaunten Blick der ſchönen Hausfrau auf. Sie begrüßte mich ein wenig verlegen, mit erzwungener Liebenswürdigkeit, und flüſterte dann mit einem Herrn, der ſich gegen das, was ſie ſagte, aufzulehnen ſchien. Ich fühlte inſtinktiv, daß von mir die Rede war. Dieſer Herr, auch ein berühmter Maler, führte mich darauf zu Tiſch. Er ſprach faſt ausſchließlich mit ſeiner Nachbarin zur Linken, nur ab und zu richtete er in brüsker Weiſe eine jener conventionellen Fragen an mich, die faſt beleidigend ſind, ſicher aber nicht zu eingehenden Antworten ermuntern. Und dabei redete er mich immer „ſchönſte“ und „allerſchönſte“ Frau an. Ich antwortete einſilbig. Ob ich denn wirklich nur ja und nein ſagen könne, fragte er mich einmal, und aus ſeinem Ton hörte ich, daß er damit eine Meinung ausſprach, die über mich im Umlauf war. Ich hielt mit Mühe meine Thränen zurück, und fürchtete mich vor dem Augenblick, wo man vom Tiſch aufſtehen würde; wieder würde niemand mit mir ſprechen, und verlaſſen würde ich daſtehen, zum Verdruß der Hausfrau, und zu meiner eigenen Beſchämung. Es wäre wohl auch ſo gekommen, wenn nicht eine auffallend große und ſtattliche Dame zu mir herangetreten wäre: Charlotte von Krüger. Nie wieder bin ich mit einem Menſchen ſo ſchnell bekannt geworden wie mit dieſer Frau. Das lag aber nicht an mir, ſondern an ihr. Sie wollte mit mir bekannt werden. Von Anſehen kannte ſie mich ſchon. Sie hatte mich 215 oft mit meinen Kindern geſehen, von ihren Fenſtern aus, die in unſern Garten gingen. Vor ihrer ſicheren, einfachen Art wich gleich meine Schüchternheit. Sie fragte nach meinen Kindern, nach meiner Familie, meiner Lektüre. Mit keiner Silbe erwähnte ſie meines Mannes. In der Unter⸗ haltung mit ihr vergaß ich meine ſchwarzen Schuh. Wir ſchieden beinah als Freundinnen. Ich mußte verſprechen, ſie am nächſten Nachmittag zu beſuchen. Ich hielt mein Verſprechen. Geſellſchaftliche Phraſen und andere Präliminarien, wie ſie ſonſt intimeren Beziehungen vorauszugehen pflegen, fanden zwiſchen uns nicht ſtatt. Ohne je an Indiscretion zu ſtreifen wußte ſie mich zum Sprechen zu bringen. Dabei merkte ich, daß ich eigentlich gar nicht verſchloſſen war; ſo mußten es wohl die andern ſein, die mich ſtumm machten. Schon bei dieſem erſten Beſuch fragte ich ſie, warum wohl die Leute bei dem geſtrigen Diner ſo ſonderbar geweſen wären. Sie ſchien eine Weile nachzudenken; dann erklärte ſie „der kleinen, ſüßen Frau“ — ſie nannte mich oft ſo — reinen Wein einſchenken zu wollen. Ich wäre nämlich gar nicht eingeladen geweſen, daher die Verlegenheit der Wirthin. Mein Nachbar hätte eigent⸗ lich eine andere Dame, für die er ſich lebhaft inte⸗ reſſirte, zu Tiſch führen ſollen. Daher ſein Verdruß, als er mir den Arm bieten mußte. „Und dann, liebes Kind,“ fuhr ſie fort, indem ſie mich liebevoll an ſich zog, „wie konnten ſie nur 216 dieſe kindlichen falſchen Perlen tragen! Das thut man doch nicht. Das überläßt man doch den Näh⸗ mamſells. Mir war ſchon wieder das Weinen nahe, und ich ſtotterte, ſie hätten doch ſo gut zu dem Kleid ge⸗ paßt, und ich hätte gedacht, es käme nur darauf an, ob etwas hübſch ausſähe, nicht auf den Geldwerth, und die Schnüre wären auch gar nicht ſo billig wie ſie wohl annähme, ich hätte 1¹ Thaler dafür ausgegeben. Charlotte lachte und meinte, ſie würde mit der Zeit ſchon eine perfekte, kleine Weltdame aus mir machen, und wir ſprachen von etwas anderm. Charlotte von Krüger war eine eigenartige Perſön⸗ lichkeit, faſt männlich in ihrer Erſcheinung; groß und wuchtig. Paletot, Kragen, Cravatte trug ſie nach Männerart. Den Sommer brachte ſie auf ihrem Gut in der Nähe Berlins zu. Ich beſuchte ſie dort zuweilen. Und wenn ſie da durch den Wald ſchritt, mit der dicken Cigarre im Munde — Cigaretten verachtete ſie — zwei Rieſenhunde ihr zur Seite, einen knorrigen Stock in der Hand, wirkte ſie nichts weniger als weiblich, trotzdem die Züge ihres Geſicht's fein und regelmäßig waren; ein gutes, klares, bürgerliches, etwas zu fleiſchiges Geſicht, ohne jede Complicirtheit; nur um ihre Mundwinkel einen Zug, wie wenn jemand etwas verſchluckt hat, das ihm widrig geweſen. Ihre Haut war ſpröde und rauh, ihr Teint wettergebräunt. Abſichtlich ſetzte ſie ſich jedem Wetter 217 aus. Nie trug ſie Schleier, Handſchuh oder Schirm. Ihre ſpröden Hände waren ſchön geformt. Ein großer Diamant am Finger war die einzige Koketterie, die ſie ſich erlaubte. Durch die Sicherheit und Würde ihrer Haltung, durch den ſtolzen Ausdruck ihrer Phyſionomie wirkte ſie vornehm. Ich hielt ſie anfangs für einen großen Geiſt. Bei näherer Bekanntſchaft fand ich ſie weniger intelligent, als ſtark von Charakter. Sie hatte ſehr viel bon sens, und in praktiſchen Dingen handelte ſie unge⸗ wöhnlich klug, klug bis zur Schlauheit. Sie hatte viel gelitten, und litt noch. In herbem Stolz aber verbarg ſie ihre Wunde unter der rauhen Schale einer ſelbſtherrlichen Männlichkeit, dabei em⸗ pfand ſie ſo weich, wie nur je ein Weib empfinden kann. Eine Liebesheirath, die ſie mit einem Offizier geſchloſſen, war von ſeiner Seite nach zehnjähriger Ehe gelöſt worden. In Folge der Wiederverheirathung mit einer niedrig ſtehenden Frau hatte er den Dienſt quittiren müſſen. Ueber dieſe Scheidung und die ſie begleitenden Umſtände, iſt Charlotte niemals fortge⸗ kommen. Blutete auch ihr Herz nicht dabei, ſo hatte doch ihr Stolz eine Wunde davongetragen, die ſich nicht ſchloß. Die Vorſtellung, daß man ſie um dieſer Scheidung willen, mißachten könne, war ihr uner⸗ träglich, hauptſächlich um ihres einzigen Sohnes willen, den ſie über alles liebte. Vielleicht war es nur der Haß gegen den einen Mann, der ſie zur Männerfeindin machte. Sie affichirte 218 dieſe Feindſchaft nicht etwa, im Gegentheil, ſie ver⸗ barg ſie ſorgfältig. Im Verkehr mit Männern zeigte ſie ſich außerordentlich liebenswürdig und außer⸗ ordentlich falſch, katzenhaft falſch. Sie ſpielte die ihrem Geſchlecht zuerkannte Unterordnung, wußte aber in unnahbarer Würde die Männer fern zu halten. Sie hütete Reinheit ihres Rufes wie ihren Augapfel. Ihrem Knaben ſollte die Mutter, trotz der Scheidung, eine Lichtgeſtalt bleiben. Nie ſprach ſie mit ihm direkt Unfreundliches über den Vater, verfuhr aber ſo diplomatiſch ſchlau, daß ſie ihre Abneigung gegen ihn auf den Sohn übertrug. Die ſtattliche Frau hätte ſicher noch Neigung erwecken und ſich wieder verheirathen können. Sie wollte nicht. Ihre Herrſchſucht aber, ihre thatkräftige Natur verlangte nach einem Kreis, in dem ſie zur Geltung kam. Da ſie für ihre Perſon auf Erleb⸗ niſſe verzichtet hatte, wollte ſie in den Seelen An⸗ derer leben, Schickſal für ſie ſpielen und dabei zugleich ihrem Gemüthsbedürfniß Rechnung tragen. So zog ſie eine Anzahl weiblicher Weſen in ihre Atmoſphäre, die eine Art Hof um ſie bildeten, und über die ſie unumſchränkt herrſchte. Es waren meiſt junge Mädchen, die aus irgend einem Grunde heimathlos und heimathbedürftig waren: Waiſen oder durch unglückliche Verhältniſſe dem Eltern⸗ haus Entfremdete. Einige bildeten ſich zu Lehrerinnen oder Künſtlerinnen aus; alle aber waren ſchwärmeriſch veranlagt und alle beteten Charlotte an. Es ſchien, die 219 Bedingung zur Aufnahme in dieſen Kreis war Jugend, Schönheit und ächt weibliche Artung. Selbſt ganz männlich, ſtieß Herriſch⸗Männliches bei andern Frauen Charlotte ab. Man ſollte ſich lianenhaft an ihr empor⸗ ranken, hülflos ſein. Das war ich ja, und vielleicht die Hülfloſeſte von Allen. Für eine Frau, die in glücklicher Ehe lebte, hätte ſie ſich nie intereſſirt. Ich wurde all⸗ mählich ihre Bevorzugte, und daran lag es wohl, daß die jungen Damen dieſes Kreiſes ſich mir nicht be⸗ ſonders herzlich anſchloſſen. Einer verheiratheten Frau, die es ja nicht nöthig hatte, gönnten ſie den Platz am Herzen Charlottens nicht. Und ich lag oft an ihrem Herzen. Wenn ſie mir mit ihrer rauhen Hand über das Haar ſtrich, mir Stirn und Augen küßte und mich Mignon nannte, (gerade wie früher der Dichter Moritz) dann durch⸗ ſtrömte mich köſtliches Behagen. Dann fühlte ich recht, wie ich geſchaffen war, verwöhnt, gehätſchelt, geliebkoſt zu werden. Ich dachte an meine Mutter. Was für ein zärtliches Kinderherz hatte ſie von ſich geſtoßen! Und doch — eigentlich liebte ich Charlotte nicht, vielleicht nur deshalb nicht, weil ich für Frauen — ich ſagte es Dir ſchon — keine Zärtlichkeit empfinde. Auch waren unſere Seelen und Intelligenzen nicht verſchwiſtert. Sie war nicht von meiner Art, dieſe poſitive, kluge, geſchäftskundige Frau. In der Folge ſahen wir uns faſt täglich. Eine perfekte Hausfrau und Weltdame aus mir zu machen, 220 gelang ihr zwar nicht, aber ich lernte viel von ihr, und ich lernte mit Begierde und mit Neugierde. Langſam ſchwand unter dem Einfluß ihrer reichen Erfahrung, ihres klaren Verſtandes meine Gläubigkeit, meine Naivetät. Sie ſpielte mir gegenüber etwas den Mephiſto, um nicht zu ſagen die Schwiegermutter. Ich ſollte auch Walter ſehen, wie er wirklich war. Ihre Beweggründe waren complicirter Art. Ihr ſexueller Haß gegen Männer wirkte mit, die heimliche Genugthuung einem Manne den Meiſter zu zeigen. Ausſchlaggebender aber waren edlere Impulſe bei ihr. Hülfreich war ſie und gut, und voll Zähigkeit und Energie, wo es galt denen zu helfen, die ſie liebte, und nicht nur denen, allen Mühſeligen und Beladenen gegenüber ſpielt ſie gern die Rolle der guten Fee, und ſuchte und fand ſie dabei auch eine Befriedigung ihrer Eitelkeit und Herrſchſucht, der Grundzug blieb ſchlichte Herzensgüte. Mich liebte ſie wirklich. Meine Blind⸗ heit und Naivetät aber entrüſteten ſie, für meine Schwäche und Feigheit hatte ſie kein Verſtändniß, ich ſollte unter ihrer Leitung durchaus einen Charakter kriegen. Auch als Hausfrau legte ſie Hand an mich. Ganz ſacht und allmählich ſuggerirte ſie mir, daß Walter an der geringen Schätzung, die ich in der Welt fand ſchuld ſei. Ich fragte ſie, ob er Un⸗ freundliches von mir ſpräche? Das wiſſe ſie nicht. Aber es gäbe ein Lächeln, ein Achſelzucken, das vielſagend ſei. Unter dem Siegel der Verſchwiegenheit pflege man intimen Freun⸗ dinnen mancherlei anzuvertrauen, Wahres und Falſches, 221 hauptſächlich Falſches. Dieſe Siegel ſchienen nur da zu ſein, um gebrochen zu werden. Aber ich thäte ihm doch nichts Böſes, nicht das geringſte. Das hindere niemand, mich für ein Malheur des genialen Dramatikers, und nebenbei für eine ſchlechte Hausfrau zu halten. Ob ich denn wirklich eine ſchlechte Hausfrau wäre? Sie lachte und ſtreichelte mich. Perfektere gäbe es ſchon. Und ſie erinnerte mich an eine gänzlich aufgeplatzte Bratwurſt, die ſie kürzlich auf meinem Tiſch geſehen. Wenn ihr die Köchin eine ſolche Bratwurſt auf den Tiſch brächte, ſo flöge ſie die Treppe herunter. Und Chocoladenſuppe! Wer gäbe denn einem erwachſenen Mann Chocoladenſuppe zu eſſen! Ich konnte mich nur damit entſchuldigen, daß wir im elterlichen Hauſe uns doch immer ſo ſehr auf Chocoladenſuppe freuten. Und die Geſchichte mit dem Faſan, die kannte ſie auch. Ich erfuhr, daß Walter alle Welt damit amüſire, und mit der Chocoladenſuppe auch. Auch ein Rind⸗ fleiſch mit Roſinenſauce, das Charlotte ebenfalls rügte, will ich hier nicht unterſchlagen. Ich erfuhr, daß Anekdoten und geflügelte Worte von mir im Umlauf waren, die mich als das Schäfchen charakteriſiren ſollten, das ich doch nicht war. Uebrigens wurden unter Charlottens Einfluß die geplatzten Bratwürſte wirklich ſeltener, die Chocoladen⸗ 222 ſuppen und Roſinenſaucen verſchwanden, und machten ausgewachſenen, einwandsfreien Menü's Platz. Die Dienſtboten zu zügeln und zu leiten das aber lernte ich auch nicht von ihr. Sie hatte ſtets die denkbar vorzüglichſten Mädchen, obwohl ſie über⸗ aus anſpruchsvoll und ſehr ſtreng war. Sie verſtand eben zu herrſchen. Nicht nur für ihre Liebe war ich Charlotte dank⸗ bar, mehr noch für etwas anderes. Sie entband mich von der fremden Perſon in mir, vom Alpdruck der Schüchternheit, die ſich wenigſtens ihr gegenüber verlor. Ich wurde mit ihr ich ſelbſt, und indem ich mich gab, entwickelte ich mich. Ich entdeckte Fähigkeiten in mir, die mich ſelbſt in Erſtaunen ſetzten. Denke Dir — aber wahrhaftig, es iſt wahr — ich wurde witzig. Charlotten's junge Mädchen lebten in ganz andern Kreiſen als ich, ſie wußten alſo nicht, daß mit mir nichts los war, waren nicht in Vorurtheilen gegen mich befangen. So wuchs ich an ihrem Lachen, ihrem Beifall. Einige weniger Wohlwollende unter ihnen, meinten freilich, ich wollte mit Gewalt originell ſein. Irrthum, ich gab mich wie ich war, redete, was mir in den Sinn kam. Es ſprudelte in mir von launigen Einfällen, von Bildern, meine Seele jauchzte förmlich in der neuen geiſtigen Freiheit, in der ich wie auf hohen Bergen mit vollen Lungen athmete. Zuweilen ſprach ich unwillkürlich ryhth⸗ miſch. Und Charlotte war ſo ſtolz, daß ſie mich ent⸗ 223 deckt hatte, zuweilen etwas befremdet, daß ich über ihren Geſichtskreis hinausflog. mich für dumm, da ich's doch nicht bin? Warum, fragte ich einmal Charlotte, hält man Ob nicht möglicherweiſe jemand ein Intereſſe haben könnte mich für dumm gelten zu laſſen? war ihre Gegenfrage. Sie dachte an Walter. Aber der hielt mich ja wahr und wahrhaftig für dumm. Sie hatte eine Averſion gegen meinen Mann, was ſie aber nicht hinderte ſich im Verkehr mit ihm einer unvergleich⸗ lichen Liebenswürdigkeit zu befleißigen. Sie war entrüſtet, daß ich meine Rechte als Gattin, und meine Würde als Frau mit Füßen treten ließ. Damit ich meine Situation klar erfaſſe ver⸗ half ſie mir energiſch zu einem Einblick in Walter's ausſchweifende Lebensweiſe. Eines Abends, als ich bei ihr war, ſchlug ſie mir einen Spaziergang im Mondſchein vor. Wir gingen hinaus. Es war kalt. Sie trug Verlangen nach einer Taſſe heißen Thees, und trat mit mir in ein elegantes Café unter den Linden. Sofort ſah ich Walter an der Seite einer ſchönen Dame. Der Mantel der ihr von den Schultern ge⸗ glitten, ließ den blendend weißen Hals frei. Drei Reihen großer, blaßroſa Korallen waren um den Hals geſchlungen. Walter, als er uns bemerkte, runzelte im erſten Augenblick die Stirn. Gleich aber gewann er ſeine Heiterkeit wieder. Daß kein Ueberfall beabſichtigt war, 224 ſah er wohl an meiner aufrichtigen Ueberraſchung, die ſogar einen Anflug von Freude hatte. Er ſtellte uns die Dame vor: eine Schauſpielerin, die ein Gaſtſpiel nach Berlin geführt, und die ihm von einem Freund warm empfohlen worden war. Die Dame kam mir entzückend liebenswürdig entgegen. Sie freue ſich unendlich, die Gattin des Mannes kennen zu lernen, dem ſie ihr Engagement zu verdanken habe. Und ſie bat mich ſo treuherzig, doch all meinen Einfluß bei meinem Gatten aufzu⸗ bieten, damit er ihr die Hauptrolle in ſeinem eben an die Bühnen verſandten Stück zuwende. Einer ſo reizenden jungen Frau könne er ſicher nichts ab⸗ ſchlagen. Ich glaubte jedes Wort das die beiden ſagten, plauderte eine Stunde auf das angenehmſte und Walter war ſo herzlich mit mir wie ich ihn kaum je geſehen. Wie ſonderbar doch der Zufall ſpielt, dachte ich; einmal der Zufall, daß wir uns im Café trafen, und dann noch ein anderer Zufall. Vor nicht langer Zeit war ich mit Walter vor einem Juwelierladen ſtehen geblieben, ganz in Be⸗ wunderung einer dreireihigen Kette von großen, blaß⸗ roſa Korallen. „Wenn wir das große Loos gewinnen, ſagte ich zu ihm, mußt Du ſie mir zum Geburtstag ſchenken.“ Und gerade ſolche Kette trug die junge Künſtlerin. Am andern Tag erzählte mir Walter ganz gegen ſeine ſonſtige Gewohnheit von dem ausgezeichneten Dohm, Schickſal einer Seele. 15 225 Charakter, und der hohen, künſtleriſchen Begabung der Dame. Leider ſei ſie bitter arm, aber zu ſtolz, um von irgend jemand eine Unterſtützung anzuuehmen. So fehle es ihr im Augenblick an einem paſſenden Hut, um ſich dem Intendanten vorzuſtellen. Er habe ſchon daran gedacht, ihr anonym etwas zu ſchicken, ſei aber gerade jetzt gänzlich abgebrannt. Ob ich nicht etwas Erſpartes beſäße. Ich beſaß in der That 50 Thaler, an denen ich ein ganzes Jahr geſpart, um mir ein pelzbeſetztes Winterkoſtüm anzuſchaffen. Walter, der mich um etwas bat! Und ich konnte ihm dieſe Bitte erfüllen! Ich war ſo ſtolz und ſo glücklich darüber. Ich verſchwieg Charlotten dieſen Zwiſchenfall, aus Diskretion gegen die junge Künſtlerin, auch um Walter's Willen. Eine Woche ſpäter — abermaliger Zufall. Char⸗ lotte hatte darauf beſtanden, mich zu einer Premiére mit in's Theater zu nehmen. Vorn in der Prosceniumsloge ſaß die Dame mit den roſa Korallen. „Wer iſt denn der Herr hinter ihrem Stuhl, der ſo eifrig in ſie hineinredet?“ fragte Charlotte. Ich richtete das Opernglas auf die Loge und erkannte Walter. Ich murmelte etwas über wunder⸗ bare Zufälle. Sie ſah mich an, ohne ein Wort zu ſagen. Für die Rückfahrt nahm ſie eine Droſchke, die ſie vor einem Hötel in der Mohrenſtraße warten ließ. Nach wenigen Minuten hielt eine andere Droſchke. (ich 226 kann nicht dafür, daß in meiner Geſchichte ſo oft Droſchken halten.) Walter ſtieg mit der Korallen⸗ dame aus. Er hat ſie vielleicht nur nach Hauſe gebracht, ſtieß ich beklommen heraus. Wir warteten noch zehn Minuten. Walter kam nicht wieder. Woher Charlotte ſo genau in Walters Lebensge⸗ wohnheiten eingeweiht war, hat ſie mir nie verrathen. „Du haſt jetzt Deinen Mann in der Taſche, ſagte ſie, benütze die günſtige Poſition. O Gott, ſie wußte nicht, daß es mir fürchterlich war, jemand in der Taſche zu haben, daß ich nicht über die Lippen gebracht hätte, Walter auch nur mitzutheilen, daß ich ihn in der Loge geſehen. Zog er eine andere mir vor, wie vulgär mich zu ihm drängen zu wollen. Einen Menſchen beſchämen, gern über ihn trium⸗ phiren, iſt das nicht, als beſtritte man ſeine Ver⸗ gnügungen mit dem Schaden Anderer? O Arnold, von ihr, von Charlotte habe ich auch endlich erfahren, wie es kam, daß ich ſeine Gattin wurde. Jahrelang hatte er ein Verhältniß mit einer verheiratheten Frau von den ſchlechteſten Sitten ge⸗ habt, die viel älter war als er. Der Gatte der Dame ſtarb. Sie hielt es für ſelbſtverſtändlich, daß er ſie heirathen würde, um ſo mehr, da er annehmen 15* 227 mußte, daß ihr Kind auch das ſeinige war. Als Gattin war ſie für ihn eine unmögliche Perſon. In der Umſchau nach einem Rettungsanker verfiel er auf die Verlobung mit mir; der Dame gegenüber datirte er unſere Verlobung auf einen früheren Zeitpunkt zurück. Er könne das junge Mädchen, in deren elter⸗ lichem Hauſe er jahrelang ein⸗ und ausgegangen, nicht im Stich laſſen. Nach Charlotten's Anſicht trug er ſich mit dem Hintergedanken, die Verlobung mit mir in einem ge⸗ eigneten Moment wieder aufzulöſen. Eine ſolche Auflöſung, meinte ſie, wäre nicht leicht, wenn man als Bräutigam in einen Familienkreis aufgenommen, wenn die Braut ſchön und makellos iſt, und ihr ein anſehnliches Erbtheil in Ausſicht ſteht. Vielleicht hatte Walter auf einen Zufall gerechnet, der ihm zu Hülfe kommen ſollte. Es kam ihm aber keiner zu Hülfe. Zufälle ſind Kobolde. Gleich ſind ſie da, wenn ſie nicht da ſein ſollten, und ruft man ſie, ſtellen ſie ſich taub. Und darum vielleicht iſt Walter von Anfang an ſo böſe auf mich geweſen, weil er verſäumt hatte, mich zur rechten Zeit abzuſchütteln. Uebrigens erſchütterte mich dieſe Aufklärung nicht. Daß er mich zur Zeit der Verlobung nicht geliebt hatte, wußte ich längſt. Was hatte ich alſo beſonderes erfahren? Nur meine Neugierde war befriedigt, und der Horizont meiner Menſchenkenntniß erweitert worden. Und dann — meine Gewohnheit in Träumen zu leben, mag ſchuld ſein, daß oft Wirkliches mich nur 228 traumartig, an der Oberfläche berührte, ohne die feineren Empfindungsnerven vibriren zu laſſen. Aber nicht bloß in Bezug auf Walter lüftete Charlotte allmählig die Binde vor meinen Augen. Sie lehrte mich auch der Geſellſchaft in's Herz ſehen. Charlotte hatte meiner Intelligenz den Anſtoß gegeben, nun kam ſie in's Rollen, und ſie rollte — rollte — lawinenartig weiter. Sie rollte fort über ſo vieles, bis zuletzt — ach ich glaube, es iſt noch gar nicht zuletzt. In meiner Natur begannen ſich immer ſchärfere Gegenſätze herauszubilden: Romantik im Gemüth, eine ſingende, klingende, und Skepſis im Kopf, eine kalt fragende; und neben dieſer zerſetzenden Intelligenz zärtliche Verträumtheit, die am liebſten auf weichem Pfühl unthätig und beſchaulich ſchwelgte. Feige Ge⸗ ducktheit nach außen, und innere Auflehnung gegen jede Schranke. Es ſcheint mir ſo ſonderbar willkürlich die Menſchen in Herrſcher⸗ und Sklaven⸗Naturen einzu⸗ theilen. Herrſchen! es widerſtrebte mir nicht nur, weil ich es nicht konnte, ich hätte es auch nicht ge⸗ wollt. Ueberhaupt kam mir das Herrſchen brutal vor, eine Eigenſchaft für ein ſubalternes Zeitalter, und für ſubalterne Menſchen. Kraftmeier, Gewalt⸗ menſchen ſind mir von jeher antipathiſch geweſen. Können aber nicht Mangel an Wehrkraft und Willensohnmacht zuſammengehen mit abſolut freiem ſouveränem Denken? Viel ſeltener als man glaubt 229 wirken Charakter und Intelligenz beſtimmend aufein⸗ ander und ineinander. O Arnold, das Bild, das ich Dir von unſern Kreiſen entrollen könnte, würde Dich mit Entſetzen erfüllen, Du würdeſt es für eine tolle Ausgeburt meiner Phantaſie halten, Du Begnadeter, der Du unter Adelsmenſchen aufwachſen durfteſt, fern ab von der Malaria, die ich jahrelang athmete. Im Paradieſe ſind viele geboren, ich wohl auch. Und ſchuldlos — ohne in den Apfel gebiſſen zu haben, ſind ſie hinausgetrieben, nicht von Engeln, die Gott geſandt, eher von der bekannten kalten Teufelsfauſt. Mit Staunen blickte ich anfangs in dieſe neue Welt. Sie wirkte wohl deshalb ſo überraſchend, ſo befremdlich auf mich, weil ſie ſich ſo ſcharf von der Welt abhob, in der ich im elterlichen Hauſe und in den erſten Jahren meiner Ehe gelebt. Meine Natur iſt nicht auf Beobachtung angelegt, und ohne Charlotte wären wohl noch Jahre hinge⸗ gangen, ehe ich dieſe Geſellſchaft begriffen. Du meinſt vielleicht, daß die engen Kreiſe, in die ich zufällig gerathen, nicht viel bedeuten, gegen⸗ über der Maſſe der Bevölkerung. Doch Arnold, ſie bedeuten viel. Die Quinteſſenz der modernen Weltanſchauung und eine Fülle von Intelligenz waren in ihnen vertreten. Ich hatte von den franzöſiſchen Salons einer 230 Frau von Rambonillet, von den Salons einer Rahel, einer Henriette Herz geleſen, und immer waren es politiſche, literariſche, künſtleriſche Intereſſen, die da im Vordergrund ſtanden, Flirt, Liebesintriguen liefen nur nebenher. Durch unſere Salon's aber wehte der Duft von Orangenblüthen, Jasmin, Tubaroſen. Aphrodite ſaß auf dem Thron; Apollo, Minerva leiſteten ihr nur Knappendienſte. Waren die einzelnen Frauen dafür verantwort⸗ lich zu machen? Kaum. Eine war, wie alle waren, weil alle die Eine mit hineinriſſen in die hübſchen Höllen, wo man nur zum Plaiſirvergnügen liebt und lebt. Und wenn von Schuld die Rede iſt, ſo hatten die Männer mehr davon als die Frauen. Bevorzugten ſie nicht die Circen, die Bajaderen, die mit den bacchantiſchen Gebärden, und den noch bacchantiſcheren Gewändern? Ich habe Erfahrungen gemacht Arnold — ab⸗ ſcheuliche! Wirſt Du's glauben, da war ein Menſch, ein widriger, der affichirte ein Liebesverhältniß mit einer guten, kleinen Frau, nicht etwa um den Verdacht von einer andern abzulenken — nein, nur um damit zu prahlen, daß eine hübſche, junge Frau von reinem Ruf ſeinen Reizen erlegen war. Wie er ſich hinter ihren Stuhl ſtellte — immer nur wenn viele Leute es bemerken mußten — ſich zu ihr niederbeugte, ihr in's Ohr flüſterte, die gleichgültigſten Dinge von der Welt, wie er ihr zunickte und winkte, 231 und eine einſeitige Gebärdenſprache etablirte — ein Verbrechen war's. Woher ich das weiß? Ich war ja ſelbſt die kleine Perſon, die hülfloſe, die nicht wußte wie ſie ſich ſo gemeiner Zudringlichkeit erwehren ſollte, ich ſelbſt war die dumme Perſon, die ihren Mann um Hülfe anrief, und der lachte und gratulierte mir zu dem dicken Anbeter, und meinte, jede Frau von Takt wiſſe ſich in ſolcher Lage ſelbſt zu helfen. Er hatte wohl recht damit. Aber iſt es nicht entſetzlich, daß in der ſogenannten guten Geſellſchaft eine Frau überhaupt in eine ſolche Situation gerathen kann, daß es in dem Belieben jedes Schurken ſteht, ſie zu kompromittiren. Es gab in unſern Kreiſen einige pikante, ſchöne, geiſtvolle Damen, hochgefeierte, die ſich von Dirnen nur durch den Ehering unterſchieden. Man konnte ſie nicht einmal mit der Augier'ſchen „Armen Löwin in eine Reihe ſtellen. Denn einmal waren ſie nicht arm, und dann begnügten ſie ſich auch nicht mit Einem Liebhaber, um ſich finanziell heben zu laſſen. Da war ein Menſch — Hochſtapler iſt kein zu hartes Wort für ihn, — er hätte ins Verbrecheralbum gehört. Jedermann wußte es. Und man lud ihn mit Befliſſenheit ein. Warum? Er war geiſtreich, amüſant, hatte die ſchärfſte Zunge und den beißendſten Witz, wußte jeden Klatſch und verachtete die Menſch⸗ heit, die ihn mit einigen Millionen im Stich gelaſſen hatte, unermeßlich. Die Gaſtgeber entlaſteten ihr Gewiſſen, indem 232 ſie meinten, man lüde ja auch Virtuoſen nur um ihrer Kunſtleiſtungen willen ein, ohne nach ihrem Charakter und Vorleben zu fragen. Warum alſo nicht dieſen Virtuoſen der Zunge? Natürlich behaupte ich nicht, daß ſo Bösgeartete Dutzendweiſe vorhanden waren. Sie waren vielmehr Ausnahmen. Aber daß ſie eine Rolle ſpielen konnten, daß man ihnen die Hände drückte, ſich nicht über ſie entrüſtete, das war ſo gräßlich charakteriſtiſch. Ja, ein ungeheures Lügennetz umſpannt die ganze Kulturwelt. Alle, alle lügen, auf der Tribüne, auf der Kanzel, im Gerichtsſaal, in den Salons, im Schlafzimmer. Und ich? lüge ich etwa nicht? Ich lüge vom Morgen bis zum Abend, ich lüge wenn ich jenem Hoch⸗ ſtapler die Hand gebe, ich lüge, wenn ich gedankenlos herkömmliches Zeug rede, von dem meine Seele nichts weiß. Ich lüge mit meinen Lippen, die lächeln, wo ſie verachten. Ich lüge, wenn meine Züge ſtill bleiben, während es in mir gährt. Selbſt meine Schüchtern⸗ heit iſt eine Lüge. Ich bin ja innerlich unverſchämt, vor nichts habe ich Ehrfurcht; ich verneine im Ge⸗ heimen, was ich äußerlich bejahe. Aber ein wenig unterſcheide ich mich doch zum Vortheil von vielen andern Lügnern. Ich lüge un⸗ gern und ich bin mir immer der Lüge voll bewußt. Es herrſchte in dieſer Geſellſchaft eine prickelnde Luſt in verfängliche Tiefen zu tauchen, Irrlichter in Sümpfen, Hexen auf dem Blocksberg, unanſtändige, ſataniſche Grimaſſen zu erlauſchen. 233 Einmal nach einem kleinen Souper in unſerm Hauſe, beſchloß man in corpore das Orpheum (da⸗ mals ein Lokal wie etwa in Paris das „bal mabile“, zu beſuchen. Man müſſe eben alles kennen lernen. Die Damen ſchienen an Ort und Stelle einiger⸗ maßen enttäuſcht, und eine äußerte ganz ärgerlich, darum wäre ſie doch nicht Nachts um zwölf Uhr in's Orpheum gefahren. Das wäre ja alles beinah an⸗ ſtändig, jedenfalls lange nicht unanſtändig genug. Man lachte und verſtändigte die unzufriedene Dame, daß es die Sittenpolizei ſei, die Satan bän⸗ dige! Und doch — nicht ungeſtraft beſucht man Or⸗ pheum's. Sicher traten auch bedeutende Menſchen in meinen Geſichtskreis, ich hatte aber nicht Muth und Geſchick ſie nach den Wegen zu fragen, die aufwärts führen, und ſie gingen vorüber. Und auch Charlotte entſchwand mir. Seit einiger Zeit ſchien ein Kummer an ihr zu nagen. Sie verlor ſichtlich an Kraft und Friſche. Mitten im Winter gog ſie ſich plötzlich auf ihr Gut zurück. Sonderbarer⸗ weiſe ſchrieb ſie mir von da nicht ein einziges Mal. Eines Tages aber kam ſie unvermuthet nach Berlin. Das freudige Willkommen erſtarb mir auf den Lippen, als ich ſie ſo traurig verändert ſah. Ihr blühendes Geſicht verfallen, das Haar ergraut, die Geſtalt ge⸗ 234 beugt. Ich forſchte liebevoll nach dem Grunde der traurigen Veränderung. Sie ſei herz⸗ oder lungenkrank, ſie wiſſe es nicht recht, es ſei auch ganz gleichgültig. Ob ſie nach Berlin gekommen, um einen Arzt zu conſultiren, fragte ich. Nein, ſie ſelbſt ſei als Arzt gekommen, um meinetwillen ſei ſie da. Aus weich⸗ licher Feigheit habe ſie mir noch etwas verſchwiegen. Es wäre ſo thöricht geweſen als eine Operation zu hintertreiben, die einem die Geſundheit wieder geben könne. Meine Geſundheit hieße: Trennung von Walter. Ich ſah beklommen zu ihr auf. Was würde ich er⸗ fahren? Nur widerwillig, Arnold, ſage ich Dir das Abſcheuliche. Walter hatte im Vertrauen verſchiedenen Perſonen mitgetheilt, daß er von mir betrogen worden ſei, daß ich vor der Ehe einen Geliebten gehabt. Seine In⸗ timen hatten den hübſchen Klatſch weitergetragen, von Mund zu Mund war die Mähr gegangen, und hoch klang das Lied von dem edlen Gatten, der Gnade hatte für Recht ergehen laſſen. Ich ſah Char⸗ lotte entſetzt an. Ich glaubte nicht recht gehört zu haben. „Das kann nicht ſein, es iſt unmöglich. Ob ich je eine Verleumdung oder Lüge aus ihrem Munde gehört? Nein, das hatte ich nicht. Sie habe hart mit ſich gekämpft, ehe ſie ſich zu dieſer Mittheilung entſchloſſen, die eine Trennung von 235 meinem Gatten zur Folge haben müſſe. Walter ſei mein Feind, und ich hätte nur die Wahl: Trennung oder moraliſches und geiſtiges Siechthum. Davor wolle ſie mich bewahren. Ich war außer mir, Charlotte wollte mich be⸗ ruhigen, tröſten, und da zeigte ſie mir die furchtbare Wunde an der ſie verblutete: Man hatte ihre immer hülfsbereite Freundſchaft, ihren zart innigen Verkehr mit den jungen Mädchen auf ein unnatürliches Laſter zurückgeführt, und ſie kannte die Quelle dieſer infamen Verleumdung: der Vater ihres Sohn's. Und noch mehr ſagte ſie mir. Du lieber, ein⸗ facher, reiner Menſch, Du weißt nichts von der heim⸗ lichen Miſere ſo vieler Ehen, welche Widrigkeiten, welche Martern es für die Frau giebt, von denen der Mann keine Ahnung hat. Da iſt eine Gattin, — ſie hat möglicherweiſe ihren Mann lieb, ihre zitternde Seele neigt ſich in heißer Zärtlichkeit ihm zu. Aber dieſe Flamme will mit edlem Material genährt ſein. Darüber verfügt er nicht, und in ſeiner Umarmung wird die Flamme zu einem Brandmal. Unglückliche Charlotte! Sie hat mich ahnen laſſen, wie furchtbar ihr das Erdulden der Gattenliebe war, wie zornig oft ihre Abwehr, ein Zorn bis zur Raſerei, bis zu der teufliſchen Einflüſterung: „Tödte ihn. Und nun tödtete er ſie. Sie hatte heiſer, tonlos geſprochen, die Augen in ſtarrender Wuth auf den Boden geheftet. Die Aermſte hatte ſeit Monaten in ſteter und 236 furchtbarer Angſt gelebt, die Verleumdung könne ihrem heißgeliebten Sohn zu Ohren kommen. Er war Offizier — ein Wort von einem Kameraden — ſie ſah das Schreckbild eines Duells — ſie ſah ihn todt — den einzig Geliebten, todt um ihretwillen. Und wie — wenn er auch nur einen einzigen Augenblick eine ſolche Monſtruoſität für möglich halten konnte! Ueber Todte ſchweigt man. „Darum — ſo ſchloß ſie — werde ich ſterben, weil ich ſterben will. Es waren ihre letzten Worte. Ich habe ſie nicht wieder geſehen. Wenige Monate darauf war ſie todt. Als ſie nach jener ſchrecklichen Stunde von mir ging überfiel mich ein Schüttelfroſt. Ich legte mich zu Bett. Einen Augenblick trug ich mich mit Selbſt⸗ mordgedanken, und ſterbend wollte ich Walter in's Ohr ſchreien: „Es iſt nicht wahr.“ Im heftigſten Paroxismus der Verzweiflung aber fiel mir plötzlich ein: „Kriegſt Du ſchon wieder eine tragiſche Gänſehaut?" Wie albern, ihm zurufen zu wollen: „Es iſt nicht wahr.“ Er weiß ja, daß es nicht wahr iſt. Die Vorſtellung, eine Erklärung dieſer abſcheu⸗ lichen Verleumdung von ihm zu fordern, wies ich mit Abſcheu zurück. Und dann dachte ich wieder: wie gut, wie gut, daß du ihn nicht liebſt, du müßteſt ja wahnſinnig werden. Laß ihn doch ſagen, was er mag. Was geht es mich an? Nichts habe ich mit ihm ge⸗ mein. O heilige Ehe! heilige Ehe! Ich glaube, ich 237 lachte laut. Ein böſes Lachen, das über die Seele hinbrauſt, und in einer Flut von Hohn Glauben und Idealität begräbt. Erſtarktſeins. Hin zu Traut. Ich riß das Kind an Ich ſprang aus dem Bett, mit dem Gefühl des meine Bruſt: Traut! Engel! Seelentroſt! Himmels⸗ bote! mit deiner ſchwarzen Mähne trockne meine Thränen, ſchlage um mich die dunkeln Flügel, daß ich nur Dich ſehe, nur Dich! Herzenspüppchen! jauchze! tanze! Das Ungewohnte, Wilde meines Weſens erſchreckte die Kleine, und mit einem himmliſchen Inſtinkt ſagte ſie: „Muttchen, Traut will lieber beten. Und ſie kniete nieder im Bettchen. In dem langen, weißen Hemd, die Händchen gefaltet, die Augen nach oben gerichtet, ganz ein Cherub. Und ſah ich den Glorienſchein nicht, ich empfand ihn. Und Traut betete wie das Kindermädchen es ſie gelehrt: „Breit aus die Flügel beide, o Jeſu meine Freude, will Satan Dich verſchlingen, ſo laß die Englein ſingen, dies Kind ſoll unverletzet ſein. Ja, das Englein hatte geſungen. Ja, das Kind ſoll unverletzet ſein, auch von mir. Er ſoll nur kommen, der Satan! Ich bettete ſie zurück in die Kiſſen, ich küßte ihre roſigen Füßchen: „ſchlaf Traut, ſchlaf Nein, Traut iſt nicht Walter's Kind. Es iſt mein Kind, meines ganz allein. 238 Wirſt Du es glauben Arnold, daß in nicht all⸗ zulanger Zeit mein Groll gegen Walter ſich ver⸗ flüchtigte, und als Jahr und Tag in's Land gegangen waren, hatte ich faſt vergeſſen, was er mir gethan. Meiner Seele fehlt das Gedächtniß. Ich muß ein⸗ mal zu irgend einer Zeit einen zu ſtarken Zug aus dem Lethe gethan haben, und der wirkt noch immer in mir nach. Edle, gütige Charlotte, Du haſt mich ſchlecht gekannt; nicht einen Augenblick dachte ich an Schei⸗ dung. Ich kann wohl haſſen, aber keinen Einzelnen, mein Haß breitet ſich immer gleich wie eine Wolke über den ganzen Horizont meines Lebens: ein Haß über die Enge meines Daſeins, ein Haß ſo ins Blaue hinein, gegen die Welt im allgemeinen, daß ſie gerade ſo war und nicht anders, ſie hätte doch auch ſo gut anders ſein können. Was für eine Welt! wo einer dem andern das Herz aus dem Leibe reißt, ohne jeden Grund! Was hatte er nur davon? Man erzählt von einer Fürſtin im Mittelalter, die junge Mädchen zu Tode martern ließ, um ſich an ihren Qualen zu weiden. Aber ſie war toll, dieſe Fürſtin, toll. Und Walter war ſo nüchtern klug. Freilich, ich wußte ja, er hatte nicht etwa aus überlegter Bosheit gehandelt. Das hatte meine Mutter auch nicht ge⸗ than. Beide handelten impulſiv. Er war nun ein⸗ mal kein Cato. Walter hatte in einem gegebenen Augenblick eine Rechtfertigung, eine Beſchwichtigung irgend einer 239 Perſon gegenüber gebraucht, und da kam ihm der Ein⸗ fall mit meinem Fehltritt vor der Ehe. Und er hat die Idee gewiß ganz famos gefunden. Er dachte dabei garnicht an mich, nur an ſich. Und ich würde es ja nie erfahren. Mit der Zeit mochte ich ihn ſogar wieder gut leiden. Ich hatte es wieder gern, wenn der Duft ſeiner Havannah durch das Haus zog, wenn er ſein hübſches Geſicht durch die Thür ſteckte, und ſein ner⸗ vöſes, etwas heiſeres Lachen eine prickelnde Aufgeräumt⸗ heit verbreitete. Und doch — gab ich mir auch keine Rechen⸗ ſchaft davon — der Tropfen Gift, mit dem Walter's ſchimpfliche Verleumdung mein Blut inficirte, that ſeine Wirkung. Manches, was bis dahin noch un⸗ ſicher und ſchwankend in mir gährte, gewann an Boden: Die Luſt und der Wille bei dem Bacchanal des Lebens dabei zu ſein. War ich nicht in der That dumm? Wenn alle das Leben ſo leicht nahmen, warum ich nicht auch? Durch Reihen Tanzender, ſchwerfällig ſchreiten iſt beinah lächerlich. Mittanzen einfach und natürlich. Waren alle dieſe Umſchwärmten, Begehrten etwa ſchöner, beſſer, klüger als ich? Gar nicht. Ich brauchte alſo nur zu werden wie ſie. Als ich früher einmal in einem Geſpräch mit Charlotte meine Verwunderung über die fabelhaften Geſellſchaftserfolge einer reizloſen Dame, ausſprach, ſagte ſie! „Dieſe Frau kennt die Männer. „Wie meinſt Du das Charlotte) 240 „Sie weiß die Männer ſind eitel, ſinnlich und dankbar. Eins der urälteſten Recepte der Weltapotheke — lange vor Machiavel und Napoleon — heißt: die Menſchen bei ihren Schwächen faſſen. Dieſes Geſpräch fand in einer Geſellſchaft ſtatt. Sie deutete auf eine Dame, die mit einem Archäo⸗ logen plaudernd, in unſerer Nähe ſtand. Sie habe einen Theil der Unterhaltung zwiſchen den Beiden gehört. Die Dame, die oberflächlichſte aller Kom⸗ merzienräthinnen, ließe ſich ſchon eine Stunde lang, begeiſterten Ohr's, einen Vortrag über die In⸗ ſchriften auf alten Sarkophagen halten, welches Wiſſensgebiet ihr Hekuba ſei, indem ſie mit Recht den Ruf genieße, nur für Hüte zu ſchwärmen. „Warum thut ſie das“ ? fragte ich. Charlotte winkte dem Archäologen, der ſich eben mit tiefer Verbeugung von ſeiner Dame trennte. „Nun, junger Winkelmann haben Sie ſich gut unterhalten mit Frau S? . . . „Ausgezeichnet. Die geſcheuteſte und liebwertheſte Frau, die ich kennen gelernt habe“. „Das iſt der Dankbare, ſagte Charlotte zu mir als der Archäologe gegangen war. Und daß Du's nur weißt, Frau Bronowski, das notoriſche Gänschen, iſt auch die geſcheidteſte und liebwertheſte Frau unter der Sonne. So behauptete vorhin der ſehr ehren⸗ werthe Abgeordnete Maider, der im hohen Hauſe für Civilehe und Leichenverbrennung wie ein Löwe kämpft, ſonſt aber als politiſcher Kannegießer zum Weißbier neigt. Das notoriſche Gänschen hatte ihm ein Dohm, Schickſal einer Seele. 