Wallners Allgemeine Schaubühne. Lieferung 60. Preis 75Pf. Ein Schuss in's Schwarze. Luſtſpiel in einem Act von Hedwig Dohm Erfurt. Fr. Bartholomäus. Ein Schuss in's Schwarze. Luſtſpiel in einem Act Hedwig Bohm. Von Den Bühnen gegenüber die Rechte der Aufführung vorbehalten. Wallner's „Allgemeine Schanbühne“. Lieferung 60. Erfurt. Friedrich Barkholomäus. Perſonen: Marie von Gersdorf, junge Wittwe. Friedrich von Walther, ihr Bruder. Laura von Walther, Friedrichs Gattin. Max von Dernburg. Fanny Schmidt, Marien's Jungfer. Franz Kutzer, Diener Dernburgs.. Ort der Handlung: Ein Landgut. Elegant möblirtes Zimmer mit der Ausſicht in den Park. 1. Scene. (Beim Aufziehen des Vorhanges ſitzt Marie in einem Armſtuhk und hält ein ſchwarzgebundenes Buch in der Hand, in dem ſie lieſt. Aarie (laut leſend).. „Zu tragen iſt die Wunde, die Von Feindes Hand geſchlagen wird, Doch nicht zu tragen iſt das Leid, Das unſichtbar am Herzen nagt. (Sie erhebt ſich und geht langſam und melancholiſch dem Fenſter zu, indem ſie die letzten Worte des Verſes wiederholt) „Das unſichtbar am Herzen nagt.“ „unnn (Sie zieht den Vorhang vom Fenſter zurück.) Wie hell die Sonne ſcheint, die Vögel⸗ ſingen“ ſo luſtig.⸗ Alles grünt und blüht und duftet. Die ganze Natur athmet in Luſt. — Und ich? — Ich bin ein Nachtvogel, der ſich in den hellen Tag hinein verirrt hat. Das Licht thut meinen Augen weh, ich will den Vorhang wieder ſchließen. (Indem ſie an dem Vorhang beſchäftigt iſt, blickt ſie hinaus und hält mit einer plötzlichen Bewegung inne.) Da iſt er wieder! traurig wie immer, die Augen zu Boden geſenkt. Ob er aufblicken wird? — Nein — er geht vorüber, wie geſtern, wie vorgeſtern, wie an jedem Tage. Sein Geſicht iſt edel, aber der Ausdruck düſter.—— Seine jugend⸗ liche Stirn iſt gefurcht, der Gram niſtet; darin. Ich⸗⸗kann mich des Mitleids nicht erwehren, wenn ich ihn ſehe — eines tiefen, unausſprech⸗ lichen Mitleids.. Armer, armer Mann, Du leideſt wie ich. 1* 2. Scene. Marie. Fanny. Fanny (haſtig eintretend). Gnädige Frau! (Marie hört ſie nicht, Fanny tritt dicht zu ihr heran und ſieht ihr über die Schulter.) Gnädige Frau! Marie (erſchreckend). Mein Gott — was giebt's? Fanny. Der Wagen Ihres Herrn Bruders, des Herrn von Walther, iſt ſoeben in die Lindenallee eingefahren. Ich ſollte Sie benachrichtigen. Marie. Ja wohl — ganz recht. Reich mir meinen Shawl. Habe ich es Dir ſchon geſagt? Mein Bruder und ſeine Gattin werden einige Wochen bei uns bleiben. Um unſere Einſamkeit iſt es nun geſchehen, liebes Kind. Fanny. Ach wie ſchade. (Für ſich) Gott ſei Dank! (Sie tritt an's Fenſter.) Marie. Aber Fanny — was machſt Du denn da? Fanny. Da geht er wieder gnädige Frau. Marie. Wer denn? Fanny. Sehen Sie — dort! Da ſpaziert er hin mit ſeinen ſchwarzel Augen, ſeinem ſchwarzen Rock und gewiß auch ſeiner ſchwarzen Seelel (Für ſich) Neugierig ſoll ich ſie machen, hat Franz geſagt. Marie Cindem ſie ſich die Handſchuhe anzieht).. Was ſchwatzeſt Du da für Unſinn? Fanny. Ja, gnädige Frau, es ſoll eine ſchreckliche Geſchichte ſein, die er auf ſeinem Gewiſſen hat. Die Leute ſagen, es käme ein blutendes Herz darin vor — und ein Dolch, ein Lindenbaum und eine Nachtigall — 4 5 ach mich gruſelt's — wer weiß, was unter dem Lindenbaum liegt. Nun ſehen Sie einmal, gnädige Frau, wie er vor ſich hinſtarrt — und er könnte doch wenigſtens heraufgrüßen. Thut er nicht gerade, als ob wir gar nicht auf der Welt wären? Marie (für ſich). Sie hat Recht, grüßen könnte er wenigſtens. (Laut) Und Du meinſt alſo, daß er eine Geliebte durch den Tod verlor? Fanny. Na — was man ſo Tod nennt. Wer weiß, vielleicht — Mord oder Selbſtmord . . . . Aber hören Sie nicht, gnädige Frau? Der Wagen hält ſchon vor dem Portal! Marie. Schon? aber was geht mich auch die Geſchichte dieſes Fremden an, der mir vollkommen gleichgültig iſt. (Schnell ab.) 3. Scene. Fanny (ihr nachſehend). Vollkommen gleichgültig? Der Ton war etwas lebhaft, in dem man ſeine Gleichgültigkeit betheuerte. Nun — wenn Gott will und Fanny ein wenig nachhilft, ſo wird unſre Trauerzeit hier bald um ſein. Noch einen Winter wie den vorigen mit meiner ſchwarzen Dame, und ich kriege im vollen Ernſte die Melancholie — eine gräßliche Krankheit! Schon ertappe ich mich manchmal auf dem Abſingen von Sterbewalzern und Trauer⸗ polkas. (Stäubt die Möbel ab.) Wenn nicht der luſtige Franz noch wäre — das iſt doch ein lieber Menſch, ein bischen unverſchämt, aber — nett. Es kommt jemand, meine Gnädige gewiß, ſtürzen wir uns wieder in die Melancholie. (Singt in langſamem, feierlichen Tempo:) „Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht — 4. Scene. Franz (iſt ſehr beweglich). Fanny, Franz (fällt in luſtiger Weiſe und im gewöhnlichen Tempo ein). „Pflücket die Roſe, eh' ſie verblüht!“ (Will ſie umfaſſen.) Fanny. Herr Franz was iſt das für ein Betragen? Franz. Ein hervorragend verliebtes. Fanny. Sie müßten nun doch ein für alle Mal wiſſen.... Franz (einfallend). Daß, Ihr ganzes Herz an mir hängt. Fanny. Sie wollen mir etwas anhängen, wie es ſcheint. Uebrigens habe ich gar kein Herz. Franz. Natürlich nicht, da Sie es mir vor längerer Zeit geſchenkt haben. Fanny. Ich bin viel zu ſparſam, um etwas zu verſchenken. Franz. So ſagen wir, daß wir unſere Herzen ausgetauſcht haben. Fanny. Wer tauſchen will, will betrügen. Uebrigens wenn Ihr, Herr ein ſolcher Leichtfuß iſt wie ſein Diener, ſo bereue ich aufrichtig, ſeiner Liebe für meine, gnädige Frau Vorſchub geleiſtet zu haben. Franz. Ich und mein Herr Leichtfüße? Warum nicht gar? Die einzigen Füße, die wir im Dienſte unſerer Tamen verwenden, ſind Freiersfüße und Versfüße. Wir ſind wahre Sinnbilder der Treue. Seit 2 Jahren 6 Monaten 24 1/2 Tag lebt mein Herr nur noch als ein Schatten der Frau von Gersdorf. Nicht erröthend, ſondern erbleichend folgte er ihren Spuren von Berlin hierher in dieſe Einöde. Er verkleidete ſich mit Melancholie, er, ſonſt ſo hervorragend übermüthig . . . . Fanny (ihn unterbrechend). Und wie ſonderbar, daß ſie ihn nicht einmal kennt, daß er ſich ihr nie bemerkbar gemacht hat, nie zu ihr von ſeiner Liebe geſprochen hat . . . . 6 Aber Fräulein Fanny, vergeſſen Sie nicht, daß Frau, von Gersdorf Franz. damals noch verheirathet war . . . . Fanny. Ach, nür unglücklich . . . . Franz. Gleichviel — er hatte keine Hoffnung.