Pagoi. 464 Frauenarbeit und Hauswirthschaft von Lily Braun Berlin 1901 Verlag: Expedition der Buchhandlung Vorwärts (Ch. Glocke in Berlin) Ein Kunstblatt für das Volk. Soeben iſt in unferem Kommiſſions=Verlage eim neues Kunſtblatt erſchienen: Die Freiheit führt das Volk Größe: 95 x 72 cm Blattengröße: 61 x 51 cm Kupfer=Gravüre nach den Gemälde von E. Delacroix. Preis 6 Mark. Porto 50 Pfennig. Dies Bild iſt ein wirkliches Kunſtblatt für das Volk, der Preis ein ungemein billiger. kunstblätter in tiefer Dualität und Größe koſten im bürgerlichen Kunſthhandel mindeſtens das Drei= und Vierfache. Wir haben den reis so niedrig geſetzt, um auch den Wenigerbemittelten es zu ermöglichen, ſein Heim mit einem Kunſtblatt zu ſchmücken, das nicht blo ſein Auge, ſondern auch ſein Herz erfreut. Als f. B. die französische Regierung das Gemälde - eine Verherrlichung der Revolution - für die die Nationalgalerie im Louvre erwarb, ſchrieb heinrich Heine darüber voll Begeiſterung: „In dem Bilde athmet ein großer Gedanke, der uns wunderbar entgegenweht. Eine Volksgruppe während den Juliustagen iſt dargeſtellt, und in der Mitte, beinahe wie eine allegoriſche Figur, ragt ein jugendliches Weib, mit einer rothen nhrngtſchen Mütze auf dem Haupte, eine Flinte in den einen Hand und in der andern eine breifarbige Fahne. Sie ſchreitet dahin über Leichen, zum Kampfe auffordernd, entblößt bis zur Hüfte, ein ſchöner ungeſtümer leib, das Geſicht ein kühnes Profil, frecher Schmerz in den Zügen, aine ſeltſame Miſchung von Phrhne, Poiſſarde und Freiheitsgöttin." Für bemittelte kunſtfreunde ſind einige vom Künstler bemalte Kunstblätter zum Preiſe von Mk. 25 pro Blatt angefertigt worden. Unfere Berliner Leſer dürfte es intereſſieren, daß eine nach dem Original im Pariſer Louvre meiſterhaft angefentigte Kopie in Delfarben in Viertelgröße des Oniginals im Berliner Gewerkſchaftshaus, Engelufer 15, zur Anſicht aushängt. Zahlreichen Beſtellungen auf dieſes Kunſtblatt, das ins= besondere auch Gewerbſchaften, Vereinen, Reſtaurationen zur Ausſchmückung ihren Lokalitäten zur Zierde gereicht, ſieht ent= gegen Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW., Beuthstr. 2. Frauenarbeit und Hauswirthſchaft Von Lily Braun Berlin 1901 Verlag: Expedition der Buchhandlung Vorwärts (Th. Glocke in Berlin). No 4526 Ex Biblioth.Regia Berolinenſi Inhaltsverzeichniß. Seite Vorwort. . . . . . . . . . . . . . 5 I. Die Entwickelung der Hauswirthſchaft, . . . . 7 II. Die Ausbreitung der proletariſchen Frauenarbeit und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 III. Die bürgerliche Frauenarbeit . . . . . . . . . . . 15 IV. Privathilfe und Staatshilfe . . . . . . . . . . . 17 v. Die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft. . . . . . . . . . . 21 VI. Die Wirkungen der hauswirthſchaftlichen Reform. . . . 26 Vorwort. Die kleine Schrift, die ich in der Hoffnung auf eine rege Diskuſſion der darin aufgeworfenen Frage der Oeffent⸗ lichkeit übergebe, entwickelt in ihren beiden letzten Kapiteln einen Plan, den die ſozialdemokratiſche Partei bisher nicht vertreten hat und für den ich allein die Verantwortung trage. Möchte der ſeit Langem in vielen Köpfen keimende Gedanke ſich als ein fruchtbarer erweiſen und ſeiner Ver⸗ wirklichung entgegenreifen. Die Verfaſſerin. I. Die Entwickelung der Hauswirthſthaft. Die Hauswirthſchaft, ſo pflegt man gewöhnlich anzunehmen, iſt das konſervativſte Element im ſozialen Leben; ſie ſcheint der Fels zu ſein, um den die Wogen wirthſchaftlicher Entwickelungen und Erſchütterungen branden, ohne mehr als Splitter von ihm abzu⸗ bröckeln. Daß dem nicht ſo iſt, daß ſie vielmehr, wie ein getreuer Spiegel, alle Bilder des Außenlebens wiedergiebt, zeigt ein Blick auf die Kulturgeſchichte. In der Vorzeit, als der Menſch dem Blitz des Himmels das Feuer abgewonnen hatte, aber noch nicht verſtand es ſelber zu erzeugen, gründete er damit zum erſten Mal den häuslichen Herd, um den das Familienleben ſich gruppirte. Die Frau wurde die Hüterin ſeiner Flamme; ſie wurde an ihn gebunden, denn Tag und Nacht mußte ſie Sorge tragen, daß das Feuer nicht erloſch. Der Mann brachte ihr das Wild, das er erlegte; ſie bereitete es zu, machte wärmende Kleider und ſchützende Decken aus den Fellen, ja, ſie lernte daraus Zelte ſpannen über dem Lagerplatz. Das Fleiſch briet ſie über der Gluth. Dann kam die Zeit, wo der Menſch durch Reibung das Feuer ſelbſt hervorrufen lernte, ſie fiel etwa mit derjenigen zuſammen, wo er nicht mehr allein gegen wilde Thiere, ſondern gegen Seinesgleichen zu kämpfen, ſeinen Lagerplatz zu vertheidigen hatte und neue Jagdgründe dem Nach⸗ barn abzugewinnen ſuchte. Nun erweiterte ſich die Hauswirthſchaft. Zu beſſerem Schutz zogen große Familien zuſammen, ſo daß drei und vier Generationen bei einander hauſten. Sie lernten die erſte primitive Art der Feldbeſtellung, die ganz in den Rahmen der Haus⸗ wirthſchaft gehörte; ſie verſtanden es, Vieh zu züchten, um Milch und Wolle von ihm zu gewinnen. Im feſtgefügten Ofen wurde Brod gebacken; über ihm hingen nicht mehr über Pfähle geſpannt die Felle zum Schutz gegen den eindringenden Regen, auf feſten Wänden baute vielmehr ein feſtes Dach ſich aus. Und die erſte Spindel, deren Werth unſere Vorfahren dadurch kennzeichneten, daß ſie ihre Erfindung den Göttern zuſchrieben, drehte ſich in der Hand der Hausfrau, die aus der Wolle der Schafe und ſpäter aus dem Flachs des Feldes den Faden zu ſpinnen verſtand, mit dem ſie dann in langſamer Arbeit Stoffe webte. Mit dem wachſenden Reichthum und den ſteigenden Bedürf⸗ niſſen erweiterte ſich der Kreis der Hauswirthſchaft mehr und mehr. Die Gefangenen und Unterjochten, die der Hausherr in ſeine Bot⸗ mäßigkeit nahm, wurden die Sklaven und Sklavinnen des Hauſes; ihre Arbeitskräfte waren nothwendig, um den Anforderungen der Hauswirthſchaft Genüge zu thun. Die Spindeln tanzten in ihren Händen, die Weberſchiffchen flogen hin und her; kunſtvolle Sticke⸗ reien entſtanden zum Schmuck der Herren⸗Gewänder; bald traten duftige Spitzen hinzu, an denen die Arbeiterinnen Mönde lang arbeiteten. Die einfachen Kleider wurden durch immer koſtbarere erſetzt, deren Herſtellung viel Zeit und Geſchicklichkeit erforderte; die Bekleidung der Füße wurde gleichfalls ein ſchwieriger Theil der Hausarbeit. Und wie dehnte der Herd ſich aus, wie wuchſen ſeine Funktionen! Da wurden nicht nur die Mahlzeiten bereitet, deren einzelne Speiſen immer ſchwieriger herzuſtellen waren, da wurde Seife gekocht, wurden Lichter gezogen, wurden Körner geröſtet, wurde Bier gebraut. Aus der Milch lernte man Käſe und Butter zubereiten, die Heerde aber, von der man ſie gewann, wurde, je mehr der interne Haushalt ſich vergrößerte, ihm um ſo mehr ent⸗ zogen: der ſchweifende Jäger wurde zum ſeßhaften Hirten, der ſeinen größten Reichthum ſelber hütete. Ihren Höhepunkt erreichte die Hauswirthſchaft in den Burgen des frühen Mittelalters. Sie umfaßte ganze Gebäudekomplexe, in denen die hörigen Knechte und Mägde ihren verſchiedenartigen Arbeiten nachgingen. Es wurde. nicht mehr allein für das momentane Bedürfniß, es wurde für kommende Generationen ge⸗ ſchafft: die gefüllten Leinenſchränke, die ſchweren Gewänder, die Teppiche und Wandbeſpannungen ſprechen dafür. Und für den Hunger der zahlreichen Burgbewohner und der nicht minder zahl⸗ reichen Gäſte ſorgten nicht nur die friſch bereiteten Gerichte, — in Keller und Vorrathskammer lagengeräucherte und eingelegte Speiſen in Mengen. Aber die Städte — ſchon die der antiken Welt — hatten die Hauswirthſchaft umgewandelt: ſie konnte nicht mehr ihren Bedarf ſelbſt erzeugen, ſie bezog einen Theil der Lebensmittel vom Händler; das Weben, beſonders aber das Färben der Stoffe nahm ſchon handwerksmäßige Formen an. Viel nachhaltiger war der Einfluß der ſtädtiſchen Entwickelung des Mittelalters. Das Handwerk entriß der Hauswirthſchaft ein Arbeitsgebiet nach dem 8 anderen: der Spinner und Weber, der Schuſter, der Seifenſieder und der Lichterzieher — ſie Alle halfen den Haushalt verkleinern. Die zahlloſen Mägde wurden zu Lohnarbeiterinnen; die Hausfrau kam, wie ihre Ahnfrau an dem erſten Feuer, mit ihrer eigenen Arbeitskraft oder wenigen Hülfskräften aus. Kochen, Nähent. Stricken und Sticken, Waſchen und Plätten bildete bald den einzigen Inhalt eines ſtädtiſchen Haushalts. Nur abſeits von der Stadt und den großen Straßen, in ländlichen Bezirken, in Dörfern und Ge⸗ höften, erhielt ſich die ausgedehnte Hauswirthſchaft zum Theil bis in die neueſte Zeit. In der Maſchine entſtand ihr der gefährlichſte Feind. Wo früher nur für den eigenen Bedarf mit primitiven Werkzeugen ge⸗ arbeitet wurde, ermöglichte ſie eine weit über den Bedarf hinaus⸗ gehende Produktion. Unter ihrem Einfluß ſchrumpfte die Haus⸗ wirthſchaft des Armen mehr und mehr zuſammen. Sein Zimmer wurde zur Werkſtatt, wo bald die ganze Familie, Groß und Klein, Alt und Jung, Mann und Weib, um kärglichen Lohn arbeitete. Von der Hauswirthſchaft blieb nichts übrig als der Herd mit der raſch zuſammengekochten, elenden Mahlzeit, und der Waſchtrog, in dem die arme Mutter nächtlicher