16 241 künftiges Miniſterportefeuille auf den Kopf zugeſagt, als Lohn ſeiner welterſchütternden politiſchen Wirk⸗ ſamkeit.“ der Dame aus dem Poſen'ſchen, die in Perlen und „Das war für den Eitlen. Uebrigens war es Diamantenpracht ſtrahlt, Ernſt mit ihrem Lob. Sie ſchwärmt nämlich auch für Leichenverbrennung. Sie will durchaus nicht verweſen. Charlotte hatte dann meine Aufmerkſamkeit auf eine Gruppe von Damen gelenkt, um die ſich ein Schwarm von Verehrern drängte. „Warum glaubſt Du daß dieſe Damen ſo um⸗ ſchwärmt ſind: Ich wußte es nicht. Beſonders hübſch waren ſie nicht. Ich meinte, ſie wären vielleicht geiſtreich. unterhaltſam. „Nicht die Bohne. Aber ſieh nur, wie reizend ſich der weiße, tiefentblößte Nacken der Blondine da von dem ſchwarzen Boa um ihren Hals abhebt: und die Andere, die Brünette — kann eine Büſte roſiger, durch feinere, verrätheriſchere Spitzen ſchimmern als die ihrige? „Das iſt für die Sinnlichen, Hm, ja! So wird's gemacht.“ So Charlotte. Und ich? Ob ich mir das Recept aneignen ſollte? Pfui! Und doch — — — Ich verhöhnte mich, in Selbſtgeſprächen: Du mein braves, rechtſchaffenes Selbſt. Ducke Dich nur weiter und übe nach wie vor Treu und Redlichkeit bis an Dein kühles Grab. 242 Hat es je einer anerkannt? Meine Beſcheidenheit hieß Dummheit, meine Stille — Stumpfſinn, meine Arbeitſamkeit — Magdthum, meine einfache Kleidung — Mangel an Geſchmack. Dieſes letztere beſonders kränkte mich bitter. Meine einfache Kleidung! Ich wußte doch, welche Entſagung ich gerade auf dieſem Gebiet übte. Oft ſtand ich vor einem Confektions⸗ geſchäft, hart mit mir kämpfend, ob ich nicht dieſen entzückenden Pelzkragen, jenes reizende Jäckchen kaufen ſollte. Und wenn meine Tugend triumphirte — und ſie triumphirte immer — ging ich betrübſam weiter, und fand nicht einmal in meinem Pflichtbewußtſein einen kümmerlichen Lohn. Ja, grau, aſchfarben, ſaft⸗ und kraftlos waren all' meine Tugenden, ſie blühten nicht, ſie zeugten nicht, ſie hatten etwas entblättertes, dorniges. Und wenn ich mir's recht überlege, es waren ja gar nicht mein e Bravheiten, ich hatte ſie mir aufſchwatzen laſſen; die meinen, die ſollten noch kommen, die mußten weittragender, beſchwingter ſein, mehr als das bißchen beſcheidene Geducktheit, mehr als der ſtumpfe Gehorſam gegen Sitte und Brauch. Alſo — fort aus dem Schatten! Hinüber auf die Sonnenſeite. Ich beobachtete nun ſcharf und aufmerkſam, was um mich her vorging. Ich wollte hinter das Geheimniß der Anziehungskraft all jener Gefeierten kommen. Und ich kam dahinter. So einfach war's. Charlotte hatte recht. Koketterie, nichts weiter. Ja, mit Worten und Gebärden, mit Körper und Geiſt koket⸗ 16* 243 tirten ſie, die Einen ſo und die Andern wieder anders. ſchiedenen Spielarten der Koketterie, die Wirkung Mit Erſtaunen ſah ich die Wirkung dieſer ver⸗ dieſes girrenden Lachens ohne Grund, dieſes Neckens und Schäkerns ohne Witz, dieſes Lockens mit Tempe⸗ rament, capriziöſen Frechheiten, ja mit Verbuhltheit. Es gab freilich auch ganz feine Seelenkoketterien, auf höher geſtimmte Geiſter berechnet, wo man ſich als Göttin, Elfe, Muſe, Grazie verkleidete, und in zarte Schleier gehüllt, räthſelhafte Tiefen, abgründliche Geheimniſſe ahnen ließ. Ich konnte nicht genug darüber ſtaunen, daß die Kunſt der Schmeichelei eigentlich gar keine Kunſt war. Sie mochte noch ſo grob und primitiv geübt werden, ſie erreichte immer ihren Zweck. Und keine Geſcheut⸗ heit, keine Tüchtigkeit ſchützte den Mann, den Zaube⸗ rinnen in's Garn zu gehen; ja, je naiver, beſſer, je unbefangener er war, deſto leichter geſchah es ihm. Um eheſten entgingen noch routinirte Weltleute den Fallſtrichen dieſer Circen. Die hatten zu oft hinter den Couliſſen geſtanden, und die abgebrannten, hölzernen Gerüſte geſehen, nachdem das Feuerwerk ver⸗ pufft war. Ja, ich wollte auch zaubern lernen, auch kokett werden, mich auch des Lebens freuen, „ſo lange das Lämpchen glühte, die Roſe pflücken, ehe ſie verblühte. Ich erinnere mich noch genau meines erſten De⸗ büt's auf dieſer ſchlüpfrigen Bahn. Ich ſaß in einer Geſellſchaft zur Rechten eines Herrn, der mir, im an⸗ 244 geregten Geſpräch mit ſeiner Dame zur Linken, un⸗ entwegt den Rücken kehrte. Ich ergriff die Gelegen⸗ heit, als er mir einmal aus Höflichkeit einen Brocken von Unterhaltung zuwarf, und fragte ihn mit kalter, ironiſcher Berechnung, ob er vielleicht mit dem Herrn S. verwandt wäre, dem Schrifſteller, deſſen Werke ich mit ſolchem Entzücken geleſen hätte. Mit einem Ruck wendete er ſich mir voll zu. Daß er dieſer Schriftſteller ſelber war, wußte ich natürlich. Und von dieſem Augenblicke an, gab er ſich ganz der Unterhaltung mit mir hin, die Dame zur Linken ſträflich vernachläſſigend. „Ce n'est que le premier pas qui coüte.“ Meine erſten Schritte waren gewiß ungeſchickt genug, und oft, wenn ich mir etwas beſonders Un⸗ feines hatte zu ſchulden kommen laſſen, ſah ich mich erſchrocken um, in der Meinung einer beleidigten Miene, einem ſpötiſchen Achſelzucken zu begegnen. Nichts! Ich hatte ſchließlich den Eindruck, als gäbe es gar keine Grenze, wo die Koketterie anſtößt, verletzt, un⸗ erlaubt wird. Und wenn ich mich nicht allzu weit vorwagte, ſo zog mir einmal meine nie ganz über⸗ wundene Schüchternheit die Grenze, hauptſächlich aber mein natürlicher Widerwille gegen Ausſchweifungen. Auf der andern Seite kam mir mein mimiſches Talent zu ſtatten. Ich wußte, daß ich durch mein Mienenſpiel jedwede Seelenerregung, von der treu⸗ herzigſten Unſchuld bis zur heißeſten Leidenſchaft aus⸗ zudrücken verſtand. Trotzdem fand ich die Rolle der Koketten ſchwer, anſtrengend, ſie lag mir nicht. 245 Man weiß von Bühnenkomikern, die im Privat⸗ leben ſehr ernſthafte, ja melancholiſche Leute ſind. So war ich nur eine Spielkokette. Sobald ich nach Hauſe kam, wurde ich melancholiſch, mit einem Stich in's Menſchenverächtliche. Du hätteſt mich in dieſer Zeit von andern Welt⸗ damen nicht unterſcheiden können. Wie ſie fingirte ich Intereſſe für Dinge, die mir ganz gleichgültig waren, ich poſirte, ich ſchwatzte kreuz und quer in's Blaue hinein, ich gewöhnte mir ein girrendes Lachen an, ich — o Arnold, verhülle Dein Antlitz — ich kleidete mich nach dem Geſchmack der Sinnlichen. Die Schmeichellügen gelangen mir am wenigſten. Nur in einzelnen Momenten böſeſter, ironiſcher Stimmung kamen ſie über meine Lippen, von dem Unbehagen begleitet, als hätte ich jemand, der mir nichts gethan, beleidigt. Immer bisher hatte ich mich mit einem ſchlechten Gewiſſen gequält, immer mich als Ertappte, Be⸗ ſchämte, Straffällige gefühlt: wenn ich von meiner Mutter bei dem Spiel mit Theaterfiguren oder bei den Büchern (O, Veronika mit dem Blutſchleier) über⸗ raſcht wurde. Und ſpäter, wenn die Köchin eine Speiſe verdarb, wenn Motten in Walter's Rock kamen, und der Kuß des Mädchenjägers und der langweilige Wilhelm — alles Schuld! Schuld! — Nun wollte ich kein böſes Gewiſſen mehr, ich ſchwor es ab, ich begrub es unter Tand, geiſtigem und ſehr un⸗ geiſtigem. Anfangs erſchreckten mich meine Erfolge, obwohl 246 ſie gar nicht überwältigend waren. Zu den allgemein Gefeierten habe ich nie gehört. Doch wurde nun auch für mich das ganze Arſenal begehrlicher Liebe in Bewegung geſetzt: Glut und Thränen, und alle Sorten ewiger Gefühle, gereimte und ungereimte, mit einem Wort, romanhaft ging's zu. Wie ſich's in Romanen gehört erlebte ich neben der Liebe, Haß und Intrigue, Verleumdung, Kampf, Neid. Ein paar Jahre lebte ich in dieſem heißen Dunſt⸗ kreiſe wie in purpurnem Nebel. Es roch förmlich nach Orangenblüten, zuweilen auch nach Linden⸗ blüten und Veilchen. Dann war ich gleich gerührt, und „zerfloſſen in Wehmuth und in Luſt warf ich dem Sänger die Roſe von meiner Bruſt.“ Keinem aber der Sänger ſtieß Walter das Schwert, das blitzende in die Bruſt, im Gegentheil, er amüſirte ſich ſogar über meine Erfolge, wenn es auch zuweilen um ſeine Lippen zuckte, als wollte er ſagen: „ſieh einer das Leneken, hätte ich ihr gar nicht zugetraut.“ In unſerm Speiſezimmer ſtand unter grünen Gewächſen, zierlichen Palmen, und blühenden Hya⸗ zinthen eine Büſte der Venus von Milos. Zuweilen wenn ich gerade recht im Zuge war mir in der üblichen, frivolen Weiſe den Hof machen zu laſſen, fiel mein Blick auf dieſe Büſte. Wie groß und rein er⸗ ſchien ſie mir in ihrer klaſſiſchen, ſtillen Schönheit, dieſe Göttin der Liebe, gegenüber dieſen blaſirten, plappern⸗ den, klappernden Nichtgöttinnen der Verliebtheit; und ich gehörte dazu, und ich ſchämte mich ihrer und meiner. 247 Glaube mir Arnold, ich hatte Momente, wo mir mein Weſen zuwider war, und wo ich die Empfindung hatte, als ob von irgendwoher ein großes, myſtiſches Auge auf mir ruhte, dem ich nicht entrinnen könne. Ich erinnere mich, zuweilen, wenn ich aus einer Ge⸗ ſellſchaft nach Hauſe kam, verfiel ich in finſtere Stimmung. Ich warf meine Geſellſchaftsrobe zu Boden, riß mir das Haar auseinander, ſchnitt vor dem Spiegel eine höhniſche Grimaſſe: „So biſt Du. Und plötzlich fiel mir das längſt vergeſſene, gräßliche Schimpfwort meiner Mutter ein: „Ekelbieſt“. Und langſam ſprach ich es aus, den Blick auf den Spiegel geheftet. Während dieſer Jahre war mein Verhältniß zu Walter freundlicher und friedlicher als je zuvor, und es wäre vielleicht ſo geblieben, wenn nicht etwas Un⸗ glaubliches, beinah Groteskes ſich ereignet hätte, was ein freundliches Nebeneinanderleben für alle Zukunft ausſchloß. Nur, weil Du mein Wort haſt, daß ich Dir alles ſagen will, ſage ich Dir auch das. Walter gerieth plötzlich auf den Einfall, mich noch einmal lieben zu wollen, und er legte dabei eine gewiſſe Zähigkeit und Leidenſchaftlichkeit an den Tag. Ich war zu dieſem Zeitpunkt nicht mehr ganz die Sklavin, die nur dient und gehorcht. Zum zweiten Mal dieſes verlogene Liebesſpiel, das die Gattin zur gefälligen Dame macht! Jeder Nerv hätte ſich in mir empört. Und zwiſchen uns ſtand jene ſchimpfliche Verläumdung, deren Stachel noch in mir bohrte. 248 Und noch etwas anderes. So ſonderbar es klingt — ich finde kein anderes Wort — die Ehrfurcht vor Traut — und — — ach, nichts mehr davon. Zwiſchen uns entſpann ſich nun jener ſtille, hartnäckige Kampf, bei dem ſelbſt die einfachſten, un⸗ geſchickteſten Frauen liſtig werden. Als er endlich den Kampf aufgab, blieb ein Groll in ihm zurück, der mein Leben überdauern wird. O heilige Ehe! Es giebt keine heilige Ehe, keine heilige Sitte, um derentwillen wir nach unſerm beſten Gewiſſen unſittlich leben müßten. Unſittlich war es, daß ich mich nicht ſchon im erſten Jahr unſerer Ehe von Walter trennte. Das kannte ich aber doch nicht. Wohin ſollte ich denn? In meiner Ehe blieb ich eigentlich immer halb Wittwe — halb Mädchen. Unter meinen Verehrern war einer, der liebte mich ehrlich und ernſthaft. Er war Abgeordneter der liberalen Partei und nebenbei Profeſſor der Ge⸗ ſchichte. Sein Spezialfach das Mittelalter, haupt⸗ ſächlich die Minneſänger. Man nannte ihn Minne⸗ fänger, weil er ganz ein Mann à bonnes fortunes war, eigentlich ein frivoler Lebemann; er milderte aber die Frivolität, einmal dadurch, daß er ſo ur⸗ gemütlich ſächſelte, mehr aber noch durch die unver⸗ brüchliche Treue, die er ſeinen Coeurdamen hielt. In jedes ſeiner Abenteuer legte er ſein ganzes Herz, und 249 ſtempelte es ſo beinah zu einer Ehe. Geliebter ſein, war der Ehrgeiz ſeines Lebens, und er nahm dieſe Rolle ſehr wichtig. Es waren immer äußere Um⸗ ſtände oder die Untreue der Geliebten, die eine ſolche Verbindung für ihn löſten. Sonderbar — eigentlich ein guter, braver Menſch, und ſuchte doch nur unter verheiratheten Frauen ſeine Liebesgenoſſinnen. Dabei erfreute er ſich als über⸗ zeugungstreuer Politiker hohen Anſehens in der Ge⸗ ſellſchaft. Daß man an ſeinen Abenteuern Anſtoß genommen hätte, habe ich nie bemerkt. Das war ſo neu für mich, ein Menſch für den ich Sonnenſchein und Regen bedeutete, der ſo grenzenlos dankbar war für jedes freundliche Wort, jeden Blick den ich ihm gönnte; und daß man ihn Lene's Troubadour nannte, hatte Walter ange⸗ ſtiftet. Und er benahm ſich wirklich ganz troubadour⸗ haft: wandelte nächtlings unter meinem Fenſter, parfümirte ſich und ſchlug die Leier, wenn auch nicht wundervoll, aber er ſchlug ſie doch, indem er wöchent⸗ lich mit 2—3 Sonnetten mein hartes Herz zu rühren ſuchte. Hart war es gar nicht; ſeine vergebene Liebes⸗ müh rührte mich, auch ſeine Häßlichkeit, nicht die Häßlichkeit an und für ſich, aber daß er ſich ihrer ſo bewußt war, daß ſeine Mienen förmlich um Ent⸗ ſchuldigung für ſeine Sokratesnaſe baten. Walter legte eine befremdliche Befliſſenheit an den Tag, den liberalen Profeſſor einzuladen. Waren wir im Theater geweſen, und ſoupirten nachher mit 250 anderen Bekannten in einem Reſtaurant, ſo mußte der Profeſſor dabei ſein. Daß er mich auf dem Nach⸗ hauſewege führte, war ſelbſtverſtändlich. Was bezweckte Walter damit? Auch ohne Charlotte's Scharfſinn, — ach ſie war nicht mehr erreichbar für mich — kam ich auf die richtige Fährte. Es gehörte kein Scharfſinn dazu. Walter in ſeiner Läſſigkeit und Frivolität verrieth ſich immer ſelbſt. Er wünſchte mich compromittirt. Er bedurfte meiner offiziellen Untreue, um, ſowohl in den Augen der Welt als in der. Augen der Gräfin Virginia — die damals ſeine regierende Königin war — der Rückſicht auf mich enthoben zu ſein. Sie ſollte ſich dem armen Verrathenen mild wie ein Engelsbild neigen Uebrigens überwand mein Troubadour um meinet⸗ willen ſeine Abneigung gegen die Ehe. Ich ſollte mich ſcheiden laſſen. Er wollte mich heirathen. Das ging doch nicht. Ich liebte einen Andern. Faſt alle dieſe verheirathelen Weltdamen liebten ja einen Andern als ihren Gatten. Mein Anderer war kein Menſch von beſcheidenem Mittelmaß. Er gehörte zu den Großen. Ich ſagte es ſchon: Die Geſellſchaft hatte mich abgeſtempelt als eine dritten Ranges, und nur Menſchen erſten Ranges zogen mich an. Ich ölickte zu Wolf Brant empor, ſehnſuchtsvoll, wie einer aus dem Schatten des Thals zu flammen⸗ den Gipfeln blickt. Ein Menſch in großem Styl, ein heroiſcher Menſch. In einem anderen Zeitalter, unter einem 251 andern Stern geboren, hätte er ein Friedrich der Große, (er hatte ſeine mächtigen, blauen Augen) ein Napoleon, ein Mahomet werden können. Er gehörte zu der Hohenprieſterkaſte oder zu den Königsnaturen, die Reiche oder Religionen gründen oder zerſtören, die Bildſäulen ſtürzen und Revolu⸗ tionen entfachen. Er war ein Apoſtel, aber ein ſehr complizirter, einer der nicht das geringſte Talent zum Märtyrer hatte. Seine kühnen Gedanken, gleichſam gekrönt, von Purpur umwallt — er ſchleuderte ſie wie Blitze des Zeus in die Welt. Glühend ſeine Weltluſt, glühend und tief ſein Denken, ächtes Feuer, das aber die Poſe nicht ausſchloß. Ein faſt ſchauerlicher Dualismus war in ihm. Schon daß er — reich und eine Herrſchernatur — ſich zum Herold der Gleichheit aller Menſchen machte, ſchloß einen immenſen Widerſpruch in ſich. Er lebte wie ein Weltmann, hielt ein Reit⸗ pferd, ließ ſich zu den kleinen Diners und Soupers, die er ſeinen Freunden gab, Sterlet's aus Rußland und Poularden aus Brüſſel kommen, trug Hemden⸗ knöpfe aus ächten, ſchwarzen Perlen, und die Zahl ſeiner Cravatten war lächerlich. Einer der Menſchen, die Himmel und Hölle (zu⸗ weilen auch einen Tingel⸗Tangel) in der Bruſt tragen, aber doch ſo viel mehr vom Himmel, daß ſie ungeſtraft mit kleinen Teufeln tändeln dürfen — zur Kurzweil. Wolf Brant's Tafelfreuden — Kurzweil; ſeine Toi⸗ letten, Badereiſen — Kurzweil, und Kurzweil vor allem — die Frauen. Er liebte ſie über alle Maßen, 252 begriff aber einfach nicht, daß man am Weibe etwas anderes lieben könne als das Weibchen. In naivſter Weiſe konnte er ſeinem Erſtaunen darüber Ausdruck geben, daß viele Männer in ihre Beziehungen zu Frauen Seele und Zärtlichkeit trugen. Ja, er be⸗ neidete ſie gelegentlich um dieſen feineren Genuß, der für ihn nicht exiſtierte. Er dachte nicht daran, ſeine Anſichten zu ver⸗ hehlen. Er hat nie einem Weibe gegenüber ge⸗ logen, nie verſprochen, was er nicht halten konnte. Ja, er pflegte Frauen, die ihn liebten, zu warnen, nicht über die Stunde der Liebe hinaus auf ihn zu rechnen, nicht auf ſein Gemüth, nicht auf ſeine Treue, und am allerwenigſten auf die Ehe. Er warnte aber nicht nur die Frauen, er warnte auch ſeine Freunde, damit ſie ihre hübſchen, jungen Frauen vor ihm hüteten. Auf dem Gebiet der Liebe gäbe es für ihn keine Schranken, keine Freund⸗ ſchaftsverpflichtungen. Er wiſſe, daß im gegebenen Moment, ſein Temperament mit ihm durchgehen werde. Abgeſehen von dieſem Punkte, war er der treff⸗ lichſte Freund, von unverbrüchlicher Treue, voll rückhalt⸗ loſer Anerkennung der Verdienſte der Freunde, und jederzeit bereit ihnen opfervolle Dienſte zu leiſten. Witz, Munterkeit, ließ er beim Weibe gelten als Würze für den Liebesgenuß. Und wenn er zuweilen doch mit zäher Leidenſchaftlichkeit um ein Weib warb, ſo galt die Zähigkeit dem Widerſtand, dem ſie ihm etwa entgegenſetzte. Die Liebe wurde ihm eine Macht⸗ 253 frage: Ich will Dich, alſo wirſt Du mein ſein. Um den Sieg ging es ihm. So warb er um die Gräfin Viriginia, die ihm eigentlich mißfiel, ja ſogar lang⸗ weilte, weil er ihren Widerſtand brechen wollte. Ich hielt mich ſcheu von ihm zurück. Ob er mich geliebt hätte? Warum denn nicht? Aber fragt mich nur nicht wie! Dieſer ſtarke Simſon hätte vielleicht wirklich Weltſäulen geſtürzt, und die Philiſter darunter be⸗ graben, wenn er nicht einem Aberglauben erlegen wäre. Er — als ein Geſalbter des Herrn — hielt ſich für gefeit gegen tückiſche Zufälle des Schickſal's, wie ſie gewöhnliche Sterbliche treffen. Eines Tages beſtieg er, führerlos, trotz eindringlicher Warnungen, einen der gefährlichſten Schweizerberge. Ein Schneeſturm überraſchte ihn. Dieſer Feuergeiſt erfror langſam. Gegen Ende des Winters fand ein Coſtümfeſt ſtatt. Eine italieniſche Nacht ſollte es darſtellen. Der Theaterdirektor, der Walter's Stücke auf⸗ führte, gab das Feſt. Ein Ehepaar, das durch einen Todesfall verhindert war, den Ball zu beſuchen, hatte Walter um einen geringen Preis zwei Coſtüme, das eines Pierrot und einer Pierrette angeboten. Walter nahm ſie und ſtellte mir frei, das der Pierrette zu benutzen. Ich benutzte es, um zu erfahren, daß Coſtüme imſtande ſind, eine wunderbare Suggeſtion auf uns 254 auszuüben. Den ganzen Abend über war ich von einem Kobold beſeſſen, er identificirte ſich mit mir, der Kobold des Coſtüm's. Schon dieſes Freiſein von beengenden Kleidern entband einen tanzenden Ueber⸗ muth in mir, eine ſpringende Luſt über alle Stränge zu ſchlagen. Zum erſten Male in meinem Geſell⸗ ſchaftsleben ſtreifte ich jegliche Schüchternheit ab. Alles was ſonſt esprit de l'escalier bei mir war wagte ſich dreiſt auf die offene Scene. Und zum erſten und letzten Male in meinem Leben hatte ich einen ſenſationellen Erfolg. Ich weiß nicht, warum Walter im letzten Augenblick auf das Pierrotkoſtüm verzichtete, und es meinem liberalen Profeſſor überließ. Wahrſcheinlich hatte letzterer ihn darum gebeten, weil er als Pierrot ein Anrecht an die Pierrette zu haben glaubte. Wolf Brant kam in den weiten elfenbeinfarbenen Gewändern eines Dominikaner⸗Mönch's. Die weiße Kaputze bildete für ſeinen ſchönen Kopf eine wunder⸗ volle Umrahmung. Er bemerkte mich gleich — zum erſten Mal. Er machte mir den Hof. Nein, mehr. Immer war er neben mir, hinter mir. Eine leichte Converſation zu führen, verſtand er nicht. Sein Geiſt war zu wuchtig, ſein Temperament zu feurig. Die Art wie er den Frauen huldigte, war fauenhaft. Es wäre ein Verbrechen, daß ich bis jetzt mein Licht unter den Scheffel geſtellt. (ich fürchte, fürchte, er meinte mit dem Licht nicht meinen Geiſt.) 255 In Contraſten läge der Reiz des Lebens, Mönch und Colombine erinnere an „Gott und die Bajadere. Den Gott nähme er ohne falſche Beſcheidenheit auf ſich, und wenn mir auch zur Bajadere faſt alles fehle — außer meiner berückenden Schönheit, ſo wolle er ein Auge zudrücken, und mich dennoch mit in ſeinen Himmel nehmen u. ſ. w. u. ſ. w. Nicht wahr, grob⸗ körnig? Aber eine Pierrette nimmt's nicht ſo genau, beſonders nicht in einer italieniſchen Nacht, wo ein internationales Menſchengewirr die ſchöne Gelegenheit aus Rand und Band zu gerathen nach Kräften aus⸗ nutzte. Was Wolf Brant noch mehr anſtachelte, war mein Pierrot, der immer um uns her ſchnuppernd, ab und zu ſeine Sokratesnaſe in die Luft ſtreckte, mit einem ebenſo komiſchen als dräuenden Schellen⸗ geklingel ſeiner Narrenkappe. Ich hörte kaum, was Wolf Brant ſagte. Er zog mich magnetiſch, unwiderſtehlich zu ſich. Ich begriff, was man von einer Vogelart er⸗ zählt, die von dem Blick des Baſilisken bezwungen (was iſt denn eigentlich ein Baſilisk?) freiwillig in ſeinen Rachen fliegt. Ja, ich hatte ein brennendes Verlangen, mich von ihm verſchlingen zu laſſen. Die wildeſte, gröbſte Regung, die ich je empfunden. Ich? nein, Pierrette. Ich war ja trunken vom Gift der Tarantel, ich mußte mich drehen — wirbelnd — um ihn — immer um ihn. Schwarze Magie war im Spiel. Ein kleines Kabinet, in eine Laube verwandelt, 256 war mit rothen Lampion's ſtimmungsvoll in Dämmer getaucht. Er zog mich hinein. Das wäre die Beicht⸗ laube. Mit goldenem Stabe wollte er mir die Abſo⸗ lution ertheilen; aber erſt die Sünde, und dann die Abſolution. Er neigte ſich zu mir nieder — — die Sünde kam nicht zu ſtande. Ein furchtbar wildes, anhalten⸗ des Schellengeklingel brach los, und mit tragiſchem, aber deſto ſächſiſcherem Accent klang es hohl aus des Minnefänger's Mund: „Lamm hüte Dich vor dem Wolf. Wolf Brant aber ſprach den großen Bannfluch über den Religionsſtörer aus, den Fluch der Lächer⸗ lichkeit. Der ſchien auch ſofort zu wirken. Mein Pierrot fand ſpäter in der Garderobe ſeinen Hut nicht, und mußte mit der Schellenkappe über dem Pelzüber⸗ rock auf die Straße hinaus. Wir verließen zuſammen das Feſt. Walter ging mit ſeiner Theaterdame voran, ich folgte zwiſchen Mönch und Pierrot. Sämmtliche Nachtdroſchken waren genommen. Eine milde Februarnacht. Weiche, weiße Flocken fielen vom Himmel. Wir fanden es luſtig, entzückend, den kurzen Weg bis zu unſerm Hauſe zu Fuß zu machen. Wolf Brant führte mich, und Pierrot ſchnitt ſo komiſche, entſetzlich eiferſüchtige Geſichter, und einmal ſtolperte er, und fiel in den weichen Schnee. Und wie er ſich mühſam wieder aufraffte, ſah das ſo komiſch aus, daß ich lachen mußte, laut lachen! Ich hatte ſo laut gelacht, daß ich über den Dohm, Schickſal einer Seele. 17 257 grellen Ton in der ſtillen, weißen Nacht erſchrack. Im nächſten Augenblick war mein Pierrot verſchwunden. Die Schellenkappe war im Schnee ſtecken geblieben. Ich lachte nicht mehr. Ein Bild fiel mir ein, das ich auf der Ausſtellung geſehen. Ein Pierrot, betrunken und wohl auf dem Nachhauſeweg wie wir, war in den tiefen Schnee gefallen. Weiche, weiße Flocken rieſeln auf ihn nieder. Und er lacht! lacht! es ſcheint über die eigenen, vergeblichen Verſuche ſich auf⸗ zuraffen. Je länger man aber hinſieht, je verzerrter, je ſchrecklicher erſcheint das Lachen. Man fühlt, er wird nicht wieder aufſtehen, der Pierrot, er lacht ſich in den Tod. Lachte ich etwa auch ſo verhängnisvoll? War ich nicht auch trunken, und meine Luſtigkeit ein Zerrbild? Als ich nach Hauſe kam, warf ich todmüde Pierrette mich unausgekleidet auf's Bett, und die luſtige Pierrette war ſo betrübt. Und ich dachte: ſterben nicht ſo viele, viele Menſchen in falſchen Coſtümen, und wie nach einem Mummenſchanz die armen Pierrots und Pierretten. Ich fürchtete mich ſeitdem vor Wolf Brant. Einige Wochen blieb ich zu Hauſe; übrigens war ich wirklich erkältet. Es half nichts. Die tolle Nacht zog ein verhängnisvolles Abenteuer nach ſich, bei dem mein Pierrot keine Rolle ſpielen konnte. Er lag 258 krank an Kopfrheumatismus. Ja, wenn Narren ihre Schellenkappe verlieren! Kaum acht Tage ſpäter war's, ich ſtand im Speiſezimmer, im Begriff die Wäſche, die die Wäſcherin am Nachmittag gebracht, zu zählen und in die Schränke zu legen. Es klingelte. Halb zehn Uhr. Zu ſo ſpäter Stunde pflegte kein Beſuch zu kommen. Ich hörte im Corridor eine Stimme, die mir alles Blut zum Herzen trieb: Wolf Brant. Er trat ein, offenbar in ſtarker Erregung. Seine Cravatte ſaß ſchief, in ſeinen Augen war etwas Flackerndes, in ſeinem Weſen eine halbe Ver⸗ legenheit, die mich bei dieſem ſicherſten aller Menſchen verwunderte. Ich aber war noch viel verlegener, wegen der Wäſche, die auf Tiſchen und Stühlen her⸗ umlag, wegen des unabgedeckten Tiſches, auf dem noch die Reſte des Abendeſſens ſtanden, und ich hatte eine Schürze umgebunden. Ich ſuchte in verſteckter Weiſe die Bänder zu löſen, verknotete ſie aber gänz⸗ lich. Greulich proſaiſche Situation, Aſche auf meines Herzens Glühen. Er ſagte gleich, daß ihm etwas ärgerliches paſſirt ſei. Er habe Frau Doris (wußte er nicht daß ſie für ſeine Geliebte galt?) eine Dichtung vorgeleſen, ſeine erſte Dichtung, er gäbe ſich ſonſt mit Allotria nicht ab — und das ganze Feuer ſeiner Seele habe er in die Lektüre gelegt. (Er las in der That wunder⸗ ſchön vor) Da ſeien ſie von einem jener Beſuche unter⸗ brochen worden, die man zum Teufel wünſcht, eine Unterbrechung, die einem die Nerven zerreißt. Er 17* 259 hätte Ferſengeld gegeben, und eine andere, verſtändniß⸗ volle Freundin aufgeſucht. Nicht zu Hauſe. Da ſei ihm die reizende Pierrette eingefallen — — — Er hielt inne und ſah mich an. — „Und nun wollen Sie mir die Dichtung vor⸗ leſen?“ ſtotterte ich beklommen. Er antwortete nicht. Ich vermied ihn anzuſehen, und fühlte doch ſeine bohrenden Blicke. Plötzlich ergriff er meine beiden Hände, preßte ſie in die ſeinigen, daß es mich ſchmerzte, und be⸗ hauptete ſchlankweg, daß die reizendſte aller Pierretten ihm gehöre ſeit jenem Abend, wo der dialektvolle Pierrot ihn und die bezaubernſte aller Pierretten auseinandergeklingelt. Der Refrain: ich will Dich! alſo biſt Du mein! Und immer Pierrette, Pierrette! Der Unglücksmenſch wußte ſicher nicht einmal meinen Vornamen. Dabei ſetzte er aber den Reſpekt nicht gänzlich aus den Augen, indem er mich „Sie nannte. In ſeinem Ton lag nichts Zärtliches, nur grob leidenſchaftliches Verlangen. Ganz Paſcha, der einer Favoritin das Taſchentuch zuwirft. Ich hatte einen Augenblick des Hellſehn's. Es wurde mir klar, was geſchehen war, und was geſchehen ſollte. Er bemühte ſich auch gar nicht, um meinet⸗ willen diplomatiſch fein zu verfahren. Er war bei Frau Doris geweſen, ein Beſuch hatte eine Liebes⸗ ſcene unterbrochen. Er hatte die Fortſetzung bei einer andern gefälligen Freundin geſucht, ſie nicht getroffen, 260 ich war Nummer drei. Vielleicht hätte ich nicht ſo ſchnell errathen, wenn er anſtatt: „Sie reizende Pierrette“, geſagt hätte: „Marlene, Du meine Mar⸗ lene.“ Ob es mir ſo leicht geworden wäre, den Mann zurückzuweiſen, den ich ſeit Jahren heimlich und tief liebte? Die kleinen, ſcharfen, merkwürdig ſpitzen Zähne zwiſchen ſeinen halbgeöffneten Lippen, das Unſtäte, Züngelnde ſeiner Blicke, die zu großen Hände — alles ſtieß mich ab. Ich vergaß in dieſem Augenblick den ganzen Menſchen über den — ich finde kein anderes Wort — Brünſtigen, der vor mir ſtand. Eiſeskälte durchdrang mich. Ich machte mich von ihm los. — „Sie haben mich auch unterbrochen, wenn auch nur beim Wäſchezählen,“ ſagte ich. Ich wendete mich dem Tiſch zu, nahm ein Packet Taſchentücher und fing an zu zählen: „eins, zwei, drei.“ Von ſechs an zählte er mit, bis zwölf. „So nun wäre das Dutzend voll,“ ſagte er, und lachte; ein unbefangenes, gutmütiges Lachen, ohne Spur von Empfindlichkeit. Er nahm eben Liebesan⸗ gelegenheiten nicht ernſt und wichtig. „Gnädigſte Frau, ſagte er noch immer lachend, wer hat ihnen denn damals inſuinirt als Pierrette auf den Ball zu kommen, und damit argloſe Menſchen⸗ kinder hinter's Licht zu führen. Wie konnte ich ver⸗ muthen hier in die Kemenate einer deutſchen Haus⸗ frau zu gerathen? Uebrigens ſchreiben Sie immerhin 261 darüber: „voi che entrate lasciate ogni speranza, Dante's Hölleninſchrift. Die Hölle kennt mich ſchlecht. Es war eine falſche Stunde. Ich treffe Sie ſchon wieder — als Pierrette.“ Er drückte mir freundſchaftlich die Hand, wendete ſich in der Thür noch einmal um und ſagte: „Kind, Kind, Revolutionen macht man nicht mit Roſenwaſſer, und mit temperamentloſer Reſerve — on ne fait pas l'amour,“ nickte mir zu, und fort war er. ⸗ Ich zählte, als ich allein war mechaniſch die Wäſche weiter, bis das Packet meiner Hand entfiel. Ich ſchauderte zuſammen. Pfui! Ich dachte an Charlotte. Eine leiſe Regung von Männerhaß ſtieg in mir auf. Ich verkroch mich in die Sophaecke und ſtarrte umher. Die Lampe, in der nur noch wenig Petroleum war, qualmte, auf dem ge⸗ deckten Tiſch das Stückchen Schinken, und die Käſe⸗ rinde, und der Fettfleck auf dem Tiſchtuch, die Wäſche, die umherlag — greulich, greulich! Ich hatte Recht verdüſtert zu ſein, denn — und das trug ich Wolf Brant am meiſten nach — ich wäre ſein geworden, wenn nicht — — Und ſo ſtarb meine Liebe für Wolf Brant, theils an ſeiner brutalen Art, theils an dem unabgedeckten Tiſch mit der Käſerinde, an der Wäſche, und der Kattunſchürze. Starb? hatte ſie gelebt? (Wie ein Künſtler, der die Idee zu einem Bilde begeiſtert in der Seele trägt, und dann trauernd ſieht, wie vergröbert, verzerrt ſein Pinſel das Bild wieder⸗ giebt, vielmehr nicht wiedergeben kann, ſo findet das 262 Weib ſelten in der Liebe ihre Ideen von der Liebe wieder, und vor ihrer Vergröberung und Verzerrung ſchaudert ſie. Und Du lieber, reiner Freund, ob Du nicht auch ſchauderſt, wenn ich Dir nun das nette Bild, das Du von mir im Herzen trägſt, ſo vergröbert und ver⸗ zerrt zeige. Es iſt aber doch nach der Natur gezeichnet. O, Arnold, glaube mir, es giebt Frauen, die vielleicht ihrer Naturanlage nach Veſtalinnen, Iphi⸗ genien, Märtyrerinnen ſind; man ſchleifte ſie durch den Schmutz des Lebens, und die Veſtalin vertauſchte das Liliengewand mit dem purpurnen Feſtkleid — einem tiefdecolletirten — der Freude, und die Iphi⸗ genien und Antigone's, die man aus den Tempeln und dem Schatten heiliger Haine geriſſen, hinein in die Schwüle der Salon's, verſchleuderten die heilige Inbrunſt ihrer Seelen an den unheiligſten Altären. Auch ich, Arnold, wenn ich auch nicht aus Tempeln und heiligen Hainen ſtamme, war ein ſo unſchuldiges Geſchöpf, als ich heirathete, daß ich Jahre brauchte, um nur die Möglichkeit einer Schuld zu begreifen. Alles Unreine, das ich in zahlloſen Büchern geleſen, glitt von mir ab, weil es keinen Boden fand um zu wachſen. Nun war es anders geworden, ganz anders. Du brauchſt aber nicht gleich das Schlimmſte zu denken. Was bedeutet die Thatſache einer Schuld? Wenig, wenn man von ihrer Geneſis nichts weiß. Die Thatſache kann ein Verbrechen ſein, aber auch mit einem Verbrechen nichts gemein haben. 263 Bricht ein lieblos böſes Weib die Ehe aus Abenteuer⸗ und Sinnenluſt, und bricht damit das Herz des treuen Gatten — werft das Scheuſal in die Wolfsſchlucht. Ein anderes Weib, ein liebreich gutes, thut desgleichen. Ehe Du ſie auch in die Wolfsſchlucht wirfſt, frage nach ihrer Erziehung, frage nach der Atmoſphäre in der ſie lebte, frage nach ihrem Gatten. Hätte ich Ehebruch begangen, das alles und noch viel mehr müßteſt Du fragen. Selten, ſelten weiß man etwas von den comp⸗ lizierten Motiven, die eine Frau zur Untreue ver⸗ leiten. Denke nicht Arnold, daß ich den Ehebruch ent⸗ ſchuldigen will. Ich erkläre ihn nur. Ich weiß wohl, die ganze Exiſtenz der Ehebrecherin beruht auf Lug und Trug. Und das iſt immer abſcheulich. Und doch — ſonderbar — ich kenne Frauen, die ſonſt keiner niedrigen Regung, geſchweige denn einer ſchlechten Handlung fähig ſind, begeiſtrungs⸗ fähige, hohen Idealen nachſtrebende — und ſie be⸗ gingen Ehebruch. Sie hatten vielleicht mit der Unwiſſenheit des jungen Mädchens Männer geheirathet, die ihrer Weſensart widerſprachen. Starke, eigenartige Indi⸗ vidualitäten, und ſtark vielleicht auch in der Sinnlich⸗ keit, ſind ſubtiler in der Ausleſe, das Hinderniß der Antipathie gegen den Gatten iſt für ſie im Verkehr mit ihm unüberwindlich. Es iſt doch begreiflich, daß man nicht auf Be⸗ 264 fehl, nicht auf den Trauring hin lieben kann. Und die es können ſind ſicher nicht die feineren, keuſcheren Naturen, ſondern die aus gemeinerem Stoff, bei denen keine feinere Ausleſe ſtattfindet. Mir ſcheint, die Schuld an dieſer Schuld trägt die Ehe ſelbſt, ich meine die jetztige Form der Ehe, denn dieſe Ehe bedeutet oft genug eine Sünde gegen die Natur. Die Natur läßt ſich eben nicht ver⸗ gewaltigen. Schließlich bleibt ſie immer Siegerin über alle Geſetze und Sitten der Welt. Und keine Verſöhnung zwiſchen Natur und Ehe gäbe es? Ja, wenn alles ganz anders ſein könnte. Kann es denn nicht? Ich will darüber nachdenken. Ich will Dir noch etwas anderes ſagen, was Du mir auch nicht glauben wirſt. Es giebt Frauen (viele ſind es wohl nicht) die ehebrecheriſch, ohne Liebe, eines leidenſchaftlich Lieben⸗ den Geliebte werden, aus purer Dankbarkeit, aus einer Gutmüthigkeit ohne Grenzen, die nicht nein ſagen kann, aus dem erbarmungsvollen Schauder heraus beim Anblick fremder Leiden. Blick nicht ſo entſetzt auf dieſe Zeilen. Vielleicht war ich ſelbſt nicht weit davon dergleichen zu thun. Darum weiß ich es. Und willſt Du wiſſen, was das Weib am meiſten corrumpirt, ihre Intelligenz vergiftet? Die Wahr⸗ nehmung, daß die heuchleriſchen, zügelloſen Frauen in der Sonne des Glücks, der höchſten Werthſchätzung leben, und daß ſie nicht nur vorübergehende Erfolge ernten, nein, dauernde, auch als Gattinnen. 