“ Da“ ſtarb' der Tyrann, unfre Hoffnung lebte auf, und nun ſchmachten wir ſchon an die ſechs Wochen . . . . Fanny. Und mit Erſolg kann ich Ihnen ſagen. Franz. Endlich ein hervorragendes Geſtändniß aus Deinem Munde, holde Fanny! (Will ſie umſchlingen.) Fänny. Von Ihrem Herrn iſt die Rede. Anfangs war meine Gnädige neugierig — dann zerſchmolz ihr Herz in Mitgefühl, und ſeit ungefähr 8 Tagen fühlt ſie einen unwiderſtehlichen Drang, Nachmittags zwiſchen 4 und 5 Uhr in gewählter kohlpechrabenſchwarzer Toilette einen Spazier⸗ gang durch den Wald zu machen. Franz. Zwiſchen 4 und 5? Gerade die Zeit, wo mein Herr denſelben unwiderſtehlichen Drang ſpürt, und wo ich mir zuweilen die Freiheit nehme meine kleine Fanny . . . . Fanny. Fräulein Schmidt — bitte ich — Herr Kutzer! Und jetzt zum letzten Male, was verſchafft mir die Ehre Ihres Beſuches, mein Herr? Franz. Richtig — faſt hätte ich die Hauptſache vergeſſen. Mein Herr — Herr von Dernburg — läßt Frau von Gersdorf in einer wichtigen, einer Geſchäfts⸗Angelegenheit, um eine Unterredung unter vier Augen bitten. Fanny. Aha, merkſt Du was? Franz. Es ſcheint, man iſt zu der Anſicht gelangt, daß die Belagerung lange genug gedauert hat, und der erſte Sturmlauf wird gewagt. 7 8 Fanny. Ich aber glaube, daß die Feſtung ſich noch lange nicht ergeben wird. Franz. Das kommt nur auf das Feuer des Angriffes an. (Nähert ſich ihr.) Fanny (öffnet ihm die Thür). Mein Herr, ich empfehle mich Ihnen. Franz. Tauſend Dank, theure Fanny, daß Sie mir eigenhändig die Pforte öffnen, durch welche wir uns gemeinſam in den Park, zu einem kleinen harmloſen Stelldichein verfügen wollen. Eine hervorragende Liebens⸗ würdigkeit in der That! (Zieht die ſich ſträubende Fanny mit ſich hinaus.) Fanny. Aber Herr Franz Kutzer. (Beide ab). 5. Scene. Marie und Laura (kommen Arm in Arm durch eine andere Thür). Laura. Noch einmal laß Dich umarmen, liebe, liebliche Waldelfe. Marie. Und Du munteres Weltkind, ſei beſtens willkommen in meinem verzauberten Schloſſe. Laura. Verzaubert? Gehen Geſpenſter darin um? Marie. Die Geſpenſter der Einſamkeit und des Trübſinnes. Wirſt Di Dich nicht vor ihnen fürchten? Laura. Im Gegentheil — ich will ſie bannen. Marie. Und das Zauberwort? Laura. Liebe! (Marie ſchüttelt traurig den Kopf.) Marie. Alſo mein Bruder muß durchaus noch einige Rebhühner ſchießen, und vor einer halben Stunde dürfen wir nicht auf ihn rechnen? Laura. Eher ſicher nicht. Wie es ſcheint, Du Waldprinzeßchen, Du ver⸗ zaubertes Dornröschen, ſchläfſt Du noch immer, aber er kommt — er naht . . . . Marie (erſchreckend). Wer? Laura. Der Prinz, der Dich wecken ſoll, der Prinz, der nicht achten wird der Dornen Deines Trübſinnes, der Mauer Deiner Abgeſchloſſenheit. Ich ſage Dir, ein junger ſchöner Prinz mit feurigen Augen und ſchwarzem Bart, übrigens ſieht er mir ſprechend ähnlich. Marie. Ach ſo, Dein Bruder, der liebenswürdige Egon. Laura. Errathen. Ich habe Deinen Bruder geheirathet, ſo ſehe ich nicht ein, warum Du nicht auch den lieben meinen heirathen ſollteſt. Eine Hand wäſcht die andre. (Marie macht eine abwehrende Bewegung.) Ich komme nämlich als ſeine Geſandtin her — ich habe mich für Dich verbürgt — drum ſage kein Wort mehr. Du haſt auch wirklich nicht den geringſten Grund, meinen armen Bruder unglücklich zu machen. Iſt er nicht hübſch und, liebenswürdig? Marie (gleichgültig.) O ja! Laura. Liebes Kind. Sei vernünftig und mache Dir keine Illuſionen. Früher oder ſpäter mußt Du ja doch einmak wieder heirathen. Ein Gatte gehört zu einer Frau, die in der Geſellſchaft leben will wie der Handſchuh zu ihrer Hand. Marie. Dein Bruder kennt mich ja kaum. Laura. Er kennt Dich durch mich. Ich habe ihm von Deiner Schönheit erzählt, von Deiner Liebenswürdigkeit, Deinem Vermögen . .. 9 Marie. Aha! Laura. Von Deinem Vermögen einen Mann zu beglücken, meine ich natürlich. Nun, Mariechen, fort mit den Bedenklichkeiten, wann iſt die Hochzeit? Marie. O ſchweig, Laura, wenn Du mich nicht kränken und betrüben willſt. Ich liebe ja Deinen Bruder nicht, und wenn ich ihn auch liebte, ich würde ihn ſchwerlich heirathen. Laura. Und warum nicht? Du kannſt doch nicht im Ernſt lebenslang Wittwe bleiben wollen, weil Dein Seliger Dich unglücklich gemacht hat! Haſt Du Dich vielleicht bei der Vorſehung, auf, ſchlechte Ehe⸗ männer abonnirt? Freilich, Du biſt ſo unſchuldig und unerfahren, Dir wäre es beſſer geweſen, Du hätteſt gleich mit dem zweiten Gatten anfangen können. Marie. Ich werde niemals eine zweite Ehe eingehen. Die Wunde, die ich davongetragen, iſt zu tief geweſen, ich kann kein neues Glück auf Aſche bauen. Laura. Aber Marie . . . . . Marie. Siehſt Du Laura, mit ſo frohem Sinn und ſo zärtlichem Herzen wie ich mögen wenige Frauen in die Ehe getreten ſein. Mit der ganzen freudigen Liebe meines jungen Herzens wollte ich den Gatten umfaſſen. Und wie rauh hat er mich zurückgeſtoßen, wie rauh und abſtoßend ſelbſt war ſeine Zärtlichkeit. Was war ich ihm? Nichts als ein dürftiges kleines Geſchöpf zu ſeinem Dienſt und ſeinem Zeitvertreib. O Laura, daß es ſolche Ehen giebt, wo wir rettungslos einem böſen Manne angehören und ihm gehorchen müſſen, ohne Schutz bei Gott und den Menſchen, das hat meinen Glauben zerſtört an die Heiligkeit der Ehe, meinen Glauben an die Männer, ja an die Menſchheit. Laura. Aber Mariechen, was hat denn die Menſchheit mit Deinem ſeligen Major zu ſchaffen? Eine mußte ihn doch bekommen. Verſicherungen 10 gegen ſolche Unglücksfälle (giebt es nicht. Du biſt⸗ zjung und ſchön, vergiß ihn, der Dich unglücklich gemacht hat. Marie. Ja wohl, ich kann ihn vergeſſen, ich habe ihn vergeſſen, Laura, aber was ich erduldet, hat mich zerſtört für immer. Laura. Kürzen wir das „„immer“ und ſagen wir auf zwei Jahre. Die zwei Jahre ſind um, Du kehrſt in die. Geſellſchaft zurück. Un⸗ Marie. Niemals. Wollte ich mich mit kaltem Herzen und erloſchener Hoffnung unter die Lebensluſtigen miſchen, ich käme mir vor, wie jene todte Braut aus der alten Legende, die um Mitternacht, aus ihrem Grabe ſteigt und ſich mit den Lebendigen freut.. Wenn der Hahn, aber kräht, zerfällt ſie in Staub. Laura. Du biſt närriſch. Marie (ſie ſcheint einen Augenblick mit ſich zu kämpfen, dann ergreift ſie Laura's Hand und zieht ſie in den Vordergrund, als fürchte ſie von Jemand gehört zu werden.) Ich habe Dir nicht Alles geſagt, Laura. Nie ſollte es über meine Lippen kommen, ich hatte es mir gelobt. Aber ich will nicht, daß Du mich für einfältig oder närriſch halten ſollſt. Höre: Eines Tages — es war am dreizehnten Juni — kam er nach Hauſe, in böſeſter Laune — er reizte mich wie nie — und ich — zum erſten Male widerſprach ich ihm, ich widerſprach ihm heftig, da — da Laura ſchlug er mich! Er ſchlug mich — und dieſen Schlag — ich trage ihn wie ein Brand⸗ mal, ein Brandmal der Schande. Seit dem Tage wage ich keinem Menſchen mehr frei in's Antlitz zu ſehen — ſeit dieſem Tage gehe ich in Trauer —nicht um ſeinetwillen trage ich dieſes ſchwarze Kleid, ich traure um mich, um mein verlornes Leben. Begreifſt Du“ jetzt, daß ich ſchaudere, wenn man mit mir von einer zweiten Ehe ſpricht?