Weile in aller Haſt die paac Lumpen, die die Familie beſaß, auszuwaſchen pflegte. Aber die Maſchinc, getrieben von der Rieſenkraft des Dampfes, führte noch zu umſtürzenderen Entwickelungen. Es entſtand die Fabrik. Nicht mehr allein die Muskelkraft des Menſchen brachte die Maſchine in Bewegung, motoriſche Kräfte aller Art erſetzten ſie und Waaren⸗ mengen wurden in einer Geſchwindigkeit produzirt, mit der weder der Heimarbeiter — es ſei dabei nur an die ſchleſiſchen Weber erinnert — noch gar die hauswirthſchaftliche Arbeit Schritt halten konnte. Was das Handwerk in beſchränktem Maße gethan hatte, das that die Großinduſtrie in ausgedehnteſtem: Nicht nur dem ſtädtiſchen Haushalt, auch dem ländlichen raubte ſie faſt mit Gewalt die Arbeit: ſie ſpinnt nicht nur und webt und ſchuſtert, ſie vermag auch zu ſtricken, zu ſticken und zu waſchen. Zahlloſe Arbeitskräfte des Hauſes hat ſie überflüſſig gemacht, ſie zieht ſie ſich nach in die Fabrik. Verlaſſen ſteht ſo manches Heim des Armen: eine kleine Flamme im Herd, auf der das Abends zuvor bereitete Eſſen Mittags, wenn Mann und Weib zu kurzer Ruhe zurückkehren, ge⸗ wärmt wird, erinnert noch an das Herdfeuer vergangener Zeiten; ein wenig Flickarbeit, ein wenig Wäſcherei ſind die Reſte der Haus⸗ wirthſchaft. Auch im Haus des Reichen, dem in erſter Linie Alles zu Gute kommt, was die Maſchine hervorbringt, der durch ſie und ihre athemloſe Produktion reich wurde, iſt die Hauswirthſchaft aufs Aeußerſte zuſammengeſchrumpft: der Kochherd iſt hier ſogar faſt der 9 einzige Reſt. Und auch er iſt nicht mehr das, was er war: kein Brod wird mehr hier gebacken, keine Fleiſchwaaren werden mehr in ſeinem Kamin geräuchert; ſelbſt die Früchte und die Gemüſe werde. nur noch ſelten zur Konſervirung hier vorbereitet. Er hat auch eine andere Geſtalt angenommen; die ſchwarzen Kohlen und das ſo luſtig kniſternde Feuer haben der ruhigen Gasflamme, manchmal ſogar ſchon der Elektrizität weichen müſſen. Erſparniß an Arbeits⸗ kräften, Entlaſtung der Hauswirthſchaft bedeutet auch das, denn das Kohlenſchleppen hört ebenſo auf, wie das Feuerzünden und Aſcheausleeren. Dazu kommt, daß auch der Ofen aus dem Zimmer mehr und mehr verſchwindet, der Platz, um den ſich im Winter die Familie verſammelte; die Zentralheizung, die mit einem einzigen Ofen ein ganzes Haus heizt, hat ihn erſetzt. Und an Stelle der mühſam zu putzenden, täglich zu füllenden Petroleumlampen iſt das Gas oder, um ſelbſt die Mühe des Anzündeus zu ſparen, das elektriſche Licht getreten, ein Fortſchritt, der ungefähr dem von der Kienfackel zum Wachslicht gleichkommt. Aber noch ein anderes Moment darf nicht überſehen werden: Neben dem Kochlöffel war es die Nähnadel, die noch die alten Traditionen der Hauswirthſchaft aufrecht erhielt. Die Nähmaſchine erſetzte ſie und wurde in den Häuſern der Armen auch zu eincm Mittel zur Lohnarbeit, während ſie in denen der Reichen unter den Füßen dafür angeſtellter Dienſtboten oder tageweiſe gemietheter Näherinnen für den Bedarf der Familie arbeitete. Aber auch das hört mehr und mehr auf. Die Maſſenproduktion an Stoffen in Verbindung mit ihrer durch die Nähmaſchine raſchen Verarbeitung hat die Konfektions⸗Induſtrie groß gezogen, und ſie hat dem häus⸗ lichen Fleiß die Nähnadel aus der Hand geriſſen. Heute kann ſelbit der beſſer geſtellte Arbeiter beiderlei Geſchlechts ſich mit ihrer Hülfe billiger kleiden, als wenn er die Kleidungsſtücke ſelbſt herſtellen wollte. Ihre Bedingung iſt natürlich das Vorhandenſein aus⸗ reichender, womöglich weiblicher Arbeitskräfte. Und an ihnen fehlt es nicht: die überflüſſigen Dienſtmädchen und Haustöchter, die Kinder und die Frauen der Arbeiter ſtellen mehr Rekruten, als ſelbſt dieſes Aufgebot brauchen kann. II. Die Ausbreitung der proletariſchen Frauen⸗ arbeit und ihre Folgen. Die Entwickelung der Frauenarbeit hat mit der Entwickelung von der ausgedehnten Hauswirthſchaft bis zu ihrem Reſt, dem Koch⸗ herd, gleichen Schritt gehalten, ja, ſie ging, wie ſchon gezeigt wurde, 10 Hand in Hand mit ihr. Nicht nur, daß ſehr viele Arbeitskräfte, die früher der Hauswirthſchaft dienſtbar waren, frei wurden und nothwendig einen anderen Verdienſt ſuchen mußten; daß ferner in Folge der Thatſache, daß die Maſchine dem Handwerk mehr und mehr den Boden unter den Füßen wegnahm, ſeine weiblichen An⸗ gehörigen zur Induſtriearbeit gezwungen wurden und die einſt ſelb⸗ ſtändigen Heimarbeiter ihr zuſtrömten; — auch die ſtetig ſinkenden Einnahmen und wachſenden Bedürfniſſe des Mittelſtandes treiben Schaaren von Frauen der Induſtrie in die weit offenen Arme. Daß ihre Zahl in raſchem Wachſen begriffen iſt, ja, daß ſie ver⸗ hältnißmäßig raſcher zunimmt, als die Zahl männlicher Arbeiter, beweiſt der Vergleich der Ergebniſſe der letzten mit den vorletzten Zählungen in verſchiedenen Ländern. Im Verhältniß zur Zahl der Arbeiter in der vorhergehenden Zählungsperiode hat in Deutſchland die Zahl der männlichen Arbeiter um 16 pCt., die der weiblichen um 20 pCt.; in Oeſterreich die der männlichen um 19 pCt., die der weiblichen um 47 pCt., in den Vereinigten Staaten die der männ⸗ lichen um 24 pCt., die der weiblichen um 40 pCt. zugenommen. Da die Proletarierinnen regelmäßig ſehr jung in die Erwerbs⸗ thätigkeit treten, ſo kann von einer Zeit, die dem Haushaltungs⸗ unterricht gewidmet werden könnte, nur in ungenügendem Maße die Rede ſein, ganz abgeſehen davon, daß in der Häuslichkeit ihrer Eltern kaum viel für ſie zu lernen ſein dürfte. Wenn ſie heirathet, verſteht ſie wenig von der richtigen, ökonomiſchen Eintheilung des Einkommens und noch weniger von einer den Geſetzen der Hygiena entſprechenden Wahl und Zubereitung der Speiſen. Sie iſt auch des häuslichen Lebens viel zu ſehr entwöhnt, als daß ſie Gefallen daran finden könnte und die elende Wohnung, in der die Arbeiter faſt ſtets zu hauſen gezwungen ſind, kann auch keine Anziehungs⸗ kraft für ſie haben. So geht ſie meiſt gern in die Fabrik und in die Werkſtatt zurück. Viel mehr aber als die Gewohnheit treibt ſie nur zu häufig die bittere Noth wieder zur Arbeit. Die Zunahme der Arbeit verheiratheter Frauen iſt eine Thatſache, die überall grell ins Auge ſpringt. Von je 100 Arbeiterinnen waren in Deutſchland im Jahre 1882 13 verheirathet, im Jahre 1895 dagegen 16. Von den Induſtriearbeiterinnen ſind in Oeſterreich nach der letzten Zählung 24 pCt., in Frankreich ſogar 30 pCt. verheirathet. Dabei kann wohl kaum ein Zweifel darüber beſtehen, daß die Zahlen noch viel zu niedrig gegriffen ſind; ſehr viele Frauen, die nicht an⸗ dauernd, ſondern etwa nur, wenn die Arbeitsloſigkeit des Mannes ſie dazu zwingt, erwerbsthätig ſind, mögen ihre gelegentliche Thätig⸗ keit in den Fragebogen der Zählungen kaum beſonders vermerkt haben, und noch viel mehr — dabei kommen beſonders die Frauen der Hausinduſtriellen in Betracht — haben es nicht für erwähnens⸗ 11 werth gefunden, daß ſie ihrem Mann in ausgiebiger Weiſe Hilfe leiſten. Die Folgen der Erwerbsarbeit verheiratheter Frauen ſind unter den beſtehenden Verhältniſſen die dentbar ungünſtigſten. Sic treffen diejenigen am härteſten, die am ſchwächſten ſind, die. Kinder. Einem ſpäteren Geſchlecht wird es wie heller Wahnwitz klingen und doch iſt es Thatſache: je mehr Kinder die Arbeiterin hat, je mehr alſo ihre Gegenwart zu Hauſe nöthig wäre, deſto ſtärker iſt die Nothwendigkeit, die ſie hinaus zur Arbeit treibt. Ihren kleinen Kindern kann ſie den Lebensſaft nicht geben, der aus ihren Brüſten quillt — die geſetzliche Schutzzeit von vier, höchſtens ſechs Wochen iſt ja nur ein ganz unzureichender Verſuch, ihr zu helfen —, weil ſie den Großen Brod ſchaffen muß. Und der Tod mäht in Folge deſſen die armen kleinen Menſchenblumen, als ob ſie nicht mehr werth wären als die Blumen auf den Wieſen. Wachſen ſie auf, ſo werden die Gefahren nicht geringer. Die Straße iſt ihr Spiel⸗ platz, ihre Erziehungsanſtalt; daß ſie nicht immer, beſonders in den Großſtädten, einen günſtigen Einfluß übt, daß der phyſiſche und moraliſche Schmutz, den ſie vielfach ausſtrömt, an den Kindern hängen bleiben kann, bedarf keines Beweiſes. Die arme Mutter iſt dieſen Gefahren gegenüber nicht blind. Sie möchte ihre Kinder davor behüten und kommt oft auf die ſeltſamſten Auskunftsmittel: ſie ſchließt die Kinder bis zu ihrer Rückkehr im Zimmer ein, ſic bindet ſie im Bettchen feſt, ſie wird grauſam aus lauter ängſtlicher vorſorglicher Liebe. Und dann kommt es zu jenen ſchrecklichen Un⸗ glücksfällen, von denen die Zeitungen ſo häufig berichten, und denen gegenüber der behäbige Bürger nicht genug über die „Rohheit“ der proletariſchen Mütter zetern kann. Die armen Kleinen kommen dem Ofen zu nahe und verbrennen, ſie greifen in das Waſchfaß, verlieren das Gleichgewicht und ertrinken, ſie klettern zum Fenſter, um doch wenigſtens durch das Hinausſchauen die Langeweile zu ver⸗ treiben — Spielzeug, das ſie beſchäftigen könnte, haben ſie ja nicht — und ſtürzen kopfüber auf den Hof, ſie verwickeln ſich im Bettchen und die Mutter findet, heimkehrend, ihr Jüngſtes erſtickt unter dem Kiſſen. Neben all' dieſen äußeren und inneren