265 Ich hatte ja meine Tugenden erſt ablegen müſſen, damit man nur bemerkte, daß ich da war. Wenn ich nur die landläufigen Laſter, an die man gewöhnt iſt, übe, krümmt man mir kein Härchen. Nur kein Separatlaſter haben, etwa dem Gatten, der mich ſeeliſch verdirbt, davonlaufen. Ich bin nicht einmal durch das Feuer der Ver⸗ ſuchung gegangen. Ich war nur das Echo der Melodie, die ich ſpielen hörte. Ich ſchloß mich dem großen Zuge an, weil ich nicht allein bleiben wollte. Die Geſellſchaft impft uns mit einem Tropfen Gift, und wir tanzen und drehen uns, und tanzen in ſcheinbar ungeheurer Luſt — aber wir ſterben an der Luſt — unſer beſſeres Theil wenigſtens. Na, etwas übertreibe ich. Ich habe mich nicht ſchwer vergiftet, nicht einmal berauſcht. Ich kann auch nichts dafür daß ſich an meine Sohlen keine Furien hefteten. Und doch hefteten ſie ſich einmal an meine Sohlen einer ganz kleinen Maus wegen, die ſich Nachts in meinem Schlafzimmer in einer jener greulichen Fallen, die dem Thierchen einen Nagel durch den Kopf treiben, gefangen hatte. Die Maus war nicht gleich todt ſondern quälte ſich ſtundenlang jammervoll. Und ich ließ es geſchehen, weil mir da⸗ vor graute, Nachts in die Küche zu gehen und ſie zu erſäufen. Dieſe ſchwärzeſte That meines Lebens werde ich mir nie verzeihen. Wenn ich meine, ich hätte die Maus längſt vergeſſen, plötzlich taucht ſie aus einem Winkel meines Gedächtniſſes wieder auf. 266 Etwa Walter gegenüber Gewiſſensbiſſe? Aber ich ſtieg ja, wie in den Augen der Anderen, auch in den ſeinigen, ſeitdem ich den Leuten ſo gut gefiel. Was waren ihm Reinheit und Würde des Weibes: Grüne Sachen. Meine erſte Reiſe! Wir waren beide blaß und müde, ich und Traut. Der gute, alte Hausarzt ſah es, verſchrieb uns Land⸗ luft und Gebirge. Das Bübchen, das ſchon in die Schule ging, ſollte beim Vater bleiben. Ich erinnere mich ſo gut des Spätnachmittags, an dem ich Dich zuerſt ſah. Ich hatte im Walde unter einer Buche geſeſſen, ganz eingeſponnen in goldenem Grün und weichem Duft; ein ſanftes, läſſiges Säuſeln in den Bäumen, ein träumeriſches Fließen in der Natur. Ferne Muſik, ſo ferne, daß man keine Melodie unterſchied, nur wie leiſe klingende Luft war's. Traut ſpielte in meiner Nähe. Sie hatte mich einmal gefragt, was aus den geſtorbenen Menſchen würde: „Staub“, antwortete ich ihr „und aus dem Staub guter Menſchen erblühten ſchöne, duftende Blumen, aus bem Staub böſer Menſchen aber Gift⸗ pflanzen.“ Und nun kam Traut mit einer ganzen Hand voll Blumen zu mir gelaufen. „Sieh Muttchen, ſieh, wie viel gute Menſchen ich gepflückt habe. 267 Die Uhr auf dem Kirchthurm des Dörfchens ſchlug. Ein müder, heiſerer Klang. Ich fühlte mich auch heiſer und kraftlos. Leute mit Bergſtöcken gingen an mir vorüber, ſie ſtiegen wohl in's Gebirge hinauf. Mich verdroß meine Müdigkeit, ich hätte auch wandern mögen, fort in weite, weite Fernen, bis in's Herz der Welt hinein. Und Traut an der Hand, begann ich tapfer drauflos zu marſchieren. Ich merkte aber bald, ich würde nicht bis in's Herz der Welt gelangen. Sobald wird man müde. Mit den Beinen ſind wir zu kurz gekommen. Glückliche Vögel! Durch eine friſche, bürger⸗ lich friedliche, nahrhafte Landſchaft wanderten wir. Jenſeits des See's das kleine Dorf Egern. Tegernſee erſchien mir weder beſonders maleriſch noch poetiſch, aber geſund, kräftig. Grüne Wieſen, braune Kühe, weiße Häuſer mit grünen Jalouſien, gemütvolle Berge, mit Tannen bewachſen, oder grün wie die Wieſen. Ich glaube, ſo viel Grün wie in Tegernſee giebts in der ganzen Welt nicht. Und überall und immer das Geläut der Herdenglocken. Die Poeſie des Ort's liegt in dem See. An einem ſickernden Wäſſerchen fand Traut eine Fülle von Vergißmeinnicht. Sie hatte eine Vorliebe für dieſe Blumen. Jemand kam durch die Wieſe auf uns zu: ein junger Mann in einfachem, grauem An⸗ zug, (oder ſollte er braun geweſen ſein?) Er trug eine Brille, und über dem ſchlichten dunkelblonden Haar einen Strohhut. Grüßend ging er an uns vor⸗ über. Traut ſah ihm nach. Mit einem Mal lief ſie 268 hinter ihm her, und reichte ihm die Vergißmeinnicht hin: „Weißt Du, wenn Du ein guter Menſch biſt, wirſt Du auch einmal ein Vergißmeinnicht. Und Du lächelteſt auf das Kind nieder, hobſt es in Deinen Armen empor, und ſagteſt: „Ich danke Dir, Engelsbild.“ Und dann ſahſt Du zu mir zurück, und grüßteſt noch einmal mit ſo feiner Höflichkeit, und in Deinem Auge lag etwas, als wollteſt Du um Entſchuldigung bitten, daß Du das Kind in deine Arme genommen. Hätteſt Du mich angeſprochen, ich würde Dir freundlich geantwortet haben. Daß ich die Begegnung nicht ſo bald vergaß, dafür ſorgte Traut, die immer ab und zu wiſſen wollte, ob Du noch nicht geſtorben, und ein Vergißmeinnicht geworden wärſt. Und nun zehn Tage ſpäter das Erlebniß mit dem armen Betrunkenen. Das fürchterliche Bild! Es verfolgt mich noch heute, wie der Elende auf dem Steinblock hockte und unartikulirte Laute ausſtieß, und wie ihm von einem blutigen Striemen auf der Stirn, langſam ein Blutstropfen nach dem andern über das Geſicht lief. Und die Buben! Die nichtswürdigen Buben! O Arnold nie habe ich mehr an der angeborenen Güte des Menſchen gezweifelt, als da ich nun ſah, wie dieſe kleinen Henker einen Topf eiſigen Quell⸗ waſſer's nach dem andern über den ſchlotternden eine rauhe, ſcharfe Luft. Und ihr roher Jubel, als dem Unſeligen die blutunterlaufenen Augen faſt aus 269 den Höhlen quollen, und er ſo zitterte, wie ich noch nie einen Menſchen habe zittern ſehen, als wollte er auseinander berſten. Die Lumpen ſchienen ihm auf dem Leibe feſt zu frieren. Heulend ſchluchzende Laute drangen aus ſeiner Kehle. Traut brach in jammervolles Schluchzen aus. Und ehe ich den Buben noch den Topf entreißen konnte, kamſt Du daher, und die kleinen Teufel ergriffen die Flucht. Und wie Du Dich dann des Halbtodten ſo liebe⸗ voll annahmſt, für ein Obdach, für Erwärmung, für einen Arzt ſorgteſt, und ſo einfach, als etwas ganz Selbſtverſtändliches meine Hülfe annahmſt — das verſchwiſterte und in einer einzigen Stunde. Du ſagteſt ſpäter zuweilen, Du wüßteſt nicht, was ich an Dir Beſonderes fände, da Du doch nichts wärſt als ein korrekter Dutzendmenſch, ein einfacher Gelehrter und noch dazu ein Philiſter. Und als Beweis für Dein Pedantenthum erzähleſt Du mir, du habeſt einmal zehn Taſchentücher verſchenkt, weil Dir zwei von dem vollen Dutzend abhanden gekommen wären. Das hätte Deinen Ordnungsſinn verletzt. So ordentlich biſt Du auch in allen inneren Angelegenheiten. Als ob Du nur correkt wärſt! Viele Ungute handeln correkt, Du aber, Du könnteſt auch incorrekt ſein, nur um gut zu handeln. Einfach — ja. Aber ich liebe Deine kryſtallhelle Einfachheit, Deiner Seele Durchſichtigkeit, der man bis auf den Grund ſieht, und da ruhen Perlen und Gold. Du biſt nicht nur 270 ein guter Menſch, Du biſt auch ein ganzer, ächter Menſch! O Wunder! Wunder! Du lügſt ja nicht. Ein Menſch, der nicht lügt! Wolf Brant, der log auch nicht. Aber er log nicht, wie ein Kaiſer oder König nicht lügt, aus unbändigem Stolz, aus grenzen⸗ loſem Souveränitätsbewußtſein. Du aber, Du Feiner, Stiller, Du lügſt nicht, weil Du wahrhaft geboren biſt. Ich wüßte für Dein Haus eine In⸗ ſchrift: „Weiß und weiſe“. Still und weiß, wie ein Schwan ziehſt Du Deine Bahn dahin, und über Deinem Haupt ſchwebt eine Eule. Deiner Einfachheit und Natürlichkeit gegenüber habe ich nie einen Augen⸗ blick Schüchternheit empfunden. Und daß Du auch mein Kind liebteſt „unſer Kind“ nannteſt Du ſie immer. Daß Du ihre Ver⸗ gißmeinnicht aufbewahrteſt! So bald verſtand ich jeden Blick, jedes Lächeln, jedes Zucken um Deinen Mund verſtand ich. Und ich merkte, wie Dir das Wirre und Sprunghafte in meiner Natur unbehaglich war, das bald hier bald da ſein mit den Gedanken, und daß ich ſo ſcharf im Urtheilen, und ſo molluskenhaft ſchwach im Handeln mich erwies. Du begriffſt nicht, daß ich Nachmittags mich ſo übermüthig und wenige Stunden ſpäter ſo abgründlich melancholiſch zeigen konnte, ſo dityram⸗ biſch aufglühend, und daneben ſo kleinbürgerlich ängſtlich. Halb Haſe, halb Gazelle ſagteſt Du. Laß mich doch lieber einen Adler ſein, bat ich. Da ſollte ich mir erſt Krallen und einen Schwertſhnabel wachſen 271 laſſen. Ohne ſolche Ausrüſtung wäre es viel ver⸗ gnüglicher Sperling ſein als Adler. Noch ganz andere Gegenſätze hätteſt Du an mir erleben können. Wie ich z. B. einmal Abends aus der Flaſche trank, weil gerade kein Glas in der Nähe war, und gleich darauf mondſcheintrunken auf dem Balkon die Nacht anſchwärmte und den See, der wie ein ſchimmern⸗ der Traum dalag. Die Silhouetten der Berge in Silberdunſt gehüllt, an ihrem Fuß ſchimmernde Nebel⸗ ſtreifen. Erlenkönig⸗ und Elfenreigenklänge hörte dieſe Marlene, die eben noch ſo unanſtändig aus der Flaſche getrunken hatte. Wir ſind doch auch ein Stück Natur, und iſt die nicht auch bald „himmelhoch jauchzend, bald bis zum Tode betrübt? Erinnerſt Du Dich des kleinen Kirchhofs, an dem wir an einem ſonnigen Nachmittag vorüber gingen? Ein paar junge Mädchen ſtanden luſtig plaudernd hinter dem Gitterwerk, eine bog ſich über das Gitter fort, und warf einem jungen Burſchen, der vor dem Gitter auf einer Bank ſchlief, eine Blume anf den Kopf. Ein Apfelbaum ſtand neben der Bank. Zweige mit rothen Aepfeln hingen über ein Grab, auf dem rothe Roſen blühten. Und die goldenen Lettern auf den weißen Mormortafeln gleißten im Sonnenſchein; buntfarbige Blumen, Epheu um Säulen gerankt, ſchiefe Kreuzchen von kleinen Blumentöpfen umſtanden, alles nahm ſich ſo heiter, ſo bildnett, ſo gar nicht verſtorben aus. Unter dem Dach der Todtenkapelle niſteten Schwalben, und flatterten um das Kreuz, das in der Sonne funkelte. 272 Und als wir auf dem Heimweg Abends an die⸗ ſelbe Stelle kamen, ging da nicht förmlich ein Huhn durch die Natur? Starke Windſtöße ratterten an den ſchiefen Kreuzen. Die langen Zweige der Trauer⸗ weiden wurden emporgepeitſcht. Es röchelte, ächzte, pfiff — Todtentanz⸗Melodien. Die zerbrochenen Säulen ſchienen etwas längſt Verwittertes. Schaaren ſchwarzer Krähen krächzten darüber. Ein matter Licht⸗ ſchein aus einem Fenſter des Todtenhauſes grinſte mit weißen Augen hinaus in die Nacht. War das derſelbe Kirchhof, den wir am Nach⸗ mittag ſahen? Mache ſelbſt die Nutzanwendung auf unſere Seelen. Ich ſagte Dir ja ſchon am Anfang meiner Geſchichte, daß ich ganz Stimmung bin. Selbſt meine Gedanken ſind nur Stimmungsbilder. Das gehört zu meinen fatalen Gaben, daß ich von allen Temperamenten Anklänge in mir habe, und auch von allen Lebensaltern habe ich etwas, vom Kinde, vom Backſiſch (von dem hauptſächlich und nur allzu⸗ viel) vom Weibe und — ja — auch von der Greiſin; denn oft fühle ich mich allem Leben entfremdet, alters⸗ müde, liebäugelnd, hin zu der Böcklin'ſchen Todten⸗ inſel, wo die feierlich dunkeln Cypreſſen ſo ver⸗ heißungsvoll die Seele zu ewigen Wohnungen locken. Wie ganz, wie intim lernten wir uns auf unſern ſchönen, langen Spaziergängen kennen. Weißt Du noch auf dem Tegernſee im Kahn, als das Gewitter ſchwarz, drohend über uns ſtand, und über dem ſchwefligen Himmel der Donner ſo betäubend rollte? Ich fürchtete mich maßlos, ich ſuchte Hülfe⸗ Dohm, Schickſal einer Seele. 18 473 heiſchend Deinen Blick. Dein Blick aber haftete an Traut. Da erſt gewahrte ich die Todtenbläſſe auf dem Geſicht des Kindes, ihr krampfhaftes Zittern, ihre ſtarr aufgeriſſenenen Augen. In einem Augenblick war meine Furcht fort, ich wurde ſogar luſtig, und Du und ich, wir heuchelten Entzücken über das große Schauſpiel am Firmament. Du zeigteſt ihr in dem ſchwarzen Gewölk ein blaues Guckloch. Das, ſagteſt Du, wäre das Ange des guten Gottes, der unſern Kahn vor dem böſen Ge⸗ wittergott ſchütze. Der hätte ſeine Raubthiere ent⸗ feſſelt, die ſtreckten nun ihre lechzenden Zungen nach allem was licht iſt und ſchön; jeder Blitz aber aus Gottes Auge wäre ein Feuerſtrahl, der ein Raubthier tödte. Durch den Sturm und das Krachen und Knacken der Zweige hindurch tönte vom Ufer her der Ton eines Waldhorns. „Was iſt das?“ fragte Traut — „es weint einer.“ — Ein Engel, der in Noth iſt, ſagteſt Du. Und nun dachte dieſer menſchliche Engel gar nicht mehr an ſich, immer nur an den Engel in Not und freute ſich über jeden Blitz, der ein Raubthier tödtete. Sorglich hatteſt Du mich mit Traut zuſammen in Dein Plaid gehüllt. Ueber unſere Sorge um das Kind vergaßen wir Gewitter und Gefahr. Und als wir glücklich an's Land kamen, trugſt Du mir den weiten Weg das Kind, das geliebte, heim, Du Herz⸗ lieber, Du Grundgütiger. Und wie ich Dir zur Seite ſchritt, fühlte ich mich ganz als Deine Ge⸗ 274 noſſin in Leid und Freud, Dir Freundin in alle Ewigkeit. Ich liebe Dich. Ein wenig liebe ich Dich auch, wie das Kind die Mutter liebt. Wen ich auch lieb habe, es iſt immer etwas dabei von dem Gefühl des Kindes zur Mutter, vielleicht weil meine krankhafte Sehnſucht nach Mutterliebe nie befriedigt wurde, und ich ganz im Geheimen noch immer auf der Suche nach einer Mutter war. Dieſe Sehnſucht lag meiner Hingabe an Charlotte zu Grunde. Und ſelbſt wenn ich meinen Kopf in Traut's Schoß legte, und ihre zarten Fingerchen mein Haar zerwühlten, regte ſich das Kindhafte in mir. Nicht wunderſchöne Herbſttage, die wir mit⸗ einander lebten, wenn die Wieſen ſonnengetränkt waren, die Ebereſchenbäume heiter an den weißen Häuschen ſtanden, in den kleinen Gärten Geor⸗ ginen und Aſtern blühten, und an den Gale⸗ rien die um die Häuschen liefen, ſich wilder Wein rankte, der eben anfing ſich zu färben. An lieblichen Villen kamen wir vorbei; an ihren Mauern ein Ge⸗ ringle von Blüten und Blättern, und Spaliere von Pfirſichen und Aepfeln, und maleriſch hoben ſich die großen Sonnenblumen und das Gaisblatt von den ſanftanſteigenden grünen Bergen ab. Und hin und wieder zwiſchen den kräftig gefärbten Bäumen eine zart gelbblättrige Espe, die goldene Blätter über die grünen Wieſen ſtreute, wenn ein Wind ſich erhob, flatterten ſie durch die Lüfte. Goldene Vögelchen nannte ſie Traut. 18* 275 Und auf den Höhen — die ſchon bunten Bäume wurden zu rothen und goldenen Rieſenblumen, die an der Bruſt der Berge erblühten. keit war in dieſem Bunt zwiſchen den ſmaragdenen Kräftige Lieblichkeit, blühende Geſundheit, Kernig⸗ Matten — eine Landſchaft, nicht für träges Ge⸗ nießen, für frohgemuthes Schaffen mehr, ſo recht für Freundſchaft — wahre Freundſchaftswieſen. War nicht dieſe Landſchaft eigentlich ein Abbild Deines Weſens: ſo mild und ſo kraftvoll und rein, und voll ſtillen, tiefen Gemüths, ſo urdeutſch. Und Abend für Abend die Fahrten über den See. Wir blickten hinüber zu dem weißen Schloß mit den grünen Jalouſien und den rothen Gehängen wilden Wein's, das ſo einſam am See lag, klöſterlich, voll Schönheit und Frieden. Und wenn ſchon alles in Nacht ſich verlor, noch immer ſtrömte zarter Licht⸗ ſchein über das Waſſer, als würde das Licht nicht müde, den See zu küſſen. Und an Spätnachmittagen. Wie ein bürger⸗ liches Venedig ſtieg das weiße Dorf aus dem Waſſer. Das Poſthorn aber, das von der Chauſſee herüber klang, das war deutſch, inniglich und minniglich. Ein ſchimmernder Abglanz der untergehenden Sonne fiel in das Waſſer und es erſchien wie eine leichte Eis⸗ decke, unter der es von einem geheimnißvollen Feuer brannte. Ich ſehe dieſe Tage und dieſe Scenerien noch ſo deutlich vor mir, weil Traut ja immer dabei war, und an der Natur faſt wie eine Erwachſene ſich freute. 276 Und der Tag vor der Abreiſe! O Du Lieber, Lieber, laß' mich alles noch ein⸗ mal durchleben. Es war ſpät geworden. Wir kamen von den Bergen herunter, gingen durch einen Wald. Es war aber nicht finſter. Der Mond ſchien und wir ſprachen Mondverwandtes, Erdentrücktes. Da der Weg un⸗ eben wurde, nahmſt Du meine Hand. Und wir gingen lange ſo. Und an der andern Hand führteſt Du Traut. Allmählich wurdeſt Du wortkarg, Du zogſt Deine Hand ſanft aus der meinen, und nach einer Weile ſagteſt Du: Marlene, Du haſt mir nie etwas von Deiner Ehe geſprochen, ich weiß aber doch, daß ſie nicht glücklich iſt. Habt ihr nicht daran gedacht, euch zu trennen? „Nein, ſagte ich, wo ſollte ich auch hin? Du wandteſt Dich haſtig von mir. Du nahmſt Traut, die müde geworden war, in Deine Arme, und ſagteſt, wie ſo oft ſchon, aber noch inniger, viel inniger: „unſer Kind. In Deiner Miene hatte ich eine Frage geleſen. Was dachteſt Du? Ob ich es weiß? Du dachteſt: „warum nicht zu mir?“ dachteſt Du das nicht? Ach ja, wenn ich zu Dir hätte kommen können! Der Freund darf zum Freund kommen, die Freundin zur Freundin, aber nicht die Freundin zum Freunde. Die Statuten der Geſellſchaft verbieten es. Warum? Weil wir verſchiedenen Geſchlechts ſind. Was thut das? Sind wir nicht zuerſt und 277 hauptſächlich Menſchen? Ach, das glaubt ja niemand, ſie glauben ja immer nur an das eine. Ich verſtehe ſo wenig von Deiner Wiſſenſchaft, aber ich habe Deine Seele lieb, das echt und rein Menſchliche in Dir, und auch Dein Weſen, Dein Geſicht, Deine Gebärden habe ich lieb, ſie ſpiegeln Deine Seele wieder. Wir können doch mit Gemüth und Geiſt ganz in Stimmungen, Gedanken und Empfindungen auf⸗ gehen, die ein Mann in ſeinen Schriften niedergelegt hat. Und wenn wir Aug in Auge demſelben Manne gegenüber ſtehen, ſo ſollte dieſe ideale Hingabe gleich in's materiell Sinnliche umſchlagen!? Man weiß es noch nicht, aber man wird ſchon noch einmal dahinter kommen, daß die beſten, echteſten Freundſchaften die zwiſchen Mann und Frau ſind. Unter erleſenen Geiſtern waren ſie ſchon. Denk an eine Rahel, Bettina und andere Frauen aus dieſer Epoche ſeeliſcher Hochflut. Männerfreundſchaften, das ſind mehr Intimitäten auf abſtrakter Baſis; ſie erwachſen aus gemeinſamen, wiſſenſchaftlichen, künſtleriſchen oder ſonſtigen geiſtigen oder auch geſchäftlichen Intereſſen. Ein Band von Kopf zu Kopf. Die Anziehung von Perſon zu Perſon tritt in den Hintergrund. Bei der Freund⸗ ſchaft zwiſchen Mann und Frau ſteht ſie im Vorder⸗ grund. Sie iſt ein Band von Seele zu Seele. Sie erſtreckt ſich nicht nur auf geiſtige Wechſelwirkung, auch an den geringfügigſten Vorgängen in des Freundes Leben nimmt die Freundin Antheil, ſelbſt 278 ein abgeriſſener Knopf, oder eine ſchiefe Kravatte ent⸗ geht ihrer Fürſorge nicht. Freundſchaften, die einen ſo perſönlichen Charakter haben, ſchließen auch einen Hauch zärtlicher Hin⸗ gebung nicht aus. Du weißt's, tief und rein iſt meine Freundſchaft für Dich, und doch mag ich gerne meine Wange an Deinen Arm ſchmiegen, mag gern Hand in Hand mit Dir gehen, und zuweilen — lache nur — hätte ich Dich ſogar gern herzlich geküßt, wenn ich Dich gar ſo lieb, ſo edel, ſo küſſenswerth fand. Ich dachte aber, es ginge nicht. Du könnteſt es anders auslegen, als es gemeint war. Solche Freundſchaften ſind ſelten, es iſt wahr. Aber müſſen wir denn immer nur Collektivempfindungen haben? Empfinde ich anders wie viele Andere, und mein Gewiſſen ſagt in ſeiner beſten Stunde „ja“ da⸗ zu, ſo iſt es mein Recht, ſo zu empfinden. Vielleicht ſind auch ſolche Freundſchaften nur deshalb ſo ſelten, weil die Welt ſie boshaft gloſſiren würde, weil ſie nicht daran glaubt, ſie verdächtigt. Darum hat der junge Mann kaum den Muth zu einem Freundſchaftsverhältniß mit einer jungen Frau; er muß fürchten, ſie zu compromittiren, und falls ſie unverheirathet iſt, ihr die Ehe zu verſcherzen. Auch unſere beſten, reinſten Gefühle beugen ſich unter das Joch der Zeitanſchauungen, oder vielmehr, die erſticken ſie ſchon vor der Geburt. Viel Glück dank ich Dir, und helle hohe Freude, wie ſie etwa ein Künſtler empfinden mag, der immer 279 nur Modeporträts, Porcellanfigürchen oder dürftige Gipsabgüſſe geſehen, und der nun zum erſten Mal vor der antiken Statue eines Sophokles, eines Moſes ſteht. Und noch auf andere Weiſe haſt Du mir wohlge⸗ than. „Marlene iſt gut, Marlene iſt ſchön, Marlene iſt klug.“ Wer hat das geſagt? Du! Und ſo ein⸗ fach und überzeugt ſagteſt Du es. Ich hätte auf⸗ jauchzen mögen. Die Anerkennung eines Einzigen, wenn es einer der Beſten iſt, löſcht die Geringſchätzung einer ganzen Welt aus. Ich will's Dir geſtehen, ich ſelbſt hatte manch⸗ mal ähnlich von mir gedacht, da aber niemand meine Meinung zu theilen ſchien, hielt ich es für Größen⸗ wahn. In dem Winter, der auf Tegernſee folgte, ging ich nicht mehr in Geſellſchaft, das weißt Du. Wie viel mehr als alle Geſellſchaften waren die wenigen ſchönen Tage werth, als ich Dich in Berlin hatte. Und daß Walter Dir ſo liebenswürdig entgegen kam! Er fühlte inſtinktiv Deine Lichtnatur und beugte ſich innerlich vor Dir. Wagte er doch nicht den kleinſten Scherz über unſere Freundſchaft. Du fandeſt auch, daß Traut blaß und mager ausſah. Der Arzt aber meinte, es wäre weiter nichts, ſie wüchſe zu ſchnell. Sie blieb aber ſo den ganzen Winter über. Als ſie ſich auch im Sommer nicht 280 beſonders erholte, hielt der Arzt ein Seebad für angezeigt. So fuhren wir nach Heringedorf. Daß Du im September auf einige Wochen herüber kommen wollteſt, darauf freuten wir uns Beide. Ich konnte oft lange auf Traut hinblicken mit einer ſeltſamen Empfindung, die mich nicht froh machte; ein unruhig ſtimmendes Glück. Das Kind hatte zuweilen den Blick eines Weſens, das etwas ſchaute, von dem ich nichts wußte. Traut war über mir, mehr als ich. Sie war zu viel Glück für mich. Sie war ganz verliebt in den Strand, und an Tagen, wo ſie nicht an müder Schwäche litt, konnte ſie auf unſern Spaziergängen an jeder Feldblume, an jedem Boot auf dem Waſſer ſich freuen. Ich vergeſſe ihr Entzücken an einem Feuerwerk nicht, das ſie doch nur aus der Ferne ſehen konnte. Am Steg, zehn Minuten entfernt von unſerm Hauſe wurde es abgebrannt; ſie dahin zu führen war es zu ſpät. Wir hatten Mondſchein. Ein breiter Strahl ruhte mitten auf dem Waſſer, und bildete einen leuchtenden See im dunklen Meer. Illuminirte Schiff⸗ chen kreuzten in der Nähe des Steges hin und her, und geriethen ſie in den Silberſee, ſo ſah es zauberhaft aus, als wenn Nixen und Nereiden in funkelnd bunter Juwelenpracht Hochzeit hielten. Ein großes Schiff erſchien am Rande des Silber⸗ ſtrom's, ſchwarz, ſcharf, geſpenſtiſch zeichnete ſich das Takelwerk ab, als aber das Schiff mitten durch den 281 Silberſee fuhr, verſchwammen die Umriſſe, und der eben noch düſtere Coloß ſchien ein ſtrahlendes Schloß, ein ſilberngeſponnenes, und die hohe Geſtalt am Bord wie der Meerkönig ſelber. Und ringsherum das bunte Geflimmer der kleinen Boote, und über all dem Zauber, die leuchtenden, roth, grün und goldenen Blumenſträuße, die aus den Racketen ins Meer ziſchten. Traut jubelte auf, erſchrak aber, als Jemand neben uns ſagte: „Das iſt das Geſpenſterſchiff mit lauter Todten drinn.“ — „Können denn die todt ſind, noch leben? fragte Traut. Und als man ihr antwortete, das wiſſe niemand, ſagte das Kindchen nach einer Weile ſo recht altklug: „dieſe Räthſel werden ſich alle löſen, wenn wir im Himmel ſind. Es kam ein melancholiſcher Tag. Traut ſpielte unter der Aufſicht des Mädchens mit andern Kindern am Strand. Um meine trübe Stimmung zu ver⸗ ſcheuchen unternahm ich einen weiten Spaziergang. An einem kleinen Gewäſſer kam ich vorbei, das von einer Gruppe Weidenſtümpfe eingefaßt war; die dünnen, dürren, röthlichen Zweige daran ſahen aus, als ob röthliches Haar ſich in geheimen Schrecken ſträubte. Von den Wieſen ſtieg weißlicher Dunſt auf. Ich hatte kürzlich ein Bild geſehen. „Mors imperator“ ſtand darunter. Der Tod, eine Krone auf dem grinſenden Schädel, ſchreitet über eine Wieſe. Es iſt gegen Sonnenuntergang. Leichte Nebeldünſte ſchweben wallend über dem Gras. Das Erdreich hinter dem Tod, über das ſein Fuß ſchon geſchritten 282 ein leerer, quirlender Sumpf; vor ihm auf der Wieſe ſtrahlendes blühendes Leben. Junge Mädchen tanzen einen Ringelreihen, goldlockige Kinder ſpielen und pflücken Blumen; aber nur die Köpfe der Spielen⸗ den und Tanzenden ſind ganz ſichtbar. Die Körper zeichnen ſich durch das Nebelmeer hindurch nur un⸗ deutlich ab. Dicht vor dem Tod gaukelt ein be⸗ zauberndes kleines Geſchöpf, in weißem Kleid. Es will einen Schmetterling haſchen. Mors imperator erhebt ſein Scepter — — Wenn ſich Traut nur nicht erkältet, dachte ich, und ich wandte mich wieder dem Strande zu. Am Strand, da war eine ſo ſonderbare, fahle Helligkeit ohne Sonne. Eine ſo graue, ſtille Milde über dem Meer, ſo verblichen, verjährt, als könne gar nichts mehr in der Welt geſchehen. Am Himmel viel ſtille Wolken, aber es wird nicht regnen. Dampfſchiffe hingen am fernen Horizont über dem bewegungsloſen Waſſer, und ſie fahren, langſam, langſam, immerfort, immerfort, und ſie werden nie an's Land kommen. Wenige Leute, auf ihre Schirme geſtützt, wandelten dahin am Strand, träge, läſſig, als hätten ſie auch nicht Zweck und Ziel. Hier und da ſchleppte ſich ſchwer und müde ein Segelſchiff hin, einem Rieſen⸗ ſchmetterling ähnlich, dem die Flügel feucht und ſchwer geworden. Kähne, wie ſchwarze Schwäne, glitten ſacht und lautlos über die bläuliche Fläche. Es war nicht melancholiſch, und es war nicht heiter, es war nicht trüb, und es war nicht hell, ein ſanftes, flaues, einförmiges Fortgleiten aller Dinge. 283 So willenlos und ſeelenlos. Das einzig Lebendige der Duft der Lupinen, der vom Felde herkam. Und mit einem Mal kam mir alles Sehnen und Sorgen ſo überflüſſig vor, und als wäre es ſo gut, wenn auch das ganze Leben von ſo grauer, ſtiller Milde wäre, und wir kämen gar nicht mehr an's Land, blieben im Schiff, von Meer zu Meer, nur Himmel und Waſſer. Niemand merkte ja, wie ſich alles ſo hinſchlich und ſchleppte, und die Leute alle ſahen ganz zufrieden aus. Da ſah ich wieder über einer Wieſe den Nebel⸗ ſtreif. Ich ging ſchneller, Traut heimzuholen. Ich hörte ſchon von fern das Lachen von Kinderſtimmen. Als ich näher kam, ſah ich, daß die Kinder ein un⸗ heimliches Spiel ſpielten: Begrabenwerden. Später hörte ich, das ſei eins der beliebteſten Kinderſpiele an Oſtſeeſtränden. In dem tiefen, weißen, weichen Sand wurden die Körperchen leicht eingegraben, nur die Köpfchen, die auf einer kleinen Sanderhöhung ruhten, blieben frei. Die Sandhügel waren über und über mit Blumen beſteckt. Merkwürdigerweiſe waren die Begrabenen lauter Mädchen. Die Knaben machten die Toten⸗ gräber. All' dieſe kleinen Mädchen mit den friſchen und verbrannten Geſichtern, und den hellen, offenen Aeuglein, ſahen nicht beſonders verſtorben aus. Nur Traut allein ſchien die Rolle ernſt zu nehmen. Sie lag ganz ſtill mit geſchloſſenen Augen da; die langen, dunklen Wimper ließen ſie noch blaſſer erſcheinen, als ſie war. Sie hatte nur weiße Blumen auf ihrem 284 Sandhügel gewollt. Und in dieſem Augenblick ſchlug ein Knabe auf einer Trommel jenen monotonen Wirbel, wie er bei Militärbegräbniſſen üblich iſt. Ein Entſetzen packte mich. „Traut,“ rief ich, „Traut“. „St!“ flüſterte ſie, „ich bin ja todt.“ Was den unheimlichen Eindruck noch vermehrte. war die Stimmung des Meeres, die ſich in der letzten halben Stunde geändert hatte. Grauſchwarz wie von Erz war es. Rothe, feurige Lichtſtrahlen fuhren da⸗ rüber hin wie ein blutiges Schwert. Als ich Traut aus ihrem Sandgrab zog, waren ihre Händchen eiskalt. Sie wurde krank. Sie hatte ſich wohl bei dem Begräbnißſpiel erkältet. Der Arzt wußte nicht recht, was ihr fehlte. Erſt hatte ſie Fieber. Als es ge⸗ wichen war, wurde es nicht viel beſſer mit ihr. Eine Art Abzehrung war's. Immer verlangte ſie an's Meer. Ich trug ſie täglich an den Strand, und da lag ſie auf Kiſſen und Decken im warmen Sand. An einem Tag, als das Meer in bläulicher Milde atlasweich dahinrollte, fuhr im Hintergrund ein Schiff vorbei mit feuerrothem Segel. „Ich möchte in dem Schiff mit dem rothen Segel ſein,“ ſagte ſie. „Warum denn Traut? „Roth iſt ſo geſund.“ Und ihr Blick zerriß mir das Herz. Ein ander Mal bot die See ein morgenfriſches Bild von einem unbeſchreiblich ſanften Reiz. Auf 285 dem zarten, lichtblauen Himmelsgrund hinſchwebende lichte Wolkenbälle, locker und luftig ineinander ge⸗ fügt, das Grau und Weiß gar lieblich abſchattirt. „Siehſt Du Muttchen, ſagte ſie, die weißen Bällchen am Himmel, das ſind Schneebälle die mit ihren Köpfchen aus den grauen Wolken gucken, und ich glaube gewiß, der Himmel hat auch Blumen wir wiſſen es nur nicht. In der Nacht habe ich eine große, rothe Feuerlilie am Himmel geſehen.“ Es war wohl der Leuchtthurm, den ſie geſehen. Langſam, langſam welkte ſie dahin. Woran ſtarb ſie? An dem Gram, der mich erſchöpfte während ich ſie unter dem Herzen trug, und der ihr Blut verarmte? Ich hatte in Berlin den Kindern ein Kanarien⸗ vögelchen geſchenkt. Walterchen ließ einmal das Bauer offen ſtehen, das Vögelchen war herausgeflogen auf die Zweige eines Baumes, der nahe dem Fenſter ſtand. Die Kinder riefen und lockten „Liſi“ und es regte auch einige Mal die Flügel zur Heimkehr, wagte aber den Flug nicht noch einmal. Da rauſchte ein großer, ſchwarzer Vogel, krächzend mit ausgebreiteten Flügeln über ihn hin. Vor Schrecken fiel das Vögelchen vom Baum, und blieb unten am Boden liegen. Die Kinder liefen hinunter. Das Thierchen zuckte noch ein paar Male, dann war es todt. Walterchen beſchäftigte ſich ſofort mit den Be⸗ gräbnißfeierlichkeiten. Traut weinte herzbrechend. Ich ſchenkte ihr ein anderes Vögelchen. Sie wollte es nicht. Es wäre nicht Liſi. 286 Dieſes kleine, faſt vergeſſene Erlebniß wurde jetzt in ihrer Phantaſie wieder lebendig, wenn ſie fieberte. Sie hielt ſich für das Vögelchen: „Biſt Du böſe Mutt⸗ chen, daß ich fortgeflogen bin? Laß nur das Fenſter offen, wenn meine Flügel gewachſen ſind, komme ich wieder.“ Nach einer Weile ſtieß ſie einen Schrei aus „der Vogel mit den ſchwarzen Flügeln, da — über mir. Sie klammerte ſich an mich „hilf mir doch, hilf mir.“ Einmal, als ſie von einem Halbſchlummer er⸗ wachte, ſah ſie mich groß und verwundert an: „Muttchen Du? Bin ich denn nicht todt? ich dachte, ich wäre geſtorben.“ Nein, nein Traut, Du lebſt, Du wirſt wieder geſund werden. „Ach ja, das will ich! Ich lebe — dann gieb mir ſchnell zu eſſen, ich will ſtark werden, ich habe Hunger.“ Ich reichte ihr eine Taſſe Milch. Sie hatte ſchon wieder vergeſſen, daß ſie eſſen wollte, ſie trank die Milch nicht. Sie blickte um ſich, ſo ſeltſam. Das Kind wußte vom Tode. Ungeheure Verwunderung und zugleich ein Entſetzen lag in ihren Augen, ein Flehen um Leben, unausſprechliche Zärtlichkeit, und dann wieder eine müde, ſtille Sehnſucht. „Muttchen, ſagte ſie einmal, ich will ein Ver⸗ gißmeinnicht werden. Aber, — fuhr ſie nachdenklich fort — wenn Du mich dann pflückſt ſo weißt Du ja gar nicht, daß ich es bin.“ Sie ſann vor ſich hin. An einem Tag, nach Sonnenuntergang, während ich ſie in meinen Armen hielt, ſtarb ſie, ohne einen 287 Seufzer, einen Laut. Ich merkte erſt an ihrer zu⸗ nehmenden Kälte daß ſie todt war. Unmittelbar nach ihrem Tode war mein Em⸗ pfinden wie ausgelöſcht. Meine Augen blieben trocken, meine Seele leer. Ich begriff einfach dieſen Tod nicht. Ich ging ſtundenlang umher, aus einer Stube in die andere, mechaniſch wie ein Automat. Phyſiſch lebte ich faſt wie ſonſt. Ich empfand ſogar Hunger, und ich aß. Ich quälte mich vergebens damit ab, mir vorzuſtellen, daß Traut geſtorben ſei. Ich ſchlief traumlos die ganze Nacht nach ihrem Tode. Und ſonderbar — zuerſt war es der Körper, der ſich aufbäumte gegen das was geſchehen, Herzſchwäche ſtellte ſich ein, Beklemmungen, die ſich bis zum Un⸗ erträglichen ſteigerten. Ich war nahe daran, mich aus dem Fenſter zu ſtürzen, nur um dieſer Qual zu entgehen. Warum ließen ſie mich ſo allein? Ich wollte rufen. Die nervöſe Angſt hatte mich der Stimme beraubt. Da ging die Thür, Walter mit dem Knaben war angekommen. Ich ſtürzte ihnen entgegen. Die phyſiſche Todesangſt war gebrochen. Walter war ſehr betrübt. Er hatte heftig ge⸗ weint. Der Schmerz war etwas ſo Neues für ihn. Er war gewiſſermaßen ſtolz auf ſeine Thränen. Hätte er jetzt aus tiefſtem Gemüth heraus zu mir geſprochen, vielleicht hätten wir uns in dem gemeinſamen Leid gefunden. Am Abend ſah' ich Traut aufgebahrt, ganz mit Blumen bedeckt. Ich ſtürzte über den Sarg. Eine 288 Ohnmacht umfing mich. Als ich zu mir kam, war der geiſtige Starrkrampf von mir gewichen, glühend bohrte der Schmerz ſich in meine Bruſt, und unver⸗ ſiegbar floſſen meine Thränen. Traut todt! War das möglich? Und die Menſchen alle, ſie lachen und ſchwatzen, und eſſen und trinken als wäre nichts geſchehen. Und alle waren geſund. Und ich war auch geſund. Ich ſchämte mich beinah zu leben, da Traut todt war. Und die Sonne goß ihren Goldglanz über Himmel und Erde, und Traut's Augen waren mit Erde bedeckt. In einer Nacht erwachte ich. Ich hatte inten⸗ ſiv von Traut geträumt. Ihr Bettchen ſtand noch wie früher in meinem Zimmer, und ich ſah einen zarten Schatten über dem Bett, nein — nur den Hauch eines Schattens! und dieſer durchſichtige Schatten hatte Traut's Formen. Ich rief ihren Namen, ich ſprang aus dem Bett, der Schatten war nicht mehr da. Wenn ich des Morgens die Augen aufſchlug, flüſterten meine Lippen den Namen Traut, ehe noch das Weh im Herzen wach war. Ach ſobald erwachte es. Wenn ich las oder mit jemand ſprach oder Muſik hörte — plötzlich — da war's! Ein ferner Ruf: Traut iſt todt! Und Nachts halb ſchon im Schlaf, weckte es mich jählings: Traut iſt ja todt! Ach, nie wieder würde ein ſolches Geſchöpf ge⸗ boren werden, mit ſo himmelshellen Augen unter ſo nachtſchwarzen Wimpern, mit ſolcher Fülle metalliſch⸗ Dohm, Schickſal einer Seele. 