⸗ Laura. Das war entſchieden brutal von Deinem Seligen, ich hätte es dem Major, trotz ſeines Jähzorns, nicht zugetraut. Aber alle Männer ſchlagen nicht. Ich glaube kaum ein halbes Prozent unter den gebil⸗ deten Ständen. Daß der gerade Dich Du Lilienherz und Aeolsharfe 11 zum Weibe bekommen mußte, war ein Mißgeſchick. Der hätte mich kriegen ſollen. In acht Tagen hätte ich dieſen Berliner Blaubart gezähmt. Du haſt die Ehe zu einfach genommen liebes Kind. Die Liebe, ſiehſt Du, das iſt lauter Gnade Gottes, die Ehe aber iſt eine Kunſt, und eine arme Frau mit viel Gefühl und wenig Weltverſtand wird kläglich darin ſcheitern, wenn die Vorſehung ihr nicht ein Pracht⸗ exemplar von Mann geſchenkt hat. Die geborenen guten Ehemänner blühen wie die Blumen der Aloe nur alle 100 Jahr einmal, in den meiſten Fällen ſind die guten Ehemänner — Frauenfabrikat. Marie. Du magſt Recht haben. Laura. Du mußt nicht glauben, daß es z. B. ſo leicht iſt, mit Deinem Bruder fertig zu werden. Er iſt unter Anderm von einer räthſelhaften Eiferſucht. Denke Dir, letzten Winter reiſte er mitten in der Saiſon von Berlin ab und ſchleppte mich auf ſein Gut; warum? weil ein Herr, und noch dazu ein dicker Herr, mir etwas zu ſtark den Hof machte. Wenn er wüßte, daß ich ſchon einmal, ehe ich ihn heirathete, heimlich, verlobt geweſen bin . . . . Marie, Du wirſt mich niemals verrathen? Marie. Wie kannſt Du glauben . .. Laura. Er würde es mir nie vergeben. Er würde behaupten, eine Frau, die einmal ihr Wort gebrochen . . . (ſich unterbrechend) mein Wort gebrochen, ich bitte Dich, Marie. — Du weißt ja, daß ich meinen Verlobten nur wegen pecuniärer Verhältniſſe verließ. Marie. Ich erinnere mich, Du erzählteſt mir damals auch, daß er acht Tage nach Deinem Abſagebriefe ſich zur Heilung ſeines Kummers in den Orient begab. Laura. Ja wohl, und drei Monate ſpäter beerbte er einen Onkel. Daß die Menſchen doch immer zu früh oder zu ſpät ſterben müſſen! Marie. Und haſt Du nie wieder von ihm gehört? 12 Laura. Nein. Sehr wahrſcheinlich hat ihn entweder der Kummer oder das orientaliſche Klima hingerafft. Marie. Seinen Namen haſt Du mir nie genannt. Laura. Ach, Nichts mehr davon. Und nun bitte ich Dich noch einmal, Marie, heirathe meinen Bruder, Du bekommſt eine ſo nette Schwägerin in mir. . . . Marie. Du biſt ja ſchon meine Schwägerin. Laura. Das hatte ich vergeſſen. Marie (iſt an's Fenſter getreten und wird plötzlich ſehr zerſtreut). Du meinſt alſo . . . . . Laura. Er iſt wirklich ein vortrefflicher junger Mann. Marie (immer zerſtreuter). Das freut mich ſehr. Laura. Du biſt ja mit einem Male ſo zerſtreut, was haſt Du denn? (tritt zu ihr an's Fenſter) Wer iſt denn das? Da ſpaziert ja ein ſchwarzer, junger Herr auf und ab. Ein junger Mann in Deinem Geſichtskreis. Mariechen — ei! eil Marie. Ein junger Mann? Wo denn? Ich ſehe Niemand. Laura. So biſt Du blind, oder Du willſt ihn nicht ſehn. Dort biegt er eben in die Seitenallee ein. — Wie? Du wirſt roth? Wer iſt es? Heraus mit der Sprache. Marie. Ja richtig, jetzt ſehe ich ihn, aber Du beleidigſt mich mit Deinen Hintergedanken. Ich kenne dieſen Mann nicht. Laura. Du kennſt ihn nicht? 13 Herr beim Oberförſter ein paar Zimmer gemiethet hat.“ Es ſoll ein Warte einmal — ich erinnere mich, gehört zu haben, daß ein Marie. Gemüthskranker ſein, der beim Oberförſter in Pflege iſt. So — ſo (ſieht zum Fenſter hinaus). Laura. Warum ſagte ich das'' nur — aber der Verdacht, den ſie hätte, trieb mir alles Blut in's Geſicht — vor Aerger. Könnte ich nur die Marie (für ſich). Lüge zurücknehmen. (Laut.) Laura, Dein Mann muß im Augenblick hier ſein, wollen wir ihm nicht entgegengehn? Geh' nur immer voraus, ich komme bald nach. Laura. Ich bin voll Zorn gegen mich ſelbſt. (Ab.) Marie (im Abgehen). Alſo gemüthskrank iſt er? Nicht unmöglich: —— nur glaube ich nicht daran. Dieſe Gemüthskrankheit ſchien ihr ſehr gelegen zu kommen. Laura (am Fenſter). 6. Scene. Gnädige Frau, gnädige Frau, denken Sie, der melancholiſche Herr Fanny (ſchnell hereinkommend). von Oberförſters läßt Sie dringend um eine Unterredung unter vier Augen erſuchen. Laura (ſich umdrehend). Was ſagſt Du da? Fanny. Ach, ich bitte tauſendmal um Entſchuldigung, ich dachte, Sie wären gar nicht — Frau von Walther. Laura (hinauszeigend). Siehſt Du den Herrn dort? Fanny. Den ſchwarzen Mann? ja. 14 Laura. Sage einmal, Fanny, nicht wahr, der Herr von da drüben iſt ein wenig geſtört? Fanny. Im Gegentheil, ganz ungeſtört. Wer ſollte ihn auch wohl in dem ſtillen Hauſe, des Oberförſters ſtören? Laura. Aber Fanny — ich meine — hier geſtört. (Auf die Stirn zeigend.) Fanny. Ach ſo, — nein — ich ſage Ihnen, gnädige Frau, ganz hell im Kopf, ſo vernünftig und kug wie Sie oder ich, Laura. Es iſt gut, Du kannſt gehen, Du brauchſt meiner Schwägerin nichts von der Bitte des melancholiſchen Herrn zu ſagen, ich möchte nicht, daß man ſie ohne Noth beläſtigt. Führe den Herrn herein, ſage ihm meinetwegen, daß Frau von Gersdorf nicht zu ſprechen ſei, und daß ich ihn an ihrer Statt empfangen würde. Fanny. Wie Sie wünſchen. (Ab.) 7. Scene. Laura. Die Sache wird immer bedenklicher. Eine Unterredung unter vier Augen, Fanny's Verlegenheit, Marien's Erröthen . . . Das ſteht feſt, dieſer Herr, mit oder ohne Spleen, muß entfernt werden, und zwar ſo ſchnell als möglich. Wenn ich nur wüßte, wie? Ob ich ihm beiläufig mittheile, daß Marie verlobt iſt, oder . . . . ehe ich einen Entſchluß faſſe, will ich ihn ſehen und darnach meinen Plan einrichten. (In den Spiegel blickend). Aber wie verſtaubt bin ich von der Reiſe. Schnell noch einen Augenblick Toilette. (Ab in's Rebenzimmer.) 15 16 8. Scene. Fanny. Dernburg. Fanny (ſingt draußen im luſtigen Tempo). „Morgenroth, Morgenroth, leuchteſt mir zu frühem Tod.“ (Die letzten Worte ſingt ſie im Zimmer, indem ſie ſich umſieht, dann ſpricht ſie nach außen:) Kommen Sie, Herr von Dernburg, ſie iſt einen Augenblick in's Nebenzimmer gegangen. Dernburg (haſtig und aufgeregt eintretend). Zum erſten Male bei ihr — in ihrem Zimmer — (Sopha und Stühle berührend) das ſind die Polſter, auf denen ſie geruht — und da die Blumen, die Bilder, an denen ihre Augen, die ſüßen haften — und hier die Stickerei, die ihre zarten Finger berührt. (Er küßt die Stickerei.) Fanny (ſpringt hinzu).. Um Gotteswillen, da iſt ja noch die Sticknadel darin. Sie ſtechen ſich. ( Nimmt die Nadel weg.) Dernburg. Und dieſe Schwägerin, die gerade im kritiſchſten Augenblick hier erſcheinen muß. Ich haſſe ſie. Und mit ihrem Bruder, ſagſt Du, will ſie des Geldes wegen meinen Engel verheirathen? Fanny. Jawohl, ich habe es deutlich an der Thür gehört — ich ging zu fällig vorbei — gehorcht habe ich nicht — und daß er jetzt Rebhühner im Walde ſchießt und in einer halben Stunde hier ſein wird, ſo etwas ſagten ſie auch. Dernburg. Familienbande — 's iſt doch eine greuliche Bande mitunter. Dieſe Schwägerin muß entfernt werden, Fannychen, um jeden Preis! Fanny. Umſonſt will ich es thun, wenn ich nur wüßte, wie? (Sie hat durch das Schlüffelloch geſehen.) Sie kommt! (Schnell ab.) 17 9. Scene. Laura. Dernburg. Laura. Mein Herr, Sie wünſchten mich zu ſprechen . . . . (Max ſieht ſſchnell auf, ſie fahren beide erſchreckt zurück.) Laura. Max! Dernburg. Laura! Laura. Du . . . (ſich verbeſſernd) Sie hier! entſetzlich! Dernburg. Dieſer Schreck iſt hoffentlich nur ein Aufſchrei Ihres Gewiſſens - kein Urtheil über meine Perſon. Laura. Schon zurück aus dem Orient? Dernburg ( ſpricht anfangs bitter und ſpöttiſch). Schon? nach fünf Jahren? Der eine Zug hatte den Anſchluß verfehlt, ſonſt wäre ich ſogar noch einen Tag früher angekommen. (Pauſe der Verlegenheit.) Laura (ſchnell und im Converſationstone ſprechend, wie um über das Peinliche ihrer Lage hinwegzukommen). Ich weiß, Sie haben eine intereſſante Reiſe gemacht. Haben Sie ſchönes Wetter gehabt? Dernburg. Ich danke, mitunter 30 Grad im Schatten. Laura. Sie haben gewiß ſehr viel Neues und Schönes geſehen. In Aegypten die Memnonsſäule und den Nil, in Indien die Sanskritſprache und den Himalaya . . . Dernburg. Und in China den Thee und in Mokka den Kaffee . . . Laura (unwillkührlich vorwurfsvoll). Und das heiße Klima, die Cholera, die Wilden und die Meeres⸗ ſtürme, das haben Sie Alles überwunden? 