No 3581/12 25 Jahre Verein Frauenwohl Groß-Berlin P 1918.2868. Der Fortschrittlichen Frauenbewegung gewidmet von Minna Cauer zum 25jährigen Jubiläum des Ver eins Frauenwohl Groß-Berlin. Gegründet 1888. Königl. Bibliothek Berlin Motto: „Zeigt, daß ihr einer be- geisterten Hingebung fähig seid, erweckt durch euer Tun und euer Werk die Gewissen der Menschheit.“ Hedwig Dohm. No 4581/12 An die Mitglieder des Vereins Frauen- wohl Groß-Berlin! Es ist mir eine Freude, den Mitgliedern des Vereins Frauenwohl Groß-Berlin und seinen Freunden einen geschichtlichen Rückblick auf seine fünfundzwanzigjährige Tätigkeit hiermit zu übergeben. Hoffnungen und Enttäuschungen, Arbeiten und Mühen. Erfolge und auch schwere Erfahrungen sind kurz darin verzeichnet. Fünfundzwanzig ſanre Arbeit bedeuten nicht viel im Hinblick auf die große und gewaltige Umwälzung unseres ganzen sozialen und politischen Lebens. Erst nach manchem Menschenalter werden sich die Folgen dieses ungeheuren Wandels aller Verhältnisse zeigen, in welche auch die Frauenwelt mit hineingezogen worden ist. Unsere Arbeit diente dem Fortschritt! Dankbar müssen wir aller derjenigen gedenken, die treu zu uns standen und noch treu aushalten; mit stiller Wehmut derjenigen, die mit uns gestrebt und gekämpft haben und nicht mehr unter uns weilen. Dankbar gedenken wir vor allem der Getreuen, die niemals schwankten und niemals wankten. 1* 4 wenn schwere Zeiten an uns herantraten, wo der Gegner und Feinde viele waren, der Freunde wenige. Der Rückblick möge den Mitgliedern zeigen, daß wir nicht vergebens gekämpft und gestrebt haben. Er möge dazu beitragen, uns neue treue Freunde für die weitere Arbeit zu gewinnen. Berlin im September 1913. Minna Cauer. Motto: „Im Kampfe sollst du dein Recht finden“. Ihering I. Geschichtlicher Ueberblick. Die Entwicklung des Vereins Frauenwohl hängt eng zusammen mit den fortschrittlichen Ideen in der bürgerlichen Frauenbewegung. Mit Recht ist er daher als der „linke Flügel“ in der organisierten bürger- lichen Frauenbewegung bezeichnet worden, die sich 1894 als Bund Deutscher Frauenvereine konstituierte und in welcher die verschiedensten Richtungen der Frauen- bewegung zusammengefalt worden sind. Durch die völlig veränderte Lage der Frau, hervor- gerufen durch wirtschaftliche und politische Verhält- nisse, sind allerdings auch außerhalb dieses Bundes neue Gebilde in den bürgerlichen Frauenvereinen in den letzten Jahren entstanden. Das hindert jedoch nicht daran, den Verein Frauenwohl auch heute noch als denjenigen Verein zu bezeichnen, der unausgesetzt die fortschrittlichen ldeen propagiert und sie in der Oeffentlichkeit zielbewußt vertritt, da im allgemeinen die neuen Gebilde auch hemmend für die bürgerliche Frauenbewegung wirken können, oder wenigstens den Kampf nicht mit der Grundsätzlichkeit aufnehmen, wie es der Verein Frauenwohl von jeher und bis jetzt getan hat. Der Verein Frauenwohl hat die bei seiner Erün- dung aufgestellten Grundsätze treu festgehalten, und zwar durch viele Wirren und schwere Kämpfe hin- durch, die ihm reichlich zuteil geworden sind. Der Verein Frauenwohl wurde im Jahre 1888 auf Anregung einiger einsichtsvoller und warmherziger Männer gegründet. In seinem ersten kleinen Beginnen trat er als „Frauengruppe der Deutschen Akademi- schen Vereinigung“ ins Loben. Unendlich groß und weit wurde ihm von diesen Männern der Deutschen Akademischen Vereinigung seine Aufgabe hingestellt, denn es sollte neues, frisches Leben in die damals vor- handene Stagnation der Frauenbewegung getragen werden. Die Frauenbewegung der 80ziger Jahre war auf einem toten Punkt angelangt. Die Ursachen dafür zu er- örtern, ist hier nicht unsere Aufgabe, das würde eine Klarstellung der sozialen und politischen Konstella- tionen und deren Wirkung oder Nichtwirkung auf die damalige Frauenbewegung verlangen und würde vor allem eine gerechte und objektive Darstellung der deutschen Frauenbewegung im allgemeinen in ihren Ursachen, Grundzügen, Zielen in Beziehung zu ihrer 6 Anteilnahme am allgemeinen Entwicklungsgang un- seres Volkes erfordern. Hier soll nur die Aufgabe des Vereins Frauen⸗ wohl im Hinblick auf seine geleistete Arbeit innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung dargelegt werden, und somit sein Einfluß auf dieselbe, und wie er die Leistungen erfüllt hat, die ihm bei der Gründung von seiten der Männer der Akademischen Vereinigung in grolzügiger Weise besonders ans Herz gelegt wurden: Dieses Wirken auf die allgemeinen Verhältnisse, das Heraustreten aus dem engeren Rah- men des Vereinslebens in die Oeffentlichkeit, damit die Frauenbewegung als Faktor des öffentlichen Lebens zur Geltung gebracht würde. Leicht war die ihm gestellte Aufgabe wahrlich nicht. Der Anfang dafür war wenig versprechend. Nur fünf Frauen fanden sich, die bereit waren, Frau Cauer in dem ihr von den Männern der Akademischen Vereinigung anver- trauten Amt als Vorsitzende des geplanten Frauen- vereins zu unterstützen. Fünf Frauen nur und dazu eine Vorsitzende, die ungern und mit schwerem Herzen an diese Aufgabe herantrat, da sie weder das Vereins- leben liebte, noch weniger die vorhandenen Wege der damaligen Frauenbewegung als richtig anerkennen konnte. Ein Kampf war daher unvermeidlich. So wurde der Verein Frauenwohl, nachdem er sich von der Akademischen Vereinigung frei gemacht hatte, 7 ein Kampfverein und ist es bis auf den heutigen Tag. Die Rede, die die Verfasserin dieser Gedenkschrift. und Vorsitzende des Vereins Frauenwohl bei der ersten Generalversammlung im Jahre 1889 vor Män- ner und Frauen hielt, entsprach im allgemeinen den Ideen, die damals die führenden Frauen des Vereins erfüllten. Es ist im höchsten Maße interessant, einen Rückblick auf eine 25jährige Tätigkeit zu tun, um daran ermessen zu können, wie man gedacht hat, was gewollt wurde, und inwiefern man selber seine Ideen korrigiert und erweitert und ob die eigene Entwick- lung sowie die des Vereins der allgemeinen Entwick- lung gefolgt ist. In dieser Rede heillt es: „Was wir wollen, von unserem kleinen Kreise aus, ist: Anregung geben, Aufklärung bringen. Lücken ausfüllen,“ und in dem Schluß) der Rede heilt es weiter: „Nie sollen die Frauen aufhören, Frauen zu sein, aber sie sollen aufhören die Frauen zu sein, die sie jetzt sind. Laßt uns versuchen, unsere Pflich- ten nach dieser Richtung zu erfüllen, dann fallen uns die Rechte von selber zu.“ Diese fast kindliche ldee, dalz uns die Rechte von selber zufallen würden, wurde im Laufe der Jahre gründlich zerstört, deswegen ist an die Spitze dieser 8 Gedenkschrift das Wort des berühmten Staatsrechts- lehrers Ihering gesetzt worden: „Im Kampfe sollst du dein Recht finden“. So hatten wir gründlich umzulernen und haben es mit allem Fleill getan, wie die Geschichte des Vereins beweist. Wir durchforschen die Jahresberichte, wir ersehen daraus, wie der Verein es immer und immer vermochte, auf die in der Frauenbewegung lie- genden ldeale hinzuweisen, aber er hielt sich auch für verpflichtet, praktische Ziele zu vertreten, wenngleich er selbst nicht die Absicht und die Aufgabe hatte, sich lediglich mit praktischen Gründungen zu befassen, die leicht zu Einseitigkeit führen und Hemmungen sowie Bindungen hervorrufen. Seine Ideen weiter zu verbreiten, hinauszugehen „in die Lande“, — dort für seine Ideen und Ideale zu wirken —, das erschien ihm im ersten Jahrzehnt als seine wichtigste und vornehmste Aufgabe. So er- ließ der Verein schon 1891 einen „Aufruf an die deut- schen Frauen“, um sie zur Unterstützung seiner Be- strebungen aufzufordern; er schickte Rednerinnen aus, er gründete Zweigvereine. Wir können drei Etappen der geschichtlichen Ent- wicklung des Vereins bis jetzt überschauen: I. Die erste Etappe ist die der Expansion. um die fortschrittlichen Ideen weiter zu verbreiten. II. Die zweite ist die der Zusammenfassung der 9 gewonnenen Zweigvereine zum Verbande Fortschritt- licher Frauenvereine 1899 und III. dadurch bedingt ein gewisses Zurücktreten des Vereins Frauenwohl als alleiniger Vertreter der fortschrittlichen ldeen. Er ist der grölte Verein in dem Verbande; seine Stellung innerhalb des Ver- bandes sowie überhaupt nach wie vor seine freie Stellung hat er bewahrt und dadurch ein selbständiges Vorgehen in allen Fragen der Frauenbewegung sich vorbehalten, um immer wieder neue Wege für neue Aufgaben auf- zufinden und um sie in bahnbrechender Weise durch- zusetzen. Die erste Etappe des Vereins galt haupt- sächlich der Verbreitung seiner