19 289 glänzender Haare, die ſo königlich das ſüßeſte Ge⸗ ſichtchen umrahmten. In dem Kind beweinte ich nicht nur mein Kind, ich weinte auch, daß ein ſolches Kleinod vom Erdkreis verſchwunden war, ich weinte über alle Menſchen, die, in der Knoſpe ſchon ſich vor der Reife fürchten müſſen, wo der ſchwarze, erbarmungsloſe Schnitter ſie mähen wird. Ich hatte auch Stunden wilder Empörung. Mußte ich's dulden, daß ſie ſtarb, ſtill ſitzen, als der feige Tod ſie heimtückiſch überfiel! ſie würgte — würgte, einen Engel würgte. Ich blieb den ganzen September über am Meer. Stürmiſche, düſtere Tage. Es war, als wenn auch die Natur ſich aufbäumte in unbändigem Schmerz wie ich. So wollte ich es. Das waren meine er⸗ träglichſten Stunden, wenn ich baarhaupt dem Sturm entgegen ſchritt, vor dem die Wolken zerriſſen, der feine Sand wie von Entſetzen gepackt über die Dünen floh, das große Meer aufſchauderte aus ſeiner Tiefe, wie in Titanentrotz ungeheure Flüche über den Welten⸗ raum hindonnernd. Dann öffneten ſich meine Lippen, ich trank die ſalzigen Winde, und meine Seele ſchrie zum Sturm: Heule, raſe, Du ſchöner Sturm Deine Rieſenklänge über Himmel und Meer! Ich heule, ich raſe mit Dir. Ich verſtehe Dich, ich liebe Dich, Sturm! Mit Deinen Raubthiertatzen krallſt Du in die Lüfte, und reißt ſie an Dein wildpochendes Herz, daß ſie ächzend auf⸗ ſtöhnen im Rieſenjammer — wie ich — wie ich! Traut iſt ja todt! 290 Läutert wirklich, wie man ſagt, der Schmerz? Der meine nicht. Nein, nein, er läutert nicht. Es ſoll unter dem Aequator heißen Regen geben, der alles verſengt, verbrennt. Heißer Regen waren meine Thränen. Sie verbrannten mein Herz. Und doch zuweilen in meinen tiefſten Schmerz hinein ein leiſes Mahnen: Jetzt iſt der Zeitpunkt: „aus Deinen großen Schmerzen mache kleine Lieder wie Heine es that, und auch Goethe und viele Andere. Die glühende Lava Deiner Schmerzen, die Dich zerſtört, laſſ' ſie in Feuerſtrömen durch Dichtungen rauſchen. Kleine Lieder! Ein großer Schmerz will große Lieder. Ja, wenn ich mein übermenſchliches Leid hinausraſen könnte, wie ein Weckerruf für Todte: Steht auf! Steht auf! wenn ich Verſe dichten könnte, von ſo tödlich trauriger Zärtlichkeit, daß ſie meine geliebte Todte umdufteten wie Kränze von weißen Lilien! Wozu? Weltliche Erfolge? Was gingen mich die Menſchen an! Die Zeit, die Geſellſchaft. Ich lebte mit Todten. Schon die Thatſache, daß man zu den Lebenden gehörte, kam mir armſelig vor. Meine völlige Weltabgewandtheit nahm mir auch in dieſer Zeit jede Schüchternheit. Ich erröthete und erblaßte nicht mehr. Ich war nicht mehr feig, nicht mehr furchtſam. Sonſt, wenn ich auf einſamen Wegen einer Rinderherde oder einem Hund begegnete, fürchtete ich mich. Jetzt hätte mich ſelbſt eine wilde Beſtie kalt gelaſſen. Furcht — lächerlich! Was konnte mir 19* 291 denn Aergeres geſchehen, als mir ſchon geſchehen war? Ja, ich erſehnte oft einen körperlichen Schmerz, um den ſeeliſchen nicht zu fühlen. Ich ritzte mir mit einem Meſſer die Haut. Es that weh, ich warf das Meſſer fort. Ich verachtete mich wegen dieſes feigen Schauders. Wenn ich irgendwo ein Kind ſah, das mich an Traut erinnerte, durchfuhr mich ein ſüßer Schreck, als könnte ich ihr wirklich noch unter den Lebenden begegnen. Daß ſie geſtorben, wenn es nun nichts wäre, als ein Traum, ein fürchterlicher, aus dem ich erwachen würde! Einmal ging ein armes Weib vor mir her. Auf ihrem Rücken trug ſie einen Buben von 10 oder 12 Jahren, einen Krüppel. Ich ſprach ſie an. Der Krüppel war auch ſchwachſinnig. Der Herr wolle ihr die Laſt nicht abnehmen, ſie müſſe ſie tragen, und ihre ganze Familie litte darum bittere Noth. Und dieſer form⸗ loſe Klumpen Fleiſch lebte, lebte zum Elend der Seinen, und Traut mußte ſterben. Ich weinte auch um jedes kleinſte Leid, das Traut in ihrem kurzen Leben erfahren. Einmal hatte ich ſie vor Gäſten wegen einer kleinen Unart geſcholten. Sie ſchluchzte herzbrechend. Später fragte ich ſie, warum ſie über die Paar Scheltworte ſo geweint habe? „Weil Du mich ſo vor fremden Leuten be⸗ ſchämt haſt.“ Ja, warum that ich das? An ihrem fünften Geburtstag hatte ſie ſich zum Mittageſſen Rehbraten 292 mit Himbeergelee und Pudding beſtellt. Reh war mir zu theuer, und ſie bekam nur Kalbsbraten. So enttäuſcht ſah ſie mich an. Und nun wird ſie keinen Geburtstag mehr haben, und nie mehr kann ich ihr einen Wunſch erfüllen. Ein ander Mal kam ich dazu, als ſie mit einem großen Stück Seife in der Hand, einen ſehr eleganten und ſehr empfindlichen Plüſchbezug aus allen Kräften abrieb. Und voll Stolz und Thatendrang theilt ſie mir mit: „Muttchen ſchau, Dein Sopha iſt ſo verſchmutzt, ich thu's ſauber abwaſchen.“ Ich gab dem Kinde einen leichten Schlag, und dieſer häßliche, ungerechte Schlag iſt nun in meiner Erinnerung wie ein blutiger Fleck, der mit meinen Thränen nicht abzuwaſchen iſt. Und Tag und Nacht verfolgte mich der glühende Wunſch, nur noch einmal, ein einziges Mal, und wär's auf eine Minute, wollte ich ſie lebend haben, um ihr all' meine heiße, heiße Liebe zu ſagen. Gewiß, ſie hat nicht gewußt, wie abgöttiſch ich ſie liebte. Walter vergaß des Kindes bald. Es war mir recht. So gehörte ſie mir allein, meine Todte, mir ganz allein. Nach Jahr und Tag kam eine erſte Stunde in der ich an Traut nicht dachte. Dann kamen mehrere Stunden, und wieder nach langer Zeit war es ein ganzer Tag, an dem Traut's Bild nicht vor mir ſtand. Eine verächtliche Bitterkeit gegen die menſchliche Natur preßte mir das Herz zuſammen. Wie? Ein ſo ungeheures Weh — kaum zwei Jahr, und es erliſcht wie eine Kerze die ausgebrannt 293 iſt! Wer weiß — noch eine Spanne Zeit, und wenm es ſich ſo macht — tanze ich wieder. Wozu ſich dann erſt die Augen blind weinen? Nie aber löſte ſich mein Gram in Wehmuth auf. Ewig ruhte er ungebrochen, unzerſtörbar in meiner Bruſt, die Zeit hat nur Aſche darüber geſtreut. Und indem ich das jetzt ſchreibe, bricht der Quell meiner Thränen wieder auf, und ich weine bitterlich. Und wenn ich einmal im Sarge liege, und Du ſiehſt aus meinen todten Augen Thränen fließen — Du weißt, warum die todten Augen weinen! Ich wollte mich mit doppelter Zärtlichkeit meinem Knaben zuwenden. Hätte er nur, als das Schweſter⸗ chen geſtorben mit mir geweint, oder hätte ich wenigſtens in ſeinen Zügen geleſen, daß ſein junges Gemüth erſchüttert war. Nichts davon. Er empfand eine gewiſſe Scheu vor dem Tode, und ein Unbehagen, daß er nicht luſtig ſein durfte. Ich preßte ihn an mein Herz, und nannte ihn mein einziges, geliebtes Kind. Er erwiderte meine Liebkoſung und ſagte: „Muttchen, nicht wahr, jetzt gehören mir Traut's Spielſachen! „Nein,“ ſagte ich hart. Ich verbrannte ſie alle — alle. Das war Walters Sohn. Daß eine Mutter all' ihre Kinder gleich lieben ſoll, iſt eine falſche, ethiſche Forderung. Meine Mutter hatte das Recht mich nicht zu lieben aber nicht das Recht, ſich mir ungerecht und lieblos zu beweiſen. 294 Ich wurde milder als je gegen meinen Knaben, aus Furcht, ich könnte ungerecht werden. Ich ſiechte ſo hin. Ein müder, zehrender, ſchleichender Gram. Der Schatten Traut's, der mich umkreiſte, zog mich ihr nach. An einem Morgen erwachte ich mit einem Lachen. Ich hatte, wie ſo oft, von Traut geträumt. In dieſer Nacht ſah ich ſie langſam durch eine Allee von Trauerweiden ſchreiten. Die Allee erſtreckte ſich bis zu einem kiefen See. Immer näher kam ſie dem See, und in immer wilderer Angſt klopfte mein Herz. Da ſchwirrte etwas durch die Luft, ein Käfer, ein Mai⸗ käfer, der ſetzte ſich auf Traut's Fingerchen. Gleich ſtreckte ſie das Fingerchen von ſich, und fing an zu ſingen: „Maikäfer fliege, Dein Vater iſt im Kriege, Deine Mutter iſt in Pommerland, Pommerland iſt abgebrannt, Maikäfer fliege.“ Mit einem Male war ich ſelbſt der Maikäfer, und ich krabbelte auf ihrem Fingerchen. „Na, ſo fliege doch, fliege!“ ſagte ſie mit ſo unnachahmlicher Schelmerei im Ton, daß ich laut auflachen mußte. Das Lachen that mir ſo wohl, und wachend wiederholte ich noch immer: na, fliege, ſo fliege doch! Ja, warum flog' ich denn nicht? weit fort, da doch meine Heimath abgebrannt war? Von dieſem Tag an reifte in mir der Entſchluß, dem Hinſiechen und Hinkriechen ein Ende zu machen 295 — fortzufliegen. Aber wie? Wohin? Etwa zurück zum Geſellſchaftsleben? Nein, ich wollte mit dieſer Welt nichts mehr zu thun haben, nichts mit ihren Verlogenheiten und falſchen Pflichten und gelernten kategoriſchen Imperativen, auch nichts mit ihren ewigen Wahrheiten, deren Ewigkeit ſo kurz iſt, wie unſer Gehirn eng. Immer hat es mich nach dem Süden gezogen. Nach Gemälden und Schilderungen hatte ich mir ein Bild von Italien gemacht. Wenn ich dahin könnte, heraus aus dieſem Leben, das nicht mein Leben war, heraus aus dieſer Stadt, aus dieſem Klima. Eine andere Erde! Anderer Himmel! Viele Tage grübelte ich darüber. Ich wartete immer auf eine Eingebung oder einen Zufall. Es waren graue, graue Novembertage, eine ſickernde, muffige Feuchtigkeit in der Luft, alles müde, als könne es nicht leben und nicht ſterben. Ich hatte mich erkältet. Ich huſtete viel, an einem Tag hatte ich Fieber. Da kam mir die Ein⸗ gebung, nicht vom Himmel, denn es war eine Lüge dabet. Hatte der Arzt nicht Deine Schweſter, weil ſie nach einer Lungenentzündung ſo ſtark huſtete, nach Rom geſchickt? Ich wollte mich auch nach Rom ſchicken laſſen. Da würde ich dann Deine liebe Julie treffen, in derſelben Penſion mit ihr wohnen und wenn Du im Februar auf Deiner Reiſe nach Griechen⸗ land durch Rom kämſt, würdeſt Du uns ein paar Tage gehören, und im Mai — das rechnete ich fein 296 aus — könnten wir dann alle mitſammen heim⸗ fahren. Und nun iſt es doch anders gekommen! Unſer Hausarzt, ein lieber alter Mann von be⸗ merkenswerther Intelligenz, hatte mir immer eine be⸗ ſondere Güte bewieſen. Ich bat ihn zu mir, klagte ihm, daß ich krank ſei — bruſtkrank wahrſcheinlich — und daß ich eine ſo große Sehnſucht nach dem Süden habe, nach Sonne, er ſolle mir Italien ver⸗ ordnen. Ich ſah von ihm weg, während ich ſprach, und fühlte, wie ich über und über roth wurde. Er fixirte mich ſcharf mit ſeinen klugen Augen. Sicher iſt er gleich dahinter gekommen, daß alles Lug und Trug war. Doch unterſuchte er mich gründlich. Dann nahm er meine vor Aufregung feuchtkalten Hände in die ſeinen, und meinte, gar ſo ſchlimm wäre es nicht mit der Bruſtkrankheit, die rechte Lungenſpitze ſei allerdings angegriffen, ſicher aber würde ein Winter in Italien Wunder an mir thun. Mit meinem Mann wolle er ſofort Rückſprache nehmen. Ich hörte in meiner Erregung kaum noch was er ſagte. In Gedanken war ich ſchon bei Deiner Schweſter. Und ſo väterlich, ſo gut ſprach er, ich hätte ihm die Hände küſſen mögen, daß er um meinet⸗ willen lügen wollte. Und nun ging alles ſo ſchnell, daß ich kaum zu Athem kam. Walter, der gleich ja ſagte, der ohne weiteres das viele Geld, das eine ſolche Reiſe erfordert, bewilligte. Und wie Du plötzlich nach Berlin kamſt, 297 (hatte Dir Walter wirklich nicht geſchrieben?) um gleich mit mir nach Rom zu fahren, obgleich doch Deine große Reiſe erſt für den Februar geplant war. Ich verſteh es heut noch nicht recht. Und Walter der in allem mit Dir ſo einverſtanden war. Es ſah beinah ſo aus als conſpirirtet ihr gemeinſchaftlich hinter meinem Rücken über die Reiſe. Nur darüber bin ich nachträglich noch betrübt, daß Du mir während unſeres achttägigen Beiſammen⸗ ſeins hier Rom nicht zeigen konnteſt. Gewiß, es war vom Arzt und Deiner Julie allzu ängſtlich, daß ſie mich nicht aus dem Zimmer ließen. So ein bißchen Huſten bringt einen doch nicht gleich um. Und Philomela, das treffliche Stubenmädchen, die mich auch immerzu pflegen wollte. Und nun, da ich Deine Schweſter kennen gelernt habe, Arnold, finde ich, daß Du mich gar nicht brauchſt. Beſſer, edler iſt ſie als ich. Sie liebt Dich, und ihr ſeid auch im Geiſt Geſchwiſter. Fein und ſtill iſt ſie wie Du, nur nicht ganz ſo harmoniſch befriedigt in ſich wie Du. Und das iſt erklärlich. Seitdem Du ihrer Pflege und Fürſorge entwachſen biſt, leidet ſie an unverbrauchter Kraft. Sie iſt die geborne Mutter, und hat keine Kinder. Darum hat ſie ſich nun mit ſo viel Eifer auf's Zeichnen geworfen, und wenn ich erſt wieder wohl ſein würde, dann wollten wir immer zuſammen ausziehen, Beide mit Bleiſtiften bewaffnet, ſie zum Zeichnen, ich zum Schreiben. Ich ſah mich ſchon — ganz Corinna — auf Ruinen ſitzend und auf Schreibgedanken lauernd. 298 Sie hat Humor Deine Schweſter, ſie ironiſirt ſich ſelbſt mit ihrem Zeichnen. Was Göthe kann, kann ich auch, ſagte ſie, nämlich: mich irren und mich für ein verkanntes Zeichengenie halten. Nun biſt Du ſchon lange, lange fort. Zu Ende iſt meine Geſchichte. Ich warte auf Dich. Nein — meine Geſchichte iſt nicht zu Ende. Wie? dieſe Aufzeichnungen ſollten mit einer Lüge ſchließen! Aufzeichnungen, die für Dich beſtimmt ſind? Bei Tag ſchrieb ich die Geſchichte meiner Ver⸗ gangenheit, Abends oder in der Nacht meine Geſchichte in Rom. Ich ſchrieb anfangs mit dem Hintergedanken, daß ſie nie in Deine Hände gelangen ſollte, nie ſollteſt Du erfahren, daß ich unſerer Freundſchaft im Geiſt die Treue gebrochen. Nun will ich, ſie ſoll in Deine Hände gelangen. Haſt Du zu Ende geleſen, ſo wirſt Du wiſſen, daß fortan eine Lüge in meinem Leben keinen Raum mehr hat. Aus Karten oder Briefen wirſt Du ja von Julie erfahren haben, wie traurig es ihr ergangen iſt, wie das römiſche Fieber ſie mitgenommen hat. Nun iſt ſie ja, weil der Arzt es durchaus ſo wollte, ſchon lange an der Riviera. 299 Die Penſion war mir verleidet. Meiner Philomela hatte man unter nichtigem Vorwande den Dienſt ge⸗ kündigt. Dazu kam, daß ein Herr in der Penſion mir läſtig fiel, ſehr läſtig, in welchem Sinn kannſt Du Dir denken. Da entſchloß ich mich kurz auf einen Vorſchlag Philomelens einzugehen. Sie hatte wie ſie ſagte, ein reizendes, kleines Logis im fünften Stockwerk mit einer großen Terraſſe, und drei kleinen Zimmerchen ausgekundſchaftet. Ich ſah die Wohnung, war entzückt davon, und zwei Tage ſpäter hatte ich ſie mit Philomele bezogen. Sie iſt eine fromme Katholikin, es macht ihr Kummer, daß ich eine falſche Religion habe. „Aber, ſagte ſie, wenn ich einen ſo guten Charakter ſehe, wie den Ihrigen, ſo wende ich die Religion nicht darauf an. In der erſten Zeit fühlte ich mich auf meiner Höhe recht vereinſamt. Es regnete auch, dann kam ſtrahlender Sonnenſchein. Ich ſaß oder lag ſtunden⸗ lang auf der Terraſſe, ohne Luſt auszugehen. Den ganzen Vormittag, wenn ich wohl genug war, ſchrieb ich an meiner Geſchichte. Auf der Terraſſe war es immer warm und ſchön; nach Sonnenuntergang aber mußte ich im Zimmer bleiben, das hatte mir der Arzt befohlen. Sie waren dürftig, die Zimmerchen, ich wollte ſie hübſch und behaglich machen, Du würdeſt Dich ſpäter auch daran freuen, dachte ich. Und ich kaufte allerhand ein, zuerſt in Begleitung Philomelas ſpäter auch allein. Reizend ſieht es jetzt bei mir aus, Du weißt ſchon — das rothe Glas. In der einen Ecke des 300 Salons rieſige Eukaliptus⸗Büſche, davor ein Tiſchchen, auf dem eine broncene Amphora mit weißen Narziſſen ſteht. Auf der Chaiſelongue ein weißes Lammfell. Zu Vorhängen und Portieren verwendete ich die ſo lächerlich billigen Ciociarenteppiche, die ſo warm in der Farbe ſind. Ich legte ſie auch über den Reiſe⸗ korb und den Koffer, und ſchlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe, indem ich dieſe unſchönen Gegen⸗ ſtände vortheilhaft unterbrachte, und zugleich ein paar kleine Divan's gewann. Und denke Dir, ich fand ein Stück merkwürdig bedruckten Kattun's, das wie ein türkiſcher Teppich wirkte. Davon fabricirte ich eine Art Baldachin, und hing eine, in wirklichem Oel gemalte Madonna darunter, nur Skizze, die ich für ein paar Lire in einem Trödelladen erſtanden, was aber dem innig ſchwermüthigen Ausdruck ihres Geſichts keinen Abbruch that. Unter der Madonna ein ewiges Lämpchen (ſeine angezündete Ewigkeit dauerte bei mir allerdings nur von 7—10 Uhr) in einem antiken mit bunten Edelſteinen (unächten) verziertem Glas. Gegenüber in einem ſcharfem Winkel von der Decke herabhängend, eine noch antikere Laterne mit grünen Gläſern. Natürlich war auch eine vierzinkige, römiſche Lampe da. Und nun male Dir den Effekt aus, wenn der Kamin brannte, und das Oel in der grünen Laterne, und in dem rothen Edelſteinglas, und in der vier⸗ zinkigen, römiſchen Lampe, die ich berechnenderweiſe vor einen Spiegel geſtellt hatte. Die Petroleum⸗ lampe zünde ich Abends gar nicht erſt an, um mir die Farbenſtimmung nicht zu verderben. 301 Bei Tage ſorgt der Ausblick von meiner Terraſſe für Stimmung. Da habe ich ein gutes Stück Rom vor mir; bis zum Janiculus ſehe ich, und ein Stück⸗ chen Campagna ſehe ich auch, und St. Peter und die vielen Gärten auf den Häuſern. Aus der Häuſer⸗ maſſe, gerade mir gegenüber, ragt, faſt bis zum Niveau meiner Terraſſe, eine hohe Säule empor. Sie trägt eine Madonna, um ihren metallenen Heiligenſchein flattern Vögel. Morgens, wenn ich heraustrete, achte ich darauf, ob es Krähen oder Raben oder Tauben ſind. Eine Taube bedeutet mir Gutes, ein Rabe ſo etwas, auf das ſich nevermore reimt (ich denke an Poe's Gedicht.) eine Krähe — Verdrießliches, oder wenigſtens All⸗ tägliches. Meine gute Philomela zankte mit mir, daß ich nun wieder immer daheim ſaß, und mir das Wunder Rom, ihr Rom, nicht anſehen wollte. Der liebe Gott hätte doch auch rothe Laternen und grüne Gläſer an den römiſchen Himmel gehängt, aber es wären ächte Rubinen und Smaragden, und die Sonne ſelbſt wäre ein Rieſendiamant u. ſ. w. (Ich embellire ihre Ausdrücke) Und eines Tages kam ſie mit Hut und Shawl, und ich mußte mit. Und da bin ich nun eine ganze Woche mit ihr herumgewandert, mit dem feſten Vorſatz von Rom entzückt zu ſein wie alle Welt es war. Von einer Kirche zur andern liefen wir, von einer Gallerie in die andere, auf Ruinen kletterten wir umher. Das Capitol und alle Paläſte und den Monte Pincio ſahen wir. Ich kam jedes 302 Mal tödlich erſchöpft nach Hauſe. Ich huſtete wieder ſtark, und fühlte mich elend. Die Maſſenhaftigkeit des Geſehenen, dieſes wüſte Durcheinander, erdrückte mich. Rom ruhte wie eine ſchwere Arbeit auf mir, mein Körper war der An⸗ ſtrengung nicht gewachſen. Sicher ich brauchte einen Führer. Ich kaufte mir Göthe's italieniſche Reiſe. Das wäre doch der denkbar, vornehmſte Führer. Ich las eifrig darin, und das Reſultat: bitterſte Be⸗ ſchämung. Göthe's römiſche Welt war mir eine völlig verſchloſſene. Aus jeder Seite dieſes Buches ſtarrte mich meine grenzenloſe Unwiſſenheit an. O Arnold, ich ſchämte mich, ſchämte mich vor mir ſelber, daß ich Rom nicht verſtand. Zu zeitlich bin ich für die ewige Stadt, zu klein für ihre Größe. So hatten ſie wohl Alle recht, tauſendmal recht. Dumm war ich, dumm. Und plötzlich überſchaute ich die ganze ungeheure Dummheit all der Jahre, die hinter mir lagen. Was war denn dieſe ſtarre, ſeeliſche Unge⸗ ſchmeidigkeit, die ſich mit Menſchen und Schickſal nicht abzufinden verſtand, anderes als Mangel an Verſtand! Nadelſtiche empfand ich wie Dolchſtöße. Immer ſollte die Wirklichkeit ſich nach meinen Träumen richten. Ich war wie von Glas, rührte man mich an, zerbrach gleich etwas in mir. Der Wanderer, dem eine Dornenhecke den geraden Weg verſperrt, und der ſich durch die Dornen zwängt, ſich dabei blutig verwundet, während er mit einem geringen Umweg die Hecke umgehen konnte — etwa nicht dumm? 303 Bin ich nicht immer ſelbſtmein eigener Feind geweſen. Warſt Du es nicht, der mir ins Geſicht be⸗ hauptete, ich wäre ſchön und gut und klug? Und wäre ich's, hätten mir gütige Feen all dieſe Gaben in die Wiege gelegt, die eine böſe Fee — gerade wie in dem Märchen — würde die Gaben nutzlos gemacht haben. „Du ſollſt keinen Charakter haben und keinen Willen,“ das war ihr fluchwürdiges Geſchenk. Und da habe ich nun keinen Charakter und keinen Willen, und die ſind doch der Schlüſſel zu allem Glück und allem Erfolg. Die ſchönſte Intelligenz kommt dagegen nicht auf. Ja, ich bin mein eigener Feind geweſen. Nicht meinen Gatten trifft eine Schuld, nicht meine Mutter. Ich habe ſie fälſchlich angeklagt. Die Natur hatte doch keine Verpflichtung, ſie gerade für mich zu ſchaffen. Meine Mutter war, wie ſie ſein konnte. Und daß ich ſo ganz anders wurde? Vielleicht empfing ſie mich in einer ſturmbewegten Vollmond⸗ nacht, und der Sturm trug Lindenblüthen auf ihr Lager, und ſo wurde ich ein Kind auch des Mondes, des Sturms, der Lindenblüthen. Und auch keine Gerechtigkeit iſt in meinem Ver⸗ ſtand. Blieb ich meiner Mutter nicht die Tochter ſchuldig? das friſche, fröhliche Weltkind, das ſie wollte? meinem Manne nicht die Gattin voll kräftig robuſter Zuneigung? Wie ich nicht zu leſen verſtand — viel zu haſtig las ich über alles fort — ſo verſtand ich auch nicht mich in Menſchen zu verſenken, den Kern ihres Weſens 304 zu erfaſſen. Was wollte denn Walter? nicht ernſt genommen werden. Warum nahm ich ihn denn ernſt? Hatte ich je nach ſeinen guten Eigenſchaften geforſcht? Ruhten nicht vielleicht im Grunde ſeines Weſens Goldkörner? Hatte ich die außerordentliche Tüchtig⸗ keit meiner Mutter gewürdigt? Intolerant und un⸗ gerecht war ich in all meinem Empfinden. Es iſt wahr, ich vergalt nie Böſes mit Böſem, ich war ge⸗ horſam, dienſteifrig, beſcheiden. Ich habe von Nie⸗ mand etwas genommen, aber was habe ich denn ge⸗ geben? Nichts. Ich habe mich ſo und ſo oft für Andere aufgeopfert — etwa aus reiner Herzensgüte, aus dem Bewußtſein heraus, daß es das Gute, Richtige ſei? Nein. Hielt ich ſtill aus chriſtlicher Demuth? Nein. Ach Arnold, ich glaube, meine Tugenden waren nichts als die weichlichen Inſtinkte einer mangelhaften Organiſation. Und ſo bin ich — immer nur ein Schatten, den die Andern warfen — zu einer undefinirbaren, verſchwommenen, farbloſen Nichtindividualität ge⸗ worden. Ich bin es geworden mit vollem Bewußtſein. Meine Seele zeigte rechts und ich ging links. Aber jetzt, jetzt war ich doch frei, frei wie Wenige. Der nicht ein Thor, der verdurſtet mit einer Flaſche köſtlichen Weins vor ſich, weil er ſie nicht entkorken kann? Warum zerſchlug ich die Flaſche nicht? 20 Dohm, Schickſal einer Seele. 305 Wie? wenn ich ſie jetzt noch zerſchlüge, und Rom böte mir den köſtlichen Trunk? Arme zu der Madonna empor. Ein Rabe ſaß auf Ich ſprang auf. Ich reckte mich, ſtreckte die dem metallnen Heiligenſchein. Ja, ich wollte es noch einmal mit Rom ver⸗ ſuchen. Gleich, ſofort. Zu den Ausgrabungen auf dem Palatin wollte ich mit Philomela. Philomela hatte Zahnſchmerzen. Allein, meinte ſie, würde ich mich auf dem Palatin nicht zurecht finden. Ich ſollte in die Titusthermen fahren, die wären leicht zu überſehen. Ich fuhr in die Titusthermen. Die Frau des Cuſtoden ſagte mir, wenn ich die dunklen Gewölbe ſehen wollte, ihr Mann wäre mit einer engliſchen Familie voraus, ich könnte mich ihnen anſchließen. Ich hatte eine Reihe von Gewölben durchſchritten. als ſich ein langer, dunkler Gang vor mir aufthat. Ich zögerte erſt. Da ich aber in geringer Ent⸗ fernung Stimmen hörte und einen Lichtſchimmer ge⸗ wahrte — es mußte der Führer mit der engliſchen Familie ſein — vertiefte ich mich in den Gang. Er nahm kein Ende. Ich wollte ſchnell gehen, konnte nicht, der Boden war ſchlüpfrig. Endlich ſchien er zu Ende. Die Stimmen waren verhallt. Ich trat in ein anderes Gewölbe, that noch tappend einige Schritte — Nacht umfing mich, tiefe ſchwarze Nacht. Dumpfe modrige Luft, ein leiſes Rieſeln wie von Sand oder ſickernder Feuchtigkeit. Ich wußte ja, die Thermen waren keine Katakomben, es war noch nie⸗ 306 mand darin lebendig begraben worden. Trotzdem packte mich ein raſendes Grauen. Ich wagte mich nicht vor⸗ nicht rückwärts. Ich rief mit erſtickter Stimme. Schaurig, der Widerhall von den Mauern. Ich rief noch einmal. Ein ſchwacher Lichtſchein kam allmählich näher. Ein Mann mit einer Wachskerze in der Hand wurde ſichtbar. In meiner Erregung dachte ich nicht daran, daß er wahrſcheinlich nicht deutſch verſtehen würde, und bat ihn in deutſcher Sprache mir den Ausgang aus der Höhle zeigen zu wollen. Es war ein Deutſcher. Ich ſollte ihm folgen. Ich that ſo. Kaum zwanzig Schritt weiter fiel ſchon der erſte Tages⸗ ſchimmer herein. Auf dem Wege bis zum Ausgang machte der Fremde den Führer. Das heißt, er zeigte dahin und dorthin, immer nur wenige erklärende Worte hinzufügend. Als wir uns im Freien befanden, fragte ich ihn nach dem nächſten Droſchkenſtand. Er ſei 8—10 Minuten von den Thermen entfernt. Als verſtünde es ſich von ſelbſt, blieb er an meiner Seite. Wo ich wohne? Due macelli. Im Sonnenlicht ſah ich ſeine Züge. Nicht ſonderbar Arnold, er erinnerte mich an die beiden Fremden, die in meinem Leben ſo geheimnißvoll an mir vorübergegangen waren. Der Klang ſeiner Stimme war tief und weich wie die des Mannes vom Schnee⸗ ſturm, es war als umgehe er die Conſonanten und ſpräche nur in Vokalen. Und er hatte die hohe, leicht 20* 307 vornüber gebeugte Geſtalt des Fremden im grauen Mantel. Seine Augen aber waren ganz anders. Graue Augen mit beinah mädchenhaft langen geraden Wimpern. Was er für eine Naſe und ein Mund hatte, weiß ich nicht. Wir kamen an Wagen vorbei und ich merkte es nicht. Wir gingen weiter und weiter, bis wir vor meinem Hauſe ſtanden. Ich war wie in einer Be⸗ zauberung geweſen, die Stimme hatte mich hypnotiſirt. Ich hatte nicht einen Augenblick an die Ungehörig⸗ keit gedacht, mich von einem wildfremden Menſchen begleiten zu laſſen. Als wir uns trennten, rieth er mir, in Rom lieber nicht allein umher zu wandern. Ich unterdrückte die Antwort, daß ich niemanden habe. Er hätte es für eine Aufforderung halten können, ſich mir als Führer anzubieten. „Auf Wiederſehen“ ſagte er, als wäre ein Wieder⸗ ſehen ſelbſtverſtändlich. Und wir ſahen uns wieder, wenige Tage ſpäter auf dem Monte Pincio. Gegen Sonnenuntergang war's. Ich ſtand auf der Terraſſe und blickte empor zum Himmel. Der ganze Himmel Muſik. Geige und Harfe in dieſem zarteſten Roſenroth, in dem ſeelenvollen Violet. Und der grünlich fließende Himmelsſee darunter — melo⸗ diſch erklingendes Waldhorn. Allmählich verhallten Harfe und Geige und Waldhorn. Und da — eine Feuerwolke, kupfrig flammend. Und da ſtand er neben mir, im Widerſchein der Feuerwolke und grüßte mich lächelnd. Und alle Glocken läuteten Ave Maria. Das thun ſie immer gegen Abend. 308 Arnold, wirſt Du es für möglich halten, nur wenige Tage vergingen, und wir ſahen uns täglich. Zumeiſt holte er mich ab, zu längeren oder kürzeren Spaziergängen. Ueber ſeine Perſon erfuhr ich nicht viel. Er war kein Fremder in Rom. Er lebte hier ſeit Jahren, nicht als Entgleiſter oder Kranker, ſondern um be⸗ ſtimmter Studien willen. Er ſchrieb an einem wiſſen⸗ ſchaftlichen Werk über die Renaiſſance. Was er in Deutſchland geweſen, darnach fragte ich nicht, und er ſagte es nicht. Daß er mir vorſchlug miteinander zu verkehren ohne unſere Namen zu nennen, war wohl ein etwas abenteuerlicher, befremdlicher Einfall. Er meinte aber, wenn wir uns korrekterweiſe mit unſeren deutſchen Namen vorſtellten, wären wir nicht mehr ganz in Rom, die liebenswertheſten Ungenannten, wenn ſie ſich als Frau E und Herr 2) enthüllten, mit allem Ballaſt ihrer geſellſchaftlichen Beziehungen, ſo würden ſie ſich gleich fremder. Ich könne aber ſicher ſein, es ſtecke nichts hinter ihm als ein Kunſt⸗ und Rom⸗Enthuſiaſt. Da man in Rom bei Beſuchen immer nur nach der „Signora“ fragt, ohne den Namen hinzuzufügen, ging es ganz natürlich zu, daß er meinen Namen nicht zu er⸗ fahren brauchte. Ich glaube, Philomela wußte ihn ſelbſt nicht recht, jedenfalls konnte ſie ihn nicht ausſprechen. Ob ich verheirathet, unverheirathet, geſchieden, ob arm, ob reich, er wollte es nicht wiſſen. Nur, daß ich eines Lungenleidens wegen mich in Rom auf⸗ hielt, log ich ihm zögernd vor. 309 Er ſprach wenig, aber es war immer als ſagte er viel. Selbſt Gleichgültigem wußte er durch eine Flexion ſeiner ſammtnen Stimme eine beſondere Bedeutung zu leihen. Ueberaus anziehend war ſeine Art, in halben Worten, in Andeutungen, durch einen Blick oder ein Lächeln ſeine Meinung zu äußern. In allen was er that und ſagte war ein zarter Ernſt. Er lächelte mit unvergleichlicher Anmuth. Ein weibliches Lächeln. In Bezug auf ſich ſelbſt übte er eine merkwürdige Diskretion. Ich kam nicht hinter ſeine eigentliche Geſinnung, ſeine politiſchen und ſozialen Ueber⸗ zeugungen. Nichts hatte er von Deiner Seelen⸗Durch⸗ ſichtigkeit. Im Gegentheil, er ließ immer Geheimniß⸗ volles ahnen. Sollte ich ein Farbenbild für ihn wählen, ich würde ſagen, er iſt graublau. Ich nannte ihn Signore Adalbert — das war ſein Vorname. Er iſt mein Führer geworden. Und nun ſah ich Rom mit ihm noch einmal. Noch einmal? Nein, ich ſah es zum erſten Mal. Wunderbarſte Erlebniſſe ſtürmten auf mich ein. In jeder Landſchaft, jedem Sonnenuntergang, jeder Kirche, jeder Gallerie erlebte ich romantiſches oder Klaſſiſches, Leidenſchaftliches oder Holdſeligſtes. Oft war's mir, als wären all meine Träume Wirklichkeit geworden. Charlotte lehrte mich ſehen und hören in Bezug auf die Menſchen. In Rom lerne ich nun ein höheres 310 Sehen und Hören. Mit großen verſchlingenden Augen, mit gefalteten Händen ſtehe ich vor der Offen⸗ barung des Schönen. Welch ein Gegenſatz: Berlin und Rom! Ein Gegenſatz wie Rathhaus und Tempel, wie antike Säulen und Eiſenkonſtruktion. Und doch — manchmal frage ich mich, ob mein Entzücken nicht zum Theil auf der Fremdartigkeit der Erſcheinungen hier beruht, der Fremdartigkeit, die der Süden für den Nordländer hat. Wenn ich an den Mauern entlang, den ſchönen Weg zum Monte Pincio aufſteige, blicke ich gefeſſelt in das Häuſergewirr vor mir. Schön iſt das ſicher nicht, nur fremdartig. Im Vordergrund zumeiſt die Hinterhäuſer irgend welcher Straßen. Was ich ſehe iſt ein unentwirrbares Knäuel der heterogenſten Dinge. Und dieſe Steinmaſſen ſind durcheinander, überein⸗ ander gedrängt, ſeitwärts geſchoben, in den Boden ge⸗ drückt, auseinandergezerrt, ſo daß ſie einen völlig chaotiſchen Eindruck machen, einen Eindruck, als hätte ein Gott mit ungeheuren Steinen Würfel geſpielt, und da wäre Alles bunt durcheinander gefallen: Häuſer und Baracken, Paläſte und Schuppen, Bild⸗ werke, Bäume, Lumpen, Blumen, königliche Portale und Holzplatten, Säulen und Spelunken, Dächer, Gärtchen, Terraſſen, Gitter, höhlenartige Löcher und Luken, offene Fenſterbogen, baufälliges, graues oder röthliches Gerümpel. Kein Winkel geht verloren, alles vollgeſtopft, und wär's nur mit dem Fragment eines Marmorkopfes, 311 mit alten Tonnen, mit Wäſche, mit dornigem Geſtrüpp, Schutt und Kehricht. Und damit es in dieſem Chaos Licht werde, ſprach der Genius der Schönheit: Ihr rothen Orangen glüht dazwiſchen, ihr goldenen Limonen hebt euch reizend von dieſen Gemäuern ab, lodere darüber du dunkelblauer Himmel, und du Sonne funkle über dieſe Glaskugeln, funkle über Gerümpel, Schmutz und Kehricht, und ſiehe — alles war ſchön, ein Wohlge⸗ fallen den Göttern und Menſchen. Alſo doch ſchön? nicht nur fremdartig. Die Poeſie der Stadt, ihr Süden, ihr ewiger Frühling ſind die Garten und Gärtchen, die Terraſſen auf den flachen Dächern der Häuſer. Entweder ſind es natürliche Gärten oder durch Blumentöpfe künſtlich imitirte. Sie ſind aber nicht immer zu ebner Erde oder auf den Dächern der Häuſer. Sie ſind oft auf einer niedrigen Mauer, die zwei Häuſer von einander trennt; auf einem Vorſprung, in einem ſchrägen Winkel. Da giebt's Häuſer, die haben drei bis vier Terraſſen, nach ganz verſchiedenen Seiten hin; wie das archi⸗ tektoniſch möglich iſt, weiß ich nicht — unentwirrbar. Sage nie, wenn Du in Rom in engen Straßen, an häßlichen Häuſern vorübergehſt: in dieſen Häuſern wohne ich nicht. Suche nur die Seelen dieſer Häuſer. Ueberſchreiteſt Du den gewölbten Thorweg bleibſt Du oft überraſcht und entzückt ſtehen — vor dem Hof. Das heißt der Hof iſt kein richtiger Hof, ſondern eher ein Garten oder Gärtchen. Meiſtens kommt eine Mauer darin vor. (Mauern müſſen immer da⸗ 312 bei ſein, und wär's auch nur, damit ſich Orangen und Citronen davon abheben können) und auf der Mauer ſtehen in großen Thonkrügen, in Urnen oder Vaſen — Palmen nnd Alve's, Caktus und Muſa's, und ein blühendes Geſchlinge wogt da durcheinander, von Blumen, die ſich bei uns vor profanen Blicken vor⸗ nehm in Treibhäuſern zurückziehen. Und ſind es keine Gärten, ſo grüßen Dich wenigſtens aus Niſchen, vom Hintergrunde des Hofes her, ſelbſt des unſcheinbarſten, Arrangements von Pflanzen, die ein Bildwerk umrahmen, einen Gott, eine Göttin oder ſonſt eine Idealgeſtalt. Und jedes Häuschen hat ſein Brünnlein oder ſein Fontänchen, das Götter und Schlinggewächſe netzend, in ſteinerne Becken oder alte Sarkophage ſprudelt. Und alles iſt unregelmäßig, verworren, bizarr, unſinnig maleriſch, ganz anders wie irgend ſonſt wo in der Welt. Kobolde und Grazien wohnen in Rom nah beieinander. Ich muß Dich um Entſchuldigung bitten, Arnold. wegen der fortwährenden Orangen und Limonen, Palmen und Blumen, Säulen und Sarkophage, die in meiner Erzählung kein Ende nehmen. Aber das alles iſt hier wirklich wie das tägliche Brot. Wohin wir auch unſere Schritte lenkten, überall Bilder von fabelhaftem Reiz. Von einem Nachmittagsſpaziergang will ich Dir erzählen: Vor einem der Thore Rom's wurden wir im Freien von einem Unwetter bedroht. Nachtſchwarze 313 Wolken am Himmel. Zwiſchen dem Gewölke war ein Lichtſtreifen eingekeilt. Das Licht fiel auf ein altes, verwittertes Gemäuer mit leeren Fenſterhöhlen, das auf einem Hügel ſtand. Eine Cypreſſe davor. Durch die Gräſer ziſchelte der Wind. Selbſt die fromme Cypreſſe bewegte ein ſachtes Säuſeln. Daß der zerfallene Bau bewohnt war, ſah man an den Lumpen, die aus verſchiedenen Löchern hingen, und an einigen Blumentöpfen vor den leeren Fenſter⸗ höhlen. Hinter einem der Blumentöpfe ſtand ein reizendes Kind. Ein Schüſſelchen hatte es vor ſich. Es bog den Kopf weit hintenüber und ließ ſich Makkaroni in's Mäulchen gleiten. Ein altes Weib kam aus dem Gemäuer geſtürzt. Der Wind wehte ſtark, und ihr ſtruppiges Haar ſtob nach allen Seiten auseinander. Sie ſtürmte dahin wie eine Verzückte, ſchüttelte das graue Haupt, und warf mit wilder Gebärde die Arme um ſich. In der Hand trug ſie einen langen Stab. „Wohin des Weg's?“ rief Adalbert ſie an. „Nach Jeruſalem! nach Jeruſalem!