Gefahren, die die Kinder der Proletarierin umdrohen, wenn die Mutter fern iſt, giebr es aber noch andere, denen ſie unterworfen ſind, wenn die Mutter heimkehrt. Sie hat auch dann keine Zeit für ihre Kinder. Sie muß kochen und waſchen, muß die Wohnung reinigen und die Kleidung in Stand ſetzen, ſie iſt viel zu abgehetzt, um an etwas Anderes denken zu können. Einen erzieheriſchen Ginfluß, auf ihre Kinder kann ſie nur in oberflächlichſter Weiſe ausüben. Sie hat keine Ruhe, um ihre Weſen zu beobachten, ſie iſt geiſtig in Folge all' der un⸗ 12 ausgeſetzten Arbeit zu ſtumpf geworden, um den kindlichen Geiſt durch den ihren zu befruchten. Verlaſſen die Kinder ihr Haus, ſo hat ſie ihnen meiſt nichts, was ihr inneres Leben erfüllen und be⸗ geiſtern könnte, mit auf den Weg zu geben. Sie war ſchon eine gute Mutter, wenn ſie ſie rein und ordentlich hielt, ihnen ausreichend zu eſſen gab und ſie nicht betteln ſchickte. Aber eine Freundin der heranwachſenden Kinder hat ſie nur in ſeltenen Fällen zu werden vermocht. Und doch beruht gerade auf dem geiſtigen und ſittlichen Einfluß der Mutter ein gut Theil der Entwickelung der jungen Generation. Den Samen, den ſie in Herz und Geiſt der Kinder ſtreut, kann kein Lebensſturm völlig verwehen, aus ihm wächſt häufig der ſtarke Baum empor, der dem erwachſenen Menſchen den einzigen Schutz gewährt. So wird die Ueberlaſtung der Mutter zum Fluch für die Kinder und für die Geſellſchaft, deren Glieder ſie ſind, deren gute oder ſchlechte Entwickelung mit von ihnen abhängt. Aber auch der Mann hat unter der Erwerbsarbeit ſeines Weibes zu leiden: ſie hat auch für ihn keine Zeit. Die kurzen Stunden, die ſie daheim verbringt, muß ſie der Haushaltung und den Kindern widmen. Iſt die Arbeit gethan, ſo ſinkt ſie müde auf's Bett, unfähig, an anderen Dingen Theil zu nehmen als an den täglichen, ſie umdrängenden Sorgen. So wird ſie oft dem Manne fremder und fremder, ſie verſteht ſeine Intereſſen nicht und ſie bekämpft ſie, ſobald ſie auch nur ein paar Groſchen koſten. Gelangweilt, ver⸗ ärgert, von der unordentlichen Wirthſchaft und dem ſchlechten Eſſen angewidert, ſucht ſo Mancher ſeine Zuflucht mehr und mehr in der Kneipe und im Alkoholgenuß. Liebt er ſein Weib mit jener Liebe, die mehr thieriſche als menſchliche Elemente an ſich hat, mit der er ſie eben allein nur lieben kann, wenn ſie ihm nichts weiter zu ſein vermag als der Gegenſtand ſinnlicher Begierde, ſo unterwirft er ſich auch nur zu häufig ihrem Einfluß. Er wird den Prinzipien ſeiner Jugend untreu; er trennt ſich von ſeinen Arbeitsgenoſſen, er kümmert ſich nicht mehr um die Arbeiterbewegung. Die Gewerk⸗ ſchaft feſſelt ihn nicht mehr; zum Streikbrecher wird er ſogar zuweilen ohne Bedenken, damit es daheim auch nicht am Gewohnten fehlt. Die politiſchen Kämpfe haben ihre Anziehungskraft für ihn verloren, er iſt zur Sphäre ſeiner Gefährtin herabgeſunken, ſtatt ſie zu ſich hinaufzuziehen. Für die Frau perſönlich bedeutet die Ueberlaſtung mit Arbeit den körperlichen und geiſtigen Ruin. Nicht nur, daß ſie unnatürlich früh altert — ſeht doch die Arbeiterinnen an, wie oft ſind ſie mit 40 Jahren ſchon alte Frauen! — ſie verliert auch jede Widerſtands⸗ kraft gegen Krankheit und drohende Gebrechen. Sie kann ſich keine Ruhe gönnen, auch wenn ſie der Ruhe bedürftig iſt, darum ſtellen ſich Leiden aller Art bei ihr ein, die entweder ihr ganzes Leben ver⸗ 13 giften, ſie arbeitsunfähig machen oder einem frühen Tode entgegen⸗ führen. Was aber Krankheit und gar Arbeitsunfähigkeit für ſie be⸗ deutet, das läßt ſich an den Segnungen der Arbeiterverſicherung ermeſſen: ſie gewährt dem armen Iwvaliden der Arbeit zu wenig zum Leben und zu viel zum Verhungern. So hart wie ihren Körper trifft die Ueberlaſtung ihren Geiſt. Ihm, dem ſchon die Volksſchule nur die allernothdürftigſte Nahrung zuführte, — die Schätze des Wiſſens ſtehen, wie alle anderen höheren Lebensgenüſſe, hauptſächlich nur Denen zur Verfügung, die ſie mir Gold aufwiegen können! — vermag ſie noch weniger zu bieten; wohl lechzt auch ſie nach der Quelle des Wiſſens, ſie hat aber keinc Zeit dazu, ſich ſatt zu trinken. Und dabei vergeht ſchließlich auch nach und nach der Durſt. Aber auch für die Fragen, die das Lebens⸗ intereſſe der Arbeiterin bilden ſollten, die ihrer eigenen Arbeits⸗ bedingungen, vermag ſie ſich nur ſchwer zu erwärmen. Zunächſt erreicht ſie die Stimme Derer kaum, die ſie aufklären wollen, oder ſie erreicht ſie nicht oft, nicht eindringlich genug; ſodann aber fehlt es ihr wieder an Zeit und Ruhe, um an Verſammlungen Theil zu nehmen, um ſich gewerkſchaftlich zu organiſiren und zu bethätigen. In allen Ländern zeigt es ſich, daß die Verſuche, die Arbeiterinnen zu organiſiren, auf faſt unüberwindliche Hinderniſſe ſtoßen; eines davon, und gewiß nicht das unbedeutendſte, beſteht in der doppelten Arbeitslaſt der Frau. Die Folge iſt, daß der Prozentſatz gewerk⸗ ſchaftlich organiſirter Frauen überall ein erſtaunlich niedriger iſt. In Deutſchland ſind von mehr als 3¹ Millionen Arbeiterinnen (ein⸗ ſchließlich der Dienſtboten) nur gegen 15 000 organiſirt, in Frank⸗ reich von beinahe derſelben Anzahl 30 000, in England von wenig über 3 Millionen 120 000 — das ſind Zahlen, die der Maſſe gegen⸗ über verſchwinden und einen Kampf um beſſere Arbeitsbedingungen beinahe ausſichtslos machen. Wenn ſo das Intereſſe der Frauen an dem, was ihnen am nächſten liegen ſollte, da die tägliche Schinderei und Hetzerei ſie geradezu mit Gewalt darauf ſtößt, von vornherein lahm gelegt wird, um wie viel weniger iſt darauf zu rechnen, daß ſie ſich mit kommunalen oder politiſchen Fragen be⸗ ſchäftigen können. Sie leben denn auch vielfach in jener ſtumpf⸗ ſinnigen Zufriedenheit, die das größte Hinderniß für Aufklärung und Fortſchritt iſt. Daß es Ausnahmen giebt, daß ſelbſt überlaſtete Arbeiterinnen noch Zeit, noch körperliche und geiſtige Kraft genug haben, um ſich fortzubilden, um an der gewerkſchaftlichen und der politiſchen Be⸗ wegung regen Antheil zu nehmen, das ſpricht mehr als irgend etwas Anderes für die unverwüſtliche kerngeſunde Natur des Volkes und beweiſt, daß auch die vielen Anderen aus ihrer Lethargie zu er⸗ wecken wären. 14 III. Die bürgerliche Frauenarbeit. Neben der großen Zahl der Induſtricarbeiterinnen iſt nun aber noch eine kleine Gruppe erwerbsthätiger Frauen entſtanden, die, wenn auch in ſehr gemilderter Form, ähnliche Leiden zu er⸗ tragen hat wie die Proletarierin. Ihr gehören diejenigen Frauen an, die, ſei es als Buchhalterinnen, als Lehrerinnen, als Schrift⸗ ſtellerinnen, ſei es als Gelehrte, Aerztinnen, Malerinnen, Schau⸗ ſpielerinnen u. ſ. w., in bürgerlichen Berufen ſtehen. Ihre Zahl fällt freilich gegenüber den Millionen wenig ins Gewicht: In Deutſchland ſind es gegen 190 000, in Oeſterreich 61 000, in Frankreich 220 000, in England 269 000, in den Vereinigten Staaten 480 000 Frauen, die in den genannten Berufen ſtehen. Charakteriſtiſch aber iſt es, daß ein großer Prozentſatz von ihnen ſchon jetzt, wo ſich die bürgerliche Berufsthätigkeit der Frauen im erſten Anfangsſtadium befindet, verheirathet iſt; 15 pCt. ſind es in Deutſchland, 36 pCt. in Oeſterreich, 8 pCt. in den Vereinigten Staaten. Daraus folgt, daß die Entwickelung auch hier die Arbeit verheiratheter Frauen begünſtigt und befördert. Die Gründe dafür liegen nahe genug: Mit den wachſenden Anſprüchen haben die Ein⸗ nahmen des Mittelſtandes nicht gleichen Schritt gehalten; die Ehe, die in den bürgerlichen Kreiſen noch weſentlich als Verſorgung be⸗ trachtet wird, iſt für die zunehmende Zahl unbemittelter Mädchen immer unerreichbarer geworden. Dazu kommt, daß ein berechtigter Drang nach Freiheit und Selbſtändigkeit ſich in ihnen entwickelt hat und ſeine Befriedigung durch die Eröffnung der Univerſitäten und vieler neuer Frauenberufe ermöglicht wurde. Treten dieſe erwerbs⸗ thätigen Mädchen in die Ehe, ſo iſt heute ſchon, oft gerade wie bei der Arbeiterin, ihre Arbeitskraft ihre werthvollſte Mitgift. Anderer⸗ ſeits möchten ſie aber auch aus inneren Gründen, aus Liebe und Be⸗ geiſterung für ihren Beruf, aus der treibenden Kraft ihres nach Bethätigung ringenden Talents heraus ihrer Arbeit treu bleiben. Aber ſelbſt in dem ehelichen Leben der Bourgeoiſie kommt es zu⸗ weilen vor, daß die Frau beginnen muß, mit zu erwerben, weil der Verdienſt des Mannes nicht ausreicht. Wer aber heute bei den übertriebenen Anforderungen, die an die geiſtigen Arbeiter geſtellt werden, und den jämmerlichen Entſchädigungen für lange Arbeit, die ſie ſich nur zu häufig gefallen laſſen müſſen, den Kampf um die Exiſtenz in bürgerlichen Berufen aufnimmt, der muß ſeine ganze Kraft dafür einſetzen können. Der Konflikt zwiſchen den häuslichen und den Berufspflichten, der im weiblichen Proletariat deutlich zu Tage tritt, beſteht auch in der bürgerlichen Frauenwelt; eine Malerin kann nicht in der Küche ſtehen, eine Schriftſtellerin kann 15 nicht jeden Augenblick aufſpringen und ſehen, ob die Suppe an⸗ hrennt; keine einzige Frau, die es ernſt nimmt mit ihrer Wiſſen⸗ ſchaft oder ihrer Kunſt, die mit dem gefährlichen Feind ihres