3D-Digitalisate im kompakkt-Viewer
Einleitung
Angesichts des inzwischen erreichten Digitalisierungsgrads des urheberrechtsfreien schriftlichen Kulturerbes haben Bibliotheken damit begonnen, Textzeugnisse stärker in ihrer materialen Dinghaftigkeit in den Blick zu nehmen. Damit rückt auch das herausfordernde Zukunftsfeld der 3D-Digitalisierung, das bislang vor allem in musealen Kontexten eine Rolle spielte, verstärkt in den Fokus der bibliothekarischen Digitalisierungsaktivitäten – denn neben den klassischen kodexförmigen Büchern bewahren Bibliotheken auch zahlreiche Objekte, die durch einen 2D-Scan nur unzureichend repräsentiert werden können, etwa Handschriften mit künstlerisch aufwändig gestalteten Prachteinbänden, Schriftrollen, beschriftete Gegenstände, Globen, Reliefkarten oder interaktive Spielbücher und Bastelbögen.
Inzwischen gibt es für die Digitalisierung von 3D-Objekten bezüglich der zu verwendenden Dateiformate und Techniken erste Vorgaben vonseiten der Europeana und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die allerdings im Zuge der kooperativen Weiterentwicklung dieser Praxisregeln von relevanten Stakeholdern präzisiert werden sollen. Doch nicht nur die Digitalisierung an sich ist anspruchsvoll, auch die Präsentation von 3D-Digitalisaten stellt höhere Anforderungen an Bibliotheken als die Präsentation „einfacher“ Images, insbesondere, wenn die Objekte nicht nur aus verschiedenen Perspektiven gezeigt werden, sondern darüber hinaus eine Interaktion mit ihnen ermöglicht werden soll. Bestenfalls sind die wenigen – meist im Umfeld publikumswirksamer Ausstellungen entstandenen – interaktiven 3D-Digitalisate mittelalterlicher Prachtkodizes mit Software zur Visualisierung von konfektionierten Blättereffekten bearbeitet, die zwar das Aufschlagen beliebiger Seiten einschließen, aber letztlich nur ein simplifizierendes Surrogat der dynamischen Materialeigenschaften des betreffenden Werks darstellen.
Die hier eingesetzte quelloffene 3D-Viewer-Software kompakkt wurde am Institut für Digital Humanities der Universität zu Köln entwickelt und dient der SBB als Plattform zur Veröffentlichung der von ZEDIKUM realisierten 3D-Digitalisate von Objekten aus ihrem Bestand. In kompakkt werden die 3D-Visualisierungen in einem webfähigen Format im Open Access zur Verfügung gestellt – ein Szenario, für das rezeptionsseitig keine Installation zusätzlicher Software erforderlich ist.
Anwendungsbeispiele
Bambus-Batakhandschriften
Bei den Signaturen Schoemann VIII 4, Schoemann VIII 5 a und Schoemann VIII 5 b handelt es sich um Objekte aus Bambus, in die Texte in einer Batak-Sprache eingeritzt worden sind. Die Objekte wurden von dem linguistisch interessierten Trierer Carl Schoemann (1806–1877) während seines mehrjährigen Aufenthalts in Java Mitte des 19. Jahrhunderts erworben und sind somit mindestens 170 Jahre alt. Bei den Texten handelt es sich um Briefe, in denen es um Straßenbau aber auch um einen entflohenen Sträfling geht. Weitere Informationen zu den drei Objekten finden sich im Portal Qalamos: Schoemann VIII 4, Schoemann VIII 5a, Schoemann VIII 5b
Bei der Signatur Hs. or. 13834 handelt es sich um vier Bambus-Röhren und einen Anhänger mit antropomorpher Skulptur, die einen Weissagungskalender enthalten. Eine genauere Beschreibung mit Texttranskriptionen findet sich hier.
In der untenstehenden Galerie finden Sie die 3D-Digitalisate. Beim Klicken auf ein Objekt öffnet sich das Digitalisat in einem neuen Fenster im kompakkt-Viewer.