fortschrittlichen ldeen. Sie brachte ihm manches Erfreuliche, manchen Erfolg, doch auch manche schwere Enttäuschung. Vereine wurden gegründet in Königsberg, Danzig. Bromberg, Breslau, Frankturt a. O., Bonn, Minden. Dortmund, Rudolstadt. Der Hauptverein wollte diese Schwestervereine gleichfalls zu Pionieren der fortschritt- lichen ldeen machen. Leider aber legten sich die Vereine lokal fest durch Gründungen verschiedenster Art: Mäd- chen- und Kinderhorte, Koch- und Haushaltungsschulen und dergleichen mehr, so dal dadurch Hemmungen und Bindungen entstanden, die sich in der Folge als ver- hängnisvoll für die Entwicklung der Frauenbewegung im fortschrittlichen Sinne erwiesen. Es soll hier nicht erörtert werden, welche andere Ursachen und Wir- kungen auch oft persönlicher Art von entgegengesetz- 10 ter, d. h. der gemäligten Richtung mitgespielt haben, um in den Provinzen Vorurteile gegen unsere Rich- tung hervorzurufen, denn diese Schrift soll keine Streit- schrift sein, sondern stellt nur Tatsachen zur Orientierung fest; dennoch ist es zu bedauern, dalz solche Hem- mungen eintraten und solche Vorurteile gegen uns und unsere ldeen erweckt wurden. Der Rückblick auf diese erste Episode unseres Vereins ist trotz alledem ein erfreulicher. Wir können auler diesen Gründungen der Vereine auch auf die rege Anteilnahme und Mitarbeit bei der Gründung des Kaufmännischen Vereins für weibliche Angestellte (jetzt Kaufmännischer Verband) hinweisen, da durch Personalunion der Zusammenhang beider Vereine be- kundet wurde; wir können freudig zurückblicken auf die Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfs- arbeit, die dem Verein Frauenwohl ihre Existenz ver- danken. Wir graben aus den Jahresberichten und Protokollen noch so manches andere heraus, das schon der Vergessenheit anheim gefallen ist, wie die An- regung für die Realklassen für Mädchen, die Anregung zur Gartenbauausbildung, die Gründung eines Vereins- organs, „Frauenwohl“, Zeitschrift für die Fraueninter- essen, die 1893 und 1894 erschien, dann aber einging, weil die Gründung der noch bestehenden Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ den Verein veranlalte, das Blatt als Organ für seine Publikationen anzunehmen. Die Zeitschrift stand und steht nicht im Dienst des 11 Vereins, sie ist unabhängig und vertritt wie der Ver- ein Frauenwohl die fortschrittliche Richtung inner- halb der bürgerlichen Frauenbewegung. In das erste Jahrzehnt des Vereins Frauenwohl fallen wichtige Ereignisse, die sowohl für die Ent- wicklung unserer Richtung als auch für die gesamte bürgerliche Frauenbewegung von Einkluls gewesen sind. Der „Bund Deutscher Frauenvereine“ wurde 1894 gegründet, dem der Verein Frauenwohl sofort bei- trat. Er reichte dem Bunde einen Organisationsplan für die Gestaltung desselben ein, da er auf dem Standpunkt steht. dall Grundsätze und Ziele einer Organisation fest- gelegt werden mülten, doch der Plan fand keine Billi- gung, er wurde als Zukunftsmusik bezeichnet. Auch hin- sichtlich der Haltung des Bundes bei seiner Gründung gegenüber den Arbeiterinnen war der Verein unbe- friedigt. Die Verfasserin dieser Denkschrift legte mit einigen wenigen Frauen Protest dagegen ein. Es zeigte sich also schon damals, dal) zwei Strömungen in der bürgerlichen Frauenbewegung vorhanden waren. Der Verein Frauenwohl bewies damals wie auch in der Folgezeit, dalz er der Bundessache durchaus sympathisch gegenüberstand, dalz er aber nicht gewillt sei, seine fortschrittlichen Grundsätze jemals des- wegen zu verleugnen oder abzuschwächen. Diese Hal- tung des Vereins ist ihm als Gegnerschaft zum Bunde ausgelegt worden. Er hat diese falsche Ansicht ertragen und ging nach wie vor den für ihn vorge- 12 zeichneten Weg, seine fortschrittlichen Ideen zu propagieren. Die Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine war für die gemäligte bürgerliche Frauenbewegung sicherlich von groler Bedeutung, aber der Bund konnte oder wollte nicht bahnbrechend für die Entwicklung der gesamten Frauenbewegung im fortschrittlichen Sinne wirken. Kleinere Gruppen übernahmen dafür die Führung. So war es entschieden eine bahnbrechende Tat, als der Verein Frauenwohl im Dezember 1894 die erste Volksversammlung von bürgerlichen Frauen einberief. Es ist deswegen als bahnbrechend zu bezeichnen, weil bis dahin bürgerliche Frauen nie eine Volksversammlung einberufen hatten, noch dazu mit der Aufstellung eines politischen Themas: Die Bürgerpflicht der Frau.“ Vielen Mitgliedern des Vereins erschien diese Tat als bedenklich und ge- fährlich, so dall eine Anzahl deswegen ihre Mitglied- schaft aufgaben. Der Grundgedanke dieses Vortrags war: „ohne den Besitz des politischen Stimmrechts kann die Frau ihre Bürgerpflicht nicht erfüllen, denn die Tätigkeit der Frau in Familie und Armenpflege ist nur ein Teil der sozialen Pflicht der Frau.“ Diese Idee rief im Verein eine scharfe Polemik hervor, die auch weitere Folgen nach sich zog, so dal den leitenden Persönlichkeiten das Leben nicht leicht gemacht wurde. Und doch war dieser erste Schritt in die Oeffentlich- keit auf Grund der Forderung politischer Rechte für 13 die Frauen eine jener Taten, die für die gesamte Be- wegung von Wichtigkeit und groler Bedeutung ge- worden sind, wenn dasselbe auch nie von den andern Richtungen anerkannt oder jemals nur erwähnt wor- den ist, so ist es doch eine nicht fortzuleugnende Tat- sache, daß dieser Schritt bahnbrechend für all die Zögernden geworden ist, die bis dahin eine Gefähr- dung ihrer Arbeit durch das Hinaustreten in die breite Oeffentlichkeit sahen. Aber durch die Behandlung eines politischen The- mas, das zum ersten Male in der Oeffentlichkeit das Stimmrecht forderte, bewies der Verein, dal er mit den Intentionen, die die Zeitschrift „Die Frauenbe- wegung“ von der ersten Nummer an vertrat: Wahl- und Stimmrecht der Frauen, einverstanden war, so daß der Verein Frauenwohl für sich mit Recht den Anspruch erheben kann, auch hier als Pionier für diese Idee gewirkt zu haben. In diesen beiden Ereignissen. Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine und Veranstaltung die- ser ersten öffentlichen, politischen Volksversammlung von bürgerlichen Frauen, liegen schon die wesent- lichen Unterschiede in dem Vorgehen der gemäligten und der fortschrittlichen Richtung. Die gemälligte Richtung sammelt die Truppen, doch sind diese von einer gewissen Aengstlichkeit beherrscht, die fortschritt- liche fragt nach nichts, sondern ging vorwärts, gleich- viel, ob sie gewann oder verlor, — sie wagt es eben. 14 Und wenn wir hierbei noch ein drittes Ereignis erwähnen, das auch für die fortschrittliche Richtung von besonderer Wichtigkeit wurde, nämlich die Ein- berufung des ersten internationalen Frauenkongresses 1896, so geschieht es, weil der Verein Frauenwohl wesentlich daran beteiligt war und sich ganz in den Dienst der Sache stellte. Es war wohl der gelungenste und interessanteste Kongreß, da alle Richtungen bis zur Sozialdemokratie daran teilnahmen und außer- ordentlich rege Debatten auf allen Gebieten, die zur Verhandlung standen, diesem Kongreß sein eigen- artiges Gepräge gaben. Mehr und mehr stellte es sich heraus, daß die Probleme und Fragen, die in der Frauenbewegung liegen, nicht nur die Frauenvereine angingen, sondern daß sie als ein Teil der ganzen sozialen, wirtschaft- lichen und politischen Lage zu betrachten seien. Die bürgerliche Frauenbewegung hatte aber bis dahin fast nur den Weg der Erziehungs- und Bildungsfrage eingeschlagen und ließ sich erst langsam dazu über⸗ zeugen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse ein Hauptfaktor für die Ursachen der Probleme der Frauenbewegung wären. Es war daher zeitgemäß, daß die fortschrittliche Richtung, die nicht allein Front gegen das langsame Tempo der Bundesvereine machte, sondern auch der sich immer mehr zeigenden Entfrem- dung von der Arbeiterinnensache gegenüber Einhalt tun wollte, es als ihre besondere Aufgabe betrachtete, 15 zu allen Gebieten des öffentlichen Lebens, besonders des Frauenlebens Stellung zu nehmen, und sich nach und nach in einen gewissen Gegensatz zum Bunde stellen mußte. Der Verein Frauenwohl sammelte daher diejenigen Vereine um sich im Jahre 1898, die damals geneigt waren, die fortschrittlichen Ideen besonders zu ver- treten. Der Verein trat dadurch in seine zweite Etappe ein; er gab seine führende Stellung gewisser- maßen auf, wenngleich seine Vorsitzende auch die Vor- sitzende des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine wurde. Der Verband sollte mit seinen 20 Vereinen die Pionierarbeit in verstärktem Malle für die fort- schrittlichen Ideen leisten. Er sollte ein Kampfverband sein, der von außen her, — denn er trat dem Bunde nicht bei — eine gewisse Stoßkraft zeigen sollte, um durch dieselbe auf die Entwicklung der Frauenbewegung im allgemeinen einen Einfluß auszuüben. Die Tagungen des Verbandes lieferten dafür den besten Beweis, denn sie trugen den Stempel einer lebhaften Inangriffnahme neuer Fragen: Die Arbeiterinnen- und Sittlichkeits- frage, die kommunalen Aufgaben der Frau, die Ge- fängnissache, Krankenversicherung, Dienstbotenfrage, Protestversammlung gegen den Zolltarif, Protestver- sammlung gegen das Verhalten der Polizei, Einheits- schule, die rechtliche Stellung der unehelichen Mutter und ihres Kindes, politische Bildung der Frau, Mitwir- kung von Frauen bei Rechtfindung und Rechtsprechung, 16 Hauswirtschaft und Frauenerwerbsarbeit in der neuen Volkswirtschaft, Ehe, Mutterschaft und Beruf, die Konkurrenz der Frauen- und der Männerarbeit. Frauen- erwerbsarbeit und Rassenentwicklung, Frauenerwerbs- arbeit und Sozialpolitik, Umwandlung und Neu⸗ schaffung von Lebenswerten durch die Frauenbewe- gung, all dies sind Fragen, die teilweise zum ersten Male durch die Verbandstage in der Oeffentlichkeit aufgerollt wurden. „. Aus allem diesem geht hervor, daß der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine die Intentionen seines Hauptvereins, des Vereins Frauenwohl Berlin vollauf verstanden hatte und danach handelte, nämlich kämpfend für die Rechte der Frau in der breitesten Oeffentlichkeit und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln einzutreten, auch selbst da und dort, wo ihm das Gesetz den Kampf bitter erschwerte. Das Vereins- und Versammlungsrecht, das erst 1908 auch den Frauen die Freiheit für das öffentliche und politische Leben ver- lieh, wurde jedenfalls in Berlin dem Verein Frauen- wohl sowie dem Verbande gegenüber ziemlich scharf ausgeübt, und mit einem gewissen Recht. Es lag uns durchaus fern, uns der Polizei gegenüber sowie der Fesselung durch das Vereins- und Versammlungsrecht gutwillig zu fügen. In den Satzungen des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine wurde scharf hervorgehoben, daß wir mit den Arbeiterinnen für die Arbeiterinnen arbeiten 2 17 wollten. Wir bekundeten damit unser Prinzip, das von Anfang an im Verein uns geleitet hat, Klassen- unterschiede nicht gelten zu lassen. Dalz uns bis auf wenige Anläufe die Durchführung dieses Prinzips nicht gelungen ist, lag und liegt wohl in unsern in Deutsch- land besonders scharf zugespitzten sozialen wie politi- schen Verhältnissen. Soviel aber muld hier konstatiert werden, dals sowohl der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine, wie der Verein Frauenwohl niemals eine Stellungnahme gegen die Arbeiterinnen eingenommen haben, sondern im Gegenteil bis auf den heutigen Tag im allgemeinen stets versuchten, die vorhandenen Gegensätze zu überbrücken. Im Jahre 1907 beschlol der Verband Fortschritt- licher Frauenvereine, dem Bunde Deutscher Frauen- vereine beizutreten, weil die Mehrheit der Ansicht war, dal die Propagierung der fortschrittlichen ldeen nun- mehr innerhalb der Bundesorganisation für geboten erschien. Diesen Schritt machte die Vorsitzende des Verbandes, Frau Cauer, nicht mit, sie erklärte, dall sie frei sein müsse und unabhängig sein wolle für die Wege, die sie bis jetzt gegangen sei und ferner gehen wolle. Naturgemäl wurde durch diesen Schritt des Ver- bandes Fortschrittlicher Frauenvereine, sich dem Bunde anzuschliellen, seine Stolkraft von aulen, wie es bis dahin seine Aufgabe war, gehemmt, wenn nicht gar gehindert und unterbunden. Wie der Verband inner- halb des Bundes, wo er einer bedeutenden Majorität 18 der gemäßigten, ja konservativen Richtung gegenüber- stand, gewirkt hat, entzieht sich vorläufig der Beur- teilung. Ob er nur „Sauerteig“ war für eine schwer zu bewegende Masse, ob er nicht doch auch selbst gemäligte ldeen angenommen hat, ob die Organisation des Bundes nach Provinzialverbänden die örtlich kon- zentrierter, aber sachlich einseitiger und engherziger arbeiten, die Ausbreitung fortschrittlicher Ideen ge- hemmt haben, alles das wird über kurz oder lang sich zeigen. Der Verein Frauenwohl Groß-Berlin blieb nach wie vor seiner fortschrittlichen Richtung treu und seiner Aufgabe die fortschrittlichen Ideen der Neuzeit zu pro⸗ pagieren. Im gesteigerten Male erfordert die Haupt- stadt mit ihrer gewaltigen, rapiden Eintwicklung eine scharfe Beobachtung aller sozialen, sozialpolitischen und politischen Verhältnisse; so konzentrierte der Verein seine Kräfte nunmehr auf die hauptstädtischen Verhältnisse, ohne dabei die Gesamtlage aus dem Auge zu verlieren. Wo immer neue Ideen zu propa⸗ gieren waren, trat der Verein in den Kampf ein. Wir erinnern nur an die Einberufung der riesigen Nachtver- sammlung im Jahre 191I, um die Schauspielerinnen- organisation anzubahnen, die aus der Initiative und unter der Leitung des Vereins Frauenwohl sich voll- zog und die ein grolartiger Erfolg war, ferner daran, dals wir an die Vereine Berlins herangingen, um, wenn auch nur in einem lockeren Zusammenhange, für die 19 2* kommunalen Verhältnisse Grol)-Berlins wirken zu können. Die „Verbündeten Frauenvereine Groß- Berlins“ stehen unter der geschäftlichen Leitung des Vereins Frauenwohl. Ein Ausbau dieses Zusammen- schlusses ist dringend erforderlich, denn die Residenz- stadt steht in ihren kommunalen und sozialpolitischen Aufgaben durchaus nicht auf der Höhe und die fort- schrittlichen Ideen auch in den Frauenvereinen werden nicht immer kühn und mutig vertreten. Hier liegt für den Verein noch eine grole Aufgabe. Er bemüht sich daher, Abteilungen in den Vororten zu gründen: Charlottenburg, Pankow, Wannseebahnvororte und eine Jugendgruppe gehören dem Hauptvereine an, weitere Vororts-Organisationen stehen in Aussicht. Die „Ver- bündeten Frauenvereine Grol-Berlins“ haben durchaus sachgemäll die rechtliche Lage der Frauen in der Armen- und Waisenpflege erörtert, sie haben auf eine zeitgemälle Gestaltung des Fortbildungsschulwesens hinzuwirken versucht; sie nahmen mehrfach energisch Stellung zur Wohnungsfrage, um nur das Wesentlichste hier anzudeuten. Der Verein Frauenwohl Groß-Berlin hat daher in seinem jetzigen Stadium immer noch die- selbe grolle Aufgabe, die er sich im Jahre 1888 bei seiner Gründung gestellt hat, er hat sie erweitert, weil die Entwickelung die Arbeitsgebiete vermehrte, er hat sie vertieft, weil die Erfahrung ihm die vielen Lücken aufwies, die in seinem Wissen und Können vorhanden waren, er hat aber niemals das Prinzip aufgegeben, den 20 Fortschritt zu fördern, den Rückschritt zu bekämpfen und alles fern zu halten, was eine Abschwächung her- beiführen könnte. Der Verein Frauenwohl hat in den 25 verflossenen Jahren schwere, kampfesreiche Zeiten durchmachen müssen, er hat sich trotz allem durch- gesetzt. Es ist ihm von manchen, auch maligebenden Kreisen, wie z. B. vom Kaiserlich Statistischen Amt die Anerkennung zuteil geworden, daß der Verein auf sozialpolitischem Gebiet vollauf seine Schul- digkeit getan hat. Wenn wir auch des Lobes oder der Anerkennung nicht bedürfen, da das Bewulitsein für Recht und Fortschritt zu kämpfen, die grölte Be- friedigung gibt, so ist es dennoch ein Zeichen, der Ent- wicklung derjenigen Kreise, die uns sonst nicht wohl- wollen, wenn sie gezwungen werden, hin und wieder aus ihrer Reserve heraustreten zu müssen, um den Tat- sachen Rechnung zu tragen. Wir sind uns voll bewußt, daß inmitten der riesen- haften Entwicklung des modernen Arbeitslebens, der mächtigen Wandlung auf allen Kulturgebieten, die Tä- tigkeit eines Vereins nur wie eine kleine Pflanzstätte erscheinen kann, in welchem geschafft, gepflanzt und gesät wird. Diese kleinen Stätten müssen sein, damit von da aus der gute und kräftige Samen durch alle Winde getragen wird, zu fruchtbarem Boden hinkliegt, um Früchte zu zeitigen. Die mächtigen grollen Organisationen, die jetzt auf allen Gebieten notwendig geworden sind für die 21 22 soziale und politische Entwicklung, können nur dann ihre Aufgaben erfüllen, wenn an vielen Einzel-Stätten in weitsichtigem Sinne gearbeitet wird. Der Verein Frauenwohl hat in den 25 Jahren seines Bestehens kraftvoll und treu an seinem Teil dazu bei- getragen, neue Wege aufzufinden und hat die Ziele, die er sich gestellt hat, dadurch zu fördern versucht. Der Rückblick kann ihn nur ermutigen, das Ziel der Befreiung der Frau ferner fest zu verfolgen. Die Geschichte wird einst zu beurteilen haben, ob seine Wege und Ziele die richtigen für die Gegenwart waren. 