Ge⸗ ſchlechts, dem Dilettantismus, gründlich aufräumen will, hat genug Verſtändniß, genug Zeit und Intereſſe, um eine wirklich gute Haus⸗ frau zu ſein. Führt ihr Beruf ſie aus dem Hauſe fort, ſo ſind ihre Kinder, falls ſie kein Kindermädchen bezahlen kann, ebenſo un⸗ beaufſichtigt wie die Kinder der Proletarierin. Arbeitet ſie zu Haus, ſo muß ſie, wenn ſie Tüchtiges leiſten will, wenigſtens einige Tages⸗ ſtunden volle Ruhe haben. Toben die Kinder um ſie her, muß ſie die Küche verſorgen, ſo iſt eine Erwerbsarbeit nur durch Ueber⸗ anſtrengung möglich, die ſich früher oder ſpäter an Geiſt und Körper rächt. Hat die geiſtige Arbeiterin ein Dienſtmädchen, ſo iſt ſie auch noch nicht entlaſtet, denn nur in ſeltenen Fällen verſtehen jene ein⸗ ſachen Mädchen die Haushaltung ſo vollkommen, daß die Hausfrau überflüſſig würde. Sie muß vielmehr noch die Lehrmeiſterin des Mädchens ſpielen und ſie weiß doch oft ſelbſt nicht viel mehr! Auch die Töchter der Bourgeoiſie werden in die Haushaltungskunde nicht allzu häufig eingeweiht, und wenn, ſo geſchieht es meiſt in einer Weiſe, die ihnen ſpäter, in beſchränkteren Verhältniſſen, gar⸗ nichts nützen kann. Von der richtigen Eintheilung der Ausgaben, von der Hygiene der Küche verſtehen ſie nicht allzu viel. Eine oft grenzenloſe Verſchwendung an Mitteln, an Material, an Zeit und Arbeitskraft entſpringt daraus, ſo daß der Erwerb ſie kaum wett machen kann. Die bis zu heftiger Gegnerſchaft ſich ſteigernde Gereiztheit der Männer der Bourgeoiſie gegen die Beſtrebungen der Frauen, ihr Recht auf Arbeit durch die That geltend zu machen, iſt zu einem ſehr weſentlichen Theil auf dieſe internen Fragen zurückzuführen, und es iſt heller Unverſtand, der direkt ſchädlich wirkt, wenn ſo manche Sprecherinnen der Frauenbewegung mit dem Hinweis auf irgend welche fabelhafte amerikaniſche Aerztinnen oder Advokatinnen, die neben ihrer Praxis einen großen Haushalt ſelbſtändig führen und womöglich eine Schaar Kinder vortrefflich erziehen ſollen, die Gründe der Gegner aus der Welt zu ſchaffen glauben. Sie ſind thatſächlich unanfechtbar und werden, je mehr die bürgerliche Frauenarbeit ſich ausbreitet, um ſo ſchwerer ins Gewicht fallen. Für die Kreiſe, aus denen ſie emporwächſt, kommt aber auch noch ein anderer Umſtand in Betracht: die Dienſtbotenfrage. Ohne hier auf ihre Urſachen näher einzugehen, ſei nur hervorgehoben, daß thatſächlich der Mangel an weiblichen Dienſtboten immer fühlbarer wird und in vorgeſchrittenen Ländern, wie in England und Amerika, zu einer wahren Kalamität geworden iſt. Das Klaſſenbewußtſein iſt endlich auch in den Hausſklavinnen erwacht; weder wollen ſie 16 all' ihre Zeit und Arbeitskraft für einen elenden Lohn verkaufen, noch geben ſie ſich mit der Wohnung, die man ihnen anweiſt und den ſonſtigen Arbeitsbedingungen, die man ihnen ſtellt, zufrieden. Der „vermögensloſe Mittelſtand aber iſt in den meiſten Fällen nicht in der Lage, die berechtigten Forderungen der Mädchen zu erfüllen: er fann keine weſentlich höheren Löhne zahlen, er kann ſich nicht zwei Mädchen halten, muß daher häufig das eine übermäßig anſtrengen. Sein Budget iſt ſchon durch die hohen Miethspreiſe ungebührlich bclaſtet, er kann, um den Mädchen beſſere Zimmer zu ſchaffen, keine größere Wohnung nehmen und ſteckt dabei zu tief in alten Vor⸗ urtheilen, um etwa die oft recht überflüſſige „gute Stube“ zu opfern. Aber auch höhere Löhne und beſſere Arbeitsbedingungen werden ſchon jetzt häufig verſchmäht, weil die Kinder des Volks ihre Freiheit über Alles ſchätzen gelernt haben und den Beruf einer Arbeiterin, die, wenn es ihr auch ſonſt miſerabel genug geht, doch wenigſtens ſtundenweiſe ihr eigener Herr iſt, dem eines noch ſo gut genährten Dienſtmädchens vorziehen, das dauernd unter Kontrolle ſteht. Es iſt nun nicht nur zu hoffen, es iſt wohl auch als ſicher anzunehmen, daß dieſe ganze Bewegung zu Gunſten der Befreiung der Dienſt⸗ boten ſich raſch ausbreiten wird. Die „Dienſtbotennoth“, wie die bürgerlichen Hausfrauen ſich auszudrücken belieben — gerade Die⸗ jenigen, die das Vorhandenſein der Noth der Dienſtboten beharrlich abſtreiten —, wird immer größeren Umfang annehmen und kann ſo weit führen, die Erwverbsarbeit der verheiratheten Frauen in bürgerlichen Berufen in Frage zu ſtellen. IV. Privathilfe und Staatshilfe. Die Entwickelung der Frauenarbeit trägt nach alledem in er⸗ heblicher Weiſe dazu bei, den Reſt der Hauswirthſchaft, der uns noch verblieben iſt, zu erſchüttern und Reſultate zu zeitigen, die zuweilen ſo traurige ſind, daß ſie den Werth der Frauenarbeit fraglich er⸗ ſcheinen laſſen. Sie ſind nicht unbemerkt geblieben und es hat nicht an guten Leuten gefehlt, die alle die blutenden Wunden mit ihren Pfläſterchen glaubten ſchließen zu können. Man ſchuf Volksküchen, wo jede Arbeiterin ſich für wenig Geld ihr warmes Eſſen — nicht ſchlechter, aber wohl auch kaum beſſer, als ſie es ſelbſt herſtellen konnte — holen kann. Man richtete Kindergärten und Kinderhorte ein, wo ihre Kleinen während des Tages ein Unterkommen finden können; man machte ſogar den Verſuch, mit einem Arbeiterwohnhaus eine Volksküche zu verbinden, und hoffte, die Bewohner würden es 17 2 aufgeben, ſelbſt zu kochen und ihr Eſſen daher beziehen. Zum Theil ſind dieſe Einrichtungen in den Kinderſchuhen ſtecken geblieben und waren in Folge deſſen ſo gut wie völlig werthlos, zum Theil be⸗ gegneten ihnen Diejenigen, deren Vortheil ſie dienen ſollten, mit einem Mißtrauen, das bis zur direkten Ablehnung ſtieg. Und dieſe Gefühle haben ihre Berechtigung. Der ſelbſtbewußte Arbeiter wird Alles verſchmähen, was ihm in der Form der Wohlthätigkeit geboten wird, er muß ganz am Rande des Abgrundes ſtehen, aus dem das Elend ihm entgegengrinſt, ehe er ein Almoſen annimmt, denn er, der ſich ehrlich durcharbeitet durch das harte Leben, hat ein Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung und braucht es nicht als Wohlthat zu empfangen. Er empfindet, was Diejenigen, die Wohl⸗ thaten ſpenden, noch nicht zu empfinden vermögen, daß es heißt, dem Unrecht noch die Kränkung hinzuzufügen, wenn man dem armen Arbeiter ſtatt Gerechtigkeit Barmherzigkeit entgegenbringt. Doch auch noch andere Bedenken, die beſonders bei den Frauen eine Rolle ſpielen, machen ſich gegen dieſe Schöpfungen der Wohlthätigkeit geltend: auf die Einrichtung der Volksküchen hat die Arbeiterin keinerlei Ginfluß, ſie muß nehmen, was und wie es ihr geboten wird, und in den Kindergärten lernen die Kleinen Bibelſprüche und frömmelnde Lieder, ſie werden daneben durch allerlei chauviniſtiſchen Unfug auch vielfach zu Mordspatrioten erzogen, kurz — ſie werden ihren Eltern ſyſtematiſch entfremdet. Wer die Werthloſigkeit dieſer Mittelchen, die die Schäden der Frauenarbeit mildern ſollten, einſieht, der kommt leicht zu der Ueberzeugung, daß nur ein radikales Eingreifen nützen kann: Beſeitigung der Arbeit verheiratheter Frauen überhaupt! Das iſt für ſie die Loſung. Dadurch, ſo meinen ſie, wird die Frau der Familie und dem Hauſe zurückgewonnen werden und, in Folge des Fortfalls eines großen Theils der weiblichen Konkurrenz, werden die Löhne der Männer ſo ſteigen, daß ſie allein ihre Familie er⸗ nähren können. Es iſt nur traurig, daß all' die ſchönen, ſo logiſch ſcheinenden Schlüſſe Trugſchlüſſe ſind! So unverdächtige Bericht⸗ erſtatter wie die deutſchen Gewerbeinſpektoren haben in ihren letzten Berichten faſt einſtimmig erklärt, daß eine geſetzliche Be⸗ ſchränkung der eheweiblichen Arbeit unmöglich iſt, weil die Er⸗ gänzung des männlichen Verdienſtes durch das der Frau allein die Exiſtenz der Familie ermöglicht. Die Frau muß arbeiten, damit ſie und die Ihren leben können. Verböte etwva ein Geſetz ihr die Fabrikarbeit, ſo würde ſie gezwungen ſein, ſie mit der Heimarbeit zu vertauſchen, und die Unternehmer würden den Profit davon haben. Sie würden ſofort die billigen, faſt jedes geſetzlichen Schutzes ent⸗ behrenden neuen Arbeitskräfte auf das Aeußerſte ausbeuten. Um dem zu entgehen, bliebe der Arbeiterin nichts Anderes übrig, als 18 den geſetzlichen Akt der Trauung zu umgehen und im Konkubinat zu leben. Ohne den Zettel des Standesamts würde keine Behörde ſie als Ehefrau anerkennen und die Thore der Fabrik ſtünden ihr wieder offen. Daß ſie damit noch vogelfreier würde als vorher, der rohen Willkür des Mannes preisgegeben, und jeden Augenblick gewärtig ſein müßte, mir ihren Kindern von ihm auf die Straße geſetzt zu werden — das liegt auf der Hand. Kein geſetzliches Verbot, und wäre es das ſchärfſte, vermöchie der Gntwickelung in die Zügel zu fallen. Es würde einfach von ihr überrannt. Wer wahrhaft nützen will, muß die Härten, die ſie nothwendig im Gefolge hat, zu lindern verſuchen und die Hinder⸗ niſſe, die ſich ihr entgegenthürmen, aus dem Wege räumen. Die Arbeiterſchutzgeſetzgebung hat nach dieſer Richtung in allen Ländern mehr oder weniger ſchüchterne Verſuche gemacht. Sie beſchränkte die Arbeitszeit der Arbeiterinnen auf 11, im günſtigſten Falle auf 10 Stunden, ſo daß, eine Schlafenszeit von 8 Stunden gerechnet, 5—6 Stunden für die Häuslichkeit übrig