2 Dernburg. Verzeihen Sie, wenn ich von meinem Recht zu leben, einen ſo ausgedehnten Gebrauch gemacht habe. Laura. Und in Indien werden da noch immer die Wittwen verbrannt? Dernburg (voll Bitterkeit und Zorn). Sie wagen es, meine Gnädigſte, an jenen idealen Heroismus indiſcher Weiber zu erinnern, deren Treue ſelbſt den Tod überwindet, Sie, die das heilige Wort der Treue gebrochen, ohne Gewiſſensbiſſe . . . Laura. Ich verſichere Ihnen, es war nicht meine Schuld. Mein Vater, meine Mutter . . . Dernburg. Ihre Tante, Ihr Couſin — ich weiß. Sie alle waren dagegen, und Ihr Herz . . . Laura. Lief zur Vernunft über. Dernburg Seit wann ſind Herz und Vernunft Gegenſätze? Laura. Wenn die, die wir lieben . . . Dernburg (ſie unterbrechend). Kein Geld haben. Laura. O pfuil vergeſſen Sie, was geſchehen, dem Gatten ſollen wir Alles opfern . . . Dernburg. Selbſt dem Bräutigam. Laura. Jegliche Erinnerung. (Bei Seite:) Wie bringe ich ihn nur fort? (Laut:) Herr von Dernburg, mein Mann iſt eiferſüchtig, über jede Vor⸗ ſtellung hinaus. Reiſen Sie ab. Dernburg. Ich? nein. ( Für ſich) Sie ſoll abreiſen. Laura. Ihre Beſtändigkeit iſt mir ſehr ſchätzenswerth — aber Herr von Dernburg, daß Sie mir gefolgt ſind bis hierher, daß Sie mich quälen 18 mit Ihrer Liebe — das iſt ſehr, ſehr Unrecht. Ich beſchwöre Sie, reiſen Sie ab. Dernburg (für ſich). Die herzloſe Närrin glaubt, daß ich um ihretwillen hier bin. Laura (dringend). Sie können ſich beſinnen? Der Preis Ihrer Abreiſe iſt — meine Hochachtung! Dernburg. (man ſieht ihm an, daß er einen Entſchluß faßt; mit völlig verändertem Ton). Was verlangen Sie von mir? In den wüſten Steppen Africas am Ufer des Ganges, wo die Lotosblumen blühen, träumte ich nur von Ihnen, und nun, da mein Traum erfüllt iſt, da Sie vor mir ſtehen, ſollte ich abreiſen? Nein, gnädige Frau, nicht von der. Stelle. Ich bin und bleibe Ihr Schatten, denn niemals kann ich die Stunden himm⸗ liſchen Glücks und höchſter Seligkeit, die Sie zu ſpenden fähig ſind, vergeſſen, niemals. (Er geht auf die Thür zu, riegelt ſie zu und bleibt davor ſtehen.) Laura. Um Gotteswillen, was thun Sie, mein Herr, was erlauben Sie ſich? Wollen Sie mich compromittiren? Dernburg. Möglich; aber was liegt daran? Wer fragt nach Rückſichten, wo es ſich um die heiligſten und zarteſten Gefühle des Herzens handelt? Wenn ich ein Weib liebe, ſo möchte ich es ausſchreien in alle Winde blaſen möchte ich es von den Kirchthürmen, ja ich wünſchte, mein Herz wäre eine Glocke, die in alle Welt hineinläutete: Ich liebe — Laura. Laura. Genug, mein Herr. Mein Gatte .. Dernburg. Es giebt Duelle. Laura. Haben Sie den Verſtand verloren? (Plötzlich erſchreckend für ſich) Mein Gott, was fällt mir ein? Sein Weſen, ſeine unſinnigen Worte — wie ſagte Marie? — Gemüthskrank! — So iſt's — der Un⸗ glückliche! Die Liebe zu mir hat ihm den Verſtand geraubt. Dernburg (heftig). Laura, wollen Sie mich jetzt hören? 19 Laura ( erſchrickt). Gewiß, gewiß, mein Herr. (Für ſich) Tiefſinnige bekommen leicht Wuthanfälle, ich muß ihm nachgeben — und die Thür iſt verriegelt — ich vergehe vor Angſt. (Dernburg ſteht an der Thür, Laura am Fenſter; im Laufe des Geſpräches wechſeln ſie allmählig die Plätze, ſo daß ſie der Thür, er dem Fenſter immer näher kommt.) Dernburg. Sie haſſen mich vielleicht? Laura (wie um ihn zu beſchwichtigen). Glauben Sie das ja nicht — im Gegentheil. Dernburg. Sie lieben mich? Laura (mit Ueberwindung). Ich . . . ich — liebe Sie. Dernburg (wiſcht ſich die Stirne ab; für ſich). Herr des Himmels! (Laut) Sie lieben mich über alle Maßen? Laura. Ich liebe Sie über alle Maßen. Dernburg (ſehr kalt). Das iſt ja ein grenzenloſes Glück für mich, die Wonne faß ich kaum! (Für ſich) Da ſitz' ich feſt, ſie liebt mich noch, hätte ich das ahnen können! aber fort muß ſie — um jeden Preis. (Laura hat unter⸗ deſſen verſucht, die Thür aufzuriegeln, es iſt ihr aber nicht gelungen.) Laura (ſehr ſanft). Mein lieber Max — wollen wir nicht draußen ein wenig promeniren? Dernburg. Ja wohl — ſpäter. Arm in Arm, Aug' in Aug' wollen wir in den dunklen Alleen des Buchenwaldes wandeln, liebe Laura. Laura. Ja, Aug' in Auge wollen wir wandeln, lieber Max. Dernburg (für ſich). Entſetzliche Umwandlung! Vergrößern wir die Schrecken. (Laut.) Laura, Sie kennen mich noch nicht, erfahren Sie denn, daß ich keine ſentimentale Grasmücke bin, ſondern eine dämoniſche Natur. Dieſe einſamen, friedlichen Spaziergänge genügen mir nicht. Hören Sie, 20 Nachts, wenn Alles ſchläft, werde ich unter Ihrem Fenſter erſcheinen, ich werde ein Lied ſingen. Laura. Ich werde auch ein Lied ſingen. Dernburg. Sie werden das Fenſter öffnen. Laura. Ich werde das Fenſter öffnen. Dernburg. Ich werde eine Leiter anlegen. Laura. Ich werde auch eine Leiter anlegen. Dernburg (heftig). Das brauchen Sie ja nicht, Sie ſind ja ſchon oben. Laura. Richtig, ich bin ſchon oben. (Für ſich.) Ich ſterbe vor Angſt! (Beſchäftigt ſich an der Thür.) Dernburg (für ſich). Empörend — kaum halte ich mich vor Entrüſtung, das iſt ja eine Corruption, die alle Grenzen überſteigt — ich wünſchte, ich wäre hundert Meilen von hier — wie entgehe ich dieſer Laura? Verſuchen wir das Aeußerſte. Laura (für ſich). Gott ſei Dank, der Riegel ſchiebt ſich . . . (laut) Max, wollen wir nicht jetzt ein wenig Luft ſchöpfen — draußen? Dernburg (faßt ihre Hand und führt die Widerſtrebende von der Thür fort). Noch einen Augenblick. Laura, Sie ſollen mich ganz kennen lernen. Einer dämoniſchen Natur, wie ich es bin, iſt auch mit dieſem Rendez⸗ vous noch nicht Genüge geſchehen. Sie müſſen mein ſein, mir gehören für alle Zeit. Wir müſſen fliehen. Fliehen wir, Laura! Laura. Ja, fliehen wir, Max . . . Dernburg. Weit über das Weltmeer. 