23 Arbeitsgebiete. Motto: „Arbeiten und froh sein!“ Caesar Fleischlen. Es ist oftmals und noch bis auf den heutigen Tag dem Verein Frauenwohl, besonders von der auf altem Grunde stehenden Frauenbewegung der Vorwurf ge- macht worden, dal er keine „Leistungen“ aufzuweisen habe, das bedeutet in dem Sinne dieser Richtung greif- bare, sichtliche und praktische Einrichtungen, die sie allein für „Leistungen“ anzusehen gewohnt waren. Hier haben sich in der Tat schon beim Beginn unserer Arbeit die Wege von der alten Richtung ge- trennt. Wir hatten gar nicht die Aufgabe und nicht die Absicht, die alte Methode des „Gründens“ mitzu⸗ machen, wir wollten keine lokale Vereinsmeierei trei- ben, wir wollten nicht nur Bienenfleil treiben und nur für den eigenen Bienenkorb sorgen, Wir wollten in die Weite schweifen mit unsern Ideen. Die Männer, die uns gerufen hatten, wollten, dal die Frauenbewegung aus der Stagnation herausgehoben würde, da ihre rein praktische Betätigung auf engen Gebieten Erstarrung und Verkalkung hervor- rufen müsse und schon hervorgerufen hatte, und so fiel uns das Los zu, die Frauen zur Propaganda und Agitationsarbeit zu erziehen — ein schwieriges, mühe- volles Unterfangen von einem so kleinen Kreise aus, so unbekannt wie wir waren. Und dennoch, wir wagten es! Spott, Hohn, Angriffe sind uns übergenug zuteil geworden, leider auch aus den Kreisen der Vertreterinnen der damaligen Frauen- bewegung, aber wir hatten im Laufe der Zeit die große Genugtuung, daß man später oft die Wege ging, für die wir Bresche gemacht hatten, und daß man gern die Kastanien nahm, die wir aus dem Feuer geholt hatten. Propagandaarbeit! Wer weil, was alles damit zu- sammenhängt, der wird niemals sagen können, daß darin keine „Leistung“ liegt. Es ist sogar eine der mühe- vollsten, anstrengendsten und aufreibendsten Arbeiten. Sie erfordert nicht allein körperliche, sondern vor allem geistige Kräfte, denn sie verlangt nicht nur alle dabei notwendige Kleinkrämerei, wie Adressenschreiben, Listenführen, die technischen Kenntnisse für Ein- richtung von Sitzungen, Versammlungen u. a. m. sondern sie fordert viel mehr, d. h. geistige Anspannung zur steten Bereitschaft eine Rede zu halten. nicht eine lang einstudierte, sondern eine, die dem Moment angepalt sein muß). Sie verlangt die Ueber- sicht über die aktuellen Ereignisse, sie fordert das Ein- greifen in dieselben, die Stellungnahme dazu, sie er- 24 heischt ein beständiges Studium aller einschlägigen Literatur, sie beansprucht Sinn und Talent für Organi- sation, und „last not least“, sie erfordert gebieterisch das Aufstellen von Grundsätzen und die Sorge, daß die Prinzipien klar und fest in jeder Handlungsweise zum Ausdruck kommen. Das ist Propagandaarbeit und diese haben wir in erster Linie vorgenommen, wenngleich zunächst bei den ersten Schritten, da wir keine Vor- bilder dafür hatten, manches noch unsicher und weniger zielbewußt herauskam, wie es nunmehr nach 25jähriger rastloser Arbeit zum Ausdruck kommen kann. Auch hier stützen wir uns bei unserm Rückblick auf die Protokolle und die Jahresberichte von 1888 bis 1912. Wir stützen uns ferner auf die Worte, die im ersten Jahresbericht als unsere Grundsätze für unsere Arbeiten ausgesprochen worden sind: Anre- gung geben, Aufklärung bringen, Lücken ausfüllen. So gliedern wir auch unsere Arbeits- gebiete in diese uns von Anfang an leitenden Grund- sätze ein. Die ersten Jahre hindurch beschäftigte sich der Verein ganz wie die alte Richtung mit Erziehungs- und Schul- fragen, sowie mit Berufsfragen. Wir finden da eine Fülle von Anregung, so z. B. über Einrichtung von Real- kursen, Apothekerberuf, Aerztinnenfrage, die Studium⸗ sache, über Knabenerziehung, Stenographie und Schreibmaschinenerlernung, über Haushaltungsschulen, daneben tritt aber schon manches, was aus diesem engen 25 Rahmen herausfällt, z. B. Propagierung der Friedens- bewegung (1891) Vorträge über Hartmanns Philosophie. über die moderne Frauenfrage in einem modernen System der Ethik (1892). Energisch wird vorgegangen in der Aerztinnenfrage. Dem preulischen Abgeordnetenhause wird eine Deputation geschickt zur Ueberreichung einer Petition mit 12000 Unterschriften für die Zulassung des ärztlichen Studiums für Frauen, es wird Propa- ganda für den Gärtnerinnenberuf gemacht, es wird das regste Interesse für die geplante und dann aus- geführte Gründung der Organisation der Hand- lungsgehilfinnen bewiesen, sowie eifrige Mitarbeit für diese Organisation geleistet. Eine Schule für Dekoration (Schaufenster usw.) wird vorgeschlagen, Reformvorschläge für das höhere Mädchenschulwesen werden gemacht, die Tätigkeit der Telegraphistinnen und Telephonistinnen wird eingehend besprochen. Schon im Jahre 1893 treten Fragen wie die Frauenfrage und der Militarismus auf, sowie die Stellungnahme zum Frauenstimmrecht. Vereine Frauenwohl in anderen Städten werden gegründet, wie schon im ersten Ab- schnitt erwähnt worden ist, die aber leider bald von der grollen allgemeinen Propagandaarbeit Abstand nahmen und sich in lokale Kleinarbeit verloren. Die Sittlich- keitsfrage kommt durch einige Vorträge zur Erörte- rung, zunächst in etwas schüchterner Weise, bis durch ein Ereignis in Berlin, wo ein unschuldiges Mädchen als Prostituierte behandelt, dabei zwangsweise inhaftiert 26 und zwangsweise ärztlich untersucht wurde, es die Frauen mit zwingender Gewalt ergriff, und sie mutig in die breiteste Oeffentlichkeit traten, um sich dagegen aufzulehnen, als Freiwild behandelt zu werden. Der Erfolg dieser grandiosen Kundgebung war durch- schlagend. Sie wurde mit andern Vereinen zusammen veranstaltet. Von seiten des Vorstandes des Ver- eins Frauenwohl wurden beim Polizeipräsidium zuvor eingehende Erkundigungen eingeholt, die höchst wert- volle, aber traurige Einblicke in die Handhabe des Sittlichkeits-Systems boten. Wenn die erste von bürgerlicher Seite einberufene Volksversammlung des Vereinkrauenwohl im Jahre 1894 zur Frauenstimmrechtsfrage eine Bresche be- deutet, da die Frauen damit bekundeten, daß auch sie zum öffentlichen und politischen Leben gehören wollten, so war es eine Bresche, welche dann bald auch die andern Richtungen sich zunutze machten, die uns anfangs stark deswegen angegriffen hatten. Persön- liche Angriffe in der Presse traten zutage, besonders in den konservativen und kirchlichen Preisen. Propagandaarbeit hiell es nun weiter bei uns, Pro- paganda und Aufklärung — daran fehlt es. So war es nur eine Folge dieser Ueberzeugung von der Notwendigkeit dieser Aufgaben, daß die Vor- sitzende des Vereins Frauenwohl die von ihr gegrün- deten und dem Verein angeschlossenen „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ anderen Hän- 27 den übergeben wollte und es auch durchsetzte, trotz- dem sie deswegen in schwere Konflikte mit dem Verein selber kam. Die Entwicklung des Vereins sowie der Gruppen haben ihr recht gegeben. Der Verein durfte sich damals nicht mit Einzelarbeit und Einzelfragen be- schäftigen, und die Gruppen konnten sich nur zu dem entwickeln, was sie geworden sind, wenn sie frei da- standen und nicht in Verbindung mit einem Verein, der sich weitere Ziele stecken mußte. Wenn man auf alle Arbeitsgebiete eingehen wollte, die dem Verein Frauenwohl durch seine Pro- paganda- und Aufklärungsarbeit zufielen, so würde der Rahmen dieser kleinen Denkschrift weit überschritten werden müssen. Die Hauptetappen können nur zur Erwähnung kommen, diejenigen, die für den Verein selbst Marksteine bilden, und Einflull auf die Ent- wicklung der allgemeinen Frauenbewegung direkt und indirekt gehabt haben. In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts konzentriert sich die Arbeit des Vereins hauptsäch- lich auf die Propaganda für die Erlangung gröllerer Rechte im bürgerlichen Gesetz. Er ergriff kraftvoll die Initiative dafür, eine Anzahl Frauen unterstützten ihn eifrig, ebenfalls arbeitete der Bund Deutscher Frauenver- eine für die für die Frauen so hochwichtige Sache. Peti- tionen mit vielen Tausenden von Unterschriften an den Reichstag gingen ab, eine seltene Einmütigkeit herrschte in der Frauenbewegung zur Erreichung dieses 28 Zieles. Als der Reichstag mitten in der Beratung stand, wurde noch eine grollartige Volksversammlung vom Verein Frauenwohl einberufen, zu