blieben. That⸗ ſächlich ſind es ſelten ſo viel. Nicht nur, daß die Arbeiterin meiſt viel Zeit auf den Weg nach und von der Fabrik verbraucht, ſie muß auch nur zu oft Ueberſtunden machen, und ſie kann, falls ſie zu Hauſe arbeitet, ſich überhaupt ohne jeden Schutz endlos abrackern. Auch eine Mittagspauſe hat man ihr zugeſtanden: in höchſtens 1½ Stunden ſoll ſie heimgehen, das Eſſen zubereiten und genießen! Ein wahrer Hohn auf den ſo viel gerühmten gemüthlichen deutſchen Familientiſch! — Dieſen unzureichenden Beſtimmungen Vorſchläge für durch⸗ greifenden geſetzlichen Schutz der Frauen gegenüber zu ſtellen, in Wort und Schrift für ſie zu agitiren, hat die Sozialdemokratie, in erſter Linie ihr weiblicher Theil, zu einer ihrer Aufgaben gemacht. Und da ſie weiß, daß für die Arbeiterin nichts wichtiger iſt als ihr Zeit zu verſchaffen, damit Körper und Geiſt ſich kräftigen können, legt ſie den Hauptnachdruck auf den Kampf um den Achtſtundentag. Durch ihn wüirde auch die verheirathete Frau mit größerer Ruhe ihren Hausgeſchäften nachgehen können und ihre Kinder wären nicht den ganzen Tag über mutterlos. Aber ſelbſt die Durchführung dieſer Forderung vorausgeſetzt, müßte für die Unterbringung der Kinder auch während der achtſtündigen Arbeitszeit der Mutter geſorgt werden. Die Agitation hat ſich daher auch darauf zu richten, die Gemeinden zur ausreichenden Einrichtung von Kindergärten und Kinderhorten zu bewegen, ſo daß alle Arbeiterkinder während der Abweſenheit ihrer Mütter, in ſicherer Obhut ſind. Und noch Eines iſt zu erwägen: So lange es Heimarbeiterinnen geben wird, ſo lange die freſſende Krankheit am Volkskörper, die Hausinduſtrie, nicht mit Stumpf und Stil beſeitigt worden iſt, ſo lange wird die 19 2* Beſchränkung der Arbeitszeit nur verhältnißmäßig wenigen Frauen zu Gute kommen. Selbſt ein Heer von Gewerbeaufſichtsbeamten würde nicht im Stande ſein, in jedem Dachſtübchen, in jedem Küchen⸗ winkel, in jeder einſamen Berghütte, wohin die Hausinduſtrie ſich verkriecht, ihr nachzuſpüren und Geſetzesübertretungen zu ver⸗ hindern. Es giebt ja wohl noch ſeltſame Käuze genug, die da meinen, die Heimarbeit ſei ein Segen für die Frau, beſonders für die ver⸗ heirathete, weil ſie ſie an den häuslichen Herd feſſelt. Sie machen ſich eben nicht klar, daß die Frau, bei den Hungerlöhnen der Haus⸗ induſtrie viel angeſtrengter bei ihrer Arbeit ſitzen muß, als wenn ſie in die Fabrik ginge, daß ihre Wirthſchaft und ihre Kinder ſogar noch mehr darunter leiden. Denn nicht nur, daß die Mutter keine Zeit hat für ſie, die elende enge Wohnung iſt auch noch zur Werkſtatt verwandelt und ſpricht den beſcheidenſten Anſprüchen an geſunde Luft in entſetzlicher Weiſe Hohn. Viele Arbeiterinnen, die vor ihrer Heirath in die Fabrik gingen, werden nachher Hausinduſtrielle, weil ſie dadurch ihren Kindern nahe ſein und, wie ſie meinen, ihr Hausweſen beſſer in Ordnung halten können. Sie würden, nach kurzer ſchmerzensreicher Erfahrung, gern in die Fabrik zurück⸗ kehren, wenn ſie während ihrer Arbeitszeit ihre Kinder verſorgt wüßten. Eine ganz andere Haltung als gegenüber der proletariſchen nahm Staat und Geſellſchaft gegenüber der bürgerlichen Frauen⸗ arbeit ein: Während ſie das Beſtehen der einen als eine Thatſache ruhig hinnahm und höchſtens die Arbeit verheiratheter Frauen unmöglch zu machen verſuchte, bekämpfte ſie die andere von vorn⸗ herein.. Begreiflich genug! Auf der Arbeit der Proletarierinnen beruht die Exiſtenz der Bourgeoiſie, die Arbeit der Frauen aus der eigenen Klaſſe dagegen kann ſie durch ihre Konkurrenz untergraben. „Die Frau gehört in's Haus“, iſt der Schlachtruf der Gegner der bürgerlichen Frauenarbeit, derſelben häufig, die in ihrer eigenen Fabrik oder in ihrem eigenen Geſchäft ſo und ſo viel Frauen beſchäftigen. Beſonders die Mehrzahl der Aerzte haben von je her gegen weibliche Kollegen eine feindſelige Haltung angenommen. Dabei ließen ſie alle Minen ſpringen: von dem Märchen der geiſtigen Minderwerthigkeit der Frau an bis zu dem pathetiſchen Hinweis auf ihren „einzigen Beruf“, den, Gattin und Mutter zu ſein, und der dröhnenden Empörung der Hallenſer Studenten, die im Namen der gefährdeten Sittlichkeit die Ausſchließung der weiblichen Studirenden aus der Univerſität forderten. Und die bürgerliche Frauenbewegung, die mit Energie und Geſchick für das Recht auf Arbeit kämpfte, wußte es nicht beſſer gegen die Feinde zu ver⸗ theidigen, als indem ſie immer wieder betonte, daß durch die Berufs⸗ arbeit jener „einzige Beruf“ der Frau nicht im Mindeſten erſchüttert 20 würde. Sie hatte inſofern Recht, als in der bürgerlichen Frauen⸗ welt die Erwerbsarbeit in den weitaus meiſten Fällen jenen „einzigen Beruf“ erſetzen ſoll und ſofort aufgegeben wird, wvenn das Mädchen heirathet. Aber ſie hat, wie wir geſehen haben, vollſtändig Unrecht, wenn ſie glaubt, auch im Namen der verheiratheten und trotzdem erwerbsthätigen Frauen ſprechen zu können. So lange nicht die Arbeit, genau wie beim Mann, als ein Lebensberuf an⸗ geſehen wird, muß ſie im Dilettantismus ſtecken bleiben. Um das zu verhindern, muß auch die bürgerliche Frau von der Ueberlaſtung doppelter Berufspflichten befreit werden. V. Die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft. Wir haben geſehen, daß die verheirathete Hand⸗ und Kopf⸗ arbeiterin unter der Laſt doppelter Pflichten ſeufzt. Sie iſt nicht im Stande, beide in vollem Umfange zu erfüllen. Weder der vor⸗ handene noch der angeſtrebte Arbeiterſchutz kann die Arbeiterin vollkommen entlaſten. Ohne über große Mittel zu verfügen, kann auch die bürgerliche Frau ihrem Beruf nicht nachgehen. Es gilt daher Einrichtungen zu ſchaffen, die es Beiden ermöglichen. Solch eine Einrichtung iſt die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft. Ich ſtelle mir ihr äußeres Bild folgendermaßen vor: In einem Häuſer⸗ komplex, das einen großen, hübſch bepflanzten Garten umſchließt, befinden ſich etwa 50 bis 60 Wohnungen, von denen keine eine Küche enthält; nur in einem kleinen Raum befindet ſich ein Gaskocher, der für Krankheitszwecke oder zur Wartung kleiner Kinder benutzt werden kann. An Stelle der 50—60 Küchen, in denen eine gleiche Zahl Frauen zu wirthſchaften pflegt, tritt eine im Erdgeſchoß be⸗ findliche Zentralküche, die mit allen modernen arbeitſparenden Maſchinen ausgeſtattet iſt. Giebt es doch ſchon Abwaſchmaſchinen, die in drei Minuten zwanzig Dutzend Teller und Schüſſeln reinigen und abtrocknen! Vorrathsraum und Waſchküche, die gleichfalls ſelbſtthätige Waſchmaſchinen enthält, liegen in der Nähe; ebenſo ein großer Eßſaal, der zu gleicher Zeit Verſammlungsraum und Tags über Spielzimmer der Kinder ſein kann. Ein kleineres Leſe⸗ zimmer ſchließt ſich ihm an. Die ganze Hauswirthſchaft ſteht unter einer erfahrenen Wirthſchafterin, deren Beruf die Haushaltung iſt; ein oder zwei Küchenmädchen ſtehen unter ihrer Aufſicht. Die Wohnung dieſer Haushaltungsbeamten ſind im ſelben Stock, wie 21 die Wirthſchaftsräume, ſie umfaſſen auch noch das Zimmer der Kinderwärterin, die ebenſo wie die Anderen von allen Bewohnern gemeinſam angeſtellt iſt. Die Mahlzeiten werden, je nach Wunſch und Neigung, im gemeinſamen Eßſaal eingenommen oder durch beſondere Speiſeaufzüge in alle Stockwerke befördert. Die Er⸗ wärmung der Wohnungen erfolgt durch Zentralheizung, ſo daß auch hier 50 Oefen durch einen erſetzt werden. Während der Arbeitszeit der Mütter ſpielen die Kinder, ſei es im Saal, ſei es im Garten, wo Turngeräthe und Sandhaufen allen Altersklaſſen Beſchäftigung bieten, unter Aufſicht der Wärterin. Abends, wenn die Mutter ſie ſchlafen gelegt hat und die Eltern mit Freunden plaudern oder leſen wollen, gehen ſie hinunter in die gemeinſamen Räume, wo ſie ſich die Unterhaltung nicht durch Alkoholgenuß zu erkaufen brauchen, wenn ſie kein Bedürfniß danach haben. Dieſer Plan läßt ſich nach den verſchiedenſten Richtungen modifiziren oder ausbauen. Um ihn zu vereinfachen, könnten die Aufzüge und das Leſezimmer z. B. wegfallen; die Frauen müßten ſich dann das Eſſen an der Ausgabeſtelle holen gehen. Erweitern ließe er ſich, ſobald etwa auch das Reinigen der Wohnungen zen⸗ traliſirt ſein ſollte. Dann müßte eine Anzahl Zimmermädchen dafür angeſtellt werden. Durch Einführung von elektriſchem Licht, durch Einrichtung geſchmackvoller Räume für geſellige Zwecke, An⸗ legung von Kegelbahnen u. dergl. mehr ließe er ſich noch reicher aus⸗ geſtalten. Das Alles würde ſich ganz von ſelbſt nach den Bedürf⸗ niſſen der Bewohner richten, die — das iſt eine nothwendige Vor⸗ ausſetzung — alle auf einer annähernd gleichen Einkommensſtufe ſtehen müßten. Eine ſchematiſch gleiche wäre ſchon deshalb nicht nöthig, weil es keine Schwierigkeit machen würde, wenn etwa minder Begüterte eine kleinere Wohnung und um ein Gericht ver⸗ kürzte Mahlzeiten haben wollten. Dieſer ganze Plan iſt durchaus nicht ſo vollkommen neu, als es den Anſchein hat. Anſätze dazu finden ſich vielfach. So leben in Amerika ſchon viele Familien in Folge des Dienſtbotenmangels in Penſionen oder Hotels, wo ſie ſich verköſtigen laſſen. In einem Vorort Chicagos haben