21 22 Laura. Weit über das Weltmeer. Dernburg. Bis nach Auſtralien. Laura. Bis nach Auſtralien. Dernburg (drohend). Oder ziehen Sie Californien vor? Laura. Fliehen wir nach Californien. ( Sie verſucht die Thür zu öffnen; ſie giebt nach.) Dernburg (für ſich). Wie entkomme ich dieſer ſchrecklichen Lage? (Blickt zum Fenſter hinaus.) Heut' Nacht alſo, wenn der Vollmond ſcheint. Laura. Wenn der Vollmond ſcheint . . . Dernburg. Werden wir uns am Ausgang des Parkes treffen — unter dem Lindenbaum. Laura. Unter dem Lindenbaum. Dernburg (ans Fenſter tretend). Dort im Park ſehe ich rothe Roſen, warten Sie hier einen Augen⸗ blick auf mich, theure Laura, ich werde Ihnen eine rothe Blume holen, die ſollen Sie als Kennzeichen am Buſen tragen. — Vergeſſen Sie nicht, wenn die Glocke zwölf ſchlägt . . . Laura (mit ſchwacher Stimme). Wenn die Glocke zwölf ſchlägt. (Dernburg will zum Fenſter hinausſpringen, in demſelben Augenblick hat Laura die Thür geöffnet und ſtürzt fort.) Laura (im Hinausgehen). Gerettet! (Dernburg kommt vom Fenſter zurück.) 23 10. Seene. Dernburg. Gott ſei Dank, ſie iſt fort! Welch' ein Weib! Welch' eine Ge⸗ ſellſchaft! Dieſe Verderbtheit könnte einem im vollen Ernſt die Welt und die Menſchheit verleiden. Hoffentlich war dieſe Lektion ſtark genug, um ihr den Aufenthalt hier unmöglich zu machen. Fanny (ſteckt den Kopf durch die Thür). Sie kommt! (Ab.) Dernburg. Jetzt gilt es, die Geliebte zu gewinnen. An dieſer Stunde hängt mein Geſchick. Ich ſpiele den Sonderling, den Melancholiker. Auf dem Wege der Wahlverwandtſchaft will ich mich in ihre Gunſt ſtehlen. — Wäre es wahr, was Fanny ſagt, daß ihr Herz mir ſchon gehört? Ich will nicht darauf bauen. (Er nimmt ein Buch, ſieht hinein und giebt ſich den Anſchein, als bemerke er das Eintreten Mariens nicht.) 11. Scene. Marie. Dernburg. Marie (nachdem ſie Dernburg einen Augenblick ſtumm betrachtet hat). Sie ließen mich um eine Unterredung bitten mein Herr, ich bin bereit, Sie zu hören. Dernburg. (Er vermeidet während des erſten Theils dieſer Scene Marien anzublicken, nur wenn er ſicher iſt, daß ſie es nicht bemerkt, ruhen ſeine Augen auf ihr. Um Einförmigkeit zu vermeiden, muß er ſeine Blicke abwechſelnd zu Boden ſenken, aufwärts richten, in's Leere ſchweifen laſſen u. ſ. w.) Ich habe Ihnen eine Bitte vorzutragen. Marie. Wollen Sie nicht Platz nehmen? Dernburg. Ich danke Ihnen, ich ziehe vor, zu ſtehen. Was ich Ihnen zu ſagen habe, iſt mit drei Worten abgethan. Marie (für ſich). Wie unhöflich — und er ſieht nicht einmal auf. (Laut). Sprechen Sie, ich höre. Dernburg. Liegt Ihnen ſehr viel daran, gerade hier, auf dieſem Gute, Ihr Leben zu beſchließen? Marie. Wie mein Herr? Ich verſtehe Sie wohl nicht recht — Sie wünſchten . . . . Dernburg. Daß Sie dieſes Schloß verlaſſen. Sie haben das Recht, eine Erklärung dieſer ungewöhnlichen Bitte zu fordern. Ich will ſie Ihnen nicht vorenthalten. Sie ſehen in mir einen unglücklichen, einen ſehr unglücklichen Mann. Ein am Glück Schiffbrüchiger floh ich in dieſe Einſamkeit wie auf eine Oaſe, nicht um zu geſunden — nein — um zu vergeſſen. Das Geräuſch aber, das laute Treiben, das Sie hier veranlaſſen . . . . Marie. Mein Herr, Ihre Worte ſetzen mich in Erſtaunen. Ich werde meinen Landſitz nicht verlaſſen. Dernburg. Auch um meinetwillen nicht? Marie. Um Ihretwillen am allerwenigſten. Dernburg. Ich war auf eine abſchlägige Antwort gefaßt. Vielleicht giebt es noch ein anderes Auskunftsmittel. Sind Sie reich? Marie. Was kümmert Sie das? Deruburg. Ich bin reich. (Für ſich). Es kann nichts ſchaden, wenn ſie es weiß. (Laut.) Ich werde Ihnen Ihr Gut abkaufen. (Zieht eine Brief⸗ taſche heraus.) Was koſtet es? Maric. Mein Herr, Ihr Benehmen iſt beleidigend. (Sie tritt ziemlich nahe an ihn heran, um von ihm angeſehen zu werden. Er tritt einige Schritt zurück.) Ich habe bis jetzt nicht daran gedacht, mein Gut zu verkaufen und ich werde es niemals verkaufen. Dernburg. Nach Ihrem Lobe indessen . . . . 24 Marie. Wie — Sie ſpekuliren auf meinen Tod? (Für ſich.) Er hält mich für alt, der Thor! (Laut.) Es thut mir leid, ich werde mich ſelbſt auf Ihren Wunſch weder von dieſem Landſitz, noch aus dieſem Leben entfernen. Damit können wir wohl unſere Unterredung als beendet betrachten. Dernburg. Ich ſehe wohl, die einfache Offenheit meiner Worte hat ſie verletzt, wie aber ſollte der, dem das ganze Leben nichts iſt, als ein Kriechen in's Grab, über anmuthige Rede gebieten? Kann eine Leier klingen, wenn die Saiten zerriſſen ſind? Und eine ſolche zerriſſene Leier iſt meine Bruſt. Sie freilich wiſſen nichts von jener tiefen Melancholie, von jener höchſten Verzweiflung, die des Menſchen Herz zu einem Ab⸗ grund macht, der gierig jede Lebensluſt verſchlingt. Wenn ich recht berichtet bin, ſo ſind Sie ein Weib. Frauen, ſie mögen jung und ſchön, oder alt und häßlich ſein . . . . Marie. Bin ich auch alt und häßlich, mein Herr, ſo begreife ich doch voll⸗ kommen jenen unausſprechlichen Lebensüberdruß, an dem Sie leiden — ja noch mehr, ich theile ihn. Auch ich ſpreche mit dem Dichter: „Mein Inneres ſchaudert auf! — Was iſt der Menſch! Dernburg. Was iſt der Menſch! Ja wohl. Aus Ihren Worten weht mich ein inniges Verſtändniß wahrer Melancholie an. Sie gehören ſicher nicht zu jenen Närrinnen, die ſich mit dem königlichen Purpur des Schmerzes drappiren, weil ein rauher Luftzug ſie verletzt hat, die unglücklich ſind, weil ſie einmal Unglück gehabt haben. Marie. Urtheilen Sie nicht vorſchnell mein Herr, vergeſſen Sie nicht, daß es zarte Blüthen giebt, die ein einziger Sturm für immer knickt. Dernburg. Warum vergleichen Sie die unſterbliche Menſchenſeele mit einer ſchwachen Blüthe, warum nicht mit einem ſtolzen Baume? Fährt der Sturm durch ſeine Zweige, ſo kräftigen ſich ſeine Wurzeln, und iſt er vorüber, ſtrebt der Wipfel um ſo ſtolzer empor. Selbſt eine Aeols⸗ harfe bleibt ohne Windſtoß ſtumm. Sie werden es mir kaum glauben, 25 aber ich habe Frauen gekannt, rothwangige Frauen mit dem beſten Appetit, die, weil ein Schlag . . . Marie (auffahrend). Wie? Dernburg (fortfahrend). Ein Schlag des Schickſals ſie getroffen, zeitlebens in langen, ſchwarzen Schleppgewändern auf Erden umherwandeln — allerdings ſtanden ſie ihnen auch gewöhnlich ganz gut; ſie trugen ſchwarze Hand⸗ ſchuhe, ( Marie zieht wie in Gedanken die Handſchuhe aus), ſie verhüllen ihr Haupt mit Flor, anſtatt es mit Roſen zu ſchmücken. Marie (für ſich). Wie heiß es iſt! (Sie zupft erſt an ihrer Florhaube und nimmt ſie dann ganz ab. Ihr Haar quillt in reicher Lockenfülle daraus hervor.) Dernburg. Das ſind Frauen, die täglich einnehmen — zum Trauern, ein paar Löffel Erinnerungen. Sie fertigen ſich ſelbſt ſieben Schwerter an, aber von Holz, heften ſie an ihr Trauergewand, ſtellen ſich auf ein Piedeſtal und ſchreiben darunter: Mater dolorosa. Sie machen ihrem Zimmer eine ſchwarze Toilette und nennen den chroniſchen Schnupfen, an dem ihre Seele leidet — Schwermuth. Dieſe Frauen trauern — auf Applaus. Marie. (Sie hat aus einer Vaſe eine rothe Roſe genommen und befeſtigt ſie in ihrem Haar). Ihr Urtheil iſt hart mein Herr und trifft gewiß nur wenige Frauen, mich gewiß nicht. (Sie tritt ihm abermals