der die Reichstagsab⸗ geordneten eingeladen wurden, und die unter dem Titel „Frauenlandsturm“, der im Reichstag gefallen war, be- kannt ist. Und zu einem letzten Protest gegen die Rechtlosigkeit der Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch entschloß sich der Verein kurz vor der Abstimmung im Juni 1896. wohl eine der bedeutendsten und gran⸗ diosesten Versammlungen des Vereins, denn sie wurde von allen Seiten mit groler Sympathie unterstützt, und wurde als bahnbrechend für die Anteilnahme der Frauen am öffentlichen Leben aufgefalt. Sind auch die Wün- sche der Frauen wenig berücksichtigt worden, so haben doch die Frauen durch diese Kundgebungen ihren Willen in der Oeffentlichkeit ausgesprochen. Man konnte und durfte nun nicht mehr die Frauen leichter Hand beiseite schieben. Diese Propagandaarbeit aber bewies, dal die Frauen bedeutendere Schritte in der Erkenntnis ihrer Arbeit für die Verbreitung ihrer Ideen vorwärts getan hatten, und daß diese Leistung allen Frauen zugute kam, ob sie Freunde oder Gegner der Frauenbewegung waren. Wenn der Verein Frauenwohl nur dieses eine Ver- dienst sich erworben hätte, dieses konsequente Vor- gehen auf ein Ziel hin, so würde er zu der Entwick- lung der bürgerlichen Frauenbewegung wesentlich bei- getragen haben. Doch rastlos ging es weiter! Wieder 29 traten an ihn bedeutende Fragen heran: Die Sitt- lichkeitsfrage, die Arbeiterinnenfrage, eng verbunden damit die Lage der Heimarbeiterinnen. Noch war die schroffe Trennung zwischen bürgerlicher und sozial- demokratischer Frauenbewegung nicht so scharf ausge- sprochen, wie sie jetzt vorhanden ist, noch bestand ein leichlich freundschaftlicher Verkehr, den der Verein be- sondersdurchseine Vorsitzende aufrecht zu halten suchte, jedoch durch politische Verhältnisse, sowie durch die Haltung bürgerlicher Frauenvereine wurde die Kluft leider immer gröller und tiefer. Eine Resolution wurde in einer vom Verein Frauenwohl einberufenen Dele- giertenversammlung 1899 angenommen, die es den Vereinen zur Pflicht macht, die Arbeiterinnenfrage in das Programm aufzunehmen, der Kampf für die Erlan- gung kommunaler Aemter wurde ebenfalls befürwortet, die Gefängnisfrage kam zur Erörterung, die Behandlung der Sittlichkeitsfrage gab die Anregung zur Gründung der abolisionistischen Föderation. In demselben Jahre fand die Gründung der Frauenfrage-Bibliothek statt, an welcher der Verein jahrelang eifrig gearbeitet hat, um sie für das Studium der Frauenfrage auszugestalten. Leider gelang diese Absicht nur zum kleinsten Teil, da zur Fortführung einer Bibliothek stets grolle Geld- summen zur Hand sein müssen; sie für diesen Zweck auf- zubringen, gelang nicht. Die Frauenfrage-Bibliothek des Vereins Frauenwohl ist dann später als Geschenk 30 der Stadt Berlin übergeben worden mit der Bedingung, daß unsere Mitglieder das Recht zur Entnahme von Büchern haben. Das neue Jahrhundert setzte mit kraftvoller Ini⸗ tiative gegen das bestehende Vereins- und Versamm- lungsrecht ein, das bekanntlich die Frauen mit Lehr- lingen und Schülern auf eine Stufe stellte. Zur Unter- stützung dieser Initiative wurde vom Verein Frauen- wohl pro forma ein Verein gegründet, der politisch nach aullen hin auftreten sollte, um dadurch die Polizei zu zwingen, diesen Verein aufzulösen. Die Absicht, da- durch eine Auflösung dieses nur für diesen Zweck ge- gründeten Vereins „Frauenrechte“ herbeizuführen, trotzdem er nach jeder Richtung hin ostentativ gegen das Vereins- und Versammlungsgesetz verstiel, gelang nicht. Seine Versammlungen wurden wie dieunserenaller- dings streng überwacht, aber die Polizei drückte beide Augen zu, scheinbar, um keinen neuen Agitationsstoff hervorzurufen. So liellen wir selbstverständlich den Verein „Frauenrechte“ baldigst wieder eingehen, da wir nicht das erreichten, was wir durch seine Grün- dung bezweckten. Manchen Scherz aber haben wir durch die Existenz oder vielmehr Nichtexistenz dieses Vereins erlebt. Ernster wurde die Situation, als die Vorsitzende des Vereins „Frauenwohl“ zur Rechenschaft gezogen wurde, daß sie gegen das Vereins- und Versammlungs- gesetz gehandelt hätte, weil sie eine Vereinsversammlung. 31 wie behauptet wurde, nicht gesetzmäßig zur Anzeige gebracht habe. Den dafür angestrengten Prozeß be- trieb die Vorsitzende prinzipiell durch alle Instanzen hindurch bis zum Kammergericht. Eine Verurteilung war vorauszusehen, da die Anklage dahin lautete, der Verein hätte sich mit öffentlichen Angelegenheiten be- schäftigt, d. h. mit der Arbeiterinnenfrage. Inter- essant waren sämtliche Gerichtsverhandlungen be- sonders dadurch, dalz die Herren Richter durch den bestehenden Wirrwarr des Vereins- und Versammlungs- gesetzes und die dadurch bedingte Handhabe nicht hindurchzufinden vermochten. Herbeiführung von Klarstellung des vorhandenen Unrechts, selbst wenn damit Unannehmlichkeiten, Lasten und Kosten verbun- den sind, ist aber die wirksamste Propaganda für eine Sache, die dem Untergang geweiht werden soll. Der Verein Frauenwohl muß als ein Verein auf- gefaßt werden, der niemals zögerte, Vorstöße zu machen, wenn es sich um Gewinnung von Rechten handelte, damit Pflichten erfüllt werden können. Daß auch die Vereine gemälligter und alter Richtung der Ueberzeugung waren, daß dieses Vereins- und Ver- sammlungsgesetz fallen müsse, damit den neuen Ver- hältnissen der Frauen Rechnung getragen werden könne, und dalz sie somit ebenfalls dagegen pro- testierten, ist selbstverständlich. Hier zeigte sich eine gewisse Einmütigkeit der Ansichten und des Vor- gehens aller Richtungen. 32 Das Vereins- und Versammlungsrecht ist im Jahre 1908 einheitlich im Reiche durch Gesetz geregelt wor- den. Einige, leider wenige Frauen, haben gegen eng- herzige Bestimmungen, wie Sprachenparagraph u. a. m. protestiert. Im allgemeinen war die bürgerliche Frauenwelt mit dem Errungenen zufrieden, da die Schranken und Hemmungen für das öffentliche und politische Leben für die Frauenwelt gefallen waren. Mit Genugtuung kann der Verein Frauenwohl auf die Initiative zurückblicken, die er mit einigen seiner ihm verbündeten Vereine im Bunde Deutscher Frauen- vereine im Jahre 1902 auf der Generalversammlung zu Wiesbaden ergriffen hat, um die Stellung des Bundes zum Frauenstimmrecht klarzustellen. Die Interpellation dafür lautete: „Welche Verpflichtungen erwachsen den Bundesvereinen nach § 2 seiner Satzungen gegen- über der Frage des Frauenstimmrechts?“ Der Bun- desvorstand erklärte, dal dem Bunde nach § 2 seiner Satzungen, „der Bund sieht ab von jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der zu ihm gehörenden Vereine“, keine Verpflichtung in dieser Hinsicht er- wachse, dall er vielmehr, laut § 2, auf diejenigen Ar- beitsgebiete und Bestrebungen beschränkt sei, denen die Bundesvereine zustimmen. Dem Bundesvorstande wurde aber in der Debatte bedeutet, daß die Inter- pellation nicht nach Verpflichtungen des Bun- des, sondern nach Verpflichtungen der Bundes- vereine frage, und so wurde eine der wichtigsten 3 33 Resolutionen von fortschrittlicher Seite durchgesetzt. deren Bedeutung immer mehr und mehr zutage tritt. Die Resolution lautet: „Es ist dringend zu wün⸗ schen, daß die Bundesvereine das Verständnis für den Gedanken des Frauenstimmrechts nach Kräften för- dern, weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind.“ In den Jahren von 1902 an entwickelte der Verein eine überaus rege Tätigkeit auf den verschiedensten Gebieten. Wir können hier nur die Hauptgebiete er- wähnen: Behandlung des Arbeiterinnenschutzes und der Fabrikarbeit der Arbeiterinnen, damit in Verbin- dung das Eintreten für Vermehrung der Fabrikinspek- tionen, die Wohnungsfrage, die Mädchenschulreform, die Sittlichkeitsfrage, das Frauenstimmrecht, Mutter- schaftsversicherung, Heimarbeiterinnenlage, die Ge⸗ fängnissache, die Kommunalpolitik, die Fortbil- dungsschule für Mädchen. Kolonialfragen und eine Fülle von aktuellen gesetzlichen Fragen, die im Reichstage und im Abgeordnetenhause zur Er- örterung standen und zu denen Resolutionen ge- fallt und Petitionen eingereicht wurden. Blättern wir die Protokolle und die Jahresberichte durch, So ersieht man daraus reiches, frisches Leben, ersieht ferner, wie der Verein sich immer mehr den sozial- politischen und politischen Fragen und den dafür not- wendigen Arbeiten zuwendet, so dall er sich stets den 34 Zeitströmungen und den dadurch veränderten Verhält- nissen zu fügen bemüht. Im Jahre 1908 tritt der Verein, nachdem auf seine Initiative hin die „Ver- bündeten Frauenvereine Groß-Berlins“ sich für die kommunalen Aufgaben für Grol-Berlin vereinigt haben, fast ausschliellich nur für die kom- munalen Arbeiten auf sozialpolitischem Gebiet ein, in- des hat der Verein dabei niemals seine weiteren und grölleren Aufgaben aus den Augen verloren, — das heilt, die Propaganda für die Rechte der Frauen im fortschrittlichen Sinne zu betreiben. Die Abteilungen der Vereine Charlottenburg und Pankow arbeiteten in ihren Gemeinden in gleicher Weise, sie beschäftigen sich vielfach mit den Aufgaben in der Armen- und Waisenpflege, mit der Jugendfür- sorge usw. Ueberall, sei es im Hauptverein oder in den Abteilungen, sowie in den Beratungen mit den Ver- bündeten Frauenvereinen Groß-Berlins, tauchen fol- gende Gebiete auf wie: Wohnungsnot, Fortbildungs- schulwesen, Armen- und Waisenpflege, ferner nahm der Verein an den Fragen des politischen Lebens wie Wahlrechtsfragen, Reichsversicherungsordnung, Kolo⸗ nialpolitik, Friedensbewegung u. a. m. regen Anteil. Mit einem gewissen Stolz kann er aber darauf hin⸗ sehen, dal auf seine Initiative hin die grole Nacht- versammlung in Berlin zur Lage der Schauspielerinnen (1911) einberufen wurde, die nicht nur großartig ver- lief, sondern die den Anstoß gab, die Verhältnisse der 35 Schauspielerinnen an die Oeffentlichkeit zu ziehen, und den Erfolg hatte, daß mehrere Vereine in anderen Städten sich ebenfalls mit der Frage beschäftigten, und dal sich ein Frauenkomitee der Schauspiele- rinnen gründete, das jetzt zur Genossenschaft Deut- scher Bühnenangehöriger gehört. Hervorheben möchten wir noch die Initiative der Jugendgruppe, einen Zyklus „Lebensbilder führender Frauen“ zu veranstalten, der nicht nur groles In- teresse hervorrief, sondern auch den Erfolg hatte, daß Frauen, die sich sonst wenig oder gar nicht um die Lage der Frauen bekümmerten, durch diese Vorträge einen Einblick in dieselbe erhielten und zugleich vom Schaffen und Wirken der führenden Frauen verschie- dener Richtung Kenntnis bekamen. — Die Fülle von Pe- titionen an den Reichstag und an den preußischen Landtag, die Anzahl Resolutionen, die im Laufe dieser fünfundzwanzig Jahre an Behörden und maßgebende Körperschaften abgegangen sind, hier aufzuführen, wäre unmöglich. Es könnte entmutigen, wenn wir all diese Arbeit überblicken, die darin niedergelegt worden ist, als sei das Resultat ein geringes, aber wir dürfen nicht vergessen, dal) die Entwicklung auf irgend einem sozialen, politischen oder kulturellen Gebiet sich ungemein langsam vollzieht, ja, dall oft nach einer Höhersteigung ein Niedergang erfolgt, als wäre die Menschheit ermattet oder noch nicht stark genug auf der Höhe sich zu halten. Vergessen wir 36 ferner nie, dalz die Frau noch rechtlos im Staats- leben dasteht und einen doppelten, ja vielfältigen Kampf auszuführen hat, für sich selbst, für ihr Ge- schlecht, für ihre Familie, für ihr Erwerbs- und Rechts- leben und in erster Linie für die Einreihung in das Staatsleben als Bürgerin ihres Landes. So ist es durchaus verständlich, daß der Verein in den letzten Jahren noch mehr als bisher sich mit der Bildung der Frauen für das politische Leben be- schäftigte. Schon die ganze Tendenz des Vereins von Anfang an weist darauf hin, da sich die Propaganda- arbeit wie ein roter Faden durch alle Jahre hindurch- zieht — eine Propaganda, die letzten Endes doch nur das Ziel hat und haben kann, den Frauen die Gleich- berechtigung im Staate zu erringen. Die praktischen Leistungen des Vereins nach dieser Richtung hin liegen in der Initiative des Vereins zu Bildungen und Grün- dungen von Organisationen auf neuer, zeitgemäler Grundlage, darin hat der Verein viel Anregung geboten. hat manche Lücke auszufüllen vermocht, wie es ihm von Anfang an als Aufgabe gestellt war. Hinsichtlich dessen, was der Verein ideell durch Ausbreitung fort- schrittlicher Ideen gewirkt hat, ist kein Fazit zu ziehen, ist keine Uebersicht möglich. Das entzieht sich na- turgemäl einer Beurteilung, das weist keine sicht- baren und greifbaren Erfolge auf, wie alle Arbeit, die mit dem Alten, Absterbenden, im Kampfe liegt, um dem Neuen freie Bahn zu schaffen. 37 Hunderte, ja Tausende haben im Laufe dieser fünf- undzwanzig Jahre an unsern Versammlungen teilge- nommen, ob sie in groller Oeffentlichkeit bei aktuellen Veranstaltungen stattfanden oder in kleineren Kreisen, ob auf unsern Tagungen oder in der Anteilnahme un- sererseits an den Versammlungen und Tagungen an- derer Richtungen. Niemals haben wir nachgelassen, die fortschrittlichen Grundsätze zu vertreten und wenn es sein mulste, sie durch starken Kampf durchzusetzen. Das war die Arbeit des Vereins Frauenwohl all die Jahre hindurch. Leicht war sie nicht, aber sie gab allen denjenigen, die sich in diese Arbeit hineinstellten. die Ueberzeugung, daß diese Arbeit eine gebieterisch notwendige für die Frauenwelt ist. Nicht Augenblicks- erfolge wollte dieser Verein, nicht auf Errungenschaf- ten ging er durch seine Arbeiten aus, die sofort Billigung und Anerkennung der Welt einheimsen würden, nein. seine Arbeiten bestanden in einer mühevollen Pionier- arbeit gegen Vorurteile, gegen Veraltetes, Ueberlebtes, aber auch gegen Einseitigkeit, Engherzigkeit, und kleinliche Auffassung im eigenen Lager, sowie in der bürgerlichen Frauenwelt überhaupt. Wer sich in eine solche Arbeit stellt, darf weder auf Ruhm noch auf Anerkennung rechnen, er mul gefeit sein gegen Hohn und Spott, gegen Undank und Verunglimpfung. Er muls es ertragen, dall selbst Frauen als Vertreterinnen der Frauenbewegung sich ihm ent- gegenstemmen und ihn bekämpfen; er darf nur ein 38 Ziel vor Augen haben: an einer freien Entfaltung der Menschheit durch seine Arbeiten mitzuwirken, und durch den Kampf dafür einer höheren Idee zu dienen. Alle diejenigen, die im Verein Frauenwohl gear- beitet, gestrebt und gewirkt haben all diese Jahre hindurch, haben mühselige Arbeit vollbracht, viele sind dahingegangen, viele sind erlahmt im Kampf, aber viele haben auch eine unendliche Befriedigung in dieser schweren Aufgabe gefunden. Der Rückblick stimmt wehmutsvoll und doch wieder anspornend und kräfti- gend, denn nichts gibt mehr Freudigkeit und Frische bei solchem Rückblick als dall die Kämpfe nicht ver- gebens waren, dals mancher Quell hervorgerufen wor- den ist, mancher Same ausgestreut wurde, manche Hoffnung sich erfüllt hat. Darum rufen wir trotz aller mühseligen Arbeit, trotz vieler Enttäuschungen unsern Freunden und Mit- arbeitern freudig zu: Es war nicht vergebens, der Kampf war schwer, aber er war ein Kampf wert ihn zu unternehmen, aber auch wert, ihn fortzuführen. 39 40 Die Stellung des Vereins in der allgemeinen Frauenbewegung. Motto: „Jeder Fortschritt ist durch gründ- liche Kritik bedingt.“ Euken. Die Geschichte der bürgerlichen Frauenbewegung harrt noch einer Darstellung im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Ur- sachen, die sie hervorgerufen hat. Es fehlt eine histo- risch-kritische Untersuchung, auf welcher Grundlage die bürgerliche Frauenbewegung beruht, welche Grund- sätze sie vertritt, welche Mittel und Wege sie einge- schlagen hat, wie der Werdegang war, welche Wir- kungen sie auf die allgemeinen Verhältnisse ausge- übt hat. Die Aufgabe ist schwer, aber sie muls einst in An- griff genommen werden, und zwar nicht in einseitig frauenrechtlerischer Weise, sondern von allgemeinen Gesichtspunkten aus. Scharf müssen die Dinge unter die Lupe genommen werden, da eine Episode der Frauenbe- III. wegung jetzt hinter uns liegt, die gewissermallen als Etappe angesehen werden kann, die nun zum Abschluls kommt, da durch das Eintreten der Frauen in die politische Arena sich völlig andere Konstellationen ent- wickeln, die auf die Frauenbewegung Einflul ge- winnen und von derselben beachtet werden müssen. Es kann hier nur ein Ausschnitt aus dem großen, vielgliedrigen Bilde der bürgerlichen Frauenbewegung gegeben werden, — ein Ausschnitt, der innerhalb des Bildes eine Quelle darstellt, die sich bemüht, immer wieder frisches Wasser in oft langsam flielende Ströme hineinzugießen oder versucht, ein neues Flußbett zu graben, wohin sich frisch entstehende Gewässer weiter ergielen können. Nicht kann es hierbei die Absicht sein, auch nur annähernd die Ursachen oder die Ent- wicklung der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutsch- land im allgemeinen darzustellen. Das ist weder die Aufgabe bei unserm Rückblick, noch könnte es in einem so kleinen Rahmen überhaußt gelingen. Dal die Teilnahme des Vereins Frauenwohl im Hinblick auk die fortschrittlichen Ideen in der bürgerlichen Frauen- bewegung von Bedeutung gewesen ist und noch ist, steht fest. Das leugnen auch unsere. Gegnerinnen nicht, die vielfach im Lager der gemälligten und konser- vativen Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung vorhanden und zu finden sind, und die bis heute noch, wenn auch nicht mehr so ostentativ, wie in früheren Jahren gegen den Verein und seine Haltung kämpfen. 