ſogar eine Anzahl Familien ſich zu gemein⸗ ſamer Hauswirthſchaft zuſammengethan; in England iſt vielfach für Aehnliches agitirt worden; neuerdings wurde in Mancheſter eine Geſellſchaft gegründet, die an verſchiedenen Stellen der Stadt große Küchen einrichten will, von denen aus alle Familien mit gutem warmen Eſſen verſorgt werden können. Auch hier iſt es der Mangel an Privatköchinnen, der den Anlaß dazu bildete. Häuſer, in denen alleinſtehende erwerbsthätige Frauen zuſammen wohnen und ernährt werden, giebt es, beſonders in England, ſchon vielfach und auch in Berlin iſt ſo etwas im Entſtehen begriffen. Alle dieſe 22 Einrichtungen gehen aber faſt durchweg von bürgerlichen Kreiſen aus und ſind für ſie beſtimmt. Es ſcheint ja auch auf den erſten Blick faſt unmöglich, daß Arbeiter bei ihren beſchränkten Mitteln eine Wirthſchaftsgenoſſen⸗ ſchaft bilden und erhalten könnten. Sie, die nie im Stande waren, irgend eine Hilfskraft anzuſtellen, ſollten plötzlich im Stande ſein, Wirthſchafterin, Kinderwärterin u. ſ. w. zu beſolden?! Und doch liegt das keincswegs außerhalb des Bereichs der Möglichkeit, denn nicht nur, daß dieſe Ausgaben ſich auf 50 bis 80 Familien ver⸗ theilen würden, ſie würden durch die Vortheile des Einkaufs im Großen, der Erſparniß an Feuerung und der rationelleren Wirth⸗ ſchaftsführung reichlich wieder eingebracht werden. Nehmen wir z. B. an, daß 50 Familien 3 Perſonen mit 125 Mk. monaklich beſolden, veranſchlagen wir Wohnung und Beköſtigung mit 156 Marl für ſie (Beköſtigung 1,40 Mk., Wohnung 10 Mk. pro Perſon), ſo würde jede Familie 5,62 Mk. im Monat Ausgaben haben, die mit Leichtigkeit durch die Erſparniſſe gedeckt werden könnten. Da die einzelnen Wohnungen keine Küche haben würden, ſo würde auch die Miethe für die Zentralküche und die übrigen Räume leicht auf⸗ gebracht werden können. Das Alles iſt die geringſte Schwierigkeit. Die größere beſteht in der Frage, auf welchem Wege die Wirtſchaftsgenoſſenſchaft ſich praktiſch verwirklichen läßt. Die vorhandenen Miethskaſernen ſind dafür ungeeignet. Sie ſind durchweg auf Bewohner von den ver⸗ ſchiedenſten Vermögensverhältniſſen eingerichtet, ſie weiſen dem Arbeiter irgend eine elende dunkle Hinterwohnung an, und auch dieſe iſt er oft kaum im Stande, zu bezahlen. Viele ſehr wichtige Einrichtungen würden hier unmöglich ſein und das Ganze dadurch leicht zum Scheitern kommen. Vielleicht aber, daß die Bau⸗ ſpekulation ſich des praktiſchen Gedankens annehmen und Häuſer für Wirthſchaftsgenoſſenſchaften auf ihr Riſiko errichten würde? Das würde, aus Gründen, die ich noch auseinanderſetzen werde, für bürgerliche Kreiſe garnicht von der Hand zu weiſen ſein, das Proletariat aber ſollte einen anderen Weg einſchlagen. Er bietet ſich ihm in den Baugenoſſenſchaften, deren Ziel es iſt, Häuſer nicht zum Eigenerwerb, ſondern auf der Grundlage gemeinſamen Beſitzes und gemeinſamer Verwaltung zu errichten. Abgeſehen von der Reform der Hauswirthſchaft, die ſich in neuen, auf ſie berechneten Häuſern allein verwirklichen läßt, würden die Baugenoſſenſchaften denjenigen Arbeitern, die zu ihrer Bildung im Stande ſind, den Vortheil bieten, der Wohnungsnoth zu entgehen. In den Bau⸗ und Sparvereinen, die an vielen Orten, auch in großen Städten wie Berlin, Hamburg, Altona, Hannover, Kaſſel und anderswo eine erſprießliche Wirkſamkeit entfalren konnten, genießen die 23 Genoſſen faſt alle Vortheile, die ein eigenes Haus bietet, ohne dic damit verknüpften, dem modernen Induſtriearbeiter doppelt empfindlichen Nachtheile. Die Wohnungen in den Häuſern dieſer Baugenoſſenſchaften ſind den Bedürfniſſen und Ginkommensverhält⸗ niſſen der Arbeiter angepaßt. Obwohl ſie hygieniſchen und anderen Anforderungen beſſer entſprechen, ſind ſie regelmäßig wohlfeiler als die ortsüblichen Wohnungen gleicher Kategorie in Mieths⸗ häuſern. Aber als ein noch ſchwerer wiegender Vortheil kann gelten, daß einem Angehörigen der Genoſſenſchaft, wenn er ſeine Ver⸗ pflichtungen erfüllt, nicht gekündigt werden kann, er dagegen ſeiner⸗ ſeits frei iſt, die Wohnung zu verlaſſen. Er iſt als Miteigenthümer des Genoſſenſchaftshauſes im ſicheren Beſitz der Wohnung, wie wenn er alleiniger Gigenthümer wäre, iſt aber darum doch nicht an die Scholle gefeſſelt, ſondern kann ihr unbehindert den Rücken kehren, wenn etwa ein Wechſel der Arbeitsgelegenheit es nöthig macht. Miethsſteigerungen, die den Einzelnen auf das Härteſte treffen und der Arbeiterklaſſe die mit den größten Anſtrengungen durchgeſetzten Lohnerhöhungen zum guten Theil wieder rauben, kennt das im Hauſe ſeiner Genoſſenſchaft wohnende Mitglied nicht. Gegen ſolche Gefahr geſchützt, geſichert und unabhängig, iſt er Herr in ſeinen vier Wänden und hat dabei das erhebende Bewußtſein, dieſe Vortheile ſich und ſeinen Kameraden zu verdanken. Die genoſſenſchaftliche Bewegung, die ſonſt ſo reiche Blüthen treibt, hat verhältnißmäßig am wenigſten den Zweig der bau⸗ genoſſenſchaftlichen Thätigkeit gepflegt. Das iſt begreiflieh, weil die Schwierigkeiten gerade hier große ſind und ſie im Unterſchied von den Konſumgenoſſenſchaften erhebliche Geldmittel vorausſetzen, namentlich in den großen Städten, in denen der Grundſtücks⸗ und Häuſerwucher die Preiſe zu enormer Höhe heraufgeſchraubt haben. Trotzdem iſt es, wie die vorhandenen Spar⸗ und Bauvereine be⸗ weiſen, nicht unmöglich, auch unter ſolchen Verhältniſſen Erfolge zu erzielen. Natürlich darf man ſich über ihre Tragweite keinen Illuſionen hingeben. Eine völlige Löſung der Wohnungsfrage iſt nur möglich durch eine umfaſſende und tief eingreifende Geſetz⸗ gebung mit dem Ziel, den Grund und Boden, in erſter Linie den ſtädtiſchen, in geſellſchaftlichen Beſitz überzuführen. Aber wenn die Baugenoſſenſchaften außer Stande ſind, an die Stelle unerläßlicher geſetzgeberiſcher Maßnahmen zu treten, und wenn ſie der Maſſe ganz ſchlecht gelohnter Arbeiter keine Hilfe bringen können, ſo ver⸗ mögen ſie doch für die beſſer geſtellten Arbeiterſchichten die ſchlimmen Auswüichſe unſeres Wohnungselends zu beſeitigen. Ausreichend fundirte Baugenoſſenſchaften werden aber auch dieſe Arbeiter mit ihren eigenen finanziellen Mitteln nicht ins Leben rufen können. Aber immerhin wird eine große Zahl von ihnen im 24 Stande ſein, mit ratenweiſe gezahlten Geſchäftsantheilen, die ge⸗ wöhnlich 200—300 Mk. betragen, den Grundſtock zu legen. Außer dieſen Mitteln ſteht ihnen ein großer Fond zur Verfügung, auf den ſie einen rechtlich und moraliſch gleich gut begründeten Anſpruch haben: das iſt das Vermögen der Invaliditäts⸗Verſicherungs⸗ anſtalten. Der § 164 des Invaliditäts⸗Verſicherungs⸗Geſetzes vom 13. Juli 1899, der die Vermögensverwaltung der Verſicherungs⸗ anſtalten regelt, beſtimmt, daß dieſe die Hälfte ihres Vermögens für ſolche Veranſtaltungen anlegen können, die ausſchließlich oder überwiegend der verſicherungspflichtigen Bevölkerung zu Gute kommen. Und in den Motiven des Geſetzes wird dies ausdrücklich dahin erläutert: „Durch die Heraufſetzung auf die Hälfte ſoll den Wünſchen, welche ſich auf eine größere Betheiligung der Ver⸗ ſicherunganſtalten an Beſtrebungen zur Verbeſſerung der Wohnungs⸗ verhältniſſe der Arbeiter richten, entgegengekommen werden.“ Kein Zweifel, daß die zum Theil der Ausführung der geſetzlichen Vorſchriften noch widerſtrebenden Verſicherungsanſtalten durch einen auf ſie geübten ſtarken Druck der Arbeiterklaſſe bald dazu bewogen werden könnten, ihr Vermögen in Darlehen für Arbeiterwohnungen anzulegen. Eine ſolche Verwendung wäre in Uebereinſtimmung mit ihren Aufgaben: die Verbeſſerung der Wohnungen würde eine Verbeſſerung der Geſundheitsverhältniſſe der Arbeiter herbeiführen und die Verſicherungsanſtalten würden bei einer vollkommen ſicheren Anlage und ausreichenden Verzinſung ihres Vermögens erfreuliche ſoziale Wirkungen hervorrufen. Alles ſpricht für eine Bethätigung nach dieſer Richtung: das Geſetz, das ſoziale Bedürfniß und das finanzielle Intereſſe. Wenn die Verſicherungsanſtalten hinter ihren Verpflichtungen zurückblieben, ſo nur darum, weil die Arbeiter weder die rechte Einſicht für die erforderlichen Maßnahmen gezeigt, noch die ihnen zuſtehenden Anſprüche mit Energie geltend gemacht haben. Wic den Verſicherungsanſtalten haben es die Arbeiter auch den Gemeinden und dem Staat gegenüber an entſchiedenen Forderungen nach Unterſtützung einer Wohnungsreform fehlen laſſen. Das iſt der Grund, warum in einer Frage, in der die Anſichten geklärter ſind als auf vielen anderen Gebieten, die Geſetz⸗ gebung ſo gut wie ganz unthätig geblieben und auch auf dem Ver⸗ waltungsweg nichts Ernſthaftes geſchehen iſt. Und doch iſt die Ueberzeugung von der Dringlichkeit wirkſamer Maßnahmen bereits eine ſo allgemeine — unter Anderem ſpricht dafür auch der Re⸗ gierungserlaß von vier preußiſchen Miniſtern vom 19. März 1901 —, daß eine machtvolle Agitation, die die große Maſſe des Volkes in Bewegung ſetzte, ſowohl zu ernſten geſetzgeberiſchen wie zu Verwaltungsmaßnahmen führen dürfte; Staat und Gemeinden könnten gezwungen werden, unter Garantien⸗ gegen daraus ent⸗ 25 ſtehende Abhängigkeitsverhältniſſe mit