“ rief ſie zurück, und fort raſte ſie, unverſtändliche Laute ausſtoßend. Wir ſtiegen zum Monte Pincio hinauf, dem Park Rom's, der allen zugänglich iſt. Eine Menſchen⸗ flut da oben aus allen Ständen. Die Militärkapelle ſpielte. Drei Reihen Wagen, die langſam auf⸗ und abfuhren. Die Ariſtokratie Rom's ſaß darin. Die Wagen blieben oft halbe Stunden lang, der Kapelle gegenüber ſtehen, um die Muſik zu hören. Junge, elegante Männer traten an den Schlag, um mit den 314 Damen zu plaudern, ihnen Blumen darzubieten. Die Damen in koſtbaren Pelzen, weiße zumeiſt, mit den kühnſten, federreichſten Hüten. Die römiſche Ariſtokratie iſt gewiß ſo hochmütig wie die Ariſtokratie anderer Länder. Aber freudige Lebensluſt, die ihnen aus den dunklen Augen blitzt, die Welt ewigen Frühlings, die ſie umgiebt, läßt Kälte und Steifheit nicht zu. Im Ganzen bot der Pincio das Bild eines hübſchen, glänzenden, kleinen Markt's der Eitelkeit. In einer Allee ſtanden lauter goldene Bäume, jedes Blatt glitzerte. Ein leiſer Wind, der ſich erhob, ſtreifte die Blätter ab, daß ſie ſchimmernd durch die Lüfte flatterten. Der Boden war mit Gold bedeckt. Und wenn die Wagen mit den ſchönen Frauen in den weißen Pelzen durch dieſe Allee fuhren, und die goldenen Blätter auf ſie niederrieſelten, ſo nahm ſich das reizend aus. Man konnte, wenn man wollte, da⸗ bei an den Goldregen Jupiters denken. Die rothen Blumen auf den Beeten glühten im Sonnenſchein, er funkelte auf dem Goldſchmuck der ſcharlachrothen oder himmelblauen Röcke der Ammen, auf den rothen Prieſterſoutanen, auf den hellen, oft roten Livreen der Kutſcher. Roth war in der fröh⸗ lichen Muſik. Roth war die Sonne, als ſie ſich zum Unter⸗ gang neigte. Sie hatte Feuerpfeile geſchmiedet, die ſchoß ſie weit hin über den Horizont. Sie ſchoß ſie hinunter in das grünliche Himmelsmeer aus dem phan⸗ taſtiſche Rieſenfiſche mit ſchimmernd leuchtenden 315 Schuppen ſich emporreckten. Sie ſchoß ſie hinüber in die Fenſter der Kirchen, daß ſie aufbrannten, und zwiſchen Pinien und Cypreſſen entzündete ſie goldene Lampen. Im Widerſchein des Goldſtroms erglühten die Bäume, die Geſichter der Menſchen, die Gebäude, das Feuer flutete durch die Thurmöffnungen der Kirche — — „Das iſt der Niebelungenhort“ ſagte Adalbert. Wir blickten zufällig einmal von der hohen Mauer, die den Pincio nach den borgheſiſchen Gärten zu umſchließt, hinunter in die tiefliegende, ſchmale dumpffeuchte Chauſſee, die zwiſchen den Mauern des Pincio und des borgheſiſchen Parkes entlang führt. Auf dieſem einſamen häßlichen Weg, der ſchon in Dämmerung begraben lag, kam langſam, langſam ein Leichenzug daher. Ein armer Menſch wurde da wohl begraben. Ein paar Leute aus dem Volk folgten, die Männer, die Mäntel über die Schulter geſchlagen, die Frauen in ſchwarze Tücher gemummt. Voraus ſchritten ein halb Dutzend Prieſter mit den brennenden Kerzen. Ein kleines, weißes Kränzchen hing am Leichenwagen. Lautlos ſchlich der ſtille Todeszug dahin, ein er⸗ greifender Contraſt zu dem Bilde da oben. Und plötzlich kam mir neben dieſem ſtillen Todes⸗ zug, Pracht und Licht auf dem Pincio grob und ge⸗ wöhnlich vor. Es war etwas dabei, das einen er⸗ ſchauern machte, als ob alle dieſe glänzenden Er⸗ ſcheinungen einen Feind im Rücken hätten, den ſie nicht ſahen. Sähen ſie ihn aber — dieſe roſigen 316 Geſichter würden erbleichen, die Muſik würde ver⸗ ſtummen und geſpenſtiſch würde alles auseinander ſtieben. Unter dieſem düſteren Eindruck blickte ich zu meinem Begleiter auf. Eben fuhr eine der glänzendſten Equipagen an uns vorüber. Eine ſchöne Dame grüßte ihn. Sie hatte ein Geſicht, das man, wenn man es einmal geſehen, nicht ſo bald wieder vergißt: Röth⸗ lich blondes Haar über einer hohen Stirn. Faſt wimperloſe Augen vom hellſten Lichtbraun. Das Charakteriſtiſche aber, das in dieſem Geſicht Formen und Phyſiognomie beherrſchte, war das Fleiſch, ich möchte ſagen ein ätheriſches Fleiſch, blaß, mit einem kaum zartroſigen Anhauch und ſo luftig und konſiſtenz⸗ los, als könnte es jeden Augenblick auseinanderfließen. Ich fand das unangenehm, ebenſo wie die Naſenlöcher und die Lippen, die faſt zu roth waren um natürlich zu ſein, und die dem Ausdruck etwas vampyrartiges gaben. Sie trug merkwürdigerweiſe keinen Hut, ſondern einen ſchwarzen, ſpaniſchen Schleier auf dem Kopf. Sie hatte Adalbert ſo ſonderbar gegrüßt, nur mit den Augen, und er — er ſtand noch, nachdem der Wagen längſt vorüber war, mit dem Hut in der Hand und blickte ihm nach. Er hat ſchöne Augen; ſie fragen und ſagen ſo viel. Durch die langen Wimper leicht verſchleiert, nehmen ſie zuweilen den Ausdruck einer feinen Schalk⸗ heit an, öfter noch den eines ſchwärmeriſchen Schmach⸗ tens, einer beinah verſchämten Innigkeit. Augen, die 317 überall das Maleriſche, das Schöne herausfanden. Er ſah feine Töne auf Bildern und in der Natur, die mir entgingen. Aber auch ſein eigenes Weſen, ſeine Ausdrucks⸗ weiſe entſprachen dem anſpruchvollſten Schönheitsſinn. Er gehört zu den Menſchen, in deren Gegenwart uns kein derbes Wort entſchlüpft, ja, wir vermeiden un⸗ willkürlich eine ungeſchickte Bewegung, eine unſchöne Gebärde. Ich war mit ihm im Coloſſeum und in den Ausgrabungen der Cäſarenpaläſte auf dem Palatin. Beglückte Heiden, dieſe Alten, bei denen Religion und Leben eins war. Das Daſein ein einziges Feſt. Langſam, langſam als folgten wir einem kaiſer⸗ lichen Todtenbegängniß, ſchritten wir durch die ver⸗ ſunkene Pracht der Cäſarenpaläſte. Verſunken? nein — noch iſt lebendige Pracht in dieſem zertrümmerten Säulen und Mauern. Der weiße Glanz uralter Ge⸗ heimniſſe umwittert ſie. Geiſter oder Geſpenſter oder etwas ganz Unbekanntes pocht und klopft an dieſen zerriſſenen Mauern. Zu hoch erſcheinen die Rieſenportale für ge⸗ wöhnliche Sterbliche. Hat der Erbauer bei dieſen Titanenwerken an Triumphzüge gedacht, an Unſterbliche, an Geiſterſchaaren, an Ewigkeiten? Da aber, wo Licht und Himmel nicht eindringen, erinnern dieſe zerfallenen, cyklopiſchen Steingebilde an 318 ungeheure Todtenköpfe, die uns aus leeren Augen⸗ höhlen geſpenſtiſch und räthſelhaft anſtarren. An einigen Stellen ſcheinen die Steine, von einem Delirium ergriffen, mit wilden unheimlichen Gebärden durch⸗ einander zu raſen. Irgendwo kamen wir vorbei, da waren die Mauern roth beſprenkelt, wie von Blut. Es mochten Farbenreſte ſein. Daß das ſchauerlich Düſtere der Zerbröcklung uns nicht beklemmt, liegt daran, daß der Himmel überall dabei iſt, der blaue, blaue Himmel, die goldene goldene Sonne und die Frühlingsdüfte und ⸗Lüfte. Das Licht lugt durch Löcher und Spalten, es flutet ſein Blau durch die grandioſen Bogen hinein, es überwölbt die deckenloſen Gewölbe mit ſeinem Azurzelt. Und wohin der Blick fällt, ſproſſen und ſprießen, und wuchern Blumen und Blüten und Gräſer. Sie kriechen und drängen ſich aus allen Fugen, klettern bis zu den höchſten Rändern des Geſteins empor und nicken und winken von oben, und ſind es gelbe Blumen, ſo rollen ſie wie goldene Locken von den gigantiſchen Stirnen. Ja ſogar kleine Bäumchen klemmen ſich in die Spalten. Und überall ſchmeichelt und ſchlängelt ſich lppig das feine Moos an, und der grüne Schimmel, der den Boden bedeckt, wirkt wie zartes Frühlings⸗ grün. Ein Ganzes, von einem maleriſchen Zauber ſondergleichen, in der Zerſtörung noch von Urkraft ſtrotzend. Cyklopen ſind dieſe Mauern, in deren Schoße Grazien ruhen. Und ſie ſind nicht ſtumm, die Ruinen. Sie 319 halten Grabreden, die wie Donner durch die öden Räume hallen, todte Weltgeſchichten ruhen ja darin, und ſie wispern und flüſtern in dem leiſe rinnenden Sand, und ſie klingen und ſingen auch von ſeliger Luſt — ich bin nur kein Sonntagskind, ſonſt würde ich's hören. Als wir nun aber in die Landſchaft voll hehren Liebreizes hinausblickten, da ſpürte ich doch etwas von der ſeligen Luſt. Lange ſaßen wir auf einem Säulenfragment. Aus dem dunklen Grün der Pinien und Cypreſſen tauchten vor uns Kirchen und Klöſter auf, ein Weg zwiſchen Mauern, weite gartenähnliche Gründe, ihre knoſpenden Bäume verſchwammen in eine weiche, röth⸗ liche Maſſe. Und darüber ſchwebte und webte ein weihrauchartiger, lorbeerdurchhauchter, zarter Dunſt. Dahinter die Berge. Ganz nahegerückt ſchienen ſie an dem Tage. Die zunächſt liegenden von ſchwärz⸗ lichem Blau mit einem violetten Hauch, düſter und prächtig, faſt ehern im Boden wurzelnd. Schnee be⸗ deckte noch die fernere Gebirgskette. Ihre Abhänge ſchimmerten in heiter röthlichem Licht. Wir badeten Auge und Seele in dem Glans und athmeten Reinheit und thaufriſche Jugend. Wir blieben bis die Sonne hinterm Horizont verſchwunden war. Jeder Sonnenuntergang war für uns eine Feſtſtunde. Und an jedem Abend ging ſie anders unter. Bald zeigte ſich der Himmel bei Sonnenunter⸗ gang heidniſch, als Venusberg, voll dityrambiſcher 320 Wolluſt, lockend mit verheißungsvoller Glut, oder als Pluto's Hölle, die all ihre Feuerſchlünde öffnete, als Olymp, Walhalla, als Götterdämmerung voll viſionärer Pracht. Noch öfter aber ſind dieſe Sonnenuntergänge urchriſtlich, geläutert, heilig, von unausſprechlich feierlicher Reinheit. So verſchwand ſie an dem Tage hinter dem Janiculus in weißer, ſtiller Frömmigkeit. Morgen⸗ ſchön ging ſie unter; über den lichtdurchfloſſenen Himmel, über die Berge leichte weiße Schleier hin⸗ wehend. Bisweilen beſuche ich die Leute, mit denen Julie mich bekannt gemacht hat, weil ich es ihr verſprochen habe, und jedes Mal, wenn ich von ihnen gehe, athme ich befreit auf. Es ſind gewiß treffliche Menſchen, aber die einen leben nur in Muſik und könnten ſo gut in Berlin wie in Rom wohnen, Andere haben ſich ganz in eine Detailkunſt vertieft, und Rom hat für ſie nur einen Kunſtwerth. Noch Andere leben nach dem Bädecker, immer auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten. Ein paar Malerinnen ſind darunter, die habe ich gern, die beſuchte ich auch an den Weihnachtstagen. Da hatte ich zum erſten Mal Heimweh nach Deutſchland, nach meinem Knaben. Die Pifferari in den Schafspelzen, ſpitzen Hüten und verſchoſſenen Sammetjacken, die zu Weihnachten Dohm, Schickſal einer Seele. 21 321 von ihren Bergen niederſteigen, ſpielten vor meiner Thür ihre ſchelmiſch wehmüthigen Weiſen. Aus ihren Dudelſackpfeifen klingen Kichern und verhaltene Thränen. Es iſt ein inbrünſtiges Quieken, ein Schluchzen in Fiſteltönen, ein ſchalkhaft gepfiffenes Heimweh. Das Alpenhorn in's Italieniſche überſetzt. Gar hübſch war's. Meine Gedanken ſchweiften aber doch hinüber zu den Currendeſchülern, wie ſie im lichten Schnee ſtanden mit ihren dunklen Mänteln und ſo feierlich und ergreifend ihre „Heilige Nacht, ſtille Nacht“ ſangen. Als aber dann Abends auf meinem Tiſch ein wahrhaftiges Tannenbäumchen ſtand mit vielen Lichtern, und daneben ein uraltes Krucifix, ganz mit Veilchen umwunden, da war ich doch wieder heimiſch in Rom. Ich liebe die Krucifixe. Ich liebe Criſtus. Be⸗ ſonders an dieſem Weihnachtsfeſt war ich chriſtus⸗ ſehnſüchtig. Am erſten Feiertag gingen wir in die Kirche, Ara⸗Coeli hinauf. Philomela meinte, etwas ſchöneres als Ara⸗Coeli am erſten Feiertag gäbe es nicht. Schön? war das ſchön? Auf der hohen, mächtigen Treppe, die zur Kirche emporführt, wälzte ſich, wie ein ſchwarzer, tauſendgliedriger Lindwurm eine tobende Menge auf und ab, und jede Stufe der Treppe war — zu Ehren der Geburt Jeſu Chriſti, — in ein Waaren⸗ lager oder eine Oſteria (nur Bier und warme Würſt⸗ chen fehlten) verwandelt. Alles war vertreten: Kleider⸗ ſtoffe, Küchengeräth, Kämme, Spielzeng, und über all 322 dem Gewühl und Gekreiſch der etwas ranzige Duft ölgebackener Eßwaaren. War das in Jeruſalem, wo Chriſtus mit Geißel⸗ hieben die Verkäufer aus den Vorhallen des Tempels trieb? Oder in Rom? Die Waaren wurden mit einer unglaublichen Lungenkraft ausgeſchrieen, und nicht zum wenigſten das bambino (Chriſtkindlein) ſelbſt. Da war be⸗ ſonders ein unmenſchlich dickes, häßliches Weib, das nicht müde wurde zu kreiſchen: „II bambino, il hambino! Stück für Stück einen Sold¹ Nach dem Umzug mit dem bambino beginnt auch innerhalb der Kirche ein Jahrmarktstreiben. Waldteufel und Kinderknarren! Das ſind die Kindlein, die da predigen. Von einer hübſch beleuchteten Krippe wird der Vorhang aufgezogen. Die Figuren ſind von Pappe, und die Kinder — nicht von Pappe — lebendige, halten ihre Predigten mit den Geſten kleiner Provinzial⸗ ſchauſpieler. Sie verdrehen die Aeuglein zum Himmel, breiten weit die Aermchen aus, krähen begeiſtert und winſeln rythmiſch. Jedenfalls eine originelle Auf⸗ faſſung von dem Wort Jeſu Chriſti „Laſſet die Kindlein zu mir kommen.“ Liebe kleine Affen! Und irgendwo ſtand ein Prieſter — vielleicht auch von Pappe — der murmelte und trieb etwas, um das ſich niemand bekümmerte. Und über dem Gefeilſche und dem Gekreiſche auf der Treppe, wölbte ſich der reinſte, blaue Himmel, und wir ſahen hinüber in den Garten des Palaſtes 21* 323 Kaffarelli und darüber hinaus in die Berge, — ſie waren leicht beſchneit — und um die Cypreſſen, um die Ruinen und Kuppeln der Kirche webte und ſchwebte roſiger Schein. Wir traten in den Garten des Palaſtes. Ge⸗ wölk am Himmel, die Ränder feurig umſäumt, ballte ſich zu einem düſteren Krater zuſammen, und aus dieſem Wolkenkrater ſtiegen Säulen roſigen Dampfes zum Firmament empor, höher, höher — — was wird ſich begeben? wird der Himmel ſich öffnen und das ächte bambino im Arm der Mutter Gottes nieder⸗ ſchweben? Und die Glocken läuteten Ave Maria, und Ton und Farbe wuchſen in heiliger Schönheit in⸗ einander. Drinnen in der Kirche beinah grotesker Unſinn, draußen in der Natur eine ſtumme Frommheit, ein lang nachhallender Choral, eine ächte Feier der Ge⸗ burt Jeſu Chriſti. Wir waren in der Villa Albani. Wir wandelten unter ihren Statuen, in ihren Hainen; in Rom möchte ich immer hinzuſetzen: heilige Haine; und die der Villa Albani haben einen beſonders heiligen Charakter. Ganze Reihen herrlicher Sarkophage ſtehen darin, als wären ſie mit den Pinien, Lorbeeren, Cypreſſen zugleich aus dem Boden gewachſen. Barden mit Harfen und goldener Binde gehören in dieſe Gärten, die wie Tempel ſind. Und darüber der Himmel von 321 einem lodernden Blau, wie ich es nie in Deutſchland geſehen, ſo tief, ſo inbrünſtig, ich möchte ſagen ein purpurnes Blau. Lauterkeit und Poeſie, antike Klar⸗ heit und Einfachheit athmet dieſer Park. Und die Luft, zugleich voll Herbſtfriſche und Maienwonne, und die träumeriſch weichen Fernſichten erfüllen die Seele mit unausſprechlicher Süße. Wir ſtiegen auf das Dach der Villa Albano, und da hoch oben, hoch oben ſind unſere Herzen eins geworden. Es mußte ſein. Die Sonne war untergegangen. Graue Dämme⸗ rung breitete ſich aus. Wir waren im Begriff hinab⸗ zuſteigen. Da begab ſich am Himmel etwas Wunder⸗ bares. Eine Roſenglut von überirdiſcher Leuchtkraft ergoß ſich plötzlich über den Horizont. St. Peter erglühte, das Coloſſeum, der Lateran erglühte, Trinita dé Monti, die Villa Medici erglühten. Und als all⸗ mählich die Roſenbrunſt auf den Steinen erloſch, da erglühten die Berge. Grandioſes, ergreifendes Schau⸗ ſpiel. Wolken von einem zarten, nie geſehenen Violet ſchwammen durch das roſige Meer, glühende Orangen⸗ töne ſpielten hinein. Das waren nicht Wolken, das waren leuchtende Schatten von Seelen, die dem Körper entflohen, das waren ätheriſche Hüllen von Cherubinen und Seraphinen, die auftauchend aus goldenen Flammen, mit Roſen bekränzt ein Feſt am Himmel begingen! Ein Halleluja in Farben. Meine Augen füllten ſich mit Thränen, Thränen des Entzückens. Er ſah meine Thränen, neigte ſich zu mir und küßte mich auf die Augen. Ich lehnte 325 an ſeiner Schulter, und ſo ſtanden wir lange Hand in Hand. Wir ſprachen kein Wort. Jedes Wort wäre überflüſſig, ja widerſinnig geweſen, viel zu grob. Ich gab ihm meine ganze Seele hin in lauterſter Zärtkichkeit. Die Seligkeit, die dieſe Landſchaft durch⸗ ſtrömte war in mir. Ich liebe Rom in ihm. Und unter den weißen Augen marmorner Götter, unter dem Frohlocken und dem frommen Aufſchluchzen der Kirchengeſänge, mit dem hochzeitlichen Duft der Orangen und Roſen, ver⸗ ſchmolzen Schönheit und Liebe, Kunſt und Natur in eins. Ich liebe Rom in ihm, und in Rom ihn. Die zwiefache Liebe brannte in mir wie ein goldenes Feuer. Ich war romberauſcht. Wenn ſeine Hand die meinige berührte, wenn ſein Auge ſich in das meinige ſenkte, wenn er mit ſeiner ſammtnen Stimme, die wie eine Liebkoſung iſt, flüſterte „Marlene“, war ich ſein, ſein. Ich habe mich immer ſo nach dem Süden geſehnt, der Sonne wegen. Ich liebe ſie die Sonne, ich möchte ihr überall hin nachlaufen. Ich liebe wohl auch die helle, weiße Mittagsſonne, aber viel, viel mehr die Sonne mit einem keuſchen Schimmer nach der Morgen⸗ röthe, oder die Abendſonne mit ihrem heißen Purpur, oder wenn ſie ihr traumhaft verklingendes Schwanen⸗ lied ſingt. Und ſo liebe ich auch die Liebe, keuſch mit einem 326 Schimmer noch thaufriſcher Morgenröthe, oder Zwie⸗ licht, zart und lind, verklingender Harfenton. Oder wie das zitternde Kräuſeln auf dem Spiegel eines Sees, in dem der Mondſchein ſich bricht. Dieſe zarteſte Wolluſt der Zärlichkeit kennen nur Frauen. Weißt Du, Arnold, nicht nur das Glück iſt ver⸗ ſchieden, je nach der Erdſcholle auf der wir leben, auch Recht und Unrecht. Würde ich mich in Berlin von einem Mann, den ich eben erſt in den Ruinen — aber nein, in Berlin giebt's ja keine Ruinen, ſagen wir alſo in den Muſeen kennen lernte und deſſen Namen ich nicht einmal weiß, am hellen lichten Tage nach Hauſe begleiten laſſen, wie ich es hier that? Undenkbar. In Rom — das iſt ganz etwas anderes. In Rom haben die Götter mitzureden, die in ihrer nackten, ſtolzen Natür⸗ lichkeit, ungebunden an Menſchenſatzungen, ſo ſouverän über Zeit⸗ und Ortſitten hinweglächeln. Was wir in unſeren Gärten mühſam als Zier⸗ pflanzen pflegen, hier wuchert es in wild⸗üppiger Schön⸗ heit. Es Unkraut nennen kann nur ein nordiſcher Barbar. Nordiſch biſt auch Du, aber kein Barbar. Du warſt liebevoll wie ein milder, ſonniger Herbſt⸗ morgen. Ich aber will alle vier Jahreszeiten in meinem Herzen durchempfinden. Du gehörſt in die deutſche Landſchaft. Was wollteſt Du hier in dem exotiſchen, ſchönheitstrunkenen von ungeheurer verklärter Wolluſt durchtränkten Rom? 327 Ich weiß es ja, alles was ich für Dich empfand war reiner, höher, als was mich zu Adalbert zieht. Aber Du biſt fern, ein Sternbild, ein nordiſches, und er iſt hier — in Rom. Ihn liebe ich, weil er in Rom iſt, und weil man in Rom jemand lieben muß. Soll das Uebermaß der Schönheit uns nicht mit tödtlicher Melancholie erfüllen, ſo muß man zu zweien fühlen. Nie, nie möcht ich, wenn ich alt geworden, nach Rom kommen. Und wie meine Eindrücke von Rom wechſeln, ſo ſchillert meine Liebe vom lichteſten, reinſten Himmels⸗ blau, vom hingehauchten, echoleiſen Roſenroth bis zum leuchtenden Violet, zum flammenden Purpur. Sage mir, ſage mir, wie ſoll man in Rom ohne Liebe ſein? Am liebſten gingen wir nun in die Villengärten. Die ziehen ihren Zauber aus allen Elementen. Vom Himmel — Licht, Luft, Maienwonne, aus dem Waſſer Quellen, Fontainen, die ſingenden, ſpringenden, die aus Maskenköpfen in alte Sarkophage oder ſteinerne Becken fließen, über das zartblättrige Venushaar hin⸗ weg, das ſelbſt wie feinrinnendes Waſſer iſt. Aus der Erde die üppige Vegetation. Und zwiſchen Cypreſſen und Blumenlauben immer der Blick in's Gebirge, in dieſe wellenartig ſanft in⸗ einander fließenden Albanerberge, die aus der Träumerei erwachen, wenn der Abend naht, und vom heißen Trunk der Sonne berauſcht, aufglühen. 328 In der Villa Matthäi ſtanden wir vor einem Waſſerbaſſin. An dem dahinter liegendem Felsgeſtein üppiges Roſengehänge. Der Rand des Baſſin's mit Schilf und Vergißme innicht umſäumt. Die Vergiß⸗ meinicht waren ſo blaß. Meine Augen füllten ſich mit Thränen. Adalbert wollte wiſſen, was mich be⸗ wegte. Nicht um alles in der Welt hätte ich ihm geſagt, daß ich an Traut dachte. Er weiß nichts von ihr. „Thränen in den Augen ſind ſchön,“ ſagte er, „aber weine ſie nicht, es verhäßlicht. „So liebſt Du mich wohl mehr im Profil als en face?“ fragte ich im Scherz. (Du weißt ja, das Profil iſt das beſte an meinem Geſicht.) Und er antwortete ernſthaft: „Wenn ich Dich je vergeſſen könnte, nach Deinem Profil würde ich mich immer zurückſehnen.“ An einer Mauer des Parks entdeckte ich, in einem Buſch von Akanthusblättern verſteckt, ein faſt zer⸗ ſtörtes Relif. Eine Sphynx war's. Sie hielt die Hand ſeitlich, nah dem Mund, Schweigen ſymboliſirend. Der Zeigefinger war von Gold. Von der Mauer tröpfelte ſacht und unaufhörlich Waſſer nieder, über den wunderſamen Kopf hinweg, als ob ſie weinte Niemand ſonſt ſah dieſe Sphynx. In die Villa Dora Pamphili gingen wir oft, die liebte Adalbert am meiſten. 329 Wahre Gefilde der Seligen. An Böcklin muß man dabei denken, wie er ſeine Paradieſe und ſeine Frühlingsidyllen malt. Alles von ſonnigſter Schön⸗ heit, von Anmuth, Lieblichkeit, Unſchuld und Friſche. Das Waſſer des See's cryſtallklar, ein Tummel⸗ platz für Tritonen und ſchilfbekränzte Nymphen. Schwarze Schwäne mit blutrothem Schnabel ziehen unter zartgrünen Weiden am Saum des See's entlang. Und dieſe weiten, weiten Wieſen, ſo ſmaragd⸗ grün und die Blumen darauf, weiße und rothe Anemonen, und Veilchen in ſolcher Fülle! Flora ſelbſt wandelt über dieſe klaſſiſcher Schönheit geweihte Erde. Junge Mädchen in lichten Kleidern ſchwärmten über die Wieſen hin, und man wunderte ſich beinah daß ſie Hüte und nicht Kränze trugen. Und Kinder und Erwachſene, und ganz alte Leute, alle, alle pflückten Blumen, und die Erwachſenen und Alten bekamen einen frohen kindlichen Zug. Und das Schloß mit ſeinem feenhaften Garten, und der Pracht ſeiner Baumgruppen. Ein todter Baum ſtand unter all dem blühenden Gezweig. Rinde und Zweige waren weiß als läge Schnee da⸗ rauf. Und er hatte mit ſeinem ausdrucksvollen Geäſt etwas ſo weiſes, der ſtumme Baum, als wollte er ſagen: Grünt und ſproßt nur ihr Grünzeug in's Blaue hinein. Ihr wißt nicht, was ich weiß. Ich bin nicht todt, ich ſcheine nur ſo. Der Blitz, der mich getroffen, hat mir etwas verrathen. Unter dem todten, weißen Baum ſtand ein junger 330 Prieſter und blickte auf die Wieſe, hinüber zu einem jungen Mädchen, augenſcheinlich eine Amerikanerin. Sie trug ein merkwürdiges buntes Kleid mit grün und rothem eidechſenartigem Gerank, von weicher Seide. Ein goldener Gürtel hielt es zuſammen. Sie ſaß auf einem ſcharlachrothen Tuch und ordnete Veilchen und Anemonen zu einem Strauß. Als ſie aufgeſtanden war, kam der junge Prieſter herbei und ſetzte ſich dahin, wo ſie geſeſſen hatte. Er nahm die Blumen auf, die ihr entfallen waren, und ſpielte eine Weile damit. Plötzlich, mit einem Ruck ſtand er auf, warf die Blumen weit fort, und eilig, eilig, als würde er verfolgt, ſchritt er von dannen. Vielleicht, als er unter dem todten, weißen Baum ſtand, empfand er auch: ich bin nicht todt. Ich ſcheine nur ſo Adalbert und ich, wir pflückten auch Blumen, und ließen ſie wieder fallen, nur um immer neue zu pflücken. Er lächelte ſein liebſtes Lächeln und wir waren ganz goldene Jugend auf dieſen Weiden Gottes. Weit ſchweift an einigen Stellen der Blick über die Campagna und das Gebirge. Unbeſchreiblich ſchön ſahen wir die Sonne dort untergehen, als wäre das Himmelsbild der Widerſchein von irgend etwas überſinnlich Herrlichem, das auf einem andern höheren Stern geſchah. Maria's Himmelfahrt vielleicht. Man glaubte ihren weithin wallenden grünlichen Mantel zu ſehen, ihr rothes Gewand, den Heiligenſchein über ihrem Haupt, Lilien in ihrer Hand; und die leuchtend 331 ſich ineinander ballenden Wölkchen lauter verſchwom⸗ mene Engelsköpfchen. Der ganze Himmel ein Tempel, heiliger Wunder voll. Schweigend, Hand in Hand, die Seele auch heiliger Wunder voll, gingen wir heim. In Rom ohne Liebe ſein! Ach Arnold, das iſt ja nicht möglich. Bei unſeren Wanderungen durch Rom, konnte ſich Adalbert zuweilen in die Kunſtwerke, die er mir zeigte, dergeſtalt verſenken, daß er, obwohl meine Hand in der ſeinen ruhte, gar nicht mehr an mich dachte. Er war mir entrückt. Ich dagegen war jeden Augenblick ganz bei ihm, ganz durchdrungen von ihm, und zu gleicher Zeit von allem was ich ſah. Das eine tiefe, ſtarke, entzückte Gefühl — die Liebe — entband in mir alle anderen Seelenkräfte. Nicht wahr Arnold, es muß doch Liebe geben! Sollten denn Alle, Alle lügen, lügen ſeit Jahr⸗ tauſenden, immer, immer lügen. Eine ſo zähe Lüge iſt doch nicht denkbar. Sinnliche Befriedigung kann doch nicht alles ſein. Und habe ich ſie nicht jetzt, die echte wahre Liebe? Und ich weiß auch jetzt, ich weiß was die rechte Liebe iſt. Wenn man mit Inbrunſt ein Kind von dem Mann will, den man liebt. Das iſt Ehe 332 in der Liebe. Und das Kind dieſer Liebe würde das rechte Kind ſein. Ich kann mir e ine inbrünſtige Leidenſchaft denken, ein Schöpferverlangen von Größe, das mit niedriger Wolluſt nichts gemein hat, wobei die Seele trunkner iſt, als es die Sinne ſind, und der Geiſt iſt der dritte im Bunde. Und er — ſelbſt wenn es nicht in ſeinem Temperament gelegen, er wäre in der Liebe keuſch und zart geweſen — um der Schönheit willen. Ich bin in einer andauernden, ich möchte ſagen heiligen Erregung, unberliniſch bis in die Finger⸗ ſpitzen. Ich weiß nie welches Datum wir haben. Zeitlos iſt mir alles. Ich träume nicht mehr. Ich will wach ſein immer wach, mit allen Sinnen das Leben in mich ſaugen. Ich will mein Leben noch einmal leben, aber anders, ganz anders. Die Stunden will ich wieder haben, wo ich Kinderkleidchen und Kinderſchürzchen ſtickte, wo ich Kochbücher las und ſtudirte, wo ich weinte — weinte — weinte! Ich will in einem einzigen Jahr zehn Jahre leben. In 33 Jahren habe ich kaum 33 Tage gelebt. Ich will Freude, aber nicht die Freude jener öden Geſellſchaftstage in Berlin, nicht „Freut Euch des Lebens, ſo lange das Lämpchen glüht“, nein, „Freude, ſchöner Götterfunke, Tochter aus Elyſium“ die Freude will ich. Nachholen! Das Wort läßt mich nicht los. 333 Vorläufig wirbelt noch alles in mir durchein⸗ ander: Glut und Melancholie, Mondſchein und Tages⸗ glanz, Ruinenſentimentalität und Ueberdenwolkenſein. auf und ab. Es wird ſich verdichten, verdichten zu Alles iſt flüſſig in mir, auf⸗ und abfluthend, einer Weltanſchauung. Zu welcher? Ich weiß es noch nicht. Wenn zu einem Tempel oder Palaſt das Bau⸗ material daliegt, Quadern und Säulen und plaſtiſche Ornamente, es fehlt aber die Arbeitskraft, es fehlen Mörtel und Kalk, ſo nutzt das Material nichts. Und Ruine wird, was nie Tempel oder Pallaſt, nicht einmal Wohnhaus geweſen iſt. Bin ich ſo eine Ruine? Iſt es zum Aufbauen zu ſpät? Eine wahnſiunige Begierde überkam mich, die ungeheure Leere in mir zu füllen, zu wachſen, ſchlank hinauf. Mir war, als hätte ich bis jetzt immer ge⸗ duckt gehen müſſen, wie unter einer zu niedrigen Decke. Nun ſtehe und recke ich mich in einem unendlichen Raum. O, Arnold, ſei nicht böſe, Du haſt zu wenig für mich gethan, zu wenig. Ein ſchlichter Wegweiſer warſt Du, hin zu einem umfriedeten Häuschen in Braunſchweig mit ſchneeweißen Vorhängen an den Fenſtern und einem Gärtchen, in dem viel Lilien und Veilchen blühen. Weiß und weiſe alles. Ich aber warte auf Flammenzeichen, auf Blitze mir den Weg zu zeigen — — wohin? wenn ich's nur ſo recht wüßte. Du biſt ſo menſchlich gut, ſo fein, 334 ſo ſtill. Aber die Götter ſelbſt, in ihrem weißen Marmorglanz, ſie ſind nicht fein, nicht ſtill. Auch ſie ſind Flammenzeichen, auch die Natur ein Flammen⸗ zeichen. Was für ungeheure Gegenſätze giebt es. Meine Jugend im Elternhauſe mit der großen und der kleinen Wäſche und der guten Stube, und — Rom! Dieſe zeitloſe, erhabene Welt, dieſes Meer von Schönheit! Rom, wo die Natur wie ein erhabenes Kunſtwerk, die Kunſt wic titaniſch durchſeelte Natur wirkt. Brauche ich in Rom Wiſſen, Kenntniſſe? Der Himmel hier, die Ruinen, die Natur löſen in ihrer glühenden Beredſamkeit Welträthſel. Die Steine predigen, ich höre Pſalmen und das hohe Lied der Liebe, der Schönheit; beides iſt eins. Offenbarung iſt die Pracht des Südens. Die Tempel ſpringen auf. Ich trete in ein Allerheiliges. Das Mal auf meiner Stirn, es iſt kein Kreuz, es iſt ein Stern. Lieber, lieber Arnold, bitte ſage nicht, daß, was ich da ſchreibe, geſchraubt iſt, unnatürlich. Man kann nicht ſchlicht und verſtändig bleiben, wenn über uns der Himmel mit ſeinem ſingenden, ſiegenden Blau alles verſeligt, wenn der Duft des Lorbeers, der Limonen⸗ und Orangenblüthen uns hochzeitlich um⸗ weht. 335 hier Bild, Symbol, magiſcher Zauber. Ach, laß mich in Bildern reden. Alles iſt ja des Blau iſt auch in ihr. Und meine Seele jauchzt, und ſingendes, ſiegen⸗ grauſam verletzten, frei von dem Land, wo ich inner⸗ Frei werden will ich von den Menſchen, die mich lich immer fror, wo ich mutterlos war. Rom iſt meine Heimath. Rom iſt in mir, um mich, über mir. Ich durchdringe mich mit Rom. Jetzt, da ich beinah alt bin — ach, ich lüge ſchon wieder, ich bin nicht alt, ich bin jung, ich bin noch nie ſo jung geweſen, blutjung bin ich. Ich ſuche wieder Vergißmeinnicht am Schafgraben, ich ſuche die goldenen Eier des Vogels Wunderhold, und — vielleicht finde ich ſie. Adalbert meinte, ich wäre zu draufgängeriſch mit meinem Gemüth; er müſſe dämpfen. Und als Seelen⸗ diät verordnete er mir etwas italieniſches Volks⸗ leben. Und das gefällt mir auch. Liebe Kinder, dieſe Römer. Sie jubeln über ein Kasperletheater an der Straßenecke, über Seiltänzer, die auf offener Straße, auf einem Stück zeriſſenen Teppich's Feuer freſſen, über eine Drehorgel mit einem Sänger, der ſich die Seele in den höchſten Tönen melodramatiſch ausſchreit. Aber Lärm muß dabei ſein, am liebſten Höllenlärm. 336 Den Superlativ davon erlebten wir zum Epi⸗ faniasfeſt auf der piazza di Navona, wo ein Orkan von Tönen, „Stein erweichen, Menſchen raſend machen“ konnte. Alle, alle, Kinder, Männer, Greiſe blaſen auf Trompeten, die in ihren Formen von der Kinder⸗ trompete bis zur Poſaune wechſeln. Nur möchten dieſe Poſaunen die Todten nicht lebendig machen, ſondern ſelig in der Vorſtellung, dieſe Blechfanfaren des Blödſinns, dieſe Steinigung mit Tönen verſchlafen zu dürfen. Und der Vollmond ſchien und ſpiegelte ſich in den Waſſerſtrahlen der Berniniſchen Fontaine, und erglänzte auf den Säulen der dunklen maſſiven Kirche, der ſtille Mond, und er machte nicht einmal ein ſchiefes Geſicht, weil er keine Ohren hat, der glück⸗ liche Mond. Es iſt ja richtig, Fauſtnaturen ſind die Römer nicht. Wie ein buntes, unterhaltſames Bilderbuch für Erwachſene iſt das römiſche Volksleben. Das iſt ſo amüſant, daß ihr ganzes Leben ſich auf der Straße abſpielt. Und ganz ohne Rohheit ſind die Leute. Sie kennen den Schnaps nicht. Ich habe kaum je einen Betrunkenen geſehen. Dohm, Schickſal einer Seele. 22 337 Abends ging ich zuweilen an Adalbert's Arm, an ihn geſchmiegt durch die Straßen. Ab und zu blieb er ſtehen, vor einem alten Gemäuer, einer dunklen Treppe, einem unheimlichen Winkel, wo etwas ſchreck⸗ liches ſich zu regen ſchien, und immer ſah ich Inter⸗ eſſantes, Maleriſches. Wir kamen durch enge, abgelegene Gaſſen. Matt⸗ brennende Laternen hingen quer über der Straße. Halb vermummte Geſtalten in den weiten, maleriſch um die Schulter geſchlagenen Mänteln, glitten an uns vorüber, oder verſchwanden in einer Trattoria. Beim Oeffnen der Thür der Gaſtwirthſchaft blickten wir in einen verqualmten Raum, in dem Tonnen auf⸗ geſtapelt lagen, die Tiſche von Trinkenden beſetzt. Das leidenſchaftliche Rufen der Morraſpieler gellte uns in's Ohr, oder ein Ciociarenmädchen tanzte die Tarantella, während eine Frau mit großen glitzernden Ohrgehängen das Tamburin dazu ſchlug. Zuweilen hörten wir aus ſchwarzen, offenen Ge⸗ wölben heraus den Klang von Guitarren oder Man⸗ dolinen. Und wenige Schritt weiter, ſtanden wir am Tiber und blickten hinab in den ſchwermüthigen Strom, der ſo träge, ſo dumpf, ſo lehmig dahinfloß, als wäre er müde von all den Jahrhunderten und melan⸗ choliſch von allem was er geſehen. Und nicht nur, was er geſehen, was er noch ſieht, täglich, ſtündlich. Die Hinterhäuſer des Ghetto gehen auf den Fluß hinaus. Ich kann nicht ohne Schaudern an das Ghetto denken. Man ſagt, es 338 ſoll niedergeriſſen werden. Noch ſteht es, ein ſchauer⸗ liches Denkmal menſchlicher Unmenſchlichkeit. Seit ſo vielen Jahrhunderten hat man menſch⸗ liche Geſchöpfe in dieſe Käfige eingeſperrt, unbekümmert ob die Peſtluft ſie moraliſch und leiblich verderbe. Eine Schickſalstragödie, die ſich hier abſpielt. Sie iſt in Stein gehauen, ſie iſt unauslöſchlich in die Geſichter geprägt. Der ekle Bodenſatz allzu thieriſcher Menſchlich⸗ keiten wurde von denen außerhalb des Ghetto's in's Ghetto abgelagert. Draußen zogen die Scham und die Geſetze der nackten Barbarei Grenzen. Aber⸗ glauben, Herrſchſucht, Neid, Grauſamkeit, Raſſen⸗ haß ſchufen das Ghetto und machten es zu einer Cloake der Weltgeſchichte. Und aus dieſer Cloake würde der brodelnde, gährende Unrath zum Himmel ſtinken, wenn der Himmel überhaupt in dieſe grauſen Winkel hineinſchiene. Paria's ſind immer Opfer der béte humaine. Wir kamen durch lange, ſchmale Gaſſen, wo der Abhub von Monaten angehäuft lag, Berge von Ge⸗ müſeabfällen, Stofffetzen, ſchreckliche Rinnſale Schmutz, Geſtank. In allen Thorwegen ſaßen Menſchen, fremdartig ſeltſame, die wiſperten und ziſchelten und lachten, und ihre Gebärden hatten etwas ſo entlegenes, haſtig wildes. Alle Gewölbe waren mit Lumpen angefüllt. Sie lagen in Bündeln zuſammengebunden, oder bedeckten den Fußboden. Und dieſe Gewölbe und Thorwege, 22* 339 die Luft und Licht nur durch die offenen Thüren empfangen, ſind zugleich die Wohn⸗ und Geſchäfts⸗ räume der Familien. It¹..Der ganze Abhub Rom's ſcheint hier aufge⸗ ſpeichert. Lumpen bilden den Erwerbszweig der Ghettobewohner, Lumpen oder Reſte von irgend etwas: von altem Eiſen, von Holz, Federn, Betten, Kleidern, Häuten. In einem dumpfen Gewölbe, — ein Lager alter Schuhſohlen — ſaßen fünf Weiber, alle damit be⸗ ſchäftigt altes Schuhwerk auseinander zu trennen. Als ſie uns ſahen winkten ſie uns, alle fünf mit der⸗ ſelben ſtereotypen Handbewegung, eine Handbewegung, die bei uns bedeuten würde: geh! in Italien aber bedeutet: komm! Dieſes ſtumme, gleichzeitige Winken war unheimlich. In einem anderen Gewölbe, vor einem leeren Tiſch ſaß ein alter Mann, ein Greis, mit langem, weißem Bart, edlen Zügen und wunderbaren Augen, Augen, die blind für die Nähe, Gedankenfernen zu durchmeſſen ſchienen. Er ſah mich an, das heißt, eigentlich ſah er mich nicht, es war als ſähe er unmittelbar in mein Innerſtes hinein, und als hätte er mir etwas zu ſagen, etwas ſehr Wichtiges. Ich wollte mit ihm ſprechen, Adalbert hielt mich davon zurück. Wir gingen ſchneller. Der Geſtank war wie etwas, das uns anfiel, verfolgte. Und die Gaſſen wurden immer dunkler, immer enger, kein Himmel mehr, keine Luft, nur etwas modrig, wüſt wirbelndes, gräßliches. Und doch ſtehen 340 in einer dieſer Gaſſen noch die Reſte eines alten Palaſtes. Er iſt geborſten, verwittert, fenſterlos; jede Stufe der zerbröckelten Marmortreppe mit Stroh, Lumpen, Unrath bedeckt, in dem ſich bleiche, halbnackte Kinder umherwälzen. Auf einen kleinen Platz öffnet ſich ein breiter, gewölbter, höhlenartiger Durchgang. Pechfackeln brennen. Bei offenem Feuer werden Fiſchchen ge⸗ braten. Der Qualm der Fackeln wirbelt empor. Ihr Schein und ein düſter rothes Glimmen von der andern Seite her, fielen auf die ſteinernen Wände der Höhle und gaben ihr etwas dämoniſch unter⸗ weltliches. Die kniſternden Flämmchen, das kreiſchende Toben der Menge, der Dampf der Fackeln — eine Hexen⸗ küche, wo das Schauerlich⸗Grandioſe mit dem ſeltſam Poſſenhaften, das Tiefſinnige mit dem Närriſch⸗ Luſtigen zuſammengeht. Spukhaft, unwirklich war das alles, als wären das verſtorbene Geſchlechter, die in der Nacht zu wahnſinnigem Leben erwacht, ſich nun haſteten und eilten, um bei dem erſten Hahnen⸗ ſchrei wieder zu verſchwinden. Da waren alte Frauen, die ſahen aus als hätten ſie vor Tauſenden von Jahren ſchon gelebt, und als wüßten ſie uralte Runenſprüche. Und die älteſten Frauen und Männer hatten nichts Greiſenhaftes. In ruheloſer, lebensſüchtiger Geſchäftigkeit trieben ſie umher, Menſchen, die nicht ſterben können, an denen etwas vom Fluch des Ewigen Juden haftet. Das war das Volk, das unverſöhnt, voll zehren⸗ 341 der Inbrunſt, voll raſtloſer Sehnſucht noch auf den Meſſias wartet. von dem Meſſias. Der Greis vor dem leeren Tiſch wußte etwas „Nun — iſt das maleriſch?