näher, er weicht zurück). Haben Sie ein böſes Gewiſſen, daß Sie ſo krampfhaft die Augen in's Leere richten? Fürchten Sie ſich vor einer alten häßlichen Frau? Dernburg. Ich ſollte mich fürchten? (Er blickt ſie an, und läßt eine Erregung wahrnehmen, die er aber ſogleich wieder überwindet — gleichgültig). Sie ſind ja gar nicht ſo alt und häßlich, wie Sie ſagen. Marie. O, Sie ſind ſehr gütig. Sie ſpotten über das Unglück ſchwacher Frauen. Sie ſind mitleidslos wie alle Männer. Auch Sie würden ein Thrann ſein. 26 Ich? ich? ein Tyrann? Ehe ich die Frau, die ich liebe, mit Dernburg (mit Feuer). einem Wort, einemBlick verletzte, ehe ſollte mein Mund auf ewig ver⸗ ſtummen, meine Augen erblinden. Jede Thräne, die ſie um mich weinte, würde wie ein Feuertropfen auf meine Seele fallen. Wenn ich höre, daß ein Mann ſeine Frau mißhandelt, ſo kann ich es kaum glauben. Sähe ich es — ich würde ihn tödten. Sie ſind ein guter, edler Menſch, ich danke Ihnen. Marie (ihm freudig erregt die Hand reichend). Dernburg (behält Mariens Hand in der ſeinen). Möchten Sie doch wieder an die ganze Menſchheit glauben. Und je länger ich Sie betrachte, je unnatürlicher erſcheint mir Ihre Melan⸗ cholie. Ihr heiterer Mund, Ihr glänzendes Auge . . . Sie haben meine Hand vergeſſen. Sie täuſchen ſich — meine Marie (ihm die Hand entziehend). Melancholie iſt unheilbar. Wirklich? Mir ſcheint, als gäbe es nur zwei Quellen, aus denen Dernburg. alle Melancholie entſpringt: aus Liebe oder aus Haß. Die Melancholie aus Haß iſt das Erbtheil jener engen Herzen und beſchränkten Köpfe, von denen ich vorhin ſprach, jener Schwächlinge, die, weil ſie auf der Jagd nach dem Glück einmal geſtürzt ſind, den Menſchen und den Sternen fluchen. — Ich verletze Sie doch nicht? O nein — ich bin bewegt — ich danke Ihnen, vielleicht haben Marie. Sie recht. Und jene — jene andere Melancholie aus — Liebe? Das iſt jener große Trübſinn, der uns ergreift um der Menſchheit Dernburg (mit Pathos). ganzen Jammers willen. Und an dieſer Melancholie ſind Sie erkrankt? Marie. Dernburg (mit tiefer Empfindung). Nein — nicht an dieſer Melancholie der Vernunft. Die Melan⸗ cholie des Herzens, der ich verfallen bin, hat mit der Liebe für das ganze Menſchengeſchlecht nichts gemein, — im Gegentheil, ſie weiß nichts von dem Menſchengeſchlecht, denn ſie kennt auf der ganzen Erde 27 28 nur Ein Weſen. Das iſt die Liebe — die hoffnungsloſe zu einem Weibe. Und an einer ſolchen Melancholie bin ich krank, denn ich liebe ein Weib, heiß, inbrünſtig, hoffnungslos. Marie (erregt). Seit Kurzem erſt? Dernburg. Seit zwei Jahren. Marie (traurig). Das iſt ſehr lange. Und dieſer Trübſinn iſt ebenfalls unheilbar. Dernburg. O nein, zuweilen endet ihn — ein Piſtolenſchuß. Marie (für ſich). Armer, junger Mann, wer ihm helfen könnte. (Laut:) Und hoffnungslos, ſagen Sie, iſt Ihre Liebe? Warum hoffnungslos? Sind Sie nicht jung? Haben Sie nicht Herz und Geiſt? Sollte man Sie wirklich ſo wenig liebenswerth finden? Oder weilt ſie fern von Ihnen, die ſie lieben? Dernburg. Fern? o nein. (Für ſich:) Ob ich es wage? (Laut:) Sie weilt hier in dieſem Schloß — wenn ich den Arm ausſtrecke — ich könnte ſie faſt erreichen. (Marie macht eine Bewegung des Erſchreckens. Dernburg für ſich:) O weh, ſie erſchrickt. (Laut:) Aber ach, ſie iſt unerreichbar für mich. Marie. Vermählt? Dernburg. Gleichviel — ich habe nichts zu hoffen. (Er wendet ſich ab.) Marie (für ſich). Seit zwei Jahren — und hier im Schloß — ſollte Laura — unmöglich. (Sehr ſchnell, laut:) Nicht wahr, Herr von Dernburg, meine Schwägerin, Frau von Walther kennen Sie nicht? Dernburg (mit Bewegung). Ich kenne Sie! Marie. Lange? Dernburg. Sehr lange! Marie. Intim? (Sie muß aus Dernburgs Worten ſeine innere Bewegung her⸗ aushören und ſie mißverſtehen.) 29 Dernburg. Sehr intim. (Für ſich:) Sie weiß von meiner Verlobung. (Laut:) Wenn Laura Ihnen geſagt haben ſollte . . .. Marie (tief erregt). Laura?! (Für ſich:) Sie iſt's alſo. Dernburg. Nicht ich trage die Schuld, gnädige Frau — Laura war es . .. Marie (ihn ſchnell unterbrechend). Wie — Sie wagen es, eine Frau anzuſchuldigen! Sind ſie denn ebenſo feig wie gewiſſenlos? (Dernburg will ſprechen.) Kein Wort weiter. Sie haben gewagt, mir ein Geſtändniß zu machen, das mich auf's tiefſte beleidigt. Entfernen Sie ſich auf der Stelle, laſſen Sie ſich nie wieder vor meinen Augen ſehen. Dernburg. Gnädige Frau, ich beſchwöre Sie . . Marie (energiſch). Entfernen Sie ſich! (Dernburg mit einer Geberde ſchmerzlichen Er⸗ ſtaunens ab.) 12. Scene. Marie (in großer Aufregung). Abſcheulich — unerhört — noch faß ich's kaum. (Bleibt plötzlich ſtehen.) Mein Gott — was iſt denn abſcheulich und unerhört? Wußte ich denn nicht längſt, daß eine reine Liebe in dieſer Welt des Truges nichts als ein leerer Begriff iſt, ein Lichtſtrahl, den der Sturmwind widriger Leidenſchaften verweht. — Einen Augenblick kam es wie Hoff⸗ nung über mich! — Du armes Herz, noch immer hegſt Du Illuſionen — wann werden ſie endlich todt ſein — alle todt! (Auffahrend:) Und ich bebte unter ſeinen Worten wie eine Schuldige — ich ſteckte mir dieſe Blume in's Haar — um ihm zu gefallen that ich es. Fort mit Dir, Du Symbol der Freude, Du rothe Roſe. (Sie wirft die Roſe zu Boden.) Ach — ich werde niemals wieder lieben. — Wie lang das Leben iſt! (Sie verbirgt weinend ihr Geſicht in den Händen.) 13. Scene. Laura. Marie. Lanra (noch in der Thür). Ich ſuche Dich überall. Marie ( aufſchreckend). Gut, daß Du kommſt. Ich wollte Dich eben aufſuchen. Laura. Willſt Du etwas von mir? Maric. Ich wollte Dir nur mittheilen, daß ich Deinen Bruder niemals heirathen werde. Mein Entſchluß iſt unwiderruflich. Ich ſterbe als Wittwe. Laura. Woher mit einem Male dieſe leidenſchaftliche Entſchiedenheit? Marie. Ich habe mich von Neuem überzeugt, daß die Männer um der niedrigſten Leidenſchaften willen Ehre und Pflicht verrathen. Laura. Und wie und wo haſt Du Dich denn in ſolcher Geſchwindigkeit von Neuem überzeugt? Marie (verwirrt). Wie und wo? Ich habe nachgedacht. Laura. Eine volle Viertelſtunde? Dein Verſtand ſcheint heute ſeinen bon jour zu haben. Marie. Eine Minute genügt oft, eine Hoffnung aufzubauen und eine Hoffnung auf immer zu zerſtören. Und was ich Dir noch ſagen wollte — der junge Mann — Du weißt — der bei dem Oberförſter wohnt — ich habe mit ihm geſprochen; wie konnteſt Du ihn ſo gewiſſenlos umſtricken! — Du kennſt ihn wohl ſchon ſehr lange? Laura (für ſich).. Ob ich ihr vertraue? Nein, lieber nicht. (Laut:) O ja, wir ſind gute alte Bekannte. Marie (mit unterdrückter Bewegung). Und er hat mit Dir von ſeiner Neigung geſprochen? 