dem Bau zahlreicher Arbeiter⸗ wohnungen vorzugehen und Baugenoſſenſchaften mit Darlehen, Zinsgarantien, Hergabe billiger Baugründe u. dergl. zu unter⸗ ſtützen. Insbeſondere gilt von den Baugenoſſenſchaften, daß unter den gegebenen Verhältniſſen die Klarheit über ihren Werth, die Beſeitigung der ihnen entgegenſtehenden Vorurtheile und der energiſche Wille der Arbeiter, ſie ins Leben zu rufen, die wichtigſte Vorausſetzung iſt, gegen die die Beſchaffung der nöthigen finanziellen Grundlage in den Hintergrund tritt. Dort, wo große Konſum⸗ genoſſenſchaften beſtehen, bilden ſie, wie z. B. in England, den beſten Ausgangspunkt für die Bildung von Baugenoſſenſchaften, aber ſie können auch von den beſſer geſtellten Arbeitern ins Leben gerufen werden. Sie ſind ein vortreffliches Mittel, in gewiſſen Grenzen ſich ſelbſt zu helfen. Die Arbeiter ſollten es in weiteſtem Maße ausnutzen und die Arbeiterinnen ſollten ſich mit aller Energie an einer Agitation betheiligen, von deren Erfolg das Entſtehen der Wirthſchaftsgenoſſenſchaften weſentlich abhängt. Für die bürgerlichen Kreiſe liegt, wie ich ſchon erwähnte, die Frage anders. Zwar ſteht auch für ſie der Gründung von Bau⸗ genoſſenſchaften nichts im Wege, die Geldbeſchaffung aber iſt in keiner Weiſe geregelt; und da von vornherein anzunehmen iſt, daß ſich unter Denen, die eine Wirthſchaftsgenoſſenſchaft ins Leben rufen wollen, keine reichen Leutc befinden, ſo können ſie an einen Bau mit ausſchließlich eigenen Mitteln nicht denken. Sie müßten alſo ent⸗ weder einen Geldgeber finden, dem die Sache genug Garantien bictet, daß er Kapital darauf riskirt, oder das betreffende Haus müßte, wie jedes andere Miethshaus, von einem Unternehmer auf Spekulation gebaut werden. Dabei würden nicht alle Vortheile zur Geltung kommen, die eine Genoſſenſchaft gewährleiſtet, aber es wäre immerhin beſſer, daß die Grundlage für den weiteren Ausbau des Plans auf dieſe Weiſe, als daß ſie garnicht geſchaffen würde. VI. Die Wirkungen der hauswirthſchaftlichen Reform. Die Reſultate der Reform der Hauswirthſchaft, wie ich ſie im Auge habe, wären ganz bedeutende. Jenem ſchädlichen Dilettantis⸗ mus in der Küche — in nichts Anderem beſteht die mit ſo viel Auf⸗ wand an Sentimentalität feſtgehaltene Thätigkeit der Hausfrau oder der Köchin — würde ein Ende bereitet, ſtatt daß man ihn noch weiter auf einem ſo wichtigen Gebiet, wie die Ernährung des 26 Menſchen es iſt, Unheil ſtiften läßt. Für die Kinder, ſelbſt für die kleinſten, wäre das genoſſenſchaftliche Leben von unberechenbarem Vortheil. Nicht nur, daß ſie beſchützt wären vom Einfluß der Straße und der traurigen Frühreife der Stadtkinder, ſie würden auch zeitig den Geiſt der Brüderlichkeit in ſich entwickeln lernen. Für die Frauen aber bedeutet die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft eine der Grund⸗ lagen ihrer Befreiung. „Die Frau befreien heißt nicht ihr die Pforten der Univerſität, des Gerichtshofs, des Parlaments öffnen“, ſagt Peter Krapotkin, „es heißt vielmehr, ſie von dem Kochherd und dem Waſchfaß befreien, heißt ſolche Einrichtungen treffen, die ihr geſtatten, ihre Kinder zu erziehen und am ſozialen Leben Theil zu nehmen.“ Den Emanzipationskampf, den die Frau heute kämpft, wird ſie niemals ſiegreich zu Ende führen können, wenn ſie ſich nicht vorher Zeit und Ruhe erobert hat und ihr Leben in Har⸗ monie brachte zu ihren Beſtrebungen. Erſt, wenn die Frau nicht mehr unter doppelten Berufspflichten zu ſeufzen hat, bei denen ſic ſich körperlich und geiſtig aufreibt, wird ſich auch ihre Arbeitsfähig⸗ keit beurtheilen laſſen. Wie die Dinge heute liegen, muß die ver⸗ heirathete Arbeiterin immer hinter dem Mann zurückſtehen, weil ſie nicht wie er die Möglichkeit hat, in Stunden der Ruhe neue Kräfte zu ſammeln. Für die geiſtige Arbeiterin gilt das ganz ebenſo. Ihr Kopf, der angefüllt iſt mit tauſend kleinen Wirthſchaftsſorgen, kann nicht daneben noch klare über den engſten Intereſſenkreis hinausreichende Gedanken reifen laſſen. Aber auch noch eine Reihe anderer wichtiger Reformen würden durch die Umgeſtaltung der Hauswirthſchaft befördert werden. So fann meines Erachtens eine Löſung der Dienſtbotenfrage, ſolange die jetzigen Privathaushaltungen beſtehen, nicht erwartet werden. Erſt wenn die Dienſtboten aus dem perſönlichen Verhältniß zu ihrem Dienſtherrn heraustreten und ſich der Stellung der Fabrik⸗ arbeiterin annähern, wird davon die Rede ſein können. Und das iſt nur in Wirthſchaftsgenoſſenſchaften möglich, wo neben höherem Lohn und beſſerer Wohnung eine Regelung der Arbeitszeit durchführbar iſt und die Kontrolle über das Thun und Laſſen der Dienſtboten ſeitens der einzelnen Hausfrauen wegfällt. Eine andere Frage, deren Erörterung bisher nicht über das erſte Anfangsſtadium herausgediehen iſt, dürfte gleichfalls — aller⸗ dings nur in der Folge ſehr ſtarker Ausbreitung von Wirthſchafts⸗ genoſſenſchaften — eine energiſche Förderung erfahren. Ich meine die Frage der Hausinduſtrie. Sobald die Sorge um Kinder und Haushalt die Frauen nicht mehr dauernd an das Haus zu feſſeln braucht und dieſer Vorwand auch von Denen nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, die jetzt noch in jedem geſetzlichen Eingriff in die „vier Wände“ ein Sakrilegium erblicken, ſobald wird es 27 auch erſt möglich ſein, mit aller Entſchiedenheit gegen dieſen Krebs⸗ ſchaden einzuſchreiten. Bedeutet das nun Alles „Umſturz“, „Auflöſung der Familie“ und wie die ſchönen Schlagwvorte noch alle heißen, mit denen man Philiſter zum Gruſeln bringt? Wir haben geſehen, wie die Hauswirthſchaft unter dem Einfluß wirthſchaftlicher Verhältniſſe und techniſcher Fortſchritte einer ſteten Umwandlung unterworfen war, bis ſie zu dem jetzigen Reſt zu⸗ ſammenſchrumpfte. Wenn jetzt an Stelle des innerlich ſchon über⸗ wundenen Einzelhaushalts der genoſſenſchaftliche Haushalt tritt, ſo liegt das im nothwendigen Gang der Entwickelung. Die Küche gewiſſermaßen zur Grundlage der Familie zu mächen, indem man erklärt, daß ſie mit ihr ſteht oder fällt, heißt den Begriff der Familie entweihen. Wäre es thatſächlich nichts als der Herd, der ſie zu⸗ ſammenhält, ſo wäre ſie werth, zu Grunde zu gehen. In Wirklichkeit liegt die Sache ſo: die äußere Form der Familie hat ſich dauernd verändert. Das Feſtſtehende im Wechſel iſt das Verhältniß zwiſchen Mann, Weib und Kind. Seine Tiefe und Innigkeit entwickelt ſich um ſo mehr, je mehr es losgelöſt iſt von äußeren Bedingungen. Im Alterthum war das Weib des Mannes unterwürfige Sklavin, die erſte Verwalierin ſeines Eigenthums. In der Neuzeit hat er zumeiſt in ihr ſeine Haushälterin geachtet, die ihm, nach mehr oder weniger ſtürmiſcher Jugend, ein behagliches Zuhauſe ſchaffte. In Zukunft wvird ſie ihm Geliebte und Freundin zugleich ſein, mit der er Freuden und Leiden theilt, bei der er volles Verſtändniß findet. Den Kindern aber, denen ſie einſt nur Pflegerin der Säuglingsjahre war, ſoll ſie Erzieherin und Freundin werden. Iſt das Auflöſung der Familie? Löſt ſie nicht vielmehr der jetzige Zuſtand auf, der die erwerbthätige Frau zwingt, ſich körperlich und geiſtig zu Grunde zu richten, der den Mann in die Kneipe, dic Kinder auf die Straße treibt? Es ſind jedoch nicht nur die Feinde der Frauenemanzipation, dic auch unſere Gegner ſind. Selbſt aus den Reihen der Freunde tönen Bedenken aller Art hervor. Die Frauen der Genoſſen⸗ ſchafter, ſo heißt es, werden ſich unter einander nicht vertragen; Zank und Streit und Klatſch wird der Sache ein klägliches Ende bereiten. Ich verkenne die Berechtigung dieſes Einwands durchaus nicht. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Frauen, die in Folge ihrer ſchlechten Erziehung und ihrer Ueberlaſtung garnicht die Möglichkeit hatten, für ernſte Fragen des Lebens Intereſſe zu gewinnen, ſich mit dem Thun und Laſſen des Nachbarn beſchäftigen, und eine Wirthſchaftsgenoſſenſchaft kann ſie natürlich nicht mit einem Schlage ändern. Wohl aber wird ſie ſehr vielen Anlaß zu Klatſch und Streit aus dem Wege räumen, indem ſie verhindert, daß der Eine die 28 Wirthſchaftsführung des Andern bemäkelt und ihm gewiſſermaßen in die Töpfe guckt. Sie wird auch nach und nach gerade nach dieſer Richtung hin einen wichtigen erzieheriſchen Einfluß üben. Die⸗ jenigen freilich, die die erſten Wirthſchaftsgenoſſenſchaften ins Leben rufen und ein Vorbild ſchaffen wollen für Andere, ſollten ſich von vorn herein des Ernſtes der Sache und der Verantwort⸗ lichkeit, die ſie übernehmen, bewußt werden und ſie nicht leicht⸗ fertig aufs Spiel ſetzen. Bei allen ähnlichen Beſtrebungen in der Arbeiterſchaft, ſowohl den gewerkſchaftlichen als den genoſſenſchaft⸗ lichen, hat es ſich bisher gezeigt, daß die Theilnehmer wohl im Stande wvaren, der Bedeutung der Sache auch durch ihr Benehmen volle Rechnung zu tragen. Es giebt thatſächlich wenig Empfin⸗ dungen, die auf das ſittliche Verhalten des Menſchen von größerem Einfluß ſind als das Verantwortlichkeitsgefühl; dieſe Erfahrung würde ſich auch in unſerem Fall nicht als trügeriſch erweiſen. Die ſchwankenden Ginkommensverhältniſſe der Arbeiter ſind gleichfalls gegen die Idee der Wirthſchaftsgenoſſenſchaft geltend gemacht wvorden und gewiß nicht ganz mit Unrecht. Demgegenüber muß betont werden, daß zunäch ſt nur etwas beſſer geſtellte Arbeiter Genoſſenſchafter werden können, daß aber auch die für ſie immer beſtehende Gefahr der Arbeitsloſigkeit inmitten der Ge⸗ noſſenſchaft weniger drohend iſt als außerhalb ihrer. Sie wird nicht nur leichter die Miethe ſtunden als irgend ein Hauswvirth, ſie wvird auch ihr Mitglied dadurch vor dem ſchlimmſten Elend bewahren können, daß ſie es nicht hungern läßt. Gerade dabei kann ſich der genoſſenſchaftliche Geiſt beſonders lebenskräftig erweiſen. Wenn fernerhin von Seiten mancher Männer geſagt wird: „Was ſoll die Frau denn thun, wenn ſie nicht kocht?!