“ fragte Adalbert. Es war unſinnig maleriſch, dieſes Ghetto. Maleriſch iſt auch der Kopf der Meduſa, und wirkt doch Grauen, vor dem die Seele erſtarrt. Ich wurde traurig. „Tröſte Dich Marlene, ſagte er, morgen zeige ich Dir einen Juden im Purpur kaiſerlicher Majeſtät. Und er ging mit mir am andern Tag in die Kirche St. Pietro in Vincoli. Die Kirche iſt einfach, eine ſtille Halle mit alt⸗ römiſchen Säulen; durch die kleinen mattgeſchliffenen Fenſter dringt leichter, goldiger Schein. Sie wirkt wie ein ernſter Choral. Aus dieſem Choral aber er⸗ hebt ſich ein Rieſenſolo: der Moſes des Michel Angelo. Er ſteht im Schatten, aber er ſtrahlt im eigenen Licht. Der Marmor wirkt wie Erz, ſo ſtreng, gewaltig, dräuend iſt dieſe Geſtalt. Moſes ſitzt da wie das Symbol des altjüdiſchen Geſetzes ſelber, voll hehrer, düſtrer Kraft, in jeder Muskel die Energie eines Titanen. Das iſt Moſes, der zugleich Prieſter iſt und König, der Jehovah geſchaut hat von An⸗ geſicht zu Angeſicht. Um die Augenbrauen, um die 342 leicht aufgeworfenen und doch zuſammengepreßten Lippen zuckt erhabener Zorn und verächtliches Staunen über das Geſindel Menſch, das da unten tanzt, um das goldene Kalb tanzt. Ein Wehruf oder ein Fluch wird ſich von dieſen Lippen ringen, wenn er ſie öffnet, wenn er die Geſetzestafeln die er im mächtigen Arm hält, zerſchmettert. Der weite Platz vor der Kirche iſt ſtill und todt. Das bunte Leben Rom's dringt nicht hierher. Eine einſame Palme auf der Höhe ragt in den Himmel. Zwei ſchwarze Mönchsgeſtalten kommen langſam die Stufen des Kloſters herab. Ich war in dieſer Zeit religiös geſtimmt. Immer zog es mich in die Kirchen. Jede Kirche, in die man hier tritt, iſt an und für ſich ein Erlebniß. Es funkelt darin von Gold und Silber, die Bronce glüht, der Marmor erglänzt. Die Kerzen flimmern wie ein Geflüſter in die prunkende Pracht; die kleinen rothen Lämpchen, die ſtill in ſich hineinglimmen — ein Sinnbild armer fromm verſunkener Seelen. Und überall, in Oel, Marmor oder Bronce, Darſtellungen von Himmelfahrt und Auferſtehung, von Verzückung und Martyrium. Jubelnde Verkündigungen und grabestiefe Reſigna⸗ tionen, himmliſche Geſichte und teufliſche Hallu⸗ cinationen, Krone und Kreuz, Halleluja und Miſerere. Und in irgend einer Kuppel, in goldenem Strahlen⸗ geflimmer, die weiße Taube, die den heiligen Geiſt in den Tempel herabruft. Und zwiſchen aller Pracht und allem Gefunkel die vielen, vielen welken Blumenſträuße. 343 Trotz dieſer Gemeinſamkeit bietet jede Kirche ein anderes Bild. Da ſind Kirchen, die an ein Muſeum, oder ein Antiquitätengeſchäft erinnern, wie die Kirche der heiligen Praſſetes, mit ihren altehrwürdigen Moſaiken aus den erſten Jahrhunderten, wo Reihen von Männern von unzweifelhafteſter, wenn auch hölzernſteifer Glück⸗ ſeligkeit über Goldgrund wandeln, und die Schäfchen die ſich ihnen anſchmiegen, blöcken naivſte Heiligkeit und rührende Unſchuld, die Grundſeele des Chriſten⸗ thum's blickt uns aus ihren Augen an. Leider knieet unten die Holzfigur der heiligen Praſſetes, brandroth und blitzblau angemalt, und blutig, ach ſo blutig! Das geht ganz natürlich zu. Sie iſt ja eben dabei, aus einem Schwamm das Blut der Märtyrer in eine Vaſe zu drücken. Und dieſe Kirche beſitzt eine Kapelle, über der eine lateiniſche Inſchrift angebracht iſt, welche beſagt, daß Frauen unter Strafe der Exkommunikation dieſen Ort nicht betreten dürfen. „Warum nicht?“ fragte ich den Möuch, der uns führte. Weil eine heilige Reliquie, die Marterſäule Chriſti, in dieſer Kapelle aufbewahrt würde. Sie Frauen ſehen zu laſſen, wäre Entweihung. Er ſagte das ſo einfach, als wäre es das Natürlichſte von der Welt. Ja, ja, richtig, Es fiel mir jenes Concil, ich glaube im dritten Jahrhundert, ein, auf dem ernſthaft die Frage erörtert wurde, ob Weiber zum eigent⸗ lichen Menſchengeſchlecht zu zählen ſeien. Es war mir unangenehm, daß Adalbert das mit⸗ 344 anhörte. Ich fragte ihn, ob er nicht dieſe verächt⸗ liche Hintenanſetzung der Frau widerſinnig fände? Er lächelte, ſo ſehr liebenswürdig lächelte er, und er neigte ſich flüſternd zu mir nieder: „Du haſt die ſchönſten Augen Meine ſchönſten Augen aber ärgerten mich in dieſem Augenblick. Eine Schaar junger Prieſter zog an uns vorüber. „— Sieh, ſagte ich zu ihm, glaubſt Du daß all die Prieſter, alte und junge, die maſſenhaft auf den flachen Dächern der Häuſer, in den Villengärten, auf dem Monte Pincio ſtundenlang auf und abwandeln, auf und ab, immer mit denſelben Büchern in den Händen, immer betend, murmelnd, auswendig lernend, glaubſt Du, daß alle dieſe Männer klüger und intel⸗ ligenter ſind als ich? Sie werden ja nicht wahnſinnig bei dieſer Beſchäftigung, ich aber würde es. Sage — bin ich klüger? ja oder nein? Nun lachte er. Und er blickte mich ſo ſchalkhaft und zärtlich unter ſeinen langen Wimpern hervor an, und ſein Arm umſchlang mich, und er machte Huhu, und ob ich wohl glaube, daß er einen Blauſtrumpf, oder ein, auf irgend eine Art ſchiefgewachſenes Weib ſo recht von Herzen lieb haben könne? Und er küßte mich ſo recht von Herzen, und ich ſah nicht mehr die zahlloſen Prieſter, die da auf und ab wandelten, immer betend, murmelnd, auswendig⸗ lernend. Wir gingen weiter. Wir kamen in Kirchen, die Putzſtuben glichen. 345 Dieſe Kirchen gefielen mir nicht beſonders. Sind die künſtlichen Blumenſträuße neu, unverſtaubt, die Bilder friſch gemalt, die Wände ſauber getüncht, ſo iſt's reizlos. Der Nimbus des Zeitloſen, der Ewig⸗ keit fehlt, der den alten Baſiliken ihren weihevoll feierlichen Charakter giebt. In der Kirche San Euſebio ſind lauter Sonnen⸗ ſtrahlen und gemächliche Ruhe, ſo recht zu einem dolce far niente einladend, die Kirche träumt, und die Menſchen darin auch. Nur Einer träumte nicht. Am Eingang dieſer Kirche, dicht an der Thür ſtand ein blaſſer, junger Prieſter, unbeweglich wie eine Bild⸗ ſäule. Ich erkannte ihn gleich; es war der Prieſter aus dem Dora⸗Pamphili⸗Park. Als wir die Kirche verließen ſtand er noch immer da, in derſelben Un⸗ beweglichkeit. Er ſtand am Kirchenpranger, zur Buße. Gewiß, es war wegen der Amerikanerin mit dem bunten Zauberkleid. Es giebt auch kleine dürftige Kirchlein, die mit ihren verwitterten Blumenſträußen, ihren paar hölzernen abgenutzten und verküßten Heiligen, und ihren pauvren Lithographien an den vergrauten Wänden, ſo recht Kirchen für arme, alte Weiblein ſind, die im ſtillen Winkeln ihren Gott für ſich allein haben wollen. Andere ſind wie dumpfe Grabgewölbe. Und doch war's in einer ſolchen Kirche einmal wunder⸗ ſchön. Von einer Kuppel hoch oben floß eine Licht⸗ ſäule von Sonnenſtaub nieder in den düſteren Raum. Von fern her (wohl aus der Sakriſtei) klangen die Töne eines Harmoniums, und es war als bewegten 346 ſich die ſchimmernden Stäubchen leiſe im Rythmus der ſäuſelnd ſüßen frommen Töne, und die Lichtſäule wurde zu einer Himmelsleiter, und man wartete der Engel, die da auf⸗ und niederſchweben ſollten. Engel ſahen wir zwar nicht, aber wieder einen Büßenden. Der lag platt am Boden, mit der Stirn den Steinboden ſchlagend. Als er aufſtand, gewahrten wir, daß es ein alter, ſeingekleideter Herr war. Er keuchte ſchwer, und trocknete ſich mit einem parfü⸗ mirten Taſchentuch den Schweiß vom Geſicht. Die Stirn aber erhob er ſtolz: ihm war vergeben. Im katholiſchen Ritus, in ſeiner Hypnoſe des Weihrauchs, iſt leidenſchaftliches Gemüth. Es ſällt wie Thau auf brennenden Schmerz. Das blecherne oder ſilberne Herz, das der Leidende der Madonna darbringt, thut Wunder an ſeinem eigenen. Maria heilt ſein krankes Herz. O wunderthätige Glaubenskraft! Oeffnen ſich dem Mühſeligen und Beladenen die Pforten der Kirche — und ſie ſtehen immer offen — ſo fallen die Thüren der häßlichen Welt hinter ihm zu. Mit ihrem Aroma der Ewigkeit entbindet ſie, was in ihm ſelbſt unſterblich iſt. Und voll Barm⸗ herzigkeit iſt ſie — die Kirche, die die Abſolution erſann. In der Kapuzinerkirche wurde einem Heiligen zu Ehren ein Feſt gefeiert. Die dem Heiligen geweihte Seitenkapelle war mit beſcheidenen Kerzen, Blumen⸗ 347 ſträußchen und Blumentöpfchen geſchmückt. In der Sakriſtei Geſang. Ein eintöniger Männerchor von tiefem Ernſt und Adel. vor dem Hochaltar ſaß ein alter Kapuziner mit eis⸗ In dem durch ein Gitter abgeſchloſſenem Raum grauem Bart, und las in einem großen Folianten. Er las unter einem Kandelaber auf dem 12 Kerzen brannten. Die Leute alle hatten ſich zu der erleuchteten Kapelle gedrängt. Ich ſtand vor dem Gitter und hörte dem Geſang zu. Der alte Kapuziner ſah mich an, als erwartete er, daß ich ihn etwas frage. Er hielt den Zeigefinger auf einer Seite des Folianten, als ſtände da etwas beſonderes. Ich wollte ihn ja auch fragen, was da geſchrieben ſtände. Ich zögerte aber zu lange. Langſam löſchte er eine Kerze nach der andern aus. Als die letzte erloſch, war der Geſang zu Ende. Die Mönche traten aus der Sakriſtei heraus an den Altar. Ach Arnold, nie verſtand ich zu fragen, wo eine Weisheit oder ein Geheimniß ſich mir hätte erſchließen können. Der Kapuziner ſah dem alten Juden ähnlich. Und bei dem Kapuziner und dem Juden, mußte ich an den weißen todten Baum in der Villa Dora Phamphili denken. 348 An einem Nachmittag kam Adalbert nicht wie ſonſt mich abzuholen. Ich wartete lange, dann ging ich in die Peterskirche. Wie immer war da alles voll Leben. Im Vordergrund wurden in einer Kapelle Kinder getauft, und alle durch die Bank ſchrieen. Nach der Mitte der Kirche zu, in einer der größten Kapellen, ſangen eine Anzahl Prieſter die Vigilia. Ein Seitenſchiff wurde vom Kirchendiener mit Schrubber und Beſen gereinigt. Vom Hintergrund aus hörte man Sägen und Hämmern, zu einem Kirchenfeſt wurden Gerüſte aufgebaut. So unermeßlich groß aber iſt St. Peter, daß keine einzige dieſer Funktionen die andere ſtörte. Und dazwiſchen die Hunderte von Fremden mit den rothen Büchern. Ich war zum erſten Mal allein in St. Peter. Die Rieſenmaße überwältigten mich. Und Marmor und Gold ohne Ende. Eine bunte und doch gran⸗ dioſe Pracht. Die ganze Baſilika — eine ungeheure himmliſche Poſaune, die die geſammte katholiſche Welt zuſammen⸗ ruft. Selbſt die Gebärden und Stellungen der Heili⸗ gen, in ihren wilden Verzückungen, ihrer Andacht über Lebensgröße, ihrer Märtyrerbrunſt — Poſaunenklänge. Dieſe Statuen, faſt alle in Berniniſcher Manier, nehmen einem Ruhe und Frommheit. Das ſind Ge⸗ ſtalten, die nicht warten können, bis man ſich ſtill in ſie verſenkt, ſie drängen uns ihren Entſagungs⸗ ſchmerz, ihre verzückte Gläubigkeit auf. Sie ſind Tragöden auf der Bühne der Kirche, die Zuſchauer brauchen, ſie ſind fromm — auf Applaus. 349 Und ein Gewimmel von Engeln! natürlich auch Poſaunenengel, die ungeheure Poſaunen blaſen. Engel für Alles. Sie weinen und ſenken Fackeln bei Be⸗ gräbniſſen, ſie halten jubelnd die Bildniſſe frommer Päpſte empor, ſie winken die Gläubigen zu den Weih⸗ rauchbecken heran, ſie dienen den großen Monumenten als Putten. In St. Peter ſcheint der Herr Revue abzuhalten über alle Heiligen, Märtyrer, Päpſte, Sybillen, Car⸗ dinäle, gewiſſermaßen ein Univerſaltag ſeiner Heer⸗ ſchaaren. Und wenn der Katholik die Häupter ſeiner Heiligen zählt, kaum wird ein theures Haupt ihm fehlen. St. Peter iſt die unfrommſte aller Kirchen. Zu groß, zu klar, zu viel Gold, zu viel Sonne, zu viel diesſeitige Luft, zu viel Leben von da draußen. Ge⸗ dämpfte Farben, gebrochene Töne, Weihrauch fehlen, ſie hypnotiſirt nicht. Es fehlt ihr an intimer Poeſie. Kein Staub, keine verwelkten Blumenſträuße, keine myſtiſchen Dämmerungen. Am meiſten in der Rieſenbaſilika zog mich die Pieta von Michel Angelo an, Maria, die den todten Sohn im Arm hält. Ich vertiefte mich in den Aus⸗ druck ſchmerzlich ſüßer in ſich geſchloſſener Frömmig⸗ keit, in die keuſche ſtillheilige Trauer dieſes Kopfes, eine Trauer, für die Thränen zu profan ſind. Wie wild bäumte ich mich auf, als Traut ſtarb. Maria, ja, die trauert um Gottes Sohn und Engel halten über ihrem Haupt die Himmelskrone. Ich hörte Schritte hinter mir. Und ich lauſchte, 350 lauſchte auf die ſammtne Stimme, die leiſe meinen Namen rufen würde. Eine rauhe Stimme war's, die mich erſchreckte. „Non si entra in questa capella“. Ich that einen Schritt zurück, und gleich darauf, ja, jetzt war es ſeine Stimme, aber ſie rief mich nicht. Er ſprach mit jemand anderem. Ich wandte mich um. Eben ging er an mir vorüber, mit einer Dame. Ein Seitenblick unter ſeinen langen Wimpern traf mich, oder traf mich wenigſtens beinah, einer jener Blicke mit dem unver⸗ kennbaren Ausdruck des Nichtſehenwollens, ein Blick der ein böſes Gewiſſen hat. Es war die Dame vom Monte Pincio, die ihn ſo ſonderbar aus dem Wagen heraus gegrüßt hatte. Eine Traurigkeit kam über mich. Ich verließ St. Peter. Von einem Seitenhof der Baſilika ge⸗ langt man in den kleinen deutſch⸗katholiſchen Kirchhof. Eine der grandioſen und maleriſchen Seitenfacaden von St. Peter bildet die vornehme Einrahmung des Friedhofes. Die Todten ruhen hier ſo recht im Schoß von St. Peter. Ein ſtilles, beinah ärmliches Fleckchen Erde, nicht düſter, nicht heiter, nur ganz klein und ganz grün. Hier und da ein Strauß gelber Blumen, die zuthunlich freundlich aus dem Grün gucken. Ein Zweig zarter, weißer Roſen um ein weißes Kreuz. Die Pracht des Rahmens erdrückt das Bild. Der Tod erſcheint hier belanglos. Was liegt an dem kleinen Erdenreſt. Erhaben und feierlich wölbt ſich darüber die Kuppel von St. Peter, und Petrus hält 351 in ſeiner Hand den Schlüſſel, der vom Leib befreiten Seele öffnet er die Himmelspforte. grab. Zwiſchen wildſprießenden Gräſern ein hölzer⸗ Ich ſtand vor einem halb verwitterten Kinder⸗ nes Kreuz mit einer halb verlöſchten Inſchrift. Das Kindchen war nur fünf Jahr geworden. Der Name war unleſerlich. Nur wenige Buchſtaben. Es hätte Traut heißen können. Und plötzlich begann eine Glocke in St. Peter zu läuten, nicht wie ſonſt Glocken läuten. Kein Hin⸗ und Herſchwingen, kein Auf und Ab, keine Modulation der Töne, — ein einziger Ton nur, immer derſelbe, derſelbe, ein mächtiger, dumpf weithinhallender Klang, wie heiſer von ungeheurem Weh, von der Verkündigung von etwas Furchtbarem. So müſſen die Glocken geläutet haben zur Bar⸗ tholomäusnacht. Das Geläut füllte das Ohr, das Hirn, die Seele. Wer rief mich? Wird ſich das Kindergrab da öffnen? Wird — — — Fremde mit dem Bädeker erſchienen. Da ging ich. Trübe ſinnend ſchlenderte ich durch die engen Gaſſen nach Hauſe. War das nicht unmännlich, daß er that, als ſähe er mich nicht? Es wurde mir klar, nicht in der Männlichkeit lag ſeine Stärke. Eher iſt er weiblicher Artung. Die Delikateſſe im Ausdruck ſeiner Gedanken, die Grazie ſeiner Gebärden, ſeine diskrete Feinheit und daß er ohne Stachel iſt und glatt, alles muthet faſt weiblich an. 352 Nie ſchöpft er aus dem Vollen. Er lebt in geiſtiger Sparſamkeit. Auch in ſeinen Studien be⸗ ſchränkt er ſich peinlich auf die italieniſche Renaiſſance. (Die deutſche Renaiſſance intereſſirt ihn kaum.) Auf dieſem Gebiet aber iſt ihm das winzigſte Detail von immenſer Wichtigkeit. Er kann ſich auf's liebevollſte in jede einzelne Linie eines ſchönen Renaiſſance⸗Kopfes vertiefen, und ſich darnach in den Kopf verlieben. Er hat immer behauptet, was ihn zuerſt bei mir angezogen, wäre meine Aehnlichkeit mit einem Kopf von Sodoma geweſen. Ich hatte ihn einmal gefragt, ob ich ihn nicht bei ſeinem Buch helfen könne, etwa Auszüge für ihn machen. Er verneinte. Das ſei ſchwere und tiefe Mannes⸗ arbeit. Und ſein Blick wurde weit und ſchmerzlich. Ich habe einen Inſtinkt für das, was Menſchen denken. Und ich wußte, er barg im Grund ſeiner Seele ein geheimes Mißtrauen gegen ſein Können, ſeine Schaffenskraft. Er hatte Stunden, wo das Bewußtſein ſeiner Unzulänglichkeit, und die unruhige Sorge, daß Andere davon etwas merken könnten, ihn quälte. Er arbeitete trocken und mühſam. Keine In⸗ ſpiration, kein kühner Gedankenflug kam ihm zu Hülfe. Die Vorſtellung, ſein Werk der Kritik ausſetzen zu müſſen, erſchreckt ihn. Er ahnt eine Ablehnung, und würde ſich doch nicht dagegen zur Wehr ſetzen. Dazu iſt er zu vornehm, zu graublau. Dohm, Schickſal einer Seele. 23 353 Er wird das Buch nicht vollenden. Er wäre ſelbſt gern ein blühender Renaiſſance⸗ menſch geweſen. Daß er es nicht war, nagte an ihm. Er iſt leicht müde und abgeſpannt. Ich habe mehr errathen, als daß er es mir verrathen hätte: er lebt in Rom, weil ſeine Lungen ſchwach ſind. Auch etwas altmodiſch didaktiſch lehrhaftes iſt in ihm. Ich kann mir ihn gut als Muſtererzieher eines Prinzen denken. Uebrigens weiß ich nun längſt ſeinen Namen, einer der häufigſten, einfachſten, banalſten Namen. Abens kam er. Ob ich ſein Billet erhalten, in dem er mir für den Nachmittag abgeſagt? Ich hatte es nicht erhalten. Ich blickte ihn feſt an, als ich ſagte, daß ich ihn von fern in St. Peter geſehen. Er zuckte nicht mit der Wimper. So hatte er mich wohl doch nicht bemerkt. „War das nicht dieſelbe Dame, die Dich einmal auf dem Monte Pincio gegrüßt? Er verſtand was ich wiſſen wollte, und nannte den Namen einer italieniſchen Fürſtin. Er habe aus mancherlei Gründen ihr Erſuchen, ihr bei der Beſteigung der Peterskuppel behülflich zu ſein, nicht ablehnen dürfen. Indem er den Namen der Fürſtin nannte, beging er zum erſten Mal eine Indiscretion. Sie 354 lag in dem halb ſchmerzlich ſchmachtenden, halb ſchwärmeriſch verzückten Ausdruck ſeiner Augen. Eine ganze Geſchichte lag in dieſem Blick, die Geſchichte eines Glückes, das einſt genoſſen, und nicht mehr war, und dem doch die Seele noch nachhängt. Ich fragte ihn nach der St. Peter⸗Glocke, und was ihr dröhnendes Schlagen bedeute? Er lächelte. So läute ſie ja jeden Nachmittag zur Veſper. Wahrſcheinlich pflanzten ſich die Schall⸗ wellen in der Richtung des kleinen Friedhofs mit be⸗ ſonderer Stärke fort. Er fand übrigens, daß die vielen Kirchenbeſuche mich katholiſirten. Ich gab zu, daß der Katholicis⸗ mus mich lockte, weil er ſchön war. Ich ſollte auch die Kehrſeite des Kultus — eine ziemlich heitere Seite kennen lernen. Er führte mich in eine entlegene Straße. Wir traten in eine Werkſtatt, wo bei offenen Thüren Heilige fabricirt wurden. Dieſe Figuren in all ihren verſchiedenen Entwicklungsſtadien, vom zarteſtem Embryo bis zum vollendeten Gott oder Heiligen vor ſich zu ſehen, war ein recht kurioſes Schauſpiel; nicht gerade weihevoll anzuſehen, wie die Geſellen in ſchmutzigem Arbeitskittel die Heiligen erbarmungslos mit Beil und Hammer bearbeiteten, ihnen mit Meſſer⸗ 23* 355 chen Wunden in die heiligen Leiber ſchnitten, und ſo recht con amore mit Zinnober das Blut an⸗ pinſelten. Die Italiener leiden nicht an Schamhaftigkeit. Dieſe öffentlichen Geburtsſtätten der Heiligen ſind doch aber gar zu indiscret; wenn auch nicht ganz ſo indiscret wie eine Madonna⸗Pfingſtproceſſion bei der die Naivetät des italieniſchen Volks eine wahre Orgie feiert. In feierlicher Proceſſion wird Madonna durch die Straßen getragen. Plötzlich werden ihr die Kleider wie ein Vorhang in die Höhe gezogen, und eine Schaar weißer Tauben flattert heraus. Ein Raufen um die Tauben entſteht. Und wer eine oder mehrere abfängt, geht vergnügt nach Hauſe, um dieſe Sym⸗ bole der Ausgießung des Heiligen Geiſtes zu — braten. Ich habe mit Adalbert einem großen Kirchenfeſt in St. Peter beigewohnt, eine Prachtentfaltung ſondergleichen. Ein Feenmärchen dieſes Kirchenfeſt. Märchen⸗ pferde, Märchenwagen, Märchen⸗Cardinäle, märchen⸗ haft die Tamboure mit den ungeheuren Pelzmützen, märchenhaft die Nobelgarde in den ſtrahlenden antik römiſchen Helmen mit den weißen wallenden Federn, den rothen, reich mit Gold verzierten Waffenröcken, über der Bruſt ein breites goldenes Band. Und märchentraumhaft der Geſang der Knaben 356 der päpſtlichen Kapelle. Das ſind Zaubertränke, von Erzengeln kredenzt, das ſind Titanengebete, die, im Heißhunger nach Gott, ſieghaft, ſtürmiſch, an den Himmel klopfen. Er thut ſich auf, und in weicher Wolluſt vergehen ſie am Herzen Jeſu. Nichts entſpricht mehr den Verzückungen die der Katholicismus fordert, als die Muſik. Ich fühlte den heftigſten Drang, ſofort in ein Kloſter zu gehen. Adalbert aber meinte lächelnd, wir wollten vorher noch in einem Reſtaurant etwas eſſen. Er war immer darauf aus, Contraſte, in denen er den größten Reiz fand, für mich auszu⸗ ſpüren. Nach dem Mittagseſſen fuhren wir auf den Coelio, zur Baſilika San Sabina. Eine wohl⸗ erhaltene ſchöne Kirche mit einem berühmten, aber verhängtem Gemälde. Noch mehr als die Baſilika gefiel mir das kleine Gärtchen, das zum Kloſter gehört. Es war nur ein winziges, rings von Mauern umſchloſſenes Gemüſe⸗ gärtchen, das ſchon ſeit dem 15. Jahrhundert ſeinen Zweck, ſich von dem alten Kloſtergebäude abzuheben, nachkommt. Die Orangenbäume zwiſchen dem Kohl und der Peterſilie waren wohl nicht ſo alt, ſie hoben ſich aber auch maleriſch ab. Einer aber ſtand von einem Gitter umſchloſſen auf einem Hügelchen. Den hatte der heilige Dominikus ſelbſt gepflanzt. Das ſah man den Früchten an, ſo groß, ſo herrlich blutroth waren ſie. So ein ächter, rechter Gottesfrieden ruhte über 357 der Peterſilie, den Kohlköpfen und den wilden Roſen, und die Luft war mild und lau wie im Juni — auch Himmelsluft. Ein alter Dominikaner ſtieg zu uns nieder. Ein ſtilles, frommes, liebes Geſicht hatte er, und ſo lieb und fromm ſprach er auch, ſo himmelsluftig und mai⸗ lich warm. „Gott iſt es, ſagte er, der alles wachſen ließ, den Kohl und die Orangenbäume. Er iſt jeden Augenblick um uns, über uns, er iſt überall und wer ihn ſo recht liebt, der lebt in Frieden mit ſich und der Welt, und er hat ein Glück, das immer währt.“ Die Rede war wohl auch, wie der Orangenbaum, aus dem 15. Jahrhundert, aber die Geſinnung, der ſie entſprang, ob ſie im 15. oder im 19. Jahr⸗ hundert ausgeſprochen wird, iſt immer ehrfurchtgebietend, und — ach — ſo beneidenswerth. „Selig ſind die Geiſtig⸗Armen.“ Ich weiß zwar nicht ganz, was Jeſus damit meinte, das aber weiß ich, es hätte mich keine Ueberwindung gekoſtet, in den Frieden dieſes ſtillen Dominikaner⸗Kloſters einzu⸗ gehen. Wenn ich nur Gott ſo recht lieben könnte! Wenn ich nur wüßte — — Adalbert weiß es eher. Der iſt kein Zweifler. Aber er ſpricht nicht gern davon. Von San Sabina bis zur Villa Medici iſt zwar mehr als ein Schritt, wir thaten aber die Tauſende von Schritte, weil Adalbert mich durch einen neuen Contraſt entzücken wollte. In den dunklen Hain der Villa Medici fallen 358 die Sonnenſtrahlen nur gedämpft, wie Altarkerzen in eine Kirche. Ein Tempel iſt dieſer Hain voll Schauer heidniſcher Myſtik. In einem ſolchen Hain muß Pythia ihre Orakel abgegeben haben, muß Daphne's Verwandlung in einen Baum vor ſich gegangen ſein. Man glaubt in den gewaltſamen, wunderſamen Ver⸗ renkungen dieſer Bäume noch die ſchauerliche Tragik ihrer Gebärden, ihr wildes Sträuben zu überraſchen. Dieſe Gebärdenſprache iſt eine Eigenthümlichkeit der Immergrünen⸗Eichen, die ich bei keiner anderen Baumart bemerkt habe. Und faſt alle dieſe Bäume zeigen furchtbare Ver⸗ wundungen, tiefe, ſchwarze, klaffende Löcher, oft ſind die ganzen Stämme aufgeriſſen, das Innere ſchwarz, als wäre es mit Feuer ausgebrannt. Auf einer hohen, ſchmalen, mit Schimmel be⸗ deckten Treppe, die oberen Stufen mit Lorbeer über⸗ wölbt, ſteigt man zu dem Tempelchen auf, und iſt man oben — plötzlich eine Lichtflut. Ueber allen Wipfeln Licht! Licht! Wir ſtehen in Licht gebadet, ein Eindruck, der noch verſtärkt wird, wenn wir herab⸗ blicken von der Treppe in das ſchwermüthige Dunkel da unten. Das ſtarre Laub des Buchsbaums und des Lor⸗ beer's, das den Hügel des Tempelchens ganz bedeckt, regt ſich nicht. Es iſt um uns wie ein ſtilles, grünes Meer. Kein bunter Ton in der Landſchaft, aus⸗ nahmsweiſe nicht einmal Orangen. Lyriſche Weichheit und zugleich Kraft, Reinheit, Seele ruhte auf dieſer Landſchaft, die in ihrer klaſſi⸗ 359 ſchen Vornehmheit an den Kopf der Juno Ludoviſi, an Verſe Homers erinnert. Und wie ſanft ſich die Berge an⸗ und ineinander ſchmiegten, und ebenſo mild und ſanft floſſen die graublauen Farbentöne ineinander, ſich immer ver⸗ wandelnd, wie Muſik, wie Muſik. Und vom Monte Pincio klang das Requiem von Verdi herüber und verſchmolz mit der göttertraumhaften Schönheit dieſer Landſchaft. Ich bin in Rom oft geneigt tiefes Graublau für die poetiſchſte aller Farben zu halten. Die Sonne ging unter. Ein dunkles Gewölk am Himmel verdichtete ſich zu einer Form, die ein Berg ſchien: Der Berg Tabor. Ueber dem Wolken⸗ berg ein Stück blauen Himmels, hoch oben wieder leichtes Gewölk. Und aus dieſem Gewölk in der Höhe floſſen weiße Strahlen, Lichtſäulen nieder, und die weißen transparenten Strahlen hüllten allmählich den Berg in heilige Schleier ein. Und wenn plötzlich aus den heiligen Schleiern der leuchtende Schatten Jeſu Chriſti emporgeſchwebt wäre, wir hätten es natürlich gefunden. Ein vermummter, alter Mann, mit einem langen, weißen Schnurrbart trieb uns hinaus: der Wächter. Er führte zwei ſeltſame Hunde mit ſich, zwei große überſchlanke Windſpiele mit kleinen klugen Köpfen. Sie hatten lange ſilbergraue Haare die wie Chinchilla ausſahen: Dianas Jagdhunde. Es war hier eben alles verzaubert, myſtiſch, un⸗ wahrſcheinlich. 360 Ach Arnold, Arnold, und ich bin mitverzaubert. Sage mir, ſage, wie ſoll man in Rom ohne Liebe ſein! Du biſt hochherzig, ich weiß es. Ich weiß auch alles, was ich jetzt fühle, was ich thue, Du wirſt es verzeihen, aber nur aus lauterer Herzensgüte, nicht weil Du es verzeihlich oder natürlich fändeſt. Meine Hände rein erhalten? Und wenn ſie leer bleiben? mein Herz rein erhalten? und wenn es leer bleibt? Denkſt Du nicht daran, daß Deine Marlene nachholen muß, nachholen, was ſie verſäumt hat? Ihre Vergangenheit: Traum, Schmerz, Schlaf. Nun will ſie Wachſein, Kraft, Frohſinn, Zukunft. Du denkſt nicht ſo, Du denkſt nicht ſo, ich weiß es. Du, ja, Du haſt's gut gehabt. Harmoniſche Eltern haben Dich harmoniſch geſchaffen. Du liebſt Deine Wiſſenſchaft. Wo iſt die Leidenſchaft, die Du überwunden? Du biſt zu normal für mich, zu un⸗ beirrbar gut. Ich ſoll ja auch gut ſein, aber ach, ſo beirrbar bin ich. Ob es unrecht iſt, was ich thue, ob ich in der Sünde wandle? Aber ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Wiſſen es denn die Anderen? Ich thue was ich muß. 361 Nemeſis ſchon auf den Ferſen? Und that ich Unrecht —. war mir nicht die wurde uns beſchieden. Noch nicht. Ein wunder⸗ wunderſchöner Tag Wir hatten einen Ausflug an's Meer gemacht. An einem Dorf machten wir Halt. Adalbert kennt den Strand weit hinaus. Er ließ uns zu einem kleinen Ort hinrudern, der kaum je von Fremden be⸗ ſucht wird. Könnte ich Dir den beſtrickenden Reiz dieſes Oertchen's ſchildern, das wie eine phantaſtiſche Meer⸗ laune in den blauen Ocean hineingebaut iſt. Auch ein kleiner Palaſt hat da einmal geſtanden. Auf einem zerbröckelnden Portal, aus einer zerbrochenen Urne wuchern wilde Roſen, gelbe Eidechſen wie Gold⸗ adern ſchlüpfen um Kelche und Steine. Eine einſame Pinie davor ſpiegelt ſich im Meer. Durch eine geborſtene Thür ſahen wir eine düſtere Treppe emporſteigen; plötzlich ſetzte ſie ſich von einem leuchtenden blauen Himmel ab, als führe ſie unmittel⸗ bar in den Aether hinein. Phantaſtiſch auch all die ſteinernen kleinen Baracken. Alte Weiber mit Spindeln ſitzen in den Loggien, um die lichtgrüne Weinreben ſich ranken. Und verwilderte Gärten! Roſenalleen, Roſen ohne Zahl, und wo die Gärten zu Ende ſind, beginnt das Meer, und der Purpurſchein der Roſen und die blaue Glut verſchwimmen in ſüßeſte Farbenmelodieen. Hoch oben auf dem Dach eines Gemäuers, lehnte ſich ein wunderſchönes, halberwachſenes Mädchen über 362 die Brüſtung und warf uns lachend Blumen auf die Köpfe. Unter ihr, in einem höhlenartigen Raum wälzten ſich, wie Tigerkätzchen, nackte Kinder durch⸗ einander. Auch hier muß einſt altrömiſche Pracht geherrſcht haben. Wohin wir blickten: Gerümpel, aus dem Marmor glänzte, Steinhaufen mit zartem Moos über⸗ wuchert, blühende Kräuter, Säulenfragmente. Und all⸗ überall das Meer. Es lugt durch ſchimmliche Löcher, es bricht ſich Bahn durch wilde Roſenhecken, es überſchimmert ver⸗ fallende Mauern, es blitzt ſilberne Flammen in ge⸗ wölbte dunkle Bogen. Eine kleine Dorf⸗Sphynx iſt dieſes Oertchen, Kobolde und Nixen umtänzeln ſie im Rahmen der Meer⸗Unermeßlichkeit. Als wir zurückgerudert kamen war es ſpät ge⸗ worden. Der Mond ſchien hell. Ehe wir unſern Wagen erreichten mußten wir eine Strecke zu Fuß gehen, über einen Hügelrücken, einen ſchmalen Weg entlang, den dichtes Gebüſch an beiden Seiten einfaßte. Hin und wieder eine Pinie oder Eiche. Hinter uns das Meer im Mondlicht. Und während wir dahinſchritten ſchimmerten, ſchwebend und ſchwärmend Tauſende und Abertauſende von Lucciola (Glühwürmchen) um uns her, in lautloſer Schönheit. Oder waren es leuchtende Blumenſeelen, die die leidenſchaftlich zärtliche Luft zum Leben entküßt, oder Sterne, die von den ſehnſüchtigen Melodien dieſer 363 Sommernacht aus ihren kalten Höhen herabgelockt, in's Tanzen geriethen? und meine Seele tanzte mit, meine leuchtende, ſchwärmende, ſchwebende, außer ſich gerathende Seele. Jedes Blatt am Baum, jeder Kieſel am Weg ſchien den Athem anzuhalten, um in Wonne zu ſchauern. Ich auch, ich auch. Als wir in's Dorf zurückkamen, von dem wir ausgerudert waren, tummelte ſich noch jung und alt auf der engen Gaſſe. Ein reizendes, junges Mädchen lief quer über den Weg, breitete die Arme aus, als wollte ſie uns nicht durchlaſſen, und ſang unter ſchelmiſchem Lachen: „Sul mare lucica, l'astro d'argento“ . . . Und fort war ſie wie der Wind. Und alt und jung drängte ſich, als wir abfuhren, um den Wagen. Viele kannten Adalbert, und es war ein Händeſchütteln, ein Grüßen, Scherzen und Lachen, eine naive, herzliche Zuthunlichkeit ohne Zudringlichkeit. Dieſe Leute waren wie trunken von Mondſchein und Liebenswürdigkeit, von Grazie und ſchöner Menſchlichkeit. Sie bettelten wohl auch ein wenig dazwiſchen, aber nicht ſehr. Nie habe ich eine ſolche Zärtlichkeit für das ganze Menſchengeſchlecht empfunden wie an dieſem Abend, nie ein tieferes Gefühl der Zuſammengehörig⸗ keit Aller. Und nun ging es eine lange Strecke immer am Meer entlang. Der Wind hatte ſich erhoben und es begann zu rauſchen. Irgendwo tauchte eine Inſel auf. Lang hingeſtreckt ruhte ſie wie ein Rieſen⸗ 364 ſarkophag auf dem Waſſer. Sie war bewohnt. Wir ſahen Lichter am Ufer. Ihre langen, tief ſich nieder⸗ ſenkenden Reflexe im Waſſer ſchienen goldene Kande⸗ laber, auf denen ſtille Flammen zu einer düſter geiſter⸗ haften Feier brannten. Das Rauſchen des Meeres — Orgelklänge. Ich weiß nicht welche Gedankenverbindung es war, ich mußte an die Waldeinſamkeit des Tiek'ſchen Märchens denken, und an die Vergißmeinnicht, die ich am Schafgraben pflückte, und an die goldenen Eier des Vogels Wunderhold und — merkwürdig — ich beſann mich gerade wie die Bertha im „Egbert auf den Namen des Hündchens, und gerade wie Bertha konnte ich nicht darauf kommen. Aber dieſe Meereseinſamkeit war tiefer, feier⸗ licher als die Waldeinſamkeit mit ihren heimlichen, unheimlichen Schauern. Mein Kopf ruhte an ſeiner Schulter, ſeine Hand an meiner Wange, grenzenloſes Glück überflutete mich und wie ſtille Flammen aus goldenem Candelaber ſtiegen lautlos, wortlos Hymnen aus meinem Herzen in den Mondzauber der Nachteinſamkeit empor. Ich fühlte, dieſer Abend war ein Höhepunkt. Nie würde eine ſolche Stunde wiederkehren, nie mehr ein ſolcher Vollmond mir ſcheinen, nie würde mein ganzes Weſen in ſo taumelnder Seligkeit von den Jubelchören der Schönheit und Liebe emporgehoben, das Leben in ſo vollen Zügen in ſich trinken. Und allmählich ſtreckte ſich ein Schatten von Schwermuth aus der Meertiefe, und umfing mich ſacht. 365 Und plötzlich fiel mir auf die Seele was mir bis dahin nicht zum Bewußtſein gekommen war: Adalbert war in dieſen ſonnen⸗ und mondtrunkenen Stunden, an dieſem Tag Aphrodite's mit mir nicht eins in der Empfindung geweſen. Nur rythmiſch bewegt war er geweſen und gerührt, eine Rührung voll edlen Maßes. Er hatte im Laufe des Tages viel Wein getrunken, und war müde geworden. „Adalbert“, ſagte ich leiſe, und blickte zu ihm auf. Er war eingeſchlafen. Er ſchlief, während das Meer Wunder rauſchte, er ſchlief, während der Mond wie eine große, ſehnſüchtige Thräne am Himmel hing, und ſilberne Tropfen über das dunkle Meer hinträufelte. Er ſchlief, während alle meine Sinne wach waren, glühend wach. Ich ſah ihn an. Der Mond ſchien ihm hell in's Geſicht. Ich erſchrak. War er das? Adalbert? Nichts beſonders, nur er ſah gewöhnlich aus, ſo ſehr ge⸗ wöhnlich; das dünne Haar klebte leicht an den Schläfen feſt. Seine Züge waren nicht fein, eher grob. Er war ſchlafend ſo ganz entgeiſtigt. Wir ließen das Meer jetzt hinter uns. Gewölk zog über den Mond. Ich ſah ſeine Züge nicht mehr. Ich war allein. Ich verlor mich in Sinnen. Ich ſann über ihn und mich. Und ich ſagte mir: wenn Du älter ge⸗ worden, und nicht mehr ſchön biſt, ſo wird er Dich nicht mehr lieben. Und wenn er älter geworden iſt? 366 wird er nicht das bischen ſchöne Heidenthum, das er in Rom erworben, wieder abthun? und — wer weiß — vielleicht bin ich dann auch nur in ſeiner Erinnerung ein heidniſcher Einfall geweſen, ein Bild aus einem Dyoniſusfeſt. Er trinkt viel und gern die italieniſchen Weine, beſonders den goldklaren Chianti. Er trinkt ohne Durſt, mit einem äſthetiſchen Genuß. Aus einem ſchön geſchliffenen Kelchglas trinkt er, daß ich ihm geſchenkt habe. Aber der Wein erhöht ſeine Lebens⸗ geiſter nicht. So meine ich, fehlt es ihm auch in der Liebe an ächtem, unbezwinglichem Durſt. Er trinkt ſeine Empfindungen — auch gewiſſermaßen aus cryſtallener Schale — mit ſanftem äſthetiſchem Genießen. Wie jenem König Midas ſich alles in Gold ver⸗ wandelte, ſo ſind alle ſeine Lebensbethätigungen von Kunſt durchſchimmert, darum fehlt es ihnen an Ur⸗ ſprünglichkeit, an Mark.. Darum nahm auch die Liebe nicht ſeine ganze Seele hin. Er umrankt all ſeine Empfindungen mit feinem, künſtleriſchen Blüten. Er iſt immer Thau und Duft, ſanftes Schimmern, vornehmes Graublau, Oel in hochgehende Gefühlswogen. Und ich ſehnte mich zuweilen nach Naturlauten. Ich hätte ihn gern einmal lichterloh geſehen, geiſtig und ſeeliſch tanzend, taumelnd außer ſich gerathen. Er hatte einmal von ſich ſelbſt geſagt: „Non son nato per l'amore.“ Er ſagt oft auf italieniſch, was eine zarte Scheu ihn hindert deutſch zu ſagen. 367 Ich ſann darüber, was er damit meinte. Ich fand es. Mehr als einmal hatte er ausgeſprochen, wie innig er ſich ein Kind wünſche, einen Knaben. Er wünſchte aber eigentlich das Kind nicht, um es aus tiefſtem Gemüth heraus zu lieben, ſondern um es zu bilden, zu erziehen, ein Kunſtwerk aus ihm zu ſchaffen. Er gehört zu den Männern, die im Weibe zu⸗ meiſt die Mutter ihrer Kinder lieben. Darum meinte er, daß er nicht für die Liebe geboren ſei. Er trägt es mir in ſeinem Herzen nach, daß ich ihm kein Kind ſchenke. Er hatte es gewiſſermaßen für meine Pflicht und ſein Recht gehalten. Dann erſt hätte er mich ganz und für immer geliebt. Nicht eigentlich ein ſchöner Zug an ihm? ein Zug ſympathiſchſter, reinſter, ihm angeborener Ethik! Ich liebte ihn. Ich hätte ihm gern das Kind geſchenkt. Der Mond trat wieder hell hervor und ich ſah ihn wieder ſchlafen. Ich rüttelte ſeinen Arm: „wach auf! wach auf Und ſiehſt Du, Arnold, oft ſeitdem, wenn ich an ſeinem Arm hing, ſah ich ihn plötzlich ſchlafend mit offenem Mund und geſchloſſenen Augen, und die Vorſtellung erkältete mich. Merkte ich, daß er müde war, ſo litt ich nicht mehr, daß er zu mir heraufkam. Ich war auf der Höhe geweſen. Es ging bergab. 