30 Laura. Und mit einer Leidenſchaft ſage ich Dir — empörend. Marie. Ja wohl — empörend iſt Deine Koketterie. Du biſt verheirathet ... Laura. Ein Grund mehr kokett zu ſein. Wenn mir andere Leute nicht die Cour machen, merkt mein Mann ja gar nicht, was für eine remar⸗ kable Frau ich bin. Marie. Ich aber werde dieſes leichtfertige Spiel nicht dulden. Dein Be⸗ nehmen . . . . Laura. Meine gute Marie, glaubſt Du etwa, Dein Betragen errege keinen Anſtoß? Auch über Dich raunt man ſich in den Salons allerhand zu. Marie. Ueber mich? unmöglich. Laura (ihr in's Ohr flüſternd). Man ſagt, wie andere Leute von der Gelbſucht, ſo wäreſt Du von der Schwarzſucht befallen. Der Krepp, den Du trägſt, ſagt man — wäre kein legitimer Krepp. Und Du hätteſt Dir bereits aus Afrika ſchwarze Köchinnen und Stubenmädchen verſchrieben — wegen der Trauer. Und Du tränkeſt nur ſchwarzen Kaffee — ſagt man — wegen der Trauer — und Du färbteſt Dir — ſagt man . . . . Marie (erſchreckt). Was? Laura (ſehr laut). Die Augenbrauen — wegen der Trauer. Marie. O über dieſe Bosheit — es wäre thöricht, wollte ich mich darüber ärgern. Geh' doch in Dich, Laura! Iſt es nicht abſcheulich, Jemandem eine Liebe einflößen zu wollen, die man ſelber nicht empfindet? Laura (ſpöttiſch). Immer noch beſſer als eine Liebe empfinden, die Andern einzu⸗ flößen man nicht im Stande iſt. 31 32 Marie. Du willſt mich beleidigen. Laura. Wenn es Dich beleidigt, daß jener ſchwarze Herr mich liebt. Marie. Ja gewiß, es beleidigt mich. Du biſt die Frau meines Bruders. Laura. Deine ſchweſterliche Liebe nimmt ja mit einem Male gewaltige Dimenſionen an. Marie. O Laura — mein ganzes Herz empört ſich — das ertrage ich nicht. Ich muß in's Freie, wieder einmal reine Luft zu athmen. (Will fort.) Laura (ruft ihr nach). Du — Marie, er iſt nicht mehr im Park. (Indem Marie zur Thür hinaus will, tritt ihr Friedrich entgegen.) 14. Scene. Friedrich (im Jagdanzug). Laura. Marie. Marie (ihn ſtürmiſch umarmend). O mein Bruder. Laura (ſtürzt ihm ebenfalls in die Arme). O mein Friedrich, biſt Du endlich da! Friedrich (ſich losmachend). Um's Himmels Willen — Vorſicht! Es iſt noch ein Schuß in der Flinte. (Er nimmt die Flinte ab und ſtellt ſie in eine Ecke.) So — da ſteht ſie ſicher — nicht daran rühren. — Guten Morgen, liebe Kinder. Was bedeutet denn dieſer Sturmlauf an mein Herz? Daran bin ich ja gar nicht gewöhnt. (Blickt von Einer zur Anderen.) Nun — was iſt das? Düſtere Blicke — finſteres Schweigen — was giebt es denn? Laura. Nichts Beſonderes. Wir haben uns gezankt. 33 Marie. Ach Friedrich, ich bin ſehr unglücklich. Friedrich. Das weiß ich ja ſchon lange, Schweſterchen, und mein Recept iſt immer daſſelbe: Heirathe! Marie.. Und ich will Deinen Spott nicht länger ertragen. (Schnell ab.) Friedrich (ihr nachrufend, indem er bei ſeiner Jagdtaſche beſchäftigt iſt). Mariechen — hier Rebhühner zum Souper — ſie hört mich nicht — fort iſt ſie. 15. Scene. Friedrich. Laura. Laura (für ſich). Wir müſſen abreiſen — noch heut'. Ich weiß das Mittel ihn fortzubringen. Friedrich (immer noch mit der Jagdtaſche beſchäftigt). Nun Lauretta meiner Seele ſprich Dich aus. Habt Ihr Euch wirklich darum gezankt, wer von Euch mich zuerſt umarmen ſoll? Laura. Das war eigentlich nicht die nächſte Urſache. Deine Schweſter iſt neidiſch auf mich. Friedrich. Darauf, daß Du einen ſo vortrefflichen Gatten haſt. Laura. Geck. Nein — es hat ſich wieder einmal einer in mich verliebt und nicht in ſie. Das iſt es. Friedrich. Laura. Das muß ein merkwürdiger Menſch ſein. Du biſt wohl gar nicht eiferſüchtig, mein Freund? 3 Friedrich (gähnend). Nein — aber müde. (Für ſich, indem er ſich eine Cigarre anſteckt.) Dieſer Verliebte exiſtirt gar nicht, ich möchte darauf ſchwören. Warum ſie mich nur eiferſüchtig machen will? Laura. Der Mann, der mir huldigt, iſt jung und feurig. Friedrich. J, das iſt mir lieb. Da brauche ich ganz und gar nicht eifer⸗ ſüchtig zu ſein. Aus jugendlichem Feuer machſt Du Dir nichts, ſonſt hätteſt Du Dich niemals in mich verliebt. Hat Dein Anbeter Geiſt? Laura (verlegen). Geiſt? (Seufzend:) Ich glaube, er hat viel Geiſt — gehabt. Friedrich (der nur halb hinhört). So ſo, er hat alſo Geiſt? Das freut mich, ſo wird ſeine Neigung für Dich nicht von langer Dauer ſein. Laura. Willſt Du damit ſagen, daß ich einfältig bin? Friedrich. Im Gegentheil, ich meine nur, er müßte denn doch bald merken, daß Du die tugendhafteſte Perſon von der Welt biſt. Laura. Sehr ſchön, mein Freund, vergiß aber nicht, daß es eine Beredt⸗ ſamkeit der Leidenſchaft giebt, die Steine erweichen kann, einen Sirenen⸗ ton der Liebe, der mit ſeinem Zauber . . . . Friedrich. Das Herz ſchwacher Weiber umgarnt. Du aber biſt ein ſtarkes Weib. Laura. Natürlich, ſelbſtverſtändlich; aber Du weißt gar nicht, wie nervös ich bin.“ Friedrich. Du ſagſt das in einem Ton — beleidigt es Dich etwa, daß ich Dich für tugendhaft halte? 34 35 Laura. O nein, aber es iſt kein gar zu großes Vergnügen, immer nur ſeine Tugend loben zu hören, man hat denn doch auch andere Eigen⸗ ſchaften . . . . (Für ſich:) Er denkt nicht an's Abreiſen, ich vergehe vor Angſt. (Laut:) Glaube mir, mein Freund, es giebt im Leben der beſten Frauen Augenblicke . . . Friedrich. Ich habe gar keine Angſt, meine kleine Laura — ich bin ein ſo netter Menſch, — und ſo reich — Du läufſt mir nicht davon. Laura. Jetzt wirſt Du beleidigend. (Friedrich ſteht in einer Ecke des Zimmers, ſo daß er von dem eintretenden Dernburg nicht gleich geſehen werden kann.) 16, Scene. Vorige. Dernburg.⸗ Dernburg (ſchnell eintretend, für ſich). Mein Benehmen war unwürdig, ich ſage ihr die volle Wahrheit. (Laut, ohne Friedrich zu ſehen:) Frau von Walther, Verzeihung, wenn ich noch einmal wage . . . . Laura (heftig erſchreckend, leiſe). Was wollen Sie hier? Entfernen Sie ſich auf der Stelle. (Sie macht ihm Zeichen und deutet auf ihren Gatten.) Dernburg (für ſich). Ah — der Bruder — Marien's Bewerber. Er iſt vielleicht der Großmuth fähig. (Laut:) Mein Herr . .. .. Friedrich. Was ſteht zu Dienſten? Mit wem habe ich die Ehre? Laura (für ſich). Gott, mein Gott, wie ſoll das enden. (Schnell ab.) Dernburg. Mein Herr, ungewöhnliche“ Lagen rechtfertigen ein ungewöhnliches Betragen. Geſtatten Sie mir, daß ich unſere Bekanntſchaft mit einer confidentiellen Mittheilung eröffne. 