“, und manche Frauen ſelbſt mit wahrer Zärtlichkeit an ihrer Küche hängen, ſo möchte ich nur bemerken, daß die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft ja hauptſächlich ſolche Familien vereinigen ſoll, deren weibliche Glieder einem ſelbſtändigen Beruf nachgehen und Niemand, der ſich von der Privatküche nicht trennen mag, dazu gezwungen werden kann. Damit ſind aber die Einwendungen gegen die Wirthſchafts⸗ genoſſenſchaften noch nicht erſchöpft. Dieſelben, die gegen jede genoſſenſchaftliche Bewegung gerade aus den Reihen der fort⸗ geſchrittenen Arbeiter erhoben werden, machen ſich auch hier geltend. Die Arbeiter werden, ſo heißt es, dadurch von ihrem Hauptziel ab⸗ gelenkt; es werden Kräfte in Anſpruch genommen, die der politiſchen Bewegung gehören ſollten, und die Gefahr beſteht, daß die Genoſſen⸗ ſchafter mit ihren eigenen Verhältniſſen ſo zufrieden werden, daß ſie an die Noth der Anderen vergeſſen und die Solidarität inmitten kleiner Gemeinſchaften auf Koſten der Solidarität des geſammten Proletariats genährt wird. 29 Dieſe Gründe brauchen uns nicht zu ſchrecken, denn ſie ſind durch die Entwickelung widerlegt worden. Die hemmenden Elemente in der Arbeiterbewegung ſind immer Diejenigen, die im Elend ſtumpf geworden ſind. Die beſſer geſtellten Arbeiter dagegen, die höhere Bedürfniſſe in ſich entwickeln konnten, ſind ſtets die Bahn⸗ brecher geweſen. Dabei ſollte nicht überſehen werden, daß die Arbeiterbewegung deſto verſchiedenartigere Aufgaben ſtellt, je um⸗ faſſender ſie wird. Wie die gewerkſchaftliche ſo iſt auch die genoſſen⸗ ſchaftliche Bewegung nichts als eins ihrer Glieder, das in dem großen Befreiungskampf des Proletariats nothwendige Funktionen erfüllt. Auch der Einwurf, daß es eine Kraftvergeudung iſt, wenn man Reformen durchzuſetzen ſucht, die nur einem kleinen Kreis von Menſchen zu Gute kommen, ſcheint mir hinfällig zu ſein. Alle Reformen, auch die größten, haben klein angefangen und wer die natürlichen Entwickelungsgeſetze des ſozialen Lebens anerkennt, der muß ohne Weiteres zugeben, daß ſelbſt große Umwälzungen mit faſt unſcheinbaren Bewegungen einſetzten: ſo iſt z. B. aus dem kleinen Kramladen der armen Arbeiter von Rochdale die rieſige engliſche Konſumgenoſſenſchaftsbewegung herausgewachſen. „Die kleine Privatküche“, ſagt Auguſt Bebel in ſeinem Buch: Die Frau und der Sozialismus, „iſt genau wie die Werkſtatt des Kleinmeiſters ein überwundener Standpunkt, eine Einrichtung, bei der Zeit, Kraft und Material in unſinnigſter Weiſe vergeudet und verſchleudert werden.“ Er ſchildert dann eine Küche, die auf der Weltausſtellung von Chikago im Jahre 1893 zu ſehen war und in der durch Elektrizität geheizt, gekocht, gebraten und geſpült wurde; „unſere Frauen“, ſo meint er, „greifen mit beiden Händen zu, wenn dieſe Küche der Zukunft gegen die jetzige eingetauſcht wird“; er ver⸗ legt aber die geſellſchaftliche Einrichtung der Nahrungsmittel⸗ bereitung, wie es z. B. Bellamy auch gethan hat, in die „Geſellſchaft der Zukunft.“ Nun iſt es zwar auch meine Anſicht, daß der ent⸗ giltige Sieg der Wirthſchaftsgenoſſenſchaft über den Privathaushalt erſt dann erfolgen kann, wenn an Stelle der kapitaliſtiſchen Wirth⸗ ſchaftsordnung die ſozialiſtiſche getreten iſt; aber ebenſo wie die eine nicht plötzlich verſchwinden und die andere nicht plötzlich ent⸗ ſtehen wird, ſondern die zukünftige ſich vielmehr, wie der Schmetter⸗ ling in der Puppe, allmälig entwickelt, bis ſie, reif geworden, der abſterbenden Hülle entſchlüpft, ebenſo wird die Ablöſung des Privat⸗ haushalts durch die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft nur nach und nach vor ſich gehen können. Natürlich wird durch den erſten Schritt nicht gleich das ganze Land erobert werden, man muß ihn aber thun, wenn man es überhaupt erobern will. Die männliche Arbeiterſchaft ſollte dabei auch mehr als bisher bedenken, daß die Gewinnung der Frauen für ihre Ideale eine 30 Lebensfrage für ſie ſein kann. Der Augenblick könnte kommen. wvo ſie die, wie wir geſehen haben, raſch zunehmende Maſſe der weiblichen Arbeiter mit all' ihrer geiſtigen Rückſtändigkeit wie eine Kette an ihrem Fuß empfinden werden. Um das zu verhindern, um die Frauen aus dem bleiernen Schlaf zu erwecken, der auf ihnen laſtet, gilt es, ſie auch von der Sklaverei des Hauſes zu befreien. Daß es mit dieſer Befreiung allein nicht gethan iſt, verſteht ſich von ſelbſt. Nur Kurpfuſcher pflegen dem Kranken Mittel zu vi ſchreiben, die alle Gebrechen des Körpers heilen ſollen. Die Wirthſchaftsgenoſſenſchaft ſoll jenen Geiſt der Brüdexlr keit zur Herrſchaft bringen helfen, ohne den eine Entwickelung beſſeren Zuſtänden nicht denkbar iſt. Sie ſoll nur einen E jenes ſtolzen Zukunftsbaues bilden, den einſt eine glücklich Menſchheit bewohnen wird. Preuſiſche Staatsbibliothek Berlin Druck von Max Bading, Berlin S. W. 31 Wir empfehlen: Frauenfrage u. Sozialdemokratie Von Lily Braun. Preis 20 Pfg. - porto 5 Pfg Die Frau und er Sozialismus Von A. Bebel. Preis 2, - Mk., geb. 2,50 Mk. Auch in heften à 20 Pfg. Buhhandlung Vorwärts, Berlin SW. 19, Beuthstr. 2. Neue Kunstblätter in Kupferradierung Der große Beifall, den die zu Weihnachten erſchienenen KunstblätterMarx und Engels gefunden haben, hat uns veranlaßt, die Portraits von Bebel, Liebknecht und Singer in Kupfer-Radierung auf China-Papier folgen zu laſſen, und zwar um ihnen eine allgemeine Verbreitung zu ſichern, in kleinem Formate, nämlich 52:40 Centimeter zum Preise von Mk. 1,50 pro Blatt. Der beiſpiellos billige Preis dieſer meiſterhaft ausgeführten Kunſtblätter iſt natürlich nur bei Maſſenablaß möglich. Wie von den Marx= und Engels=Radierungen, haben wir auch hiervon eine kleine Anzahl Remarkdrucke Rebel, liebknecht, Singer auf Japan-Papier zum Preiſe von Mk. 10 pro Stück, Mk. 25 für alle drei zuſammen, herftellen laſſen, die wir beſtens empfehlen. Von den Marx= und Engels⸗Remarken ſind nun noch eine ſehr beſchränkte Anzahl vonhanden. Zahlreichen Aufträgen fieht entgegen Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW. 19, Beuthstr. 2. Gegen die Prodruckerzölle erſchien in unſerem Verlage eine Aufklärende Agitationsſchrift Handelspolitik und Sozialdemokratie. Eine populäre Darstellung der handelspolitischen Streitfragen. Von Karl Kautskn. 96 Seiten ſtart. * Buchhandelspreis 1, - Mk. * Porto 1 Pfg. Für die Parteigenoſſen zur Agitation erſcheint gleichzeitig eine beſondere Agitationsausabe Einzen: 30 Pfg.; in Partien für Wahlvereine, Vertrauenslente, Agitationskomités 20. billigſt. Der als volkswithſchaftlicher Schriſſtſteller rühmlichſt bekannte Ver= faſſer erörtert das ſchwierige und in feinen politiſchen und wirthſchatlichen Zusammenhängen vielfach noch nicht klar erfaßte Thema in 9 Hauptkapiteln: 1) Die Finanzzölle, 2) Die Handelsbilanz, 3) das alte Schutzzollfeſtem, 4) Der alte Freihandel, %) Der uebergang von freihandel zum Schutzzoll, 6) Der neue und der alte Schutzzoll, 7) Die Agrarzölle, 8) Die Handels- verträge, 9) Welthandel und Sozialdemokratie. je nach den hiſtoriſchen, wirthſchaftlichen und politichen Geſichtspunkten ſind die 9 Hauptkapitel wieder ein zahlreiche Unterkapitel zerlegt, ſo saß jeder denfende Leier ſowol über die brennende Streitfrage der nächſten zukunft klare Auf= klärung findet als auch darüber, welche Stellung die Sozialdemokratie im Intereſſe der deutſchen Arbeiterklaſſe zu nehmen hat. zahlreichen Beſtellungen ſieht entgegen buchhandlung Vorwärts, berlin SW., Beuthstr. 2. Ferner Erſchien: Arbeiterschutz und Archtſtundentag von As. Braun. 3 Bogen stark - Preis 20 Pfennig. Dieſe Schrift behandelt in 8 Kapiteln die Fragen: 1. Was iſt eine Arbeitstag? 2. Arbeiterſchutzgeſetzte in den verſchiedenen Ländern. 3. Staat und Gemeinde als Arbeitgben. 4. Warum fordern die Arbeiter Arbeiterſchutzgeſetze. 5. Scheingründe der Unternehmer gegen den Achtſtundentag. 6. Was kann der Achtſtundentag, und was kann er nicht? 7. Der Kampf auf politiſchen und auf gewerkſchaftlichem Boden. 8. Blicke in die Zukunft. Dieſe populäre broſchüre empfiehlt ſich beſonders für gewerkſchaften zur Agitation, und zwar nicht blos zur Maiagitation, ſondern zur allgemeinen Agitation für die gewerkſchaft= lichen zile auf verkürzung der Arbeitszeit, Erhöhung des Arbeiterſchutzes. buchhandlung Vorwärts, berlin SW., Beuthstr. 2. Druck von Max Bading, berlin S.W. M. 5590