3681 Ein Unglückstag kam. Wir waren zur Porta Giovanni hinausgewandert, hin zu den römiſchen Gräbern. Mitten auf dem Wege blieb er plötzlich ſtehen. Er habe etwas auf dem Herzen gegen mich. Man habe ihm hinterbracht, daß ich — u. ſ. w. u. ſ. w. Daß Du's nur weißt Arnold, ich bin einem braven, trefflichen Gatten mit einem Unwürdigen (das biſt Du) davongelaufen; ich habe mein Kind im Stich gelaſſen, und nun hat die Nemeſis mich ereilt, in⸗ dem der Unwürdige wiederum mich arme Ariadne im Stich gelaſſen hat. O Arnold, widrig! widrig! Tief erregt ſagte ich ihm wie alles ſich verhielt. Ein reindenkender Menſch konnte nicht einen Augen⸗ blick an der Wahrheit meiner Worte zweifeln. Er hörte mir ruhig zu, und ſagte nichts. Sein Schweigen verletzte mich. Wir gingen eine Strecke weiter, über das uralte römiſche Pflaſter hin, bis der Weg zu Ende iſt. Er erklärte mir die Conſtruk⸗ tion der alten Waſſerleitung, die vor uns lag. Ich hörte nicht zu. Wir traten in den von Mauern um⸗ ſchloſſenen Raum, in dem ſich die kargen Reſte einer Baſilika aus dem 5. Jahrhundert befinden. Wir ſetzten uns auf eine gebrochene Säule. Die Campagna vor uns. Ich vergaß einen Augenblick mich und Adalbert, ſo ergriffen war ich von dem Pathos und der Größe dieſer Landſchaft. Ueber die röthliche, altrömiſche Mauer, die daraus emporragt, fällt ein wahrer Catarakt von Epheu. Dohm, Schickſal einer Seele. 24 369 Die Campagna iſt ſchattenlos. Keine Bäume, in denen Vögel zwitſchern, durch deren Wipfel der Sturm raſt; nicht Bäche rieſeln durch dieſe bräun⸗ lichen Wieſen, nicht Elfen tanzen darüber im Mond⸗ ſchein. Tiefe, ſtumme Einſamkeit iſt ihr Charakter. Ein Rieſenrequiem der Natur, weil die Götter alle todt ſind. Die deutſche Landſchaft ladet uns ein: Ruhe, träume, wandere! Die Campagna ſpricht: Steh und ſchaue! Ihre Stummheit aber löſt ſich, das Requiem verhallt, wenn die Sonne untergeht und die Beleuch⸗ tung Wunder an ihr wirkt. Sie iſt ihre Lieblichkeit, ihre Leidenſchaft, ihr Tiefſinn, ihre Begeiſterung. Und an dem Tage war ihr Untergehen wie ein Hinſtrömen, ein Ausſtrömen überirdiſcher Wonnen. War das nur roth, blau, grün, gelb? nur Farbe? nicht ein Klingen und Singen des Aethers? Vielleicht die Fata Morgana eines jenſeitigen Para⸗ dieſes, wo überſinnliche Blumen blühen: Feuerlilien, die aus lichten Wieſen von zarteſtem Smaragd empor⸗ tauchen, Sträuße von leuchtenden Rieſenveilchen, Schneebälle in milchweißem Glanz und — Roſen! Roſen! Roſen zart wie ein Hauch, Roſen, roth wie Blut und wie Gluth, von Erzengeln purpurngeküßte Roſen. Und die Reflexe der Roſen und Feuerlilien floſſen über die bräunlichen Lande und verklärten ſie, und in der brünſtigen Umarmung mit dem Himmels⸗ feuer empfing die Campagna ihre Seele. 370 Wahnſinnig ſchön war's. Meine Augen ſuchten Adalbert's Blicke. Hätte er mich jetzt an ſeine Bruſt gezogen, die Seelen, trunken von dieſer höchſten Schönheit, wir wären für alle Ewigkeit eins geworden. Seine Züge waren weich geworden, ſeine Augen feucht. Zärtliches Lächeln umſpielte ſeine Lippen. Er neigte ſich zu meinem Ohr und flüſterte: „Marlene, ſei wahr, ſage, daß er Dein Geliebter war. Ich liebe Dich doch. Ich ſchüttelte mich unwillkürlich. Ein Schauder lief mir durch die Glieder. Er glaubte, daß ich gelogen. Es lag wohl Verächtliches in meinem Ton, als ich ihm antwortete: „Meinetwegen, wenn Du es durchaus glauben willſt.“ Er erhob ſich ſchnell, wendete ſich von mir. Ich konnte ſein Geſicht nicht ſehen. Auf dem Heimweg ging er einige Schritte vor mir her, oder blieb hinter mir zurück. Er bot mir ſeinen Arm nicht. Ich erhielt mich kaum aufrecht. In meiner Straße gab er mir zum Abſchied die Hand. Eine Kälte ging von dieſer Hand aus. Er entfernte ſich raſch. Ich ſtieg die Treppen herauf. Ich klingelte. Eine fremde Perſon öffnete. Ein fremder Corridor lag vor mir. Ich war in ein falſches Haus gegangen. Ich kehrte um. In meinem Zimmer ſetzte ich mich vor den kalten Kamin, und verſuchte nachzudenken. 24* 371 Nein, es konnte nicht ſein; er konnte mich nicht für eine Lügnerin halten. Und jetzt litt er wohl Gewiſſensnoth. Er wollte ſich nur erſt ſammeln. Er würde wiederkommen. In wenigen Minuten würde er da ſein. Ich ſpähte zum Fenſter hinaus — nichts. So war er nach Hauſe gegangen, und erſt ſpäter, zu ſeiner gewöhnlichen Stunde zwiſchen 7—8 Uhr würde er kommen. Nein, es war nichts geſchehen. Eine Eiferſuchts⸗ ſcene, wie ſie wohl im Leben jedes Mannes unaus⸗ bleiblich iſt, und die endet ja immer mit einer Ver⸗ ſöhnung. Ich richtete mein Zimmer ſchön her. Das grüne Licht, das rothe Licht, die römiſche Lampe, alles brannte, und mein Herz auch. Ich zog mein langes blaßroſa Cachemirkleid an. Ich lernte die Qual des Wartens kennen. Seine Zeit war vorüber. Das Klopfen meines Herzens machte mir Pein. Es kam jemand die Treppe herauf. Er blieb vor der Thür ſtehen. Die kleine, dünne Glocke wurde gezogen. Jeder Nerv in mir war geſpannt. Ich ſtand mitten im Zimmer. Ich wußte, im nächſten Augenblick würde ich an ſeiner Bruſt liegen. Es klingelte zum zweiten Mal. Philomela öffnete: Die Waſchfrau. Das Warten wurde mir unerträglich. Ich zündete den Kamin an. Es rauchte etwas. Das war mir recht. Ich hatte mit dem Feuer zu thun, mit dem Rauch. Ich riß das Fenſter auf. Ich ſah hinaus. 372 Ein Menſch kam die Straße herauf, und ging dann langſam auf und ab. Ich konnte ihn vor Thränen nicht erkennen; ich glaubte aber beſtimmt, er wäre es. Ich ſtürzte ohne Hut, ohne Tuch die Treppe herunter, in den Regen hinaus. Er war es nicht. Was hatte ich denn gewollt? nur noch einmal ſeine Stimme hören. Ich ging wieder hinauf. Ich wartete nicht mehr auf ihn. Ich legte mich auf die Chaiſelongue, die auf der Terraſſe ſteht. Was er wohl jetzt treibt? dachte ich. Er ſitzt behaglich zu Hauſe, lieſt die Zeitung und trinkt Chianti. Er liebt den römiſchen Wein. Er trinkt viel Wein. Ich ſchlief ein. Etwas ſonderbar wohliges weckte mich. Wie ich die Augen öffnete war ich ganz mit Roſen bedeckt, von Duft umfloſſen. Adalbert! — rief ich. Da war er, und da waren wir verſöhnt. Ich mit ihm — nicht ganz. Es ſchien alles wie vorher. Es ſchien nur ſo. In mir war etwas anders geworden. Der Riß wäre wohl geheilt, und alles wieder in's Gleiche gekommen, wenn er nur gemerkt hätte, daß ich verändert war. Aber er merkte es nicht. Einmal ging er — es war in den Caracalla⸗ Thermen — etwas voraus. Er vertiefte ſich in einen Säulenknauf, und merkte nicht, daß ich zurückblieb. Ich war eiferſüchtig auf den Säulenknauf. Ich ſetzte mich in einem Winkel auf ein Marmorfragment. Das Schluchzen war mir nahe. Ich warf meinen Pelz⸗ kragen ab, obwohl es feucht und kühl war. Er kam 373 zurück, ſah mich nicht gleich. Seine Blicke ſuchten mich ängſtlich. Er ſchalt mich liebevoll, als er mich in dem ſchimmlichen Winkel entdeckte, und hüllte mich ſorgſam in den Pelz. Er liebte mich doch noch. Einige Tage ſpäter, als wir nach einem ſchönen Sonnenuntergang heimgingen, kam unverſehens eine Ernüchterung über mich. So viel Staub und Menſchen und Wagengeraſſel und Geſchrei in den ſpärlich er⸗ hellten Straßen. Und ſo viel Schmutz. Und Adalbert ſah müde und abgeſpannt aus. Unwillkürlich ſchweiften meine Gedanken in die Vergangenheit zurück, zu den Stunden, wo ich mit dem Gefühl der Leere und einer ungeduldigen Ver⸗ droſſenheit Hand in Hand mit Walter ſo ſteif auf dem Sopha ſaß, oder wo wir uns auf unſern Spazier⸗ gängen ſo gar nichts zu ſagen hatten. War es möglich, daß jetzt eine ähnliche Stimmung mich beſchlich? Zwiſchen mir und Walter fehlte jedes Seelenband, jede ethiſche Gemeinſchaft, und zwiſchen mir und Adalbert — vielleicht — — Wir gingen wieder vor einem der Thore Rom's ſpazieren. Zwiſchen hohen Mauern, hinter denen die wundervollen Villengärten liegen, blieben wir be⸗ wundernd vor einem uralten Portal ſtehen. 374 In einiger Entfernung ſahen wir einen römiſchen Laſtwagen halten. Plötzlich kamen in wilder Jagd zwei Hunde auf uns zugelaufen. Raubthierartig und gefährlich ſahen ſie aus. Mit heulendem Bellen umkreiſten ſie uns. Keine Möglichkeit ihnen zu entkommen. Halb todt vor Angſt klammerte ich mich an ſeinen Arm. Die Angſt preßte mir einen Schrei aus. „Still, keinen Laut,“ ſagte er. Seine Stimme klang heiſer, rauh, ſein Blick war böſe, ſeine Mienen verzerrt. Wir thaten einige Schritte vorwärts, von den Beſtien umheult. Da fühlte ich, fühlte mit unheimlicher, vernichten⸗ der Deutlichkeit, daß er mich ſacht von ſich drängte. Er wußte es vielleicht ſelbſt nicht. Und mit ebenſo unheimlicher vernichtender Deutlichkeit war ich mir bewußt, daß er mich preisgeben würde, wenn ich ſeiner Rettung im Wege ſtände. Ich empfand keine Furcht mehr, das war ja etwas Fürchterlicheres als die Hunde, dieſer Mann, der in bleicher Furcht mich von ſich drängte. Ein ſchriller Pfiff ertönte vom Laſtwagen her. Die Hunde liefen davon. Ich that ſo gelaſſen. Ganz ſtill und langſam ging ich neben ihm her. Ahnte er, was in mir vor⸗ ging? Vor meiner Thür fragte er nicht, ob er mit hinaufkommen dürfe. Die Treppen wurden mir ſchwer. Als Philomela öffnete ſagte ich ihr, ich wäre hungrig, ſie möchte mir 375 etwas Gutes zu eſſen geben. Warum ich das log, Gott weiß es. Was war denn geſchehen? Nichts der Rede werthes. Ich ſank auf der Chaiſelongue zuſammen. Ich verſuchte zu gähnen. Ein ſo affektirtes Gähnen. Es war doch etwas geſchehen. Mein Blick fiel in den Spiegel. Ich erſchrak. Ganz alt und häßlich ſah ich aus, und — ich hatte ja Charlotte's Zug um den Mund, der immer war, als hätte ſie etwas Widriges verſchluckt. Sonderbar, als er der ſchönen Fürſtin als Cicerone diente, hatte ich ihm auf's Wort geglaubt, daß er mich nicht geſehen. Jetzt wußt ich's beſſer, er hatte mich geſehen. Es war etwas geſchehen. Abends im Bett konnte ich nicht einſchlafen. Plötzlich hörte ich deutlich neben mir: „Marlene“. Mit einem Ruck ſaß ich aufrecht im Bett. Er! war er dar Unſinn! Ich mußte lachen. Schlafe doch — — mit einem mal fiel mir der längſt vergeſſene Name „Pippe“ ein. Und ich ſagte laut zu mir ſelber: Schlaf doch Pippe! So recht mit Hohn ſagte ich's. Philemela mußte ihm am andern Tage, als er kam, ſagen, ich ſei krank, und würde ſchreiben, wann ich ihn ſehen könne. Ich ſchrieb nicht. Er fragte noch einige Male nach mir. Das letzte Mal hinterließ er eine Zeile, 376 er reiſe auf einige Wochen nach Neapel, hoffe mich bei ſeiner Rückkehr geſund anzutreffen. In einer Zeitung hatte ich geleſen, die Fürſtin N. N. ſei nach Neapel abgereiſt. Ich werde ihn nicht wiederſehen. Ich will nicht. Auf der Madonna krächzte der Rabe. Nevermore. Ich habe wieder einen Todten begraben. Dieſer kleine Vorfall war nur der letzte Schatten der den letzten Glanz von ſeinem Bilde löſchte. Nicht wahr, ſie klingt kindiſch dieſe Geſchichte mit den Hunden? weil es Hunde waren? Nicht daſſelbe, wenn die Hunde Löwen geweſen wären, oder wenn er bei einer Sturmfluth oder einer Feuersbrunſt über ſeine Gefahr die meinige vergeſſen hätte? Es hätte nur tragiſcher oder romantiſcher geklungen. Der Seelen⸗ vorgang wäre derſelbe geweſen. Die feige Selbſtſucht paßte ſo wenig zu dem Mann, dem die Natur das Gepräge des Seelenadels verliehen. Oder — war Falſchmünzerei dabei? Spiegelten ſeine Augen eine Seele, lächelten ſeine Lippen einen Liebreiz, die nicht in ihm waren? Er, der alles, was plebejiſch und unſchön war ſo ſchroff ablehnte, er war in die Häßlichkeit der Furcht ver⸗ fallen, und er ahnte, daß ich ſeine Häßlichkeit em⸗ pfunden. Das würde er mir nie vergeben haben — dieſer Sklave der Schönheit. Aber — ich verleumde mich Arnold. Nein — 377 nicht, daß er ſich einen Augenblick lieblos feige gezeigt, nicht daß er im Schlaf ſo gewöhnlich ausſah, nicht daß ſeine Art ſo zahm und glatt war, entfremdete ihn mir ſo ganz. Entfremdete? war ich denn je ſo recht vertraut mit ihm geweſen? ſo ganz intim? das iſts: Wir waren nicht eins in Geſinnung, im Geiſt. Nie um⸗ ſchlangen ſich unſere Geiſter. Alſo auch nur eine Gelegenheitsliebe, in der Pſyche, wie das Mädchen aus der Fremde, ſich nicht lange aufhält. Was wußte ich denn von ihm? daß er einen feinen Sinn für Natur und Kunſt hatte, eine Stimme, die wie eine Liebkoſung war, und Augen — magnetiſche, herzgewinnende. Seine ſozialen⸗ und ſeine Welt⸗ Anſchauungen aber barg er in des Buſen's Tiefe. Und doch wußte ich nun plötzlich, daß ſeine Denkungs⸗ art eine durch und durch konſervative, daß er gottes⸗ gläubig war, und ſtreng denkend auf ethiſchem Ge⸗ biet. Und er verrieth ſeinen Gott und ſeine Ueber⸗ zeugungen durch ſein Schweigen. Und ſeine Be⸗ ziehungen zu mir hielt er aufrecht, gegen ſein Ge⸗ wiſſen. Ohne Tapferkeit und ohne Aufrichtigkeit war er. Ganz heimlich wußte ich es längſt. Ich hatte es nicht wiſſen wollen. Und die Fürſtin mit den Vampyrlippen? Sein Geheimniß, ein vornehmes Geheimniß, das einmal ſeine Augen, nie ſein Mund verrieth. Ich habe wieder Augenblicke des Hellſehns. Glaube mir Arnold, ganz gewiß, er hat nur anfangs ſeinen Namen nicht genannt, weil er ſo gar gewöhnlich und 378 trivial iſt. Und wahrſcheinlich iſt er Lehrer an einer Mädchenſchule geweſen. Alles, alles ſah ich nun anders, als wenn eine Thür in meinem Innern zugefallen, und eine andere ſich aufgethan hätte. Die Zugefallene führte zu ſonnen⸗ beſtrahlten Luſtgefilden, die offene in tiefe Gründe. Entgeiſtert alles. Entgeiſtert weil ich in der Liebe eine Enttäuſchung erfahren? Nein Arnold, gewiß nicht. Dieſe Enttäuſchung hat nur den Anſtoß gegeben zu großen inneren, ſchmerzlichen Erfahrungen. Daß es meiner und Adalbert's Liebe an Kraft und Tiefe fehlte, daß ich mich nun nicht mehr in ſeliger Verſunkenheit an ihm aufranken, nicht mehr die ſchmachtende Innigkeit ſeiner Augen, nicht mehr die Melodien ſeiner ſingenden Lippen in mich trinken konnte, das machte mich wohl traurig, aber es wendete und wandelte mir die Seele nicht. Das aber wandelte ſie mir, daß ich irre wurde an der Aechtheit, den Werth und die Wahrheit aller menſchlichen Empfin⸗ dungen. Das ließ mich ſchaudern, daß wir immer wieder von uns ſelber Abſchied nehmen, von dem, was wir für einen Lebensinhalt hielten; daß auf neue Freuden immer neue Gräber folgen. 379 und kann doch daran nichts ändern. Ich trauere um die Untreue meiner Empfindungen, An was ſoll ich noch glauben, wenn dieſe Liebe nicht ächt, wenn meine Begeiſterung für Rom nicht ächt war! Und kann ächt ſein, was heute roth und morgen todt iſt? Es iſt ja möglich, daß unſer Gemüth andere Zeitbegriffe hat, wie unſer Verſtand, und ich habe ihn in den fünf Monaten eine halbe Ewigkeit geliebt, wie es ja Lebeweſen giebt, deren ganzes Daſein ſich in 24 Stunden vollendet. Viel Aberglauben iſt in Rom von mir abgefallen, und auch viel Glauben. Ich habe Abſchied genommen von dem Glauben an den idealen Kern der Liebe zwiſchen Mann und Weib. Wer hat ſie denn auf den Thron geſetzt, dieſe Liebe? Ich kenne nun alle ihre Stadien, ihre Tempe⸗ ramente, ich kenne ſie, und ich achte ſie gering. Zuweilen meine ich, es iſt eine widrige Unkeuſch⸗ heit ein ſolches Gewicht auf Naturtriebe zu legen, mögen ſie in Purpur und Gold, oder in lilienweiße Gewande ſich kleiden, damit ſie ſich können ſehen laſſen, mögen ſie ſich in pſychologiſche Feinheiten ein⸗ ſchleiern, weil ſie ſich ihrer einfachen, groben Struktur ſchämen. Abwechſelnd verweiſt man dieſe Triebe in die Hölle oder in den Himmel. Die Wahrheit wird wohl wieder in der Mitte liegen. So menſchlich ſind ſie, nur zu menſchlich. Junge Mädchen heirathen aus leidenſchaftlicher 380 Liebe Männer, die jeder edlen, liebenswerthen Eigen⸗ ſchaft baar ſind. Männer ſchießen ſich todt, weil verbuhlte Weiber ſich ihnen verſagen. Wir wiſſen es ja alle (warum thun wir denn, als wüßten wir es nicht?) daß zumeiſt der Zufall über Lieben und Nichtlieben entſcheidet. Liegt leicht brennbares Material bereit — ein Funke, und es lodert auf, ob der Funke der zündet, aus einer Mondſcheinnacht, einem ſchönen Geſicht, einer Champagnerlauue, einem allzuſchweren Herzen, einem wilden Traum von ihr zu ihm, von ihm zu ihr ſprüht. Und ſolche Liebe iſt es, die Tragödien und Selbſtmorde, die die ſchönſten lyriſchen Gedichte und die unglücklichſten Ehen zuwege bringt. Und weil meine Liebe eine Suggeſtion Rom's, ein Reflex der Sonne und Pracht des Südens war, darum rauſchte ſie hier in einem ſolchen Strom ſchwellender Zärtlichkeit. Feuerzauber, colorirte Selig⸗ keiten. Es ſcheint, ich liebte ihn nur, wenn der Himmel roth, blau oder grün war, wenn Orangen und Roſen mich umdufteten, laue Lüfte mich umkoſten; in grauer ſtumpfer Dämmerung aber, oder wenn es regnete blieb mein Herz auch grau und ſtumpf. Ich liebte ihn wie den Sonnenuntergang oder Erdbeeren mit Schlagſahne, nur mit einem Gradunterſchied. Der Untergrund immer derſelbe: Sinnentrieb. Ich weiß ja, daß auch die Sinnentriebe eine Schickſalsnothwendigkeit, ein Müſſen der Natur ſind, ein Aus⸗ und Ueberſtrömen von Kräften. Wie 381 Wellen des Meeres fluten ſie auf und ab, und drängen hin zu einem Ufer, und wenn der Wind ſtark iſt, umklammern ſie es inbrünſtig, und fluten zurück, ins Meer hinaus zu andern Ufern, und Perlen und Pflanzen, Verweſtes und Trümmer tragen ſie mit ſich fort, ohne Wollen, ohne Wahl — ein Natur⸗ müſſen, eine Schickſalsnothwendigkeit. Nicht herabziehende Vorſtellungen? Und die Frage drängt ſich auf unſere Lippen: iſt das alles? Sage Arnold, ſind denn ſolche Erregungen werth von Dauer zu ſein? Immer nur er und ich! Und plötzlich kam mir noch ein andrer Gedanke, ein greulicher. Nicht einmal er und ich. Nur ich. Hatten meine Wünſche, meine Träume, meine heiße Sehnſucht ihn nicht erſt — da ich ihm zufällig be⸗ gegnete — gerufen, gleichſam geſchaffen? Ach Gott, ich bin dem Echo meiner eigenen Stimme nachgelaufen. Bin ich, ſind wir alle etwa dem Nar⸗ ciß gleich, der ſich in ſein eigenes Bild verliebt? Und ich kauerte auf dem friſchen Grabe meiner Liebe mit einer großen Sehnſucht nach einer geiſtigeren Exiſtenz, nach etwas, das nicht alt wird, nicht ab⸗ ſtirbt, das immer wiederkehrt, nach Immergrünendem, Immerblühendem. Und Rom! Rom, das ſich mir entgötterte. Ich ſtand wieder auf Pietro in Montorio, ich 382 fuhr durch die Campagna. Ich ſah wieder herrliche Sonnenuntergänge — der Zauberglanz einer Viertel⸗ ſtunde. Im Grunde waren ja dieſe Farbenwunder doch nur optiſche Farbenſpiele, und nicht ſo wichtig und nicht ſo groß, um Entzückungen daran zu ver⸗ ſchwenden, Offenbarungen von ihnen zu heiſchen. In fahler Dämmerung, im Staub und Menſchengewühl ſchlich ich trübe nach Hauſe. Ich ging wieder in die Villengärten, durch Eichen⸗ und Lorbeerhaine, und ich phantaſirte Bachanten⸗ züge und Mänaden hinein, die in wüthender Brunſt Lebende zerriſſen und die Bäume verſtümmelten. Aus allem Lebendigen um mich her grinſte mich Todtes an, oder etwas, das bald todt ſein würde, oder es lebt nur ſo ſchattenhaft. Die Campagna — tödtete ſie nicht alljährlich Hunderte mit ihrem giftigen Athem? Die Ruinen, ſie erweckten mir nicht mehr die Vorſtellung von Göttern, Muſen, Triumphzügen. Durch dieſe grandioſen Portale ſchritten ja wahn⸗ ſinnige Cäſaren, die ſich für Götter hielten. Ich dachte der Tauſende und Abertauſende von Sklaven, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte, unter der Peitſche erbarmungsloſer Aufſeher, frohnden muß⸗ ten, um für menſchliche Raubthiere Rieſenburgen zu thürmen, während ſie ſelbſt in Hundelöchern unter⸗ krochen. Ich kam wieder an jene Stelle, wo die Mauer blutig roth geſprenkelt iſt. Etwas huſchte an mir vorbei: eine Fledermaus, oder eine Eidechſe, oder ein 383 Windſtoß, der ſich in einer Spalte verfing, oder die Schatten von Furien, die Mord witterten. Im Koloſſeum blickte ich voll Grauen in die tiefen vergitterten Löcher, in die man die zuckenden menſchlichen Ueberreſte der Gladiatoren hinabgeſtürzt. Furien! Unwillkührlich mied ich die heiteren und ſuchte die düſteren Orte auf, die mit meiner Stimmung im Einklang ſtanden. In die Todtenkammer der Kapu⸗ ziner hatte er mich nicht führen wollen. Nun ging ich allein hin. All dieſe ſtehenden, liegenden, grinſenden und zähnefletſchenden Mönche ſind halbvertrocknete Mumien in ihren Ordenstrachten, die Kreuze in den Händen, in der Stellung von Lebendigen. Und das iſt eben das Gräßliche, daß aus dieſen leeren Augenhöhlen noch eine Seele ſtiert. Dieſe reichen Ornamente, dieſe Kronenleuchter und Kandelaber, ſie ſind aus Menſchenknochen geformt, dieſe Niſchen und dieſe Lauben bilden eine Todten⸗ architektur von grauenhafter Symmetrie. Da iſt ein Altar, ganz aus Schulterknochen errichtet, als Franzen hängen und baumeln kleine Fingerglieder herunter; wenn ein Windzug durch das offene Fenſter ſtreicht, ſo klingen ſie zuſammen, grauſige, grauſige Todten⸗ glöcklein. Dieſe armen, an's Licht gezerrten Todtenreſte, dürfen nicht Aſche werden. Den Fremden Trink⸗ gelder zu entlocken, und ihnen das Gruſeln zu lehren iſt ihre Beſtimmung. Was für eine gottloſe Phan⸗ 384 taſie trieb dieſe Mönche dazu, den Tod zu einer tragiſchen Fratze zu verzerren? und das ſind die⸗ ſelben Prieſter, die ſich fanatiſch der Verbrennung der Todten, als einer Religionsentweihung, wider⸗ ſetzen. — Mit einer Art finſteren Trotzes konnte ich vom Tod und Sterben nicht genug bekommen. Ich ging in's Kloſter St. Stefano di Rotonda. Wie dort der Tod, iſt hier das Sterben entweiht: eine Mörder⸗ grube. Alle Wände ſind mit Fresken bemalt, die alle denkbaren Martern der chriſtlichen Märtyrer dar⸗ ſtellen. Der Anblick ſo maſſenhafter Qualen jagte mir eiſiges Entſetzen durch das Blut. Daß der Maler, der dieſe Bilder malte, nicht wahnſinnig wurde, als er ſich in dieſe Martern ver⸗ tiefte! Und dieſe von Blut triefenden Bilder, ſollen fromme Erhebung bewirken? Eher predigen ſie Menſchen⸗ haß, denn Menſchen waren dieſe Henker, die ihre Brüder, ihre Schweſtern ſchlachteten! Furien ſchütteln ihre Schlangenhaare. Ich ſah wieder Prozeſſionen, ich ſtand wieder auf dem Platz vor St. Peter, als unabſehbare Menſchen⸗ mengen ſich zu einer Cardinalsernennung drängten. Und diesmal ſchaute ich finſter auf all die Pracht⸗ entfaltung, auf dieſe vornehmen Prieſter mit den ſouveränen Gebärden, die ſich ihre purpurnen Schleppen tragen laſſen. Was haben dieſe Monſeigneur's mit Chriſti Lehre gemein, der Armuth und Entſagung predigte? Dohm, Schickſal einer Seele. 25 385 In der ſchauerlichen Abgeſchiedenheit der Katakomben hielten die erſten Chriſten ihren Gottesdienſt, und Jeſus ritt auf einem Eſelein durch Jeruſalem. Nun erſchien mir dieſes Gepränge, dieſes Gemiſch von Soldaten, Symbolik, Geheimniß und Hochmuth, dieſe mittelalterlichen Hellebardiere, dieſe ſpaniſchen Ritter, Edelknaben, wie ein weltgeſchichtlicher Carne⸗ val, ein abenteuerlicher Anachronismus. Und er gemahnte mich an jene, in vollen Rüſtungen auf⸗ recht ſtehenden oder hoch zu Roß ſitzenden Ritter, die uns in alten Waffenſälen, Schlöſſern und Muſeen mit geheimen Schauder erfüllen, weil ſie Leben und Wirklichkeit heucheln, und wir doch wiſſen, daß ſie todt ſind. Und plötzlich kam mir ein Gedanke, ein lähmender: das Volk will den Glanz, er gehört bei ihm zur Frömmig⸗ keit; es würde ſeiner Religioſität Abbruch thun, wenn die ganze Geiſtlichkeit nur aus armen baarfüßigen Kapuzinern beſtände. Das Volk will mit ſeiner Religion Staat machen. Die Frömmigkeit des Volkes iſt Kirchlichkeit. Das Krucifix mit ſeiner tiefen Symbolik iſt ihm Schauluſt. Meſſe und Kirchenmuſik, Hörluſt. Von Jeſu Lehren weiß es nichts. Und die Büßenden, die keuchend die scala santa hinaufknieen, veredelt die Pönitenz ſie? Sündigen ſie hinfort nicht mehr? Warum denn nicht? Die scala santa iſt ja immer da. Und der Beichtſtuhl auch. Neue Sünden werden immer neu vergeben. O wunderthätige Glaubens⸗ 386 kraft, ſchrieb ich einmal, heut ſchreibe ich: O Kirchen⸗ handel! O Sakrileg! Wer nicht von innen büßt, wird nimmermehr entſühnt. Wie konnte ich nur dieſes Volk noch vor wenigen Wochen um ſeine Kindlichkeit, ſeine Genußfähigkeit beneiden, dieſe Männer, die immer ſchreien und ſpucken, und ohne Scham ſind, dieſe Frauen, die zu jeder Tageszeit mit ſtruppigen Köpfen, in ſchmutzige Tücher gehüllt, aus den Fenſtern ſehen, oder vor den Thüren kauern. Ich dachte an das unſinnige Ge⸗ ſchmettere auf der Piazza Navona, an das Jahrmarkts⸗ treiben auf den Kirchentreppen Ara⸗Cölis, an die Madonnen⸗Proceſſion mit den weißen Tauben. Und ich hatte darüber gelacht. War ſie nicht zum weinen, dieſe barbariſche Kindlichkeit! Die grenzenloſe geiſtige und phyſiſche Noth dieſes Volkes hatte ich wie ein unterhaltſames, zuweilen mit einer tragiſchen Nüance gewürztes Schauſpiel genoſſen! Die phyſiſche Miſere! Ach Arnold, ich brauchte das Schmerzlichſte, Troſtloſeſte nicht aufzuſuchen. Ich brauchte nicht ins Ghetto, nicht in St. Stefano zu laufen. Ich hatte es ja vor Augen, immer, immer, auf Schritt und Tritt. Die Bettler! Die Bettler Roms! Sind es Hunderte? Tauſende? Hunderttauſende? Wohin ich den Fuß ſetze, ich bin von ihnen umdrängt, umheult. 25* 387 Sie verbrennen mir das Herz. Ihr Anblick, ihre ungeheure Zahl erregen Entſetzen. Oft lagen ſie da, in ſcheußliche Klumpen geballt, ohne Arme und Beine, blind, mit Ausſatz, einer Schmutzkruſte, mit ekelhaften Lumpen bedeckt. Meine paar Soldi's waren ſo bald vergeben. Dann hielt ich dieſes wahnſinnige, gierige Betteln, dieſes Gekreiſch oder dieſes Wimmern nicht aus, und ſchämte mich doch meines Ekels, meines Haſſes. Sah ich auf der einen Seite ein armes Weib mit einem Kinde oder einen Einbeinigen ſich heranſchlängeln, ſo lief ich auf die andere Seite, ich hielt mir die Ohren zu, ihr böſes Murmeln, wenn ich nichts gab, gellte mir wie ein Fluch in die Ohren. Ich war immer auf der Flucht, als hätte ich Verfolger hinter mir. Und es waren auch Verfolger. Und mein böſes Gewiſſen war auch dabei. Die Schuld, die alle, alle, die die ganze Menſchheit an dieſer Hungeragonie trägt, ich habe ja Antheil daran. Auf unſerer aller Ferſen: Furien! Furien! Mit Qual, mit Grauſen empfand ich ihre Nähe. Sie vertreiben mich aus Rom, die Bettler! Meines Bleibens hier wäre nur, wenn ich mich daran gewöhnen könnte die Menſchen zu ſehen, wie man die Natur ſieht. Blutende Wunden und brechende Herzen nicht anders als etwa verſengte, aufgeriſſene Erdrinde, Klagen und Schluchzen — ein Sturm, der vorüberbrauſt; Hungernde und Dürſtende gleich Pflanzen, die kein Thau und kein Regen netzt, und die darum welken müſſen. 388 Warum duldet der Staat dieſes Fürchterliche? warum die Nation? warum die Menſchheit? warum vor allem die Kirche? Die Kirche, dieſer Atlas, der wenn nicht die ganze, ſo doch die halbe Welt auf ſeinen Titanenſchultern trägt. Die römiſche Kirche hat eherne Lungen. Warum erſchüttert ſie damit nicht die Welt, und ruft ſie auf zu einem neuen großen Kreuzzug der Menſchlichkeit! Freilich, Prälaten, die ſich purpurne Schleppen tragen laſſen, taugen dazu nicht. Sie vertheilt ja Suppen und Soldi's, die römiſche Kirche. Zum Lachen! nein, zum Weinen — Thränen von Blut. Und ich, ich konnte inmitten dieſes Jammers in Schönheit ſchwelgen! Wäre ich ein Mann voll ſtarker Kraft, ich würde mein Leben daran ſetzen, dieſe Welt aus den Angeln zu heben. Wolf Brant, der wollte es. Er erfror im Schneeſturm. Wolf Brant! wie kleinlich beurtheilte ich ihn. Weil er einmal einen ſinnlichen Trieb nicht zu zügeln wußte, ſtieß ich ihn zurück. Die Tiefe ſeiner Seelen⸗ kraft ermaß ich nicht. Nun denke ich in ſeinen Spuren. Und je mehr ich denke, je mehr ſtaune ich. Nein, hier in Rom iſt meines Bleibens nicht. Auf der einen Seite der Anblick des Maſſenelends, der mir Schauder auf Schauder durch den Leib jagt, 389 auf der anderen Seite die Sinnenſchönheit, die in goldene Schleier Geiſt und Seele einſpinnt. Giebt es nur Schönheit in Farben, Formen, Tönen? Der berauſchenſte Duft, das ſüßeſte Getön, der zärtlichſte Blick, die koſendſte Stimme — nicht Sinnenzauber? Und die Götter ſelbſt, die ſo herrlich hier in Marmor prangen, nicht falſche Götter? Zu viel Leib. Zu heidniſch ſchön, zu fern dem Chriſtusideal. Götter, die ſelber liebten und zeugten wie die Menſchen! Kann ich nur einen Menſchen, nur einen Mann lieben? Können wir nicht Ideen zärtlich hegen wie einen Geliebten? Giebt es nicht ein begeiſterndes Erkennen, vor dem der herrlichſte Sonnenuntergang verblaßt, und die Umarmung des Geliebten auch? Im Norden habe ich mich immer nach der Sonne des Südens geſehnt, nun verlange ich nach geiſtiger Sonne. „Hat denn das Daſein überhaupt einen Sinnk Schopenhauer wirft die Frage auf. Noch hat ſie niemand gelöſt; ſie zu löſen, daran arbeiten ſeit Jahr⸗ tauſenden die erleſenſten Gehirne. Und alle ſuchen den Kern des Menſchendaſeins, den Kern, der in die Ewigkeit hineinragt. Der Kapuziner, der alte Jude im Ghetto, vielleicht auch der weiße, todte Baum in der Doria Pamphili, die wußten etwas vom Sinn des Daſeins, und die Sphynx — . 390 Ich wurde wieder aus einer Kapelle fortgewieſen, weil irgend eine heilige Reliquie Weibern nicht ge⸗ zeigt werden durfte. Und über dem Altar dieſer Kapelle hing eine Madonna mit der himmliſchſten Hoheit im vergeiſtigſten Antlitz. Ich, an Stelle dieſer Madonna hätte, anſtatt vergeiſtigt auszuſehen, wie ein Drache Feuer geſpien. Draußen ſah ich wieder auf dem Wege Schaaren von Prieſtern, murmelnd, betend, auswendiglernend. Frauen mit ſchwerbepackten Körben auf den Köpfen begegneten mir. Ich ſah in Oſterien Männer, Karten ſpielend, Mora ſpielend, trinkend, ſpuckend. Es fiel mir ein, daß Adalbert ſich immer nur einen Knaben gewünſcht hatte, um das Kunſtwerk eines edelſchönen Menſchen aus ihm herauszubilden. Mädchen waren nicht der Mühe werth. Langſam ſtieg mir die Röthe der Scham in's Geſicht. Jaſon, ich weiß ein Lied. Ich weiß etwas, was Andere nicht wiſſen, oder wenn ſie es wiſſen, ſagen ſie es nicht. Vermorſchtes hält zuſammen, ſo lange es ein⸗ geſargt bleibt, ſei es in einem menſchlichen Gehirn, ſei es in ſtarren Sitten, ſei es in einem wirklichen Sarge. In Luft und Licht gelangt, zerfällts in Staub. Klug iſt die Zeit, ſo klug! Unaufhaltſam ſchreitet ſie ihrem Ziel zu. Aber die Zeit hat auch ihre unge⸗ heuren Dummheiten, ihre Geſpenſterkammern wie auch die klügſten der Menſchen ſie haben. Und eine dieſer 391 Jahrhunderte⸗Dummheiten will nun in Luft und Licht gelangen, und in Staub zerfallen wird ein Rieſen⸗ Ghetto der Welt. Lied der Medea nicht hören. Du wirſt das meine Jaſon, ich weiß ein Lied! Jaſon wollte das auch nicht hören wollen. Der Text verſchwimmt mir noch, die Melodie aber rauſcht wie mit Pſalter und Harfe durch meine Seele. Unter ihrem Zauber verwandelt ſich alles. Was ſchläft, wird erwachen, was krank iſt, geſunden, und die bis jetzt nur am Saum des Lebens entlang krochen, ſie ſollen aufrechte, ſtarke, ſtolze Menſchen werden. Lange, lange ſchon waren ein ſchmerzliches Grübeln und Wühlen, eine heiß ringende Auflehnung latent in mir geweſen. Aber ich bin wie die Pflanzen, die den Wind brauchen, damit er den Blüthenſtaub zur Befruchtung weiter trage. Der Wind weht! Der Wind weht! Der Wind iſt, was ich innerlich und äußerlich in Rom erlebte, Wind all meine bitterſten Ent⸗ täuſchungen hier über Menſchen, Volk, Religion, Wind vor allem die Verzweiflung an mir ſelber. (So überreich an quellender Innerlichkeit ſind viele viele Frauen, aber ſie können zu ihrer eigentlichen Individualität nicht kommen. Umdornt von Vor⸗ urtheilen, bleiben ſie Fremdlinge der Menſchheit, und leben ein fremdes, nicht ihr eigenes Leben; arme Luft⸗ ſchifferinnen, die man nich landen läßt, wo blühende Geſtade ihnen winken. Und da ſtürzen Viele, Viele 392 hinab, gleichviel wohin, in's Weltmeer vielleicht, wo Wellen ſie begraben, auf Felſen, wo ſie zerſchmettern, in Wüſten hinein, wo ſie verhungern, wie ich — wie ich. Warum iſt mein Leben ſo leer und unſtät ge⸗ weſen? Ich weiß es jetzt. All die Träumereien meiner jungen Jahre, die mir das Mark ausſogen — Noth⸗ anker einer Seele, die an das Heimathsufer nicht durfte. All die Liebeleien mit Menſchen, an die keine innere Verwandtſchaft mich band — Nothanker. Meine Seele lag offen wie der Kelch einer Pflanze, um Sonne und Himmelsthau zu trinken. Man ließ mich Sonne und Himmelsthau nicht trinken, da ſtillte ich meinen Durſt aus trüben Quellen. Da verkrüppelte ich und blieb unreif, dem Vampyr Schmerz eine leichte Beute. Warum? Weil ich ein Weib bin? Man ſtreut Aſche auf Feuer, damit es nicht brennen ſoll. Und darum iſt das Weſen faſt aller begabten Frauen unſerer Zeit Sehnſucht und Melancholie. Die Sehnſucht mit den blaſſen Vergißmeinnicht⸗ augen iſt das Glimmen eines Funkens, der Flamme werden will, und Aſche werden muß, ohne je ge⸗ leuchtet zu haben. Und Melancholie, ihre Schweſter, ſchreitet, die dunklen Blicke abwärts gekehrt, über die Gräber von Seelen. Und ſie lieſt die Grabſchriften: Hier ruht eine Jugend, die ungenoſſen ſtarb. — Hier ruhen 393 geniale Kräfte, die an der Mauer von Vorurtheilen zerſchellten. — Hier ruhen Thaten, die, ehe ſie ge⸗ boren, von Schatten und Träumen erſtickt wurden. — Hier ruhen Blüten, Blüten, die wucherndes Un⸗ kraut verdarb. Ein ungeheures Staunen ergreift mich, daß das Ureinfachſte: das Recht der Frau, Weg und Ziel ihres Lebens ſelbſt zu beſtimmen verneint wird. Ich denke in Wolf Brant's Spuren. Aber ich denke, was er nie gedacht. Er wollte nur einem kleinen Bruchtheil der Menſchheit aus geiſtiger und phyſiſcher Noth emporhelfen. Ich will dasſelbe thun für die größere Hälfte des Menſchengeſchlechts — für die Frauen. Eine Weltrevolution, eine Geiſterempörung die Millionen Parias von Staatswegen zu freien Menſchen machen will von Rechtswegen, von Rechts⸗ wegen und von Gotteswegen. Wie Thau fallen dieſe Ideen auf den verſchmachten⸗ den Boden meiner Seele. Sie hellen meine Schwer⸗ muth ſonnig auf. Ich liebe ſie. Sie begeiſtern mich. Meine Erkenntniß iſt ein immenſes Erlebniß, das den Grund meines Weſens in zitternde Schwingungen ſetzt. Es erfüllt mich mit einem Entzücken, das inten⸗ ſiver iſt als das an aller Schönheit des Südens. Süden aber iſt auch in meinem Denken und Er⸗ kennen. Denn es ſprießt und blüht und flammt in mir. Eine Flamme, die kerzengerade in den Aether ſteigt. Ich bin der Menſchheit etwas ſchuldig geblieben. Etwas? nein. Alles. 