41 trotzdem aber oft und gern die Wege gegangen sind. für die die fortschrittlichen Frauen die Bresche mühe- voll geschlagen haben. Das liegt eben im Geist des Fortschritts selbst. Er mul am Alten rütteln, mul es kritisieren, mul der Verkalkung, die in jeder Bewegung leicht zutage tritt. entgegenwirken oder neues Blut hineinbringen, er muli den veränderten Verhältnissen entsprechend neue Prinzipien aufstellen und die Ziele klarer hervorarbeiten, — kurz, Kampf und immer wieder Kampf ist unvermeid- lich. Wer diesen Kampf für den Fortschritt unter- nimmt, ob in geistiger, wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht, mul auf Gefahren und Schädigungen als Individuum gefallt sein. Sowohl der geistige, der poli⸗ tische und der technische Fortschritt verlangt Pioniere und Märtyrer. Es geht nur dann in einer Bewegung vorwärts und aufwärts, wenn mutige Pioniere und glaubensstarke Märtyrer darin zu finden sind. Pionierarbeit! — Das war die Signatur des Vereins Frauenwohl innerhalb der allgemeinen Frauenbewe- gung, als wir unsere Arbeit begonnen haben. Pionier- arbeit ist es bis auf den heutigen Tag, die uns obliegt. Wie fanden wir die bürgerliche Frauenbewegung vor im Jahre 1888, als wir unsere Arbeit begannen? Der revolutionäre Geist, der einst im Anfang der sechziger Jahre eine kurze Blütezeit in der Frauen- bewegung erlebt hatte, war verblallt: die Erwerbsfrage, 42 das Recht auf Arbeit, Erziehungs- und Bildungsfragen des Mittelstandes wurden immer und immer wieder auf den verschiedenen Tagungen besprochen, gewil gut und nützlich, aber die Oeffentlichkeit, die Allge- meinheit, nahm wenig oder keine Notiz davon. Eine neue Zeit rückte mächtig heran, völlig veränderte wirtschaftliche und politische Konstellationen hatten sich vollzogen — das deutsche Volk war dabei, sich in einem mühevoll und schwer errungenen Hause zu- recht zu finden. Die unteren Volksschichten begannen sich zu regen, das Maschinenzeitalter mit seinen ge- waltigen und schwerwiegenden Folgen wirkte um- wälzend auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Massen, Reichtum bildend, aber auch vermehrte Ar- mut hervorrufend. Die wirtschaftlichen und politi- schen Gegensätze wurden von Jahr zu Jahr schroffer, auch Klassengegensätze traten schärfer hervor. In diese Zeit der gewaltigsten Umwälzungen, die je unser Volk erlebt hat, wurde die Frauenwelt mit hineinge- zogen — unvorbereitet, ungeschult, in den meisten Fällen ganz verständnislos all den grollen Fragen und Problemen gegenüber. Die Frau sollte und mußte schwimmen, ohne schwimmen gelernt zu haben. Viele gingen unter, nur die Starken hielten sich aufrecht. Hier sollte und mulite die Frauenbewegung ein⸗ setzen. Tat sie es kraftvoll genug? In den Lokalver- einen wurde wohl treu und gut in sozialer Kleinarbeit allerlei geleistet, aber kein groller Gedanke, kein 43 stark bewegendes Moment störte diese Kreise. - Stagnation war die Signatur trotz aller Treue im Kleinen. Wir traten somit als Opposition gegen das Bestehende, gegen diese Kleinarbeit, gegen das Be- tonen der nur lokalen, der nur Erwerbs, der nur Bil- dungsfragen auf. Diese Oppositionsstellung wurde uns schwer verdacht, und wenn auch die Ansichten über uns und unser Tun sich etwas gemildert haben mögen. wir wissen es doch ganz genau, daß man in der allge- meinen Frauenbewegung uns nicht gerade liebt. Kämpfer, Mahner, Opponenten gegen vieles, das sich gemächlich zur Ruhe festlegt, waren und sind niemals von denen freundlich angesehen worden, die mit ihren Leistungen und ihren Errungenschaften sich zufrieden geben. Es ist eben ein Gesetz der Entwicklung, daß der Fortschritt, so paradox es klin- gen mag, nur durch Rücktritt hervorgerufen wird. Die Lebendigen, die Ringenden lehnen sich gegen die Tendenz der sich nach Ruhe und Behagen Sehnenden auf. So war es und ist es noch heute in jeder Bewe- gung und wird es wohl für ewig in der Menschheit bleiben, denn nur so kann einer Verflachung, einer Ver- sumpfung, vor allem aber der für jede Bewegung ge- fährlichen Stagnation entgegen gewirkt werden. Die da stille stehen wollen, und die das Vergangene herauf- beschwören, wissen oder wollen es nicht wissen, daß es auch Erdbeben im Menschenleben gibt, nicht nur in der Natur. 44 Aber nach Erdbeben sah es wahrlich in unserer kleinen Schar nicht aus, nur Pionierarbeit wollten wir leisten, wollten der Sache dienen. Niemand mehr als wir waren wohl erstaunt, dals diese Aufgabe, die wir uns anfangs in durchaus harmloser, fast kindlicher Weise stellten, einen Sturm bei den Alten erregen würde. Es war allerdings etwas völlig Neues, was wir aus- führten, diese Opposition. Man war eine solche nicht gewöhnt. Man erfreute sich der allgemeinen Zufrie- denheit, ging die alten Wege ruhig weiter und fand unser Auftreten gegen dieses sichere aber doch schon etwas ausgetretene Geleise unerhört. Erst mit der Zeit wurde es uns klar, dalz wir, wie man meinte, pie- tätlos gehandelt hätten. Ob man damals, als wir uns in Opposition zu den alten Wegen setzten, sich ein- sichtsvoller und taktisch klüger von seiten der Alten uns gegenüber hätte verhalten können oder sollen, das gehört in die Geschichte der fortschrittlichen bürger- lichen Frauenbewegung, und nicht hierher. — diese Geschichte verlangt gebieterisch nach einer Dar- stellung, um Klarheit und Wahrheit zu schaffen. Genug, wir wurden durch manches Verhalten der alten Richtung immer mehr in die Opposition gedrängt. Schon bei der Gründung des Bundes Deutscher Frauen- vereine trat diese Stellungnahme hervor und doch waren wir die Ersten, die dem Bunde beitraten, ferner hatten wir unser grolles Interesse an dieser Grün- dung durch Vorlegen eines Planes für seine Organi- 45 sation bekundet. Wenn wir dann auf den Bundestagun⸗ gen neue Ideen durchzusetzen versuchten, wie z. B. in München 1906 die Sittlichkeitsfrage, die noch niemals von der alten Richtung ernstlich zur Verhandlung aufgenommen war, so wurden wir als Störenfriede an- gesehen. Wenn wir darauf drangen, daß die Arbeite- rinnenfrage mehr in den Vordergrund gestellt werden solle, oder dals man die Propaganda für das Bürger- liche Gesetzbuch energischer und kraftvoller in die breite Oeffentlichkeit hineintragen müsse, oder wenn wir uns für Gründungen von Berufsorganisationen auf wirt- schaftlicher Grundlage ins Zeug legten oder gar, wenn wir für politische Rechte eintraten, so waren wir sicher, von der gemäßigten Richtung als Schädlinge, ja sogar als Hetzer und Schreier hingestellt zu werden. Das, was uns zwang, uns in dem Fortschrittlichen Verband eine eigene Organisation zu schaffen, damit auch wir eine Stätte hätten, um uns mit unsern Ge- sinnungsgenossinnen auszusprechen, liegt zum grolen Teil in der damaligen Haltung des Bundes. Es ist hier nicht der Ort, um im Detail den Kampf wiederzugeben, der gegen uns geführt worden ist, die Zeiten haben sich geändert, sowohl im Bunde, wie auch im Fort- schrittlichen Verbande. Der Bund ist eine Zusammen- fassung aller Bestrebungen geworden, auch solcher. die eigentlich nichts mit den Grundsätzen der Frauen- bewegung zu tun haben, doch das ist seine Sache, wie er sich dabei hindurchfinden wird, wenn wiederum eine ganz 46 neue Zeit im Anzuge ist, die mit veränderten Verhält- nissen rechnen muß. Der Fortschrittliche Verband hat sich 1907 dem Bunde angeschlossen, er gab damit seine Kampfstellung dem Bunde gegenüber auf, um sie innerhalb des Bundes weiter zu führen. Das ist ihm allem Anschein nach nicht gelungen, denn der Bund nimmt immer mehr konservative und auch reaktionäre Organisationen und Vereine auf, die kaum jemals sich zu freien Ansichten und fortschrittlichen Bahnen ent- schlielien werden. Der Bund ist jetzt eine Masse der verschiedenartigsten Elemente geworden, die aber, da kein festes Fundament und auch keine grundlegenden Prinzipien vorhanden sind, zu einer Klarstellung und Stellungnahme zu den immer stärker und bedeutender auflodernden Problemen in der Frauenwelt gar nicht kommen können, weil