Typographia Sinica
Bei der Typographia Sinica handelt es sich um einen massiven Ladenschrank, in dessen zehn Schubfächern insgesamt 3.287 stempelförmige Holzwürfel mit chinesischen Schriftzeichen angeordnet sind. Das schmucklose Funktionsmöbel wurde um 1685 von dem Sinologen und Bibliothekar Andreas Müller (1630–1694) als Clavis Sinica für den asienbegeisterten brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm entwickelt – mithin als Hilfsinstrument zur leichteren Erlernung der chinesischen Sprache. Ursprünglich in der kurfürstlichen Bibliothek im Berliner Schloss ausgestellt, gehört die Typographia Sinica zu den wertvollsten Objekten der Ostasiatischen Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin und ist heute im Humboldt Forum im Berliner Schloss ausgestellt. In Vorbereitung dieser Ausstellung wurde von Illustrated Architecture ein digitales 3D-Modell der Typographia Sinica hergestellt, dessen Daten auch hier zugänglich sind.
Historische Spielbilderbücher
In ihrer charakteristischen, die Modi konventioneller Buchnutzung überschreitenden Interaktivität markieren die Spielbilderbücher des Münchener Papierkünstlers Lothar Meggendorfer (1847 – 1925) einen ersten Höhepunkt in der Entwicklung kinetischer Buchobjekte. Solche Werke unterscheiden sich vom Standardkodex durch ihre flexiblen Bedienelemente – meist Ziehlaschen oder Drehscheiben –, wie sie in mittelalterlichen Volvellen ebenso zu finden sind wie in zeitgenössischen Pop-up-Comics. Als populärste und am stärksten ausdifferenzierte Erscheinungsform dieser keineswegs marginalen und von der Forschung neuerdings immer stärker beachteten Mediengattung gelten dabei Spielbilderbücher, wie sie die Staatsbibliothek zu Berlin unter Berücksichtigung aller historischen Entstehungskontexte und materialen Erscheinungsformen in hoher Intensität sammelt.
In der Perspektive, ihren weltweit herausragenden Bestand an Spielbilderbüchern aus der Zeit Lothar Meggendorfers zu reproduzieren und im Open Access zugänglich zu machen, wurde von der Staatsbibliothek zu Berlin mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Konzept zur wissenschaftsgeleiteten 3D-Digitalisierung und interaktiven Visualisierung beweglicher Kulturobjekte entwickelt. Dieses Konzept soll das Fundament für die entsprechende Bearbeitung eines für das typologische Spektrum kinetischer Buchobjekte insgesamt repräsentativen Referenzkorpus von 100 historischen Spielbilderbüchern in Kooperation mit dem Zentrum für Digitale Kulturelle Materialitäten (ZEDIKUM) und NFDI4Culture legen.
In diesem Zusammenhang entstanden mehrere prototypische Modelle historischer Spielbilderbücher, die im Kontext des Verbundvorhabens museum4punkt0 in Teilen zu einem Browsergame für den museumspädagogischen Einsatz fusioniert wurden. Den auf Lothar Meggendorfers ‚Im Stadtpark‘ (München, 1887) basierenden Hintergrund besagten Computerspiels machen wir Ihnen unter den folgenden Links zur beliebigen Nachnutzung zugänglich.
Links
Code
Standalone-Version des kompakkt Viewers
Ansprechpersonen
Zur technischen Umsetzung:
Zoe Schubert, Staatsbibliothek zu Berlin, NFDI4culture, zoe.schubert@sbb.spk-berlin.de
Fanet Göttlich und Alex Hennig, ZEDIKUM, f.goettlich@smb.spk-berlin.de
Zum Projekt Bambus-Batakhandschriften:
Thoralf Hanstein, Staatsbibliothek zu Berlin, thoralf.hanstein@sbb.spk-berlin.de
Zur Typographia Sinica:
Cordula Gumbrecht, Staatsbibliothek zu Berlin, cordula.gumbrecht@sbb.spk-berlin.de
Zum Projekt BeWeB-3D:
Carola Pohlmann, Staatsbibliothek zu Berlin, carola.pohlmann@sbb.spk-berlin.de
Christian Mathieu, Staatsbibliothek zu Berlin, christian.mathieu@sbb.spk-berlin.de