394 Nun aber will ich denken und wirken für Andere. Nun fühle ich eine Schöpferwonne, eine Freude ohne Selbſtſucht, die rechte Freude, den ſchönen „Götter⸗ funken, die Tochter aus Elyſium“ die Millionen umſchlingende Freude. Ein Apoſtelfieber kam über mich. Ich ſah mich als Engel mit der Lilie in der Hand, die frohe Bot⸗ ſchaft, die mir ward, weitertragend, hinaus in die Hütten der Enterbten, der Mühſeligen und Beladenen. Um Ideen in Thaten umzuwandeln bedarf es Vieler. Ich kannte einige Malerinnen, die, faſt ohne Schulung ein bischen pinſeln gelernt hatten, und ſich nun von einem Tag zum andern mühſelig durch⸗ ſtümperten. Ich kannte auch einige Lehrerinnen, die im Norden, in einem dürftigen, freudloſen Daſein, bei übermäßiger Arbeit, ſchwindſüchtig geworden waren, und die nun nach dem Süden gekommen waren, um wieder in Dürftigkeit und Freudloſigkeit, bei harter Arbeit, dem Tod noch eine kurze Friſt abzuliſten. Zu denen ging ich und ich verkündete (die Ver⸗ kündigung, fürchte ich, war ein Stammeln und ganz ohne weiße Lilie) ihnen mein neues Menſchenthum. Und ihre Antwort? Sie lachten. Und wie ſie lachten! Sie hörten gar nicht auf zu lachen. Das rauhe Getön ihres Lachens entnervte mich. Erſtaunlich! erſtaunlich! Man zeigt dieſen Frohnenden den Eingang zu einem Land, wo Milch und Honig für ſie fließt, und 395 — ſie gehen vorbei, und ſind noch ſo ziemlich ver⸗ gnügt dabei. Dein Wort, Arnold, fiel mir ein, daß ein ver⸗ gnügter Sperling eigentlich beſſer daran iſt, als ein triſter Adler. Aber nein — dreimal Nein. Sie haben Unrecht und Recht habe ich. Ich glaube mir. Ich habe ja meine Erkenntniß, meine Wahrheit intenſiv erlebt. Das Feuer des Schmerzes hat ſie mir in die Seele geätzt, mit meinem Herzblut habe ich ſie ge⸗ nährt. Davon iſt ſie ſtark geworden und unzerſtörbar. Alle, alle, die am Kreuz gehangen, warten auf eine Auferſtehung — wie ich. Womit übertöne ich ihr Gelächter? Mir fehlt das Temperament für den Kampf. Müſſen denn immer Worte wie Trommelwirbel ſein, damit ſie die Menſchen emporreißen, daß ſie aufhorchen: Da kommt Großes, Schöpferiſches? Müſſen Ideen, revolutionirende, daherbrauſen wie der Sturm, jäh, Schauder erweckend? Vielleicht. Uralte, granitfeſte Mauern wie die vor dem gelobten Lande, ſtürzen nur vor Poſaunen⸗ klängen. Und die kleine Flöte die ich blaſe, iſt Ge⸗ flüſter. Nur Feinhörige vernehmen es wohl. Nicht Flötentöne, Fanfaren wecken Schlafende. Wolf Brant! Wolf Brant! Meine Wahrheit iſt ihnen Narrheit, Unſinn, Wahnſinn. Wer verträgt es, als Narr verlacht zu werden. Womit übertöne ich ihr Gelächter?! 396 Arnold, Arnold, Du haſt's gewußt, und haſt geſchwiegen. Für ſo feige, haſt Du mich gehalten. Woher ich's nun weiß, daß ich eine Todes⸗ kandidatin bin oder war? Philomela hat mir's verrathen. Sie hatte Fieber. Ich drang in ſie, ſie ſollte einen Arzt holen laſſen. Sie wollte nicht. Die Aerzte wüßten nichts, dichteten einem blos Krank⸗ heiten an, ſagten einem den Tod auf den Kopf zu, und nachher liefe man noch Jahrzehnte geſund umher. Hätte man nicht eine gewiſſe Marlene Bucher als Schwindſüchtige, als Todeskandidatin nach Rom ge⸗ ſchickt? und nun wäre ſie von Tag zu Tag geſünder geworden. Mir ſtand das Herz ſtill. Ich bezwang mich gewaltſam, und fragte ruhig und lächelnd, woher ſie das wiſſe? Signore Arnoldo hätte mit dem Arzt geſprochen, italieniſch, die Thür des Nebenzimmers wäre offen geweſen, und da hätte ſie alles gehört. Der andere Arzt, der von Berlin, hätte ja auch an den Arzt hier, all das von der Schwindſucht geſchrieben. Jetzt könne ſie darüber reden, da ich doch ſo munter wäre wie ein Fiſch im Waſſer. Du haſt's gewußt, und Walter auch. Er hat geglaubt, ich ſterbe, darum hat er ſo ſchnell in die Reiſe gewilligt, ſo freundlich von mir Abſchied ge⸗ nommen. Er dachte, ich ſterbe. Ich kann mich von der Vorſtellung nicht losmachen, er hat es gern ge⸗ glaubt. Wie er ſich wundern muß, daß es mir gut 397 geht. Würde er ſich freuen, wenn ich geſund zurück⸗ kehrte? Ach nein, ach nein, — da kehre ich nie zurück — nie — lieber wirklich ſterben. Ich — ſterben! Jetzt! Nein. Unendliches habe ich noch zu denken. Was eben erſt glühend und blühend in mir erwacht — zu Ende ſchon? In dem ſtillen Kahn hinunter zur Toteninſel, wo die düſteren Cypreſſen ſtehen, vorbei an ſeligen Ufern mit Wein⸗ und Roſengehängen. Und nie wieder erglänzen ſie mir — für immer meine Augen geſchloſſen? Er war auf meinen Ferſen, der Todesengel, dicht hinter mir, und ich ſah ihn nicht. Und mir iſt als wäre er noch hinter mir. Sein kalter Athem bläſt mich an. Ich höre über mir das Rauſchen ſeiner Flügel. Jenen Reiter, der ahnungslos den furchtbaren Ritt über den gefrornen Bodenſee machte, tödtete hinterher das Entſetzen. Auch mich überrieſelte es kalt, eiskalt. Zwar tödtete mich nicht das Entſetzen, aber ſtille Schauder lenkten mir die Blicke nach innen. Und umgekehrt wie jener Reiter, ſehe ich nun das Leben, das hinter mir liegt, wie einen Todesritt, einen Ritt, vorbei an Höllen, in denen unheimliche Gluten loderten. Hinweg über ſchlammiges Erdreich mit tanzenden Irrlichtern, durch Wildniſſe hindurch voll Geſtrüpp, Dornen, Schlangen. Mein Gott, von rechtswegen müßte ich jetzt todt ſein. Und wäre ich todt, ſo arm wäre ich in die Grube gefahren, keine Spur meines Daſeins hinter⸗ laſſend; und das Leben wäre kaum mehr für mich 398 geweſen als eine Wüſte, in der man von Oaſe zu Oaſe zieht, und wenn an einer Stelle der Quell aus⸗ getrunken, die Früchte verzehrt ſind, zieht man weiter zu einer neuen Oaſe, bis wir keine Oaſen mehr finden, und der Sand der Wüſte — Alter oder Krankheit — uns aufſaugt, verweht. Nun ſehe ich alles in einem andern Licht. Wen der Tod geſtreift — und ſtreift er mich nicht noch? — und wer bewußt in ſein eiſig erhabenes Antlitz ge⸗ blickt, der bewahrt etwas zeit⸗ und erdentrücktes. Er redet, nicht mehr laut. Er hat Ewigkeitsbilder ge⸗ ſchaut. Ich verſtehe, was die Flügel des Todesengels mir gerauſcht. Sie rauſchten auch hin über meine Ideen der Frauenbefreiung, ſie entkörperten gewiſſer⸗ maßen meine Gedanken; ich erkannte, daß auch ſie nur Zeitwerth haben; ich erkannte, daß in einer natür⸗ lichen hiſtoriſchen Entwicklung die Frauen einſt alle Rechte haben werden, die auch für ſie „unantaſtbar wie die Sterne am Himmel hängen.“ Und wer weiß, vielleicht gehört ihnen ſchon das 20. Jahrhundert. Faſt noch vier Jahrzehnte, ehe es beginnt. Ich er⸗ lebe es nicht. Und die Eroberung dieſer Rechte wird auch nur eine Etappe in der Weltnothwendigkeit ſein. Neue Fragen, neue Räthſel werden auftauchen, neue Schläfer werden kommen, neue Wecker. Laß ſie lachen! laß ſie ſchlafen! Ich ſuche nicht mehr, womit ich ihr Gelächter übertöne. Ich er⸗ trage es als Närrin verlacht zu werden. 399 Ich ſuche wie ich der Ewigkeit des Todes ent⸗ rinne. Ich ging an die ſtillſten Orte. Im heiligen Hain der Villa Medici wollte ich das Orakel fragen. Als die Sonne hinter dem Horizont verſchwunden war, ſtieg ich von den Stufen des Tempelchens herab. Schon einige Schritte von der Treppe entfernt, wendete ich mich noch einmal um. Da kam noch jemand die Treppe herab. Ein Schauder überlief mich. Es war doch niemand oben geweſen. Ein weißes Prieſtergewand hob ſich aus dem Dunkel. Der Prieſter, den ich nun deutlich er⸗ kannte, hielt einen Cypreſſenzweig in der Hand. Den Kopf hatte er tief geſenkt, ich konnte ſeine Züge nicht erkennen. Langſam kam er auf mich zu, und im Vorüberſchreiten, mit einem Blick mich ſtreifend, legte er mir den Cypreſſenzweig auf den Kopf. Sein Blick — ich erbebte. War das nicht der Fremde aus meiner Kindheit? Dieſelben wimperloſen Augen mit dem ſtrahlend durchdringenden Blick. Und war das das Orakel? Und ſein Sinn? Schweigen? Schweigen, weil wir doch die Räthſel der Sphynx nicht rathen? 400 An einem Tag war ich der Räthſel müde, und auch des grübelnden Denkens. Und ich gedachte der naiven Einfalt des Dominikaner's, der ſo kindlich fromm die Hände faltete und zu ſeinem lieben alten Vater im Himmel betete, daß er ſeine Peterſilie und ſeine Orangen ſchön wachſen laſſe. Ich ſtieg nach San Sabina hinauf. Und ich ſprach mit dem Mönch von meines Herzens Noth. Zuerſt hielt er wieder die Rede aus dem 15. Jahrhundert. Er fühlte aber bald, daß ich keinen Troſt daraus ſchöpfte. Er ging hinauf in ſeine Zelle. Als er zurückkam, hielt er ein Crucifix in der Hand. Er küßte es, gab es mir und zeigte auf die Inſchrift: „Sei ſtill, ich bin bei Dir. Eine ſchöne, ſchöne Inſchrift. Ich bewegte ſie in meinem Gemüth. Aber es war doch auch wieder ein Räthſel, nur ein ſilbern, lichthimmelblaues. Ich kehrte zurück zu dem dunkelpurpurnen meiner Sphynx in der Villa Mathäi. Die unergründliche Tiefe und Stille in ihren Zügen berührte mich wieder mit geheimnißvollem Schauder wie der Anblick des Oceans wenn der Wind nicht weht. Und dieſe meertiefe Stille glich faſt einer glühenden Beredſamkeit, wie ja unter gewiſſen Beding⸗ ungen Feuer und Eis dieſelbe Wirkung hervorbringen. Und wieder rieſelte es von dem Felsſtück her⸗ unter über ihre Stirn wie von unendlichen Thränen. Warum war der Finger von Gold? Dohm, Schickſal einer Seele. 26 401 Ich bin auf der Fährte einer neuen Schönheit, die in die Ewigkeit hineinragt. Und meint man, das giebt es nicht? Nichts gäbe es, was in der „Flucht der Er⸗ ſcheinungen bleibend“ wäre, keine Schönheit, die nicht verblühe, keine Weisheit, die nicht eine neue Weisheit ablöſte? Wer weiß es? ich nicht. Aber die Andern wiſſen es auch nicht. Ein tiefes, tiefes Wort, das wir leſen oder hören, ein wunderbarer Traum, ein außerordentliches Erlebniß — und es durchzuckt uns blitzartig, ein inneres Auge, das ſonſt geſchloſſen war, öffnet ſich, und in einer Viſion hebt ſich ein Schleier — — Als ich an jenem 18. März die große, wilde Frage in dem ſtarren Auge des Todten vor der Drei⸗ faltigkeitskirche las, als Traut ſtarb, als nach der Geburt meines erſten Kindes der Tod mich ſtreifte, als Charlotte von mir ging, und ich wußte, daß ich ſie nicht wiederſehen würde, da war's mir jedes Mal als hörte ich das Athmen — ja — wovon? einer Weltſeele? von etwas, das außer mir war, und doch auch in mir, das mich emporhob — etwas Fernes, Schwebendes, Großes — Seitdem ich auf der Fährte einer neuen Schönheit war, kam mir der bunte Kram in meinem Zimmer ſo kleinlich vor, die grünen und die rothen Gläſer, 402 die Decken und die Teppiche, die Väschen und die Sträuße. Ich entfernte alles. Und auf einen weißen Tiſch ſtellte ich das Crucifix: „Sei ſtill, ich bin bei Dir. Und ſo gern, ſo gern hätte ich die Sphynx ge⸗ habt, die Sphynx mit dem goldenen Finger. O Sphynx, Du wunderbare, geheimnißvolle, mit den Thränenbächen, die über Deine Stirn rieſeln, und die Du nicht weinſt. Du weißt — Du weißt — Arnold, Arnold, mein Geiſt fängt an, ſeltſame Wege zu wandeln. Und nun geſchah, was mein Schickſal beſtimmte, was kommen mußte. Um einem feinen Sprühregen zu entgehen war ich auf einem Spaziergang, auf der Höhe von Trinita de Monti in die Kirche getreten. Vor dem Hochaltar brannten die Kerzen. Reihen junger Mädchen ſaßen da, in weißen Schleiern, einige mit weißen Roſenkränzen. Der Chor, wo die Orgel ſteht, war ſchwach erhellt. Die goldenen Säulen der Orgel ſchimmerten aus dem zarten Licht, als ſtände da oben eine myſtiſche Götterburg. Und die Nonnen und die jungen Mädchen er⸗ hoben ihre klaren, ſüßen Stimmen zum Lobe Maria's, und ſie ſangen ſo rein und ſo fromm, ſie ſangen Bilder Fieſoles oder Domenichinos. Der Geſang war zu Ende. Nur die Orgel tönte 26* 403 fort und fort, tönte immer zarter, immer ferner, immer heiliger, Töne wie in weißen Schleiern, perlende Thränen in Lilienkelchen, ein leiſes Rauſchen von Engelsfittichen, ſelige Seufzer, mit denen die Seele vom Irdiſchen ſich losringt. Da hebt der Prieſter die Monſtranz. Er hebt ſie hoch empor: Gott iſt da. Das große Mittelportal der Kirche wird weit geöffnet. Das Gewölk am Himmel hat ſich zu einer dünnen Dunſtſchicht über den ganzen Horizont ver⸗ breitert. Die untergehende Sonne durchleuchtet den zarten Dunſt, und taucht ihn in goldiges Roſenroth. Der ganze, weite Himmel eine ſingende Seligkeit, eine flammende Rieſenglocke, die in's Herz der Staunenden da unten frommes Erſchaudern läutet. Drinnen, in der faſt dunklen Kirche erlöſchen die letzten Altarkerzen, geiſterhaft entſchweben die letzten zärtlich ſüßeſten Orgeltöne, und draußen — das in Erzengel⸗ Wolluſt aufblühende, aufglühende Firma⸗ ment. Warum lagen nicht alle auf den Knieen vor dieſem Flammenzeichen! Eine Fortſetzung war's der heiligen Handlung drinnen. Gott ſelbſt hielt hier in ewigen Händen die Monſtranz. Gott war da! Meine Augen füllten ſich mit heiligen Thränen. Plötzlich trafen ſie mit einem andern Augenpaar zu⸗ ſammen. Wunderbare, graue, leuchtende Augen, die tief, klar, forſchend auf mir ruhten. Die Augen gehörten einer Frau. Seltſame, graue Gewänder trug ſie, mehr eine prieſterliche Hülle als 404 ein Frauenkleid. Sie erſchien groß ohne groß zu ſein, weil an ihrer Erſcheinung etwas war, das alle Anderen überragte. Als unſere Blicke ſich trafen, das war einer jener Momente, wo ein inneres Auge in mir, das ſonſt geſchloſſen war, ſich aufthat. Mir war's als hätte ich dieſe Frau längſt gekannt, von jeher, immer gekannt. Eine große, innere Freude bemächtigte ſich meiner, wie, wenn man einen Geliebten, den man verloren hat, wiederfindet; und zugleich eine Angſt, daß ſie ſich wie eine Viſion wieder von mir verlieren könnte. Aber ſie verlor ſich nicht. Die wunderbare Frau trat zu mir heran. Sie redete mich an, italieniſch, daß ſie rein und fließend ſprach. Sie zeigte auf den Himmel: „Wie der Blüthen⸗ kelch des roſenrothen heiligen Sonnenlotos, wenn ſeine Geliebte, die Sonne, ihn geküßt. Wir gingen zuſammen auf den Monte Pincio und blieben dort, bis der Garten geſchloſſen wurde. Wir trennten uns — zwei Schweſtern. Jeder Tag vereinte uns aufs neue. Sie heißt Helena. Sie iſt ganz international. Ich glaube in Rußland geboren, in England erzogen. Viele Jahre hat ſie ſich im Orient aufgehalten. Die Heimath, die ſie ſich ſelbſt gewählt iſt Indien. Dort hat ſie eine Gemeinſchaft, wenn Du willſt eine Religion ins Leben gerufen. Das heißt, ſie iſt 405 nicht die Stifterin der Religion, ſie iſt die Verkün⸗ derin, die Botin, von Größeren entſandt. Man weiß davon noch wenig im Weſten. Man wird in Zu⸗ kunft davon wiſſen. Ich mußte Helena begegnen. Mein ganzes Sinnen war auf ſie geſpannt geweſen. Seitdem ich ihr gehöre, komme ich Dir wieder näher mein Arnold. Habe ich Dir nicht für Dein Haus die Inſchrift geſchenkt „Weiß und weiſe? das könnte die Inſchrift des Tempels ſein, in den Helena mich geleitet. Gleiteſt Du nicht dahin weiß wie ein Schwan mit der Eule über Deinem Haupt? Das könnte faſt das Emblem der Theoſophie ſein. Theoſophie — göttliche Weisheit — heißt die neue Religion. Charlotte lehrte mich die Geſellſchaft kennen, Adalbert die Schönheit, von Helena lerne ich Weis⸗ heit und ächtes Menſchenthum. Ich ſitze zu ihren Füßen, ich bin ihre Schülerin, ihre Jüngerin geworden. Ich habe gefunden was ich ſuchte: eine Gemeinſchaft, fernab von der Nur⸗ Sinnenwelt, eine Gemeinſchaft, wo niemand nach dem Geſchlecht fragt, nicht fragt: wer biſt Du? wo kommſt Du her? Eine Gemeinſchaft wo man nicht Sturm und Flamme zu ſein braucht, um der Wahrheit theil⸗ haftig zu werden. Helena hat nichts vom Sturm und der Flamme. Ihr Denken blüht ſtill und blumenhaft, intuitiv, wie von ſelbſt, oder wie unter dem Hauch eines göttlichen Athems. Sie verkörpert Güte, Liebe, Frieden. Ihre 406 Züge tragen den Ausdruck lichter Ruhe und voll⸗ kommner Reinheit, aber auch den eines machtvollen Willens, den Ausdruck zugleich von Sieg und Frieden. Sie kann aber auch von bezaubernder, kindlicher Heiterkeit ſein, und zuweilen ſcheint ſie von einem Ich bin ſo ruhig, wenn ſie bei mir iſt, und ſtark und muthig. Der Frieden, der Seelenduft, der von ihr ausgeht, theilt ſich mir mit. Sie iſt mit wunderſamen Kräften begabt. Sie ſieht und hört in die Ferne, ſie weiß immer, was in mir vorgeht. Sie kennt die Schickſale meiner Seele. Von den Einzelheiten der Lehre ſchreibe ich Dir nichts. Sie wird in die Welt dringen, ſie wird auch zu Dir gelangen. Verwirf ſie nicht gleich. Höre hin; prüfe, denke daß Deine Marlene dabei iſt. Nur das eine: Ihr Kern iſt ſo einfach, ſo ein⸗ fach, ſo klar, ſo klar, ſo gut, ſo gut. Der Kern iſt: die Menſchenliebe leben. Ihr Kern iſt die Ver⸗ brüderung aller Menſchen. Es giebt ſo viele lächerliche Chriſten, die ſo fromm ſind, ſo fromm, ſie predigen Selbſtverleugnung und Demuth, und nebenbei meinen ſie, die Welt müſſe untergehen, wenn ſie ſich etwa mit ihrem Diener zu Tiſch ſetzen ſollten. Alle Menſchen Brüder! Aber der katholiſche Prieſter verdammt die pro⸗ 407 teſtantiſchen Seelen zu ewigen Höllen. Syſtematiſch wird der Haß einer Race gegen die andere großge⸗ zogen, man tödtet, mordet, verleumdet, beſchimpft ein⸗ ander. Aber alle Menſchen Brüder! So lächerlich! Sie leben ja das Gegentheil der Verbrüderung. In der Theoſophie ſind auch alle Rechte, die bis jetzt dem Weibe vorenthalten wurden, einbegriffen und die radikalſten Forderungen der Demokratie auch. Dieſe reine Lehre kennt keine Geburts⸗ keine Ge⸗ ſchlechtsvorrechte. Gerechtigkeit, Brüderlichkeit ſteht in goldenen Lettern auf ihrer weißen Fahne, die ſie über alle Länder und Nationen hinrollen läßt, von Tauben umflattert, von Flöten und Harfen um⸗ klungen. Dieſe idealſte aller Religionen hat keine Dogmen. Ihr Glaube: die Veredlung der Menſchheit. Ihr Gottesdienſt: reines, edles Wirken im Dienſt der Menſchenliebe. Ein Lichtquell will ſie ſein, in dem alles zuſammenfließt, was rein, weiſe und gut iſt. Und es iſt auch ſo ureinfach, was ich in der neuen Gemeinſchaft will. Gut werden will ich, ganz einfach gut, frei von allem, was nicht zu mir gehören ſoll, nicht ſoll. Gährung und Zwiſchenſtadium war bisher mein Daſein. Nun will ich ganz werden und rein und hell. Wie eine Morgenglocke klingen Helena's Worte in mein Innerſtes. Pſyche hat ſich von den Roſenketten Amor's losgerungen, ſie wird noch ſtärkere Ketten brechen und frei und ſtolz wird ſie die Flügel regen; nicht 408 mehr in die Ferne, — in die Höhe will ſie — meine entfeſſelte Pſyche. Aus eigener Kraft kann ich nicht werden. So ein bißchen Menſch wie ich bin, bedarf der Hülfe, einer Gemeinſchaft, die ihn ſtützt, damit er nicht wieder in die Süupfe und Wildniſſe ſeines eigenen Inneren geräth. Ein großes Staunen über mein eigenes Räthſel⸗ weſen ergreift mich. Es ſcheint, ein ganzes Leben, mit all ſeinen Entwicklungen, und Wandlungen gehört dazu, um ſich ſelbſt zu ergründen. Wo fange ich an? wo hören die Anderen in mir auf? Ich weiß es nicht. War ich die Leichtfertige, die einige Jahre in den ſeichten, trüben Gewäſſern der ſchlechten Geſellſchaft mitſchwamm? Nein. War ich die Sklavin, die ſich vor der Mutter, den Brüdern, dem Gatten fürchtete? nein. Ich, das verſchüchterte Geſchöpf zwiſchen Taube und Gans? Aber nein, nein. Wer bin ich? immer nur Erbe all der Gene⸗ rationen, die vor mir waren? Erbe all ihrer Krank⸗ heiten des Geiſtes und des Körpers? Den alten Erb⸗ ſchaften, die mich überwuchern, zu entſchlüpfen, wie die Schlange ihrer riſſigen Haut, dazu ſoll mir die Religion Helenas verhelfen. Siehſt Du Arnold, ich glaube, daß die Menſch⸗ heit ſich ſo hoch entwickeln wird, ſo hoch bis zum 409 Engelthum. Und ob es nicht ſchon jetzt Aetherweſen giebt, Sonnengeſchöpfe, die nicht eſſen, die nicht zeugen und nicht ſterben, die wie denkende Blumen durch alle Ewigkeiten blühen? Ich weiß es nicht. Wiſſen es denn die Andern? Nun werde ich ganz von innen bewegt. Mir iſt, als wenn ich in einem Treppenhauſe mit Oberlicht von den dunklen Stufen unten, immer aufwärts ge⸗ ſtiegen wäre, und je höher ich komme, je heller wird es. Und ganz oben wird es am hellſten ſein. Und endlich werde ich in einer Lichtfluth ſtehen, in einer neuen blühenden Welt. Nicht mehr ziehts mich dahin wo „im dunklen Laub die Goldorangen blühen.“ Die Lotosblume hat mirs angethan; der heilige Sonnenlotos mit dem roſenrothen Blütenkelch, der wie eine Glocke über den Waſſern des Ganges ſchwebt, und auch der ſüßduftende Mondlotos mit den weißen Blüthen, die zart ſind wie Mondſtrahlen. Immer muß ich bei der Lotosblume an Traut denken und ich träume von ihr als einer Lotosblume. Der Kelch, ihr ſüßes Angeſicht, die Blätter goldene Strahlen, die das holde Köpfchen umrahmen. Ein Engel mit zarten Flügeln ſchwebt ſie vor mir her. Wohin wird ſie mich führen? Ich bin nie von der Vorſtellung losgekommen, daß Traut irgendwo in reiner Verklärung weilt. 410 Und nun komme ich nicht davon los, daß ich ihr in Indien näher ſein werde als ſonſt wo im Welten⸗ raum. Und wäre die Theoſophie nichts als eine erhabene Dichtung, und Helena eine ihrer Dichterinnen, ich würde ihre Atmoſphäre doch wie Weihrauch athmen. Beſſer auf ein falſches Geleiſe gerathen als auf ein todtes. Man fährt dann wenigſtens irgend wohin, und mit dieſer Lehre ſicher nicht zur Hölle. Du wirſt auch erfahren, daß die Theoſophie eine myſtiſche Seite hat. Verwirf auch dieſe nicht gleich; ſage nicht Unſinn. Höre hin, prüfe, denke, daß Deine Marlene dabei iſt. Es giebt in Indien Weiſe, Auserwählte, die im Verborgenen leben. Alles was Seher, Propheten, Denker, durch alle Jahrhunderte hindurch erkannt, erforſcht, was ſie in Viſionen und Verzückungen ge⸗ ſchaut — die indiſchen Weiſen und Meiſter ſind die Wiſſer und Wächter dieſer unermeßlichen geiſtigen Schätze. Und in ihren erdentrückteſten Extaſen werden ſie emporgetragen, dahin, wo der unſterbliche Funke ihres Geiſtes mit der Flamme des göttlichen Welt⸗ geiſtes zuſammenglüht. Beweiſe für dieſe Möglichkeiten willſt Du? Die habe ich nicht. Menſchen ſtärkſter Intelligenz haben an einen 411 perſönlichen Gott geglaubt, und glauben noch daran — ohne Beweiſe. hatte Beweiſe; er diktirte ſie uns ſogar in die Feder. Freilich, unſer Religionslehrer in der Schule, der „Gott iſt allwiſſend — diktirte er — allmächtig, allgegenwärtig — ſchreiben Sie in Parentheſe: Wandertauben, Heringe.“ Ich möchte beinah glauben, daß Wahrheiten und Weisheiten, die, ihrer Zeit vorauseilend, das Gepräge der Zukunft tragen, immer zuerſt von er⸗ leſenen Geiſtern als Intuitionen empfangen, in geiſtigen Viſionen geſchaut wurden. Und hinterher — vielleicht — bewies ſie die Wiſſenſchaft. Wie? dürfen wir nur an die Wunder glauben, die uns von jeher gelehrt wurden? daran, daß Jeſus, daß Moſes zaubern konnten? Warum ſollten, im Sinn dieſer Seher, nicht auch die indiſchen Meiſter zaubern können? wenn zaubern heißt: erkennen, wiſſen, wirken, was Alltags⸗ menſchen verſagt iſt? Warum ſoll ich mich ſo fanatiſch an das klammern, was gerade von der heutigen Welt erkannt und an⸗ erkannt iſt, und was vielleicht ſpätere Jahrhunderte zu den vorgeſchichtlichen Naivetäten zählen werden? Im Erdboden iſt der Sonnenſchein aller Jahr⸗ hunderte enthalten. Hinterlaſſen nicht ebenſo die Geiſtesentwicklungen aller Jahrhunderte Spuren in jedem Menſchengeiſt? Spuren, die für die meiſten in Dunkel gehüllt bleiben. Und dieſe Spuren, könnten ſie nicht für das innere Auge von Sehern leuchtend 412 werden, und leuchtende Bilder auch zukünftiger Zeiten ſich ihnen enthüllen? Reminiſcenzen, Spiegelungen von Zuſtänden, die ſie in ihren Verzückungen in höheren Welten geſchaut? Iſt immer nur das wahr, was der Menſch in ſeiner Alltagsverfaſſung ertaſten und begreifen kann? und was tief aus unſerm Innerſten redet — Traum und Schaum? nichts die Blitze in unſerm Geiſt, die ſekundenlang das Dunkel in uns wie mit Morgen⸗ röthe überſchimmern? Das iſt unſer Recht, unſere Ehre, unſer ſtarker, göttlicher Inſtinkt, daß wir uns mit jedem Nerv, mit jedem Blutstropfen, mit jedem Denkatom dagegen ſträuben nichts zu ſein als ein Bündel von Muskeln und Knochen, nach wenigen Jahrzehnten todt zu ſein, ganz todt, ewig todt. Was Licht in uns iſt, will zum Licht, wie Staub zum Staube will. In welchem Lebensalter wir uns auch befinden, unſer Blick iſt immer auf die Zukunft gerichtet. Wie ſollte der Greis, die Greiſin, die ihr verrunzeltes Geſicht im Spiegel ſehen, glauben, daß ſie das ſind, ſie weiter nichts als dieſe welke, oft groteske Hülle? Und ſie fühlen, ſie wiſſen doch, daß ſie innerlich weiter blühen und wachſen, immer höher hinauf; und unter der eingeſchrumpften Haut erſpähen ſie ihr wahres Geſicht, ſchöner und jünger vielleicht als es in ihrer Jugend geweſen. Würden wir getroſt einſchlafen, wenn wir wüßten, wir würden am nächſten Morgen nicht erwachen? 413 Glaubten wir an die Ewigkeit des Todes, wie könnten wir ruhig ſchaffen und wirken, ohne in Stunden der Verzweiflung die Flinte in's Korn zu werfen, mit der entſetzten Frage: Wozu? warum? Gewiß Arnold, ich ſpreche nur aus, was viele, viele empfinden; ſie ſchweigen aber aus Furcht, man könnte ſie für Zurückgebliebene halten, und ſie möchten nicht weniger klug erſcheinen als die Klügſten. Iſt es wirklich ſo abſurd, ſo der ſchwarzen Magie verdächtig, an einen Kern in uns zu glauben, der in die Ewigkeit hineinragt? daran, daß von einem gottdurchſeelten Weltathem, der aller Dinge Werden und Vergehen bedingt, auch ein Hauch in uns iſt, und daß eben dieſer Hauch unſer eigentliches, un⸗ vergängliches Ich iſt!? Ich glaube daran; wenigſtens glaube ich, daß ich daran glaube. Keine Gräber mehr, über die die Melancholie ſchreitet, denn der Tod iſt eine Knospe, aus der eine neue Blume blühen wird. Und die Sehnſucht iſt ſtill geworden, denn der göttliche Funke in mir — abge⸗ ſprüht von der großen Flamme, die ihn immer aufs neue nährt — kann nicht Aſche werden. Wachſen, wachſen ohne Ende wird mein Geiſt. Mit hundert Augen werde ich ſehen, mit hundert Ohren hören. Erfahren werde ich, was der Kapuziner, was der alte Jude im Ghetto, was der todte weiße Baum mir ſagen wollten. Ich reife tiefen Myſterien entgegen. Eine grenzenloſe Hoffnung iſt in mir. Und treibe 414 ich noch auf offenem Meer, ich ſehe ſchon das Land; Ich ſehe am Ufer Wunderblumen blühen, Wunder auch in meinem eigenen Geiſt. Anſtatt der Sekundenbilder berauſchend rother Abendbeleuchtungen — Ewigkeits⸗ bilder der Schönheit. Meine Seele iſt aus dem Fegefeuer geſprungen. Nun will ſie gleich in den ſiebenten Himmel. Zu den ſechs anderen habe ich keine Zeit mehr. Vergehen will ich in Gottes Schoß. In meinen reinſten, tiefſten Momenten ſehe ich wieder das Portal der Kirche auf Trinita de Monti ſich öffnen, ich ſehe über mir das Firmament wie den Kelch des heiligen, rothen Sonnenlotos. Gott iſt da. In mir. Ein Brief von Julie. Sie war in Berlin. Sie hat meinen Knaben geſehen. Es geht ihm vortrefflich. Sie hat mit Walter geſprochen. Er willigt in eine Scheidung. Und dann — — Du liebſt mich, ſchreibt ſie. Ich ſoll Dein Weib werden. Ach, lieber, lieber Bruder, ich kann Dein Weib nicht werden, weil ich Dich nicht liebe, wie die Gattin den Gatten lieben muß. Du warſt vielleicht zu hoch, zu fein geartet für ſolche Liebe. Sinnliche Triebe werden ſtill, wenn ihr Herr, der Geiſt redet. Und wer weiß, vielleicht würdeſt Du mich gar nicht mehr wollen Arnold. Ich habe auch Dir mein eigentliches Weſen nicht geſagt, aber nur, weil ich es ſelbſt nicht kannte. 415 Wir werden uns vielleicht nicht wiederſehen, und wenn auch, Du würdeſt eine Andere finden, als die Du verließeſt. Die Du kannteſt und liebteſt, Deine ſtille, kleine, beſcheidene Freundin gehört der Vergangen⸗ heit an. Meine Augen werden immer größer. Meine Geſichtszüge verändern ſich. Ich bin erſtaunt, wenn ich mich in dem Spiegel ſehe. Alles Linde, alle Weich⸗ heit, alles ſehnſüchtig bange fort, nichts mehr von Haſe und Gazelle. Ein langes, ſchmächtiges Geſicht; ich ähnle den Römerinnen auf Feuerbach's Bildern. Nur ſo ſchön bin ich nicht. Bitte, lieber Arnold, kümmere Dich um meinen Knaben. Und dennoch, dennoch Arnold, ich habe Stunden, wo heimlich, ganz heimlich die Qual des Zweifels mich beſchleicht. Wie? wenn ich auch jetzt nicht den richtigen Weg ginge? Ein Wort meiner Mutter fiel mir ein, die, wenn ein Kind zu viel von einer Speiſe verlangte, zu ſagen pflegte: Deine Augen ſind größer als Dein Magen. Iſt ſo vielleicht meine Seelengier größer als meine Vernunft? Und zuweilen, wenn ich am Altar meines neuen Glaubens kniee, hör' ich's flüſtern: „Wie Marlene, wenn es nun blos Dein kranker Leib wäre, der tiefer nach dem Süden will, ſich in die Ruhe indiſcher Be⸗ ſchaulichkeit zu verſenken, nur um zu leben?" 416 Und es flüſtert weiter: „Am Ende weiter nichts als eine neue Liebſchaft. Du biſt in die wunder⸗ ſchöne Sphynx verliebt, die Sphynx mit dem goldenen Finger.“ Und eine andere Stimme: „Du willſt ja doch nur wieder träumen, nur, während Du früher Märchen⸗ und Herzensgeſchichten träumteſt, willſt Du jetzt Ideen träumen. Von weißen Perlen reiner Gottmenſchlich⸗ keit willſt Du träumen, von rothen Rubinen uner⸗ meßlicher Menſchenliebe. Verklärte, verſeligte Träume, Träume der Ewigkeit, aber doch Träume — Träume. Was zog Dich denn in die katholiſchen Kirchen? nicht das Verlangen nach Poeſie, erhabenen Ton⸗ bildern, wollüſtiger Myſtik? Biſt Du ſicher, daß es nicht auch jetzt Senſationsluſt iſt, die Dich nach Indien treibt? Am Ende noch immer das rothe Glas Deiner Kinderjahre und die Meerfahrten im Waſch⸗ faß!?" Und mit einem Mal fing das Stimmchen an zu ſingen, und ſpaßig und wehmüthig zugleich ſang's: „Maikäfer fliege, Dein Vater iſt im Kriege, Deine Mutter iſt im Pommerland, Pommerland iſt abgebrannt. Maikäfer fliege.“ Wenn Helena ihre ſchönen, biegſamen Finger, die wie weiße Lilien ſind, auf meine Stirn legt, ſo weichen die flüſternden Geſpenſter. Aber ſie kehren wieder, die Stimmen, wie läſtige Inſekten, die ſtechen. „Du willſt Dich ja doch nur vor der großen Sündflut retten, ſpotteten ſie, und deshalb kletterſt Du immer höher und höher hinauf, und auf Deiner Dohm, Schickſal einer Seele. 27 417 Bergſpitze, da wirſt Du nun harren und harren, und hoffen und hoffen, daß das Waſſer Dich nicht erreiche. Und das Waſſer wird Dich doch erreichen. Und zu guterletzt ein kicherndes, ein ganz ſchaden⸗ frohes Flüſterſtimmchen: „Du Marlene, am Ende hatten ſie alle, alle recht, und Du biſt doch dumm, einfach dumm. Und das mit Indien iſt nur eine neue Phaſe Deiner Dummheit. Marleneken, Marleneken, Du biſt unrettbar dumm. Gott helfe Dir! Amen. Und dieſe Stimme — das giftige Inſekt — ſie ſtach mich tief. Nun — ziehe ich in der That auf Abenteuer aus, dann ſinds wenigſtens kindlich rührende, gute Aben⸗ teuer, Abenteuer à la Don Quichote, ich halte ein Stück magiſch beleuchteten Aethers für den wahr⸗ haftigen Himmel, und eine kranke Somnambule für eine Hohenprieſterin. Vergieb mir Helena. Ich küſſe Deine Lilien⸗ hände. Noch ein anderer innerer Ruf bewegte mich, ein Ruf der mir geiſtige Faulheit, träge Verſunkenheit vorwarf: „Du willſt ja nur beten, um nicht zu arbeiten. Ohne Endliches zu durchmeſſen willſt Du Unendliches erreichen. Anſtatt Entwicklung willſt Du Offenbarung. Und wenn es ſo wäre! Ja, ich will Offenbarung, aber nicht nur darum, weil ich nichts weiß, nichts wiſſen kann, ſondern weil die Anderen auch nichts wiſſen, nichts wiſſen können. Mehr als ich — jd. Wenig bedeutet dieſes „mehr“. Haben nicht faſt 418 alle Denker und Dichter in ſeheriſchen Augenblicken Raum und Zeit überſpringende Viſionen gehabt? und riefen nicht alle, die groß waren oder großes wollten, nachdem ſie „mit heißem Bemühen alles ſtudirt ſchließlich doch die Geiſter zur Hülfe? Viele Menſchen haben Stunden der Offenbarung, wo ſie auf dem Sinai knieen, und Gott ihnen ſeine Geſetze auf erzene Tafeln ſchrieb. Hatte ich eine ſolche Stunde, als ich den Entſchluß faßte mit Helena nach Indien zu gehen? Ach Arnold, wir Menſchen alle ſind Palimpſeſte, und unſer ganzes Leben iſt ein Mühen um die Ent⸗ zifferung der Urſchrift. Ob ich ſie in Indien ent⸗ ziffern werde? Wird Indien ein Tempel für mich werden, mit der ſchönen Inſchrift der italieniſchen Klöſter: „pace ed amore?“ Oder — ein Irrenhaus? Iſt das Mal auf meiner Stirn ein Kreuz oder ein Stern? Ich weiß es nicht. Wiſſen es denn die Andern?! Buchdruckerei Roitzſch vorm. Otto Noack u. Co. 419 Fiſcher, Verkag, Berlin W. HENRIK EBSEN Sämtliche Werke in deutſcher Sprache. Durchgesehen und eingeleitet von GEORG BRANDES, JULIUS ELIAS und PAUL SCHLENTHER. vom Dichter autoriſiert. vollſtändig in 9 Bänden à m. 3,50 geh., ä. M. 4,50 geb. oder in 65 lieferungen à 50 Pf. I. Band: Generalvorwort. Lebensgeſchichte. Gedichte Proſaſchriften. Reden und eine Auswahl von Briefen. Catilina. 2. Band: Das Sünengrab. Die Herrin von Geſtrot. Das Feſt auf Solhaug. Olaf Liljekrans. 5. Band: Die Helden auf Helgeland (Nordiſche Heerfahrt). Komödie der Liebe. Die Kron⸗ prätendenten. 4. Band: Brand. Deer Gynt. 5. Band: Kaiſer und Galiläer. 6. Band: Der Bund der Jugend. Stürzen der Geſellſchaft. Ein Puppenheim. 7. Band: Geſpenſter. Ein Volksfeind. Die Wildente. 8. Band: Kosmersholm. Die Frau vom Meere. Sedda Gabler. Baumeiſter Solneß. 9. Band: Klein Gpolf. John Gabriel Borkman und das neue im Entſtehen begriffene Werk. Von dieſen neun Bänden erſchienen bis jetzt Band 2 und Band 3. Der 2. Band enthält u. a. zwei ungedruckte und auch in Skandinavien unbekannte Jugendwerke Henrik Ibſens, Die folgenden „Das Hünengrab“ und „Olaf Liljekrans“ Bände erſcheinen in halbjährigen Abſtänden. Huſendung einer Drobelieferung, und Beſtellungen auf dieſe Geſamt⸗Ausgabe übernimmt jede Buchhandlung, ſowie die Verlagsbuchhandlung direkt. Berlin, November 1898. Moderne Romane, Movellen 2c. Peter Altenberg, Wie ich es ſehe. Geh. M. 3.50, geb. M. 5.— Gabriele D'Annunzio, Der Unſchnldige. Roman. Geh. M. 4.— Gabriele D'Annunzio, Luſt. Roman. Geh. M 5.— Hermann Bahr, Die gute Schule. Roman. 2. Aufl. Geh. M. 3.— Herman Bang, Am Wege. Roman. Geh. M. 3.— Otto Behrend, Noman einer Liebe. Geh. M. 2.5 Carrn Brachvogel, Der Erntetag und Anderes. Geh. M. 3.—. Hedwig Vohm, Sibilla Dalmar. Roman. 2. Aufl. Geh. M. 4.— Hedwia Vohm, Schickſale einer Seele. Roman. Geh. M. 4.— Arne Garborg, Bei Mama. Roman. 2. Aüflage. Geh. M. 4.— Arne Garbarg, Müde Seelen. Roman. 2. Auflage. Geh. M. 4.— Arne Garborg, Frieden. Roman. Geh. M. 4.— Fannie Gröger, Thränen. Geh. M. 2.— Carl Hauptmann, Sonnenwanderer. Novellen. Geh. M. 3.—. Gerhart Hanptmann, Der Apoſtel. Novelliſtiſche Studien. 3.—4. Auflage. Geh. M. 1,50, geb. M. 2.50 Ernſt Hardt, Prieſter des Todes. Novellen. Geh. M. 2.50 otto Grich Hartleben, Die Geſchichte vom abgeriſſenen Knopfe. Novellen. 6. Auflage. Geh. M. 2.— G. E. Hartleben, Vom gaſtfreien Paſtor. 3.-4. Aufl Geh. M. 2.—. Otto Erich Hartleben, Der Nömiſche Maler. Geh. M. 2.—. Franz Ferdinand Heitmüller, Tampete. Novellen. Geh. M. 2.—. Georg Hirſchfeld, Dämon Kleiſt. Nov. Geh. M. 2.—, geb. M. 3.—. Felir Hollaender, Das letzte Glück. Roman. Geh. M. 3.50 Maria Janitſaelr, Ins Leben verirrt. Roman. Geh. M. 3.—. Hans von Kahlenberg, Die Familie von Barchwitz. Roman. Geh. M. 3.— Honja Kowalewska, Jugenderinnerungen. Geh. M. 3.— Hans Land, Um das Weib. Roman. Geh. M. 3.— Swend Teopold, Prinzeſſin Charlotte Roman. Geh M. 4.— John Henrn Mackan, Der kleine Finger. Novellen. Geh. M. 1.50. Roſa Manreder, Idole. Roman. Geh. M. 2.— Elsbeth Mener-Koerſter, Meine Geſchichten. Geh. M. 3.— Peter Ranſen, Eine glückliche Ehe. 3. Auflage. Geh. M. 2.— Peter Aanſen, Maria. 3. Auflage. Geh. M. 2.— Peter Manſen, Julies Tagebuch. Roman. 2. Aufl. Geh. M. 3.50. Peter Aanſen, Gottesfriede. Roman. 2. Auflage. Geh. M. 3.—. Peter Hanſen, Aus dem erſten Univerſitätsjahre. Geh. M. 3.—. Peter Nanſen, Indiths Ehe. Geh. M. 2.— Gabriele Reuter, Der Lebenskünſtler. Novell. 2.Aufl. Geh. M. 3.—. Gabriele Renter, Aus guter Familie. Leidensgeſchichte eines jungen Mädchens. Roman. 7. Auflage. Geh. M. 4.— Benno Rüttenauer, Zwei Naſſen. Roman. Geh. M. 3.50 Arthur Hahnitzler, Sterben. Novelle. 2. Auflage. Geh. M. 2.—. Arthur Kchnitzler, Die Frau des Weiſen. Novelletten. Geh. M. 2.—. Mathien Sawann, Heinrich Emannel. Roman. Geh. M. 3.50. Hermann Stehr, Auf Leben und Tod 2 Erzählungen. Geh. M. 2.—. Emil Strauß, Menſchenwege. Erzählungen. Geh. M. 3.— Ernſt von Molzogen, Das Wunderbare. Eine Erzähl. Geh. M. 2.—. S. Fiſcher, Verlag, Berlin W. ſchickſale einer Scele Mäf⸗ MeiIeJCASSic litlin Mnmmmmmminmummmmmfnmmmim Staatsbibliothek 2u Berlin Hreußischer Kulturbesitz