man jegliche ernste Polemik darüber ängstlich zu vermeiden sucht in dem vielleicht unbewullten Gefühl, dal dann die Schwäche des Bundes zutage treten würde. Der Verein Frauenwohl steht mittelbar durch den Fortschrittlichen Verband in Verbindung mit dem Bunde. doch hat er es vollkommen aufgegeben, auf den Bund direkt zu wirken. Er stellt keine direkten Anträge mehr, er nimmt wohl an den Tagungen teil, und je nach dem Temperament seiner Vertreterin oder nach der inneren Ueberzeugung derselben wird zu den vorliegenden Verhandlungen Stellung dazu genom- men. Wenngleich die Vertreterinnen der stark vor- 47 handenen konservativen Strömung im Bunde auch stets die Freundlichkeit besitzen, den fortschrittlichen Frauen mündlich und schriftlich zu verstehen zu geben, daß für sie kein Platz im Bunde ist, so haben die Fort- schrittlichen bis jetzt ausgeharrt. Ob sie es auf die Dauer tun werden, oder tun können, ist vorläufig nicht zu beurteilen. Es gibt Momente im Vereinsleben, wie im Leben des Einzelnen, wo es die Selbstachtung oder auch Selbsterhaltung, vor allem aber, wo es das Fest- halten der Grundsätze verlangt, sich loszulösen oder aber mit viel schärferen Waffen den Kampf wieder aufzunehmen. Der Verein Frauenwohl hat jedenfalls die Pflicht, falls er sich nicht selbst untreu werden will, den Kampf für die radikalen und fortschrittlichen Ideen, ob im Bunde oder aullerhalb desselben, fortzu⸗ setzen. Aus mancher und vielseitiger Erfahrung heraus wissen wir, daß der Weg nicht leicht für uns sein wird, er war es nie, aber wir wissen ebensowohl, daß der Verein Frauenwohl sich mühevoll durchgesetzt hat, gerade weil er den Kampf für die Rechte für alle Frauen auf seine Fahnen geschrieben hat. Er hat die Aufgabe, bei der neu anbrechenden Zeitströmung der politischen Frauenbewegung wiederum unbeirrt seine Pionierarbeit fortzusetzen. Wie der Verein Frauen- wohl vor 25 Jahren neue Wege suchte und fand für die Forderungen der Zeit, so wird er auch jetzt Wege kinden für Neuforderungen der Gegenwart. Es muß zugegeben werden, dal der Bund Deut- 48 scher Frauenvereine eine zu schwerfällige Masse ge- worden ist, um schnell Schritte für oder gegen Neu- strömungen tun zu können, aber seine Organisation hat denn doch einen solchen Zufluß von konservativen. ja sogar reaktionären Elementen bekommen, daß die Fortschrittlichen im Bunde, verkörpert durch den Ver- band Fortschrittlicher Frauenvereine, das Schicksal er- leiden werden, das ihnen bei ihrem Eintritt im Bunde von einigen Seiten vorhergesagt wurde, nämlich, eher eine Schwächung als eine Stärkung zu erfahren. Eben⸗ falls darf nicht unberücksichtigt bleiben, dal die Ten⸗ denz der Bundesorganisation immer mehr und stärker zur Entwicklung der Provinzialverbände neigt und diese wiederum zum Zusammenschlulz der in der Provinz arbeitenden Vereine drängen. Wie Ende der sechziger Jahre Kleinarbeit lokaler Art malgebend war, und schliellich eine engherzige Abschliellung nach aulien hin Stagnation hervor- rief, so erscheint es, als wenn die Provinzialver- bände auf dem Wege sind, das gleiche zu tun. Das ver- hindert natürlich ganz bedenklich das Eindringen fort- schrittlicher Ideen, es macht die Arbeit des Verban⸗ des in den Provinzen fast unmöglich. Die grollen Tagungen aber des Bundes Deutscher Frauenvereine sind doch mehr und mehr Schaustücke geworden, wo man versucht, das Beste zu zeigen, man vermeidet je- doch ängstlich Prinzipienfragen aufzurollen oder tiefere Einblicke überhaupt gewähren zu lassen. Mehr oder 4 49 weniger liegt es in jeder Bewegung dieses Auf und Ab, dieses Suchen nach irgend einer Linie, wo sich die Prinzipien des Fortschritts mit denen des Rückschritts irgendwo treffen können. Es handelt sich aber bei einer solchen Bewegung wie die Frauenbewegung nun einmal ist, doch darum, ob der Fortschritt die Führung hat oder ob die Tendenz zur Beharr- lichkeit des Vorhandenen die Oberhand gewinnt. Haben die Bundesvereine auch vielfach die Wege auf- genommen, für welche die Fortschrittlichen Vereine die schwere Pionierarbeit geleistet haben, so zeigt uns doch die Geschichte, dall neben dem Fortschritt gerade oft sehr schwerwiegende Rückschritte angebahnt wer- den, die leicht zur Verknöcherung führen können. So gefestigt steht die deutsche Frauenbewegung noch nicht, um eine Stagnation, die jetzt zum Vorschein kommt, nur mit einem Achselzucken abzutun, oder sie zu ignorieren. Hier heillt es mit neuen Waffen einzugreifen. Noch vermissen wir diese Rüstung auch in der fortschrittlichen noch mehr in der politischen Richtung der Frauenbe- wegung, denn selbst die Frauenvereine in der Frauen- stimmrechtsbewegung, sowie die Frauen in den bür- gerlichen politischen Parteien setzen sich nicht gegen die sich anbahnenden Rückwärtsbestrebungen in der Frauenbewegung mit aller Kraft zur Wehr. Von aullen wird daher wohl die Aufrüttelung erst kommen müssen, bevor die bürgerlichen Frauen sich 50 aufraffen werden. aus ihrer „formvollendeten Stag- nation“ herauszukommen. Die sozialdemokratische Partei weist eine geradezu auffallende Zunahme an Frauen auf, und von rechts her, die katholischen, ja sogar auch die konservativen Frauen rühren sich ge- waltig. Diese beiden letzteren Richtungen denken vor- läufig nicht daran, sich mit den im Bunde organisierten Frauenvereinen zu verbinden, — die Sozialdemokra- tinnen mit ihren Riesenorganisationen bedürfen der bürgerlichen Frauen nicht. Es ist ein total falscher Gedanke, daß man von ihnen immer verlangen will. sich den bürgerlichen Frauen zu nähern. Die katho⸗ lischen und konservativen Frauenvereine, sobald ihre Parteien sie unterstützen, und das werden diese mit der Zeit tun müssen, werden dem Bunde Deutscher Frauenvereine wohl noch zu schaffen machen. Behält der Bund die jetzige Tendenz nach rechts und die bedin- gungslose Aufnahme aller dahin neigenden Elemente. 8o wird der fortschrittliche Funke, der noch im Bunde glimmt, zum Verlöschen gebracht werden, oder wenig- stens keine Kraft mehr besitzen, Feuer hervorzurufen. Die Stellung des Vereins Frauenwohl dem Bunde Deutscher Frauenvereine gegenüber war stets eine schwierige, wie aus dem Vorhergehenden genügend er- sichtlich ist. Der Verein sieht nun einmal die Frauen- bewegung nicht nur im Bunde Deutscher Frauenvereine verkörpert, sondern ihm liegt die Aufgabe ob, immer und immer wieder die Zusammenhänge aufzusuchen. 51 die die Frauenbewegung mit den sozialpolitischen und politischen Fragen und Problemen der Gegenwart ver- bindet. Wenngleich er in seinen praktischen Leistun⸗ gen sich jetzt mit den Aufgaben mehr befalt, die die Weltstadt Berlin verlangt, so ist sein Blick doch un- ausgesetzt darauf gerichtet, neue Probleme in Angriff zu nehmen. Er hat Umschau zu halten, kür welche Rechte gekämpft werden muß, welche neue Konstellationen sich durch die Entwicklung ergeben, um denselben gewachsen zu sein, sei es durch Eingaben an die Behörden, sei es durch Stellungnahme zu den vorliegenden Gesetzen im Reichstag und in den Landtagen, oder durch Aufnahme neuer Arbeitsgebiete. Prinzipielles Eintreten für all diese Forderungen des lages, — diesen Kampf hat der Verein stets auf sich genommen und wird ihn ferner aufnehmen müssen. Wir wissen das Eine, treten Stagnation und Rückschritte in einer Bewegung auf. 8o liegen darin schon wieder die Keime neuen Lebens. Dieses neue Leben zu fördern, wo immer es sich nur zeigt, wird unsere Aufgabe sein gerade in einer Zeit, in welcher so viel Grolles, Hoffnungsvolles und Em- porringendes vorhanden ist, neben Veraltetem. Klein- lichem und Rückständigem. Wir müssen uns allerdings damit trösten, daß wir die Rolle des Pioniers dabei übernehmen müssen, somit werden wir auch immer die Minorität in der bürger- lichen Frauenbewegung repräsentieren, doch ein be- 52 harrlich das gleiche Ziel verfolgende Streben hat noch immer über alle Hindernisse hinweg den Sieg errun- gen. wenn nicht für die Gegenwart, so doch für die Zu- kunft. Die politische Frauenbewegung mit grolen und vielseitig damit verbundenen Kämpfen steht vor der Tür. Der Verein Frauenwohl hat vor 25 Jahren die ersten Schläge an diese Tür getan — er wird und kann nicht zurückstehen, die Tür immer breiter und weiter zum Eintritt für die Frauen zu öffnen. Ein fröhliches Wagen, ein fröhliches Kämpfen — das sei wie vor 25 Jahren so auch jetzt auf unsere Fahnen geschrieben. Eine Bewegung ohne Wagemutige stirbt. Laßt uns diese Wagemutigen sein! 53 Druck von W. & S. Loewenthal. Berlin C. 19. A 19. 563X