3* (Friedrich fordert ihn durch eine Geberde auf, Platz zu nehmen.) Ich lebe hier auf dieſem Dorf um einer Frau willen . . . Friedrich (ihn unterbrechend). In die Sie wahnſinnig verliebt ſind. Dernburg. Errathen. Es iſt dieſelbe Frau, die Sie lieben oder zu lieben glauben. Friedrich (bei Seite). Der mir von Laura angedrohte Liebhaber — er exiſtirt alſo. (Laut:) Und Sie ſuchen mich auf, um mir zu ſagen, daß Sie Ihre Zu⸗ dringlichkeit bereuen und ſich ſofort zurückziehen werden. Dernburg. Keineswegs — um das letztere wollte ich Sie bitten! Friedrich. Beſcheidener junger Mann! Dernburg. Mein Herr, ich wende mich an Ihr großmüthiges Herz, daß Sie gewiß beſitzen, an Ihr Ehrgefühl, das ich Ihnen zutraue. Sie bean⸗ ſpruchen eine Frau, die Sie nicht lieben . . . . Friedrich. Oho! Dernburg. Widerſprechen Sie nicht, Sie paßt ganz und gar nicht für Sie. Friedrich (für ſich). Was der für einen Blick hat. Dernburg. Sie werden von ihr nicht geliebt. Friedrich (auffahrend). Hat ſie Ihnen das anvertraut? Dernburg. So etwas fühlt man. Mein Herr, wenn ſie menſchlicher Theil⸗ nahme fähig ſind, ſo verzichten Sie auf dieſe Frau. 36 37 Friedrich. Weiter verlangen Sie nichts? Dernburg. Ich weiß, was Sie an dieſe Frau feſſelt. Ich will Ihnen Ver⸗ trauen ſchenken wie einem Freunde. Eine junge Anverwandte von mir, hübſch, jung und reich, iſt mir zur Gattin beſtimmt. Tauſchen wir . . . Friedrich. Mein Herr, ſind Sie verrückt, oder kommen Sie direct aus Ota⸗ haiti? Dernburg. Das letztere — ungefähr. Warum aber ſollte ich verrückt ſein, weil ich nur mit dieſer einen Frau glücklich werden kann. Friedrich. Mit meiner Frau will er glücklich werden. Dernburg. Ihre Frau! Friedrich. Mit Ihrer Erlaubniß — vorläufig noch meine Frau. Dernburg. Sie ſind — mit ihr — verheirathetl entſetzlich. Ich glaube Ihnen nicht. Friedrich (drohend und ernſt). Wenn ich Sie bis jetzt angehört habe, ſo geſchah es, weil ich in Zweifel war, ob Sie ein origineller Hanswurſt ſind, oder — ein Schurke. Dernburg (aufſpringend). Zuviel, mein Herr, das habe ich nicht verdient. Wohlan — Sie haben es gewollt. Möge Gott mir verzeihen, wenn Ihr Blut der Kaufpreis wird für Marien's Beſitz. Friedrich (erſtaunt). Marie ſagen Sie? Von wem ſprechen ſie? Dernburg. Von Ihrer Braut, der Frau von Gersdorf Friedrich. Und mich halten Sie? 38 Dernburg. Sind Sie nicht der Bruder der Frau von Walther? Friedrich (lacht laut auf). Ein Bruder bin ich allerdings — aber, wenn Sie erlauben, der Bruder der Frau von Gersdorf. Das kommt davon, wenn die regel⸗ rechten Vorſtellungen unterbleiben. Ich thue nachträglich meine Schuldigkeit. (Vorſtellend:) von Walther. Dernburg (ebenſo). Mein Name iſt Dernburg. Friedrich. Verwandt mit den Dernburgs auf Bruckenwalde? Dernburg. Mein Onkel iſt augenblicklich Beſitzer des Majorats. Ich bin ſein Erbe. Friedrich. Eine vortreffliche Familie. Freue mich ſehr, Sie kennen zu lernen. (Schüttelt ihm die Hand.) Dernburg. Und Sie ſind Marien's Bruder, Sie Glücklicher — laſſen Sie ſich noch einmal die Hand drücken. (Mehrmaliges herzliches Händeſchütteln.) Friedrich. Alſo Sie lieben meine Schweſter? Capitaler Einfall. Mein Schwager, der junge Lieutenant, für den Sie mich hielten — übrigens ſehr ſchmeichelhaft für mich — iſt ein Sauſewind, vor dem ich meine Schweſter in Sicherheit bringen möchte. Erwiedert Marie ihre Neigung? Dernburg. Ich wagte es zu hoffen, ſeit einer halben Stunde indeſſen bin ich ſchwankend, ich fürchte . . . Friedrich. Ja, dieſe Weiber und ihre Launen, wer kennt ſie jemals aus! — (Geht im Zimmer auf und ab.) Was iſt da zu machen? — Halt — ich habe einen Einfall — einen Einfall erſten Ranges. — Ich liebe ſchnelle Entſcheidungen. Wir wollen ſogleich über die Herzensangelegen⸗ heiten der melancholiſchen jungen Dame in's Klare kommen. Spazieren Sie einen Augenblick in's Nebenzimmer. 39 Dernburg. Aber Herr von Walther, ich verſtehe nicht. Frtedrich. Iſt auch nicht nöthig. Gehorchen Sie. Dernburg. Aber . . . Friedrich. Kein Aber. (Schiebt ihn in's Nebenszimmer und macht die Thür hinter ihm zu.) Empfehle mich Ihnen. Wenn Sie wollen, können Sie horchen. 17. Scene. Walter allein. Walter. Nun wollen wir doch einmal ſehen — (er nimmt ſeine Flinte und ſchießt ſie zum Fenſter hinaus ab. Der Knall darf nicht ſtark ſein.) So — der Knall wird ſie hoffentlich in die Falle locken. (Er legt ein Kiſſen und eine große Decke auf's Sopha und arrangirt beides dergeſtalt, daß es ausſieht, als läge ein Menſch darunter.) Ein Kiſſen, eine Decke — hier noch ein wenig geſtopft — da eine Falte. Nun ſoll mir einer ſagen, daß da kein Erſchoſſener darunter liegt. Und jetzt — der Mörder! (Er ſträubt ſich ſein Haar auf und rollt mit den Augen.) Aha, ſie kommen ſchon. (Laura und Marie ſtürzen herein.) 18. Scene. Walter. Laura. Marie. Später Dernburg. Laura. Was iſt geſchehen? — ein Schuß — um Gottes willen Friedrich, wie ſiehſt Du aus? Friedrich. Was geſchehen iſt? — ein Unglück iſt geſchehen. (Er ſtellt ſich vor das Sopha, als wolle er ihnen den Anblick deſſelben entziehen.) Laura. Sprich — o ſprich! 40 (Laura und Marie werfen ſcheue und entſetzte Blicke auf das Sopha). Friedrich. Der junge Mann — ich gerieth in Streit mit ihm, (zu Marie) um Deinetwillen Marie, er hatte die Unverſchämtheit, mich um Deine Hand zu bitten. — Ich hatte die Flinte ergriffen — um in's Freie zu gehen; in meinem Zorn handhabe ich ſie etwas gewaltſam — die Flinte entladet ſich — und — Laura. Er iſt — ich ſchaudere — verwundet — todt? ( Friedrich macht ein bejahendes Zeichen). Marie (die bis dahin wie in dumpfer Erſtarrung geſtanden hat). Todt?! — Es kann nicht ſein — er ſoll nicht todt ſein — es wäre gräßlich. — Bin ich denn jemals unglücklich geweſen? — nein — erſt jetzt bin ich es — ich habe mein eigenes Herz nicht verſtanden. O Friedrich, wenn er todt iſt, will ich nicht mehr leben. (Sie ſinkt an dem Sopha nieder, Dernburg, der bereits in der halb geöffneten Thür geſtanden hat, tritt zu ihr heran.) Dernburg. Marie! Marie ( prallt zurück, zitternd in freudigſter Erregung). Sie ſind nicht todt! Sie leben — o mein Gott! (Friedrich zeigt Laura, daß Niemand unter der Decke iſt.) Dernburg. Ich lebe — und doch bin ich ſchwer verwundet. Seit zwei Jahren trank ich aus Ihren Blicken und Ihren Worten ein ſüßes Gift und ich berauſchte mich daran, bis ich erkrankte, tödtlich erkrankte. Ihre Blicke, Ihre Worte haben Zauberkraft — heile mich Marie! — Denn Dir gehöre ich immer — ewig. (Fällt ihr zu Füßen.) Marie. Und Sie lieben mich wirklich — wirklich? Laura (ſehr ſchnell). Herr von Dernburg auf ein Wort. ( Zieht ihn bei Seite.) Sie ſpielen ſehr gut, ich verſtehe, was Sie für mich thun wollen, aber Sie treiben die Aufopferung zu weit, ich will Ihnen helfen. (Laut.) Meine Schwägerin, Herr von Dernburg, kann Ihre Bewerbung, ſo ſchmeichelhaft ſie ihr auch iſt, nicht annehmen. Sie iſt im Begriff, ſich zu verloben. Marie (ſie unterbrechend). Sie iſt verlobt. Dernburg. Mein Gott — Marie. Mit Max von Dernburg. Dernburg. Marie! Laura ( für ſich). Der Aermſte, er opfert ſich für mich. ( Laut und ſpöttiſch). Wer wollte denn zeitlebens Wittwe bleiben. Marie. Wußte ich denn, wie ſüß es iſt, geliebt zu werden! Dem Todten habe ich Alles vergeben, ſeitdem ich dieſen (ſich an Dernburg ſchmiegend) ſo herzlich liebe. (Zu Friedrich.) Dein Scherz aber, Friedrich, war grauſam. Wir hörten den Schuß — Friedrich. Ich habe nur meine Flinte entladen. Was ich für einen Treffer habe. Ich ſchieße in's Blaue und treffe in's Schwarze. Marie ( ſeine Hand drückend). Du lieber trefflicher Schütze. Dernburg (halblaut zu Laura). Ich liebe Marie ſeit zwei Jahren. Daß ich Sie jemals geliebt, dieſen Irrthum des Herzens hatte ich längſt vergeſſen. Laura. Abſcheulich — der Treuloſe! So ſind die Männer! Vorhang fällt. 41 20. Juli 1988